ich <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> sehen wollte, nur nach Sonora o<strong>der</strong> Zentralmexikozu fahren brauchte, um ihn anzutreffen - stets micherwartend. Ich hatte gelernt, dies als selbstverständlich h<strong>in</strong>zunehmen,und bis dah<strong>in</strong> war mir nie e<strong>in</strong>gefallen, etwas Beson<strong>der</strong>esdabei zu f<strong>in</strong>den.»Sag mir etwas, <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>«, sagte ich halb im Scherz. »Bist du esselbst o<strong>der</strong> bist du de<strong>in</strong> Doppelgänger?« Er beugte sich zu mirherüber. Er gr<strong>in</strong>ste. »Me<strong>in</strong> Doppelgänger«, flüsterte er.M e<strong>in</strong> Körper schnellte <strong>in</strong> die Luft, wie von e<strong>in</strong>er unheim lichen<strong>Kraft</strong> getrieben. Ich rannte zu me<strong>in</strong>em Auto. »Ich habe bloßSpaß gemacht«, rief <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> mit erhobener Stimme. »Dudarfst noch nicht fort. Du schuldest mir immer noch fünfTage.«Die beiden rannten auf me<strong>in</strong> Auto zu, während ich e<strong>in</strong>stieg.Sie lachten und hüpften auf und ab.»Carlitos, ruf m ich, wann im m er du w illst!« schrie <strong>Don</strong> Genaro.<strong>Der</strong> Träumer und <strong>der</strong> GeträumteIch fuhr zu <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> und traf am frühen M orgen bei ihm e<strong>in</strong>.Die Nacht hatte ich unterwegs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em M otel verbracht, damitich noch vorm ittags bei ihm e <strong>in</strong> tr ä fe . D on <strong>Juan</strong> w ar im H ausund trat heraus, als ich ihn rief. Er begrüßte mich herzlich,und ich hatte den E<strong>in</strong>druck, daß er sich freute, mich zu sehen.Er machte e<strong>in</strong>e Bemerkung, die mich offenbar aufheiternsollte, die aber die gegenteilige W irkung auf mich hatte.»Ich habe dich kommen gehört«, sagte er lachend, »und b<strong>in</strong><strong>in</strong>s <strong>Haus</strong> gelaufen. Ich fürchtete, wenn ich hier draußen gebliebenwäre, hättest du Angst gekriegt.« Beiläufig me<strong>in</strong>te er.ich sei <strong>in</strong> düsterer und bedrückter Stimmung. Er sagte, icher<strong>in</strong>nerte ih n an Eligio, <strong>der</strong> schwermütig genug sei, um e<strong>in</strong>guter Zauberer zu se<strong>in</strong>, aber zu schwermütig, um e<strong>in</strong> W issen<strong>der</strong>zu werden, und er fügte h<strong>in</strong>zu, um den verheerenden Folgene<strong>in</strong>er Begegnung mit <strong>der</strong> W elt <strong>der</strong> Zauberer entgegenzuwirken,bleibe e<strong>in</strong>em n u r die M öglichkeit, darüber zu lachen.M it se<strong>in</strong>em Urteil über me<strong>in</strong>e Stimmung hatte er recht. Tatsächlichplagten mich Sorgen und Ängste. W ir unternahmene<strong>in</strong>en langen Spaziergang. Es brauchte Stunden, bis ich michunbeschwerter fühlte. E<strong>in</strong>fach neben ihm dah<strong>in</strong>zugehen tatmir wohler, als wenn ich versucht hätte, mich aus me<strong>in</strong>erTrübseligkeit herauszureden.Am Spätnachm ittag kehrten wir zum H aus zurück. Ic h warausgehungert. Nachdem wir gegessen hatten, setzten wir unsauf die Veranda. <strong>Der</strong> Himmel war heiter. Das milde Licht desN achm ittags stim m te m ich behaglich. Ic h w o llte sprechen. »SeitM onaten fühle ich mich unwohl«, sagte ich. »W as du und <strong>Don</strong>Genaro beim letzten M al, als ich hier war. gesagt und getanhabt, war wirklich furchtbar.D on <strong>Juan</strong> sagte nichts. Er stand auf und schritt um dieVeranda herum.»Ich muß darüber sprechen«, sagte ich. »Es verfolgt mich, undich muß dauernd darüber nachdenken.«61
