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Hl. Johannes Chrysostomos, Homilien über den Brief an die Hebräer

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HEILIGERJOHANNESCHRYSOSTOMOS<strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong><strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Chrysostomus († 407)<strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Generiert von der elektronischen BKVvon Gregor Emmenegger / Birgit GentenText ohne GewährText aus: Des heiligen Kirchenlehrers <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> Chrysostomus <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong><strong>Hebräer</strong>. Aus dem Urtexte <strong>über</strong>s. von Joh. Chrysostomus Mitterrutzner (Bibliothek derKirchenväter, 1 Serie, B<strong>an</strong>d 77), Kempten, 1884.Vorwort1. Einleitung: <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong><strong>Hebräer</strong> (Joh. Chrysostomus Mitterrutzner)III.IV.V.VI.<strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Erste Homilie. I.II.III.Zweite Homilie.I.II.III.IV.V.Dritte Homilie.I.II.III.IV.V.VI.Vierte Homilie.I.II.1Fünfte Homilie.I.II.III.IV.V.Sechste Homilie.I.II.III.IV.Siebente Homilie.I.II.III.IV.Achte Homilie.I.II.III.IV.Neunte Homilie.


I.II.III.IV.V.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Zehnte Homilie.I.II.III.IV.Elfte Homilie.I.II.III.IV.Zwölfte Homilie.I.II.III.IV.Dreizehnte Homilie.I.II.III.IV.V.Vierzehnte HomilieI.II.III.IV.II.III.IV.Siebenzehnte Homilie.I.II.III.IV.V.Achtzehnte Homilie.I.II.III.Neunzehnte Homilie.I.II.Zw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.Einundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.Zweiundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.Fünfzehnte Homilie.I.II.III.IV.Sechzehnte Homilie.I.2Dreiundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.Vierundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.


II.III.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>III.IV.Fünfundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.Sechsundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.V.Siebenundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.V.Zweiunddreissigste Homilie.I.II.III.Dreiundreissigste Homilie.I.II.III.IV.Vierunddreissigste Homilie.I.II.III.Achtundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.IV.V.VI.VII.Neunundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.II.III.Dreissigste Homilie.I.II.III.Einunddreissigste Homilie.I.II.3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Vorwort1. Einleitung: <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong><strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong> 1Joh.ChrysostomusMitterrutzner Einleitung.Der heilige Paulus schreibt in seinemRömerbriefe: „Sol<strong>an</strong>ge ich Hei<strong>den</strong>-Apostelbin, will ich meinem Amte Ehre machen: obich etwa auf irgend eine Weise Die, mit<strong>den</strong>en ich dem Fleische nach verw<strong>an</strong>dt bin,zur Nacheiferung <strong>an</strong>zuregen vermöge.“ 2Und wieder <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>dern Stelle: „DennDer mit Petrus wirksam war zumApostelamte bei <strong>den</strong> Beschnittenen, der warauch mit mir wirksam unter <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>.“ 3Wenn er also Hei<strong>den</strong>-Apostel war (<strong>den</strong>n inder Apostelgeschichte spricht der Herr zuihm: „Ziehe hin, <strong>den</strong>n ich will dich ferneunter <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong> sen<strong>den</strong>!“ 4 , was hatte er<strong>den</strong>n mit <strong>den</strong> <strong>Hebräer</strong>n zu thun, und warumschrieb er <strong>an</strong> <strong>die</strong>se sogar einen <strong>Brief</strong>, zumalsie gegen ihn, wie Das aus vielen Stellenhervorgeht, feindlich gesinnt waren? Höre,was Jakobus zu ihm spricht: „Siehst du,Bruder, wie viele Tausende der Ju<strong>den</strong> es gibt,welche gläubig gewor<strong>den</strong>? ... und Diese allehaben von dir gehört, daß du <strong>den</strong> Abfall vomGesetze lehrest.“ 5 Auf <strong>die</strong>se Weise wurde eroft und vielfach <strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gen. Warum aber, könnte Jem<strong>an</strong>d fragen, schickteihn Gott nicht zu <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>, ihn, der durch1 Aus: Des heiligen Kirchenlehrers <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> Chrysostomus <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong><strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>. Aus dem Urtexte <strong>über</strong>s. von Joh. ChrysostomusMitterrutzner (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, B<strong>an</strong>d 77), Kempten,1884.2 Röm 11,13.143 Gal 2,84 Apg 22,215 Apg 21,204seine Gesetzeskunde (<strong>den</strong>n zu <strong>den</strong> FüßenGamaliels war er im Gesetze unterrichtetwor<strong>den</strong> und eiferte sehr für dasselbe) ammeisten im St<strong>an</strong>de war, sie zu bekehren?Weil sie ihn d<strong>an</strong>n gerade darum mehr<strong>an</strong>gefeindet hätten. Da nun Gottvorauswußte, daß sie ihm nicht Gehörschenken wür<strong>den</strong>, sprach er zu ihm: „Ziehehin zu <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n Jene wer<strong>den</strong> deinZeugniß <strong>über</strong> mich nicht <strong>an</strong>nehmen.“ 6 Under sprach: „Ja, Herr, Diese wissen, daß ichDiejenigen, welche <strong>an</strong> dich glaubten, inGefängnisse verschließen und in <strong>den</strong>Synagogen geißeln ließ. Und als das Blut desSteph<strong>an</strong>us, deines Zeugen, vergossen ward,st<strong>an</strong>d ich dabei, billigte seine Ermordungund verwahrte <strong>die</strong> Kleider Derer, <strong>die</strong> ihntödteten.“ 7 Und Dieß führt er <strong>an</strong> zumZeichen und Beweise, daß sie ihm nichtglauben wür<strong>den</strong>. Und so verhält es sichwirklich. Wenn ein g<strong>an</strong>z niedrig gestellterMensch, <strong>über</strong> <strong>den</strong> m<strong>an</strong> kaum ein Wortverlieren soll, von irgend einem Volkeabtrünnig gewor<strong>den</strong>, so kränkt DasDiejenigen, von <strong>den</strong>en er abgefallen ist, nichtbesonders; fällt aber ein hoch<strong>an</strong>gesehenerM<strong>an</strong>n, der bisher <strong>die</strong> Interessen der Seinigenmit großem Eifer und mit Thatkraftverfochten, von seinen Genossen ab, soschmerzt Das <strong>die</strong>selben im höchsten Gradeund versenkt sie in ein Übermaß vonBetrübniß, weil er durch seinen Abfall undÜbertritt ihrem Bekenntnisse einen schwerenSchlag versetzt.Aber noch ein <strong>an</strong>derer Grund trat hinzu, sieim Unglauben zu erhalten. Was ist das füreiner? Weil Petrus und seine Genossen mitChristus zusammen waren und seineZeichen und Wunder sahen, Paulus aber sichkeines solchen Vortheiles erfreute, sondernstreng zu <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> hielt, d<strong>an</strong>n aber plötzlichabfiel und Einer der Unsrigen wurde, was6 Apg 22,187 Apg 22,19.20


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>unsere Sache in hohem Grade fördern half. Es könnte auch Jem<strong>an</strong>d sagen, Jene hättenaus Zuneigung und weil sie ihren Meisterzärtlich liebten, für <strong>die</strong>sen Zeugniß abgelegt;Dieser aber trete als Zeuge für <strong>die</strong>Auferstehung auf, da er doch zumeist nur<strong>die</strong> Stimme gehört hätte. Darum sind sieseine grimmigen Feinde, thun Alles gegenihn und zetteln Aufruhr <strong>an</strong>, um ihn zuvernichten. Aus <strong>die</strong>sem Grunde hatten <strong>die</strong>Ungläubigen gegen ihn eine gehässigeGesinnung.Aber weßhalb waren ihm <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Gläubigenabgeneigt? Weil er genöthiget war, alsHei<strong>den</strong>-Prediger das Christenthum rein zuverkün<strong>den</strong>; wäre er aber in Judäa geblieben,so hätte er darauf keine Sorge zu verwen<strong>den</strong>gebraucht. Denn da Petrus und <strong>die</strong> mit ihmwaren, zu Jerusalem predigten, woselbst derGesetzeseifer groß war, mußten sie <strong>die</strong>Beobachtung des Gesetzes befehlen. Paulusaber st<strong>an</strong>d g<strong>an</strong>z frei da. Auch <strong>die</strong> Zahl dergläubigen Hei<strong>den</strong> war größer als <strong>die</strong> derJu<strong>den</strong>, <strong>die</strong> gleichsam draussen waren. Daslöste das Gesetz, und sie beobachteten nichtso große Sorgfalt in Bezug auf dasselbe, weiler das Christenthum rein verkündete. Wohlscheinen sie in <strong>die</strong>ser Beziehung ihn durch<strong>die</strong> Menge einschüchtern zu wollen, indemsie sagen: „Siehst du, Bruder, wie vieleTausende der Ju<strong>den</strong> es gibt, welche gläubiggewor<strong>den</strong>? . . und Diese alle haben von dirgehört, daß du <strong>den</strong> Abfall vom Gesetzelehrest.“ 8Warum schreibt er <strong>den</strong>n <strong>an</strong> <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>, da erdoch nicht ihr Lehrer war? Wohin schreibt er<strong>an</strong> sie? Mir scheint nach Jerusalem und nachPalästina. Und in welcher Weise schreibt er?In der Weise, in der er auch taufte, ohne dazueinen Befehl erhalten zu haben; „<strong>den</strong>n ichbin,“ sagt er, „nicht ausgesendet wor<strong>den</strong>, zutaufen;“ 9 es war ihm aber auch nicht8 Apg 21,209 1 Kor 1,175verboten; er that es so nebenbei. Warum sollte er aber Denen nicht schreiben,für welche er sogar im B<strong>an</strong>ne sein wollte? 10Darum sagt er: „Wisset, daß unser BruderTimotheus freigelassen ist; mit ihm will ich,wenn er bald eintrifft, euch sehen;“ 11 <strong>den</strong>nPaulus war noch nicht gef<strong>an</strong>gen genommen.Zwei Jahre verlebte er d<strong>an</strong>n zu Rom inGef<strong>an</strong>genschaft; darauf wurde er freigelassenund kam nach Sp<strong>an</strong>ien, worauf er nach Judäareiste und <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>christen besuchte.Nachdem er wieder nach Rom gekommenwar, wurde er auf Befehl des Kaisers Nerohingerichtet. - Der <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> Timotheus mußdemnach älter sein als <strong>die</strong>ser, da er indemselben schreibt: „Denn ich werde jetztgeopfert;“ 12 und wiederum: „Bei meinerersten Ver<strong>an</strong>twortung ist mir Niem<strong>an</strong>dbeigest<strong>an</strong><strong>den</strong>.“ 13 Denn oftmals kämpfte er zuseiner Vertheidigung, wie er im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Thessalonicenser schreibt: „Ihr seidNachahmer gewor<strong>den</strong> der Gemein<strong>den</strong>Gottes, <strong>die</strong> in Judäa sind.“ 14 Und im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong><strong>die</strong>se selbst (<strong>Hebräer</strong>) spricht er: „MitFreu<strong>den</strong> ertruget ihr <strong>den</strong> Raub euererGüter.“ 15 Siehst du ihre Kämpfe? Wenn sieaber <strong>den</strong> Aposteln nicht nur in Judäa,sondern auch mitten unter <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong> sohilfreich begegneten, wie wer<strong>den</strong> sie nichterst <strong>den</strong> Gläubigen Beist<strong>an</strong>d geleistet haben?Darum legt er auch für sie, wie m<strong>an</strong> sieht,eine besondere Sorgfalt <strong>an</strong> <strong>den</strong> Tag; <strong>den</strong>n ersagt: „Ich reise nach Jerusalem, <strong>den</strong> Heiligen10 Röm 9,3. Ἀνάϑεμα γενέσϑαι - im B<strong>an</strong>ne sein, mit dem Vertilgungsfluchebela<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> - ist <strong>die</strong> Formel der kirchlichen Verdammung. Ἀνάϑεμαbedeutet ursprünglich ein Weihegeschenk, das der Gottheit gebracht wurde,und ist <strong>die</strong> Uebersetzung des hebräischen ‏.חדם Dieß bedeutet aberhauptsächlich solche Personen oder Sachen, <strong>die</strong> der Gottheit devovirt,ihrem Strafgerichte unwiderruflich verfallen sind, z. B. <strong>die</strong> K<strong>an</strong>a<strong>an</strong>iter, ihreStädte, ihr Hab und Gut. Es schließt also <strong>den</strong> Begriff der Vertilgung insich. Auf's Christenthum <strong>über</strong>tragen verliert es nun natürlich jenenäusserlichen Charakter, erhält aber eine um so intensivere geistigeBedeutung: es bezeichnet <strong>den</strong> Ausschluß von <strong>den</strong> Gna<strong>den</strong>gütern Christioder <strong>die</strong> ewige Verdammniß. Vrgl. Al. Meßmer, Erklärung des <strong>Brief</strong>es <strong>an</strong><strong>die</strong> Galater S. 24.11 Hebr 13,2312 2 Tim 4,613 2 Tim 4,1614 1 Thess 2,1415 Hebr 10,34


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>zu <strong>die</strong>nen,“ 16 und da er <strong>die</strong> Korinther zurMildthätigkeit mit dem Bemerken ermuntert,daß <strong>die</strong> Macedonier bereits einen Beitraggeleistet, und beifügt: „Wenn es der Mühewerth ist, daß auch ich reise,“ 17 spricht er sichin <strong>die</strong>sem Sinne aus. Und durch <strong>die</strong> Worte:„Nur sollten wir der Armen einge<strong>den</strong>k sein,was auch ich zu thun beflissen gewesen,“ 18besagt er Dasselbe. Und wenn er spricht: „Siegaben mir und Barnabas <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d zurGemeinschaft, daß wir unter <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>, sieaber unter <strong>den</strong> Beschnittenen predigensollten,“ 19 sagt er wieder Dasselbe. DennDieses spricht er nicht von <strong>den</strong> dortigenArmen <strong>über</strong>haupt, sondern in derMildthätigkeit gegen <strong>die</strong>selben sollteGemeinschaft bestehen. In Bezug auf <strong>die</strong>Verkündigung des Wortes haben wir <strong>die</strong>Vertheilung getroffen, daß wir <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>,Jene <strong>den</strong> Beschnittenen predigen sollten; inder Fürsorge für <strong>die</strong> Armen haben wir keinesolche Theilung vorgenommen. Und <strong>über</strong>allsieht m<strong>an</strong>, daß Paulus um <strong>die</strong>se gar sehrbesorgt ist. Das war aber g<strong>an</strong>z natürlich.Unter <strong>den</strong> <strong>an</strong>deren Völkern, wo Ju<strong>den</strong> undHei<strong>den</strong> durchein<strong>an</strong>der lebten, war <strong>die</strong> Sache<strong>an</strong>ders gestaltet. Da sie dort (in Judäa) bisdahin ihre eigene Gesetzgebung undRegierung zu besitzen und Vieles nacheigenen Gesetzen zu verwalten schienen,weil <strong>die</strong> Regierung, <strong>die</strong> sich noch nichtgänzlich in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> der Römer bef<strong>an</strong>d,noch keine festen Normen hatte, so übten siebegreiflicher Weise eine bedeutendeGewaltherrschaft aus. Denn wenn sie auch in<strong>an</strong>deren Städten, z. B. in Korinth, 20 <strong>den</strong>Vorsteher der Synagoge vor demRichterstuhle des Proconsuls mit Schlägen be<strong>die</strong>nten, und Gallio sich darumgar nicht kümmerte, wird Das in Judäa nichtauch so gewesen sein?16 Röm 15,2517 1 Kor 16,418 Gal 2,1019 Gal 2,920 Apg 18,176Du siehst nun, wie m<strong>an</strong> sie in <strong>an</strong>derenStädten vor <strong>die</strong> Obrigkeit führt und <strong>die</strong>se,wiewohl sie heidnisch ist, auffordert, Hilfezu leisten. Dort aber machen sie sich keinesolche Sorge, sondern setzen selbst einGericht zusammen und verurtheilen, welchesie wollen. So haben sie <strong>den</strong> Steph<strong>an</strong>ushingerichtet, so <strong>die</strong> Apostel gegeißelt, ohnesie vor <strong>die</strong> Obrigkeit geführt zu haben. Sowür<strong>den</strong> sie auch <strong>den</strong> Paulus getödtet haben,hätte sich ihnen nicht der Tribun widersetzt.Dieses geschah, als noch <strong>die</strong> Hohenpriesterwaren und der Tempel mit seinemGottes<strong>die</strong>nste und <strong>den</strong> Opfern best<strong>an</strong>d.Siehe, wie selbst Paulus vor demRichterstuhle des Hohenpriesters spricht:„Ich wußte nicht, daß es der Hohepriesterist,“ 21 und zwar in Gegenwart des römischenArchon. Denn damals besaßen sie noch einebedeutende Macht. Be<strong>den</strong>ke nun, wie vieldemnach <strong>die</strong> Gläubigen zu Jerusalem und inJudäa zu lei<strong>den</strong> hatten! Wenn daher derApostel für Diejenigen, <strong>die</strong> noch nichtgläubig gewor<strong>den</strong>, im B<strong>an</strong>ne sein wollte;wenn er für <strong>die</strong> Gläubigen so <strong>die</strong>nstbereitwar, daß er im Falle der Noth selbst reifenwollte und für sie <strong>über</strong>all sorgt: wie k<strong>an</strong>nm<strong>an</strong> sich wundern, daß er auch durch einen<strong>Brief</strong> sie ermuntert und tröstet und <strong>die</strong>W<strong>an</strong>ken<strong>den</strong> und bereits Gefallenenaufrichtet? Denn sie schienen ob der vielenTrübsale fast hoffnungslos zu verzweifeln.Das scheint er auch am Ende des <strong>Brief</strong>esauszudrücken, indem er spricht: „Darumrichtet wieder auf <strong>die</strong> erschlafften Händeund <strong>die</strong> w<strong>an</strong>ken<strong>den</strong> Kniee!“ 22 Undwiederum: „Denn nur noch eine kleineWeile, und es wird kommen, der da kommensoll, und er wird nicht zögern.“ 23 Und <strong>an</strong>einer <strong>an</strong>deren Stelle: „Wenn ihr ohneZüchtigung wäret, deren Alle theilhaftig gewor<strong>den</strong>, so wäret ihr Bastarde und21 Apg 23,522 Hebr 12,1223 Hebr 10,37


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>keine Kinder.“ 24 Denn als Ju<strong>den</strong> hatten sievon ihren Vätern gelernt, daß m<strong>an</strong> Gutes undSchlimmes naheliegend erwarten unddemgemäß leben müsse; damals aberbest<strong>an</strong>d das Gegentheil: das Gute nur in derHoffnung und nach dem Tode, das Schlimmeaber jetzt gleich, und so war es g<strong>an</strong>znatürlich, daß Viele nach l<strong>an</strong>gem Ausharrenkleinmüthig wur<strong>den</strong>, wor<strong>über</strong> sich Paulusweitläufig ausspricht. Dieß jedoch wer<strong>den</strong>wir zur rechten Zeit erklären; bis dahingenüge <strong>die</strong> Bemerkung, daß er nothwendigerWeise Denen schrieb, für welche er so großeFürsorge <strong>an</strong> <strong>den</strong> Tag legte. Der Grund,warum er nicht zu ihnen geschickt wurde,war offenbar; ihnen aber zu schreiben, warihm nicht verwehrt. Daß sie aber kleinmüthigwur<strong>den</strong>, zeigt er mit <strong>den</strong> Worten: „Darumrichtet wieder auf <strong>die</strong> erschlafften Händeund <strong>die</strong> w<strong>an</strong>ken<strong>den</strong> Kniee und macht geradeTritte!“ 25 Und wieder: „Denn Gott ist nichtungerecht, daß er vergessen sollte euresThuns und der Liebe.“ 26 Die Seele wirdnämlich, wenn sie von vielen Versuchungenergriffen wird, oft vom Glauben abgezogen;darum gibt er <strong>die</strong> Mahnung, festzuhalten <strong>an</strong>dem Gehörten (<strong>den</strong> empf<strong>an</strong>genenHeilslehren) und nicht ungläubigen Herzenszu sein. Darum redet er auch in <strong>die</strong>sem<strong>Brief</strong>e besonders viel <strong>über</strong> <strong>den</strong> Glauben undzeigt zu <strong>die</strong>sem Ende in vielen Beispielen,daß auch Jenen (<strong>den</strong> Vätern) nicht alsbald <strong>die</strong>Güter gegeben wur<strong>den</strong>, <strong>die</strong> ihnen verheissenwaren. Und damit sie <strong>über</strong><strong>die</strong>ß nicht wähnenmöchten, daß sie g<strong>an</strong>z verlassen seien,empfiehlt er folgende zwei Stücke: ErstensAlles, was da kommen mag, muthig zuertragen; d<strong>an</strong>n zuversichtlich <strong>die</strong> Vergeltungzu erwarten; <strong>den</strong>n Gott werde weder <strong>den</strong>gerechten Abel noch <strong>die</strong> <strong>an</strong>deren Gerechtender Folgezeit unbelohnt lassen. Er tröstet sieaber auf dreifache Weise: Erstens durch <strong>die</strong>24 Hebr 12,825 Hebr 12,12.1326 Joh 15,207Lei<strong>den</strong>, welche Christus erduldet hat, der da selber spricht: „Der Knecht ist nichtgrößer als sein Herr;“ 27 zweitens durch <strong>die</strong>Güter, welche für <strong>die</strong> Gläubigen hinterlegtsind; drittens durch <strong>die</strong> Übel. Und erbekräftigt Das nicht bloß durch dasZukünftige, was weniger <strong>über</strong>zeugt hätte,sondern auch durch das Verg<strong>an</strong>gene, wasihren Vätern begegnet war. Dasselbe thutauch Christus, indem er spricht: „Der Knechtist nicht größer als sein Herr;“ und wieder:„Viele Wohnungen sind bei dem Vater,“ 28und beklagt das unsägliche ElendDerjenigen, <strong>die</strong> nicht geglaubt haben. Erredet auch viel <strong>über</strong> das alte und neueTestament, was ihm sehr nützte, um von derAuferstehung zu <strong>über</strong>zeugen. Und damit sieetwa nicht ob seiner bei<strong>den</strong> Zweifel <strong>an</strong> seinerAuferstehung schöpfen könnten, beweist er<strong>die</strong>selbe aus <strong>den</strong> Propheten und zeigt, daßnicht das Ju<strong>den</strong>thum, sondern dasChristenthum ehrwürdig sei. Und weil derTempel mit seinen Opfern noch st<strong>an</strong>d, sagte er:„Lasset uns nun hinausgehen ausserhalb desLagers und seine Schmach tragen.“ 29 Esst<strong>an</strong>d ihm aber auch Dieses entgegen: Es warnatürlich, daß Einige sagten: Wenn Das nurSchatten und Bild ist, warum ist es nichtvor<strong>über</strong>geg<strong>an</strong>gen und gewichen, als <strong>die</strong>Wahrheit erschien, sondern blühet noch fort?Leise deutet er <strong>an</strong>, daß Dieß seiner Zeitgeschehen werde. Daß sie aber l<strong>an</strong>ge Zeit imGlauben und in <strong>den</strong> Trübsalen ausharrten,erklärt er in <strong>den</strong> Worten: „Denn <strong>die</strong> ihrLehrer sein sollet der Zeit nach;“ 30 und: „Daßnicht in Einem von euch sei ein böses,ungläubiges Herz;“ 31 und: „Ihr seidNachahmer gewor<strong>den</strong> Derjenigen, welchedurch Glauben und Geduld Erben derVerheissungen wur<strong>den</strong>.“ 32 27 Joh 15,2028 Joh 14,229 Hebr 13,1330 Hebr 5,1231 Hebr 3,1232 Hebr 6,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Chrysostomus († 407)<strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong><strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Erste Homilie. I.Kap. I.1. 2. M<strong>an</strong>nigfaltig und auf vielerlei Weisehat einst Gott zu <strong>den</strong> Vätern durch <strong>die</strong>Propheten geredet, zuletzt hat er in <strong>die</strong>senTagen zu uns durch <strong>den</strong> Sohn geredet, <strong>den</strong>er zum Erben des All gesetzt, durch <strong>den</strong> erauch <strong>die</strong> Welt gemacht hat.„Wirklich, als <strong>die</strong> Sünde <strong>über</strong>schwenglichwar, wurde <strong>die</strong> Gnade noch<strong>über</strong>schwenglicher.“ 33 Auf <strong>die</strong>se Wahrheitdeutet der heilige Paulus auch hier imEing<strong>an</strong>ge seines <strong>Brief</strong>es <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong> hin.Denn weil <strong>die</strong>se von Mühen undBeschwer<strong>den</strong> fast aufgezehrt waren unddarnach <strong>die</strong> Dinge beurtheilten, und für sieder Schluß nahe lag, daß sie selbst geringerals alle Anderen wären: so zeigt er, daß sieeiner viel größern, ja <strong>über</strong>schwenglichenGnade gewürdiget seien, und gibt gleich in<strong>den</strong> ersten Worten des <strong>Brief</strong>es dem Zuhörereine besondere Anregung. Darum sagt er: „M<strong>an</strong>nigfaltig und auf vielerlei Weise hateinst Gott zu <strong>den</strong> Vätern durch <strong>die</strong> Prophetengeredet, zuletzt hat er in <strong>die</strong>sen Tagen zu unsdurch <strong>den</strong> Sohn geredet.“ Warum stellt er sichselber <strong>den</strong> Propheten nicht gegen<strong>über</strong>? Warer doch weit größer als <strong>die</strong>se, da ihmGrößeres <strong>an</strong>vertraut war. Das thut er abernicht. Warum? Erstens, weil er sich selbernicht rühmen wollte; zweitens, weil <strong>die</strong>Zuhörer noch nicht <strong>die</strong> nöthige Reifebesaßen; drittens, weil er sie zu hebenbeabsichtigte und zeigen wollte, daß sie einergroßen Auszeichnung theilhaftig wür<strong>den</strong>, -als wollte er sagen: Was Großes liegt darin,daß Gott zu unseren Vätern <strong>die</strong> Prophetenges<strong>an</strong>dt, da er uns seinen eigeneneingebornen Sohn geschickt hat? - Rechtschön beginnt er mit <strong>den</strong> Worten:„M<strong>an</strong>nigfaltig und auf vielerlei Weise;“ <strong>den</strong>n erzeigt, daß nicht einmal <strong>die</strong> Propheten Gottgeschaut haben, wohl aber der Sohn ihngeschaut hat. Denn der Ausdruck:„M<strong>an</strong>nigfaltig und auf vielerlei Weise“ hat <strong>die</strong>Bedeutung: in verschie<strong>den</strong>en Gesichten undGleichnissen; <strong>den</strong>n er spricht: „Ich mehre <strong>die</strong>Gesichte und erscheine in Gleichnissen durch<strong>die</strong> Propheten.“ 34 Das ist also nicht der einigeVorzug, daß zu Jenen zwar Prophetenges<strong>an</strong>dt wur<strong>den</strong>, zu uns aber der Sohn,sondern daß auch keiner der Propheten Gottgeschaut hat, wohl aber der eingeborne Sohn.Das aber schreibt er nicht gleich im Anf<strong>an</strong>g,sondern beweist es erst im Folgen<strong>den</strong>, wo ervon der Menschheit (Christi) spricht: „Dennzu welchem der Engel sprach Gott je: Du bistmein Sohn?“ und: „Setze dich zu meinerRechten.“ 35 Betrachte seine große Klugheit.Zuerst zeigt er <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Sendung derPropheten ihnen gewor<strong>den</strong>e Auszeichnung,und nachdem er Dieß als Thatsachedargelegt hat, beweist er das Übrige, daßnämlich Gott zu Jenen durch <strong>die</strong> Propheten,zu uns aber durch seinen Eingeborenen gesprochen. Hätte er abersogar durch Engel zu ihnen geredet (und inder That haben Engel mit ihnen verkehrt), sohätten wir auch in <strong>die</strong>ser Beziehung <strong>den</strong>Vorzug, und zwar in so weit, als zu uns derHerr, zu Jenen aber <strong>die</strong> Diener geredet; <strong>den</strong>n<strong>die</strong> Engel sind wie <strong>die</strong> Propheten nur Diener.Schön spricht er auch: „Zuletzt in <strong>die</strong>senTagen;“ <strong>den</strong>n auch Das richtet sie auf undtröstet sie in ihrer Betrübniß; wie er <strong>den</strong>nauch <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>deren Stelle schreibt: „Der33 Röm 5,20934 Osee 12,1035 Hebr 1,5.13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Herr ist nahe, seid nicht ängstlich besorgt;“ 36und wieder: „Denn jetzt ist unser Heil näher,als da wir gläubig wur<strong>den</strong>;“ 37 so auch hier.Was will nun Paulus damit sagen? Daß einJeder, der im Kampfe seine Kräfte erschöpfthat, sobald er das Ende des Kampfesvernimmt, ein wenig ausathmet, indem erweiß, daß nun das Ende der Mühen und derAnf<strong>an</strong>g der Ruhe gekommen. - „Zuletzt hat erin <strong>die</strong>sen Tagen zu uns in dem Sohne geredet.“Die Worte: „in dem Sohne,“ „durch <strong>den</strong> Sohn“spricht er gegen Diejenigen aus, welchebehaupten, Dieß passe auf <strong>den</strong> heiligen Geist.Siehst du, daß das „in“ dem „durch“entspricht? Ferner haben <strong>die</strong> Ausdrücke:„einst“ und „zuletzt in <strong>die</strong>sen Tagen“ ihrenbesonderen Sinn. Welchen <strong>den</strong>n? NachVerlauf einer geraumen Zeit, da wir derStrafe gewärtig waren, <strong>die</strong> Gna<strong>den</strong>gabenaufgehört hatten, es keine Aussicht aufErlösung gab, als wir von allen SeitenVerluste befürchteten: da erl<strong>an</strong>gten wirgrößeren Vortheil. Nun erwäge, wie klug ersich ausdrückt! Er sagt nicht: „Christus hatgeredet,“ obgleich er es war, der sogesprochen, sondern da sie noch schwachwaren und Das, was auf Christus Bezughatte, nicht zu fassen (zu hören) vermochten,sagt er: „Er hat zu uns durch <strong>den</strong> Sohn geredet.“Was sagst du? Gott hat durch <strong>den</strong> Sohngeredet? Ja. Wo ist d<strong>an</strong>n der Vorzug? Dennhier hast du gezeigt, daß das neue und das alte Testament <strong>den</strong>selben Urheber haben,was doch keinen Vorzug (des neuen vor demalten) in sich schließt. Darum läßt er eineErörterung in <strong>den</strong> Worten folgen: „Er hat zuuns durch <strong>den</strong> Sohn geredet.“ Siehe, wie Paulus<strong>die</strong> Sache zu einer gemeinschaftlichenmachte und sich seinen Schülern gleichstelltmit <strong>den</strong> Worten: „Er hat zu uns geredet.“ Hater doch nicht zu ihm gesprochen, sondern zu<strong>den</strong> Aposteln und durch sie zur Schaar (derGläubigen). Allein er hebt sie und zeigt, daß36 Phil 4,637 Röm 13,1110er auch zu ihnen geredet; gleichzeitig abertadelt er gewisser Maßen auch <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>;<strong>den</strong>n beinahe Alle, zu <strong>den</strong>en <strong>die</strong> Prophetengesprochen, waren schlechte und verruchteMenschen. Ohne sich hier<strong>über</strong> weiter zuverbreiten, redet er <strong>über</strong> <strong>die</strong> von Gottgespendeten Wohlthaten. Darum fügt erauch bei: „Den er zum Erben des All gesetzt.“Hier meint er das Fleisch (<strong>die</strong> Menschen),wie auch David im zweiten Psalm sagt:„Begehre von mir, so will ich dir geben <strong>die</strong>Hei<strong>den</strong> zu deinem Erbe!“ 38 Denn nicht mehrist Jakob des Herrn Antheil noch Israel seinErbe, sondern Alle sind es. Was besagen <strong>die</strong>Worte: „Den er zum Erben gesetzt hat“? Siebesagen: Diesen hat er zum Herrn <strong>über</strong> Allesgesetzt. Dasselbe sagt auch Petrus in derApostelgeschichte: „Zum Herrn und zumChristus hat Gott ihn gemacht.“ 39 DenAusdruck „Erbe“ hat er gebraucht, um einZweifaches <strong>an</strong>zuzeigen, nämlich daß erwirklicher Sohn sei, und daß ihm deßhalb <strong>die</strong>Herrschaft nicht entrissen wer<strong>den</strong> könne.Erbe des All soll so viel heissen als: Erbe derg<strong>an</strong>zen Welt. Sod<strong>an</strong>n führt er <strong>die</strong> Redewieder auf das Frühere zurück: „Durch <strong>den</strong> erauch <strong>die</strong> Welt 40 gemacht hat.“ II.Wo sind Diejenigen, <strong>die</strong> da sprechen: Es wareine Zeit, wo er nicht war? D<strong>an</strong>n steigt erstufenweise höher und spricht sich weiterhabener als im Gesagten in folgen<strong>den</strong>Worten aus:3. 4. Welcher, da er der Abgl<strong>an</strong>z fernerHerrlichkeit und das Ebenbild seines38 Ps 2,839 Apg 2,3640 Αἰῶνας … ὁ αἰών (auvum, Zeit, Zeitdauer) bedeutet im neuen Bundehäufig Weltperiode, Weltlauf, Welt. Das tiefsinnige Wort gebraucht <strong>die</strong>Schrift, weil das Räumliche ohne <strong>die</strong> Zeit nicht <strong>den</strong>kbar ist. Auch liegtdarin der Begriff des ewigen Seins des Sohnes Gottes, oder daß JesusChristus wahrer Gott ist; <strong>den</strong>n da er <strong>die</strong> αἰῶνας - <strong>die</strong> Zeiten erschaffen hat,so ist er vor aller Zeit gewesen, er war schon, da noch keine Zeit war, d. h.er ist von Ewigkeit, gleichewig wie der Vater. Anmerk. d. Ü.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Wesens ist, durch das Wort seiner KraftAlles trägt und, nachdem er uns vonSün<strong>den</strong> gereiniget hat, sitzet zur Rechtender Majestät in der Höhe; der um so vielbesser als <strong>die</strong> Engel gewor<strong>den</strong>, jevorzüglicher der Name ist, <strong>den</strong> er vor ihnenererbt hat.Ha! welch apostolische Weisheit! Jedochnicht so fast <strong>über</strong> <strong>die</strong> Weisheit des Paulus, als<strong>über</strong> <strong>die</strong> Gnade des heiligen Geistes müssenwir staunen; <strong>den</strong>n so sprach er nicht ausselbsteigener Erkenntniß, noch hat er einesolche Weisheit aus sich selber geschöpft.Woher hat er sie <strong>den</strong>n? Etwa vom Messeroder von <strong>den</strong> Häuten oder aus derWerkstätte? Nein! Eine solche Sprache istgöttliches Werk. Denn <strong>die</strong>se Ged<strong>an</strong>kenwaren nicht das Erzeugniß seinesVerst<strong>an</strong>des, welcher damals so ärmlich undso gering war, daß er nicht mehr besaß alsEiner aus dem gewöhnlichen Volke. Dennwie konnte Derselbe auch, der sich mitH<strong>an</strong>delsgeschäften und Häuten befaßte,einen größeren Aufschwung haben? Aber <strong>die</strong>Gnade des heiligen Geistes, welche nachfreier Wahl ihre Werkzeuge wählt, zeigteihre Kraft. Denn wie Jem<strong>an</strong>d, der einenkleinen Knaben auf eine Höhe, <strong>die</strong> bis zumHimmelsscheitel hinaufreicht, bringenwollte, Dieß allmählig und in kleinenAbsätzen thun und von unten ihnhinaufführen würde; d<strong>an</strong>n, wenn er obenstände und <strong>den</strong> Kleinen abwärts blickenhieße und <strong>die</strong>sen d<strong>an</strong>n bestürzt undängstlich und schwindelig sähe, - ihnnehmen und auf einen niedriger liegen<strong>den</strong>Punkt hinabführen würde, auf daß eraufathmen könnte, d<strong>an</strong>n <strong>den</strong>Neugekräftigten wieder berg<strong>an</strong> und wiederbergab führen würde -: so macht es auch derheilige Paulus sowohl bei <strong>den</strong> <strong>Hebräer</strong>n als<strong>an</strong> allen <strong>an</strong>deren Orten, wie er es ja vonseinem Meister gelernt hatte. Bald führt erfeine Zuhörer hinauf in <strong>die</strong> Höhe, baldgeleitet er sie wieder hinab und läßt sie nicht11l<strong>an</strong>ge auf demselben St<strong>an</strong>dpunkt verweilen.So betrachte ihn auch hier, wie er sie <strong>über</strong>viele Stufen hinaufführt und sie auf <strong>den</strong>Gipfel der Gottseligkeit stellt, d<strong>an</strong>n aber, ehesie von Verwirrung und Schwindel ergriffenwer<strong>den</strong>, sie wieder tiefer hinabführt und sieaufathmen läßt, indem er spricht: „Er hat zuuns geredet durch <strong>den</strong> Sohn;“ und wieder:„Den er zum Erben des All gesetzt hat.“Denn der Name „Sohn“ hat in soweit einegemeinsame Bedeutung. Wird nun darunterder wirkliche Sohn (Gottes) verst<strong>an</strong><strong>den</strong>, so ister <strong>über</strong> Alles erhaben; wie er aber in <strong>die</strong>semBetrachte sei, zeigt er im Folgen<strong>den</strong>, wo erdarthut, daß er von oben ist. Sieh’ aber, wieer sie vorerst auf eine niedrigere Stufehinstellt, indem er sagt: „Den er zum Erbendes All gesetzt hat.“ Denn <strong>die</strong> Worte: „ZumErben hat er gesetzt“ haben einengewöhnlichen Sinn. In dem Zusatze: „Durch<strong>den</strong> er auch <strong>die</strong> Welt gemacht hat“ stellt erihn auf eine höhere Stufe; d<strong>an</strong>n stellt er ihnauf <strong>die</strong> höchste, <strong>über</strong> welche hinaus keinemehr ist, mit <strong>den</strong> Worten: „Welcher, da er derAbgl<strong>an</strong>z seiner Herrlichkeit und das Ebenbildseines Wesens ist...“ Wahrhaftig, er hat ihnzum unzugänglichen Lichte, zum Abgl<strong>an</strong>zeselbst hingeführt. Und siehe, wie er ihn, ehesich <strong>die</strong> Dunkelheit ausbreitet, wiederallmählig erniedrigt, indem er sagt: „Welcherdurch das Wort seiner Kraft Alles trägt und,nachdem er uns von Sün<strong>den</strong> gereiniget hat, sitzetzur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Er sagt nicht einfach: „er sitzet,“ sondern:„nachdem er uns von Sün<strong>den</strong> gereiniget hat;“<strong>den</strong>n er <strong>über</strong>nahm <strong>die</strong> Menschwerdung,wodurch er etwas Unerhabenes ausspricht.Hierauf spricht er wiederum Hohes, indemer sagt: „zur Rechten der Majestät in der Höhe,“und fügt alsd<strong>an</strong>n nochmals <strong>die</strong> mehrniedrigen Worte hinzu: „Der um so viel besserals <strong>die</strong> Engel gewor<strong>den</strong>, je vorzüglicher der Nameist, <strong>den</strong> er vor ihnen ererbt hat.“ Hier spricht ernämlich von seiner menschlichen Natur, dader Ausdruck: „besser gewor<strong>den</strong>“ keinen


