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KINO<br />
das parfum – die<br />
geschichte eines mörders<br />
Von Sonja Wenger Bild: zVg.<br />
■ Zu recht fragt man sich als Leser oder Leserin<br />
des Buches «Das Parfum – Die Geschichte eines<br />
Mörders» von Patrick Süskind, wie man denn eine<br />
Geschichte auf die Leinwand bringen will, deren<br />
Hauptthema der Geruchssinn ist. Wie soll eine literarische<br />
Vorlage umgesetzt werden, deren Erfolg<br />
vor allem auf dem individuellen Sinneserleben und<br />
Erinnern des Lesers oder der Leserin beruht? Ob<br />
man Süsskind damals die gleiche Frage gestellt<br />
hat? Schliesslich ist es nicht unbedingt leichter,<br />
Düfte und Gerüche mit Worten zu vermitteln als<br />
mit Bildern.<br />
Die Antwort ist: man kann. Regisseur Tom<br />
Tykwer lenkt den Fokus sanft, aber bestimmt von<br />
Anfang an auf das Visuelle, so dass das Publikum<br />
vergisst, den Geruch zu suchen und ihn statt dessen<br />
in der eigenen Erinnerung auferstehen lässt.<br />
Und er tut dies ohne auch nur für einen Moment<br />
den Inhalt zu vernachlässigen. Der Film «Das Parfum»<br />
ist eine atemberaubende, treue Adaption der<br />
Buchvorlage und beeindruckt durch den Mut der<br />
Macher für Experimente.<br />
Die Geschichte handelt von Jean-Baptiste Grenouille,<br />
der Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem<br />
Pariser Fischmarkt geboren wird und ohne Bildung<br />
oder Liebe aufwächst. Früh begreift er, dass er<br />
die besondere Gabe des absoluten Geruchssinns<br />
besitzt, realisiert aber lange nicht, dass er selbst<br />
vollkommen geruchlos ist. Als er beim Pariser Parfumier<br />
Giuseppe Baldini in die Lehre darf, ist er<br />
immer mehr fasziniert und besessen vom Gedanken,<br />
den perfekten Duft zu kreieren, für den ihn die<br />
Menschen lieben und respektieren sollen.<br />
Tykwers Umsetzung benutzt die gleichen Methoden<br />
wie die Vorlage, um Gerüche «sichtbar» zu<br />
machen. Denn für Tykwer hat der Film «genauso<br />
eine Sprache wie die Literatur, statt mit Worten<br />
einfach mit Bildern, Geräuschen und Musik». So<br />
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geht die Kamera der<strong>art</strong> nahe an ein Objekt heran,<br />
dass man die Poren der Haut sieht, den Atem<br />
spürt und das Blut pulsieren hört. Mit dieser «optischen<br />
Präzision» wird die Sinneserinnerung der<br />
Zuschauer geweckt und können Düfte im Kopf entstehen,<br />
genauso wie es einem warm werden kann,<br />
wenn man nur das Bild einer Feuerfl amme sieht.<br />
Und wie beim Lesen des Buches atmet man auch<br />
im Film nach kurzer Zeit intensiver, achtet mehr<br />
auf die Gerüche um einen herum. Ein zwar nicht<br />
zu unterschätzendes Problem bei der Popkornmampfmanie<br />
im Kino, aber ein Erlebnis für sich.<br />
Der deutsche Produzent Bernd Eichinger hatte<br />
schon früher grosse Erfolge mit gelungenen Literaturverfi<br />
lmungen, so zum Beispiel mit «Der Name<br />
der Rose» oder «Das Geisterhaus». Trotzdem sei<br />
es bei dieser Vorlage «ungemein schwieriger gewesen».<br />
Es handle sich bei «Das Parfum» um ein<br />
narratives Problem, sagt Eichinger, bei dem man<br />
«mit den üblichen dramaturgischen Tricks» nicht<br />
weiterkommt. Hier gelte vor allem auch ein assoziatives<br />
Vorgehen, um die erzählerischen Lücken<br />
der Bildersprache auffüllen zu können, sagt er. So<br />
gesehen verstosse der Film gegen jede Regel des<br />
Lehrbuchs vom Filmemachen.<br />
Zusammen mit Eichinger und Tykwer hat Andrew<br />
Birkin über zwei Jahre an einer Drehbuchfassung<br />
gearbeitet. Für Tykwer war es wichtig,<br />
die Psychologie der Charaktere stärker in den<br />
Vordergrund zu stellen, ohne die Grenzen der Zumutbarkeit<br />
beim Publikum zu überschreiten. Die<br />
«amoralische» Hauptfi gur von Grenouille, die ohne<br />
jegliche Vorstellung von Ethik, aber auch ohne Liebe,<br />
Verantwortungsgefühl oder menschliche Grösse<br />
auskomme, auf der Leinwand so umzusetzen,<br />
dass sich das Publikum wie beim Lesen des Buches<br />
doch irgendwie mit ihm identifi zieren kann, war für<br />
den Regisseur die grössere Herausforderung als<br />
einen Duft fi lmisch umzusetzen.<br />
Ein weiteres Anliegen von Tykwer war es, einen<br />
Film zu drehen, der «von der Filmsprache<br />
her wirklich modern ist, aber seiner historischen<br />
Verpfl ichtung treu bleibt». Das Publikum solle so<br />
schnell wie möglich die Distanz zur Epoche des<br />
18. Jahrhunderts verlieren und sich ganz auf die<br />
Geschichte konzentrieren können. Erreicht hat<br />
er das auch mit einer Authentizität bei Produktionsdesign,<br />
Make-up, Kostümen und den kleinsten<br />
handwerklichen Details. Die Drastik von Süskinds<br />
Worten und seiner Geschichte des einsamen Mannes<br />
ohne eigenen Geruch wird ergänzt durch die<br />
Drastik der Bilder. Tykwer hat sich nicht gescheut,<br />
den Schmutz des Pariser Fischmarkts, den Dreck<br />
der Gerberei und die Hässlichkeit der Gosse in aller<br />
Deutlichkeit zu zeigen.<br />
Und nicht zuletzt ein wunderbares Ensemble<br />
verhilft dem Film zu einer grossen Glaubwürdigkeit.<br />
Neben Dustin Hoffman als Baldini und Alan<br />
Rickman als Grenouilles Gegenspieler Richis wurde<br />
mit dem Hauptdarsteller Ben Whishaw ein Schauspieler<br />
gewählt, den bei uns noch niemand gross<br />
im Kino gesehen hat. Whishaw und Hoffman bilden<br />
ein wunderbares Gespann aus Meister und Schüler,<br />
dessen Genialität den Lehrer bald überfordert.<br />
Besonders erwähnenswert sind auch Karoline<br />
Herfuth und Rachel Hurd-Wood als Grenouilles<br />
erstes, beziehungsweise letztes Opfer, sowie die<br />
Besetzung der kleinsten Nebenrollen mit Stars wie<br />
Corinna Harfouch als Madame Arnulfi .<br />
Der Film kommt am 14.9. in die Kinos und dauert<br />
148 Minuten.<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 45 | september 06