<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> half mir auf. Se<strong>in</strong> Gesicht war ganz nah an me<strong>in</strong>em. Erlachte.»W as war das?« rief ich.Er gebot mir Schweigen und legte mir die Hand auf den Mund.Er brachte se<strong>in</strong>e Lippen an me<strong>in</strong> Ohr und flüsterte, wir müßtendieses Gebiet <strong>in</strong> ruhiger, gesammelter Verfassung verlassen, soals sei nichts geschehen.W ir g<strong>in</strong>gen nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Se<strong>in</strong> Schritt war entspannt undgleichm äßig. Etliche M ale wandte er sich rasch um . Ich ta t esihm gleich, und zweimal erspähte ich e<strong>in</strong>e dunkle M asse, dieuns zu folgen schien. Ich hörte e<strong>in</strong>en lauten, unheimlichenSchrei h<strong>in</strong>ter mir. E<strong>in</strong>en Augenblick erlebte ich die re<strong>in</strong>ePanik; wellenförmige Bewegungen liefen durch me<strong>in</strong>e Bauchmuskeln;sie traten krampfartig auf und nahmen an Heftigkeitzu, bis sie me<strong>in</strong>en Körper e<strong>in</strong>fach zwangen zu laufen. Überme<strong>in</strong>e Reaktion zu sprechen ist mir nur <strong>in</strong> <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>sTerm<strong>in</strong>ologie möglich; so kann ich sagen, daß me<strong>in</strong> Körperaufgrund <strong>der</strong> Furcht, die ich erlebte, etwas auszuführen vermochte,was <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> als »Gangart <strong>der</strong> <strong>Kraft</strong>« bezeichnete -e<strong>in</strong>e Technik, die er mich vor Jahren gelehrt hatte und diedar<strong>in</strong> bestand, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dunkelheit zu rennen, ohne zu stolperno<strong>der</strong> sich zu verletzen.M ir war nicht gänzlich bewußt, was ich getan hatte o<strong>der</strong> wieich es getan hatte. Plötzlich fand ich mich <strong>in</strong> <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>s <strong>Haus</strong>wie<strong>der</strong>. Ansche<strong>in</strong>end war er ebenfalls gerannt, und wir warenzur gleichen Zeit angekommen. Er zündete se<strong>in</strong>e Petroleumlampean, hängte sie an e<strong>in</strong>en Balken an <strong>der</strong> Decke undfor<strong>der</strong>te mich beiläufig auf, Platz zu nehmen und mich zuentspannen.E<strong>in</strong>e W eile trabte ich auf <strong>der</strong> Stelle, bis ich me<strong>in</strong>e N ervositätbesser beherrschen konnte. Dann setzte ich mich. Er befahlmir nachdrücklich, so zu tun, als sei nichts geschehen, undreichte m ir m e<strong>in</strong> N otizbuch. Ich hatte nicht bemerkt, daß iches <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Hast, das Gebüsch zu verlassen, verloren hatte.»W as ist dort draußen geschehen, <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>?« fragte ichschließlich.»Du hattest e<strong>in</strong>e Verabredung mit dem W issen«, sagte er undwies mit e<strong>in</strong>er Kopfbewegung zum dunklen Rand des W üstenchaparralh<strong>in</strong>über. »Ic h führte dich dorth<strong>in</strong>, weil ich vorh<strong>in</strong>mit e<strong>in</strong>em flüchtigen Blick erspähte, wie das Wissen um das<strong>Haus</strong> schlich. Man könnte sagen, das Wissen wußte, daß dukommen würdest, und erwartete dich. Statt ihm hier zu begegnen,fand ich es richtiger, ihm an e<strong>in</strong>em Platz <strong>der</strong> <strong>Kraft</strong> zubegegnen. Dann stellte ich dich auf die Probe, um zu sehen, obdu genügend persönliche <strong>Kraft</strong> hättest, um es von den übrigenD<strong>in</strong>gen um uns her zu unterscheiden. Du hast es gut gemacht.«»Augenblick mal!« protestierte ich. »Ich sah die Silhouettee<strong>in</strong>es Mannes, <strong>der</strong> sich h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Busch verbarg, und dannsah ich e<strong>in</strong>en riesigen Vogel.«»Du hast ke<strong>in</strong>en Mann gesehen!« sagte er mit Nachdruck.»Auch hast du ke<strong>in</strong>en Vogel gesehen. Die Silhouette imGebüsch, die dann auf uns zuflog, war e<strong>in</strong> Nachtfalter. Wenndu es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Zauberer genau, <strong>in</strong> de<strong>in</strong>er eigenenSprache aber völlig lächerlich ausdrücken willst, dann könntestdu sagen, daß du heute abend e<strong>in</strong>e Verabredung mit e<strong>in</strong>emNachtfalter hattest. Das Wissen ist e<strong>in</strong> Nachtfalter.