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Baselitz – und die Welt steht Kopf!<br />

■ Spätestens seit der Baselitz-Ausstellung<br />

im Berner Kunstmuseum 2004<br />

sind Baselitz‘ umgedrehte Bildmotive<br />

in Bern den meisten ein Begriff<br />

– kein Wunder, waren die Plakate der<br />

Ausstellung mit einem Kopfüber-Porträt<br />

doch überall in der Stadt präsent.<br />

In der Tat gelten die verkehrt herum<br />

gemalten Sujets – meist Porträts, Figuren,<br />

Stillleben und Landschaften<br />

– als Baselitz‘ Markenzeichen. Begonnen<br />

mit der Umkehrung der Bildmotive<br />

hat der als Hans-Georg Kern<br />

1938 im sächsischen Deutschbaselitz<br />

geborene Künstler Ende der 60er<br />

Jahre: «Die Umkehrung bedeutet für<br />

mich, dass es keine Probleme mehr<br />

gibt in Richtung Motive oder dargestellte<br />

Gegenstände, nichts schlägt<br />

Wurzeln, das Gegenständliche wird<br />

neutralisiert, umgekehrt auch das<br />

Transzendente. Es gibt wirklich nur<br />

noch reine Malerei.» Baselitz bezieht<br />

Ziegelrain `67-`75<br />

■ Ende der 1960er Jahre gründen<br />

junge Künstler in Aarau eine Ateliergemeinschaft<br />

in einem ehemaligen<br />

Fabrikgebäude am Ziegelrain. Obwohl<br />

die gleichaltrigen und ähnlich<br />

gesinnten Künstlern unter einem<br />

Dach arbeiten, geht es ihnen nicht<br />

darum, nach einer bestimmten Programmatik<br />

oder einem Manifest<br />

Kunst zu machen, sondern vielmehr<br />

verbindet sie die Aufbruchstimmung<br />

und der Wandel der Zeit nach 1968.<br />

Die Auseinandersetzung mit den aktuellen,<br />

internationalen Kunstrichtungen<br />

veranlasst die Künstler, sich auf<br />

eigene künstlerische Pfade zu begeben<br />

und individuelle Ausdrucksweisen<br />

auszuloten. Das offene Nebeneinander<br />

in den Atelierräumlichkeiten<br />

bewirkt, dass die Künstler ständig in<br />

die Arbeiten der anderen involviert<br />

sind, das Entstehen von Neuem unmittelbar<br />

wahrnehmen und Erfahrungen<br />

sogleich austauschen. Trotz<br />

dieser Nähe kann in den Werken<br />

der Künstler eine grosse Vielfalt an<br />

künstlerischen Positionen festgestellt<br />

werden, es gibt keinen «Ziegelrain-<br />

Stil», was das Atelierhaus zu einem<br />

interessanten Kunstort der Schweiz<br />

<strong>art</strong>ensuite | september 06<br />

den Ausdruck «reine Malerei» vor allem<br />

auf die Auseinandersetzung mit<br />

der Stofflichkeit des Materials Farbe:<br />

Seine Bilder zeichnen sich bis in die<br />

90er Jahre durch sehr dicken Farbauftrag<br />

und freizügigen Pinselduktus aus<br />

– mit Pinsel, Spachtel und gar Fingern<br />

arbeitet sich der Künstler durch die<br />

klebrige Farbmasse, verschiebt und<br />

schichtet die Materie, kleckst bewusst<br />

unbewusst. Dabei spielt die Wahl des<br />

Motivs eine stark untergeordnete Rolle.<br />

Auf die Frage hin, warum er denn<br />

auf den Gegenstand als Bildmotiv<br />

nicht gänzlich verzichte, meint Baselitz,<br />

«die nebulöse Willkür der Theorie<br />

der gegenstandslosen Malerei» sei<br />

ihm schon immer verhasst gewesen.<br />

Für all diejenigen, die vor zwei<br />

Jahren die Berner Ausstellung verpasst<br />

haben sollten, bietet sich nun<br />

in Lausanne erneut die Gelegenheit,<br />

Baselitz‘ Œuvre kennenzulernen. In<br />

werden lässt. Nun ist es auf einmal<br />