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Bezug hat auf seine mit dem Vater gleicheWesenheit, - <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se ist nicht gewor<strong>den</strong>,sondern gezeugt, - sondern auf seinemenschliche Natur, - <strong>die</strong>se ist gewor<strong>den</strong>.Jedoch <strong>über</strong> <strong>die</strong> Wesenheit spricht er jetztnicht, sondern wie <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> mit <strong>den</strong> Worten:„Der nach mir kommen wird, ist vor mirgewesen, <strong>den</strong>n er war eher als ich,“ darthunwill, daß er größerer Ehre werth undruhmreicher sei, - so will auch hier Paulus,da er sagt: „Um so viel besser als <strong>die</strong> Engelgewor<strong>den</strong>, je vorzüglicher der Name ist, <strong>den</strong> ervor ihnen ererbt hat,“ erklären, daß er höherstehe und gepriesener sei. Du siehst, daß hiervon der Menschheit <strong>die</strong> Rede ist; <strong>den</strong>n <strong>den</strong>Namen: „Gott das Wort“ hatte er immer undnicht etwa später ererbt; auch wurde er nichterst damals besser als <strong>die</strong> Engel, nachdem eruns von Sün<strong>den</strong> gereiniget hatte, sondern erwar immer besser und zwar unvergleichbarbesser. Paulus spricht demnach <strong>über</strong> seinemenschliche Natur, sowie auch wir, wennwir von einem Menschen sprechen, <strong>über</strong> ihnHohes und Niedriges auszusagen gewöhntsind. Denn wir sagen: Nichts ist der Mensch,Erde ist der Mensch, Staub ist der Mensch, sobenennen wir das G<strong>an</strong>ze nach seinemgeringeren Best<strong>an</strong>dtheile. Wenn wir abersagen: Ein unsterbliches Wesen ist derMensch, der Mensch hat Vernunft undVerw<strong>an</strong>dtschaft mit <strong>den</strong> himmlischen Wesen,so bezeichnen wir hinwieder das G<strong>an</strong>ze nachseinem edleren Best<strong>an</strong>dtheile. So redet auchPaulus bald von seiner geringeren, bald vonseiner höheren Wesenheit, je nachdemer <strong>über</strong> <strong>die</strong> Menschwerdung h<strong>an</strong>deln oder<strong>über</strong> dessen pure Natur belehren will.III.Nachdem er uns also von unseren Sün<strong>den</strong>gereiniget hat, wollen wir auch rein bleibenund keine Makel mehr <strong>an</strong>nehmen, sondern<strong>die</strong> uns verliehene Schönheit und Würde so12unbefleckt und makellos zu bewahrenbestrebt sein, daß sich kein Flecken, keineRunzel oder sonst Etwas der Art vorfinde.Denn Flecken, und Runzeln sind <strong>die</strong> kleinenSün<strong>den</strong>, z. B. Schelten, Übermuth, Lüge, -doch auch <strong>die</strong>se sind keine kleinen Sün<strong>den</strong>,sondern sehr große, so große, daß sie unssogar des Himmelreiches berauben. Wie undauf welche Weise? „Wer zu seinem Brudersagt: Du Narr! wird des höllischen Feuersschuldig sein,“ heißt es. 41 Wenn aber schonDerjenige, welcher „du Narr!“ sagt, was doch<strong>die</strong> allergeringfügigste Schimpfrede und eineKnabenneckerei zu sein scheint, <strong>die</strong>seStrafdrohung hört, welche Strafe wird d<strong>an</strong>nDer auf sich la<strong>den</strong>, welcher seinen Brudereinen Bösewicht, einen Schurken, einenVerläumder schilt und mit zahllosen <strong>an</strong>dernSchmähungen <strong>über</strong>häuft? Was ist furchtbarerals Das? Jedoch ertraget meine Worte, ichbitte darum. Wenn nämlich Derjenige, derEinem der Geringsten Etwas thut, es ihm(Christo) selber thut, wenn er es aber Einemder Geringsten nicht thut, es gegen ihn selberunterläßt, 42 wie sollte das nicht auch der Fallsein in Bezug auf Lob und Tadel? Wer seinenBruder mit Übermuth beh<strong>an</strong>delt, der übtgegen Gott selber Übermuth; und wer seinenBruder ehrt, der ehret Gott. Lernen wir also<strong>die</strong> Zunge bezähmen, auf daß sie wohlrede;<strong>den</strong>n der Psalmist sagt: „Bewahre deineZunge vom Bösen!“ 43 Denn Gott hat uns<strong>die</strong>selbe nicht darum gegeben, daß wir derTadelsucht und dem Übermuth <strong>die</strong>nen undein<strong>an</strong>der verleum<strong>den</strong>, sondern auf daß wirGott loben, daß wir Solches re<strong>den</strong>, was<strong>den</strong> Zuhörern Segen bringt, was Erbauungund Nutzen schafft. Redest du irgendJem<strong>an</strong>dem Böses nach? Welchen Gewinnhast du davon, da du dich mit Jenem inScha<strong>den</strong> verwickelst? Du gewinnst <strong>den</strong> Rufeines schmähsüchtigen Menschen; <strong>den</strong>n es41 Mt 5,2242 Mt 25,40.4543 Ps 33,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gibt gar kein Übel, das nur bis zu Demdringt, der es erduldet, und nicht zugleichDen ergreift, der es verursacht; so stellt derNeidische scheinbar einem Andern nach,ärntet aber selbst zuerst <strong>die</strong> Frucht seinerUngerechtigkeit, <strong>den</strong>n er zehrt dabei selberab und geht, von Allen verabscheut, zuGrunde. Der Habsüchtige vergreift sich amEigenthume des Nächsten, beraubt sich aberselber der Liebe (Anderer), und was nochmehr ist, er bringt sich bei Allen inschlechten Ruf. Ein guter Name stehtnämlich weit höher als Reichthum; <strong>den</strong>neinen schlechten Ruf k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nicht leichtabwaschen, Güter aber leichter erwerben.Noch mehr: der M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> Glücksgüternschadet Demjenigen, welchem sie fehlen,Nichts; wem aber der ehrliche Nameverloren geg<strong>an</strong>gen, der wird beschimpft undverspottet und ist Allen verhaßt undzuwider. So wird auch der Zornige zuerst fürsich selbst eine Zuchtruthe, d<strong>an</strong>n für Den,welchem er zürnt. Ebenso schändet derVerläumder zuerst sich selber und darnacherst Denjenigen, <strong>den</strong> er verläumdet; oderauch Das hat er nicht einmal vermocht,sondern er selbst trägt <strong>den</strong> Ruf einesverruchten und verächtlichen Menschendavon, während er Jenem zu einer um sogrößeren Liebe verhilft. Denn sobald Dieservon der üblen Nachrede Kunde erhält, und<strong>an</strong>statt sich <strong>an</strong> dem Ehrenräuber mitGleichem zu rächen, vielmehr mit Lob undAchtung <strong>über</strong> ihn redet, fällt das Lob nichtDiesem zu, sondern auf ihn selber zurück.Denn wie oben bemerkt wor<strong>den</strong>, rächen sich<strong>die</strong> Verläumdungen gegen <strong>den</strong> Nächsten <strong>an</strong><strong>den</strong> Ehrenräubern zuerst, - gerade so schafftauch das dem Nebenmenschen erwieseneGute seinen Urhebern das ersteWonnegefühl; <strong>den</strong>n der Urheber sowohl desGuten wie des Bösen hat davon natürlich <strong>den</strong>ersten Genuß; und wie das Wasser derQuelle, mag dasselbe bitter oder süß sein, <strong>die</strong>Gefäße der Schöpfen<strong>den</strong> füllt, ohne13daß <strong>die</strong> Fülle der Wasser sprudeln<strong>den</strong> Quellesich mindert: so bereitet <strong>die</strong> Tugend ihremUrheber Wonne, das Laster aber richtet Den,der es verübt, zu Grunde. So verhält es sichim Diesseits; welche Worte aber sind wohlim St<strong>an</strong>de, das Jenseits in seinenBelohnungen und Strafen zu schildern? Garkeine. Denn <strong>die</strong> Güter der Ewigkeit sindnicht nur unaussprechlich, sondern sie<strong>über</strong>steigen sogar allen Verst<strong>an</strong>d; dasGegentheil aber von ihnen wird uns mitAusdrücken bezeichnet, <strong>an</strong> <strong>die</strong> wir gewöhntsind; <strong>den</strong>n Feuer, heißt es, ist dort undFinsterniß, B<strong>an</strong>de sind dort und ein Wurm,der nie stirbt. Allein nicht nur Dieses, was daaufgezählt wird, stellt sich unserem Geistedar, sondern noch viel Schwereres. Damit duDas einsehest, erwäge vorerst Dieses schnell!Wenn dort Feuer ist, wie ist da Finsternißmöglich? Siehst du, daß jenes Feuerunerträglicher ist als das gewöhnliche? Dennes hat ja kein Licht. Wenn dort Feuer ist, wiebrennt es <strong>den</strong>n immer? Siehst du, daß esschwerer zu ertragen ist als dasgewöhnliche? Denn es erlischt nicht; darumnennt m<strong>an</strong> es auch ein unauslöschlichesFeuer. Be<strong>den</strong>ken wir also, welch ein großesUnglück es ist, ewig zu brennen und in derFinsterniß zu sein und unendlichesJammergeschrei unter Zähneknirschenauszustoßen und - nimmer Erhörung zufin<strong>den</strong>. Denn wenn schon hier Jem<strong>an</strong>d vonedler Erziehung in ein Gefängniß geworfenwürde und <strong>den</strong> Gest<strong>an</strong>k daselbst und <strong>die</strong> ödeFinsterniß und <strong>die</strong> mit Mördern gemeinsameFesselung für schwerer halten würde alsjedwe<strong>den</strong> Tod, so be<strong>den</strong>ke, was Das ist: mit<strong>den</strong> Mördern des g<strong>an</strong>zen Erdkreises zubrennen, ohne zu sehen und gesehen zuwer<strong>den</strong>, vereinsammt unter einer sogewaltigen Menge! Denn <strong>die</strong>undurchdringliche Finsterniß laßt uns auchJene nicht einmal erkennen, welche uns <strong>die</strong>Nächsten sind, sondern ein Jeder wird sich ineiner Lage befin<strong>den</strong>, als hätte er alle <strong>die</strong>se


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Lei<strong>den</strong> allein zu ertragen. Wenn aber <strong>die</strong>Finsterniß schon für sich allein unsere Seelendrücket und ängstigt, was wird erst sein,wenn sich zur Finsterniß auch noch viele<strong>an</strong>dere Qualen und Feuerschmerzen gesellen? Deßhalb bitte ich, Das unaufhörlichin Erwägung zu ziehen und <strong>die</strong> Trauer, <strong>die</strong>uns aus dem Gesagtem erwächst, zuertragen, damit wir nicht durch unsereWerke <strong>den</strong> Qualen verfallen. Denn Dieß alleswird unfehlbar stattfin<strong>den</strong>, und Diejenigen,welche Böses geth<strong>an</strong>, wird jenem Orte derPeinen Niem<strong>an</strong>d entreissen, weder Vaternoch Mutter noch Bruder, selbst wenn er vielZuversicht hätte und bei Gott Großesvermöchte. „Ein Bruder erlöset ja nicht,“heißt es, „wird <strong>den</strong>n ein Mensch erlösen?“ 44Gott selbst ist es, der einem Je<strong>den</strong> nachseinen Werken vergilt, und <strong>die</strong>se bringenRettung oder Verwerfung. „Machet euchFreunde mittelst des ungerechtenReichthums!“ 45 Gehorchen wir also, <strong>den</strong>n esist ein Gebot des Herrn; vertheilen wir <strong>den</strong>Überfluß des Reichthums unter <strong>die</strong> Armen;geben wir Almosen, sol<strong>an</strong>ge wir können;<strong>den</strong>n das heißt sich Freunde machenvermittelst des Reichthums! Legen wir <strong>die</strong>seGüter in <strong>die</strong> Hände der Armen, damit wirbefreit bleiben von jenem Feuer, damit wir esauslöschen, damit wir jenseits Zuversichthaben; <strong>den</strong>n dort sind es nicht <strong>die</strong>se, <strong>die</strong> unsaufnehmen, sondern unsere Werke. Daß wiraber nicht ohne Weiteres schon darum dasHeil fin<strong>den</strong> können, weil <strong>die</strong>se unsereFreunde sind, ist aus dem Beisatz ersichtlich.Denn warum sagt er nicht: Machet euchFreunde, damit sie euch in <strong>die</strong> himmlischenWohnungen aufnehmen, sondern fügt auchnoch <strong>die</strong> Art und Weise hinzu? Denn durch<strong>die</strong> Worte: „vermittelst des ungerechtenReichthums“ zeigt er, daß m<strong>an</strong> sich durchzeitliche Güter <strong>die</strong>se Freunde verschaffensolle, daß aber <strong>die</strong> Freundschaft <strong>an</strong> und für44 Ps 48,845 Lk 16,914sich offenbar uns nicht zu schirmen vermöge,wenn wir nicht gute Werke haben, wenn wirnicht <strong>den</strong> ungerecht erworbenen Reichthumauf gerechte Weise vertheilen. Was ich da<strong>über</strong> das Almosen sage, paßt nicht allein für<strong>die</strong> Reichen, sondern auch für <strong>die</strong> Armen; ja,<strong>die</strong>se Worte gelten sogar für Diejenigen, <strong>die</strong>sich vom Bettel ernähren; <strong>den</strong>n es istNiem<strong>an</strong>d so arm, und müßte er noch so sehrdarben, daß er nicht etwas Weniges hätte.Nun ist es möglich, daß Jem<strong>an</strong>d, der vonseinem kleinen Besitze auch nur Wenigesmittheilt, <strong>die</strong> Wohlhaben<strong>den</strong> <strong>über</strong>treffe,wenn <strong>die</strong>se auch mehr geben, sowie es beijener Wittwe der Fall war. Denn nicht nachder Größe der Gabe, sondern nach demKönnen und dem guten Willen des Geberswird der Werth des Almosens bemessen.Überall müssen wir also guten Willen,<strong>über</strong>all Liebe zu Gott haben. Wenn wir mit<strong>die</strong>ser Alles thun, und wenn wir d<strong>an</strong>n auchnur Weniges geben, weil wir nur Wenigeshaben, so wird Gott von uns sein Antlitznicht abwen<strong>den</strong>, sondern unsere Gabe soaufnehmen, als hätten wir Großes undErstaunliches geleistet; <strong>den</strong>n er sieht nichtauf <strong>die</strong> Gaben, sondern auf <strong>den</strong> guten Willen,und wenn er sieht, daß <strong>die</strong>ser stark ist, sowird er darnach richten und entschei<strong>den</strong> unduns der ewigen Güter theilhaftig machen, inderen Besitz wir alle durch seineMenschenfreundlichkeit und Gnadegel<strong>an</strong>gen mögen. Zweite Homilie.I.3. Welcher, da er der Abgl<strong>an</strong>z seinerHerrlichkeit und das Ebenbild seinesWesens ist, durch das Wort seiner KraftAlles trägt und, nachdem er uns vonSün<strong>den</strong> gereiniget hat ...


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Wir bedürfen zwar <strong>über</strong>all eines frommenSinnes, am meisten aber, wenn wir von Gottsprechen oder <strong>über</strong> ihn Etwas hören; <strong>den</strong>nweder ist <strong>die</strong> Zunge befähigt, GottesWürdiges zu sprechen, noch das Ohr, etwasSolches zu hören. Ja, was rede ich von Zungeund Ohr? Denn nicht einmal der Verst<strong>an</strong>d,welcher <strong>die</strong>se doch weit <strong>über</strong>trifft, wird esvermögen, w<strong>an</strong>n wir von Gott sprechenwollen, etwas Gründliches dar<strong>über</strong> zu sagen.Wenn nämlich schon der Friede Gottes allenVerst<strong>an</strong>d <strong>über</strong>steigt, und in eines MenschenHerz noch nicht gekommen ist, was GottDenen bereitet hat, <strong>die</strong> ihn lieben, so <strong>über</strong>ragtweit mehr noch er selbst, der Gott desFrie<strong>den</strong>s, der Urheber aller Dinge unsereVernunft im vollsten Maaße. Wir sollendaher mit Glauben und Frömmigkeit Allesbeginnen; und wenn d<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Sprache sichunfähig fühlt, ihren Ausdrücken <strong>die</strong> rechteTiefe zu geben, d<strong>an</strong>n wollen wir g<strong>an</strong>z besonders <strong>den</strong> Herrn preisen, daß wir einenGott haben, <strong>den</strong> unser Verst<strong>an</strong>d und unsereVernunft nimmer zu erfassen vermag. DennVieles, was wir von Gott erkennen,vermögen wir nicht in Wortenauszudrücken, und Vieles re<strong>den</strong> wir vonihm, was wir nicht begreifen; so z. B. wissenwir, daß Gott allgegenwärtig ist; wie aberDas stattfinde, sehen wir nicht ein. Wirwissen, daß eine gewisse unkörperliche Kraft<strong>die</strong> Ursache alles Guten ist, das Wie aberkennen wir nicht. Siehe, wir re<strong>den</strong> undverstehen nicht! Ich sage: Er istallgegenwärtig, aber ich verstehe es nicht; ichspreche: Er ist ohne Anf<strong>an</strong>g, allein ichbegreife es nicht; ich sage: Er hat sein Daseindurch sich selbst, und wiederum weiß ichnicht, wie ich mir Das <strong>den</strong>ken soll. Es gibtnun aber auch Dinge, <strong>die</strong> wir nichtausdrücken können; so z. B. erkennt derVerst<strong>an</strong>d Etwas, wofür ihm jedoch derAusdruck versagt ist. Und damit du dich<strong>über</strong>zeugest, daß hierin auch Paulus nochschwach ist und seine Ausdrucksweise der15Vollendung entbehrt, und damit du selbererbebest und dich nicht weiteren Grübeleienhingibst, so merke auf! Nachdem er ihn Sohngen<strong>an</strong>nt und als Schöpfer hingestellt hat, wasfügt er hinzu? „Welcher, da er der Abgl<strong>an</strong>zfeiner Herrlichkeit und das Ebenbild seinesWesens ist.“ Das aber müssen wir mitfrommem Sinne aufnehmen und allesUnstatthafte davon ausschei<strong>den</strong>. „Abgl<strong>an</strong>z derHerrlichkeit,“ sagt er. Siehe nun, wie er selbstDas versteht, und darum faß’ es auch du so,nämlich: daß er (der Sohn) aus ihm sei, daßer lei<strong>den</strong>sunfähiger Natur, daß er nichtweniger noch geringer sei. Denn es gibtM<strong>an</strong>che, welche dem Ausdrucke „Abgl<strong>an</strong>z“eine abgeschmackte Bedeutung beilegen.Abgl<strong>an</strong>z, sagen sie, hat in sich selber keinenBest<strong>an</strong>d, sondern hat <strong>den</strong> Grund seinesDaseins nur in einem Anderen. Fasse also <strong>die</strong>Sache nicht so auf und leide nicht <strong>an</strong> derKr<strong>an</strong>kheit des Marcellus und des Photinus.Gleich bietet dir Paulus das Mittel, daß dunicht jener Sinnesauffassung verfallest unddich nicht von jener verderblichen Kr<strong>an</strong>kheiterfassen lassest. Was sagt er weiter? „Und das Ebenbild seines Wesens.“ Durch <strong>die</strong>senZusatz zeigt er, daß, wie der Vater in sichselbst ist und besteht und zu seinem Seinund Bestehen keines Anderen bedarf, so derSohn ein Gleiches besitze. Mit <strong>die</strong>sen Wortenwill er hier zeigen, daß keineWesensverschie<strong>den</strong>heit zwischen ihnenbestehe, daß das Ebenbild neben demUrbilde Selbstbest<strong>an</strong>d habe undselbstwesenhaft sei. Nachdem er oben gesagthat, daß Gott durch ihn Alles erschaffen hat,spricht er ihm hier <strong>die</strong> Selbstherrschaft zu.Denn was fügt er bei? „Da er durch das WortAlles trägt;“ damit wir daraus nicht nur <strong>die</strong>Ebenbildlichkeit der Wesenheit entnehmen,sondern auch <strong>die</strong> Selbstmacht, womit erAlles regiert. Sieh’ also, wie er Das demSohne zueignet, was dem Vatereigenthümlich zugehört! Darum sagt er auchnicht einfach: „Da er Alles trägt,“ noch auch:


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>„durch seine Kraft,“ sondern: „durch das Wortseiner Kraft.“ Denn wie wir ihn früherallmählig sich erheben und wiederherabsteigen sahen, so steigt er auch jetztstufenweise hinauf und wieder herab, indemer spricht: „Durch <strong>den</strong> er auch <strong>die</strong> Welt gemachthat.“ Siehe, wie er auch hier zwei Wegeeinschlägt! Er will uns nämlich von <strong>den</strong>Neuerungen des Sabellius und Arius, von<strong>den</strong>en der Eine <strong>den</strong> Unterschied der Personaufhebt, der Andere <strong>die</strong> eine Natur in eineUngleichheit zertrennt, ferne halten undwiderlegt alle Beide vortrefflich. Wie machter Das? Fortwährend bespricht er Eins undDasselbe, damit m<strong>an</strong> nicht glaube, er habekeinen Daseinsursprung, noch auch, er seiverschie<strong>den</strong>er Natur mit Gott dem Vater.Und staune nicht <strong>über</strong> <strong>die</strong>se Rede, meinLieber! Denn wenn nach einer solchenBeweisführung <strong>den</strong>noch M<strong>an</strong>che behauptethaben, er sei <strong>an</strong>derer Natur, und ihm einen<strong>an</strong>deren Vater gegeben haben, mit dem er imStreite stehe: was wür<strong>den</strong> Diese von ihm erstausgesagt haben, wenn Paulus Dieß allesnicht mitgetheilt hätte? Wenn er nungezwungen ist, zu heilen, d<strong>an</strong>n ist er auchgenöthigt, Niedriges auszusagen, wie er z. B.sich ausdrückte: „Den er zum Erben des Allgesetzt,“ und: „Durch <strong>den</strong> er <strong>die</strong> Weltgemacht hat.“ Und damit er<strong>an</strong>dererseits nicht verletze, so erhebt er ihn,nachdem er Niedriges von ihm ausgesagthatte, wieder auf <strong>die</strong> Stufe der höchstenWürde und zeigt, daß er mit dem Vatergleichgeehrt und zwar so gleichgeehrt sei,daß Viele der Ansicht waren, er sei der Vaterselbst. Betrachte aber seine große Klugheit.Vorerst beweist er, und zwar mit Schärfe undGründlichkeit, daß er Sohn Gottes und vonDiesem keineswegs verschie<strong>den</strong>er Natur sei;und nachdem Dieß gezeigt wor<strong>den</strong>, sprichter in der Folge jegliches Hohe, was er nurimmer will. Und da er, weil er Großes vonihm ausgesagt hat, Viele zu jener Ansichtver<strong>an</strong>laßte, so stellt er zuerst Niedriges hin16und steigt d<strong>an</strong>n mit Sicherheit zu jeglicherHohe empor. Nachdem er gesagt hat:„Welchen er zum Erben des All gesetzt,“ unddaß er durch ihn <strong>die</strong> Welt gemacht hat, fügter hinzu: „Da er durch das Wort seiner KraftAlles trägt;“ <strong>den</strong>n wer mit dem bloßen WorteAlles regiert, wird auch Niem<strong>an</strong>desbedürfen, um Alles zu St<strong>an</strong>de zu bringen.II.Daß Dieß sich also verhalte, erkenne aus demVerlaufe der Rede, worin er ihm <strong>die</strong>Selbstmacht zuschreibt und auch <strong>die</strong> Worte:„durch welchen“ beseitigt. Denn nachdem erdurch <strong>die</strong>se Worte, was er wollte, erreichthat, ist im Folgen<strong>den</strong> keine weitere Rededavon, sondern es heißt: „Du hast imAnf<strong>an</strong>g, o Herr, <strong>die</strong> Erde gegründet, und <strong>die</strong>Werke deiner Hände sind <strong>die</strong> Himmel.“Nirgends fin<strong>den</strong> sich hier <strong>die</strong> Worte: „durchwelchen“, noch daß er durch ihn <strong>die</strong> Weltgemacht hat. Wie aber? Ist sie <strong>den</strong>n von ihmnicht gemacht? Allerdings, aber nicht, wie dusprichst oder vermuthest, daß er nämlich alsWerkzeug ge<strong>die</strong>nt, oder daß er sie nichtgemacht haben würde, falls ihm nicht derVater <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d gereicht hätte. Denn so wiejener Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> richtet, und geschriebensteht, daß er durch <strong>den</strong> Sohn richte, weil er<strong>die</strong>sen als Richter gezeugt hat, so heißt esauch, er erschaffe durch ihn <strong>die</strong> Welt, weil erihn als Weltschöpfer gezeugt hat. Wennnämlich er selbst <strong>den</strong> Grund des Daseins imVater hat, um wie viel mehr <strong>die</strong> Dinge,<strong>die</strong> durch ihn gewor<strong>den</strong> sind! Wenn er nunzeigen will, daß er vom Vater ist, so sprichter nothwendig Unerhabenes aus; will er aberErhabenes mel<strong>den</strong>, so greifen Das Marcellusund Sabellius gierig auf; allein <strong>die</strong> AbirrungBeider vermeidet <strong>die</strong> Kirche und hält <strong>den</strong>Mittelweg inne, indem sie weder bei demUnerhabenen stehen bleibt, damit nichtPaulus von Samosata Bo<strong>den</strong> gewinne, noch


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>immer bei dem Hohen verweilt, sondernneuerdings dessen niedere Seite zeigt, damitSabellius sich nicht wieder geltend mache. Ersagte: „Sohn“, und alsbald stützte sichPaulus von Samosata darauf mit derBehauptung, er sei ein Sohn wie <strong>die</strong> vielen<strong>an</strong>deren; allein der Apostel versetzt ihmeinen gemessenen Schlag, indem er <strong>den</strong> Sohneinen „Erben“ nennt. Aber er (Paulus vonSamosata) und Arius verharren in ihrerUnverschämtheit, indem Beide <strong>den</strong>Ausdruck: „Er hat ihn zum Erben gesetzt“festhalten, woraus Jener <strong>den</strong> Beweis derSchwäche führen, Dieser aber seinen Kampfauch noch gegen das Folgende fortsetzenwill. In <strong>den</strong> Worten: „Durch <strong>den</strong> er auch <strong>die</strong>Welt gemacht hat“ hat Paulus jenenschamlosen Samosatener g<strong>an</strong>z und gar zuBo<strong>den</strong> gestreckt; Arius aber scheint nochKampfeskraft zu besitzen. Aber siehe, wie erauch Diesen durch <strong>die</strong> Worte: „Welcher, da erder Abgl<strong>an</strong>z seiner Herrlichkeit ist,“darniederwirft! Allein es rüsten sich wiederzum Anlauf Sabellius, Marcellus undPhotinus; jedoch auch Diesen allen versetzter einen einzigen Schlag, indem er spricht:„Und das Ebenbild seines Wesens, welcher durchdas Wort feiner Kraft Alles trägt.“ Hier versetzter auch wieder dem Marcion einen wennauch nicht sehr kräftigen Streich, jedoch ertrifft ihn; <strong>den</strong>n durch <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen <strong>Brief</strong>streitet er gegen sie. Allein wie ich schongesagt habe, nennt er <strong>den</strong> Sohn <strong>den</strong> „Abgl<strong>an</strong>zseiner Herrlichkeit“. Daß <strong>die</strong>se Bezeichnungeine zutreffende sei, erschließe aus <strong>den</strong>Worten Christi, <strong>die</strong> er von sich selberaussagt: „Ich bin das Licht der Welt.“ 46Darum n<strong>an</strong>nte er ihn aber „Abgl<strong>an</strong>z“, um zuzeigen, daß er auch dort so gen<strong>an</strong>nt sei, undzwar offenbar als ein Licht vom Lichte. Abernicht allein Das wird gezeigt, sondern daß erauch unsere Seelen erleuchtet hat. Durch <strong>den</strong>Ausdruck „Abgl<strong>an</strong>z“ aber zeigt er <strong>die</strong>Gleichheit der Wesenheit mit dem Vater undsein nahes Verhältniß zu ihm. Betrachte, wiescharfsinnig Das ausgedrückt ist! Er nimmteine Wesenheit und eine Person, um zweiPersonen zur Vorstellung zu bringen, was erauch in Bezug auf <strong>die</strong> Erkenntniß desheiligen Geistes thut. Denn wie er sagt, daßnur eine Erkenntniß des Vaters und desheiligen Geistes sei, <strong>die</strong> thatsächlich nur eineund ohne alle Verschie<strong>den</strong>heit ist: so hat erauch hier nur eine Bezeichnung gewählt, umzwei Wesenheiten zu zeigen. Ferner fügt erbei: „und Ebenbild;“ <strong>den</strong>n das Ebenbild ist ein<strong>an</strong>deres neben dem Urbilde, aber es ist nichtg<strong>an</strong>z und gar ein <strong>an</strong>deres, sondern nur nebendem Urbilde, da <strong>den</strong>n auch hier <strong>die</strong>Bezeichnung „Ebenbild“ nicht nur keineVerschie<strong>den</strong>heit mit dem Urbilde, sondernvielmehr eine allseitige Ähnlichkeit zeigt. Daer ihn nun gar „Gestalt und Ebenbild“ nennt,was wer<strong>den</strong> sie sagen? „Der Mensch ist jaauch ein Bild,“ heißt es. 47 Wie aber? etwa sowie der Sohn? Keineswegs; <strong>den</strong>n ein Bildzeigt noch keine Wesensähnlichkeit. Und dochwird der Mensch nur insoferne ein Bildgen<strong>an</strong>nt, als er eine Ähnlichkeit mit ihmzeigt, wie sie im Menschen stattfin<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n.Denn was Gott im Himmel ist, Das ist derMensch auf der Erde, nämlich in Bezug auf<strong>die</strong> Herrschaft; und wie <strong>die</strong>ser <strong>über</strong> Alles aufder Erde gebietet, so regiert Gott Alles imHimmel und auf der Erde. Übrigens wird derMensch nicht Abbild, nicht Abgl<strong>an</strong>z, nichtGestalt gen<strong>an</strong>nt, was <strong>die</strong> Wesenheit oderauch <strong>die</strong> Wesensähnlichkeit <strong>an</strong>zeigt. Wie nun<strong>die</strong> Gestalt des Menschen nichts Anderes erkennen läßt als einen natürlichenMenschen, so zeigt auch <strong>die</strong> Gestalt Gottesnichts Anderes als Gott. - „Welcher, da er derAbgl<strong>an</strong>z seiner Herrlichkeit ist;“ - siehe, wasPaulus thut! Den Worten: „Welcher, da er derAbgl<strong>an</strong>z seiner Herrlichkeit ist,“ fügt er wiederhinzu: „sitzet zur Rechten der Majestät.“ Siehe,46 Joh 8,121747 Gen 1,26


