<strong>Don</strong> Genaro lehnte an <strong>der</strong> <strong>Haus</strong>wand, gegen die er, auf <strong>der</strong>umgestürzten Milchbütte hockend, se<strong>in</strong>en Rücken stützte. Ersah aus, als reite er auf e<strong>in</strong>em Pferd. Die Hände hielt er nachvorn gestreckt, so daß man den E<strong>in</strong>druck hatte, er halte dieZügel fest.»Stimmt, Carlitos«, sagte er und stieß die Milchbütte gegenden Boden.Er stieg ab, wobei er das rechte Be<strong>in</strong> über e<strong>in</strong>en imag<strong>in</strong>ärenPferdehals schwang, und sprang auf den Boden. Se<strong>in</strong>e Bewegungenwaren so perfekt, daß sie mir das unzweifelhafteGefühl e<strong>in</strong>gaben, er sei hoch zu Pferde angekommen. Er kamzu mir herüber und setzte sich zu me<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ken. »Genaro istgekommen, weil er dir von dem An<strong>der</strong>en erzählen will«, sagte<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>.Er machte e<strong>in</strong>e Gebärde, als ob er <strong>Don</strong> Genaro das Worterteilte. <strong>Don</strong> Genaro verbeugte sich. Er drehte sich näher zumir.»Was möchtest du wissen, Carlitos?« fragte er mit überzogenerStimme.»Nun, wenn du mir etwas über den Doppelgänger erzählenwillst, dann erzähl mir bitte alles«, sagte ich, Gelassenheitvortäuschend. Die beiden schüttelten die Köpfe und schautensich an.»Genaro wird dir etwas über den Träumer und den Geträumtenerzählen«, sagte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>.»Wie du weißt, Carlitos«, sagte <strong>Don</strong> Genaro mit <strong>der</strong> Mienee<strong>in</strong>es sich <strong>in</strong> Eifer redenden Volksredners, »beg<strong>in</strong>nt <strong>der</strong> Doppelgängerim Träumen.«Er warf mir e<strong>in</strong>en Blick zu und lächelte. Se<strong>in</strong>e Augen glittenvon me<strong>in</strong>em Gesicht zu me<strong>in</strong>em Schreibzeug h<strong>in</strong>ab. »<strong>Der</strong>Doppelgänger ist e<strong>in</strong> Traum«, sagte er, kratzte sich unter demArm und stand auf.Er g<strong>in</strong>g zum Rand des Vorplatzes und trat <strong>in</strong> den Chaparralh<strong>in</strong>aus. Er stand neben e<strong>in</strong>em Busch, wobei er uns se<strong>in</strong> Profilzu drei Vierteln zeigte; ansche<strong>in</strong>end ur<strong>in</strong>ierte er. Im nächstenAugenblick bemerkte ich, daß mit ihm etwas nicht <strong>in</strong> Ordnungwar. Offenbar versuchte er verzweifelt, zu ur<strong>in</strong>ieren, konnteaber nicht. <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>s Lachen zeigte mir, daß <strong>Don</strong> Genarowie<strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Possen trieb. <strong>Don</strong> Genaro wand und drehte sichso komisch, daß er <strong>Don</strong> Ju a n und mich zu hysterischemG elächter reizte.<strong>Don</strong> Genaro kehrte zur Veranda zurück und setzte sich. Se<strong>in</strong>Lächeln strahlte e<strong>in</strong>e seltsame W ärme aus. »W enn's nicht geht,dann geht's halt nicht«, sagte er achselzuckend.Nach kurzer Pause fügte er seufzend h<strong>in</strong>zu: »Ja. Carlitos. <strong>der</strong>Doppelgänger ist e<strong>in</strong> Traum.« »D u me<strong>in</strong>st, er ist nicht real?«fragte ich. »N e<strong>in</strong>. Ich me<strong>in</strong>e, er ist e<strong>in</strong> Traum«, erwi<strong>der</strong>te er.<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> mischte sich e<strong>in</strong> und erklärte. <strong>Don</strong> Genaro beziehesich auf das erste Anzeichen <strong>der</strong> E rkenntnis, daß wir leuchtendeW esen seien.»W ir alle s<strong>in</strong>d verschieden, und daher s<strong>in</strong>d die E <strong>in</strong>zelheitenunserer Kämpfe verschieden«, sagte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>. »Gleichwohls<strong>in</strong>d die Schritte, die wir tun müssen, um den Doppelgänger zugew<strong>in</strong>nen, die gleichen. Beson<strong>der</strong>s die ersten Schritte, die stetsverworren und unsicher s<strong>in</strong>d.