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POP-MUSIK<br />

lektionen in folk<br />

Von Benedikt S<strong>art</strong>orius Bild: zVg,<br />

■ Abend ist’s geworden über der kalifornischen<br />

Bay Area. Ein alter Freund klopft an die Türe, z<strong>art</strong><br />

pulsierende Perkussionsinstrumente, beruhigende<br />

Streicherfl ächen und eine milde Stimme heissen<br />

den Gast willkommen: «I can’t believe that you’re<br />

knocking, knocking on my door. Oh, it’s been so<br />

long…» Vetiver vertonen dieses linde, harmonische<br />

Wiedersehen mit viel Sinn für‘s musikalische Detail<br />

und bereiten dem geneigten Hörer einen wunderbaren<br />

Einstieg in ihr zweites Album «To Find Me<br />

Gone» (Fat-Cat/Namskeio).<br />

Hin zur Zeitlosigkeit Vetiver ist im Kern der in<br />

San Francisco ansässige Singer/Songwriter Andy<br />

Cabic. Mit wechselnden Besetzungen spielte er vor<br />

zwei Jahren das karg instrumentierte, mondsüchtige<br />

Vetiver-Debüt ein. Charakteristisch waren die<br />

sehr schön eingesetzten Celli, charakteristisch war<br />

aber auch die Omnipräsenz seines ungleich populäreren<br />

Freundes Devendra Banh<strong>art</strong>, die für Cabic<br />

Fluch und Segen zugleich bedeutete: Segen, da die<br />

Presse seinem Projekt vermehrt Publizität schenkte<br />

und Fluch, da die Grenze zu Banh<strong>art</strong>s Alben<br />

zeitweise durchlässig erschien, ja, Vetiver gar als<br />

Nebenprojekt des verschrobenen, mit hippiesken<br />

Mystizismen spielenden Barden erscheinen liess.<br />

Vetiver alias Cabic wurde so ins neu entstandene<br />

und fragwürdige Fach des Neo-Folks abgeschoben<br />

wie auch als Vertreter des marktschreierischen<br />

Slogans «New Weird America» gehandelt.<br />

«To Find Me Gone» besticht nun mit seiner<br />

unaufgeregten, unprätentiösen Vielfalt und versammelt<br />

elf Tag- und Nachtlieder über Abschied,<br />

Unterwegssein, Ankunft und Liebe, die drohende<br />

Opulenz trotz einer Vielzahl an Instrumenten ver-<br />

meiden. Cabic und seine wechselnden Mitmusiker -<br />

unter ihnen wiederum Banh<strong>art</strong> - wühlen im Fundus<br />

des genuin kalifornischen Folks und so wechseln<br />

freundliche Stimmungen mit dunkel eingefärbten<br />

Liedern, die Abgründe andeuten und den Traum eines<br />

Lebens in Harmonie als Illusion entlarven. «To<br />

Find Me Gone» bedeutet für Vetiver den Schritt hin<br />

in die Zeitlosigkeit und ist eine Weiterführung der<br />

kalifornischen Liedtradition der 1960er ohne nostalgischen<br />

Überbau.<br />

Raumerfahrungen Szenenwechsel. Ein Studio<br />

in London: Adem Ilham feilt an seinen mit akustischer<br />

Gitarre, Harmonium und allerlei Glockenspielen<br />

instrumentierten Liedern, verfremdet<br />

einige Perkussions- und Gesangsspuren mit elektronischen<br />

Tüfteleien und singt mit gebrochener,<br />

dennoch zuversichtlicher Stimme über «Love And<br />

Other Planets (Domino / MV). Die Vermessung der<br />

emotionalen Landk<strong>art</strong>e gerät zumindest textlich<br />

nicht immer plattitüdenfrei, doch betört der Grossteil<br />

der Lieder durch die Liebe zum musikalischen<br />

Detail. Besonders schön: Das minimalistische Titellied<br />

wie auch die beiden perkussiven Nummern<br />

«You And Moon» und «Launch Yourself», die den<br />

Hörer in einen weiten akustischen Raum entschweben<br />

lassen.<br />

Doppelkonzert: Vetiver/ Adem, 26. September<br />

im Bad Bonn Düdingen, 21:00 h.<br />

www.vetiverse.com<br />

www.adem.tv<br />

ECM listening post<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

■ Wer Stefano Bollani auf Bilder sieht, fragt sich,<br />

ob es mehrere Stefanos gibt. Seine Musik hat so<br />

viel Feines, Zerbrechliches. Doch er scheint ein<br />

quirliger Kopf zu sein, den Schalk in den Augen<br />

und einen wachen, italienischen Blick. Seine visuelle<br />

Präsenz, wenn auch nur von Bildern jetzt<br />

interpretiert, fi nden wir aber dann doch in seiner<br />

Musik wieder.<br />

Auf «Solo Piano» spielt er Eigenkompositionen<br />

und anderes. Mir persönlich gefallen seine<br />

Interpretationen besser als seine Improvisationen,<br />

die fast zu aufbrausend und chaotisch sein<br />

können. Aber auch hier ist Bollani nicht greifbar,<br />

denn den Gegensatz liefert er immer gleich hinterher.<br />

«Promenade» zum Beispiel ist so eine<br />

Ausnahme.<br />

Den Einstieg macht Bollani mit «Antonia» von<br />

Antonio Zambrini. Vielleicht nicht die beste Wahl<br />

als erstes Stück, denn die Melancholie und Z<strong>art</strong>heit<br />

ist prägend für die gesamte CD. Und deswegen<br />

kann der Spagat der Intensität manchmal ein<br />

etwas schmerzhafter sein. Aber als 34-jähriger<br />

Italiener darf er das alles spielen. Seine Intensität<br />

und seine Verträumtheit haben Charme und<br />

diese können uns ganz schön verwirren.<br />

Auffallend ist die Präzision. Bollani ist seinem<br />

Spiel so sicher, da besteht nicht der kleinste<br />

Zweifel. Keine Sekunde, in der er abwesend etwas<br />

anderes denken könnte. So viel Wachheit ist<br />

selten so kompakt zu spüren. Und wenn in der<br />

zweiten Hälfte dieses Albums die alten Stummfi<br />

lmmelodien durchklingen, so wechselt die sonst<br />

doch ernstere Stimmung in eine fröhliche Ausgelassenheit.<br />

Bollani ist eine Frühherbstüberraschung.<br />

Obwohl er schon viele Aufnahmen gemacht hat<br />

und seine ersten Erfolge bereits mit 15 Jahren<br />

verzeichnen konnte, so hatte ich bisher nicht<br />

das Vergnügen. Und wenn die Nebel steigen, so<br />

beginnt die Zeit des Nachdenkens – Piano Solo<br />

bietet einen guten Boden dafür. Aufgenommen<br />

wurde dieses Album übrigens in Lugano, im Auditorium<br />

vom RSI Rete Due. Ein Raum, den man<br />

sich merken kann.<br />

Piano Solo<br />

Stefano Bollani<br />

ECM 1964<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 45 | september 06 17

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