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>welche Bezeichnungen er gebraucht, da er<strong>den</strong> Namen der Wesenheit selbst nirgendsgefun<strong>den</strong>! Denn weder der Name „Majestät“noch <strong>die</strong> Bezeichnung „Herrlichkeit“ könnenausdrücken, was er sagen will; <strong>den</strong>(eigentlichen) Namen findet er nicht. DennDas ist es ja, was ich Anf<strong>an</strong>gs gesagt, daß wirnämlich oft Etwas erkennen, wofür uns <strong>die</strong>Bezeichnung abgeht. Denn weder ist derAusdruck Gott der Name seiner Wesenheit,noch ist <strong>über</strong>haupt für <strong>die</strong>se Wesenheit einName zu fin<strong>den</strong>. Und was Wunder, daßDieses bei Gott der Fall ist, da wohlschwerlich Jem<strong>an</strong>d einen Namen zu fin<strong>den</strong>vermöchte, der geeignet wäre, das Weseneines Engels zu erklären, vielleicht nichteinmal das Wesen einer Seele (ψυχή); <strong>den</strong>n<strong>die</strong>ser Ausdruck scheint mir nicht passend,um das Wesen darzustellen, sondern dasAthmen (ψύχειν) zu bezeichnen; <strong>den</strong>n fürSeele findet m<strong>an</strong> ja auch <strong>die</strong> BezeichnungenHerz und Sinn gebraucht. „Schaffe, o Gott,ein reines Herz in mir!“ heißt es. 48 Aber nichtallein Das; m<strong>an</strong> findet auch <strong>an</strong> vielen Stellen<strong>die</strong> Seele Geist gen<strong>an</strong>nt. „Welcher Alles durchdas Wort seiner Kraft trägt.“ Siehst du, was ersagt?III.Wie k<strong>an</strong>nst du nun, sage mir, Häretiker, <strong>die</strong>Behauptung aufstellen, daß nach <strong>den</strong> Wortender Schrift: „Gott sprach: Es werde Licht!“der Vater befohlen, der Sohn <strong>den</strong> Befehlausgeführt habe? Sieh’ aber, auch hier wirkteer durch das Wort! - „Welcher,“ heißt es,„Alles trägt,“ d. h. Alles regiert und es vordem Verfalle bewahrt; <strong>den</strong>n nichtgeringer ist <strong>die</strong> Erhaltung der Welt als <strong>die</strong>Erschaffung, ja um noch Erstaunlicheres zusagen, sie ist noch mehr. Denn erschaffen heißtaus Nichts Etwas in’s Dasein rufen; dasGewor<strong>den</strong>e (<strong>die</strong> Geschöpfe) aber vor demZerfalle bewahren und zusammenhalten unddas Widerstrebende harmonisch mitein<strong>an</strong>der verbin<strong>den</strong>. Das ist groß undwunderbar und das Zeichen einer gewaltigenMacht. Um aber <strong>die</strong> Leichtigkeit <strong>an</strong>zudeuten,sagt er nicht: „welcher regiert,“ sondern:„welcher trägt,“ nach Ähnlichkeit Derer,welche Etwas einfach mit dem Fingerbewegen und machen, daß es sich dreht. Hierzeigt er auch, daß der Umf<strong>an</strong>g der Schöpfunggroß, und daß das Große ihm Nichts sei.Ferner zeigt er in dem Ausdruck: „durch dasWort seiner Macht“, daß Alles ohne Mühegeschehe. Schön sagt er: „durch das Wort;“<strong>den</strong>n da das Wort bei uns schwach zu seinscheint, zeigt er, daß Dieß bei Gott nicht soder Fall sei. Aber er sagt, daß er durch dasWort trage; wie er aber durch das Wort trage,fügt er nicht bei; <strong>den</strong>n Das ist unmöglich zuwissen. Darnach spricht er von der Majestät.So macht es auch <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong>; <strong>den</strong>n nachdem ergesagt, daß er Gott sei, fügt er hinzu, er seider Schöpfer der Welt; <strong>den</strong>n was Jener in <strong>den</strong>Worten <strong>an</strong>deutet: „Im Anf<strong>an</strong>g war das Wort“und: „Alles ist durch ihn gemacht wor<strong>den</strong>,“ 49Das zeigt Dieser in <strong>den</strong> Worten: „Durch <strong>den</strong>er auch <strong>die</strong> Welt schuf;“ <strong>den</strong>n er zeigt, daß ersowohl Weltschöpfer, als auch vor allenZeiten da war. Wie nun, wenn der Prophetvom Vater spricht: „Von Ewigkeit zuEwigkeit bist du,“ 50 k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n vom Sohnegesagt wer<strong>den</strong>, daß er vor allen Zeiten da seiund das All erschaffen habe? Mehr noch:Was vom Vater gesagt wurde, der vor allerZeit da ist, sollte m<strong>an</strong> Das auch vom Sohnegesagt fin<strong>den</strong>? Und wie Jener (<strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong>)sagt: „Er war das Leben,“ um <strong>an</strong>zudeuten,daß er <strong>die</strong> Schöpfung erhält, weil erselbst das Leben von Allem ist, so sagt auchDieser: „Welcher Alles trägt durch das Wortseiner Macht,“ im Gegensatz zu <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>,welche, sofern es auf sie <strong>an</strong>kommt, ihm <strong>die</strong>48 Ps 50,121849 Joh 1,1. 350 Ps 89,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Erschaffung der Dinge und <strong>die</strong> Fürsehungabsprechen und seine Macht bis zum Mondhin beschränken. - „Nachdem er uns vonSün<strong>den</strong> gereiniget hat.“ Nachdem er <strong>über</strong> jenebewunderungswürdigen großen Wahrheiten,<strong>die</strong> so erhaben sind, gesprochen, redet erauch <strong>über</strong> seine Fürsorge um <strong>die</strong> Menschen.Jene Worte: „Welcher Alles trägt“ haben aucheinen weitumfassen<strong>den</strong> Inhalt, aber <strong>die</strong>sebesagen viel mehr; auch sie haben <strong>den</strong> Sinnder Allgemeinheit, <strong>den</strong>n seinerseits hat erAlle erlöst. Dasselbe zeigt auch <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong>.Nachdem er durch <strong>die</strong> Worte: „Er war dasLeben“ seine Fürsehung klar gemacht hatte,sagt er wieder: „Und er war das Licht,“wodurch er Dasselbe klarmacht. „Nachdem eruns,“ sagt er, „durch sich selbst 51 von Sün<strong>den</strong>gereiniget hat, sitzt er zur Rechten der Majestätin der Höhe.“ Hier gibt er zwei sehr wichtigeZeugnisse seiner Fürsorge <strong>an</strong>: daß er uns vonSün<strong>den</strong> gereiniget hat, und daß er Dießdurch sich selber geth<strong>an</strong>. Und <strong>an</strong> vielenStellen findet m<strong>an</strong> ihn es rühmendhervorheben, daß wir nicht nur mit Gottausgesöhnt wur<strong>den</strong>, sondern auch, daß Dießdurch <strong>den</strong> Sohn geschah; <strong>den</strong>n das ohnehinso große Geschenk habe dadurch einen umso größeren Werth, weil es durch <strong>den</strong> Sohnzu Theil ward. Denn nach <strong>den</strong> Worten: „Ersitzet zur Rechten“ und: „Nachdem er uns durchsich selbst von Sün<strong>den</strong> gereiniget hat,“ wodurcher <strong>an</strong> das Kreuz erinnerte, lenkt er <strong>die</strong> Redegleich auf <strong>die</strong> Auferstehung und <strong>die</strong>Himmelfahrt. Betrachte aber seineunaussprechliche Klugheit. Er sagt nicht: „Eswurde ihm zu sitzen befohlen,“ sondern: „Ersitzt. D<strong>an</strong>n wieder, damit du nicht wähnest,er stehe, fügt er bei: „Denn zu welchem derEngel hat er je gesagt: Setze dich zumeiner Rechten?“ 52 „Er sitzet,“ sagt er, „zurRechten der Majestät in der Höhe.“ Was heißtDas: „in der Höhe“? Beschränkt er Gott aufeinen Ort? Mit nichten. Eine solche Meinung51 Δἰ ἑαυτοῦ - griechischer Beisatz52 So Chrysostomus; Paulus (V. 5) drückt sich <strong>an</strong>ders aus.19hat er in uns durch <strong>die</strong>se Sprache keineswegserwecken wollen, sondern wie er durch <strong>die</strong>Worte: „zur Rechten“ ihm nicht eine Haltunggegeben, sondern gezeigt hat, daß er gleicheEhre wie der Vater genieße, so hat er auch,indem er sich des Ausdruckes: „in der Höhe“be<strong>die</strong>nte, ihn nicht dort eingeschlossen,sondern erklärt, daß er <strong>über</strong> Alles erhaben seiund Alles <strong>über</strong>treffe, als ob er sagte: Selbstauf <strong>den</strong> väterlichen Thron ist er gekommen.Wie also der Vater in der Höhe ist, so aucher; <strong>den</strong>n der Sitz zeigt nichts Anderes <strong>an</strong> als<strong>die</strong> gleiche Ehre. Wenn sie aber sagen, erhabe gesprochen: „sitze“, so fragen wir sie,was nun? Hat er <strong>den</strong>n zu ihm so gesprochen,da er st<strong>an</strong>d? Das wer<strong>den</strong> sie nichtnachweisen können. Übrigens heißt es nicht,daß er befohlen oder beauftragt, sondern daßer gesprochen habe: „sitze“, und Dieß auskeinem <strong>an</strong>deren Grund, als damit du nichtglaubest, er habe keinen Daseinsursprungund keinen Daseinsgrund. Daß er deßhalb sogesprochen, ist klar aus dem Orte desSitzens. Denn hätte er sagen wollen, er seigeringer, so würde er nicht gesprochenhaben: „zur Rechten“, sondern: „zur Linken“.4. Der um soviel besser als <strong>die</strong> Engelgewor<strong>den</strong>, je vorzüglicher der Name ist,<strong>den</strong> er vor ihnen ererbt hat.Der Ausdruck „gewor<strong>den</strong>“ steht hier, wie m<strong>an</strong>sich etwa ausdrücken könnte, für „erklärt“; 53d<strong>an</strong>n erhärtet er Das. Woher? VomNamen. Siehst du, daß der Name Sohn <strong>die</strong>wahre Abstammung zu bezeichnen sicheignet? Und fürwahr, wenn er nichtwirklicher Sohn wäre, würde er nicht sogesprochen haben. Warum? Weil er durchnichts Anderes wirklicher Sohn ist, als weiler aus ihm sein Dasein hat. Daher nimmt eralso <strong>den</strong> Beweis. Denn wäre er Sohn nur ausGnade, so wäre er nicht nur nichtvorzüglicher, sondern noch geringer als <strong>die</strong>53 ἀποδειχϑείς, von ἀποδείϰνυμι - vorziehen, aufweisen, ernennen, erklären.Montfaucon <strong>über</strong>setzt es mit „declaratus vel demonstratus“, Muti<strong>an</strong>usScholast. mit „susceptus“.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Engel. Wie so? Weil auch gerechte Männer„Söhne“ gen<strong>an</strong>nt wur<strong>den</strong>, und der Name„Sohn“, wenn er nicht wirklicher Sohn ist,keinen Vorzug zu bezeichnen vermag. Undindem er darthut, daß zwischen <strong>den</strong>Geschöpfen und dem Schöpfer einUnterschied sei, höre, was er sagt:5. Denn zu welchem der Engel hat er jegesprochen: Du bist mein Sohn, heute habeich dich gezeugt? Und wiederum: Ich werdeihm Vater, und er wird mir Sohn sein.Dieß ist auch in Bezug auf seineMenschheit gesagt; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Worte: „Ichwerde ihm Vater, und er wird mir Sohn sein,“bezeichnen treffend <strong>die</strong> Menschwerdung;<strong>die</strong> Worte aber: „Mein Sohn bist du“besagen nichts Anderes, als daß er aus ihmdas Dasein hat. Wie aber das Wort „sein“sehr passend von der Gegenwart gebrauchtwird, so scheint mir auch der Ausdruck„heute“ in Bezug auf <strong>die</strong> Menschheitgesprochen zu sein. Denn wenn er daraufzu re<strong>den</strong> kommt, bespricht er Alles ohneÄngstlichkeit; es nimmt ja auch <strong>die</strong>Menschheit <strong>an</strong> der Erhabenheit Theil wie<strong>die</strong> Gottheit <strong>an</strong> der Niedrigkeit; <strong>den</strong>n Gotthat es nicht verschmäht, Mensch zu wer<strong>den</strong>;und hat er <strong>die</strong> Sache nicht ausgeschlagen,wie sollte er <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Worte verschmähen?IV.Da wir Das wissen, wollen wir in Nichts unsschämen und nicht hochmüthig sein. Dennwenn er selbst, der da Gott und Herr undGottes Sohn ist, es nicht verschmäht hat, Knechtesgestalt <strong>an</strong>zunehmen, sollen wirum so mehr Alles gerne thun, und sei es auchnoch so gering. Denn woher, sprich, oMensch, fassest du stolze Ged<strong>an</strong>ken? Ausdem irdischen? Das ist, kaum erschienen,auch schon wieder verschwun<strong>den</strong>. Oder ausdeinen geistigen Vorzügen? Aber auch Dasgehört zur Tüchtigkeit des Geistes, nicht20hochmüthig zu sein. Oder bildest du dirEtwas ein auf deine Rechtschaffenheit? Höre,was Christus spricht: „Wenn ihr Alles geth<strong>an</strong>habt, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte,<strong>den</strong>n wir haben nur unsere Schuldigkeitgeth<strong>an</strong>.“ 54 Oder bläht dein Reichthum dichauf? Sage mir doch, warum? Hast du nichtgehört, daß wir nackt in <strong>die</strong>ses Lebeneingeg<strong>an</strong>gen und auch nackt wieder ausdemselben schei<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>? Ja noch mehr.Siehst du nicht, daß Diejenigen, welche vordir gelebt, nackt von hinnen geg<strong>an</strong>gen? Wersoll nun im Besitze fremder Güterhochmüthig sein? Denn Diejenigen, welchesie nur zum eigenen Genusse verwen<strong>den</strong>wollen, verlieren sie auch wider Willen, oftnoch vor ihrem Lebensende, im Tode g<strong>an</strong>zsicher. Aber sol<strong>an</strong>ge wir leben, sagt m<strong>an</strong>,gebrauchen wir sie doch nach Belieben.Schwerlich dürfte sich Jem<strong>an</strong>d fin<strong>den</strong>, der sieso bald nach Wunsch gebrauchen könnte,und vermöchte er auch, sie nach Belieben zuverwen<strong>den</strong>, so ist auch Das noch nichtsGroßes; <strong>den</strong>n kurz ist <strong>die</strong>se Zeit imVergleiche mit der endlosen Ewigkeit. Dubist hochmüthig, o Mensch! weil duwohlhabend bist? Warum <strong>den</strong>n? Das könnenauch Räuber sein und Diebe und Mörder undWeichlinge und Hurer und alle schlechtenMenschen. Warum bist du nun stolz? Wenndu nämlich <strong>den</strong> Reichthum pflichtmäßigverwendest, so darfst du nicht hochmüthigsein, damit du nicht das Gebot <strong>über</strong>tretest;verwendest du ihn aber auf pflichtwidrigeWeise, so sollst du eben darum nochdemüthiger sein, weil du ein Sklave von Geldund Gut gewor<strong>den</strong> und unter derenHerrschaft schmachtest. Denn sage mir:wenn ein Fieberkr<strong>an</strong>ker viel Wasserhinunterstürzte, das für <strong>den</strong> Augenblick <strong>den</strong>Durst löschte, später aber <strong>die</strong> Fieberflammevermehrt, sollte sich <strong>die</strong>ser darauf Etwaseinbil<strong>den</strong>? Wie aber, wenn du dir nun gar54 Lk 1,10


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>viele thörichte Sorgen machst, sollte Dasdeinen Sinn aufblähen? Warum? Sprich! Weildu viele Gebieter hast? weil dich tausendSorgen quälen? weil dir Viele schmeicheln?Das ist aber Knechtschaft. Damit du abereinsehest, daß du ein Sklave bist, so höreaufmerksam zu! Die <strong>an</strong>dern Lei<strong>den</strong>schaften,<strong>die</strong> sich in uns regen, sind zuweilen nützlich,wie der Zorn nicht selten es ist, <strong>den</strong>n es heißt:„Ein ungerechter Zorn wird nicht ohne Strafesein,“ 55 woraus folgt, daß es auch einengerechten Zorn gibt. Und wiederum: „Werseinem Bruder ohne Grund zürnt, wird derHölle schuldig sein.“ 56 Ferner können derWetteifer und <strong>die</strong> Begierde gut sein; letzterenämlich, wenn sie sich <strong>die</strong> Kindererzeugungzum Ziele setzt, <strong>die</strong>ser aber, wenn erWetteifer im Guten ist; wie auch Paulus sagt:„Der Eifer im Guten ist allzeit gut;“ 57 undwiederum: „Strebet <strong>an</strong> <strong>die</strong> besserenGna<strong>den</strong>gaben!“ 58 Beide also sind nützlich;<strong>die</strong> Tollkühnheit aber ist nirgendsersprießlich, sondern <strong>über</strong>all unnütz undschädlich. Will aber Jem<strong>an</strong>d stolz sein, so seier stolz auf <strong>die</strong> Armuth, nicht auf <strong>den</strong>Reichthum! Warum? Weil Derjenige, welchermit Wenigem zu leben vermag, viel größerund besser ist, als wer Das nicht k<strong>an</strong>n.V.Denn sage mir, wenn Etliche in einekönigliche Stadt gerufen wür<strong>den</strong>, und <strong>die</strong>Einen weder Zugthiere noch Dienerschaftnoch Zelte noch Herberge noch Schuhe nochGeräthe nöthig hatten, sondern es ihnengenügte, nur Brod zu haben und Wasser ausder Quelle zu schöpfen; <strong>die</strong> Andern abersagten: Wenn ihr uns nicht Fahrzeuge gebtund ein weiches Lager, so können wir hier55 Ekkli 1, 2256 Mt 5,2257 Gal 4,1858 1 Kor 12,3121nicht wohnen, und wenn wir keinzahlreiches Gefolge haben und nicht fortwährend in behaglicher Ruhe lebenkönnen, so ist’s uns unmöglich, zu bleiben.Auch muß m<strong>an</strong> uns ein Gesp<strong>an</strong>n zurVerfügung stellen und durch einen kleinenTheil des Tages einen Spazierg<strong>an</strong>gvergönnen und noch vieles Andere: - welchemöchten wir wohl bewundern? Diese oderJene? Offenbar Diejenigen, welche keineBedürfnisse haben. So ist es auch hier. Diesehaben auf ihrem Wege durch’s Leben Vieles,Jene aber Nichts nöthig, so daß, wenn<strong>über</strong>haupt ein Stolz stattfin<strong>den</strong> sollte, m<strong>an</strong>seinen Ruhm in der Armuth suchen müßte.Aber der Arme ist verächtlich, sagt m<strong>an</strong>.Nicht der Arme, sondern Diejenigen, <strong>die</strong> ihnwegwerfend beh<strong>an</strong>deln. Denn wie sollte ichnicht Jene verachten, <strong>die</strong> es nicht verstehen,Achtung zu zollen, wem Achtung gebührt?Wird ja auch ein Maler <strong>die</strong> unwissen<strong>den</strong>Spötter verlachen und sich keineswegs <strong>an</strong> ihrGeschwätz kehren, sondern in seinemSelbstbewußtsein seine Zufrie<strong>den</strong>heit fin<strong>den</strong>.Sollten nun wir uns von dem Urtheile desgroßen Haufens abhängig machen? Wie wäreDas verzeihlich? Darum ver<strong>die</strong>nen wirverachtet zu wer<strong>den</strong>, wenn wir Diejenigen,<strong>den</strong>en wir wegen unserer Armuthverächtlich erscheinen, nicht geringschätzenund nicht als erbärmliche Menschen <strong>an</strong>sehenwollten. Ich will es unterlassen, zu sagen, wieviele Sün<strong>den</strong> aus dem Reichthum entstehen,wie viel Gutes <strong>die</strong> Armuth erzeugt; jedochsind weder Reichthum noch Armuth <strong>an</strong> sichetwas Gutes, es kommt nur darauf <strong>an</strong>,welchen Gebrauch m<strong>an</strong> davon macht. Für<strong>den</strong> Christen ist <strong>die</strong> Armuth eine größereQuelle des Ruhmes als der Reichthum. Wieso? Wer in Armuth lebt, wird demüthiger,besonnener und gemessener, beschei<strong>den</strong>erund verständiger sein; wer aber imReichthume sitzt, findet dagegen vieleHindernisse. Besehen wir uns einmal <strong>die</strong>Werke, welche der Reiche vollbringt oder


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>vielmehr Derjenige, welcher vom Reichthumeinen schlechten Gebrauch macht. EinSolcher raubt, <strong>über</strong>vortheilt, übtGewalthätigkeit. Was weiter? Wirst du nichtfin<strong>den</strong>, daß <strong>die</strong> sündhaften Liebeshändel und<strong>die</strong> zügellosen Fleischesgelüste und <strong>die</strong>Zauberei und <strong>die</strong> Giftmischerei und alle <strong>an</strong>deren Schlechtigkeiten aus demReichthum entsprießen? Siehst du, daß esleichter ist, in der Armuth <strong>die</strong> Tugend zuüben als im Reichthum? Denn wähne j<strong>an</strong>icht, daß <strong>die</strong> Reichen, wenn sie auch hierungestraft bleiben, sich keiner Vergehenschuldig machen; wäre es nämlich leicht, sie(nach Gebühr) zu bestrafen, so würde m<strong>an</strong><strong>die</strong> Gefängnisse davon <strong>an</strong>gefüllt fin<strong>den</strong>. Aberzu <strong>den</strong> <strong>an</strong>deren Übeln gesellt sich für <strong>den</strong>Reichen auch Dieses, daß er im Besitze seinerGeldmacht seine Schlechtigkeiten ungestraftausübt und von feinen bösen Thaten nichtabsteht; daß er Wun<strong>den</strong> empfängt ohne <strong>die</strong>Heilmittel und Niem<strong>an</strong>d ihm einen Zügel<strong>an</strong>legt. Wollte sich aber Jem<strong>an</strong>d bemühen, sowürde er fin<strong>den</strong>, daß <strong>die</strong> Armuth auchvielfache Mittel zum Vergnügen darbietet.Wie <strong>den</strong>n? Weil sie von Sorgen, von Haß,Kampf, Streitsucht, Zwist und zahllosenbösen Dingen befreit ist. Jagen wir darumdem Reichthum nicht nach und benei<strong>den</strong> wirnicht immer Die, welche Vieles besitzen!Haben wir aber Glücksgüter, so wollen wir<strong>die</strong>selben, wie es Pflicht ist, gebrauchen; sindsie uns aber versagt, so sollen wir unsdar<strong>über</strong> nicht grämen, sondern wir wollen inAllem Gott loben, daß er es uns möglichgemacht, bei weniger Mühe <strong>den</strong>selben Lohnwie <strong>die</strong> Reichen oder noch einen größeren,wenn wir wollen, zu gewinnen, undGeringes wird für uns <strong>die</strong> Quelle großerVortheile sein; <strong>den</strong>n auch Derjenige, der zweiTalente gebracht, wurde gleichen Lobes undgleicher Ehre theilhaftig wie Der, welcherfünf vorgelegt hat. Warum? Weil Jener, demzwei Talente <strong>an</strong>vertraut waren, Alles, was <strong>an</strong>ihm lag, erfüllt und das Empf<strong>an</strong>gene22verdoppelt zurückgebracht hat. Was beeifernwir uns <strong>den</strong>n, Vieles in Verwaltung zubekommen, da es uns möglich ist, ausWenigem <strong>den</strong> gleichen, ja noch größerenNutzen zu ziehen, da <strong>die</strong> Arbeit geringer, derLohn aber reichlicher ist? Auch wird derArme von Dem, was er hat, leichter sichtrennen als der Reiche, welcher viele undgroße Schätze besitzt. Oder wisset ihr nicht,daß, je mehr Reichthümer Jem<strong>an</strong>dzusammengerafft, desto mehr derselbenersehnt? Damit uns also Das nicht begegne, wollen wir nicht nach Reichthumhaschen, nicht verdrießlich <strong>die</strong> Armuthertragen, nicht nach irdischen Schätzenschmachten, sondern was wir etwa besitzen,nach der Vorschrift des heiligen Paulusgebrauchen, der da spricht: „Welche haben,als hätten sie nicht, und welche <strong>die</strong>se Weltgebrauchen, als gebrauchten sie <strong>die</strong>selbenicht,“ 59 damit wir der verheißenen Gütertheilhaftig wer<strong>den</strong> durch <strong>die</strong> Liebe undBarmherzigkeit (Gottes). Dritte Homilie.I.6. 7. 8. Und wenn er <strong>den</strong> Erstgebornenabermal in <strong>die</strong> Welt einführt, spricht er: Essollen ihn <strong>an</strong>beten alle Engel Gottes. - Undin Hinsicht auf <strong>die</strong> Engel sagt er: Er machtseine Engel zu Win<strong>den</strong> und seine Diener zuFeuerflammen; - aber zum Sohne spricht er:Dein Thron, o Gott, steht immer und ewig.Unser Herr Jesus Christus nennt seineAnkunft im Fleische Ausg<strong>an</strong>g, wie er auchspricht: „Ein Saem<strong>an</strong>n ging aus, zu säen;“ 60und wieder: „Ich bin von meinem Vaterausgeg<strong>an</strong>gen und komme.“ 61 Dieß k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong><strong>an</strong> vielen Stellen so fin<strong>den</strong>. Paulus aber nennt59 1 Kor 7, 9.31 260 Mt 13,361 Joh 16,28


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>die</strong>selbe Eing<strong>an</strong>g, da er schreibt: „Und wenner <strong>den</strong> Erstgebornen abermal in <strong>die</strong> Welteinführt.“ Diese Einführung (Eing<strong>an</strong>g) nennter also <strong>die</strong> Fleisches<strong>an</strong>nahme(Menschwerdung). Warum wird aber für<strong>die</strong>selbe Sache eine verschie<strong>den</strong>eBezeichnung gebraucht und wozu <strong>die</strong>seAusdrucksweise? Das erhellet aus Dem, wasbezeichnet wird; <strong>den</strong>n Christus nennt seineAnkunft mit Recht Ausg<strong>an</strong>g; st<strong>an</strong><strong>den</strong> wir jaferne von Gott. Und gleichwie <strong>an</strong> einemköniglichen Hofe <strong>die</strong> Gef<strong>an</strong>genen undwelche <strong>den</strong> König beleidiget haben, draussenstehen, Derjenige aber, der sie wiederversöhnen will, sie nicht einführt, sondern zuihnen hinausgeht und sich mit ihnenbespricht, bis er sie in eine Verfassungversetzt hat, <strong>die</strong> sie würdig macht, vor dasAngesicht des Königs geführt zu wer<strong>den</strong>: sohat es auch Christus gemacht. Denn er ist zuuns gekommen, d. h. er ist Menschgewor<strong>den</strong>, und nachdem er vollbracht hatte,was ihm von Seite des Königs war auferlegtwor<strong>den</strong>, hat er uns <strong>den</strong> Zutritt geöffnet,indem er uns von Sün<strong>den</strong> reinigte und <strong>die</strong>Versöhnung schenkte. Darum gebraucht er<strong>den</strong> Namen „Ausg<strong>an</strong>g“. Paulus aber sagt„Eintritt“, ähnlich wie m<strong>an</strong> von Erbenspricht, <strong>die</strong> in <strong>den</strong> Besitz des ihnenzugefallenen Vermögens eintreten; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Worte: „Und wenn er <strong>den</strong> Erstgeborenenabermal in <strong>die</strong> Welt einführt“ sollen sovielheißen als: da er ihm <strong>die</strong> Welt <strong>über</strong>gab; <strong>den</strong>nd<strong>an</strong>n wird er <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Welt besitzen, wenner (von Allen) erk<strong>an</strong>nt sein wird. Nicht inBezug auf Gott das Wort sagt er Dieses,sondern in Bezug auf Christus <strong>den</strong>Menschgewor<strong>den</strong>en. Und begreiflich; <strong>den</strong>nwenn er in der Welt war, wie <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong>schreibt, 62 und <strong>die</strong> Welt durch ihn gemachtwurde, wie hätte er <strong>an</strong>ders eingeführtwer<strong>den</strong> können als im Fleische?62 Joh 1,1023„Und es sollen,“ heißt es, „ihn <strong>an</strong>beten alleEngel Gottes.“ Da er etwas Großes undErhabenes sagen will, schickt er eineEinleitung voraus und macht <strong>die</strong> Sachedadurch <strong>an</strong>nehmbar, daß er <strong>den</strong> Sohn durch<strong>den</strong> Vater einführen läßt. Nun merke auf!Oben sagte er, daß er nicht durch Prophetenzu uns geredet habe, sondern durch<strong>den</strong> Sohn; er zeigte, daß der Sohn größer seials <strong>die</strong> Engel, und beweist Dieß aus seinemNamen und indem er sagt, daß der Vater <strong>den</strong>Sohn eingeführt habe. Hier bringt er nocheinen <strong>an</strong>dern Beweisgrund. Welchen? DieAnbetung. Er zeigt, daß <strong>die</strong>se eine solcheErhabenheit verleihe, wie sie der Herr vordem Knechte besitzt. Gerade so, wie wennEiner Jem<strong>an</strong><strong>den</strong> in einen Königspalasteinführen und Alle, <strong>die</strong> dort ein Amt haben,sogleich auffordern würde, demselben zuhuldigen, macht es Paulus auch hier, indemer von der Menschheit spricht, wenn er sagt,daß er in <strong>die</strong> Welt eingeführt werde, und <strong>die</strong>Worte beifügt: „Es sollen ihn <strong>an</strong>beten alle EngelGottes.“ Also nur <strong>die</strong> Engel und nicht auch<strong>die</strong> <strong>an</strong>deren Mächte? Keineswegs; <strong>den</strong>n höre,was folgt: „Und in Hinsicht auf <strong>die</strong> Engel sagter zwar: Er macht seine Engel zu Win<strong>den</strong> undseine Diener zu Feuerflammen; - aber zum Sohnespricht er: Dein Thron, o Gott, steht immer undewig.“Siehe, welch’ ein sehr großer Unterschied!Denn Jene sind erschaffen, Dieser aber istunerschaffen. Und warum hat er in Bezugauf <strong>die</strong> Engel gesprochen: „welcher macht,“ inBezug auf <strong>den</strong> Sohn aber <strong>den</strong> Ausdruck:„welcher macht“ nicht gebraucht? Und dochhätte er auf <strong>die</strong>se Weise <strong>den</strong> Unterschied<strong>an</strong>geben können. In Hinsicht auf <strong>die</strong> Engelsagt er zwar: „Er macht seine Engel zuWin<strong>den</strong>;“ aber in Bezug auf <strong>den</strong> Sohn sprichter: „Der Herr hat mich erschaffen;“ undwieder: „Ihn, <strong>den</strong> Herrn und Christus hatGott erschaffen.“ Aber weder Jenes ist <strong>über</strong>Christus, <strong>den</strong> Herrn und Sohn, noch Dieses<strong>über</strong> Gott das Wort gesagt wor<strong>den</strong>, sondern


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>über</strong> <strong>den</strong> Menschgewor<strong>den</strong>en; <strong>den</strong>n wo er<strong>den</strong> wahren Unterschied <strong>an</strong>geben will, d<strong>an</strong>ennt er nicht nur <strong>die</strong> Engel, sondern alle <strong>die</strong>himmlischen Mächte, welche Gott <strong>die</strong>nen.Siehst du, auf welche Weise und wie deutlicher <strong>die</strong> Geschöpfe und <strong>den</strong> Schöpfer, <strong>die</strong>Diener und <strong>den</strong> Herrn, <strong>den</strong> Erben sowie <strong>den</strong> wirklichen Sohn und <strong>die</strong> Knechteunterscheidet? „Aber zum Sohne spricht er:Dein Thron, o Gott, steht immer und ewig!“Siehe da ein Zeichen königlicher Herrschaft.„Ein Scepter der Gerechtigkeit ist der Scepterdeines Reiches.“ Siehe da ein <strong>an</strong>deres Zeichendes Königthumes! D<strong>an</strong>n spricht er wiedervon ihm in Bezug auf <strong>die</strong> Menschheit:9. „Du hast <strong>die</strong> Gerechtigkeit geliebt unddas Unrecht gehaßt, darum hat dich Gott,dein Gott gesalbt.“Was heißt Das: „dein Gott“? Nachdem ernämlich Erhabenes gesprochen, mildert er’swieder. Hier hat er <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>, <strong>die</strong> Anhängerdes Paulus von Samosata, <strong>die</strong> Ari<strong>an</strong>er, <strong>den</strong>Marcellus, <strong>den</strong> Sabellius und Marciongetroffen. Wie <strong>den</strong>n? Die Ju<strong>den</strong>, indem er ihndoppeltwesenhaft, als Gott und Menschendarstellt; <strong>die</strong> Anhänger des Paulus, nämlichdes von Samosata, indem er hier von seinemewigen Dasein und seiner unerschaffenenWesenheit spricht. Denn als Gegensatz zudem: „Er hat ihn erschaffen“ setzt er <strong>die</strong>Worte: „Dein Thron, o Gott, steht immer undewig.“ Gegen <strong>die</strong> Ari<strong>an</strong>er gilt wiederDasselbe, und weil er nicht Diener nochGeschöpf ist; wär’ er Geschöpf, so wär’ erauch Diener. Gegen <strong>den</strong> Marcellus und <strong>die</strong>Andern sprechen <strong>die</strong> Worte, welche einewesentliche Trennung <strong>die</strong>ser zwei Personenaussprechen. Gegen <strong>die</strong> Marcionisten, weilnicht <strong>die</strong> Gottheit, sondern <strong>die</strong> Menschheitgesalbt wird. Weiter sagt er: „mehr als deineGenossen.“ Welche sollten <strong>die</strong>se Genossenwohl sein, wenn nicht <strong>die</strong> Menschen? Das24heißt: „Christus hat <strong>den</strong> Geist nicht nach demMaaße empf<strong>an</strong>gen.“ 63 II.Siehst du, wie er fortwährend mit der Rede<strong>über</strong> <strong>die</strong> unerschaffene Natur auch <strong>die</strong> <strong>über</strong><strong>die</strong> Menschwerdung verbindet? Was istklarer als Dieses? Siehst du, daß Geschöpfeund Sohn verschie<strong>den</strong> sind? Sonst würde ernicht so unterschei<strong>den</strong> und dem Ausdruck:„Er hat geschaffen“ <strong>die</strong> Worte: „Aber zumSohne spricht er: Dein Thron, o Gott, stehtimmer und ewig“ so scharf entgegengesetzthaben; noch würde er <strong>den</strong> Namen „Sohn“einen bevorzugten nennen, wür<strong>den</strong> <strong>die</strong>bei<strong>den</strong> Ausdrücke Dasselbe bezeichnen.Welcher Unterschied würde d<strong>an</strong>n sein? Dennwenn <strong>die</strong> Geschöpfe, <strong>die</strong> in’s Dasein gerufenwur<strong>den</strong>, und der Sohn nicht unterschie<strong>den</strong>wären, wo bestände der Vorzug? Beachtewiederum, wie vor dem Worte „Gott“ derArtikel (ὁ Θεός) 64 steht! Ferner heißt es:10.11.12. Du hast im Anf<strong>an</strong>g, o Herr, <strong>die</strong>Erde gegründet, und <strong>die</strong> Werke deinerHände sind <strong>die</strong> Himmel. Sie wer<strong>den</strong>vergehen, du aber wirst bleiben, und allewer<strong>den</strong> wie ein Kleid veralten, und wie einGew<strong>an</strong>d wirst du sie verändern, und siewer<strong>den</strong> sich verändern; du aber bistDerselbe und deine Jahre wer<strong>den</strong> nichtaufhören.Damit du nicht wähnest, da du <strong>die</strong> Wortevernimmst: „Wenn er <strong>den</strong> Erstgebornen in<strong>die</strong> Welt einführt,“ Dieß sei ihm als einnachträgliches Geschenk noch dazuverliehen wor<strong>den</strong>, so hat er schon oben eineBerichtigung gegeben und thut Dieß hiernochmals mit <strong>den</strong> Worten: „Im Anf<strong>an</strong>ge,“ - nicht jetzt, sondern früher. Siehe,63 Joh 3,3464 Montfaucon sagt in einer Note: Dicebat Eusebius Caesariensis, illud ὁΘεός Praece<strong>den</strong>te articulo de Patre dici Chrysostomus hic et aliis in locispugnat, ὁ Θεός cum articulo de Filio quoque dici, exemplaque affert exscripturis. Tom. XII. pag. 37. n. 6.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wie er wieder <strong>den</strong> Paulus von Samosata mitvernichtendem Schlage trifft, indem er, wasin Bezug auf <strong>den</strong> Vater stattfindet, auch demSohne zuschreibt. Hierauf kommt er sobeiläufig auf etwas Anderes zu sprechen,was ebenfalls von großer Wichtigkeit ist; erweist hin auf <strong>die</strong> Umgestaltung der Welt,indem er sagt: „Wie ein Kleid wer<strong>den</strong> sieveralten, und wie ein Gew<strong>an</strong>d wirst du siewen<strong>den</strong>, und sie wer<strong>den</strong> sich verändern.“Dasselbe schreibt er auch im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Römer, daß Gott nämlich <strong>die</strong> Weltumgestalten werde. Und um zu zeigen, daßDieß leicht geschehe, fügt er hinzu: „Du wirstsie wen<strong>den</strong>.“ Denn wie Jem<strong>an</strong>d ein Kleidwendet, so wird er <strong>die</strong> Welt wen<strong>den</strong> undverändern. Wenn er aber der Schöpfung soleicht eine bessere und vollkommenereUmgestaltung zu geben vermag, sollte erd<strong>an</strong>n zur Erschaffung, <strong>die</strong> doch weniger ist,eines Anderen bedurft haben? Wie l<strong>an</strong>geschämt ihr euch nicht? Zugleich fin<strong>den</strong> wiraber <strong>den</strong> größten Trost in dem Bewußtsein,daß <strong>die</strong> Dinge in ihrer gegenwärtigen Gestaltnicht verbleiben, son<strong>den</strong> daß alle eineUmw<strong>an</strong>dlung erfahren, alle sich ändernwer<strong>den</strong>: er aber lebt immer, lebt ewig. „Unddeine Jahre,“ heißt es, „wer<strong>den</strong> nicht aufhören.“13. Und zu welchem Engel hat er je gesagt:Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deineFeinde zum Schemel deiner Füße gelegthabe?Siehe, wie er ihren Muth neu belebt durch<strong>die</strong> Aussicht, daß ihre Feinde unterliegenwer<strong>den</strong>, und ihre Feinde sind eben auch <strong>die</strong>Feinde Christi. Das ist ein Zeichen derHerrschaft und der gleichen Ehre; Dasbeweist Auszeichnung und keineswegsUnvermögen; daß der Vater <strong>über</strong> Daserzürnt, was gegen <strong>den</strong> Sohn geschehen, dasist ein Ausdruck großer Liebe, wie sie einwirklicher Vater zu seinem Sohne hat: <strong>den</strong>nwer wegen Jem<strong>an</strong><strong>den</strong> in Zorn gerät, wie k<strong>an</strong>n er einem Solchen abgeneigt sein?„Bis ich deine Feinde gelegt habe.“ So heißt es25auch im zweiten Psalm: „er im Himmelwohnt, lachet ihrer, und der Herr spottetihrer. D<strong>an</strong>n redet er zu ihnen in seinem Zornund verwirrt sie in seinem Grimme.“ 65 Undwieder sagt er selbst: „Die, so nicht wollten,daß ich <strong>über</strong> sie herrsche, bringet herbei undermordet sie vor mir!“ 66 Daß es aber seineWorte sind, vernimm aus einer <strong>an</strong>dern Stelle;er spricht: „Wie oft wollte ich deine Kinderversammeln, und ihr habt nicht gewollt.Siehe, euer Haus wird euch wüstegelassen;“ 67 und wieder: „Das Reich Gotteswird von euch genommen und einem Volkegegeben wer<strong>den</strong>, das <strong>die</strong> Früchte desselbenhervorbringt;“ ferner: „Und wer auf <strong>die</strong>senStein fällt, <strong>den</strong> wird er zermalmen.“ 68Übrigens wird Der, welcher sie dort richtenwird, um so mehr hier ihnen vergelten, wiesie es ob ihrer Bosheit gegen ihn ver<strong>die</strong>nen.Ebenso sprechen g<strong>an</strong>z und gar für <strong>die</strong> Ehredes Sohnes <strong>die</strong> Worte: „Bis ich deine Feindezum Schemel deiner Füße gelegt habe.“14. Sind sie nicht alle <strong>die</strong>nende Geister,ausges<strong>an</strong>dt zum Dienste um Derer willen,welche <strong>die</strong> Seligkeit ererben sollen?Was Wunder, will er sagen, daß sie demSohne <strong>die</strong>nen, da sie ja auch uns zu unsererSeligkeit förderlich sind? Siehe, wie er ihrenSinn hebt, indem er ihnen <strong>die</strong> große Ehrevorstellt, deren Gott uns würdigt, da erEngel, <strong>die</strong> höher stehen als wir, füruns mit <strong>die</strong>sem Dienste betraut. Wie m<strong>an</strong>sich etwa ausdrücken könnte: Das ist ihreBestimmung, das ist das Amt der Engel, daßsie Gott <strong>die</strong>nen zu unserm Heile. Demnachist Dieß <strong>die</strong> Wirksamkeit der Engel, daß sieAlles vollbringen zur Rettung der Brüder.Das ist aber in noch höherem Grade auch dasWerk Christi; <strong>den</strong>n er spendet das Heil alsHerr, <strong>die</strong>se aber als Diener. Und wenn auchwir Diener sind, so theilen ja <strong>die</strong> Engel mit65 Ps 2,4.566 Lk 19,2767 Lk 13,3468 Mt 21,43.44