«<strong>Don</strong> Genaro pflichtete ihm bei und sagte etwas über dieUnsicherheit, die e<strong>in</strong> Zauberer auf dieser Stufe habe. »A ls esmir zum erstenmal passierte, wußte ich nicht, daß es geschehenw ar«, erklärte er. »E<strong>in</strong>es Tages sammelte ich Kräute r imGebirge. Ich war zu e<strong>in</strong>er Stelle gegangen, die bereits vonan<strong>der</strong>en Kräutersammlern abgesucht worden war. Ich hattezwei große Säcke voll Kräuter bei mir. Ich war bereit, nach<strong>Haus</strong>e zu gehen, aber vorher wollte ich noch e<strong>in</strong>e kurze Rastmachen. Ich legte mich am W egrand <strong>in</strong> den Schatten e<strong>in</strong>esBaumes und schlief e<strong>in</strong>. Ich hörte die Stimmen vonM enschen, die den Berg herabkamen, und wachte a u f. Schnellrannte ich <strong>in</strong> Deckung und versteckte mich h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong> paarBüschen, nicht weit von <strong>der</strong> Straße e n tfe rn t, wo ich e<strong>in</strong>gesc h la fe n war. D ort v e rste c k t, h a tte ich das pe<strong>in</strong>igende G e f ü h l ,ich hätte etwas vergessen. Ich schaute nach, ob ich me<strong>in</strong>ebeiden Kräutersäcke bei m ir hatte. Sie waren nicht da. Ichspähte über die Straße zu dem P latz h<strong>in</strong>über, wo ich geschlafenhatte, und da verlor ich vor Schreck fast die Hosen: Dort lagich immer noch und schlief! Ich war es! Ich faßte me<strong>in</strong>enKörper an. Das war ich auch selbst! Inzwischen hatten dieLeute, die den Berg herabkamen, mich, den Schlafenden.72 73
erreicht, während ich. <strong>der</strong> Hellwache, hilflos aus me<strong>in</strong>emVersteck hervorspähte. Zum Teufel! Gleich würden sie michentdecken und mir me<strong>in</strong>e Säcke wegnehmen. Aber sie g<strong>in</strong>genvorüber, als sei ich gar nicht dagewesen. Me<strong>in</strong>e Vision war solebhaft, daß ich ganz außer mir geriet. Ich schrie, und dannwachte ich noch e<strong>in</strong>mal auf. Verflucht! Es war e<strong>in</strong> Traumgewesen!«<strong>Don</strong> Genaro unterbrach se<strong>in</strong>e Erzählung und schaute mich an.als warte er auf e<strong>in</strong>e Frage o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Kommentar. »Sag ihm,wo du das zweite Mal aufgewacht bist«, sagte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>.»Ich wachte neben <strong>der</strong> Straße auf«, sagte <strong>Don</strong> Genaro, »woich e<strong>in</strong>geschlafen war. Aber e<strong>in</strong>e Weile wußte ich nicht recht,wo ich wirklich war. Fast möchte ich sagen, daß ich mir immernoch zuschaute, wie ich dort aufwachte. Dann zog irgendetwas mich an den Straßenrand, und ich saß da und rieb mirdie Augen.«Es entstand e<strong>in</strong>e lange Pause. Ich wußte nicht, was ich sagensollte.»Und was hast du dann getan?« fragte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>. Als diebeiden zu lachen anf<strong>in</strong>gen, erk an n te ich. daß er mich verulkte.Er im itierte m e<strong>in</strong>e Art, Fragen zu stellen . <strong>Don</strong> Genaro sprachweiter. Er sagte, er sei e <strong>in</strong> e n Augenblick verblüfft gewesen,und dann habe er sich darangemacht, alles zu überprüfen.»Die Stelle, wo ich m ich versteckt h a tte , war genauso, wie ichsie gesehen hatte«, sagte er. »Und die Leute, die auf <strong>der</strong>Straße an mir vorbeigegangen waren, befanden sich ganz <strong>in</strong><strong>der</strong> Nähe. Das weiß ich, weil ich ihnen h<strong>in</strong>terherlief. Es warendie gleichen Leute, die ich gesehen hatte. Ich folgte ihnen, bissie <strong>in</strong>s Dorf kamen. Sie müssen mich für verrückt geh altenhaben. Ich fragte sie, ob sie me<strong>in</strong>en Freund am Straßenrandschlafen gesehen hätten. Alle verne<strong>in</strong>ten dies.« »Du siehst«,sagte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>, »wir alle machen die gleichen Zweifeldurch. W ir fürchten uns. verrückt zu werden. Zu unseremUnglück s<strong>in</strong>d wir natürlich alle bereits verrückt.«»Immerh<strong>in</strong> bist du e<strong>in</strong> bißchen verrückter als wir«, sagte <strong>Don</strong>Genaro und zw<strong>in</strong>kerte mir zu. »Und mißtrauischer.«Sie hänselten mich wegen me<strong>in</strong>es Mißtrauens. Und dannsprach <strong>Don</strong> Genaro weiter.»Wir alle s<strong>in</strong>d etwas schwer von Begriff«, sagte er. »Du bistnicht <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige, Carlitos. E<strong>in</strong> paar Tage lang war ich überme<strong>in</strong>en Traum erschrocken, aber dann mußte ich für me<strong>in</strong>enLebensunterhalt arbeiten und mich um zu viele D<strong>in</strong>ge kümmernund hatte wirklich ke<strong>in</strong>e Zeit, über das Geheimnis me<strong>in</strong>erTräume nachzugrübeln. Daher vergaß ich es b<strong>in</strong>nen kurzem.Dar<strong>in</strong> war ich ganz wie du.Aber e<strong>in</strong>es Tages, e<strong>in</strong> paar Monate später, nach e<strong>in</strong>em furchtbaranstrengenden Tag, schlief ich am Nachmittag tief wie e<strong>in</strong> Bär.Es hatte gerade angefangen zu regnen, und e<strong>in</strong> Loch im Dachweckte mich auf. Ich sprang aus dem Bett und kletterte aufsDach, um das Loch zuzustopfen, bevor es here<strong>in</strong>regnete. Ichfühlte mich so wohl und stark, daß ich augenblicklich mit dieserArbeit fertig war und nicht e<strong>in</strong>mal naß wurde. Me<strong>in</strong> kurzesNickerchen