« Er sahmich durchdr<strong>in</strong>gend an. Das Licht <strong>der</strong> Laterne warf auf se<strong>in</strong>emGesicht seltsame Schatten. Ich wandte die Augen ab.»Vielleicht hast du persönliche <strong>Kraft</strong> genug, um dieses Geheimnisheute abend zu enträtseln«, sagte er. »Wenn nichtheute abend, dann vielleicht morgen. Vergiß nicht, du schuldestmir sechs Tage.«<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> stand auf und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die Küche an <strong>der</strong> H<strong>in</strong>terseitedes <strong>Haus</strong>es. Er nahm die Laterne und stellte sie, an die Wandgelehnt, auf den kurzen, runden Baumstrunk, <strong>der</strong> ihm alsBank diente. Wir setzten uns e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gegenüber auf denBoden und aßen Bohnen mit Fleisch aus e<strong>in</strong>em Topf, den erzwischen uns gestellt hatte. Wir aßen schweigend. Von Zeit zuZeit warf er mir verstohlene Blicke zu und schien jedenAugenblick <strong>in</strong> Gelächter auszubrechen. Se<strong>in</strong>e Augen warenwie zwei Schlitze. Wenn er mich ansah, weiteten sie sich etwas,und das Licht <strong>der</strong> Laterne spiegelte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en feuchtenPupillen. Es war. als ob er sich das Licht zunutze machte, umdiese Reflexe zu erzeugen. Er spielte mit ihnen, <strong>in</strong>dem erjedesmal. wenn er die Augen auf mich richtete, fastunmerklich den Kopf schüttelte. Die Wirkung war e<strong>in</strong> faszi-24 25
nierendes Lichtflimmern. Erst nach etlichen Malen bemerkteich, daß er dies absichtlich tat. Ich war davon überzeugt, daßer damit e<strong>in</strong>en bestimmten Zweck verfolgte. Ich fühlte michgeradezu gezwungen, ihn danach zu fragen. »Ich habe e<strong>in</strong>entieferen Grund«, versicherte er. »Ich besänftige dich mitme<strong>in</strong>en Augen. Offenbar bist du nicht mehr so nervös, nichtwahr?«Ich mußte zugeben, daß ich mich recht wohl fühlte. Dasstetige Flimmern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen war nicht bedrohlich, und eshatte mich ke<strong>in</strong>eswegs erschreckt o<strong>der</strong> beunruhigt. »Wiekannst du mich mit den Augen besänftigen?« fragte ich.Er wie<strong>der</strong>holte se<strong>in</strong> unmerkliches Kopfschütteln. Tatsächlichspiegelte sich das Licht <strong>der</strong> Petroleumlampe <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Pupillen.»Versuch es doch selbst e<strong>in</strong>mal«, sagte er wie nebenbei, als ernoch mal nach dem Essen griff. »Du kannst dich selbst beruhigen.«Ich versuchte den Kopf zu schütteln; me<strong>in</strong>e Bewegung fielunbeholfen aus.»Du wirst dich nicht beruhigen, wenn du <strong>der</strong>art mit dem Kopfwackelst«, sagte er lachend. »Statt dessen wirst du dir Kopfschmerzene<strong>in</strong>handeln. Das Geheimnis liegt nicht im Kopfschütteln,son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> dem Gefühl, das aus <strong>der</strong> Gegend unterhalbdes Magens <strong>in</strong> die Augen strömt. Das ist es. was dasKopfschütteln verursacht.« Er rieb sich die Nabelgegend.Als ich mit dem Essen fertig war. lehnte ich mich bequemgegen e<strong>in</strong>en Stapel Holz und e<strong>in</strong> paar Rupfensäcke. Ich versuchtese<strong>in</strong> Kopfschütteln nachzuahmen. <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> fand dasansche<strong>in</strong>end ungeme<strong>in</strong> komisch. Er lachte und schlug sich aufdie Schenkel.Dann unterbrach plötzlich e<strong>in</strong> Geräusch se<strong>in</strong> Gelächter. Ichhörte e<strong>in</strong>en seltsamen, tiefen Klang, wie e<strong>in</strong> Pochen auf Holz,das aus dem Chaparral kam. <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> hob das K<strong>in</strong>n, um mirzu bedeuten, ich solle wachsam bleiben. »Das ist <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>eNachtfalter, <strong>der</strong> dich ruft«, sagte er mit tonloser Stimme. Ichsprang auf die Füße. Augenblicklich hörte das Geräusch auf. Ichsah <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> an und erwartete e<strong>in</strong>eErklärung. Er machte e<strong>in</strong>e komische Gebärde <strong>der</strong> Hilflosigkeitund hob die Schultern.»Du hast de<strong>in</strong>e Verabredung noch nicht e<strong>in</strong>gehalten«, fügte erh<strong>in</strong>zu.Ich sagte ihm , ich fühlte m ich wertlos und sollte vielleicht nach<strong>Haus</strong>e fahren, um wie<strong>der</strong>zukommen, wenn ich mich stärkerfühlte.»Du redest Uns<strong>in</strong>n«, fuhr er mich an. »E<strong>in</strong> Krieger nimmtse<strong>in</strong> Los auf sich, was es auch sei, und akzeptiert es <strong>in</strong>äußerster D em ut. Er akzeptiert dem ütig, was er ist, und diesist ihm ke<strong>in</strong> Anlaß zu bedauern, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e starke Herausfor<strong>der</strong>ung.Je<strong>der</strong> von uns braucht Zeit, um diesen Punkt zu verstehen undihn voll zu erleben. Ich zum Beispiel haßte früher die bloßeErwähnung des W ortes >Demut