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>uns <strong>die</strong>sen Beruf. Was schaut ihr nun, sagt er,staunend zu <strong>den</strong> Engeln auf? Sie sind Dienerdes Sohnes Gottes und wer<strong>den</strong> oftunsertwegen ausgesendet und sind thätig zuunserem Heile: sie sind also Diener wie wir.Betrachtet nur, wie <strong>die</strong> Verschie<strong>den</strong>heit unter<strong>den</strong> Geschöpfen nicht gar so groß ist. Wennauch ein erheblicher Unterschied zwischenEngeln und Menschen besteht, so bringt ersie <strong>den</strong>noch uns nahe, indem sie, nach seinenWorten zu schließen, für uns arbeiten,unsertwegen herumeilen, uns, wie m<strong>an</strong>sagen könnte, <strong>die</strong>nen. Das ist also ihr Beruf,daß sie unsertwegen <strong>über</strong>allhin ausges<strong>an</strong>dtwer<strong>den</strong>.III.Beispiele hiefür bieten das alte Testamentund das neue in Fülle. Brachten ja Engel <strong>den</strong>Hirten <strong>die</strong> frohe Botschaft; kam ja ein Engelzu Maria; dergleichen zu Joseph; Engel sitzenam Grabe; Engel wer<strong>den</strong> ausges<strong>an</strong>dt, um <strong>den</strong>Jüngern zu sagen: „Ihr Männer von Galiläa,was stehet ihr da und schauet genHimmel;“ 69 sie auch befreien <strong>den</strong> Petrus ausdem Gefängnisse und re<strong>den</strong> mit Philippus.Wie sollten sie uns nun nicht <strong>die</strong>nen?Betrachte also, wie groß <strong>die</strong> Ehre ist, daß Gottwie zu Freun<strong>den</strong> seine Engel als Dienerentsendet, daß dem Cornelius ein Engelerscheint, und ein solcher sämmtlicheApostel aus dem Kerker befreit, indem erspricht: „Gehet hin, tretet auf und sprechetim Tempel zu dem Volke <strong>die</strong> Worte <strong>die</strong>ses Lebens!“ 70 Jedoch was brauche ichAnderes zu sprechen, da ja dem Paulus selbstein Engel erscheint? Siehst du, wie sie uns<strong>die</strong>nen um Gottes willen und zwar <strong>die</strong>nen in<strong>den</strong> wichtigsten Dingen? Darum sprichtPaulus: „Alles gehört euch, sei es Leben oderTod oder Welt oder Gegend wart oder69 Apg 1,1170 Apg 5,2026Zukunft.“ Auch der Sohn wurde gesendet,aber nicht wie ein Diener oder Verwalter,sondern wie der eingeborne Sohn, derGleiches wie der Vater will; vielmehr aber: erwurde nicht gesendet, <strong>den</strong>n er begab sichnicht von einem Orte zum <strong>an</strong>dern, sonderner wurde Mensch. Die Engel aber wechseln<strong>die</strong> Plätze, verlassen ihren früherenAufenthaltsort und gehen dorthin, wo sievorher nicht waren. Auch hier ermuthigt ersie, indem er spricht: Was fürchtet ihr? Engel<strong>die</strong>nen uns ja.Nachdem er nun gesprochen <strong>über</strong> <strong>den</strong> Sohnsowohl bezüglich der Erlösung als auch derSchöpfung und seiner Herrschaft, undnachdem er gezeigt hat, daß er gleich geehrtsei und als Herr gebiete nicht allein <strong>über</strong> <strong>die</strong>Menschen, sondern auch <strong>über</strong> <strong>die</strong> höherenMächte: richtet er <strong>die</strong> Rede so ein, daß erihnen eine Ermunterung ertheilt, das Gehörtetreu zu befolgen, indem er sagt:Kap. II.1. Darum müssen wir auch um so mehr aufDas Acht haben, was wir gehört haben.Indem er hier erklären will, daß das Gehörtesorgfältiger zu beachten sei als das Gesetz,sagt er Dies nicht gerade heraus, macht esaber klar in der Begründung, ohne einenRath zu ertheilen oder eine Ermunterung zugeben; und so war es besser. 2.3. Denn wenn das durch <strong>die</strong> Engelverkündete Wort fest gewor<strong>den</strong> ist und jedeÜbertretung und jeder Ungehorsam <strong>die</strong>gerechte Vergeltung empf<strong>an</strong>gen hat: wiewer<strong>den</strong> wir entfliehen, wenn wir ein sogroßes Heil ausser Acht lassen, welchesAnf<strong>an</strong>gs von dem Herrn kund gemacht,d<strong>an</strong>n von Denen, <strong>die</strong> es gehört, in unsbefestiget wor<strong>den</strong> ist? Warum sollen wir dasGehörte mehr beachten? Ist nicht Jenes wieDieses Gottes Wort? Entweder sagt er also,daß Dieses sorgfältiger als das Gesetz, oderdaß es gar sehr beobachtet wer<strong>den</strong> müsse.Keineswegs stellt er hier Beide gegenein<strong>an</strong>der, Das sei ferne. Da sie nämlich vom


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>alten Testamente wegen seines l<strong>an</strong>genBest<strong>an</strong>des eine hohe Meinung hatten, <strong>die</strong>sesaber als neu gering geachtet wurde, weist eraus seinem Werthe nach, daß sie sichvorzugsweise <strong>an</strong> <strong>die</strong>ses zu halten hätten. Wie<strong>den</strong>n? Weil beide, will er ungefähr sagen,von Gott herstammen, aber nicht auf gleicheArt und Weise. Das aber zeigt er uns später;bis dahin ist <strong>die</strong> Beweisführung mehroberflächlich, später aber klarer, indem ersagt: „Denn wenn jener erste (Bund) nichtm<strong>an</strong>gelhaft gewesen wäre;“ und wieder:„Denn was veraltet ist und hinfällig wird, istseinem Ende nahe.“ 71 Allein er wagt es nochnicht, gleich Anf<strong>an</strong>gs Dieses zu sagen,sondern wartet, bis er <strong>den</strong> Zuhörer durchmehr Gründe gewonnen hat und festhält. -Warum müssen wir also mehr Acht haben?„Damit wir nicht,“ sagt er, „etwa zerfließen,“d. i. daß wir nicht zu Grunde gehen, nichtdas Heil verlieren. Hier zeigt er, wie mißlichder Fall ist, weil es schwer hält, daß daseinmal Entschwun<strong>den</strong>e wieder zurückkehre,insoferne <strong>die</strong> Quelle des Übels Sorglosigkeitist. Diesen Satz entlehnte er <strong>den</strong>Sprichwörtern, wo es heißt: „O Sohn,damit du nicht zerfließest,“ 72 wodurch erzeigt, wie leicht der Fall und wie schwer dasUnglück, d. h. wie gefahrvoll für uns derUngehorsam sei. Und durch Dasjenige, waser hier darthun will, zeigt er, daß <strong>die</strong> Strafegrößer sein werde. In der Untersuchungschweigt er davon und zieht keinen Schluß.Denn das heißt der Rede das Lästigenehmen, wenn m<strong>an</strong> nicht <strong>über</strong>all <strong>die</strong>Entscheidung von sich ausgehen läßt,sondern <strong>den</strong> Zuhörer zum Herrn macht, sodaß er selbst das Urtheil fällt; Das gewinnt<strong>die</strong>sem auch eine größere Zuneigung ab.Dasselbe thut im alten Bunde der ProphetNath<strong>an</strong> und bei Matthäus Christus, wo erspricht: „Was wird er wohl <strong>den</strong> Arbeiterndes Weinberges thun?“ 73 und wo er sienöthigt, das Urtheil selber zu sprechen. Dasist aber der größte Sieg. Den Worten: „Dennwenn das durch <strong>die</strong> Engel verkündigte Wort festgewor<strong>den</strong> ist“ fügt er nicht bei: um wie vielmehr das durch Christus; Dieß unterläßt erund schreibt <strong>die</strong> weniger besagen<strong>den</strong> Worte:„Wie wer<strong>den</strong> wir entfliehen, wenn wir ein sogroßes Heil ausser Acht lassen?“ Siehe nun, wieer <strong>den</strong> Vergleich macht! „Denn wenn,“ sagter, „das durch <strong>die</strong> Engel verkündigte Wort;“ -dort durch „Engel“, hier aber durch <strong>den</strong>„Herrn“, und dort nur das „Wort“, hier aberdas „Heil“. Damit aber nun nicht Jem<strong>an</strong>dfrage: Wie so, ist Das, was du sagst, o Paulus,Christi Wort? kommt er zuvor und zeigt <strong>die</strong>Glaubwürdigkeit seiner Worte. DieseZuverlässigkeit beweist er dadurch, daß ersie von Jenem gehört habe, und daß sie jetztvon Gott gesprochen wur<strong>den</strong>, nicht durchbloßen Wortkl<strong>an</strong>g, wie zu Moses geredetwurde, sondern durch Zeichen und Zeugnißgebende Thaten.IV.Was heißt aber Das: „Denn wenn das durch <strong>die</strong>Engel verkündigte Wort fest gewor<strong>den</strong> ist“? Ähnlich schreibt er auch im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Galater: „Angeordnet ist es wor<strong>den</strong> durchEngel, durch <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d eines Mittlers;“ 74 undwieder: „Ihr habt das Gesetz durch <strong>die</strong>Dienstleistung der Engel empf<strong>an</strong>gen, abernicht beobachtet.“ 75 Und <strong>über</strong>all sagt er, daßdasselbe durch Engel gegeben wor<strong>den</strong> sei.Einige behaupten nun, hier werde auf Mosesgedeutet; Das stimmt aber nicht; <strong>den</strong>n hier ist<strong>die</strong> Rede von vielen Engeln, und zwar von<strong>den</strong> Engeln im Himmel. Was soll m<strong>an</strong> alsosagen? Entweder meint er hier <strong>den</strong> Dekalogallein; <strong>den</strong>n dort redet Moses und Gott71 Kap. 8, 7 u. 1372 Spr 3,212773 Mt 21,4074 Gal 3,1975 Apg 7,53


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>an</strong>twortet; daß also (als das Gesetz gegebenwurde) auf Gottes Geheiß Engel <strong>an</strong>wesendwaren; oder er spricht <strong>die</strong>se Worte in Bezugauf Alles, was im alten Testamente unterMitbetheiligung der Engel gesprochen undgeth<strong>an</strong> wurde. Wie sagt er aber <strong>an</strong>derswo,daß das Gesetz durch Moses gegebenwurde, 76 hier aber durch Engel? Denn esheißt: „Und Gott kam herab im Dunkel.“ 77„Denn wenn das durch Engel verkündigte Wortfest gewor<strong>den</strong> ist.“ Was heißt Das: „fest“?Wahr, wie m<strong>an</strong> etwa sich ausdrücken könnte,und zuverlässig; <strong>den</strong>n das Gesagte ging zurbestimmten Zeit in Erfüllung. Er sagt alsoentweder Dieses, oder daß er <strong>die</strong> Herrschaftausgeübt habe und <strong>die</strong> Drohungenverwirklicht wur<strong>den</strong>; oder „Wort“ soll sovielbedeuten als: Befehle. Denn neben demGesetze haben Engel viele Befehle imAuftrage Gottes ertheilt, wie zur Zeit desWeheklagens, 78 zur Zeit der Richter, zur Zeitdes Samson. Denn darum sagt er auch nichtGesetz, sondern „Wort“. Mir scheint er nurdarum so zu sprechen, um g<strong>an</strong>z besonderszu zeigen, was durch Engel ausgeführtwor<strong>den</strong>. Was wer<strong>den</strong> wir also sagen? Daßdamals Engel <strong>an</strong>wesend waren, derenSchutz das Volk <strong>an</strong>vertraut wor<strong>den</strong>, und daß<strong>die</strong>se <strong>die</strong> Trompeten geblasen und dasÜbrige, Feuer und Rauchdunkel, bewirkthaben. - „Und jede Übertretung,“ schreibt er,„und jeder Ungehorsam hat <strong>den</strong> gerechtenVergeltungslohn empf<strong>an</strong>gen.“ Nicht <strong>die</strong>se, auchnicht jene, sondern jede. Nichts bliebungeahndet, sondern empfing <strong>den</strong> gerechtenVergeltungslohn, d. h. Strafe. Warum aberdrückt er sich so aus? Paulus pflegt keinegroße Sorgfalt auf <strong>die</strong> Wahl der Ausdrückezu verwen<strong>den</strong>, sondern ohne Unterschied,auch um etwas Rühmliches zu bezeichnen,ein Wort von übler Bedeutung zu setzen, wieer auch <strong>an</strong>derswo sagt: „Und gef<strong>an</strong>gen76 Joh 1,1777 Ex 19,2078 Jud 2,128nehmen je<strong>den</strong> Verst<strong>an</strong>d zum GehorsamChristi.“ 79 Und wieder <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>derenStelle setzt er Vergeltung für Strafe, und hiernennt er <strong>die</strong> Strafe Lohn: „Wenn es <strong>an</strong>ders,“sagt er, „gerecht bei Gott ist, daß erDenjenigen, welche euch in Trübsalversetzen, mit Trübsal vergelte und euch, <strong>die</strong>ihr Trübsal leidet, mit Ruhe,“ 80 d. h. <strong>die</strong>Gerechtigkeit ist nicht zu Grunde geg<strong>an</strong>gen,sondern Gott hat sich erhoben und Strafeverhängt <strong>über</strong> <strong>die</strong> Sünder, wenn gleich nichtalle Sün<strong>den</strong> offenbar wer<strong>den</strong>, falls nämlichreine Gesetze verletzt wur<strong>den</strong>. „Wie wer<strong>den</strong>wir daher,“ sagt er, „entfliehen, wenn wir ein sogroßes Heil ausser Acht lassen?“ Dadurch zeigter, daß jenes Heil kein großes gewesen. Schönist der Ausdruck: „so großes“ gesetzt; <strong>den</strong>nnicht aus Kriegen, sagt er, wird er uns retten,noch auch <strong>die</strong> Erde und <strong>die</strong> Er<strong>den</strong>güter unsschenken; der Tod soll seine Vernichtung,der Teufel seinen Unterg<strong>an</strong>g fin<strong>den</strong> und dasHimmelreich und das ewige Leben uns zuTheil wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n Dieß alles zeigt er kurz in<strong>den</strong> Worten: „Wenn wir ein so großes Heilausser Acht lassen.“ D<strong>an</strong>n führt er noch <strong>den</strong>Überzeugungsgrund <strong>an</strong>: „welches Anf<strong>an</strong>gs von dem Herrn kund gemacht (wor<strong>den</strong>), d.h. welches von der Quelle selbst feinenUrsprung hatte: kein Mensch noch eineerschaffene Macht, sondern er selbst, derEingeborne, hat dasselbe auf <strong>die</strong>se Erdegebracht. - „D<strong>an</strong>n von Denen, <strong>die</strong> es gehört, inuns befestiget wor<strong>den</strong> ist.“ Was heißt Das: „Esist befestiget wor<strong>den</strong>“? Es ist <strong>an</strong>vertrautwor<strong>den</strong>, oder es ist in Erfüllung geg<strong>an</strong>gen.Denn wir haben, sagt er, das Unterpf<strong>an</strong>d, d.h. das Heil ist nicht erloschen, es hat nichtaufgehört, sondern es herrscht und ist Sieger.Die Ursache aber ist <strong>die</strong> wirksame göttlicheKraft. - Was haben <strong>die</strong> Worte: „von Denen, <strong>die</strong>es gehört,“ für einen Sinn? Sie bedeuten:Diejenigen, welche es vom Herrn gehört,haben uns (im Glauben) befestigt. Das ist79 2 Kor 10,580 2 Thess 1,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>aber etwas Großes und Zuverlässiges. Soschreibt auch Lukas im Anf<strong>an</strong>ge seinesEv<strong>an</strong>geliums: „Wie uns Jene <strong>über</strong>lieferthaben, <strong>die</strong> vom Anf<strong>an</strong>ge <strong>an</strong> selbst sahen undDiener des Wortes waren.“ 81 Wie ist es nunbefestiget wor<strong>den</strong>? Wie nun, wennDiejenigen, <strong>die</strong> es gehört haben,Erdichtungen mittheilten? Um <strong>die</strong>senEinwurf zu beseitigen und eine<strong>über</strong>menschliche Gnade <strong>an</strong>zuzeigen, fügt erbei:4. Indem es Gott mitbezeugte.Denn Gott würde, hätten sie Erdichtungenvorgebracht, nicht für sie Zeugniß gegebenhaben; Jene legen zwar Zeugniß ab, aberauch Gott ist Zeuge. Wie gibt er Zeugniß?Nicht durch das tönende Wort; <strong>den</strong>n auchDas wäre verlässig gewesen. Wie <strong>den</strong>n?„Durch Zeichen und Wunder und m<strong>an</strong>cherleiKrafterweisungen.“ Schön setzt er <strong>die</strong> Wortehinzu: „Durch Zeichen und m<strong>an</strong>cherleiKrafterweisungen,“ wodurch er <strong>die</strong> Fülle derGna<strong>den</strong>gaben <strong>an</strong>zeigt, welche bei <strong>den</strong>Vorfahren nicht gewesen; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>sehatten weder so große noch so m<strong>an</strong>nigfacheZeichen; d. h. wir haben Jenen nicht ohneWeiteres geglaubt, sondern sind durchZeichen und Wunder dazu gebracht wor<strong>den</strong>,so daß wir also nicht Jenen, sondern Gottselbst glauben. „Und durch Gaben des heiligenGeistes nach seinem Willen.“ Wie kömmt esnun aber, daß auch <strong>die</strong> Zauberer Zeichenthun und <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> sagten, daß er durchBeelzebub <strong>die</strong> Teufel austreibe? 82 Aber solcheZeichen thun sie nicht; darum sagt er: „Durchm<strong>an</strong>cherlei Kraftäusserungen;“ <strong>den</strong>n jene sindkeine Krafterweise, sondern nur Ohnmachtund Einbildung und g<strong>an</strong>z hohles Zeug.Darum sagt er: „Durch Gaben des heiligenGeistes nach seinem Willen.“V.81 Lk 1,282 Lk 11,1529Hier scheint er mir noch auf etwas Andereshinzudeuten; <strong>den</strong>n wahrscheinlich hattennicht Viele <strong>die</strong> Gna<strong>den</strong>gaben, und <strong>die</strong>seschienen von ihnen gewichen zu sein, weilsie selbst im Eifer nachgelassen hatten. Umsie nun auch dar<strong>über</strong> zu trösten und nichtg<strong>an</strong>z fallen zu lassen, erklärt er das G<strong>an</strong>ze fürein Werk des göttlichen Willens. Gott weiß,will er sagen, was einem Je<strong>den</strong> zuträglich ist,und demgemäß vertheilt er seine Gnade.Ebenso macht er es auch im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Korinther, da er schreibt: „Nun aber hat Gott<strong>die</strong> Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnenam Leibe, wie er gewollt hat.“ 83 Und wieder:„Jedem aber wird gegeben <strong>die</strong> Offenbarungdes Geistes zum Frommen.“ 84 Er zeigt, daß<strong>die</strong> Gna<strong>den</strong>gabe nach dem Willen des Vatersverliehen werde. Oft war auch ein unreinesund träges Leben <strong>die</strong> Schuld, daß Viele keineGna<strong>den</strong>gabe empfingen; m<strong>an</strong>chmal wurdeauch Denen keine zu Theil, welche einschönes und reines Leben führten. Warum?Damit sie nicht stolz, nicht eingebildet, nichtlässiger wür<strong>den</strong>, und damit <strong>die</strong>Aufgeblasenheit nicht <strong>die</strong> Oberh<strong>an</strong>dgewänne. Denn wenn auch ohneGna<strong>den</strong>gabe das alleinige Bewußtsein einesunbefleckten Lebens aufblähen k<strong>an</strong>n, um wieviel mehr k<strong>an</strong>n so Etwas stattfin<strong>den</strong>, wennauch noch <strong>die</strong> Gnade dazu kommt. Daherwurde sie auch mehr <strong>den</strong> Demüthigen undEinfältigen gegeben, ja meistens <strong>den</strong>Einfältigen; <strong>den</strong>n „in Einfalt,“ heißt es, „undmit Freude des Herzens.“ 85 So empfingen sievon Paulus eine größere Anregung und, fallssie lässiger waren, einen heilsamen Schmerz.Denn der Demüthige, und der von sichselber keine hohe Einbildung hat, gewinntgrößeren Eifer, sobald ihm eine Gna<strong>den</strong>gabezu Theil wird, da er sie unver<strong>die</strong>nt empfängtund nicht dar<strong>an</strong> <strong>den</strong>kt, daß er derselben83 1 Kor 12,1884 1 Kor 12, 785 Apg 2,46


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>würdig sei. Wer aber etwas Erheblichesgeth<strong>an</strong> zu haben vermeint, glaubt, <strong>die</strong> Sachegebühre ihm, und bläht sich auf. Darum übtGott hierin eine heilsame Verwaltung.Dasselbe k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch in der Kirchewahrnehmen. Denn der Eine besitzt <strong>die</strong>Lehrgabe, der Andere ist nicht im St<strong>an</strong>de,auch nur <strong>den</strong> Mund aufzuthun. Niem<strong>an</strong>dversinke darum in Trauer, <strong>den</strong>n „Jedem wirdgegeben <strong>die</strong> Offenbarung des Geistes zumFrommen.“ 86 Denn wenn schon ein Hausherrweiß. wem er irgend Etwas <strong>an</strong>vertraut, umwie viel mehr Gott, der <strong>den</strong> Sinn derMenschen kennt und Alles <strong>an</strong>schaut, ehevores geschieht. Nur Eines ist der Trauer werth,nämlich <strong>die</strong> Sünde, sonst aber Nichts. Sagenicht: Warum habe ich keine Reichthümer?Oder: Wenn ich solche hatte, würde ich sieunter <strong>die</strong> Armen vertheilen. Du weißt nicht,ob du, wenn du sie hättest, nicht nochhabsüchtiger sein würdest. Jetzt zwarsprichst du so; solltest du aber <strong>die</strong> Probebestehen, dürftest du <strong>an</strong>ders gesinnt sein.Wenn wir gesättiget sind, glauben wir, leichtfasten zu können; aber nach Verlauf einerg<strong>an</strong>z kurzen Zeit beschleichen uns <strong>an</strong>dereGed<strong>an</strong>ken. Wiederum, wenn wir frei sindvon Trunkenheit, glauben wir <strong>die</strong>seLei<strong>den</strong>schaft beherrschen zu können; wennsie uns aber <strong>über</strong>wältiget hat, ist es <strong>an</strong>ders.Sage nicht: Warum habe ich nicht <strong>die</strong>Lehrgabe empf<strong>an</strong>gen? Oder: Wenn ich siehätte, würde ich Unzählige erbauen. Duweißt nicht, wenn du sie hättest, ob sie dirnicht zum Gerichte sein würde, ob nichtNeid, ob nicht Trägheit dich dahin bringenwür<strong>den</strong>, das Talent zu vergraben. Nun aberbist du von all Diesem frei und mußt, wenndu auch das Vollmaaß nicht beibringenk<strong>an</strong>nst, dar<strong>über</strong> nicht Rechenschaft geben;widrigenfalls würde dich eine ungeheuereSchul<strong>den</strong>last drücken. Übrigens bist du auchjetzt nicht ohne Gna<strong>den</strong>gabe. Zeige im86 1 Kor 12,730Kleinen, wie du dich verhalten würdest,wenn du jene besäßest. „Denn wenn ihr,“heißt es, „im Kleinen nicht treu waret, wiewird euch Jem<strong>an</strong>d Großes <strong>über</strong>geben?“ 87Erweise dich wie jene Wittwe; <strong>die</strong>se hattenämlich nur zwei Obole, und Alles, was siebesaß, warf sie in <strong>den</strong> Opferkasten. - Dusuchst Reichthümer? Zeige, daß du dasWenige verachtest, damit ich dir Vieles<strong>an</strong>vertrauen k<strong>an</strong>n. Wenn du aber im Kleinen<strong>die</strong>se Verachtung nicht zeigst, so wirst duviel weniger im Großen es thun. Zeige ferner<strong>den</strong> pflichtgemäßen Gebrauch deiner Wortedadurch, daß du Aufmunterung und gutenRath ertheilest! Du k<strong>an</strong>nst nicht als Redneröffentlich auftreten? Bist du nicht im Besitzereicher Kenntnisse? Nun, so weißt du doch,was <strong>die</strong> meisten Menschen wissen. Du hasteinen Sohn, einen Nachbar, einen Freund,einen Bruder, du hast Hausgenossen: wenndu nun auch öffentlich in der Versammlungkeinen großen Vortrag zu halten vermagst,so k<strong>an</strong>nst du Diesen doch im Privatkreisem<strong>an</strong>ch heilsame Ermahnung ertheilen. Hierbrauchst du keine Redekunst zu entfalten,auch dich nicht weit zu verbreiten; <strong>an</strong> Diesenbeweise deine treue Sorgfalt, <strong>die</strong> duentwickeln würdest, wäre dir <strong>die</strong> Gabe derRede verliehen. Bist du aber im Kleinen nichteifrig, wie soll ich dir im Großen vertrauen?Weil Dieß aber ein Jeder vermag, so höre, wiePaulus auch <strong>den</strong> Laien Solches befiehlt!„Erbauet,“ sagt er, „Einer <strong>den</strong> Andern, so wieihr auch thut;“ 88 und: „So tröstet <strong>den</strong>nein<strong>an</strong>der mit <strong>die</strong>sen Worten!“ 89 Gott weiß,wie er einem Je<strong>den</strong> zutheilt. Bist du besser alsMoses? Höre, wie er zagend klagt: „K<strong>an</strong>n ich<strong>den</strong>n,“ sagt er, „sie tragen, daß du zu mirsagst: Trage sie, wie eine Amme ihreKindlein zu tragen pflegt?“ 90 Was that aberGott? Er nahm von seinem Geiste und gab87 Lk 16,1188 1 Thess 5,1189 1 Thess 4,1790 Num 11,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>den</strong> Andern, wodurch er zeigte, daß <strong>die</strong>Gna<strong>den</strong>gabe, als er sie selber trug, nicht ausihm, sondern aus dem heiligen Geistestammte. Hättest du <strong>die</strong> Gna<strong>den</strong>gabe gehabt,wärest du vielleicht oft hochmüthiggewor<strong>den</strong> und oft auf böse Wege gerathen.Fragen wir nicht: Wozu Das? Warum Dieses?Wenn Gott waltet, dürfen wir ihn nicht zurRechenschaft ziehen; Das wäre der größteFrevel, der schrecklichste Wahnsinn. Wirsind Knechte, und zwar Knechte, <strong>die</strong> weitunter dem Herrn stehen, und <strong>die</strong> wir nichteinmal begreifen, was uns zunächst liegt.Grübeln wir also nicht <strong>über</strong> GottesRathschluß, sondern wir sollen, was er unsverliehen, treu bewahren, und wäre es aucheine geringe, ja <strong>die</strong> allergeringste Gabe, undwir wer<strong>den</strong> gewiß glücklich sein, um somehr, da keine der göttlichen Gaben geringist. Schmerzt es dich, daß du nicht im Besitzeder Lehrgabe bist? Sage mir aber: Wasscheint dir größer zu sein, <strong>die</strong> Lehrgabe oder<strong>die</strong> Gabe der Heilungen? Sicherlich <strong>die</strong>se. Istaber in deinen Augen <strong>die</strong> Macht, Blindesehend zu machen und Todte zu erwecken,nicht noch höher als <strong>die</strong> Kraft, Kr<strong>an</strong>kheitenzu vertreiben? Aber sage mir nun: Ist es nichtnoch mehr, Dieß durch Schatten undSchweißtücher als durch <strong>den</strong> Gebrauch desWortes zu thun? Willst du nun, sprich es nuraus, durch Schatten und SchweißtücherTodte erwecken oder <strong>die</strong> Lehrgabe besitzen?Ich möchte, wirst du sicherlich sagen, durchSchatten und Schweißtücher Todte erwecken.VI.Wenn ich dir nun zeige, daß es noch eine<strong>an</strong>dere, größere Gna<strong>den</strong>gabe gibt, und daß esdir gegönnt ist, <strong>die</strong>selbe zu empf<strong>an</strong>gen, undwenn du derselben nicht theilhaftig wirst, dumit Recht ihrer beraubt bist, was wirst dudazu sagen? Zudem ist <strong>die</strong>se Gna<strong>den</strong>gabe31nicht für <strong>den</strong> Einen oder <strong>den</strong> Andern,sondern Alle können <strong>die</strong>selbe erl<strong>an</strong>gen. Ichweiß, daß ihr staunt und <strong>die</strong> Fassung verliert,wenn ihr hören sollt, daß ihr eine nochgrößere Gna<strong>den</strong>gabe haben könnt, als Todtezu erwecken und Blinde sehend zu machen,und daß es euch möglich ist, jene Dinge zuvollbringen, <strong>die</strong> zur Zeit der Apostelgeschahen. Und vielleicht kommt euch Dasunglaublich vor. Was ist <strong>den</strong>n das für eineGna<strong>den</strong>gabe? Die Liebe. Glaubet mir nur;<strong>den</strong>n es ist nicht mein, sondern Christi Wort,der durch Paulus spricht. Was sagt er <strong>den</strong>n?„Strebet <strong>an</strong> <strong>die</strong> besseren Gna<strong>den</strong>gaben; undeinen noch vortrefflicheren Weg zeige icheuch.“ 91 Was heißt Das: „einen nochvortrefflicheren Weg“? Es will Dieß sagen:Die Korinther waren stolz auf <strong>die</strong> damaligenGna<strong>den</strong>gaben, und welche <strong>die</strong> Sprachengabe,<strong>die</strong> doch <strong>die</strong> geringste ist, besaßen, sahenhochmüthig auf <strong>die</strong> Andern herab. Er sagtnun: Wollt ihr <strong>über</strong>haupt Gna<strong>den</strong>gaben? Ichzeig’ euch <strong>den</strong> Weg zu <strong>den</strong>selben, nicht nureinen hervorragen<strong>den</strong>, sondern einen g<strong>an</strong>zvortrefflichen. Sod<strong>an</strong>n sagt er: „Wenn ich in<strong>den</strong> Zungen der Engel rede, Liebe aber nichthabe, bin ich Nichts; und wenn ich einenGlauben habe, daß ich Berge versetze, Liebeaber nicht habe, bin ich Nichts.“ 92 Siehst duda eine Gna<strong>den</strong>gabe? Um <strong>die</strong>se bewirb dich;<strong>die</strong>se ist größer als <strong>die</strong> Auferweckung derTodten; <strong>die</strong>se ist weit vorzüglicher als alle<strong>an</strong>deren. Und daß sich Dieß also verhalte,höre, was Christus sagt, da er zu <strong>den</strong> Jüngernspricht: „Dar<strong>an</strong> wer<strong>den</strong> Alle erkennen, daßihr meine Jünger seid, wenn ihr euchein<strong>an</strong>der liebet.“ 93 Also nicht Wundergibt er als Kennzeichen <strong>an</strong>, sondern was?Wenn ihr euch ein<strong>an</strong>der liebet. Und wiederspricht er zum Vater: „Hierin wer<strong>den</strong> sieerkennen, daß du mich ges<strong>an</strong>dt hast, wenn91 1 Kor 12,3192 1 Kor 13, 1-293 Joh 13,35


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sie Eins sind.“ 94 Auch zu <strong>den</strong> Jüngern spracher: „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihrein<strong>an</strong>der liebet.“ 95 Ein Solcher hat einehöhere Würde und einen größeren Gl<strong>an</strong>z alsTodtenerwecker, und mit Recht; <strong>den</strong>n Diesesist g<strong>an</strong>z das Werk der göttlichen Gnade,Jenes aber eine Frucht des eigenen Eifers;Dieß ist in Wahrheit das Werk eines Christen;Dieß läßt <strong>den</strong> Jünger Christi erkennen,welcher der Welt gekreuziget ist und mit ihrNichts gemein hat; ohne Dieses k<strong>an</strong>n auchdas Blutzeugniß Nichts nützen. Und damitdu dich davon <strong>über</strong>zeugest, erwäge dasFolgende wohl. Der heilige Paulus nimmtzwei oder vielmehr drei Tugendhöhen <strong>an</strong>,nämlich <strong>die</strong> der Wunderzeichen, <strong>die</strong> derErkenntniß und <strong>die</strong> des W<strong>an</strong>dels, underklärt, daß <strong>die</strong> ersteren ohne <strong>den</strong> letzterenkeinen Werth haben. Wie <strong>die</strong>se aber ohneWerth sind, will ich sagen. „Wenn ich allmeine Habe,“ heißt es, „zur Speise (derArmen) vertheile, <strong>die</strong> Liebe aber nicht habe,so frommt es mir Nichts.“ 96 Denn es k<strong>an</strong>n jasein, daß auch Jem<strong>an</strong>d, der sein Vermögenzur Speisung (der Armen) vertheilt, derLiebe entbehrt und seine Güterverschwendet. Das ist hinlänglichbesprochen wor<strong>den</strong>, wo von der Liebe <strong>die</strong>Rede ging, und wir verweisen darauf zurück.Beeifern wir uns indeß, wie ich schon sagte,um <strong>die</strong>se Gna<strong>den</strong>gabe; lieben wir ein<strong>an</strong>der,und wir wer<strong>den</strong> eines Weiteren gar nichtbedürfen, um in der Tugendvor<strong>an</strong>zuschreiten, sondern Alles wird unsleicht, ohne Schweißverlust, von Stattengehen, und wir wer<strong>den</strong> Alles mit vielemEifer glücklich vollbringen. Aber siehe, heißtes, wir lieben uns ja schon ein<strong>an</strong>der; <strong>den</strong>nDieser hat zwei oder drei Freunde, Jener aber vier. Das heißt aber nicht(Jem<strong>an</strong><strong>den</strong>) wegen Gott lieben, sondern umGegenliebe zu fin<strong>den</strong>: <strong>die</strong> Liebe wegen Gotthat nicht <strong>die</strong>sen Ursprung; wer aber <strong>die</strong>sebesitzt, liebt alle Glaubensgenossen wiewirkliche Brüder, <strong>die</strong> Irrgläubigen aber und<strong>die</strong> Hei<strong>den</strong> und <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> wie natürlicheBrüder, und insoferne <strong>die</strong>selben böse undverkommen sind, wird er ihretwegen vonMitleid, von Schmerz und Thränen verzehrt.Dadurch wer<strong>den</strong> wir Gott ähnlich wer<strong>den</strong>,wenn wir Alle, auch <strong>die</strong> Feinde, lieben, nichtwenn wir Wunderzeichen vollbringen. Dennwir staunen zwar <strong>über</strong> Gott ob seinerWunderwerke, aber vielmehr noch, weil ermenschenfreundlich und l<strong>an</strong>gmüthig ist.Wenn also Das auch in Bezug auf Gott sostaunenswerth ist, so leuchtet es in Bezug auf<strong>die</strong> Menschen noch mehr ein, daß Dieß unsder Bewunderung werth macht. Das sei alsodas Ziel unseres Eifers, und Petrus undPaulus und Jene, <strong>die</strong> zahllose Todte zumLeben erweckten, wer<strong>den</strong> nicht größer seinals wir, wenn wir auch kein Fieber zuvertreiben vermögen; ohne jene Liebe aber,wenn wir größere Wunder als selbst <strong>die</strong>Apostel gewirkt, und wenn wir unszahllosen Gefahren des Glaubens wegenausgesetzt hätten, wür<strong>den</strong> wir keinenNutzen haben. Und Dieses sage nicht ich,sondern er selbst, der Spender der Liebe, 97weiß Dieses; ihm also wollen wir folgen. Auf<strong>die</strong>se Weise wer<strong>den</strong> wir <strong>die</strong> verheissenenGüter erl<strong>an</strong>gen, deren wir alle theilhaftigwer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen.Vierte Homilie.94 Joh 17,2195 Joh 13,3496 1 Kor 13,13. Chrysostomus setzt: οἰδέν εἰμι = so bin ich Nichts, statt:οἰδέν ὀϕελοῦμαι.3297 Τῆς ἀγάπης τρόϕιμος · τρόϕιμος = Nahrung spen<strong>den</strong>d, hier also:Liebespender. Montfaucon <strong>über</strong>setzt es mit: caritatis alumnus, Muti<strong>an</strong>usmit: caritatis dominus.