»Hast du Angst?« fragte er.Ich hatte ke<strong>in</strong>e Angst, son<strong>der</strong>n war verwirrt und überwältigtdurch das, was ich gehört und gesehen hatte. Die Lückenme<strong>in</strong>er Vernunft waren so gewaltig, daß ich sie entwe<strong>der</strong>auffüllen o<strong>der</strong> me<strong>in</strong>e Vernunft überhaupt aufgeben mußte.Me<strong>in</strong>e Ausführungen brachten ihn zum Lachen. »Wirf de<strong>in</strong>eVernunft noch nicht fort!« sagte er. »Es ist noch nicht Zeitdafür. Es wird ohneh<strong>in</strong> geschehen, aber ich glaube nicht, daßdies schon <strong>der</strong> richtige Augenblick ist.« »Sollte ich alsoversuchen, für das Geschehene e<strong>in</strong>e Erklärung zu f<strong>in</strong>den?«fragte ich.»Gewiß!« erwi<strong>der</strong>te er. »Es ist de<strong>in</strong>e Pflicht, de<strong>in</strong>en Verstand <strong>in</strong>Ordnung zu br<strong>in</strong>gen. Krieger err<strong>in</strong>gen ihre Siege nicht, <strong>in</strong>demsie mit dem Kopf gegen die Wand stürmen, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong>dem siedie Wand überw<strong>in</strong>den. Krieger überspr<strong>in</strong>gen die Wand; siereißen sie nicht nie<strong>der</strong>.« »Aber wie kann ich diese hierüberspr<strong>in</strong>gen?« frage ich. »Vor allem halte ich es fürgrundfalsch, daß du alles <strong>der</strong>maßen ernst nimmst«, sagte er undsetzte sich neben mich. »Es gibt dreierlei schlechteGewohnheiten, <strong>in</strong> die wir immer wie<strong>der</strong> verfallen, sobald wirim Leben mit ungewöhnlichen Situationen konfrontiert s<strong>in</strong>d.Erstens können wir das, was geschieht o<strong>der</strong> geschehen ist,leugnen und so tun, als sei es nie geschehen. So machen es dieBigotten. Zweitens können wir alles unbesehen akzeptierenund so tun, als wüßten wir, was geschieht. So machen es dieFrommen. Drittens kann e<strong>in</strong> Ereignis uns zwanghaftbeschäftigen, weil wir es we<strong>der</strong> leugnen noch rückhaltlosakzeptieren können. So machen es die Narren. Du etwa auch?Doch es gibt noch e<strong>in</strong>e vierte Möglichkeit, die richtige nämlich,die des Kriegers. E<strong>in</strong> Krieger handelt so, als sei überhauptnichts geschehen, weil er an gar nichts glaubt, und dochakzeptiert er alles unbesehen. Er akzeptiert, ohne zuakzeptieren, und leugnet, ohne zu leugnen. Nie tut er so, alswisse er, noch tut er so, als sei nichts geschehen. Er handelt so,als ob er die Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand hätte, auch wenn ihmvielleicht die Hosen schlottern. Diese Art zu handeln vertreibtdie zwanghafte Beschäftigung mit den D<strong>in</strong>gen.« Langeschwiegen wir. <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>s Worte wirkten wie Balsam auf mich.»Darf ich etwas über <strong>Don</strong> Genaro und se<strong>in</strong>en Doppelgängersagen?« fragte ich.»Es hängt davon ab. was du über ihn sagen willst«, antworteteer. »Willst du dich mit de<strong>in</strong>en Zwangsvorstellungen beschäftigen?«»Ich will mich mit Erklärungen beschäftigen«, sagte ich. »Ichbeschäftige mich zwanghaft damit, weil ich nicht wagte, dichzu besuchen, und nicht imstande war. mit irgend jemandemüber me<strong>in</strong>e Skrupel und Zweifel zu sprechen.« »Redest dudenn nicht mit de<strong>in</strong>en Freunden?« »Das wohl, aber wie könntensie mir helfen' 1 « »Ich habe nie daran gedacht, daß du Hilfebenötigst. Du mußt das Gefühl entwickeln, daß e<strong>in</strong> Kriegernichts benötigt. Du sagst, du brauchst Hilfe. Hilfe wofür'? Duhast alles, was du für diese großartige Reise brauchst, die de<strong>in</strong>Leben ist. Ich habe versucht, dich zu lehren, daß diewirkliche Erfahrung dar<strong>in</strong> besteht, e<strong>in</strong> Mensch zu se<strong>in</strong>, unddaß es nur darauf ankommt zu leben; das Leben ist <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>eUmweg, den wir heute machen. Das Leben ist e<strong>in</strong> zureichen<strong>der</strong>Grund, es erklärt sich aus sich selbst und ist vollkommen.E<strong>in</strong> Krieger weiß dies und lebt dementsprechend. Daherkönnte man ohne Überheblichkeit sagen, daß es die Erfahrung<strong>der</strong> Erfahrungen ist. e<strong>in</strong> Krieger zu se<strong>in</strong>.« Er schien darauf zuwarten, daß ich etwas sagte. Ich zögerte. Ich wollte mir me<strong>in</strong>eWorte sorgfältig überlegen. »Wenn e<strong>in</strong> Krieger Trost braucht«,fuhr er fort, »dann wendet er sich e<strong>in</strong>fach an den Nächstbestenund erklärt diesem ausführlich, was ihn bedrückt. Jedenfallssucht <strong>der</strong> Krieger nicht Hilfe o<strong>der</strong> Verständnis; <strong>in</strong>dem er spricht,befreit er sich lediglich von dem Druck, <strong>der</strong> auf ihm lastet.Vorausgesetzt allerd<strong>in</strong>gs, daß es dem Krieger gegeben ist zusprechen: wenn nicht, erzählt er niemandem etwas von sich.Du aber lebst überhaupt nicht wie e<strong>in</strong> Krieger. Jedenfallsnoch nicht. Und die Fallstricke, <strong>in</strong> die du tappst, müssenwahrhaft gewaltig se<strong>in</strong>. Du kannst auf me<strong>in</strong> ganzes Mitleidzählen.