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Carlos Castaneda Der Ring der Kraft Don Juan in ... - Wiechert-Haus

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»Woher wußtest du, daß dies <strong>der</strong> richtige Zeitpunkt ist, umüber die Nachtfalter zu sprechen?«»Als du ankamst, konnte ich e<strong>in</strong>en kurzen Blick auf denumherschleichenden Nachtfalter werfen. Dies war das ersteMal, daß er sich freundlich und offen zeigte. Ich hatte ihnschon vorher, <strong>in</strong> den Bergen bei Genaros <strong>Haus</strong>, gesehen, abernur als e<strong>in</strong>e bedrohliche Gestalt, die de<strong>in</strong>en Mangel an Ordnungwi<strong>der</strong>spiegelte.«In diesem Augenblick hörte ich e<strong>in</strong> seltsames Geräusch. Es warwie das gedämpfte Knarren e<strong>in</strong>es Astes, <strong>der</strong> sich an e<strong>in</strong>eman<strong>der</strong>en reibt, o<strong>der</strong> wie das aus <strong>der</strong> Ferne gehörte Tuckerne<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Motors. Se<strong>in</strong>e Tonhöhe verän<strong>der</strong>te sich, be<strong>in</strong>ahmusikalisch, und schuf e<strong>in</strong>en unheimlichen Rhythmus. Dannhörte es auf.»Das war <strong>der</strong> Nachtfalter«, sagte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>. »Vielleicht hast duschon bemerkt, daß hier, obwohl das Licht <strong>der</strong> Laterne hellgenug wäre, um Nachtfalter anzuziehen, ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger umherfliegt.«Dies war mir nicht aufgefallen, aber kaum hatte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> michdarauf aufmerksam gemacht, bemerkte ich ebenfalls dieunglaubliche Stille <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wüste und vor dem <strong>Haus</strong>. »Werdenicht nervös«, sagte er ruhig. »In dieser Welt gibt es nichts,was e<strong>in</strong> Krieger sich nicht erklären könnte. Siehst du, e<strong>in</strong>Krieger betrachtet sich als bereits gestorben, daher hat er nichtszu verlieren. Das Schlimmste ist ihm schon wi<strong>der</strong>fahren, daherbleibt er klar und ruhig; nach se<strong>in</strong>en Taten o<strong>der</strong> Worten zuurteilen, käme niemand auf den Verdacht, daß er etwasBeson<strong>der</strong>es beobachtet hat.«<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>s Worte, und vor allem se<strong>in</strong>e Stimme, wirkten sehrberuhigend auf mich. Ich erzählte ihm, daß ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>emtäglichen Leben nicht mehr wie e<strong>in</strong>st jene zwanghafte Angstverspürte, daß aber me<strong>in</strong> Körper bei dem Gedanken an das,was dort draußen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dunkelheit lauerte, sich vor Angst <strong>in</strong>Krämpfen wand.»Dort draußen ist nur das Wissen«, stellte er sachlich fest.»Das Wissen jagt Furcht e<strong>in</strong>, das ist wahr. Aber wenn <strong>der</strong>Krieger die beängstigende Natur des Wissens akzeptiert, danndurchkreuzt er se<strong>in</strong>e Furchtbarkeit.« Das seltsame pochendeGeräusch setzte wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>. Es kammir jetzt näher und lauter vor. Ich horchte aufmerksam. Jemehr ich darauf achtete, desto schwerer konnte ich bestimmen,was es war. Offenbar war es ke<strong>in</strong> Vogelruf, auch nicht <strong>der</strong>Schrei e<strong>in</strong>es Landtieres. Je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Ton war voll und tief;e<strong>in</strong>ige hielten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er tiefen Tonlage, an<strong>der</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erhohen. Sie hatten e<strong>in</strong>en eigenen Rhythmus und e<strong>in</strong>e bestimmteDauer; e<strong>in</strong>ige waren lang, ich hörte sie wie e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigeK lange<strong>in</strong>heit; an<strong>der</strong>e waren kurz und gehäuft, wie das Stakkatoe<strong>in</strong>es M asch<strong>in</strong>engewehrs.»Die Nachtfalter s<strong>in</strong>d die Boten o<strong>der</strong> besser gesagt, die W ächter<strong>der</strong> Ewigkeit«, sagte <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>, nachdem das Geräuschaufgehört hatte. »Aus irgende<strong>in</strong>em Grund, o<strong>der</strong> aus gar ke<strong>in</strong>emGrund, s<strong>in</strong>d sie die Bewahrer des Goldstaubs <strong>der</strong> Ewigkeit.«Diese M etapher war mir fremd. Ich bat ihn, sie zu erklären. »DieNachtfalter haben e<strong>in</strong>en Staub auf den Flügeln«, sagte er.»E<strong>in</strong>en dunkel-goldenen Staub. Dieser Staub ist <strong>der</strong> Staub desW issens.«Se<strong>in</strong>e Erklärung machte die M etapher noch unverständlicher.Ich schwankte e<strong>in</strong>en Augenblick, während ich überlegte, wieich me<strong>in</strong>e Frage am besten <strong>in</strong> W orte fassen könnte. Aber erhob wie<strong>der</strong> an zu sprechen.»Das W issen ist e<strong>in</strong>e höchst eigenartige Sache«, sagte er,»beson<strong>der</strong>s für e<strong>in</strong>en Krieger. Für den Krieger ist das W issenetwas, das plötzlich kom m t, i h n überwältigt und m itre iß t.«»W as hat das W issen mit dem Staub auf den Flügeln <strong>der</strong>Nachtfalter zu tun?« fragte ich nach langer Pause. »Das W issenschwebt heran wie Flocken von Goldstaub, vom gleichen Staub,<strong>der</strong> die Flügel <strong>der</strong> N achtfalter bedeckt. D aher wirkt das W issenauf den Krieger, als nähme er e<strong>in</strong>e Dusche, als ließe er sich vonden dunkel-goldenen Staubflocken beregnen.«Ich suchte mich höflich auszudrücken, aber ich mußte ihmdoch sagen, daß se<strong>in</strong>e Erklärungen mich e<strong>in</strong>igermaßen verwirrthätten. Er lachte und versicherte m ir, er rede völlig k la r, nurgestatte me<strong>in</strong>e Vernunft mir nicht, dies zuzugeben. »DieNachtfalter s<strong>in</strong>d seit undenklichen Zeiten die vertrautenFreunde und Helfer <strong>der</strong> Zauberer«, sagte er. »Ich habe diesesThema bisher nicht erwähnt, weil du nicht bereit warst.«36 37

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