I.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>5. 6. 7. Denn nicht Engeln hat Gott <strong>die</strong>zukünftige Welt unterworfen, von der wirpredigen. - Bezeugt hat aber irgendwo Einerund gesagt: Was ist der Mensch, daß duseiner ge<strong>den</strong>kst, oder der Menschensohn,daß du nach ihm siehst? - Du hast ihn einwenig unter <strong>die</strong> Engel verringert.Ich möchte bestimmt wissen, ob Einige mitdem gebühren<strong>den</strong> Eifer, was gesagt wird,<strong>an</strong>hören, so daß wir <strong>den</strong> Samen nicht auf<strong>den</strong> Weg streuen; <strong>den</strong>n alsd<strong>an</strong>n wür<strong>den</strong> wirnoch freudiger das Lehramt ausüben. Zwarwer<strong>den</strong> wir sprechen, wenn auch Niem<strong>an</strong>daufmerkt, weil <strong>die</strong> Furcht vor dem Erlöseruns drängt. Denn gib Zeugniß, sagt er,<strong>die</strong>sem Volke, und wenn sie nicht auf dichhören, wirst du keine Rechenschaft geben.Wenn ich aber von euerem Eifer <strong>über</strong>zeugtwäre, würde ich nicht allein wegen derFurcht sprechen, sondern auch mit FreudeDas thun. Denn wenn jetzt Niem<strong>an</strong>daufmerkt, so k<strong>an</strong>n, obgleich mir keineGefahr droht, da ich meine Pflicht erfülle,<strong>die</strong> Arbeit doch nicht mit Vergnügenvollbracht wer<strong>den</strong>. Denn was nützt es,wenn zwar ich ohne Schuld bin, Niem<strong>an</strong>daber einen Vortheil hat? Wenn nunEinige aufmerken wollten, so würde mirdaraus, daß ich ungestraft bleibe, kein sogroßer Vortheil erwachsen wie aus euerenFortschritten. Wie soll ich nun aber Daswissen? Wenn ich unter euch Solchebemerkt haben werde, <strong>die</strong> nicht rechtaufmerksam sind, werde ich siegelegenheitlich unter vier Augen befragen,und wenn ich finde, daß sie Einiges vondem Vorgetragenen wissen, nehme ichnicht Alles vor; <strong>den</strong>n Das möchte für euchnicht so leicht sein, sondern wenn sie ausdem Vielen auch nur Einiges wissen, binich offenbar auch in Betreff des Vielennicht weiter im Zweifel. Es wäre zwar nicht33nöthig gewesen, euch vorher davon inKenntniß zu setzen; wir hätten euch einerunerwarteten Prüfung unterwerfen können;jedoch k<strong>an</strong>n es uns lieb sein, auch so zumerwünschten Ziele zu gel<strong>an</strong>gen, um somehr, da ich auch auf <strong>die</strong>se Weise euchimmer noch zu <strong>über</strong>raschen vermag. Denndaß ich euch fragen werde, habe ich vorhergesagt; w<strong>an</strong>n ich aber <strong>die</strong>se Prüfungvornehmen werde, bestimm’ ich noch nicht:vielleicht heute, vielleicht morgen,vielleicht nach zw<strong>an</strong>zig oder auch nachdreissig Tagen; sie k<strong>an</strong>n auch früher oderspäter stattfin<strong>den</strong>. So hat uns auch Gott inBetreff unseres Todestages in Ungewißheitgelassen, und weder ob heute, noch obmorgen, noch ob nach Verlauf eines vollenJahres, noch ob nach mehreren Jahren derHerr kommen wird, hat er uns geoffenbart,damit wir durch <strong>die</strong> ungewisse Erwartungst<strong>an</strong>dhaft in der Tugend ausharren, und nurdaß wir einmal von hier abschei<strong>den</strong>wer<strong>den</strong>, hat er gesagt, <strong>über</strong> das W<strong>an</strong>n aberNichts. So habe auch ich ausgesprochen,daß ich euch fragen werde, w<strong>an</strong>n aber, hab’ich nicht beigefügt, weil ich euch in steterSorge erhalten will. Da soll auch Keinersagen: Ich habe Dieses vor vier oder fünfoder mehreren Wochen gehört und k<strong>an</strong>n esnicht behalten. Denn ich will, daß derZuhörer, was er vernommen, mitunvergeßlichem und treuem Gedächtnissefesthalte und das Gesagte nicht schnödevon sich weise. Denn ich verl<strong>an</strong>ge, daß ihres behalten sollet, nicht um mir zu<strong>an</strong>tworten, sondern um daraus Nutzen zuziehen, und Das ist meine wichtigsteSorge. Nachdem euch nun das zum sichernBehalten Erforderliche mitgetheilt wor<strong>den</strong>,müssen wir weiter mit Dem beginnen, wasder Ordnung nach folgt. Was liegt uns nunheute als Redestoff vor? „Denn nichtEngeln,“ sagt er, „hat Gott <strong>die</strong> zukünftigeWelt unterworfen, von der wir predigen.“Spricht er da von irgend einer <strong>an</strong>deren


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Welt? Nein, sondern von <strong>die</strong>ser; <strong>den</strong>ndarum setzt er hinzu: „von der wirpredigen,“ damit er <strong>den</strong> Geist nichtver<strong>an</strong>lasse, sich verirrend nach einer <strong>an</strong>dernzu suchen. Wie aber nennt er sie einezukünftige? Wie er auch <strong>an</strong>derwärts spricht:„Der ein Vorbild des Zukünftigen ist,“ 98 daer im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Römer von Adam undvon Christus redet, und in Bezug auf <strong>die</strong>Zeiten Adams Christum nach dem Fleischezukünftig heißt, wie er es ja war; so auchjetzt, da er sagt: „Und wenn er <strong>den</strong>Erstgebornen abermal in <strong>die</strong> Welt einführt,“damit du dich <strong>über</strong>zeugest, er meine keine<strong>an</strong>dere Welt, was aus vielen <strong>an</strong>derenZeugnissen klar ist, und weil er siezukünftig nennt; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se Welt warzukünftig, der Sohn Gottes aber war immerda. Diese zukünftige Welt nun hat er nichtEngeln unterworfen, sondern Christus. Daßaber zum Sohne <strong>die</strong> Worten gesprochenseien, ist offenbar, und es wird Niem<strong>an</strong>d<strong>die</strong> Behauptung aufstellen, sie seien zuEngeln geredet. D<strong>an</strong>n führt er ein <strong>an</strong>deresZeugniß <strong>an</strong> mit <strong>den</strong> Worten: „Bezeugt hataber irgendwo Einer und gesagt.“ Warumaber nennt er <strong>den</strong> Namen des Prophetennicht, sondern verschweigt ihn? Dasselbethut er auch bei <strong>an</strong>deren Zeugnissen, da erz. B. sagt: „Und wenn er <strong>den</strong> Eingebornenabermal in <strong>die</strong> Welt einführt, spricht er: Essollen ihn <strong>an</strong>beten alle Engel Gottes;“ undwieder: „Ich werde ihm Vater sein. Und inBezug auf <strong>die</strong> Engel sagt er zwar: Ermacht seine Engel zu Win<strong>den</strong>; zum Sohneaber: Du hast im Anf<strong>an</strong>g, oHerr, <strong>die</strong> Erdegegründet!“ So sagt er auch hier: „Bezeugthat aber irgendwo Einer und gesagt.“ Abereben Dieses, daß er so stillschweigend <strong>den</strong>Namen Desjenigen wegläßt, von dem dasZeugniß herrührt, und daß er dasselbe alsallgemein verbreitet und bek<strong>an</strong>nt einführt,ist meines Erachtens ein Beweis von ihm98 Röm 5,1434dafür, daß sie sehr schriftkundig waren.„Was ist der Mensch, daß du seiner ge<strong>den</strong>kst,oder der Menschensohn, daß du nach ihmsiehst? Du hast ihn ein wenig unter <strong>die</strong> Engelverringert;“7. 8. mit Ruhm und Ehre ihn gekrönt undihn gesetzt <strong>über</strong> <strong>die</strong> Werke deiner Hände:Alles hast du seinen Füßen unterworfen.II.Obgleich <strong>die</strong>se Worte in Bezug auf <strong>die</strong>gesammte Menschheit gesprochen sind, sopassen sie doch vorzugsweise auf Christusdem Fleische nach; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Worte: „Alleshast du seinen Füßen unterworfen“ fin<strong>den</strong> vieleher hinsichtlich seiner als unser ihre rechteBedeutung. Denn der Sohn Gottes hat uns,<strong>die</strong> wir Nichts waren, <strong>an</strong>gesehen, und da erunsere Natur <strong>an</strong>genommen und sich mit unsvereiniget hat, ist er <strong>über</strong> Alles erhaben.„Denn da er ihm Alles unterworfen hat, hat erNichts gelassen, was ihm nicht unterworfen wäre.Jetzt wohl sehen wir noch nicht, daß ihm Allesunterworfen ist.“ Diese Worte habenfolgen<strong>den</strong> Sinn: Da er gesagt hatte: „Bis ichdeine Feinde zum Schemel deiner Füßegelegt habe,“ waren sie begreiflicher Weisenoch traurig. Nachdem er nun etliche Wortezwischeneingeschoben, bekräftigt er jenesZeugniß, indem er Dieses (V. 8) noch beifügt.Damit sie nämlich nicht sagen könnten: Wiehat er <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Feinde unter seine Füßegelegt, da doch wir so viele Lei<strong>den</strong>erdul<strong>den</strong>? hatte er schon im Vorhergehen<strong>den</strong><strong>die</strong> hinlängliche Andeutung gegeben. Denndurch jenes „bis“ wollte er <strong>an</strong>zeigen, daßDieß nicht gleich, sondern in der Zeitgeschehen werde; hier verfolgt er <strong>die</strong> Sachenun weiter. Glaube ja nicht, will er sagen,daß sie, da sie noch nicht unterworfen sind,auch nicht unterworfen wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n daß sieunterworfen wer<strong>den</strong> müssen, ist klar; darumist ja <strong>die</strong> Weissagung ausgesprochen wor<strong>den</strong>.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>„Denn da er ihm Alles unterworfen hat,“ heißtes, „hat er Nichts belassen, was ihm nichtunterworfen wäre.“ Wie ist ihm nun nichtAlles unterworfen? Weil es ihm erst in derZukunft unterworfen wird. Da ihm also Allesunterworfen wer<strong>den</strong> muß, aber noch nichtunterworfen ist, betrübe dich nicht und lassedich nicht beunruhigen. Denn wenn du, fallsdas Ende gekommen und Alles unterworfensein würde, <strong>die</strong>se Lei<strong>den</strong> zu erdul<strong>den</strong> hättest,d<strong>an</strong>n könntest du mit Recht schmerzlichberührt sein; nun aber sehen wir noch nicht,daß ihm Alles unterworfen ist: noch ist derKönig nicht im Vollbesitze der Herrschaft;warum bist du bestürzt, wenn du zu lei<strong>den</strong>hast? Noch hat das Ev<strong>an</strong>gelium nicht Alle<strong>über</strong>wun<strong>den</strong>, noch ist <strong>die</strong> Zeit der gänzlichenUnterwerfung nicht da. - Sod<strong>an</strong>n folgtwieder ein <strong>an</strong>derer Trostgrund: sogarDerjenige, dem Alle unterworfen seinwer<strong>den</strong>, ist selbst nach unsäglichen Lei<strong>den</strong>gestorben.9. Den aber, welcher ein wenig (βραχύ τι -auf ein Kurzes) unter <strong>die</strong> Engel erniedrigtward, Jesum, sehen wir wegen Erleidungdes Todes -Sod<strong>an</strong>n fügt er wieder das Gute hinzu: „mitRuhm und Ehre gekrönt.“ Siehst du, wiePaulus ihm Alles <strong>an</strong>paßt? Denn auch das „einwenig“ paßt eher auf ihn, der nur drei Tagezur Hölle hinabstieg, nicht aber auf uns, <strong>die</strong> wir so l<strong>an</strong>ge Zeit lei<strong>den</strong>. Ebensokönnen <strong>die</strong> Worte: „mit Ruhm und Ehre“ vielmehr in Bezug auf Jenen als auf unsgebraucht wer<strong>den</strong>. Er erinnert sie wieder <strong>an</strong>das Kreuz und strebt damit ein Zweifaches<strong>an</strong>, erstens, um (uns) seine große Sorgfalt zuzeigen, d<strong>an</strong>n sie zu ermuntern, im Hinblickeauf <strong>den</strong> Meister Alles st<strong>an</strong>dhaft zu dul<strong>den</strong>.Denn wenn Derjenige, welcher von <strong>den</strong>Engeln <strong>an</strong>gebetet wird, will er sagen, esertrug, deinetwegen ein wenig unter <strong>die</strong> Engelverringert zu sein, wirst um so mehr du, derdu geringer als <strong>die</strong> Engel bist, seinetwegenAlles ertragen müssen. Sod<strong>an</strong>n zeigt er, daß35das Kreuz ein Ruhm und eine Ehre ist, wieder Herr auch selbst das Kreuz als einenRuhm mit <strong>den</strong> Worten bezeichnet: „Eskommt <strong>die</strong> Stunde, daß der Menschensohnverherrlicht werde.“ 99 Da nun Jener Das, waser um der Knechte willen gelitten, einenRuhm nennt, wirst du um so mehr Das sonennen müssen, was du um des Herrn willenerträgst. Siehst du, wie groß <strong>die</strong> Frucht desKreuzes ist? Fürchte <strong>die</strong> Sache nicht; dirscheint sie zwar traurig zu sein, sie ist aber<strong>die</strong> Quelle unzähliger Freu<strong>den</strong>. Dadurchmacht er <strong>den</strong> Nutzen der Versuchungen klar.D<strong>an</strong>n sagt er: „Damit er nach Gottes Gnade fürAlle <strong>den</strong> Tod verkoste.“ „Damit nach GottesGnade,“ heißt es; <strong>den</strong>n Jener hat um der Liebewillen, <strong>die</strong> Gott zu uns hat, Dieses gelitten:„Er, der selbst seines eingeborenen Sohnesnicht geschont, sondern ihn für uns alledahin gegeben hat.“ 100 Warum? Er war unsDieses nicht schuldig, sondern that es ausGnade. Und wieder sagt er im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Römer: „So ist um so mehr <strong>die</strong> Gnade Gottesund <strong>die</strong> Gabe durch <strong>die</strong> Gnade eines einzigenMenschen Jesus Christus (<strong>den</strong>) Mehreren imÜberflüsse zu Theil gewor<strong>den</strong>.“ 101 „Damit er nach Gottes Gnade für Alle <strong>den</strong> Todverkoste,“ nicht für <strong>die</strong> Gläubigen allein,sondern für <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen Erdkreis; <strong>den</strong>n er istfür Alle gestorben. Wie verhält es sich aber,wenn nicht Alle glauben? Er hat Alles, was<strong>an</strong> ihm lag, erfüllt. Sehr treffend heißt es:„Damit er für Alle <strong>den</strong> Tod verkoste.“ Es heißtnicht: Damit er sterbe; <strong>den</strong>n er hat inWahrheit <strong>den</strong> Tod nur verkostet; so kurz war<strong>die</strong> Zeit von seinem Tode bis zu seinerAuferstehung. Durch <strong>die</strong> Ausdrucksweise:„wegen Erleidung des Todes“ hat er <strong>den</strong>wirklichen Tod <strong>an</strong>gezeigt, durch <strong>die</strong> Worteaber: „besser als <strong>die</strong> Engel“ <strong>die</strong> Auferstehungkund geth<strong>an</strong>. Denn gleichwie ein Arzt nichtverpachtet ist, <strong>die</strong> für <strong>den</strong> Kr<strong>an</strong>ken bereiteten99 Joh 11,4100 Röm 8,32101 Röm 5,15


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Speisen zu versuchen, aber aus Sorge für ihnselber verkostet, damit er dem Kr<strong>an</strong>kenMuth mache, zu essen: so hat auch Christusselbst, da <strong>die</strong> Menschen vor dem Tode sichscheuten, um ihnen <strong>die</strong> Todesfurcht zubenehmen, <strong>den</strong> Tod, ohne zu müssen,verkostet. „Denn es kommt,“ sagt er, „derFürst <strong>die</strong>ser Welt, aber er hat Nichts <strong>an</strong>mir.“ 102 In gleichem Sinne sind hier <strong>die</strong>Worte: „nach Gottes Gnade“ und: „Damit erfür Alle <strong>den</strong> Tod verkoste“ gebraucht.10. Denn es ziemte sich, daß Der, um dessenwillen alle Dinge und durch welchen alleDinge sind, da er viele Kinder zurHerrlichkeit führen wollte, <strong>den</strong> Urheberihres Heiles durch Lei<strong>den</strong> zur Vollendungbrächte.III.Hier spricht er vom Vater. Siehst du, wie erwieder <strong>die</strong> Worte: „durch welchen“ auf ihn<strong>an</strong>wendet? Das würde er nicht geth<strong>an</strong> haben,wenn sie <strong>die</strong> Bezeichnung von „geringer“ in sich tragen und nur auf <strong>den</strong>Sohn <strong>an</strong>gewendet wer<strong>den</strong> sollten. Der Sinnder Worte ist <strong>die</strong>ser: Er hat, will er sagen,seiner Menschenfreundlichkeit würdiggeh<strong>an</strong>delt, da er <strong>den</strong> Eingebornen vor Allenauszeichnete und ihn als wackeren Kämpfer,der <strong>die</strong> Anderen <strong>über</strong>trifft, <strong>den</strong> Übrigen alsMuster hinstellte. „Den Urheber ihres Heiles“heißt soviel als: <strong>die</strong> Ursache ihres Heiles.Siehst du, welch ein Abst<strong>an</strong>d? Jener ist Sohn,auch wir sind Söhne; er aber schaffet dasHeil, wir empf<strong>an</strong>gen es. Siehst du, wie er unszusammenstellt und d<strong>an</strong>n wieder trennt?„Da er viele Kinder,“ sagt er, „zur Herrlichkeitführen wollte;“ hier stellt er <strong>den</strong> Urheber ihresHeiles (mit ihnen) zusammen undunterscheidet ihn wieder (von ihnen). „Daß erdurch Lei<strong>den</strong> zur Vollendung brächte.“ DieLei<strong>den</strong> sind also <strong>die</strong> Vollendung und <strong>die</strong>Ursache des Heiles. Siehst du, wie <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong>durchaus nicht beweisen, daß m<strong>an</strong> verlassensei? Wenn aber Gott <strong>den</strong> Sohn zuerstdadurch geehrt hat, daß er ihn durch Lei<strong>den</strong>hindurchführte, so erscheint <strong>die</strong>ser durchseine Menschwerdung und seine Lei<strong>den</strong> vielgrößer als durch <strong>die</strong> Erschaffung der Welt,<strong>die</strong> er aus Nichts in’s Dasein berufen. Diesesist zwar ein Werk seinerMenschenfreundlichkeit, Jenes aber noch vielmehr. Eben Dieses zeigt er auch selbst mit<strong>den</strong> Worten: „Um in <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong> Zeiten<strong>den</strong> <strong>über</strong>schwenglichen Reichthum seinerGnade zu zeigen, hat er uns mitauferwecktund mitversetzt in <strong>den</strong> Himmel in ChristusJesus.“ 103 „Denn es ziemte sich, daß Der, umdessen willen alle Dinge und durch welchen alleDinge sind, da er viele Kinder zur Herrlichkeitführen wollte, <strong>den</strong> Urheber ihres Heiles durchLei<strong>den</strong> zur Vollendung brächte.“ Denn esziemte sich, will er sagen, für ihn, der da fürAlles besorgt ist und Alles in’s Daseingerufen hat, daß er <strong>den</strong> Sohn hingebe für dasHeil der Übrigen, <strong>den</strong> Einen für Viele.Aber so sagt er nicht, sondern: „daß er ihndurch Lei<strong>den</strong> zur Vollendung brächte,“ wodurcher <strong>an</strong>zeigt, daß Derjenige, welcher fürJem<strong>an</strong><strong>den</strong> leidet, nicht Diesem allein Nutzenverschafft, sondern auch selbst glänzenderund herrlicher wird. Und <strong>die</strong>se Worte sindzu Gläubigen gesprochen, um sie im Glaubenzu stärken; <strong>den</strong>n Christus war zur Zeit, als erlitt, schon mit Ehre gekrönt. Wenn ich abersage, daß er mit Ehre gekrönt war, sogeschieht Dieß, damit du nicht wähnest, erhabe noch einen Zuwachs von Ehreempf<strong>an</strong>gen; <strong>den</strong>n jene seiner Naturentsprechende Ehre hat er ja immer, ohne siezu vermehren.11. Denn Der heiliget und Die geheiligetwer<strong>den</strong>, sind alle von Einem. Aus <strong>die</strong>sem102 Joh 14,3036103 Eph 2,7


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Grunde schämt er sich nicht, sie Brüder zunennen.Siehe, wie er sie wieder zusammenstellt, wieer sie ehret und tröstet, indem er sie zuChristi Brüdern macht, da sie ja von Einemseien. D<strong>an</strong>n fügt er, um seiner RedeGewißheit zu geben und zu zeigen, daß er<strong>über</strong> ihn dem Fleische nach rede, <strong>die</strong> Wortehinzu: „Denn Der heiliget und Die geheiligetwer<strong>den</strong>.“ Siehst du, wie groß der Unterschiedist? Er heiliget, wir aber wer<strong>den</strong> geheiliget.Oben n<strong>an</strong>nte er ihn <strong>den</strong> Urheber ihres Heiles;<strong>den</strong>n es ist nur ein Gott, von dem Alles ist.„Aus <strong>die</strong>sem Grunde schämt er sich nicht, sieBrüder zu nennen.“ Siehst du, wie er nochmalsseine Erhabenheit klar macht? Denn durch<strong>die</strong> Worte: „Er schämt sich nicht“ zeigt er <strong>an</strong>,daß das G<strong>an</strong>ze nicht in der Natur der Sacheliege, sondern dem Wohlwollen und dergroßen Demuth Dessen entstamme, der sichnicht schämt. Denn wenn auch Alle vonEinem sind, so ist er der Heiligende, wir aberempf<strong>an</strong>gen <strong>die</strong> Heiligung. Das ist ein großerUnterschied. Er stammt aus dem Vater alsgezeugter, d. h. wesensgleicher Sohn; wiraber sind von demselben aus Nichts erschaffen wor<strong>den</strong>. Also ein großerUnterschied! Daher sagt er: „Er schämt sichnicht, sie Brüder zu nennen, indem er spricht:“12. Ich will deinen Namen <strong>den</strong> Brüdernverkün<strong>den</strong>.Denn da er Fleisch <strong>an</strong>nahm, wurde er auchunser Bruder, und mit seinerMenschwerdung trat er seine Bruderschaft<strong>an</strong>. Und <strong>die</strong>se Worte gebraucht er mit Recht.Was soll aber Das heissen:13. Ich will auf ihn vertrauen?Denn auch das Folgende sagt er g<strong>an</strong>z<strong>an</strong>gemessen: „Siehe, ich und meine Kinder, <strong>die</strong>mir Gott gegeben hat.“ Wie er sich nämlichdort als Vater zeigt, so hier als Bruder. Denn„ich will,“ sagt er, „deinen Namen meinenBrüdern verkün<strong>den</strong>.“ Und wieder hebt erseine Erhabenheit und große Verschie<strong>den</strong>heitdurch <strong>die</strong> folgen<strong>den</strong> Worte hervor:3714. Da nun <strong>die</strong> Kinder des Fleisches undBlutes theilhaftig gewor<strong>den</strong> sind.IV.Siehst du, sagt er, inwieferne Ähnlichkeit ist?Nach dem Fleische. „So hat er auch gleichfallssich derselben theilhaftig gemacht.“ Erröthensollen alle <strong>die</strong> Häretiker und sich gar nichtmehr sehen lassen, <strong>die</strong> da sagen, er sei nurscheinbar in <strong>die</strong> Welt gekommen, nicht aberwirklich. Denn er sagt nicht einfach, daß er<strong>an</strong> <strong>die</strong>sen 104 Theil nahm, und schweigt(obwohl auch <strong>die</strong>ser Ausdruck hingereichthätte), sondern läßt noch etwas Anderes, Wichtigeres aufleuchten (ἐνέϕηνε),indem er das Wort „gleichfalls“ beifügt; -nicht unter dem Scheine noch unter demBilde, sagt er, sondern in Wahrheit; <strong>den</strong>nsonst wäre der Ausdruck „gleichfalls“ wohlnicht am Platze.Nachdem er nun <strong>die</strong> Bruderschaftnachgewiesen, zeigt er auch <strong>die</strong> Ursache derMenschwerdung <strong>an</strong>. „Damit er durch <strong>den</strong> TodDem <strong>die</strong> Macht nähme, der des Todes Gewalthatte, das ist dem Teufel.“ Hier zeigt er dasWunderbare, daß der Teufel durch Das<strong>über</strong>wun<strong>den</strong> wor<strong>den</strong>, wodurch ergeherrscht, und daß Christus durch <strong>den</strong> Tod,der in jenes H<strong>an</strong>d eine so gewaltige Waffegegen <strong>die</strong> Welt war, ihn selbst schlug, was<strong>die</strong> große Macht des Siegers <strong>an</strong>zeigt. Siehstdu, welch herrliches Gut der Tod bewirkthat?15. Und Diejenigen erlöste, welche in derFurcht des Todes durch das g<strong>an</strong>ze Lebender Knechtschaft unterwarfen waren.Warum, sagt er, bebt ihr? Was fürchtet ihr<strong>den</strong> (Tod), der sein Ende gefun<strong>den</strong>? Denn erist nicht mehr furchtbar, sondernniedergetreten und verachtet, geringfügigund ohne alle Bedeutung. Was heißt aber104 Fleisch und Blut


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Das: „Welche in der Furcht des Todes durch dasg<strong>an</strong>ze Leben der Knechtschaft unterworfenwaren“? Was will er damit sagen? Entwederdaß Derjenige, der <strong>den</strong> Tod fürchtet, einSklave ist und Alles ertragen möchte, um nurnicht zu sterben; oder daß Alle Sklaven desTodes waren und, weil derselbe noch nichtvernichtet gewesen, von ihm beherrschtwur<strong>den</strong>; oder daß <strong>die</strong> Menschen inunaufhörlicher Furcht lebten; oder daßDenjenigen, welche immer in ängstlicherErwartung des kommen<strong>den</strong> Todes warenund Angst vor ihm hatten, jeglicherFreu<strong>den</strong>genuß unmöglich gemacht war, dasie <strong>die</strong> Todesfurcht nicht verließ. Denn Dasdeutet er <strong>an</strong> mit <strong>den</strong> Worten: „durch das g<strong>an</strong>zeLeben“. Er zeigt hier, daß Diejenigen,welche in Trübsal schmachten, vertriebenoder verfolgt ihres Vaterl<strong>an</strong>des und ihrersämmtlichen Habe beraubt wer<strong>den</strong>,vergnügter und freier leben als Jene, <strong>die</strong> vonjeher im Überfluß prassen, <strong>die</strong> von solchenLei<strong>den</strong> Nichts verkostet, derben Glück inschönster Blüthe pr<strong>an</strong>gt. Denn da Diesedurch das g<strong>an</strong>ze Leben von <strong>die</strong>ser Furchtverzehrt wer<strong>den</strong> und Sklaven sind,verbleiben Jene von solcher frei und können<strong>über</strong> Das lachen, wovor <strong>die</strong> Andern erbeben.Mit dem Tode hatte es ehemals ein ähnlichesVerhältniß, wie wenn Jem<strong>an</strong>d einenGef<strong>an</strong>genen, der zum Tode geführt wer<strong>den</strong>soll und stets mit Entsetzen darauf hinschaut,in üppiger Nahrungsfülle schwelgen ließe.Jetzt aber hat sich <strong>die</strong> Sache also gestellt, wiewenn Jem<strong>an</strong>d, jene Furcht verb<strong>an</strong>nend, mitdem sinnlichen Wohlleben zu streitenermunterte und mit der Aufforderung zumKampfe <strong>an</strong>kün<strong>den</strong> würde, daß <strong>die</strong>ser nichtzum Tode, sondern zur Herrschaft führenwerde. Zu welchen wirst du nun gehörenwollen? Zu Denen, welche im Kerker infettem Überfluß leben, aber je<strong>den</strong> Tag derTodes<strong>an</strong>kündigung entgegensehen müssen,oder zu Denen, welche in vielen Kämpfenund in freudiger Anstrengung ausdauern,38um sich das Diadem der Herrschaft auf’sHaupt zu setzen? Siehst du, wie er ihrenMuth hebt, und wie er sie in Sp<strong>an</strong>nungversetzt? Er zeigt aber, daß nicht nur der Todaufgehört habe, sondern durch <strong>die</strong>sen auchJener, welcher gegen uns stets einenunversöhnlichen Krieg unternommen hatund fortführt, nämlich der Teufel, derniedergeschlagen sei; <strong>den</strong>n wer <strong>den</strong> Todnicht fürchtet, ist frei von der Tyr<strong>an</strong>nei desTeufels. Denn wenn „Haut um Haut, und derMensch Alles, was er hat, um sein Lebengibt,“ 105 und wenn sich Jem<strong>an</strong>d entschlösse,selbst <strong>die</strong>ses gering zu achten: wessen Sklavewär’ er d<strong>an</strong>n noch? Keinen fürchtet er, vorNiem<strong>an</strong>dem erschreckt er, er ist <strong>über</strong> Alleerhaben und freier als Alle. Denn wer seineigenes Leben verachtet, wird Dies noch viel mehr in Bezug auf alles Anderethun. Findet aber der Teufel eine solcheSeele, d<strong>an</strong>n wird er für seine Zwecke Nichtsauszurichten vermögen. Was <strong>den</strong>n? sag’ <strong>an</strong>!Droht er mit Geldverlust oder Beschimpfungoder mit Verb<strong>an</strong>nung aus dem Vaterl<strong>an</strong>de?Das ist aber eine Kleinigkeit für Den, welchernicht einmal das Leben hoch <strong>an</strong>schlägt, wieder heilige Paulus spricht. 106 Siehst du, wie er<strong>die</strong> Gewalt des Teufels gebrochen, nachdemer <strong>die</strong> Tyr<strong>an</strong>nei des Todes zertrümmert hatte!Denn wer in Betreff der Auferstehung eine sounerschöpfliche Weisheit besitzt, wie soll Dernoch Todesfurcht haben? Was Anderes sollihn erschrecken? Wollet darum nichtärgerlich wer<strong>den</strong> und sagen: Warum habenwir Dieses oder Jenes zu lei<strong>den</strong>? So ist derSieg um so glänzender; er wäre aber nicht soglänzend, wenn er nicht <strong>den</strong> Tod durch <strong>den</strong>Tod vernichtet hatte. Wunderbar aber istDas, daß er dadurch ihn <strong>über</strong>w<strong>an</strong>d, wodurchderselbe seine Gewalt hatte, was seineallseitige Überlegenheit und Gew<strong>an</strong>dtheitbekundet. Geben wir also das uns verlieheneGeschenk nicht preis, „<strong>den</strong>n wir haben nicht105 Joh 2,4106 Apg 20,24