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»W as soll die Geschichte von den
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wußte ich irgendwie um die zwei We
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equem zu machen und mich zu entspan
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Ich erinnerte ihn daran, daß er ge
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chen. Er kicherte und rieb sich die
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ten, falls sie einmal das Gleichgew
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Ich konnte mich nicht an all die Le
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Verbindung mit den Händen anderer
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Verteidigungslinien überprüfst un
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G anz deutlich hörte ich D on Juan
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selbst eine passende Erklärung fü
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muß die Herrschaft abtreten. M an
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wegen kamen wir wieder auf das Them
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hatte?« fragte Don Juan, nachdem d
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dramatischen Wirkung, als um sich z
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en. auf mir liegenden Körpers spü
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»Wir werden gar nichts tun. Das he
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weil ich nicht will, sondern einfac
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sprang. Während ich ihn aus einer
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achten«, sagte er. »Die übrige Z
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uns etwas zu essen. W ir aßen schw
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»Du schwebtest«, sagte er wie sel
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Pablito erzählte, daß Nestor endl
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lachte nervös. Ich argwöhnte irge
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waren durch einen dünnen Balken mi
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den Rücken zu. Ich schnappte mir d
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sorgfältig auf irgendwelche ungew
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»Er ist mit mir zu dir gefahren«,
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242den »Ruf des Nachtfalters« hö
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mußte wohl auch Nestor und Pablito
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sich zu wichtig und war zu verkramp
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ein herrlicher Tag, die Berge um un
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zu tun. Irgendwann im Leben eines K
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Nur weil er mich geködert habe, sa
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»Dafür sorgt die Kraft entspreche
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derte die Gesichtszüge deiner Inse
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»Das Träumen ist ein praktisches
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Blase kann dann von etwas beanspruc
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Einen Augenblick war ich bestürzt.
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überlegte, vielleicht war er sich
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auf einem Haufen versammeln mußten
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dir. daß die Ausdrucksform des Nag
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die Vernunft nichts über diese Ord
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sagte er. »Genaro sagt, man brauch
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Er hatte recht. Unter anderen Umst
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sagte, ein Krieger könne nicht Lei
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Don Genaro, der mit ausgebreiteten