Eine Lobbyistin hat »BILD« sie genannt – und die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann ist inzwischen stolz darauf Von Brigitte Holm »Ich habe gedacht, das kann doch nicht wahr sein, dass die mich nicht nehmen, weil ich eine Frau bin!« Obwohl diese Erfahrung 16 <strong>Ja</strong>hre <strong>zur</strong>ückliegt, merkt man Sabine Zimmermann die Empörung noch an. Im Rückblick meint sie, dadurch sei sie <strong>zur</strong> Politik gekommen. Damals, 1990, als das große Betriebssterben im Osten einsetzte, war ihre Familie aus dem Sächsischen nach Bayern gegangen. Eine Wohnung und eine Stelle für den Mann waren schnell gefunden. Auch, weil es in der <strong>neuen</strong> Heimat Verwandtschaft gab, Westverwandtschaft. Sie war einst hinderlich, als Sabine nach der Schulzeit Journalistin werden wollte. Geworden ist sie Baustofftechnologin. Ein Beruf, den sie, wie sie sagt, gern ausgeübt hat. In einer Ziegelei in Zwickau arbeitete sie nach dem Studium als rechte Hand des Produktionsdirektors. Sie hatte unter anderem zu überwachen, dass die Mischung der Rohstoffe und die Brenntemperaturen stimmten. <strong>Die</strong> Betriebsteile, die zum Werk gehörten, waren sehr unterschiedlich ausgestattet: Da gab es noch Anlagen von 1890, aber auch moderne Technik aus den Siebzigern. Anstrengend war es für die Produktionsarbeiter hier wie da. Wenn heute die Rente mit 67 durchgedrückt werden soll, denkt sie an ihre früheren Kollegen. In Zwickau war sie die einzige Frau unter Männern. Trotzdem, fi ndet sie, war das nichts Besonderes. Schließlich waren in der DDR Frauen Kranführerinnen oder haben eine Lok gefahren. Deshalb wollte sie erst gar nicht glauben, was ihr bei der Arbeitsuche in Bayern passierte. Sie hatte sich in verschiedenen Keramikfi rmen beworben und musste erfahren, dass Stellen mit ihrer Qualifi kation nur von Männern besetzt sind. Eine Frau, und dann noch mit zwei Kindern, damals fünf (der Sohn) und elf (die Tochter)! Am Band, bedeutete man ihr, ließe sich vielleicht was machen. Es fand sich doch noch etwas, was mit ihrer Ausbildung zu tun hatte. Im Landratsamt Neustadt in der Ober pfalz hat sie mit dem Aufbau eines Recyclingsystems für Bauschutt begonnen. <strong>Die</strong>se Sache stand damals ganz am Anfang, weshalb es über eine Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme lief. Heutzutage machen Unternehmen damit richtig Geld. Sabine indes betrat seinerzeit ein weiteres Neuland. Als sie zufällig – auf privatem Wege – den DGB-Vorsitzenden von Weiden kennenlernte, machte sie ihrem Herzen Luft und erzählte von ihren Erfahrungen bei der Stellensuche. Der gute Mann erkannte sogleich eine Mitstreiterin in ihr. Er wollte nämlich seine Gewerkschaftsfunktionäre und Mitglieder für die Probleme der Ostdeutschen sensibilisieren. Schließlich ging es um den Aufbau eines gesamtdeutschen Gewerkschaftsbundes. So hielt Sabine, in der DDR ein »einfaches« Gewerkschaftsmitglied, ehrenamtlich Seminare ab, die unter dem Thema »Weg mit der Mauer in den Köpfen« standen. Viele, erinnert sie sich, kannten die DDR überhaupt nicht. Ihre Ausführungen müssen Anklang gefunden haben. Jedenfalls wurde sie ermutigt, sich bei den Wahlen zum DGB- Vorsitz in Zwickau zu bewerben. Zwickau war der erste Kreis in Ostdeutschland, wo sich der DGB konstituierte. Für ihre Bewerbungsrede musste sie eine Treppe hochgehen. »Meine Beine waren wie Blei. Ich dachte, ich komme gar nicht hoch.