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>den</strong> Geist der Furcht, sondern <strong>den</strong> Geist derKraft und der Liebe und der Nüchternheitempf<strong>an</strong>gen.“ 107 Lasset uns also entschlossendastehen und <strong>den</strong> Tod verlachen!V.Allein es befällt mich das Gefühl einesbitteren Schmerzes; <strong>den</strong>n auf welche Höhehat uns Christus hinaufgeführt! Wie tief sindwir selber in <strong>den</strong> Abgrund gerathen! Dennwenn ich <strong>die</strong> Klaggeber<strong>den</strong> 108 auf demMarkte wahrnehme und das Weheklagen,<strong>die</strong> der Verstorbenen wegen stattfin<strong>den</strong>, dasJammergeschrei und <strong>die</strong> <strong>an</strong>derenHäßlichkeiten, so schäme ich mich, glaubetes mir, vor <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>, vor <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> undvor <strong>den</strong> Häretikern, <strong>die</strong> Solches sehen,und vor Allen, <strong>die</strong> uns darum wahrhaftverlachen müssen. Und was ich etwa nochweiter rede, wird, da ich von derAuferstehung h<strong>an</strong>dle, wohl vergebensgesprochen sein. Warum? Weil <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong>nicht auf Das Acht haben, was ich sage,sondern auf Das, was ihr thut; <strong>den</strong>n alsbaldwer<strong>den</strong> sie mit der Einrede da sein: W<strong>an</strong>nwird wohl Einer von Diesen <strong>den</strong> Todverachten können, da er nicht einmal einenAndern als Leiche zu sehen vermag? Schönsind <strong>die</strong> Worte des heiligen Paulus, ja, schönund würdig des Himmels und derMenschenfreundlichkeit Gottes. Was sagt er?„Und er wird Diejenigen erlösen, welche in derFurcht des Todes durch das g<strong>an</strong>ze Leben derKnechtschaft unterworfen waren.“ Aber daß ihrDieses glaubet, lasset ihr selber nicht zu,indem ihr durch euere Werke euch selbstwiderstreitet, wiewohl Gott gar m<strong>an</strong>cheSchutzwehr verlieh, damit <strong>die</strong>se schlimmeGewohnheit beseitiget werde. Denn sage mir,was bedeuten <strong>den</strong>n <strong>die</strong> strahlen<strong>den</strong> Lampen?Geleiten wir Jene (<strong>die</strong> Gläubigen) nicht alsKämpfer (zur ewigen Ruhe)? Was bedeuten<strong>die</strong> Hymnen? Preisen wir nicht Gott undsagen ihm D<strong>an</strong>k, daß er <strong>den</strong>Hingeschie<strong>den</strong>en gekrönt und ihn von seinenBeschwer<strong>den</strong> erlöst, daß er ihn, der Furchtnun entrissen, bei sich hat? Sind nicht darum<strong>die</strong> Hymnen? nicht darum <strong>die</strong>Psalmengesänge? Das alles ist ein Ausdruckder Freude; „,<strong>den</strong>n ist Jem<strong>an</strong>d gutenMuthes,“ heißt es, „so singe er Loblieder!“ 109Aber darauf achten <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong> wohl nicht.Denn, heißt es, nenne mir Einen, nicht einenWeisen, der frei ist von Lei<strong>den</strong> (<strong>den</strong>n Das istnichts Großes und Bewunderungswürdiges),sondern zeige mir Einen, der im Lei<strong>den</strong>Weisheit übt, und ich will <strong>an</strong> <strong>die</strong>Auferstehung glauben. Wenn Weiber, <strong>die</strong> desLebens Mühen tragen, Solches thun, darfm<strong>an</strong> sich dar<strong>über</strong> nicht wundern, wiewohlauch Das gegen <strong>die</strong> Ordnung verstößt; <strong>den</strong>nauch von <strong>die</strong>sen wird <strong>die</strong> gleiche Lebensweisheit gefordert; darum sprichtauch Paulus: „Wir wollen euch aber, Brüder,nicht in Unwissenheit lassen <strong>über</strong> <strong>die</strong>Entschlafenen, daß ihr nicht betrübt seid wie<strong>die</strong> Übrigen, <strong>die</strong> keine Hoffnung haben.“ 110Dieses schrieb Paulus nicht bloß für Solche,<strong>die</strong> in der Einsamkeit leben, noch auch fürSolche, <strong>die</strong> immer Jungfrauen bleiben,sondern ebenso für Verehelichte und<strong>über</strong>haupt Weltleute. Jedoch ist Das nochnicht so arg. Wenn aber Jem<strong>an</strong>d, sei es nunWeib oder M<strong>an</strong>n, von sich aussagt, der Weltgekreuzigt zu sein, und <strong>die</strong>ser sich <strong>die</strong> Haarezerrauft, jene aber laut aufheult, was ist d<strong>an</strong>nschmählicher als Dieß? Wollte m<strong>an</strong> hierGerechtigkeit üben, so müßte m<strong>an</strong> Solchel<strong>an</strong>ge Zeit von der Schwelle der Kircheabhalten. Wahrhaft zu bedauern sind Jene,welche <strong>den</strong> Tod fürchten und vor ihmerbeben, welche <strong>an</strong> keine Auferstehungglauben. Aber, sagt m<strong>an</strong>, ich läugne <strong>die</strong>Auferstehung nicht, sondern ich halte mich107 Röm 8,15; vgl. 2 Tim 1,7108 Κοπετοί = <strong>die</strong> mit Schlagen <strong>an</strong> <strong>die</strong> Brust verbun<strong>den</strong>en Weheklagen39109 Jak 5,13110 1 Thess 4,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>an</strong> <strong>die</strong> Gewohnheit. Sag’ <strong>an</strong>, warum thust dunicht Dasselbe, w<strong>an</strong>n du eine Reise und zwareine l<strong>an</strong>ge Reise unternimmst? Aber ichweine auch d<strong>an</strong>n, sagst du, und vergießeThränen aus Gewohnheit. Jene Thränenfließen wirklich aus Gewohnheit, <strong>die</strong>se, weilm<strong>an</strong> <strong>an</strong> der Rückkehr verzweifelt. Aberbe<strong>den</strong>ke, was du zu jener Zeit singest:„Kehre zurück, meine Seele, in deine Ruhe,<strong>den</strong>n der Herr hat dir wohlgeth<strong>an</strong>.“ 111 Undwieder: „Ich will nichts Übles fürchten, weildu bei mir bist.“ 112 Ferner: „Du bist meineZuflucht vor der Trübsal, <strong>die</strong> michumrungen hat.“ 113 Erwäge, was <strong>die</strong>sePsalmen besagen wollen! Allein du achtestnicht darauf, sondern bist trunken vonTrauer. Gib aufmerksam auf <strong>die</strong>Leichenbegängnisse Anderer Acht, damit dufür das deinige ein Heilmittel gewinnest!„Kehre zurück, meine Seele, in deine Ruhe,<strong>den</strong>n der Herr hat dir wohlgeth<strong>an</strong>,“ - so sagstdu, und dabei weinst du? Ist das nichtSchauspielerei? nicht Heuchelei? Dennglaubst du in Wahrheit deinen eigenenWorten, so ist deine Trauer <strong>über</strong>flüssig; wenndu aber Scherz treibest und heuchelst undDieses als Märchen betrachtest, warum singstdu <strong>den</strong>n Psalmen? Warum duldest du <strong>die</strong>Anwesen<strong>den</strong>? Warum jagst du Jene, <strong>die</strong>psalliren, nicht fort? D<strong>an</strong>n müßte m<strong>an</strong>, sagstdu, ein Rasender sein. Nun, Jenes ist nochviel mehr das Werk eines Solchen. - Nun,bisher warnte ich; in der Folge aber werdeich <strong>die</strong> Sache ernster nehmen; <strong>den</strong>n ichfürchte sehr, daß auf <strong>die</strong>se Weise eineschwere Kr<strong>an</strong>kheit in der Kirche Platz greifengönnte. In Betreff <strong>die</strong>ses Trauerwesens werdeich später Ordnung schaffen; für jetzt macheich nur <strong>die</strong> Ankündigung und beschwöreReiche und Arme, Frauen und Männer.Möchtet ihr nur alle ohne Trauer <strong>die</strong>sesLeben verlassen, und nach dem Gesetze der111 Ps 114, 7112 Ps 22,4113 Ps 31,740Ordnung <strong>die</strong> Väter von <strong>den</strong> Söhnen dasGeleite empf<strong>an</strong>gen, hochbetagt, und <strong>die</strong>Mütter von <strong>den</strong> Töchtern, <strong>den</strong> Enkeln undUrenkeln in schönem Greisenalter, undmöchte nirgendswo ein vorzeitiger Tod sichereignen! Das ist also mein Wunsch undmein Gebet, und <strong>die</strong> Vorsteher und euch alleermuntere ich, in gemeinsamer Bitte zu Gottzu flehen. Wenn aber, wovor wir bewahrtbleiben mögen, ein herber Todesfall (einensolchen nenne ich, der sich nicht nach demnatürlichen Laufe der Dinge ereignet; <strong>den</strong>nim Übrigen ist der Tod nicht bitter und nichtverschie<strong>den</strong> vom Schlafe und ich nenn’ ihnnur bitter nach unserer Stimmung) sichereignen sollte und m<strong>an</strong> <strong>die</strong>se Klageweiberdingen würde, - glaubt meinen Worten, <strong>den</strong>nich rede, wie ich <strong>den</strong>ke, und wer darobzürnen will, mag es thun, - Den werde ich alseinen Götzen<strong>die</strong>ner auf längere Zeit von derKirchengemeinschaft ausschließen. Dennwenn Paulus 114 <strong>den</strong> Geizigen einenGötzen<strong>die</strong>ner nennt, d<strong>an</strong>n ist es noch vielmehr Derjenige, welcher <strong>die</strong> Gebräuche derGötzen<strong>die</strong>ner für einen Gläubigen inAnwendung bringt. Oder sage mir, warum rufst du <strong>die</strong> Priester, warum <strong>die</strong>Psalmensänger? Nicht zu deinem Troste undzur Ehre des Todten? Warum beschimpfst duihn <strong>den</strong>n? Warum machst du ihn lächerlich?Warum geberdest du dich wie einSchauspieler auf der Bühne? Wir kommenund unterweisen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Auferstehung undbelehren Alle, auch <strong>die</strong> noch von keinemharten Schlage getroffen sind, daß sie, solltesich ein solcher ereignen, wegen der Jenemzu Theil wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Ehre st<strong>an</strong>dhaften Muthbeweisen sollen: du aber führst Leute herbei,welche, soviel <strong>an</strong> ihnen liegt, unser Wirkenvernichten.VI.114 Kol 3,5


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Was ist erbärmlicher als <strong>die</strong>se Lächerlichkeitund <strong>die</strong>ser Spott? Gibt es eine größereUnordnung? Erröthet und schämt euch!Wenn ihr aber auch nicht wollt, - wir lassensolche verderbliche Gewohnheiten in derKirche nicht aufkommen; <strong>den</strong>n es heißt: „DieFehlen<strong>den</strong> weise vor Allen zurecht!“ 115 Jenenelen<strong>den</strong> und unseligen Weibern aberverbieten wir durch euch, sich je wieder bei<strong>den</strong> Begräbnissen der Gläubigeneinzufin<strong>den</strong>, damit wir sie nicht zwingenmüssen, ihr eigenes Unglück zu beweinen.sondern sie vielmehr dahin zu vermögen,nicht in frem<strong>den</strong> Angelegenheiten also zuh<strong>an</strong>deln, sondern ihre eigenen Unfälle zubeklagen. Ist ja auch ein zärtlich liebenderVater, der einen ausschweifen<strong>den</strong> Sohn hat,darauf bedacht, nicht nur ihn vor derGesellschaft der Bösen zu warnen, sondernauch <strong>die</strong>se ferne zu halten. Sehet also, soempf<strong>an</strong>get ihr und Jene durch euch <strong>die</strong>Warnung: ihr zwar, daß ihr solche Personennicht mehr herbeiruft, und Diese, daß sie sichnicht mehr einfin<strong>den</strong>. Mög’ es geschehen,daß das Wort seine Wirkung nicht verfehleund <strong>die</strong> Drohung nicht umsonst sei; solltenwir aber wider Erwarten Verachtung fin<strong>den</strong>,d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> wir genöthiget sein, <strong>die</strong>Drohung zu verwirklichen und euch nach<strong>den</strong> Kirchengesetzen, Jene aber, wie es ihnenzukommt, zu strafen. Sollte aber Einer frechwiderstreben, der vernehme das WortChristi, welcher auch jetzt noch spricht: „Hataber dein Bruder wider dich gesündigt, sogehe hin und verweise es ihm zwischen dirund ihm allein! Gibt er dir aber kein Gehör,so nimm noch Einen oder Zwei zu dir; hörter aber auch Diese nicht, so sage es derKirche; wenn er aber auch <strong>die</strong> Kirche nichthört, so sei er dir wie ein Heide undöffentlicher Sünder!“ 116 Wenn er nunDenjenigen, welcher durch Ungehorsam115 1 Tim 5,28116 Mt 18,15-1741gegen mich sich verfehlt, so zu mei<strong>den</strong>befiehlt, d<strong>an</strong>n möget ihr nun selberentschei<strong>den</strong>, wie ich Den zu beh<strong>an</strong>delnverpflichtet bin, welcher gegen sich selbstund gegen Gott sich verfehlt. Ihr aberverurtheilet mich, weil ich euch nicht mitschonender Milde beh<strong>an</strong>dle. 117 Wenn aberJem<strong>an</strong>d <strong>die</strong> Bindegewalt, <strong>die</strong> wir besitzen,gering achten wollte, der lasse sich wiedervon Christus belehren mit <strong>den</strong> Worten: „Wasihr bin<strong>den</strong> werdet auf Er<strong>den</strong>, Das soll auchim Himmel gebun<strong>den</strong> sein, und was ihrlösen werdet auf Er<strong>den</strong>, Das soll auch imHimmel gelöset sein.“ 118 Denn sind auch wirelend und Nichts und der Geringschätzungwerth, wie wir es wirklich nicht besserver<strong>die</strong>nen, so suchen wir doch keine Rache,geben dem Zorn nicht Raum, sondern eifernnur für das Heil euerer Seele. Ich bitte:erröthet und schämt euch! Denn wenn schonJem<strong>an</strong>d einen Freund, der <strong>über</strong> GebührVorwürfe spendet, unter Berücksichtigungder guten Absicht, und weil er wohlgesinntund ohne Anmaßung h<strong>an</strong>delt, geduldigerträgt, so müßt ihr um so mehr einenLehrer, der sich tadelnd ausspricht, und zwareinen Lehrer, der nicht mit Selbstgefühl,nicht wie ein gebietender Herr, sondern wieein fürsorglicher Vater seine Wortevorbringt, in Liebe ertragen. Wir sagen Dasnicht in der Absicht, unsere Macht zu zeigen;<strong>den</strong>n wir wollen ja gar nicht, daß ihr <strong>die</strong>seaus Erfahrung erprobet, sondern sagenes aus Schmerz und Betrübniß. Nun so habet<strong>den</strong>n Nachsicht und verachtet nicht <strong>die</strong>kirchliche Bindegewalt. Denn nicht einMensch ist es, der bindet, sondern Christus,welcher uns <strong>die</strong>se Macht verlieh undMenschen zu Inhabern einer so großen Ehreerhob. Wir wünschen, daß <strong>die</strong>se Macht füruns nur eine Lösegewalt sei, oder vielmehrunser Verl<strong>an</strong>gen ist es, <strong>die</strong>selbe nie117 Eine Vari<strong>an</strong>te in der Note lautet in der Übersetzung: Ihr aber beurtheilt<strong>die</strong> Milde verkehrt, mit der ich euch so schonend beh<strong>an</strong>dle.118 Mt 16,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gebrauchen zu müssen; <strong>den</strong>n wir wünschen,daß bei uns Niem<strong>an</strong>d unter dem B<strong>an</strong>ne lebe.Wenn wir auch gar Nichts sind, so elend undarmselig sind wir <strong>den</strong>n doch nicht. Solltem<strong>an</strong> uns aber zu <strong>die</strong>ser Maßregel zwingen,so habet Nachsicht; <strong>den</strong>n wir bin<strong>den</strong> nichtgerne und willig, sondern empfin<strong>den</strong> dabeieinen größeren Schmerz als ihr, <strong>die</strong>Gebun<strong>den</strong>en selbst. Sollte aber Jem<strong>an</strong>d <strong>die</strong>seB<strong>an</strong>de verachten, so wird der Tag desGerichtes erscheinen, der ihn d<strong>an</strong>n dar<strong>über</strong>belehrt. Das Übrige will ich nicht weiterbesprechen, um euer Herz nicht zuverwun<strong>den</strong>. Zuerst beten wir, daß wir nichtgenöthiget wer<strong>den</strong>; sollte es aber nothwendigsein, d<strong>an</strong>n erfüllen wir unsere Pflicht undsprechen <strong>den</strong> B<strong>an</strong>n aus. Bricht nun Jem<strong>an</strong>d<strong>den</strong>selben, so habe ich das Meinige geth<strong>an</strong>und bin von der Rechenschaft frei; du aberhast es d<strong>an</strong>n mit Dem zu thun, der mir <strong>den</strong>Befehl gab, zu bin<strong>den</strong>. Denn wenn ein Königzu Gericht sitzen und einem Soldaten derLeibwache <strong>den</strong> Befehl geben würde, irgendEinen aus der Cohorte zu bin<strong>den</strong> und inFessel zu legen, Dieser aber <strong>den</strong> Beauftragtennicht nur von sich schlüge, sondern auch <strong>die</strong>Fessel zerbräche: so wäre es nicht so sehr der<strong>die</strong>nstthuende Soldat, welcher <strong>den</strong>Übermuth erduldet, als vielmehr der König,welcher <strong>den</strong> Befehl ertheilt hat. Wenn GottDas, was gegen <strong>die</strong> Gläubigen geschieht, soausnimmt, als würde es ihm selber zugefügt,um wie viel mehr wird er, wolltet ihr <strong>die</strong> mitdem Lehramte Betrauten <strong>über</strong>müthigverletzen, sich selbst auf solche Art verletzthalten? Möge doch Keiner von <strong>die</strong>ser Kirchein <strong>den</strong> Fall kommen, <strong>die</strong>se Bindegewalt <strong>an</strong>sich erfahren zu müssen! Denn wie es schönist, nicht zu sündigen, so ist es ersprießlich,Tadel hinzunehmen. Ertragen wir also <strong>die</strong> Rüge und geben wir uns Mühe, keineSünde zu begehen; haben wir aber gefehlt,d<strong>an</strong>n wollen wir auch <strong>den</strong> Tadel hinnehmen.Denn wie es gut ist, nicht verwundet zuwer<strong>den</strong>, wenn Dieß aber geschieht, ein auf42<strong>die</strong> Wunde gelegtes Heilmittel zweck<strong>die</strong>nlichist, so ist es auch hier. Aber möge es doch niegeschehen, daß solche Heilmittel gebrauchtwer<strong>den</strong> müssen. „Von euch aber versehenwir uns Besseres, und was auf das Heilabzielt, obgleich wir so re<strong>den</strong>.“ 119 Wir habenaber so entschie<strong>den</strong> gesprochen, damit ihrum so sicherer seid. Denn es ist besser, daßich von euch als kühn, hart und <strong>an</strong>maßendbeargwohnt werde, als daß ihr thut, was Gottnicht gefällt. Wir vertrauen auf Gott, daß<strong>die</strong>se Strafrede für euch nicht ohne Nutzensein werde, sondern daß ihr euch soumändern werdet, daß <strong>die</strong>se Worte als eineLobrede für euch gelten können und zueuerer Ehre gereichen. Möchten wir dochnach Gottes Wohlgefallen unser Lebeneinrichten, damit wir alle gewürdigetwer<strong>den</strong>, der Güter theilhaftig zu wer<strong>den</strong>, <strong>die</strong>Gott Denen verheissen hat, <strong>die</strong> ihn lieben, inChristus Jesus, unserem Herrn. Amen. Fünfte Homilie.I.16.17. Denn nirgends kommt er Engeln zuHilfe, sondern dem Samen Abrahamskommt er zu Hilfe. Darum mußte er inAllem seinen Brüdern gleich wer<strong>den</strong>.Da Paulus <strong>die</strong> große Barmherzigkeit Gottesund seine Liebe gegen dasMenschengeschlecht darstellen will,unterzieht er nach <strong>den</strong> Worten: „Da nun <strong>die</strong>Kinder Fleisches und Blutes theilhaftiggewor<strong>den</strong> sind, so hat auch er gleichfalls sichderselben theilhaftig gemacht,“ <strong>die</strong>se Stelleeiner näheren Erörterung, indem er sagt:„Denn nirgends kommt er Engeln zu Hilfe.“Nimm <strong>die</strong>se Worte nicht so schlechthin undbetrachte es nicht als eine unbedeutendeSache, daß er unser Fleisch <strong>an</strong>genommen,119 Hebr 6,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>den</strong>n nicht Engeln hat er <strong>die</strong>se Gnadeerwiesen, weßhalb er auch sagt: „Denn nichtEngeln kommt er zu Hilfe, sondern dem SamenAbrahams kommt er zu Hilfe.“ Was ist Das, waser sagt? Nicht <strong>die</strong> Natur eines Engels nahmer <strong>an</strong>, sondern <strong>die</strong> menschliche. Wasbedeutet der Ausdruck: „kommt zu Hilfe“?Nicht <strong>die</strong> Natur der Engel, sagt er, hat ergewählt, sondern <strong>die</strong> unsere. Warumaber sagt er <strong>den</strong>n nicht: „Er hat<strong>an</strong>genommen,“ sondern be<strong>die</strong>nt sich desAusdruckes: „kommt zu Hilfe“? Dieserbildliche Ausdruck ist von der Art und WeiseDerjenigen entlehnt, welche Solcheverfolgen, <strong>die</strong> sie zur Rückkehr ver<strong>an</strong>lassenwollen, und <strong>die</strong> Alles aufbieten, <strong>die</strong>Flüchtlinge zu erfassen und, <strong>die</strong> entrinnenwollen, festzuhalten. Denn der von ihmwegeilen<strong>den</strong> Natur, <strong>die</strong> von ihm weit sichentfernte (<strong>den</strong>n 120 „wir waren Gottentfremdet und ohne Gott in der Welt“), ister nachgefolgt und hat sie festgehalten.Hieraus beweist er, daß einzig <strong>die</strong>Menschenfreundlichkeit, <strong>die</strong> Liebe und <strong>die</strong>Fürsorge (Gottes) Dieses geth<strong>an</strong> hat. Wie erdaher in <strong>den</strong> Worten: „Sind sie nicht alle<strong>die</strong>nende Geister, ausges<strong>an</strong>dt zum Diensteum Derer willen, welche <strong>die</strong> Seligkeit ererbensollen?“ 121 seinen großen Eifer um das Wohlder menschlichen Natur zeigt, und wie sehrGott für dasselbe besorgt sei: so ist auch Das,was er hier durch einen Vergleich zeigt, nochviel größer; <strong>den</strong>n „nicht Engeln,“ sagt er,„kommt er zu Hilfe.“ Denn es ist in der Thatetwas Großes. Wunderbares undErstaunliches, daß nun Fleisch von unseremFleische in der Höhe thronet und <strong>an</strong>gebetetwird von Engeln und Erzengeln, von <strong>den</strong>Seraphim und <strong>den</strong> Cherubim. Wenn ich Dießm<strong>an</strong>chmal in meinem Geiste erwäge, geratheich g<strong>an</strong>z ausser mich und verliere mich inerhabene Ged<strong>an</strong>ken <strong>über</strong> dasMenschengeschlecht; <strong>den</strong>n ich sehe <strong>die</strong>120 Eph 2,12121 Hebr 1,1443großen und glänzen<strong>den</strong> Vorspiele 122 und <strong>die</strong>große Sorgfalt Gottes für unsere Natur. Under sagt nicht einfach: „Den Menschen ist er zuHilfe gekommen,“ sondern weil er sieerheben und zeigen wollte, daß ihrGeschlecht groß und ehrenvoll sei, spricht er:„sondern dem Samen Abrahams kommt er zuHilfe.“„Darum mußte er in Allem seinen Brüdern gleichwer<strong>den</strong>.“ Was heißt Das: „in Allem“? Erwurde geboren, will er sagen, genährt, wuchsher<strong>an</strong>, duldete Alles, was nothwendig war,und endlich starb er; das heißt „in Allem <strong>den</strong>Brüdern gleich wer<strong>den</strong>“. Denn nachdem viel<strong>über</strong> seine Majestät und seine göttliche Ehregesagt wor<strong>den</strong> war, verbreitet er sich in derferneren Rede <strong>über</strong> <strong>die</strong> Menschwerdung; undda staune <strong>über</strong> <strong>die</strong> Klugheit und Kraft,womit Dieß geschieht, wie er es als <strong>die</strong>Frucht seiner großen Liebe darstellt, daß eruns gleich gewor<strong>den</strong>; was ein kräftigerBeweis seiner großen Fürsorge war. Dennnachdem er oben gesagt: „Da nun <strong>die</strong> KinderFleisches und Blutes theilhaftig gewor<strong>den</strong>sind, so hat gleichfalls auch er sich derselbentheilhaftig gemacht.“ spricht er nun hier,„daß er in Allem <strong>den</strong> Brüdern gleich gewor<strong>den</strong>sei,“ als wollte er sagen: Er, der so groß undder Abgl<strong>an</strong>z seiner Herrlichkeit und dasEbenbild seines Wesens ist, der <strong>die</strong> Welterschaffen hat und sitzet zur Rechten desVaters, wollte in liebevoller Fürsorge inAllem unser Bruder wer<strong>den</strong>, und darumverließ er <strong>die</strong> Engel und <strong>die</strong> himmlischenMächte und stieg zu uns herab und kam unszu Hilfe. Erwäge, wie viel Gutes er unsgeth<strong>an</strong> hat! Er hat <strong>den</strong> Tod vernichtet, unsaus der Tyr<strong>an</strong>nei des Teufels errettet und vonder Knechtschaft befreit und dadurch, daß erunser Bruder gewor<strong>den</strong>, uns hochgeehrt,aber nicht allein durch seine Bruderschaft,122 Προοίμια; Muti<strong>an</strong> Scholast. <strong>über</strong>setzt es richtig mit exordia = Vorspiel,Einleitung, d. h. Alles, was zur Beseligung des Menschen durch Christusgeschah. Montfaucon setzt dafür: praemia. Das wäre d<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Vollendung,<strong>die</strong> Seligkeit der Gerechten im Himmel, von der es heißt: „Kein Auge hates gesehen“ u.s.w. A. d. Übers.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sondern auch durch unzähliges Andere unsausgezeichnet; <strong>den</strong>n er wollte auch unserHohepriester beim Vater sein; Paulus fügtnämlich bei: „Damit er barmherzig würde undein treuer Hoherpriester vor Gott.“ Darum, willer sagen, hat er unser Fleisch <strong>an</strong>genommen,nur aus Menschenfreundlichkeit, damit ersich unser erbarme; <strong>den</strong>n es besteht kein<strong>an</strong>derer Grund der Erlösung als nur <strong>die</strong>ser allein. Er sah nämlich, wie wirdarniederlagen, in Gefahr waren, zu Grundezu gehen, unter der Tyr<strong>an</strong>nei des Todesst<strong>an</strong><strong>den</strong>, - und er erbarmte sich. „Um zuversöhnen,“ heißt es, „<strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> des Volkes,damit er barmherzig würde und ein treuerHoherpriester.“ Was heißt aber Das: „eintreuer“? Ein wahrer, der da Macht hat; <strong>den</strong>nein wahrer Hoherpriester ist einzig undallein der Sohn, der Diejenigen, derenHoherpriester er ist, von <strong>den</strong> Sün<strong>den</strong> zuerlösen vermag. Um nun ein zu unsererReinigung wirksames Opfer zu bringen,wurde er Mensch. Darum fügt er <strong>die</strong> Wortehinzu: „vor Gott,“ d. h. in Beziehung auf Gott.Wir waren, sagt er, Feinde Gottes,schuldbela<strong>den</strong>, mit Schmach bedeckt: es warNiem<strong>an</strong>d, der für uns ein Opfer dargebrachthätte. In <strong>die</strong>sem Zust<strong>an</strong>de gewahrte er unsund erbarmte sich, indem er nicht einenHohenpriester bestellte, sondern selbst eintreuer Hoherpriester wurde. Um nun zuzeigen, wie treu er sei, fügt er bei: „Um zuversöhnen <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> des Volkes.“18. Denn darin, worin er selbstversuchtwor<strong>den</strong> und gelitten hat, k<strong>an</strong>n erauch Denen, <strong>die</strong> versucht wer<strong>den</strong>, helfen.II.Das ist sehr niedrig und gering und Gottesunwürdig. „Denn worin er selbst,“ heißt es,„gelitten hat.“ Hier spricht er aber von demMenschgewor<strong>den</strong>en; vielleicht sind <strong>die</strong>seWorte auch gesagt, um <strong>die</strong> Zuhörer recht zu44<strong>über</strong>zeugen und um ihrer Schwäche willen.Was er aber sagt, hat <strong>die</strong>sen Sinn: durchselbsteigene Erfahrung kennt er unsereLei<strong>den</strong>, und <strong>die</strong>se sind ihm durchaus nichtunbek<strong>an</strong>nt; <strong>den</strong>n er weiß sie nicht nur alsGott, sondern auch als Mensch kennt er siedurch selbstgemachte Erfahrung. Vieles hater gelitten, darum weiß er auch Mitleid zuhaben. Wohl ist Gott lei<strong>den</strong>sunfähig; alleinhier ist <strong>die</strong> Rede von der Menschheit, wiewenn er sagte: Die menschliche Natur Christihat viele Lei<strong>den</strong> erduldet. Er weiß, wasTrübsal ist; er weiß, was Versuchungist, nicht weniger als wir, <strong>die</strong> wir lei<strong>den</strong>;<strong>den</strong>n er selbst hat gelitten. Was will also Dassagen: „Er k<strong>an</strong>n Denen, <strong>die</strong> versucht wer<strong>den</strong>,helfen“? So viel, als wenn m<strong>an</strong> sagte: Mitvieler Bereitwilligkeit wird er seine helfendeH<strong>an</strong>d ausstrecken; er ist voll Mitleid. Da <strong>die</strong>Ju<strong>den</strong> etwas Großes sein wollten und mehrals <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong>christen be<strong>an</strong>spruchten, sozeigt er, ohne Die aus dem Hei<strong>den</strong>thum zuverletzen, daß sie einen Vorzug besäßen.Worin best<strong>an</strong>d <strong>den</strong>n derselbe? Darin, daß ausihrer Mitte das Heil stammt, daß er ihnenzuerst zu Hilfe gekommen, daß er von ihnenFleisch <strong>an</strong>genommen. „Denn nicht Engeln,“heißt es, „kommt er zu Hilfe, sondern demSamen Abrahams kommt er zu Hilfe.“Dadurch ehrt er auch <strong>den</strong> Patriarchen undzeigt, was es heisst „Samen Abrahams“. Erruft ihnen <strong>die</strong> demselben gemachteVerheissung: „Dir und deinem Samen willich <strong>die</strong>ses L<strong>an</strong>d geben“ 123 in’s Gedächtnißzurück und zeigt auf <strong>die</strong> kürzeste Weise <strong>die</strong>durch gemeinsame Abstammung naheVerw<strong>an</strong>dtschaft. Weil aber <strong>die</strong>seVerw<strong>an</strong>dtschaft nicht von großer Wichtigkeitwar, kommt er wieder weitläufiger auf <strong>die</strong>durch <strong>die</strong> Menschwerdung vollbrachteErlösung zu sprechen und sagt: „Um zuversöhnen <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> des Volkes.“ Denndaß er Mensch wer<strong>den</strong> wollte, war schon ein123 Gen 13,15


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Zeichen großer Fürsorge und Liebe; - nun istes aber nicht Dieß allein, sondern es sindauch <strong>die</strong> unsterblichen Güter, welche unsdurch ihn bereitet wer<strong>den</strong>. - „Um zuversöhnen <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> des Volkes.“ Warumsagt er nicht: des Erdkreises, sondern: „desVolkes“? Hat er ja doch unser aller Sün<strong>den</strong>getragen. Weil er bis dahin von ihnengesprochen. So sagte ja auch der Engel zuJoseph: „Dem sollst du <strong>den</strong> Namen Jesusgeben, <strong>den</strong>n er wird sein Volk erlösen.“ 124Denn Das sollte zuerst geschehen; darumkam er, um Diese (<strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>) selig zumachen, und durch Diese d<strong>an</strong>n Jene (<strong>die</strong> Hei<strong>den</strong>), obgleich das Gegentheilstattf<strong>an</strong>d. Dieß sagten auch <strong>die</strong> Apostel vomAnf<strong>an</strong>g: „Euch zuvörderst hat Gott seinenSohn, <strong>den</strong> er erweckt hat, ges<strong>an</strong>dt, daß ereuch segne;“ 125 und wieder: „Euch ist dasWort des Heiles ges<strong>an</strong>dt.“ 126 Hier zeigt er<strong>den</strong> Vorzug des jüdischen Stammes, indemer sagt: „Um zu versöhnen <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> desVolkes.“ 127 Einstweilen spricht er sich so aus. Daßaber der Heil<strong>an</strong>d (Jesus) wirklich es ist, der <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong> nachläßt, zeigte er bei demGichtbrüchigen durch <strong>die</strong> Worte: „Deine Sün<strong>den</strong>sind dir vergeben“ 128 und bei der Taufe; <strong>den</strong>n ersagt ja zu seinen Jüngern: „Gehet hin und lehretalle Völker und taufet sie im Namen des Vatersund des Sohnes und des heiligen Geistes!“ 129 Daer aber Fleisch <strong>an</strong>genommen, bespricht Paulus imVerlaufe der Rede ohne befürchtende Rücksichtdas Unerhabene in ihm; <strong>den</strong>n siehe, was er nunsagt!Kap. III1.2. Weßhalb, heilige Brüder, Mitgenossendes himmlischen Berufes, sehet auf Jesum,<strong>den</strong> Ges<strong>an</strong>dten und Hohenpriester unseresBekenntnisses, welcher treu ist Dem, der ihngemacht hat, wie auch Moses in dem g<strong>an</strong>zenHause desselben.Indem er ihn durch einen Vergleich <strong>über</strong> Mosesstellen will, lenkt er <strong>die</strong> Rede auf das Gesetz desHohenpriesterthums; <strong>den</strong>n von Moses hatten siealle eine nicht geringe Meinung. Gleich schonstreut er <strong>den</strong> Samen der Auszeichnung. Erbeginnt von dem Fleische, steigt aber d<strong>an</strong>n zurGottheit empor, wo kein weiterer Vergleich mehrstattfin<strong>den</strong> konnte. Da er vom Fleische<strong>an</strong>fängt, stellt er eine Ähnlichkeit dar in <strong>den</strong>Worten: „wie auch Moses in dem g<strong>an</strong>zen Hausedesselben“. Er zeigt aber nicht gleich imAnf<strong>an</strong>g <strong>den</strong> Vorr<strong>an</strong>g, damit der Zuhörernicht zurückschrecke und rasch <strong>die</strong> Ohrenverstopfe; <strong>den</strong>n obgleich sie gläubig waren,bewahrten sie <strong>den</strong>noch dem Moses immernoch eine große Verehrung. - „Welcher treuist,“ sagt er, „Dem, der ihn gemacht hat.“ Wozuhat er ihn gemacht? Zum Apostel undHohenpriester. Hier redet er nicht von seinergöttlichen Wesenheit, sondern einstweilennur von seiner menschlichen Würde. „Wieauch Moses in dem g<strong>an</strong>zen Hause desselben,“d.h. im Volke oder im Tempel. Hier aberhaben <strong>die</strong> Worte: „in dem Hause desselben“<strong>den</strong> Sinn, als wenn m<strong>an</strong> sagen würde: inBezug auf Alles, was sich im Hause befindet;<strong>den</strong>n wie ein Aufseher und Hausverwalterst<strong>an</strong>d Moses unter dem Volke. Daß das Wort„Haus“ hier <strong>die</strong> Bedeutung von Volk hat,beweisen <strong>die</strong> Worte: „Welches Haus wirsind,“ 130 d. i. in dessen Besitz wir sind. D<strong>an</strong>nder Vorzug:3. Denn um so größerer Herrlichkeit istJener würdig geachtet wor<strong>den</strong> vor Moses -nun ist wieder <strong>die</strong> Rede vom Fleische: jegrößere Ehre vor dem Hause Dem gebührt,der es gebaut hat.124 Mt 1,21125 Apg 3,26126 Apg 13 ,26127 Mk 2,5128 Mt 9,5129 Mt 28,1945III.130 V. 6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Auch er, will er sagen, gehörte zum Hause.Er gebraucht aber nicht <strong>die</strong> Worte: Dieserwar Knecht, Jener aber Herr, sondern läßtDieß nur verdeckt durchleuchten. Wenn dasVolk das Haus und er vom Volke war, sogehörte ja auch er zum Hause; <strong>den</strong>n sopflegen ja auch wir zu sagen: Dieser oderJener ist aus <strong>die</strong>sem oder jenem Hause. Hier aber sagt er Haus und nichtTempel; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>sen hat nicht Gott erbaut,sondern <strong>die</strong> Menschen; der ihm aber, demMoses nämlich, das Dasein gegeben, ist Gott.Betrachte, wie er verdeckt <strong>den</strong> Vorr<strong>an</strong>gdeutlich wer<strong>den</strong> läßt. „Treu war er,“ heißt es,„in dem g<strong>an</strong>zen Hause desselben,“ und erselbst war vom Hause, d. h. vom Volke. Ingrößerer Ehre steht der Künstler als seineWerke; aber auch der Baumeister (genießthöhere Ehre) als das Haus, das er gebaut hat.4. Der aber Alles erschaffen hat, ist Gott.Siehst du, daß er nicht vom Tempel, sondernvom g<strong>an</strong>zen Volke redet?5. Und Moses war zwar treu in dem g<strong>an</strong>zenHause desselben als Diener zur BezeugungDessen, was verkündet wer<strong>den</strong> sollte.Siehe, wie noch ein <strong>an</strong>derer Vorzug besteht, -aus dem Verhältniß von Sohn und Dienern.Siehst du, wie er <strong>die</strong> wahre Abstammungdurch <strong>die</strong> Benennung „Sohn“ <strong>an</strong>deutet?6. Christus aber ist als Sohn in dem ihmeigenen Hause.Siehe, wie er Werk und Meister, Diener undSohn unterscheidet; der eine tritt in <strong>die</strong>väterlichen Besitzungen als Herr ein, der<strong>an</strong>dere aber als Knecht. - „Welches Haus wirsind, wenn wir <strong>an</strong>ders das Vertrauen und <strong>die</strong>herrliche Hoffnung bis <strong>an</strong>’s Ende festhalten.“Hier ermahnt er sie wieder, fest zu stehenund nicht zu fallen; <strong>den</strong>n das Haus Gottes,sagt er, wer<strong>den</strong> wir sein, wie es Moses war,wenn wir <strong>an</strong>dere das Vertrauen und <strong>die</strong>herrliche Hoffnung bis <strong>an</strong>’s Ende festhalten. Wer also durch <strong>die</strong> Prüfungenschmerzlich berührt wird und zu Fallkommt, k<strong>an</strong>n sich nicht rühmen, und wer46sich schämt und sich verbirgt, hat keinVertrauen. Wer sich von Schmerz<strong>über</strong>wältigen läßt, bleibt ohne Ruhm. D<strong>an</strong>naber spendet er ihnen auch wieder Lob mit<strong>den</strong> Worten: „Wenn wir <strong>an</strong>ders das Vertrauenund <strong>die</strong> herrliche Hoffnung bis <strong>an</strong>’s Endefesthalten,“ wodurch er zeigt, daß sie bereitsbegonnen haben. Es ist also nothwendig, bis<strong>an</strong>’s Ende auszuharren und nicht bloßeinfach zu stehen, sondern auch eine festeHoffnung in der Überzeugung des Glaubenszu haben, ohne in <strong>den</strong> Prüfungen w<strong>an</strong>kendzu wer<strong>den</strong>. Auch darfst du dich nicht <strong>über</strong><strong>die</strong> zu menschlich klingende Redeweise:„selbst versucht“ 131 wundern. Denn wenn <strong>die</strong>Schrift von dem Vater, der nicht Menschwurde, sagt: „Vom Himmel schaute derHerr, und er sah alle Menschenkinder,“ 132 d.h. er gew<strong>an</strong>n <strong>über</strong> Alles eine g<strong>an</strong>z genaueKenntniß; und wieder: „Darum will ichhinabgehen und sehen, ob sie das Geschreiim Werke vollbracht haben;“ 133 und wieder:„Gott k<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Laster der Menschen nichtertragen;“ - wenn <strong>die</strong> göttliche Schrift, sageich, <strong>die</strong> Größe des Zornes <strong>an</strong>zeigt: so könnennoch viel mehr von Christus, der im Fleischegelitten, solch menschliche Zuständeausgesagt wer<strong>den</strong>. Denn da viele Menschenglauben, daß vor Allem <strong>die</strong> Erfahrung einezuverlässige Erkenntniß gewähre, so wollteer zeigen, daß Derjenige, welcher gelitten,wisse. was <strong>die</strong> menschliche Natur zu lei<strong>den</strong>hat. - „Weßhalb (ὅϑεν), heilige Brüder,“ sagt er.Der Ausdruck: „weßhalb“ steht hier statt:„darum“ (διὰ τοῦτο). „Mitgenossen deshimmlischen Berufes.“ Suchet also hier Nichts,da ihr dorthin berufen seid; <strong>den</strong>n dort ist derLohn, dort <strong>die</strong> Vergeltung. - Was besagenaber <strong>die</strong> Worte: „Sehet auf Jesum Christum,<strong>den</strong> Ges<strong>an</strong>dten und Hohenpriester unseresBekenntnisses, welcher treu ist Dem, der ihn gemacht hat, wie auch Moses in dem131 Hebr 2, 8 1132 Ps 13,2133 Gen 18,21


