“Willkommen Zuhause, kleine Emily” “Willkommen ... - vita sana GmbH

Alter als Aufbruch Aufbruch
zur Reifung
Am Kongress Herbstfarben / Die hohe Kunst des Älterwerdens,
der vom 20.-21. November 04 in Basel stattfindet, wird auch der
Benediktinerpater und Buchautor Dr. Anselm Grün sprechen. Vita
sana sonnseitig leben hat ihn vorweg in seinem Kloster Münsterschwarzach
zum Gespräch getroffen.
P. Anselm Grün, der grosse
katholische Theologe Karl
Rahner hat einmal in einem
Fernsehgespräch das Alter
als «totes Geleise» bezeichnet,
auf dem der Mensch
«mühsam dem Ende seines
Lebens» entgegengehe. Tragen
derartige Aussagen nicht
zur Diskriminierung von alten
Menschen bei?
Ich schätze Karl Rahner sehr
und habe bei ihm auch promoviert.
Als Persönlichkeit
war er eher
pessimistisch und
auch ein bisschen
depressiv. Was er
da sagte, entsprach
wohl seinem eigenen
Lebensgefühl.
Ich für mein Teil
würde das nicht so
sehen. Natürlich
kann Alter auch
Pater Anselm Grün
beschwerlich sein,
aber es ist ebenso
eine Herausforderung und bietet
die Chance, weiser zu werden.
Das Alter kann ein spannender
Weg sein, der bis zuletzt
neue Einsichten hervorlockt –
vorausgesetzt, der Mensch erkennt
sein Alter als Aufgabe.
Kompakt
•Das Alter ist nicht einfach Niedergang,
sondern Aufgabe und Herausforderung.
•Im Prozess des Loslassens kann der
Mensch auf neue Art Freiheit gewinnen
•Wer Gedanken an den Tod nicht verdrängt,
lässt sich umso intensiver aufs Leben ein.
8 vita sana sonnseitig leben 10/2004
Bietet die Bibel Alters-Leitbilder
an?
Ja, sie berichtet von Menschen,
die alt, weise und hellsichtig
sind und prophetisch
die Wirklichkeit wie auch die
Zukunft erkennen. Von Mose,
Abraham oder David wird berichtet,
dass sie «lebenssatt»
gestorben seien: Sie rebellierten
nicht gegen das Alter, sondern
nahmen es an. In der Bibel
kommt die Wertschätzung
des Alters zur Geltung, im
Buch der Sprüche etwa wird
gelehrt, wie man mit alten
Menschen umgehen soll. Die
Bibel steht zur Kraft der Jugend,
zur Blüte des Lebens,
aber auch zur Kraft des Alters.
Da geht es nicht um jene pervertierte
Kultur, in der nur Jugend
und Jugendlichkeit etwas
gelten und die Alten meinen,
sie müssten ewig jung bleiben.
Was ist unter dem Begriff «lebenssatt»
zu verstehen?
Die erwähnten grossen biblischen
Gestalten konnten loslassen
und gut sterben, weil sie
dankbar gelebt und die Fülle
des Lebens mit all seinem Auf
und Ab, mit seinen Konflikten
und Rückschlägen wie auch
mit seinem Versagen erfahren
hatten. Massgebend ist die
Grundhaltung der Dankbarkeit,
aus der heraus auch das
Gefühl kommt, genügend erlebt
und gelebt zu haben – und
die Gewissheit, das Leben
nicht künstlich verlängern zu
müssen.
Ist es nicht tragisch, dass
man als älterer Mensch allmählich
ein Verständnis für
Zusammenhänge bekommt,
längerfristig angelegte Projekte
aber nicht mehr beginnen
kann, weil mit grosser
Wahrscheinlichkeit die dafür
notwendige Lebensspanne
nicht mehr zur Verfügung
stehen wird?
Weshalb sollte ein älterer
Mensch sich nicht auf ein Projekt
einlassen - im Wissen
darum, dass er es nicht mehr
selbst zu Ende bringen muss?
Entscheidend sind doch immer
die Anstösse und nicht
zwangsläufig die mögliche
Vollendung.
Auf verschiedenen Lebensebenen
wird die Kunst des
Loslassens empfohlen. Was
bedeutet sie im Bezug auf
das Alter?
Zunächst ist das Loslassen
grundsätzlich eine Voraussetzung
für Reifung. Das Kind
muss seine Kindheit loslassen,
um in die Jugendlichkeit
einzutreten. Der Jugendliche
muss seine Jugend loslassen,
um erwachsen zu werden. In
der Mitte des Lebens muss
man die Gesetze der ersten
Lebenshälfte loslassen und
akzeptieren, dass die biologische
Kurve nach unten verläuft.
Und im Alter muss man
Menschen loslassen, die einem
wegsterben, man muss
die Verringerung der physischen
Kraft annehmen und
seine soziale Stellung loslassen.
Ich habe schon Professoren
begleitet, die nicht damit
zurecht kamen, dass sie nach
ihrer Pensionierung nicht
mehr im Mittelpunkt standen