« Er me<strong>in</strong>te es nicht scherzhaft. Nach <strong>der</strong> Anteilnahme<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Blick zu urteilen, schien er zu wissen, wovon ersprach. Er stand auf und streichelte mir den Kopf. Er schritt dievolle Länge <strong>der</strong> Veranda auf und ab und blickte gleichgültigzum62 63
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Verteidigungslinien überprüfst un
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G anz deutlich hörte ich D on Juan
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selbst eine passende Erklärung fü
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muß die Herrschaft abtreten. M an
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wegen kamen wir wieder auf das Them
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hatte?« fragte Don Juan, nachdem d
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dramatischen Wirkung, als um sich z
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en. auf mir liegenden Körpers spü
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»Wir werden gar nichts tun. Das he
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weil ich nicht will, sondern einfac
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sprang. Während ich ihn aus einer
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achten«, sagte er. »Die übrige Z
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uns etwas zu essen. W ir aßen schw
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»Du schwebtest«, sagte er wie sel
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Pablito erzählte, daß Nestor endl
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lachte nervös. Ich argwöhnte irge
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waren durch einen dünnen Balken mi
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den Rücken zu. Ich schnappte mir d
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sorgfältig auf irgendwelche ungew
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»Er ist mit mir zu dir gefahren«,
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242den »Ruf des Nachtfalters« hö
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mußte wohl auch Nestor und Pablito
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sich zu wichtig und war zu verkramp
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ein herrlicher Tag, die Berge um un
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zu tun. Irgendwann im Leben eines K
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Nur weil er mich geködert habe, sa
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»Dafür sorgt die Kraft entspreche
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derte die Gesichtszüge deiner Inse
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»Das Träumen ist ein praktisches
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Blase kann dann von etwas beanspruc
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Einen Augenblick war ich bestürzt.
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überlegte, vielleicht war er sich
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von anderer Art war als die Angst v
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auf einem Haufen versammeln mußten
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dir. daß die Ausdrucksform des Nag
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die Vernunft nichts über diese Ord
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sagte er. »Genaro sagt, man brauch
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Er hatte recht. Unter anderen Umst
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sagte, ein Krieger könne nicht Lei
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Don Genaro, der mit ausgebreiteten