WERTEAm 11. September 2001 ist der Menschheit die Unsicherheit ihrer Existenz medial vorgeführtund damit bewusst geworden. Auch das Seebeben im pazifischen Ozean kurz vor dem Jahreswechsel04/05 machte uns deutlich, wie vergänglich alles ist. «In einer irritierten Welt suchenwir nach Werten, die uns stabilisieren, dann suchen wir etwas, das uns Rückhalt gibt» (Bosshart,2003, S.21). «Werte sind das Fundament auf dem alles andere existiert» (Horx, 1995, S.46). Wertebewerten einen vorerst neutralen Zustand. Sie werden zum Kriterienkatalog, an dem Verhaltengemessen wird. Werte sind gesellschaftliche Orientierung, wann immer etwas ‚normativ’ wird.Aber: «Werte sind nichts Ewiges. […] Die individualisierte Gesellschaft lässt Werte nicht verschwinden,aber sie formt sie in rein individuelle Wertvorstellungen um» (S.46f.). «Wir passennicht nur unsere Meinung und unsere Argumentation den Zeitumständen sofort an, wir passenauch unsere Moralvorstellungen sozusagen in Echtzeit an» (Bosshart, 2004, S.37). Der moderneMensch muss nicht mehr lernen, einem Wertekatalog zu entsprechen. Vielmehr soll er lernen, zubewerten. Auch Wissen muss bewertet werden. Dies verlangt nach einer verstärkten Beachtungdes affektiven Lernbereichs.«Die Post-Bildungs-Gesellschaft ist schnell und laut, sie arbeitet mit Montagen. Sie enttraditionalisiertunsere Wahrnehmungswelt, indem sie Bilder und Zeichen in ständig neue Sinnzusammenhängeverhacktstückt» (S.53). Ja, wir leben im Zeitalter der Kombinatorik. Wissen, Innovationen,Leistungen, Werte – die Zukunft entsteht aus Kombinationen. Das glorreiche Zeitalterder individuellsten Kombinatorik – der Wahl von Optionen zur individuellen Befriedigung individuellerBedürfnisse im Sinne der Multioptionsgesellschaft von Gross (1994), ist erst geradeangebrochen. Und trotzdem: «Das Lustprinzip, der Hedonismus, die Selbstverwirklichung laufenohne Formen, Konventionen und Werte irgendwann ins Leere» (Bosshart, 2004, S.58). Damit dieIndividualisierten nicht im Labyrinth der Ungewissheit verloren gehen, sind Werte notwendig,die von möglichst vielen Individualisierten geteilt werden. «Je mehr sich die traditionellen Strukturenauflösen, desto mehr werden wieder Werte und Normen gesucht, die Orientierung gebenund unsere Gesellschaft zusammenhalten» (Bosshart, 2003, S.20). Orte des Zusammentreffensvon Menschen werden zu Wertoasen. Sie sind erholsam in einer zunehmend von Virtualität miterstickten Gefühlen und beobachteten statt erlebten Erlebnissen geprägten Welt. Es entstehenCommunities und Subkulturen, die durch geteilte Werte zusammengehalten werden. Als Beispielekönnen die Stammkneipe, ein Internetforum, der Tennisclub im Grünen oder der Literaturclubvon kinderlosen Frauen genannt werden. Auch die Universität ist eine Wertoase. Geteilte Werte,die gemeinsame Vision, die Kultur des Lernens und Lehrens dienen <strong>als</strong> Orientierungspunkte imsich schnell wandelnden Umfeld.Zusammenfassend gilt es für eine Universität die Fähigkeit der Bewertung zu stärken. Studierendesollen lernen zu fragen, kritisch zu fragen, zu bewerten, zu argumentieren und zu urteilen. Gleichzeitigsoll sich eine Universität bewusst sein, dass sie durch Kultur und Lehre selbst Trägerin vonÜberfachliche Handlungskompetenzen <strong>als</strong> Positionierungsmerkmal einer UniversitätMasterarbeit Joël Luc Cachelin18
Werten ist. Sie muss die Verantwortung wahrnehmen, den Gefahren der Individualisierung derMoral (Bosshart, 2004) entgegenzuwirken. Sie soll eine Oase der geteilten Werte sein.LEHRTRENDSAufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen verändern sich nicht nur Lerninhalte und ihreInstitutionalisierung in Form der Bildung und deren Anstalten. Ebenso gilt es die Vorstellungendes menschlichen Lernens aus Perspektive der Lernenden und Lehrenden weiterzuentwickeln.Der Lernprozess wird durch die Lernziele und die Rollen der Lernenden und Lehrenden charakterisiert.Grundsätzlich kann eine verstärkte Aktivierung der Lernenden <strong>als</strong> konstitutiv füreine moderne Didaktik bezeichnet werden. Es findet ein Paradigmenwechsel weg vom fremdgesteuertenpassiven Lernenden hin zum selbstgesteuerten und aktiven Lernenden statt (Mietzel,2003, S.125ff). Konstruktivistische Lerntheorien ergänzen die Erkenntnisse aus Behaviorismusund sozialem Kognitivismus (Kron, 2004, S.183ff). Der Konstruktivismus bezeichnet Lernen <strong>als</strong>einen aktiven, konstruktiven, kumulativen, selbstregulierten und zielorientierten Prozess (Nüeschet al, 2002, S.6). Im Zentrum von konstruktivistischen Lernumgebungen stehen authentischeProbleme, welche von den Lernenden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden sollen.Die Lernenden erarbeiten <strong>als</strong> Individuum, in Teams und in Klassen Lösungen, welche analysiertund miteinander verglichen werden. Lernen wird zur individuellen Wissenskonstruktion in «Erfahrungsfeldern»(Kron, 2004, S.186). Die Rollen der Beteiligten des in Abb. 4 visualisiertenPrototyps von Lern-Lehrumgebungen ändern sich massiv. Die Lernenden übernehmen Verantwortungfür ihre Lernprozesse und steuern diese aktiv. Die Lehrenden unterstützen in hybridenLern-Lehrumgebungen die Kooperationen der Lernenden durch kognitives und metakognitivesExpertenwissen.Lehrer <strong>als</strong> CoachProblemeLernenderLernenderLernendeAbb. 4: Problemorientierte Lern-LehrumgebungenÜberfachliche Handlungskompetenzen <strong>als</strong> Positionierungsmerkmal einer UniversitätMasterarbeit Joël Luc Cachelin19