hatte mir, dachte ich, sehr gutgetan. Als ich fertigwar, kehrte ich <strong>in</strong>s <strong>Haus</strong> zurück, um mir etwas zu essen zuholen, und da erkannte ich, daß ich nicht schlucken konnte. Ichglaubte, ich sei krank. Ich zerstampfte e<strong>in</strong> paar Wurzeln undBlätter, strich mir diese Paste um den Hals und g<strong>in</strong>g zume<strong>in</strong>em Bett. Und als ich vor dem Bett stand - da verlor ichbe<strong>in</strong>ahe wie<strong>der</strong> die Hosen. Ich lag im Bett und schlief, ichwollte mich wachrütteln, aber ich wußte, daß dies nicht dasRichtige war. Also rannte ich aus dem <strong>Haus</strong>. Mich hatte diePanik gepackt. Ziellos streifte ich durch die Berge. Ich hatteke<strong>in</strong>e Ahnung, woh<strong>in</strong> ich lief, und obgleich ich me<strong>in</strong> ganzesLeben dort verbracht hatte, verirrte ich mich. Ich lief durchden Regen und spürte ihn nicht e<strong>in</strong>mal. Mir war. als könne ichnicht denken. Dann wurden Blitz und <strong>Don</strong>ner so heftig, daßich davon abermals erwachte.« Er machte e<strong>in</strong>e Pause.»Möchtest du wissen, wo ich aufwachte' 1 « fragte er mich.»Natürlich«, antwortete <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>. »Ich erwachte <strong>in</strong> denBergen, im Regen«, sagte er. »Aber wieso wußtest du, daß duaufgewacht warst?« fragte ich.»Me<strong>in</strong> Körper wußte es«, erwi<strong>der</strong>te er. »Das war e<strong>in</strong>e dummeFrage«, warf <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> e<strong>in</strong>. »Du weißt74 75
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muß die Herrschaft abtreten. M an
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wegen kamen wir wieder auf das Them
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hatte?« fragte Don Juan, nachdem d
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dramatischen Wirkung, als um sich z
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en. auf mir liegenden Körpers spü
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»Wir werden gar nichts tun. Das he
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weil ich nicht will, sondern einfac
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sprang. Während ich ihn aus einer
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achten«, sagte er. »Die übrige Z
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uns etwas zu essen. W ir aßen schw
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»Du schwebtest«, sagte er wie sel
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Pablito erzählte, daß Nestor endl
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lachte nervös. Ich argwöhnte irge
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waren durch einen dünnen Balken mi
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den Rücken zu. Ich schnappte mir d
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sorgfältig auf irgendwelche ungew
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»Er ist mit mir zu dir gefahren«,
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242den »Ruf des Nachtfalters« hö
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mußte wohl auch Nestor und Pablito
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sich zu wichtig und war zu verkramp
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ein herrlicher Tag, die Berge um un
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zu tun. Irgendwann im Leben eines K
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Nur weil er mich geködert habe, sa
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»Dafür sorgt die Kraft entspreche
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derte die Gesichtszüge deiner Inse
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»Das Träumen ist ein praktisches
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Blase kann dann von etwas beanspruc
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Einen Augenblick war ich bestürzt.
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überlegte, vielleicht war er sich
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auf einem Haufen versammeln mußten
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dir. daß die Ausdrucksform des Nag
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die Vernunft nichts über diese Ord
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sagte er. »Genaro sagt, man brauch
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Er hatte recht. Unter anderen Umst
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sagte, ein Krieger könne nicht Lei
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Don Genaro, der mit ausgebreiteten