« DGB-Vorsitzende ist sie damals nicht geworden. Ein Mann aus Nürnberg wurde gewählt. Westerfahrung galt wohl in diesem Moment mehr als Osterfahrung. Ganz verzichten mochte man darauf allerdings nicht: Sabine Zimmermann begann als Volontärin beim DGB. Nach einem dreiviertel <strong>Ja</strong>hr war sie – nein, nicht Frauensekretärin – Organisationssekretärin im DGB-Kreisvorstand. Zu den vielen Aufgaben, die an diesem Amt hingen, gehörten auch »Frauen« und »Senioren«. Später war sie noch Jugendbildungsreferentin und Jugendsekretärin. Als 2001 die Wahl zum Vorsitz der Region Vogtland-Zwickau anstand (es hatte inzwischen eine Reform gegeben), wollte sie es noch einmal wissen – und wurde gewählt. Acht Mitgliedsgewerkschaften hat sie unter einen Hut zu bringen, mit rund 45.000 Mitgliedern. Gemessen an der Zahl der 150.000 versicherungspfl ichtigen Beschäftigten ein normaler Organisationsgrad. An die 40 Prozent der Mitglieder sind in der IG Metall. <strong>Die</strong> Region um Zwickau und der DGB haben Glück, jedenfalls relatives: Im <strong>neuen</strong> VW-Werk in Zwickau arbeiten fast 7.000 Beschäftigte. Dazu kommen zahlreiche Zulieferbetriebe. Das bringt Einkommen für die Gegend und Mitglieder für die Gewerkschaft. Doch das Glück ist, wie gesagt, relativ: Obwohl deutlich niedriger als noch vor einem <strong>Ja</strong>hr, lag im Agenturbezirk Zwickau die Arbeitslosenquote im <strong>Ja</strong>nuar bei 16,7 Prozent. Das sind 38.379 Menschen ohne Arbeit. Besorgniserregend für Sabine Zimmermann ist die Zunahme bei den Langzeitarbeitslosen. Sie machen fast die Hälfte aller Arbeitslosen aus. <strong>Die</strong> DGB-Vorsitzende verlangt dringend mehr Fördermöglichkeiten für die Betroffenen. Dafür macht sie sich auch als Vorsitzende des Verwaltungsausschusses der regionalen Arbeitsagentur stark. <strong>Ja</strong>, eine DGB-Vorsitzende muss, darf und will auf vielen Hochzeiten tanzen. Das ist gut so, sagt sie, dass man an der Gewerkschaft nicht so leicht vorbeikommt. So ist sie in Gremien der IHK und der Handwerkskammer vertreten. Außerdem fungiert sie als Sprecherin eines Bündnisses gegen Rechts. <strong>Die</strong>ses Engagement ist ihr sehr wichtig. Wenn Demonstrationen gegen Rechts stattfi nden, wird man sie dort treffen. Erst kürzlich hat sie eine Anzeige erstattet – Während eines Nazi-Aufmarsches hatte ein Teilnehmer gerufen, DGB und PDS solle man mit Steinen bewerfen. Demonstrationen oder eine Anzeige können aber nur die eine Seite der Auseinandersetzung sein, meint sie. Deshalb spricht sie auf Veranstaltungen und kümmert sich um Fördermittel für Projekte, die junge Leute stärken und sie kritisch machen gegenüber den Parolen der Neonazis. Genug zu tun in der Region. Trotzdem hat sie <strong>Ja</strong> gesagt, als die <strong>Linkspartei</strong> im Sommer 2005 fragte, ob sie als Parteilose für den Bundestag kandidieren wolle. Noch wenige Monate zuvor war ihre Partei die SPD. Genauer gesagt: Sabine Zimmermann war noch deren Mitglied. Eingetreten war »Wenn ich in Berlin am Pult stehe, dann merke ich, die wollen unsere Argumente und Vorschläge nicht.« PORTRÄT DISPUT März 2007 022
230 DISPUT März 2007 Ich bin hier wie da dieselbe © Erich Wehnert (3)