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>g<strong>an</strong>zen Hause desselben“? Was heißt Das:„Welcher treu ist Dem, der ihn gemacht bat“?Es heißt: Welcher als Verwalter für Dasbesorgt ist, was ihm <strong>an</strong>vertraut wor<strong>den</strong>, undnicht gestattet, daß es pl<strong>an</strong>los verschleudertwerde. „Wie auch Moses in dem g<strong>an</strong>zenHause desselben,“ d.h. betrachtet, wer derHohepriester und wie er beschaffen ist, undihr bedürfet deines weiteren Trostes, keiner<strong>an</strong>deren Ermunterung. Apostel (Ges<strong>an</strong>dten)nennt er ihn, weil er gesendet wurde, und„Hoherpriester unseres Bekenntnisses“ istgleichbedeutend mit: Hoherpriester unseresGlaubens. Schön sagt er: „wie auch Moses“;<strong>den</strong>n auch er hatte <strong>die</strong> Sache des Volkes zuverwalten, wie auch Jener das Vorsteheramtausübte, aber in einem wichtigeren undhöheren Verhältnisse; <strong>den</strong>n Moses st<strong>an</strong>d daals Diener, Christus aber als Sohn; Jenerverwaltete fremdes. Dieser aber besorgte seinEigentum. - „Zur Bezeugung Dessen, wasverkündet wer<strong>den</strong> sollte.“ Was sagst du?Nimmt Gott das Zeugniß eines Menschen<strong>an</strong>? G<strong>an</strong>z gewiß. Denn wenn er Himmel undErde und Hügel zu Zeugen <strong>an</strong>ruft, da erdurch <strong>den</strong> Propheten spricht: „Höret, ihrHimmel, und nimm es zu Ohren, Erde, <strong>den</strong>nder Herr redet;“ 134 und: „Höret, ihr Bergeund ihr Grundvesten der Erde, daß der Herrin’s Gericht geht mit seinem Volke!“ 135 - sowird er um so mehr <strong>die</strong> Menschen zu Zeugennehmen. Was heißt Das: „zur Bezeugung“?Daß sie Zeugen seien, wenn sie unverschämtwären. „Christus aber als Sohn;“ Jener hat <strong>über</strong>Fremdes <strong>die</strong> Sorge. Dieser aber besorgt seinEigenthum. „Die herrliche Hoffnung.“ Treffendsagt er: „Hoffnung“; <strong>den</strong>n alle Güter fußten jaauf der Hoffnung. Diese muß aber sofestgehalten wer<strong>den</strong>, daß m<strong>an</strong> sich derselbenrühme, als besäßen wir <strong>die</strong>selben schonwirklich. Darum sagt er: „<strong>die</strong> herrlicheHoffnung“ und fügt bei: „wenn wir <strong>die</strong>selbe bis<strong>an</strong>’s Ende festhalten;“ <strong>den</strong>n durch <strong>die</strong>Hoffnung sind wir gerettet wor<strong>den</strong>. Wennwir also durch <strong>die</strong> Hoffnung Erlösunggefun<strong>den</strong> und mit Geduld warten, so wollenwir auch wegen der Gegenwart nichtmißmuthig wer<strong>den</strong> und nicht schon jetztsuchen, was uns <strong>die</strong> Zukunft verheißt; „<strong>den</strong>n<strong>die</strong> Hoffnung,“ heißt es, „welche m<strong>an</strong> sieht,ist keine Hoffnung.“ 136 Denn da <strong>die</strong> Güter sogroß sind, will er sagen, können uns<strong>die</strong>selben in <strong>die</strong>sem vergänglichen Lebennicht zu Theil wer<strong>den</strong>. Warum hat er sie unsaber verheissen, wenn er sie uns hienie<strong>den</strong>nicht geben will? Damit er durch <strong>die</strong>seVerheissung <strong>die</strong> Seelen erfreue, durch dasVersprechen <strong>den</strong> Muth stärke und unsernSinn ermuntere und belebe. Deßhalb ist Dießalles geschehen.IV.Lassen wir uns also nicht aus der Fassungbringen! Niem<strong>an</strong>d beunruhige sich, wenn ersieht, daß es <strong>den</strong> Bösen gut geht! Hier fin<strong>den</strong>weder das Laster noch <strong>die</strong> Tugend ihreVergeltung. Sollte Dieß aber sowohl in Bezugauf das Laster als auf <strong>die</strong> Tugend etwastattfin<strong>den</strong>, so geschieht es doch nicht nachGebühr, sondern <strong>über</strong>haupt nur, gleichsamals Vorgeschmack des Gerichtes, damitDiejenigen, welche <strong>an</strong> keine Auferstehungglauben, dadurch schon hienie<strong>den</strong>gezüchtiget wer<strong>den</strong>. Sehen wir also, daß einBösewicht reich ist, so soll uns Das nichtentmuthigen; sehen wir, daß ein braverM<strong>an</strong>n schwere Lei<strong>den</strong> erduldet, so sollen wiruns nicht in Klagen ergießen; <strong>den</strong>n jenseitsglänzen <strong>die</strong> Kronen, jenseits auch warten <strong>die</strong>Strafen. Übrigens aber kommt es nicht vor,daß der Böse g<strong>an</strong>z und gar schlecht ist,sondern noch immer etwas Gutes <strong>an</strong> sich hat;auch nicht, daß der Gute allseitigvollkommen ist, sondern noch immer <strong>an</strong>134 Is 1,2135 Mi 6,247136 Röm 8,24


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gewissen Fehlern kr<strong>an</strong>kt. Wenn nun derLasterhafte bei seinen UnternehmungenGlück hat, so wisse, daß Dieß nur zu seinemeigenen Verderben ausschlägt; <strong>den</strong>n damit erfür das wenige Gute hier schon <strong>den</strong>Lohn empf<strong>an</strong>ge, jenseits aber der vollenStrafe verfalle, deßhalb empfängt erzeitliches Glück. Und <strong>über</strong>aus glücklich istJener zu preisen, der hienie<strong>den</strong> gezüchtigetwird, damit er frei von allen Sün<strong>den</strong>,ruhmvoll und rein und ohne Furcht vor derRechenschaft <strong>die</strong>ses Leben verlasse. Dieseslehrt uns auch Paulus, indem er spricht:„Darum sind unter euch viele Kr<strong>an</strong>ke undSchwache, und Viele schlafen;“ 137 undwieder: „Einen Solchen <strong>über</strong>gebet dem Sat<strong>an</strong>zum Verderben des Fleisches, damit derGeist gerettet werde.“ 138 Und der Prophetspricht: „Sie hat Doppeltes aus der H<strong>an</strong>d desHerrn empf<strong>an</strong>gen für all ihre Sün<strong>den</strong>;“ 139und wiederum David: „Sieh’ auf meineFeinde, <strong>den</strong>n ihrer sind viele, und mitungerechtem Hasse hassen sie mich, undvergib alle meine Sün<strong>den</strong>!“ 140 Und wieder einAnderer: „Herr, unser Gott, gib uns Frie<strong>den</strong>,<strong>den</strong>n all unser Thun thust du für uns.“ 141Diese Stellen beweisen aber, daß <strong>die</strong> Gutenschon hier <strong>die</strong> Strafen für ihre Sün<strong>den</strong>empf<strong>an</strong>gen; wie aber <strong>die</strong> Bösen, welcheschon <strong>die</strong>sseits ihr Gutes erhalten, jenseits <strong>die</strong>volle Strafe bekommen, höre, was Abrahamzum Reichen spricht: „Ge<strong>den</strong>ke, Sohn, daßdu Gutes zurückempf<strong>an</strong>gen hast in deinemLeben, Lazarus hingegen Übles.“ 142 (Was fürGutes?) Da er hier sagt: zurückempf<strong>an</strong>gen,nicht aber: empf<strong>an</strong>gen, zeigt er, daß hierBei<strong>den</strong> zu Theil gewor<strong>den</strong>, was ihnengebührte, sowohl Dem, welcher in zeitlichemGlücke gelebt, als auch Dem, welcher vonMißgeschick heimgesucht war. Er sagt:137 1 Kor 11, 30138 1 Kor 5,5139 Is 40,2140 Ps 24,19141 Is 26,12142 Lk 16,2548„Darum wird Dieser getröstet;“ du siehst,daß er rein von Sün<strong>den</strong> war; „du aber wirstgepeinigt.“ Seien wir also nicht traurig, wennwir sehen, daß es <strong>den</strong> Sündern wohlgeht,sondern freuen wir uns, wenn wir selbstSchlimmes erdul<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Sündererhalten hienie<strong>den</strong> ihre Bezahlung.Suchen wir nicht Ruhe: <strong>den</strong>n Christus hatseinen Jüngern Trübsal verkündet, undPaulus sagt: „Alle, <strong>die</strong> gottselig leben inChristus Jesus, wer<strong>den</strong> Verfolgung lei<strong>den</strong>.“ 143Kein wackerer Streiter <strong>den</strong>kt im Kampfe <strong>an</strong>Bäder, <strong>an</strong> einen Tisch voll Speisen und Wein.- Das paßt nicht für einen Athleten, sondernfür einen Feigling. Der Athlet hat es zu thunmit Staub, mit Öl, mit der Sonnenhitze, mitvielem Schweiß, mit Mühsal, mit allenBeschwernissen des Kampfes. Hier ist <strong>die</strong>Zeit des Kampfes, also auch <strong>die</strong> Zeit fürWun<strong>den</strong> und Lei<strong>den</strong>. Höre, was der heiligePaulus sagt: „So kämpfe ich, aber nicht umbloß Luftstreiche zu thun.“ 144 Seien wir derÜberzeugung, daß unser g<strong>an</strong>zes Leben einKampf ist und wir nicht Ruhe suchen; zeigenwir uns nicht befremdlich in <strong>den</strong> Stun<strong>den</strong> derTrübsal: kommt es ja auch dem Kämpfernicht fremd vor, wenn er im Kampf ist! Eine<strong>an</strong>dere Zeit gibt es zum Ruhen. DurchTrübsale müssen wir vollkommen wer<strong>den</strong>.Bleiben wir auch von Verfolgung undBedrängniß verschont, so gibt es doch <strong>an</strong>dereLei<strong>den</strong>, <strong>die</strong> uns je<strong>den</strong> Tag treffen; wollen wiruns <strong>die</strong>sen nicht unterziehen, so wer<strong>den</strong> wirjene schwerlich ertragen. „Lasset euch vonkeiner Versuchung ergreifen als von einermenschlichen!“ heißt es. 145 Beten wir also zuGott, daß wir nicht in Versuchung fallen;sind wir in <strong>die</strong>selbe gefallen, so wollen wirsie großmüthig ertragen. Denn kluge Männerstürzen sich nicht von selbst in Gefahren;fin<strong>den</strong> sich aber Gefahren, so steht dertapfere und weise M<strong>an</strong>n fest. Werfen wir uns143 2 Tim 3,12144 1 Kor 9,26145 1 Kor 10,13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>daher nicht ohne Grund <strong>den</strong> Gefahrenentgegen; <strong>den</strong>n das ist Verwegenheit;wer<strong>den</strong> wir aber ihnen entgegen geführt,indem es <strong>die</strong> Umstände fordern, d<strong>an</strong>nweichen wir ihnen nicht aus! Das wäreFeigheit. Ruft uns aber <strong>die</strong> Predigt desgöttlichen Wortes, so sollen wir uns nichtentziehen; ohne Grund und Zweck aber,ohne Bedürfniß und ohne <strong>den</strong> Dr<strong>an</strong>g dergöttlichen Liebe (der Gefahr) nicht entgegenlaufen; <strong>den</strong>n das wäre Prahlerei undthörichte Ruhmsucht. Sollte aber Etwasgegen <strong>die</strong> Religion geschehen, so sollten undmüßten wir tausendmal sterben, nichtweichen. Fordere <strong>die</strong> Versuchungen nichtheraus, wenn dir in Bezug auf Religion undFrömmigkeit Nichts zu wünschen übrigbleibt! Wozu thörichter Weise Gefahrenaufsuchen, <strong>die</strong> keinen Nutzen gewähren?V.Dieses sage ich euch, weil ich will, daß ihr<strong>die</strong> Gebote Christi befolget, welcher zu betenbefiehlt, damit wir nicht in Versuchungfallen, und welcher verl<strong>an</strong>gt, daß wir dasKreuz aufnehmen und ihm nachfolgen.Hierin liegt kein Widerspruch, sondernvollkommene Harmonie. Sei darum sogerüstet wie ein tapferer Krieger und seifortwährend unter <strong>den</strong> Waffen: nüchtern,wachsam, stets in Erwartung des Feindes; duaber verursache keine Kämpfe, <strong>den</strong>n Das istnicht das Werk eines Soldaten, sondern einesAufrührers! Ruft dich aber <strong>die</strong> Trompete derReligion, so tritt rasch vor und verachte deinLeben und schreite mit aller Herzhaftigkeitzum Kampfe; durchbrich <strong>die</strong> Reihen derFeinde, schlag dem Teufel in’s Gesicht undrichte das Siegeszeichen auf! Wird jedoch derReligion kein Angriff bereitet, bedrängtNiem<strong>an</strong>d unsere Dogmen und zwingt unsNiem<strong>an</strong>d zu Dingen, <strong>die</strong> Gottes Willenwiderstreiten, - ich spreche in Bezug auf das49Leben, - so sei kein Sonderling! Das Lebendes Christen muß reich sein <strong>an</strong> Blut, ja, reich<strong>an</strong> Blut, aber nicht indem m<strong>an</strong> fremdesvergießt, sondern indem m<strong>an</strong> bereit ist, seineigenes fließen zu lassen. Mit solchentschlossenem Muthe wollen wir also unsereigenes Blut vergießen, wenn es für Christussein soll, wie wenn m<strong>an</strong> Wasser ausschüttet(und wie Wasser ist ja das Blut, das <strong>den</strong>Körper durchströmt), und mit einer solchenLeichtigkeit wollen wir unser Fleischausziehen, wie wenn m<strong>an</strong> einenM<strong>an</strong>tel ablegt. Das wird aber der Fall sein,wenn wir nicht am Gelde kleben, nicht <strong>an</strong><strong>den</strong> Wohnungen, wenn uns keineLei<strong>den</strong>schaft fesselt, wenn wir <strong>an</strong> Nichtsmehr h<strong>an</strong>gen. Wenn schon Diejenigen,welche dem Soldatenleben sich widmen,Allem entsagen, sich stellen und dorthinmarschiren, wohin sie der Krieg ruft, undAlles muthig ertragen: so müssen nochvielmehr wir, <strong>die</strong> wir Christi Streiter sind,also gerüstet dastehen und uns inSchlachtordnung stellen, um gegen <strong>die</strong>Lei<strong>den</strong>schaften <strong>den</strong> Kampf aufzunehmen. Esgibt jetzt keine Verfolgung, und möchte sienimmer aufleben! Aber ein <strong>an</strong>derer Krieg istzu führen: der Krieg gegen <strong>die</strong> Geldgier,gegen <strong>den</strong> Neid, gegen <strong>die</strong> <strong>an</strong>derenLei<strong>den</strong>schaften. Von <strong>die</strong>sem Kriege sprichtPaulus, wenn er sagt: „Wir haben nicht (bloß)zu kämpfen wider Fleisch und Blut.“ 146Dieser Kampf dauert immerfort. Darum willer, daß wir immer unter <strong>den</strong> Waffen stehen.„Stehet <strong>den</strong>n,“ sagt er, „umgürtet,“ was auchfür <strong>die</strong> jetzige Zeit gilt, wodurch er zeigt, daßm<strong>an</strong> <strong>die</strong> Waffen nie ablegen dürfe. Schwer istder Kampf durch <strong>die</strong> Zunge, schwer durch<strong>die</strong> Augen; <strong>die</strong>sen Kampf also sollen wirkämpfen; gewaltig ist der Kampf derLei<strong>den</strong>schaften. Darum ergeht <strong>an</strong> <strong>den</strong> StreiterChristi der Ruf zu <strong>den</strong> Waffen. „Stehet<strong>den</strong>n,“ sagt er, „euere Len<strong>den</strong> umgürtet,“146 Eph 6,12.14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>und fügt hinzu: „mit Wahrheit.“ Warum mitWahrheit? Die Lei<strong>den</strong>schaft ist nämlichTäuschung und Lüge, wie auch David sagt:„Denn meine Len<strong>den</strong> sind voll derTäuschungen.“ 147 Auch findet sich darin keinVergnügen, sondern nur ein Schattendesselben. „Darum umgürtet,“ sagt er,„euere Len<strong>den</strong> mit Wahrheit,“ d. h. mitwahrem Vergnügen, mit Sittsamkeit undEhrbarkeit! Diesen Rath gibt er im Hinblickauf <strong>die</strong> Häßlichkeit der Sünde, und weil erwill, daß alle unsere Glieder ringsumgeschützt seien. „Denn der ungerechteZorn,“ heißt es, „wird nicht ohne Strafesein,“ 148 und er will uns umgeben mit P<strong>an</strong>zerund Schild. Denn ein wildes Thier ist derZorn, das rasch dahinrennt, und m<strong>an</strong> brauchttausend Wälle und Zäune, um es zubewältigen und im Zaume zu halten. Unddeßhalb hat Gott <strong>die</strong>sen Körpertheil, geradewie von Stein, aus Knochen gebildet, indemer <strong>die</strong>se als Stütze verlieh, damit nicht, falls<strong>die</strong>selben leicht zerbrochen oderdurchschnitten wür<strong>den</strong>, der g<strong>an</strong>ze Körper(τὸ πẨν ζῶον) verderbe. Denn ein Feuer ister (der Zorn), heißt es, und ein gewaltigerSturm, und nicht leicht dürfte ein <strong>an</strong>deresGlied <strong>die</strong>se Gewalt aushalten können.Darum, sagen <strong>die</strong> Ärzte, sei auch demHerzen <strong>die</strong> Lunge untergelegt, damit dasHerz, gleichsam auf einem weichenSchwamme sich stützend, frei von derwiderstreben<strong>den</strong> harten Brust, ausruhe unddurch <strong>die</strong> häufigen Schläge nicht verletztwerde. Wir bedürfen daher eines starkenP<strong>an</strong>zers, um <strong>die</strong>ses Thier stets in Ruhe zuerhalten; aber auch das Haupt muß durcheinen Helm geschützt sein. Denn weil derVerst<strong>an</strong>d dort seinen Sitz hat, so k<strong>an</strong>n daher,wenn <strong>die</strong> Pflichten erfüllt wer<strong>den</strong>, Heilsameskommen, aber auch Unheil, wenn dasGegentheil stattfindet. Darum sagt er: „Und<strong>den</strong> Helm des Heiles.“ Denn das Gehirn ist147 Ps 37,8148 Ekkli 1,2250weich von Natur, darum wird es wie voneiner harten Schale durch <strong>den</strong> Oberschädelgedeckt. Für uns ist es aber <strong>die</strong> Quelle allesGuten und alles Bösen, indem dort <strong>die</strong>Erkenntniß ist von Dem, was pflichtmäßiggeschehen oder nicht geschehen soll. Aberauch unsere Hände und Füße bedürfen derWaffen; - nicht <strong>die</strong>se Hände noch <strong>die</strong>se Füße,sondern wiederum <strong>die</strong> der Seele; jene, um zubesorgen, was nothwendig ist, <strong>die</strong>se, umdahin zu gehen, wohin sie <strong>die</strong> Pflicht ruft. Wir wollen uns so bewaffnen, daß wir<strong>die</strong> Feinde <strong>über</strong>win<strong>den</strong> und <strong>die</strong> Siegeskroneerl<strong>an</strong>gen in Christus Jesus, unserem Herrn,welchem mit dem Vater und dem heiligenGeiste sei Ruhm, Macht und Ehre jetzt undalle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit.Amen. Sechste Homilie.I.7-11. Darum, wie der heilige Geist sagt,heute, wenn ihr seine Stimme höret,verhärtet euere Herzen nicht, wie bei derErbitterung am Tage der Versuchung in derWüste. wo mich versuchten euere Väter,mich prüften und doch sahen meine Werkevierzig Jahre hindurch. Darum zürnte ich<strong>die</strong>sem Geschlechte und sprach: Immerirren sie mit ihrem Herzen, sie abererk<strong>an</strong>nten meine Wege nicht; so schwur ich<strong>den</strong>n in meinem Zorne: sie sollen nichteingehen in meine Ruhe.Nachdem Paulus <strong>über</strong> <strong>die</strong> Hoffnunggesprochen und gesagt hatte, daß „wir seinHaus seien, wenn wir <strong>an</strong>ders das Vertrauenund <strong>die</strong> herrliche Hoffnung bis <strong>an</strong>’s Endefesthalten,“ zeigt er des Weiteren, daß unsereHoffnung eine feste sein müsse, und beweistDieß aus der Schrift. Merket nun auf! Dennseine Darstellung ist etwas dunkel und <strong>die</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Sache selbst schwer zu verstehen. Darum istes nothwendig, vorerst unsere Bemerkungenzu machen und euch <strong>den</strong> Unterrichtsstoff kurz ausein<strong>an</strong>der zu setzenund hierauf <strong>die</strong> Rede auf <strong>den</strong> Texthinzulenken; <strong>den</strong>n alsd<strong>an</strong>n werdet ihrmeiner Anleitung nicht weiter bedürfen,sobald euch der Zweck des Apostelsklargelegt ist. Paulus sprach <strong>über</strong> <strong>die</strong>Hoffnung, und daß es nothwendig sei, <strong>die</strong>Erwartungen auf <strong>die</strong> Zukunft zu setzen, unddaß auf <strong>die</strong> Mühen des Lebens der Lohn und<strong>die</strong> Frucht und <strong>die</strong> Ruhe nicht ausbleibenwür<strong>den</strong>. Dieses beweist er durch <strong>den</strong>Propheten. Und was sagt er? „Darum, wie derheilige Geist sagt, heute, wenn ihr seine Stimmehöret, verhärtet euere Herzen nicht, wie bei derErbitterung am Tage der Versuchung in derWüste, wo mich versuchten euere Väter, michprüften und doch sahen meine Werke vierzigJahre hindurch. Darum zürnte ich <strong>die</strong>semGeschlechte und sprach: Immer irren sie in ihremHerzen; sie aber erk<strong>an</strong>nten meine Wege nicht; soschwur ich <strong>den</strong>n in meinem Zorne: sie sollennicht eingehen in meine Ruhe.“ 149 Er sagt, esgebe eine dreifache Ruhe; eine sei <strong>die</strong>Sabbatruhe, wo Gott von seinen Werkengeruht habe; eine zweite <strong>die</strong> Ruhe Palästina’s,wobei <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> sich nach ihrer Ankunfterholen wollten von ihren vielen Strapazenund Arbeiten; eine dritte, <strong>die</strong> in Wahrheit<strong>die</strong>sen Namen ver<strong>die</strong>nt, <strong>die</strong> Seligkeit desHimmels, deren Theilhaber in Wahrheitausruhen von ihren Anstrengungen undBeschwer<strong>den</strong>. Diese drei Arten erwähnt ernun hier. Warum beh<strong>an</strong>delt er aber nur eine,während er doch drei in Erinnerung bringt?Um zu zeigen, daß der Prophet nur von<strong>die</strong>ser (einen) redet. Denn von der ersten,sagt er, hat er nicht gesprochen; und wiesollte er Das? Hatte sie ja schon längstaufgehört. Auch von der zweiten, der inPalästina nicht; <strong>den</strong>n wie sollte er Das? Hatte149 Ps 94,8-1151ja auch sie schon das Ende erreicht. Eserübrigt also nur von der dritten zusprechen. Es ist aber nothwendig, einegenauere Erklärung der Geschichte zu geben,um <strong>über</strong> <strong>die</strong> Rede ein helleres Licht zuverbreiten. Denn nachdem sie aus Ägyptenausgezogen und eine große Strecke Wegeszurückgelegt, und von Gott zahllose Beweiseseiner Macht sowohl in Ägypten als auch imrothen Meere und in der Wüste empf<strong>an</strong>genhatten, wollten sie Kundschafter aussen<strong>den</strong>,um <strong>die</strong> Natur des L<strong>an</strong>des erforschen zulassen. Diese zogen hin und waren nach ihrerRückkehr voll Bewunderung <strong>über</strong> das L<strong>an</strong>dund erzählten, daß es reich <strong>an</strong> herrlichenFrüchten, aber von einem un<strong>über</strong>windlichenRiesengeschlechte bewohnt sei. Dieunverständigen und gefühllosen Ju<strong>den</strong> aber,<strong>an</strong>statt, wie es Pflicht war, <strong>an</strong> <strong>die</strong> (früheren)Wohlthaten Gottes zu <strong>den</strong>ken, und wie er sie,als <strong>die</strong> ägyptischen Kriegsschaaren sie in <strong>die</strong>Enge getrieben, nicht nur der Gefahr entriß,sondern ihnen auch noch eine fette Beutegewährte; und wie er ferner aus dem Felsenihnen reichliches Wasser hervorquellen ließund das M<strong>an</strong>na gab: <strong>an</strong>statt im Ange<strong>den</strong>ken<strong>an</strong> <strong>die</strong>se und <strong>die</strong> <strong>an</strong>deren Wunder auf Gottzu vertrauen, dachten sie nicht einmal dar<strong>an</strong>,gerade als wäre gar Nichts geschehen,sondern wollten voll Schrecken wieder nachÄgypten zurückkehren, indem sie sprachen:Gott hat uns heraus und hieher geführt, umuns sammt Kindern und Weibern zu Grundezu richten. Und der Zorn Gottes entbr<strong>an</strong>ntewider sie, weil sie <strong>die</strong> Erinnerung <strong>an</strong> dasGeschehene so schnell verloren hatten, undGott that einen Schwur, daß jenes Geschlecht,welches also gesprochen, in <strong>die</strong> Ruhe nichteingehen werde; und sie starben alle in derWüste. Darum hat auch David l<strong>an</strong>ge nachdem Unterg<strong>an</strong>g Jener gesprochen: „Heute,wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euereHerzen nicht wie bei der Erbitterung!“ Warum?Damit ihr nicht Dasselbe erleidet, was euerenVorfahren zustieß, und nicht der Ruhe


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>beraubt werdet. Offenbar deutet er in <strong>die</strong>senWorten auf irgend welche Ruhe. Waren siejener Ruhe, will er sagen, schon theilhaftiggewor<strong>den</strong>, warum führt er <strong>den</strong>n wieder <strong>die</strong>Worte <strong>an</strong>: „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie beider Erbitterung!“ Welch <strong>an</strong>dere Ruhe k<strong>an</strong>nnun gemeint sein als <strong>die</strong> Seligkeit desHimmels, deren Bild und Zeichen der Sabbatist? Hierauf führt er das g<strong>an</strong>ze Zeugniß <strong>an</strong>,welches lautet: „Heute, wenn ihr seine Stimmehöret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei derErbitterung am Tage der Versuchung in derWüste, wo mich versuchten euere Vater, michprüften und doch sahen meine Werke vierzigJahre hindurch. Darum zürnte ich <strong>die</strong>semGeschlechte und sprach: Immer irren sie mitihrem Herzen, sie aber erk<strong>an</strong>nten meine Wegenicht; so schwur ich <strong>den</strong>n in meinem Zorne: siesollen nicht eingehen in meine Ruhe.“ D<strong>an</strong>n fügter bei:12. Sehet zu, Brüder, daß nicht in Einemvon euch sei ein böses, ungläubiges Herz,geneigt, abzufallen von dem lebendigenGotte!Denn aus der Herzenshärte wird derUnglaube geboren. Und wie sich <strong>an</strong> hartenund ausgedorrten Körpern <strong>die</strong> Kunst derÄrzte vergebens versucht, so wer<strong>den</strong> auchhart ausgetrocknete Seelen vom göttlichenWorte nicht erweicht wer<strong>den</strong>.Wahrscheinlich hatten Einige am GlaubenSchiffbruch gelitten, da ihre Werke mit derWahrheit im Widerspruch st<strong>an</strong><strong>den</strong>; darumsagt er: „Sehet zu, daß nicht in Einem von euchsei ein böses, ungläubiges Herz, geneigt,abzufallen von dem lebendigen Gotte!“ Dennweil <strong>die</strong> Lehre <strong>über</strong> <strong>die</strong> Zukunft nicht<strong>den</strong>selben Glauben findet wie <strong>die</strong>Mittheilung <strong>über</strong> <strong>die</strong> Verg<strong>an</strong>genheit, so rufter ihnen <strong>die</strong> Geschichte in’s Gedächtnißzurück, (<strong>die</strong> Zeit,) in der sie des Glaubensentbehrten. Denn wenn euere Väter, sagt er,weil sie nicht das Vertrauen besaßen,wie sie es besitzen sollten, also gezüchtiget52wur<strong>den</strong>, so steht euch um so mehr Dasselbebevor. Denn auch für sie sind <strong>die</strong>se Wortegesprochen, da das Wort „heute“ gilt, sol<strong>an</strong>ge <strong>die</strong> Welt steht.13. Sondern ermahnet euch selbst ein<strong>an</strong>deralle Tage, so l<strong>an</strong>ge es noch „heute“ heißt,d. i. erbauet ein<strong>an</strong>der, richtet ein<strong>an</strong>der auf,damit nicht Dasselbe geschehe: „damit nichtJem<strong>an</strong>d von euch verhärtet werde durch <strong>den</strong> Trugder Sünde.“II.Siehst du, daß <strong>die</strong> Sünde <strong>die</strong> Mutter desUnglaubens ist? Denn wie der Unglaube einlasterhaftes Leben gebiert, so ist <strong>die</strong> Seele,sobald sie sich in <strong>den</strong> Abgrund des Bösenverloren, voll Verachtung (gegen <strong>die</strong>Wahrheit), und in <strong>die</strong>ser Verachtung läßt sie<strong>den</strong> Glauben nicht Platz greifen, um <strong>die</strong>Furcht von sich zu verscheuchen. „Denn siesagen,“ heißt es, „nicht sieht es der Herr,noch merkt es der Gott Jakobs;“ 150 undwieder: „Unsere Lippen sind für uns, wer istunser Herr?“ 151 Ferner: „Warum hat der BöseGott erbittert?“ Weiter: „Der Thor spricht inseinem Herzen: Es ist kein Gott. Verderbtsind sie gewor<strong>den</strong> in ihren Anschlägen.“ 152Und wiederum: „Furcht Gottes ist nicht vorihren Augen;“ 153 und: „Denn er h<strong>an</strong>delttrüglich vor seinem Angesichte, daß m<strong>an</strong>finde seine Sün<strong>den</strong> und hasse.“ 154 Dasselbesagt auch Christus: „Ein Jeder, der Bösesthut, hasset das Licht und kommt nicht <strong>an</strong>das Licht.“ 155 D<strong>an</strong>n fügt der Apostel bei: 14. Denn wir sind Christi theilhaftiggewor<strong>den</strong>. Was heißt Das: „Wir sind Christitheilhaftig gewor<strong>den</strong>“? Er und wir sind Eins150 Ps 93,7151 Ps 11,5152 Ps 13,1153 Ps 35,2.3154 Ps 35,2.3155 Joh 3,20