nicht mehr die Stadt, sondern die<br />

Peripherie, welche die Aufmerksamkeit<br />

der Kunstentstehung auf sich<br />

zieht. Die «Ziegelrainer» spielen für<br />

die Kunst in der Schweiz eine wichtige<br />

Rolle und können entsprechend<br />

Erfolge verbuchen. Zahlreiche Werke<br />

werden – meistens ausserhalb von<br />

Aarau – verkauft und in den meisten<br />

Ausstellungen zu aktueller Schweizer<br />

Kunst gezeigt.<br />

Das Aargauer Kunsthaus zeigt<br />

nun die schon seit langem geplante<br />

Ausstellung mit Werken der «Ateliergemeinschaft<br />

Ziegelrain» aus den Jahren<br />

1967-1975, bis zum programmatischen<br />

Ende der Gemeinschaft. Sie<br />

präsentiert mit zahlreichen Werken<br />

das künstlerische Potential, das in<br />

dieser Zeit in den alten Fabrikmauern<br />

entstand. Wie die Atelierzonen<br />

sind auch die einzelnen Ausstellungsräume<br />

grösstenteils monographisch<br />

geordnet. Die Individualität der<br />

Kunstwerke wird somit eindrücklich<br />

dokumentiert, ohne die Berührungspunkte<br />

und Überschneidungen der<br />

unterschiedlichen künstlerischen Ansätze<br />

aus den Augen zu verlieren. Ein<br />

der Retrospektive «Baselitz. Une seule<br />

passion - la peinture» zeigt die Fondation<br />

de l’Hermitage die besten vom<br />

Künstler aufbewahrten Arbeiten: rund<br />

hundert Werke aus über vierzig Jahren<br />

künstlerischer Tätigkeit, darunter<br />

Ölbilder, Radierungen, Holzplastiken<br />

und Zeichnungen, gewähren den Besuchern<br />

Einblick in das vielseitige<br />

Schaffen Baselitz‘. Für diejenigen, die<br />

den Künstler bereits in Bern kennengelernt<br />

haben, stellt die Lausanner<br />

Ausstellung nicht etwa eine Repetition<br />

des bereits Gesehenen, sondern<br />

vielmehr eine willkommene Ergänzung<br />

dar: Während in Bern die Werke<br />

aus der Hess Collection, darunter<br />

vor allem Linol- und Holzschnitte, gezeigt<br />

wurden, überwiegt in der äusserst<br />

umfangreichen Ausstellung der<br />

Fondation de l’Hermitage die Zahl<br />

der Ölgemälde. (ms)<br />

wichtiger Bereich der «Ziegelrainer»<br />

stellt die Pop Art in der Schweiz dar,<br />

welche Schweizer Bildwelten und<br />

Klischeelandschaften aufgreift und<br />

das Faszinierende und Abschreckende<br />

der heimischen Umwelt vermitteln<br />

will. Dass die «Ziegelrainer» mit allerlei<br />

künstlichen und natürlichen Materialien<br />

experimentiert und mit unterschiedlichsten<br />

Bildmotiven gearbeitet<br />

haben, kommt durch die spannende<br />

Ausstellungskonzeption wunderbar<br />

zur Geltung. (mm)<br />

Baselitz. Une<br />

seule passion<br />

– la peinture<br />

Fondation de<br />

l’Hermitage, 2,<br />

Route du Signal,<br />

Lausanne. Geöffnet<br />

Dienstag bis<br />

Sonntag 10:00-<br />

18:00 h, Donnerstag<br />

10:00-<br />

21:00 h. Bis 29.<br />

Oktober.<br />

Max Matter, Villa R. in Z.,<br />

1969, Spray auf Kellco,<br />

100 x 120 cm, Privatbesitz.<br />

Foto: Jörg Müller, Aarau.<br />

Ziegelrain `67-`75<br />

Heiner Kielholz,<br />

Max Matter, Markus<br />

Müller, Christian<br />

Rothacher,<br />

Hugo Suter, Josef<br />

Herzog, Jakob<br />

Nielsen<br />

Aargauer Kunsthaus,Aargauerplatz,<br />

Aarau. Di<br />

bis So 10:00-17:00<br />

h, Do 10:00-20:00<br />

h. Bis 5. Nov.<br />

<strong>art</strong>ensuite 37

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