verbreitet. Das aus dem westlichen Himalaja stammende Indische Springkraut gelangte1839 nach England und 1854 nach Deutschland. Noch 1939 wurde es im KreisCottbus als ausgesprochene Seltenheit dörflicher Gärten registriert (Krausch 2003:228). Erst in den 1980er Jahren kommt es zu einer massiven Verbreitung entlang derWasserläufe. In nur sechzehn Jahren war in Niedersachsen eine Zunahme von neunzigProzent zu verzeichnen. In der Zeit hat sich auch der Bestand der Herkulesstaude, desRiesen-Bärenklaus, verdreifacht. Auch der Sommerflieder (Buddleja davidii), erstmals1928 auf einer Kiesbank im Rhein entdeckt, verbreitete sich massenhaft erst nach demKrieg. Und der Topinambur, der 1607 aus der amerikanischen Prärie nach Frankreichgelangte, begann erst neulich seine Karriere als verwilderte Pflanze.Die Antwort auf die Frage, warum es zu dieser plötzlichen explosiven Vermehrungvon fremden Pflanzen kam, ist wiederum in den Umweltbedingungen zu suchen.Pflanzen sind, wie Rudolf Steiner bemerkte, perfekte Spiegel ihrer Umwelt, und dieseUmwelt hat sich in der Neuzeit drastisch verändert durch:Urbanisierung: Bevölkerungsdichte und Konsumansprüche haben stark zugenommen.Städte und Verkehrsadern wuchern in die Landschaft hinein und verursachenmassive Veränderungen in den natürlichen Lebensräumen. Viele Neophyten sind Pionierpflanzenund Lückenbüßer auf geschädigten, zerwühlten oder planierten Böden. 49
Intensivierung der Landwirtschaft: Schwere Maschinen verdichten die Böden. DasÖkosystem wird mit Nährstoffen, Pestiziden, Fungiziden, Herbiziden und Verbrennungsabgasengesättigt. Pflanzen, wie die Herkulesstaude und das Indische Springkraut,verschlingen den Stickstoff, der zum Beispiel von überdüngten Mais- undRapsfeldern ausgeschwemmt wird. Das Springkraut verdängt keine seltenen Pflanzenarten,weil diese fast ausnahmslos auf nährstoffarmen Standorten vorkommen.Über die Luft oder direkt kommen zwischen dreißig und fünfzig Kilogramm Stickstoffdüngerpro Jahr und pro Hektar auf die Böden Mitteleuropas (Reichholf 2009:102). Intensive Monokulturen, wie die endlosen Mais-, Raps- oder Sojabohnenfelder,oder auch die eintönigen Kiefernforste und Fichtenplantagen stellen eine Störung dernatürlichen Landschaft dar. Herbizide, wie Simplex oder Tristar, die selektiv zweikeimblättrigeUnkräuter wie Ampferarten, Kratzdistel oder die Große Brennnesselvernichten sollen, oder auch das Breitband-Herbizid Roundup, das vom Monsanto-Konzern für genetisch veränderte Monokulturen geschaffen wurde, sind nicht nurschädlich für Amphibien, Fische und Insekten, sondern sie verändern die Ökologieinsgesamt. Es sind diese Faktoren, nicht die Neophyten, welche die ArtenvielfaltEuropas bedrohen. In Europa sind regional einheimische Pflanzen ausgestorben, aberbisher ist noch keine einzige von Neophyten völlig verdrängt worden. 12 (Lütt 2004)Klimawandel: Über lange Zeiträume verändert sich das Klima. Nach der mittelalterlichenWarmzeit, in der Feigen und Esskastanien im Rheinland wuchsen und Weinsogar in Nordengland und Preußen angebaut wurde, folgte eine Phase der Abkühlung.Das war die sogenannte Kleine Eiszeit, die vom Anfang des 14. Jahrhunderts bis weitin die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts reichte und zu Ernteausfällen (Mutterkornbefall)und Seuchen führte. Danach wurde, mit Unterbrechungen, das Wetter wiederwärmer (Blüchel 2007: 30 f.). Seit dem Jahr 2000 stagnieren die Temperaturen wieder.Nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist vor allem die Sonnenaktivität, derSonnenwind mit seiner Wirkung auf das Magnetfeld der Erde, für die Schwankungenverantwortlich – je mehr Sonnenflecken, umso intensiver die Strahlkraft und umsohöher die Temperatur (Lüdecke 2010: 67). Selbstverständlich reagiert die Vegetationdarauf. Wird es wärmer, dann erweitern die Pflanzen ihr Ausbreitungsgebiet (Areal)nach Norden; wird es kälter, rücken sie nach Süden vor. Aber es gibt noch einen wei-12 Das gilt auch für Nordamerika: »Nicht eine einzige Pflanzenart wurde in den Staaten durch Neophyten ausgelöscht.«(Scott 2010: 60) Und das, obwohl zwanzig Prozent der nordamerikanischen Flora inzwischen aus neophytischenPflanzen besteht.13 Entgegen der verbreiteten Meinung, dass auf dem Land eine größere Artenvielfalt herrsche, sind brachliegendeBahnanlagen und extensiv gepflegte Grünflächen rund um öffentliche Gebäude, Kirchen, Friedhöfe und Spitäler,verlassene Hinterhöfe und Fabrikgelände mit mehr als 80 Wildarten pro Hektar relativ reichhaltig. Im Gegensatz zuden bis an den Straßenrand gemähten, mit Unkrautvertilgern gespritzten und sonstwie malträtierten Agrarzonen,wo vielen Wildpflanzen und Tieren die Lebensgrundlagen entzogen werden, erweisen sich Teile der Städte als echteÜberlebensinseln und Rückzugsgebiete für Flora und Kleinfauna (Eidechsen, Käfer, Schmetterlinge usw.). (Schulte1984: 10) 50