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MENSCHEN<br />

die lashlings aus kembo nui<br />

Von Eva Mollet Foto: Eva Mollet<br />

■ Mit Farben und Formen kennt sie sich aus. Alexandra<br />

Gysling, genannt Alex, kombiniert ihre Kleider<br />

perfekt: Die zierliche Frau trägt einen gelben<br />

Jupe, bedruckt mit einem ihrer Lashlings, eine rote<br />

weite Hose und ein rotes Shirt. Alex ist zweiunddreissig<br />

Jahre alt und arbeitet als Illustratorin. Sie<br />

ist die Erfi nderin des Labels Kembo Nui.<br />

Die Wohnung von Alex ist eindrücklich. Zwei von<br />

drei Zimmern werden von ihren Arbeiten okkupiert.<br />

Das eine Zimmer dient als Atelier. Da sind Packpapierbilder<br />

über eine Kleiderstange geschichtet, bemalte<br />

Möbelstücke. Alte Puppenwagen transportieren<br />

die Flaschen voller Farbe. Ein zweites Zimmer<br />

dient als Lager der bemalten Leinwände, fertigen<br />

Möbelstücken und bedruckten Textilien. Der verbleibende<br />

Wohnbereich ist mit Liebe zum Detail<br />

eingerichtet, und die bunten Gegenstände sind<br />

aufeinander abgestimmt: Der rosa Küchentisch<br />

kommuniziert mit den rosa Blumen vor dem Fenster.<br />

Irgendwo steht ein Glas mit farbigen Kaugummikugeln.<br />

Zwischen den weissen zeichnen einige rote<br />

Teller Akzente. Daneben ein Plastik-Goldfi sch.<br />

Die ersten Lebensjahre verbringt Alex in Zürich.<br />

Danach zieht die Familie nach Ittigen. Schon<br />

früh erkennt Alex ihre Vorliebe fürs Zeichnen und<br />

Gestalten. Sie zeichnet häufi g in Poesiealben. Nach<br />

der obligatorischen Schulzeit folgt ein zehntes<br />

Schuljahr, anschliessend der Vorkurs an der Schule<br />

für Gestaltung, danach die Lehre zur Dekorationsgestalterin.<br />

Die Ausbildung verlangt vielseitige Tätigkeiten:<br />

schreinern, malen, tapezieren und Dinge<br />

mit Stoff überziehen.<br />

Alex will malen. Nach der Lehre besucht sie<br />

28<br />

eine dreijährige Malschule in Basel. Ihr Empfi nden<br />

für Formen und Farbkompositionen wird geschult.<br />

«Was sich in dieser Zeit alles entwickelte, habe ich<br />

erst im Nachhinein realisiert. Eigentlich <br />

ich meine Figuren mit dem Pinsel. Zuerst ist da die<br />

Empfi ndung und Vorstellung einer Form. Ich gehe<br />

von den Linien aus. Daraus entstehen Formen, die<br />

zueinander in Beziehung treten, daraus entwickeln<br />

sich Figuren. Dahinter steht eine Geschichte, ein Gefühl<br />

oder ein Erlebnis.»<br />

Nach der Malschule ein Neuanfang in Bern. Sie<br />

jobbt, reist, jobbt und mietet ein Atelier. Durch die<br />

Überschwemmung in der Matte 2005 verliert Alex<br />

ihre Wohnung und das Atelier. Die Beziehung zerbricht.<br />

Wieder ein Neuanfang. Sie setzt alles auf<br />

eine K<strong>art</strong>e. Das Internet macht’s möglich, T-shirts<br />

ohne Ladenlokal zu verkaufen (www.kembo-nui.ch).<br />

Wer oder was ist Kembo Nui? Kembo ist der<br />

Name der unsichtbaren Spielkameradin in der Kindheit.<br />

Nui ist ein Wort der Maori-Sprache und bedeutet<br />

gross. (Viele Gemälde Gauguins sind in Maori betitelt.)<br />

«Mir haben diese Laute einfach gut gefallen.<br />

Heute ist Kembo Nui zu meinem Label geworden.<br />

Ich bin auf der Suche nach einem möglichen Weg.<br />

Wegen des Geldstresses habe ich mir selbst zusätzlichen<br />

Druck aufgesetzt. Kunst? Illustration? Gestaltung?<br />

Design? Eigentlich fi nde ich blöd, dass diese<br />

Bereiche so stark getrennt werden. Ich würde gerne<br />

bereichsübergreifend arbeiten.»<br />

Nus? Lashlings? Die Nus entstehen im Nu. Die<br />

comic<strong>art</strong>igen Strichfi guren erinnern an Insekten,<br />

die Packpapierfi guren an kleine Tiere wie Katzen,<br />

Hunde und Mäuse. Grosse Augen blicken voller<br />

Schalk, herausfordernd und verschmitzt. Es sind<br />

Draufgänger. Die Lashlings (Wimperlinge) wirken jedoch<br />

sanft, manche sogar «verschüpft», als müssten<br />

sie getröstet werden. Was passiert, wenn die<br />

Nus auf die Lashlings treffen? Da gibt es Geschichten<br />

zu erzählen: Comics oder Bilderbücher kann<br />

sich Alex vorstellen. Seit ihrer Kindheit hat sie das<br />

Bedürfnis, eine eigene Welt zu kreieren, verspielt,<br />

farbig, phantastisch mit eigentümlichen Wesen,<br />

aber auch mit Abgründen. «Ich mache meine Arbeit<br />

aus innerem Drang. Das Schlimmste wäre für mich,<br />

diese zu verlieren. Es gibt Leute, die sagen, ich sei<br />

nicht ganz da, weil ich zu sehr mit meiner kreativen<br />

Arbeit beschäftigt bin. Ich geniesse es, mich tagelang<br />

zurückzuziehen, ungestört bis in die Nacht zu<br />

arbeiten. Dabei vergesse ich mich völlig und muss<br />

dann wieder in den Alltag auftauchen.»<br />

Zur Zeit arbeitet Alex für eine nächste Ausstellung<br />

im «W<strong>art</strong>saal» (22. September bis 1. Oktober,<br />

Vernissage 17:00-21:00 h). Da werden die Tischchen,<br />

Kommoden, Stühle, Lampen, Kissen, Kinderspielsachen,<br />

Herbstkleidung, Täschchen und Postk<strong>art</strong>en<br />

ausgestellt und zum Verkauf angeboten. Die Möbel<br />

sind Unikate. In den Brockenstuben zusammengesucht,<br />

abgeschliffen, ausgebessert, gestrichen und<br />

mit Lashlings verziert. Nebst all dem ist Alex für die<br />

«Flyers» und Plakate eines Theaterstücks verantwortlich.<br />

Alex wird noch viele Tage und Nächte arbeiten.<br />

Die Lashlings werden sich leise vermehren und unauffällig<br />

unsere Stadt bevölkern. Sie sagen abgeklärte<br />

Dinge, wie: «The only thing constant in the<br />

world is change.»<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 45 | september 06

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