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gewor<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n er ist das Haupt, wir abersind der Leib und Miterben und zu einemKörper vereinigt. Ein Körper sind wir, sagter, von seinem Fleische und von seinemGebein; „wenn wir <strong>an</strong>ders seine <strong>an</strong>fänglicheGrundlage festhalten.“ Was ist Das: „Die<strong>an</strong>fängliche Grundlage“? Der Glaube, durch<strong>den</strong> wir Best<strong>an</strong>d gewonnen, durch <strong>den</strong> wir(neu) geboren und m<strong>an</strong> könnte sagen mitdem wir wesenhaft verbun<strong>den</strong> wur<strong>den</strong>(συνουσιώϑημεν). D<strong>an</strong>n fügt er bei:15. Heute, da ihr seine Stimme höret,verhärtet euere Herzen nicht wie bei jenerErbitterung!Das steht in verkehrterOrdnung; 156 das Folgende aber lautet also:Kap. IV.1. 2. Fürchten wir also, daß wir etwa <strong>die</strong>Verheissung, in seine Ruhe einzugehen,vernachlässigen, und Jem<strong>an</strong>d aus eucherfun<strong>den</strong> werde, zurückgeblieben zu sein.Denn auch uns ist <strong>die</strong> Verheissungverkündet wor<strong>den</strong>, so gut wie Jenen.So l<strong>an</strong>ge es heißt: „Heute, da ihr seineStimme höret;“ <strong>den</strong>n der Ausdruck: „heute“hat <strong>die</strong> Bedeutung von: „immer“.D<strong>an</strong>n sagt er: „Aber Jenen nützte dasvernommene Wort nicht, da sie mit Dem, was siegehört, nicht auch <strong>den</strong> Glauben verb<strong>an</strong><strong>den</strong>,“wodurch er zeigt, wie das Wort nutzlos war;<strong>den</strong>n ohne Nutzen blieb es für sie, weil es mitdem Glauben nicht verbun<strong>den</strong> war. Da er siein Furcht setzen will, weist er Dieß nachdurch <strong>die</strong> folgen<strong>den</strong> Worte:16 - 19. (Kap. III.) Denn einige, <strong>die</strong> gehörthatten, erbitterten ihn, aber nicht Alle, <strong>die</strong>unter Moses aus Ägypten zogen. Welchenzürnte er durch vierzig Jahre? Waren esnicht jene Sünder, deren Leiber in derWüste dahinfielen? Welchen schwur er, daßsie zu seiner Ruhe nicht eingehen wer<strong>den</strong>,als Denen, welche ungläubig waren? So156 Καϑ ὑπέρβατον = Versetzung der Wörter oder Redeglieder, hier derKapitel und Verse.53sehen wir, daß sie nicht eingehen konntenwegen des Unglaubens.Nachdem er wieder das Zeugniß gebracht,fügt er auch <strong>die</strong> Frage bei, was der Redemehr Klarheit verleiht. „Denn er hatgesprochen,“ sagt er, „heute, da ihr seineStimme höret, verhärtet euere Herzen nichtwie bei jener Erbitterung!“ Welche sind es<strong>den</strong>n, von welchen er ob ihrer Verhärtungund ihres Unglaubens spricht? Sind es nicht<strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>? Er will aber damit Folgendessagen: Gehört haben Jene, wie auch wirhören, aber ohne daraus einen Nutzen zuziehen. Glaubt also ja nicht, aus dem bloßenAnhören des Ev<strong>an</strong>geliums (der Predigt)schon einen Vortheil zu schöpfen, da auchJene hörten, aber ohne Belohnung verblieben,weil sie nicht glaubten. Die aber zu Chalebund Josue hielten, entgingen, weil sie sichnicht unter <strong>die</strong> Ungläubigen mischten, d. h.<strong>den</strong>selben nicht beistimmten, der<strong>über</strong> <strong>die</strong>se verhängten Strafe. Zu bewundernist, wie er <strong>die</strong> Worte: „sie stimmten nicht bei“vermeidet und sich des Ausdruckes be<strong>die</strong>nt:sie mischten sich nicht (unter sie), d. h. siest<strong>an</strong><strong>den</strong> dem Aufruhr ferne, während Jeneohne Ausnahme <strong>die</strong> eine und <strong>die</strong>selbeGesinnung theilten. Hier scheint er auf eineEmpörung <strong>an</strong>zuspielen.3. (Kap. IV.) Denn wir wer<strong>den</strong> eingehen in<strong>die</strong> Ruhe, wenn wir geglaubt haben (d<strong>an</strong>nfährt er, Dieß bekräftigend, fort) gemäßDem, was er gesprochen: „So schwur ich<strong>den</strong>n in meinem Zorne: sie sollen nichteingehen in meine Ruhe,“ obwohl <strong>die</strong>Werke seit Grundlegung der Welt fertigwaren.Da aber der Einwurf nahe lag, daß durch dasGesagte keineswegs bewiesen sei, wirwür<strong>den</strong> nicht eingehen, sondern Jene seiennicht eingeg<strong>an</strong>gen, - was thut er? Er beeiltsich, zu zeigen, daß, wie jene Ruhe noch eine<strong>an</strong>dere neben sich bestehen lasse, <strong>die</strong>selbeauch nicht <strong>die</strong> Ruhe der himmlischenSeligkeit sei; indeß will er zeigen, daß Jene


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>die</strong> Ruhe nicht erl<strong>an</strong>gt haben. Daß er aberDieß sagt, wird aus dem Folgen<strong>den</strong> klar.4. 5. (Denn <strong>die</strong> Schrift) spricht <strong>an</strong> irgendeinem Orte von dem siebenten Tage also:Und Gott ruhte am siebenten Tage vonallen seinen Werken. Und <strong>an</strong> jenem Orteabermal: Sie sollen nicht eingehen in meineRuhe.Siehst du, wie jene Ruhe <strong>die</strong>se nichtausschließt? 6. 7. Weil nämlich noch zu erwarten ist, daßEinige in <strong>die</strong>selbe eingehen, nachdem Die,<strong>den</strong>en es zuerst verkündet wor<strong>den</strong>, nichteingeg<strong>an</strong>gen sind wegen ihres Unglaubens:so bestimmt sie (<strong>die</strong> Schrift) nochmals einenTag, ein Heute, indem sie nach so l<strong>an</strong>gerZeit durch David spricht, wie oben gesagtwor<strong>den</strong>: Heute, wenn ihr seine Stimmehöret, verhärtet euere Herzen nicht!Was sagt er aber mit <strong>die</strong>sen Worten? DaEinige g<strong>an</strong>z und gar eingehen sollen, Jeneaber nicht eingeg<strong>an</strong>gen sind, so setzt er einedritte Ruhe fest. Hören wir aber, wie erbeweist, daß Einige nothwendig eingehenmüssen! Weil nach so vielen Jahren, sagt er,David wiederum spricht: „Heute, wenn ihrseine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nichtwie bei der Erbitterung!“8. Denn hätte Josue sie zur Ruhe gebracht,sowürde er darnach nicht von einem<strong>an</strong>deren Tage sprechen.Offenbar sagt er Dieses im Hinblick ausSolche, <strong>die</strong> noch in der Zukunft eineVergeltung erl<strong>an</strong>gen wer<strong>den</strong>.9. Also steht noch eine Sabbatruhe für dasVolk Gottes zu erwarten.Warum? Weil <strong>die</strong> Aufforderung besteht:„Verhärtet euere Herzen nicht!“ Denn solltekein Ruhetag folgen, so würde keine solcheErmahnung ergehen, noch auch befohlenwer<strong>den</strong>, ja nicht Dasselbe zu thun, damit sienicht gleicher Strafe verfielen, wenn sie nichtDasselbe erfahren sollten. Wie hätten aberDiejenigen, welche Palästina besaßen,Dasselbe erfahren sollen, wenn es nicht eine<strong>an</strong>dere Ruhe gäbe? III.Er gibt seiner Rede einen schönen Abschluß;<strong>den</strong>n er sagt nicht Ruhe (ϰατάπαυσις),sondern gebraucht <strong>die</strong> passende Benennung„Sabbatfeier“ (Σαββατισμός), wobei sie sichfreudig einf<strong>an</strong><strong>den</strong>, und bezeichnet <strong>die</strong>Sabbatfeier als eine königliche Herrschaft.Denn wie m<strong>an</strong> sich am Sabbat von allemBösen enthalten und Das allein geschehensoll, was auf <strong>den</strong> Gottes<strong>die</strong>nst, welchen <strong>die</strong>Priester zu besorgen hatten, Bezug hat undder Seele frommt, und nichts Anderes: sowerde es auch d<strong>an</strong>n sein. Aber nicht sodrückt er sich aus, sondern wie?10. Denn wer eingeg<strong>an</strong>gen ist in seineRuhe, der ruhet auch aus von seinenWerken gleichwie Gott von <strong>den</strong> seinen.Gleichwie Gott ausruhte, sagt er, von seinenWerken, so ruht auch Der aus, welcher inseine Ruhe eingeg<strong>an</strong>gen. Denn da er zuihnen von der Ruhe sprach, und sie zuwissen verl<strong>an</strong>gten, w<strong>an</strong>n <strong>die</strong>selbe eintretenwerde, so schließt er damit seine Rede. DenAusdruck „heute“ gebraucht er, damit sienicht verzweifeln möchten. Ermahnet euchselbst ein<strong>an</strong>der, will er sagen, alle Tage, sol<strong>an</strong>ge es „heute“ heißt; Das will sagen: wennauch Jem<strong>an</strong>d gesündiget hat, hat erHoffnung, so l<strong>an</strong>ge es noch „heute“ ist.Darum soll Niem<strong>an</strong>d verzweifeln, so l<strong>an</strong>ge erlebt; g<strong>an</strong>z besonders aber finde sich keinungläubiges Herz; wäre aber Das auch derFall, so verzweifle Keiner, sondern er erholesich wieder; <strong>den</strong>n so l<strong>an</strong>ge wir noch in <strong>die</strong>serWelt leben, bietet das „Heute“ Gelegenheit.Hier spricht er nicht nur vom Unglauben,sondern auch vom Murren. „Deren Leiber,“heißt es, „in der Wüste dahinfielen.“ 157 Damit54157 Hebr 3,17


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ferner nicht Jem<strong>an</strong>d wähne, es werde nur <strong>die</strong>Ruhe nicht gewahrt wer<strong>den</strong>, fügt er auch <strong>die</strong>Strafe bei mit <strong>den</strong> Worten: „Denn lebendig istdas Wort Gottes und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert unddringt durch, bis daß es Seele und Geist, auchMark und Bein scheidet, und ist ein Richterder Ged<strong>an</strong>ken und Gesinnungen desHerzens.“ 158 Hier spricht er von der Hölleund von der Strafe. Es dringt, sagt er, bis indas Verborgene unseres Herzens unddurchschneidet <strong>die</strong> Seele. Da gibt es keineGebeine, <strong>die</strong> zerstreut liegen und nicht zurBestattung gel<strong>an</strong>gen, wie dort, 159 sondernm<strong>an</strong> ist beraubt der himmlischenHerrlichkeit und <strong>über</strong>liefert der Hölle, <strong>die</strong>ewig dauert, und erfährt eine züchtigendeStrafe, <strong>die</strong> kein Ende nimmt. - „Sondernermahnet euch selbst ein<strong>an</strong>der!“ 160 Siehe, wiemild und s<strong>an</strong>ft er sich ausdrückt. Er sagtnicht: Haltet ein<strong>an</strong>der strafend vor! sondern:„Ermahnet!“ So sollen auch wir Denenbegegnen, <strong>die</strong> von Trübsalen heimgesuchtsind. Ebenso spricht er im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Thessalonicenser: „Weiset zurecht <strong>die</strong>Unruhigen!“ In Bezug auf <strong>die</strong> Kleinmüthigenaber sagt er nicht so, sondern wie? „Tröstet<strong>die</strong> Kleinmüthigen, stehet <strong>den</strong> Schwachenbei, habet Geduld mit Allen!“ 161 Was heißtDas: „tröstet“? Dieses Wort steht für: lasset<strong>die</strong> Hoffnung nicht sinken, verzweifelt nicht!Denn wer <strong>den</strong> von Trübsal Gebeugten nichttröstet, macht ihn nur noch gefühlloser:„Damit nicht Jem<strong>an</strong>d von euch verhärtetwerde durch <strong>den</strong> Trug der Sünde.“ Entwedermeint er hier <strong>den</strong> Trug des Teufels; <strong>den</strong>nTrug ist es wirklich, wenn m<strong>an</strong> von derZukunft Nichts erwartet und glaubt, daß unskeine Rechenschaft abgefordert werde, unddaß wir unserer hier vollführten Thatenwegen keine Strafe erdul<strong>den</strong> müssen, und158 V. 12159 D.h. bei <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>160 Hebr 3,13161 1 Thess 5,1455daß es keine Auferstehung gebe; - oder derTrug besteht <strong>an</strong>dererseits in derGefühllosigkeit oder in der Verzweiflung;<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Sprache: Was ist zu machen, ichhabe einmal gesündigt, und es ist keineHoffnung, daß ich mich nochmalsemporringe, - ist ein Betrug. - D<strong>an</strong>n flößt er ihnen wieder Hoffnung ein durch <strong>die</strong>Worte: „Denn wir sind Christi theilhaftiggewor<strong>den</strong>,“ 162 wodurch er ungefähr sagenwill: Der uns so geliebt und so hochgeschätzthat, daß er uns zu seinem eigenen Leiberkoren, wird uns auch, wenn wir in Gefahrsind, unterzugehen, wohl beachten. Erwägenwir, zu welcher Würde wir erhoben wur<strong>den</strong>!Christus und wir sind Eins; versagen wir ihmalso nicht unseren Glauben. Er spielt auchwieder auf Dasjenige <strong>an</strong>, was er <strong>an</strong> einer<strong>an</strong>deren Stelle sagt: „Wenn wir dul<strong>den</strong>,wer<strong>den</strong> wir auch mitherrschen.“ 163 Denn Dasbesagen <strong>die</strong> Worte: „Wir sind theilhaftiggewor<strong>den</strong>;“ wir nehmen Theil <strong>an</strong> Dem, wasChristus <strong>an</strong>gehört. Er spricht ihnen Muth zu,indem er <strong>an</strong> das zu Theil gewor<strong>den</strong>e Guteerinnert: „Denn wir sind Christi theilhaftiggewor<strong>den</strong>.“ D<strong>an</strong>n spricht er wieder inernstem Tone: „Fürchten wir also, daß wiretwa <strong>die</strong> Verheissung, in seine Ruheeinzugehen, vernachlässigen und Jem<strong>an</strong>d auseuch erfun<strong>den</strong> werde, zurückgeblieben zusein.“ Denn Das ist deutlich und offenbar. -„Sie prüften mich,“ sagt er, „und doch sahensie meine Werke vierzig Jahre. Siehst du, daßm<strong>an</strong> Gott nicht zur Rechenschaft ziehen,sondern ihm, mag er nun seine schirmendeH<strong>an</strong>d <strong>über</strong> uns halten oder <strong>die</strong>sezurückziehen, gläubig vertrauen soll? Wernoch Beweise seiner Macht oder seinerweisen Fürsorge verl<strong>an</strong>gt, der glaubt nochnicht, daß er mächtig und gütig ist. Daraufdeutet er auch in seinem <strong>Brief</strong>e hin, indem sievielleicht <strong>die</strong> Prüfung und <strong>den</strong> Beweis seinerMacht und seiner Fürsorge für sie aus Dem,162 Hebr 3,14163 2 Tim 2,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>was ihnen widerfuhr, schöpfen wollten.Siehst du, daß <strong>die</strong> Frucht des Unglaubensimmer <strong>die</strong> Beleidigung und der Zorn Gottessind? Was sagt er nun? „Also steht noch eineSabbatruhe für das Volk Gottes zuerwarten.“ Siehe, wie er seine g<strong>an</strong>ze Redezusammenfaßt. Er hat geschworen, sagt er,<strong>den</strong> Vorfahren, daß sie in seine Ruhe nichteingehen sollen, und sie sind nichteingeg<strong>an</strong>gen. L<strong>an</strong>ge Zeit nachher spricht erzu <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>: „Verhärtet euereHerzen nicht gleichwie euere Väter. Also istoffenbar von einer <strong>an</strong>deren Ruhe <strong>die</strong> Rede;<strong>den</strong>n Palästina k<strong>an</strong>n nicht gemeint sein, weilsie im Besitze desselben waren; der siebenteTag aber gar nicht, weil von <strong>die</strong>sem, derältesten Zeit <strong>an</strong>gehörig, gar nicht gesprochenwurde; also muß eine <strong>an</strong>dere Ruhe gemeintsein, <strong>die</strong> eine wahre Ruhe ist.IV.Ja, in der That ist das eine Ruhe, wo entflohenist der Schmerz und <strong>die</strong> Trauer und dasSeufzen, wo weder Sorgen noch Arbeitennoch Kämpfe sich fin<strong>den</strong>, noch eine Furcht,welche <strong>die</strong> Seele niederschlägt underschüttert, sondern allein <strong>die</strong> Furcht Gottes,<strong>die</strong> reich ist <strong>an</strong> Wonne. Dort hört m<strong>an</strong> nichtmehr (<strong>die</strong> Worte): „Im Schweiße deinesAngesichtes sollst du dein Brod essen,“ 164noch auch: „Dörner und Disteln soll sie dirtragen,“ - Dörner und Disteln sind nichtmehr, - noch auch: „In Schmerzen sollst dudeine Kinder gebären und sollst unter derGewalt des M<strong>an</strong>nes sein, und er wird <strong>über</strong>dich herrschen.“ Dort ist Alles Friede,Freude, Wonne, Seelenlust, Güte, Milde,Aufrichtigkeit, Liebe. Dort herrscht wederEifersucht noch Neid, weder Kr<strong>an</strong>kheit nochTod des Leibes oder der Seele, nichtFinsterniß, nicht Nacht; dort ist Alles Tag,Alles Licht, Alles Ruhe; dort gibt es keineErmüdung, keine Übersättigung, sondernwir wer<strong>den</strong> fortwährend Lust <strong>an</strong> <strong>die</strong>senGütern haben. Wollet ihr, daß ich euch auchein beiläufiges Bild des jenseitigen Zust<strong>an</strong>des(der Seligen) entwerfe? Das ist unmöglich;aber <strong>den</strong>noch will ich’s nach meinen Kräftenversuchen, euch ein solches Bild vor Augenzu stellen. Blicken wir auf zum Himmel,wenn er frei von lästigem Nebel seine Kronezeigt. Und hat uns d<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Schönheit seinesAnblickes l<strong>an</strong>ge entzückt, so erwägen wir,daß wir einen Wohnsitz haben wer<strong>den</strong>, aberkeinen solchen wie der jetzige ist, sondernum so viel herrlicher ist, als sich dasGold vor einer Lehmdecke auszeichnet!Denken wir uns d<strong>an</strong>n wieder <strong>die</strong> obereDecke, ferner <strong>die</strong> Engel, <strong>die</strong> Erzengel, <strong>die</strong>zahllosen Schaaren der unkörperlichenMächte, <strong>den</strong> Wohnsitz Gottes, <strong>den</strong> Thron desVaters; allein wie ich schon gesagt, <strong>die</strong>Sprache ist ohnmächtig, das G<strong>an</strong>ze zuschildern: Erfahrung ist nothwendig undeine aus Erfahrung entsprungeneErkenntniß. Wie glaubt ihr, daß Adam imPara<strong>die</strong>se gelebt habe? Um so viel aber istdas himmlische Leben herrlicher als jenes,um wie viel der Himmel <strong>den</strong> Vorzug hat vorder Erde. - Jedoch wir wollen noch ein<strong>an</strong>deres Bild aufsuchen. Wenn es geschähe,daß der jetzige Kaiser Beherrscher desg<strong>an</strong>zen Erdkreises würde und weder durchKriege noch durch Sorgen belästiget wäre,sondern nur Ehren und Freu<strong>den</strong> genöße,indem ihm reiche Abgaben 165 zuflößen unddas Gold von allen Seiten zusammenströmteund er von Allen bewundert wäre: was fürein Gefühl würde ihn erfüllen, wenn er alleKriege von der Erde verb<strong>an</strong>nt sähe? Etwasähnliches wird dereinst stattfin<strong>den</strong>; alleinjenes Bild zu entwerfen ist mir noch nichtgelungen, weßhalb ich ein <strong>an</strong>deres versuchen164 Gen 3,19.18.1656165 Πολλοὺς μὲν ἔχειν ϕόρους; eine <strong>an</strong>dere Lesart hat δορυϕόρους =Trab<strong>an</strong>ten, Leibwächter


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>muß. Denke dir ein königliches Kind,welches, sol<strong>an</strong>ge es im Mutterschooß ist,Nichts empfindet, nun plötzlich von dort auf<strong>den</strong> königlichen Thron kommt und nichtallmählig, sondern auf einmal in <strong>den</strong> Besitzaller Macht gel<strong>an</strong>gt. So ungefähr ist dasVerhältniß unseres jetzigen und jenseitigenLooses; - oder wenn ein Gef<strong>an</strong>gener, derzahllose Lei<strong>den</strong> erduldet, plötzlich auf <strong>den</strong>Königsthron erhoben würde. Aber auch<strong>die</strong>se Bilder sind noch nicht zutreffend zunennen. Denn <strong>an</strong> <strong>den</strong> irdischen Gütern, undbestän<strong>den</strong> sie auch in einer königlichenHerrschaft, hat Derjenige, welcher in <strong>den</strong>Besitz derselben gel<strong>an</strong>gt, wohl am erstenTage eine herzergötzende Freude, auch amzweiten und dritten noch; im Verlauf derZeit aber bleibt zwar das Vergnügen, aber esist l<strong>an</strong>ge nicht mehr so groß; <strong>den</strong>n eswird, mag es wie immer geschaffen sein,durch <strong>die</strong> Gewohnheit geschwächt; - dortaber tritt nicht nur keine Minderung ein,sondern es gewinnt stets neuen Zuwachs.Be<strong>den</strong>ke doch, welch großes Glück! Eineabgeschie<strong>den</strong>e Seele kennt keine Furchtmehr, daß jene Güter einmal ein En<strong>den</strong>ehmen oder einen Wechsel erfahrenkönnten, sondern weiß, daß <strong>die</strong>Glückseligkeit sich fort und fort mehren und<strong>die</strong>ß glückselige Leben ewig dauern werde:sie ist frei von allen Gefahren, frei vonKummer und Sorge und ergötzt sich in derFülle der Wonne, im Genusse unzähligerGüter. Denn wenn wir auf’s Feldhinausgehen und dort <strong>die</strong> Soldatenzelte, <strong>die</strong>aus Teppichen verfertiget sind, und <strong>die</strong>Speere und <strong>die</strong> Helme und <strong>die</strong> glänzen<strong>den</strong>Buckel der Schilde betrachten, so erfaßt unshohe Bewunderung. Wenn wir nun aberauch schauen, wie der König zu Fuß in <strong>die</strong>Mitte (der Seinigen) eilt, oder wenn wir ihnzu Pferde im Strahlengl<strong>an</strong>ze gol<strong>den</strong>er Waffenerblicken, so vermeinen wir Alles zu haben:was glaubst du, (daß wir empfän<strong>den</strong>,) wennwir der Heiligen ewige Gezelte, <strong>die</strong> im57Himmel aufgeschlagen sind, <strong>an</strong>schauenkönnten? „Denn sie wer<strong>den</strong>,“ heißt es, „euchaufnehmen in <strong>die</strong> ewigen Wohnungen;“ 166 -wenn du einen Je<strong>den</strong> hellglänzender als <strong>die</strong>Sonne leuchten sähest, nicht in Erz undEisen, sondern in jener Herrlichkeit, derenGefunkel kein Menschenauge zu schauenvermag? Das gilt in Bezug auf <strong>die</strong> Menschen.Was würdest du aber erst sagen beimAnblick der Tausende von Engeln undErzengeln, der Cherubim und Seraphim, derThronen, der Herrschaften, der Gewalten,der Mächte, deren Schönheit unerfaßlich istund allen Verst<strong>an</strong>d <strong>über</strong>steigt? Jedoch hiswohin verliere ich mich, indem ichUnerreichbares verfolge? Denn „kein Auge,“heißt es, „hat es gesehen, kein Ohr gehört,und in keines Menschen Herz ist esgekommen, was Gott Denen bereitet hat, <strong>die</strong>ihn lieben.“ 167 Die beklagenswerthesten Menschen sind also Die, welche Dasnicht erreichen, und <strong>über</strong> Alles glückseligDie, welche in <strong>den</strong> Genuß Desselbengel<strong>an</strong>gen. Möchten doch auch wir aus derZahl der Seligen sein, damit wir der ewigenGüter theilhaftig wer<strong>den</strong> in Christus Jesus,unserem Herrn, dem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Siebente Homilie.I.11 - 13. Lasset uns also eilen, in <strong>die</strong>se Ruheinzugehen, damit nicht Jem<strong>an</strong>d indasselbe Beispiel des Unglaubens verfalle.Denn lebendig ist das Wort Gottes undwirksam und schärfer als jedeszweischneidige Schwert und dringt durch,166 Lk 16,9167 1 Kor 2,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>bis daß es Seele und Geist, auch Mark undBein scheidet, und ist ein Richter derGed<strong>an</strong>ken und der Gesinnungen desHerzens. Und es ist kein Geschöpf vor ihmverborgen, sondern Alles ist nackt undoffenbar vor <strong>den</strong> Augen Dessen, bei demwir Rechenschaft zu geben haben.Erhaben ist der Glaube und heilbringend,und ohne ihn ist es nicht möglich, selig zuwer<strong>den</strong>. Allein er vermag nicht, aus sichallein Dieß zu bewirken, sondern es ist auchein rechtschaffener W<strong>an</strong>del nothwendig.Darum ermahnet auch Paulus Diejenigen,welche der Geheimnisse schon gewürdigetsind, mit <strong>den</strong> Worten: „Lasset uns also eilen, in<strong>die</strong>se Ruhe einzugehen!“ Lasset uns eilen, sagter, weil der Glaube nicht ausreicht,sondern auch der Lebensw<strong>an</strong>delhinzukommen und ein großer Pflichteifer <strong>an</strong><strong>den</strong> Tag gelegt wer<strong>den</strong> muß. Ja, in Wahrheitbedarf es eines großen Eifers, um in <strong>den</strong>Himmel zu kommen. Denn wenn schon Jenedes verheissenen L<strong>an</strong>des nicht gewürdigetwur<strong>den</strong>, <strong>die</strong> in der Wüste so viele Mühenerduldet, und in dasselbe nicht einziehenkonnten, weil sie gemurrt hatten und inAbgötterei verfallen waren: wie wer<strong>den</strong> wirdes Himmelreiches gewürdiget wer<strong>den</strong>, <strong>die</strong>wir ein so gleichgiltiges und leichtsinnigesLeben führen? Wir müssen also einen großenEifer entwickeln. Und siehe, Das bildet nicht<strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen Verlust, daß wir nicht eingehensollen; <strong>den</strong>n er sagt nicht: Lasset uns eilen, in<strong>die</strong>se Ruhe einzugehen, damit wir nicht sogroßer Güter verlustig wer<strong>den</strong>, sondern erfügt Etwas bei, was <strong>die</strong> Menschenvorzugsweise <strong>an</strong>zuregen vermag. Und wasist Das? Dieses: „Damit nicht Jem<strong>an</strong>d indasselbe Beispiel des Unglaubens verfalle,“ d.h.damit wir dort unseren Sinn, unsereHoffnung und Erwartung haben, um nichteinen gleichen Verlust beklagen zu müssen.Daß wir aber <strong>die</strong>sen Verlust befürchtenmüßten, macht das Beispiel klar: „damit nichtin dasselbe,“ heißt es. Damit du ferner, indem58du <strong>den</strong> Ausdruck: „in dasselbe“ hörest, nichtetwa wähnest, hier sei <strong>die</strong>selbe Strafegemeint, so vernimm <strong>den</strong> Zusatz: „Dennlebendig ist das Wort Gottes und wirksam undschärfer als jedes zweischneidige Schwert unddringt durch, bis daß es Seele und Geist, auchMark und Bein scheidet, und ist ein Richter derGed<strong>an</strong>ken und Gesinnungen der Herzen.“ Auchhier zeigt er, daß dasselbe göttliche WortDieses bewirkt, daß es lebendig ist und nichtaufgehört hat. Fasse daher, wenn du <strong>den</strong>Ausdruck „Wort“ hörst, Dieses nicht ingewöhnlichem Sinne; „<strong>den</strong>n es ist,“ heißt es,„schärfer als ein Schwert.“ Siehe, wie er sichherabläßt, und lerne daraus, wie es auch für<strong>die</strong> Propheten nothwendig war, sich derAusdrücke: „Dolch“, „Bogen“, „Schwert“ zu be<strong>die</strong>nen. „Wenn ihr euch nichtbekehret,“ heißt es, „wird er sein Schwertzücken; seinen Bogen hat er gesp<strong>an</strong>nt undihn zugerüstet.“ 168 Denn wenn er jetzt nachVerlauf einer so l<strong>an</strong>gen Zeit sie nicht mehrdurch <strong>die</strong> bloße Bezeichnung „Wort“erschüttern k<strong>an</strong>n, sondern es noch <strong>die</strong>serAusdrücke bedarf, um durch Vergleich <strong>die</strong>Wichtigkeit <strong>an</strong>schaulich zu machen, um wieviel mehr war Dieß damals der Fall? - „Unddringt durch, bis daß es Seele und Geist scheidet.“Was heißt Das? Er hat damit Etwas, wasFurcht erregt, <strong>an</strong>gedeutet: entweder sagt er,daß es <strong>den</strong> Geist von der Seele scheidet, oderdaß es selbst das Unkörperliche durchdringt,nicht wie das Schwert nur <strong>die</strong> Körper. Hierzeigt er, daß auch <strong>die</strong> Seele gestraft und dasInnerste durchforscht wird, und daß es <strong>den</strong>Menschen g<strong>an</strong>z und gar durchdringt: „Undein Richter der Ged<strong>an</strong>ken und Gesinnungen desHerzens. Und es ist kein Geschöpf vor ihmverborgen.“ Hier versetzt er sie g<strong>an</strong>zbesonders in Schrecken. Was er aber sagenwill, ist Dieses: Denn ihr, sagt er, steht nichtmehr im Glauben; wenn Dieß aber <strong>den</strong>nochder Fall wäre, doch nicht in voller168 Ps 7,13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Überzeugung mit zuversichtlichem Muthe;er aber richtet. was im Herzen ist; <strong>den</strong>ndorthin dringt er und erforschet und strafet.Und was rede ich von Menschen, sagt er;nenne mir Engel und Erzengel, <strong>die</strong> Cherubimund <strong>die</strong> Seraphim und was immer für einGeschöpf: vor jenem Auge ist Alles enthüllt,Alles klar, Alles offenbar; Nichts k<strong>an</strong>n sichvor ihm verbergen: „Alles ist nackt un<strong>den</strong>tblößt vor dessen Augen, dem wir Rechenschaftzu geben haben.“ Den bildlichen Ausdruck„entblößt“ (τετραχηλισμένα) entlehnt er von<strong>den</strong> Häuten, welche <strong>den</strong> geschlachtetenOpferthieren abgezogen wur<strong>den</strong>. Denn wiedas Innere des Thieres, sobald Jem<strong>an</strong>d <strong>die</strong>Haut vom Fleische getrennt hat, bloßgelegtwird und sich unseren Augen deutlichdarstellt, so liegt auch Alles offen vorGott. Du aber sieh’ einmal, wie er sichnothwendig immer körperlicher Bilderbe<strong>die</strong>nt, was seinen Grund in der Schwächeder Zuhörer hat. Denn daß sie schwachwaren, zeigt er, indem er sagt, daß sie wegenM<strong>an</strong>gels <strong>an</strong> Kraft der Milch und nicht festerNahrung bedürfen. „Alles ist nackt un<strong>den</strong>tblößt vor <strong>den</strong> Augen Dessen, bei dem wirRechenschaft zu geben haben.“ Was heißt aberDas: „in dasselbe Beispiel des Unglaubens“? DieFrage lautet ähnlich, als wenn Jem<strong>an</strong>d sagte:Warum bekamen Jene das L<strong>an</strong>d nicht zusehen? Sie hatten, will er sagen, dasUnterpf<strong>an</strong>d 169 der Macht Gottes und hättensomit glauben sollen; allein bewältigt vonFurcht, und jeder erhabenen Vorstellung vonGott bar und ledig, verfielen sie in Kleinmuthund gingen zu Grunde. Es läßt sich aber auchnoch etwas Anderes sagen, nämlich:nachdem sie bereits <strong>die</strong> Hauptstrecke desWeges zurückgelegt hatten, nachdem sieschon bis zu <strong>den</strong> Pforten gel<strong>an</strong>gt waren,vers<strong>an</strong>ken sie noch selbst am R<strong>an</strong>de desHafens; - und Dieß, will er sagen, befürchteich auch in Bezug auf euch. Diesen Sinnhaben also <strong>die</strong> Worte: „in dasselbe Beispiel desUnglaubens.“ Denn daß auch sie viel gelittenhaben, bezeugt er ihnen später, indem erspricht: „Erinnert euch aber der vorigenTage, in welchen ihr nach euerer Erleuchtungeinen schweren Kampf der Lei<strong>den</strong>best<strong>an</strong>det. 170 Niem<strong>an</strong>d soll also kleinmüthigwer<strong>den</strong>, damit er nicht am Ende ermüde undfalle. Denn es gibt in der That M<strong>an</strong>che, <strong>die</strong> imAnf<strong>an</strong>g mit frischem Muth sich in <strong>den</strong>Kampf stürzen, zuletzt aber dem G<strong>an</strong>zennicht noch ein Weniges beifügen und darumAlles verlieren. Die Vorfahren, sagt er, sindgeeignet, euch zur Lehre zu <strong>die</strong>nen, damit ihrnicht in das Gleiche verfallet und nichtDasselbe erleidet, was sie erduldethaben. Das heissen <strong>die</strong> Worte: „in dasselbeBeispiel des Unglaubens.“ Erschlaffen wir also,will er sagen, ja nicht, wie er auch beimSchlusse spricht: „Die erschlafften Händeund <strong>die</strong> w<strong>an</strong>ken<strong>den</strong> Kniee richtet auf!“ 171„Damit nicht Jem<strong>an</strong>d,“ heißt es, „in dasselbeBeispiel verfalle;“ - auf daß du ferner, wenn du<strong>die</strong> Worte hörst: „in dasselbe Beispiel verfalle“,unter <strong>den</strong>selben nicht <strong>den</strong> gleichen Todverstehen mögest, durch welchen Jene <strong>den</strong>Unterg<strong>an</strong>g f<strong>an</strong><strong>den</strong>, so gib Acht, was er sagt:„Denn lebendig ist das Wort Gottes und wirksamund schärfer als jedes zweischneidige Schwert;“<strong>den</strong>n gewaltiger als jegliches Schwert fällt inihre Seelen das Wort und versetzt wuchtigeSchläge und gibt tödtliche Stiche. Dafürbraucht er keine Beweise zu bringen, nocheine Begründung zu geben, da eine so klareGeschichte vorliegt. Denn welcher Krieg, sagter, hat sie aufgerieben? welches Schwert?Sind sie nicht durch eigene Schuld zuGrunde geg<strong>an</strong>gen? Verfallen wir nun, da wirnicht Dasselbe haben lei<strong>den</strong> müssen, nicht inSorglosigkeit. Sol<strong>an</strong>ge es noch „heute“ heißt,ist es uns vergönnt, uns in neuer Kraft zuerheben. Aber damit sie, nachdem er alsogeredet und sie Das, was <strong>die</strong> Seele betrifft,169 Ἀῤῥαβῶνα = Arrha, arrhabo, pignus, vadimonium; vom hebr. ערבּוֹן oderערבּה59170 Hebr 10,32171 Hebr 12,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>an</strong>gehört hatten, nicht leichtsinnig wür<strong>den</strong>,spricht er auch von dem Leibe und zeigt, daßsich das Schwert des heiligen Geistes geradeso wirksam erweist wie bei einem Könige,welcher <strong>die</strong> Befehlshaber, <strong>die</strong> Schweresverschuldet, vorerst ihres Dienstes entsetztund d<strong>an</strong>n sie bestraft, nachdem er sie imBeisein des Heroldes des Amtsgürtels undihrer Würde verlustig erklärt hat. Hieraufnun spricht er in Bezug auf <strong>den</strong> Sohn Worte,<strong>die</strong> noch furchtbarer sind, indem er schreibt:„Dem wir Rechenschaft gehen müssen,“ d. h.ihm wer<strong>den</strong> wir Rechenschaft ablegen <strong>über</strong>Alles, was wir geth<strong>an</strong> haben. Wir wollendaher vor dem Falle uns hüten und nichtkleinmüthig wer<strong>den</strong>. Das Gesagte reicht bin, uns zu belehren: er aber begnügtsich damit nicht, sondern setzt noch <strong>die</strong>Worte hinzu:14. Wir haben aber auch einen großenHohenpriester, der <strong>die</strong> Himmeldurchdrungen, Jesum, <strong>den</strong> Sohn Gottes.II.Daß er aber aus dem besagten Grunde <strong>die</strong>seWorte hinzusetzte, ist aus dem Folgen<strong>den</strong>klar:15. Denn wir haben keinen Hohenpriester,der mit unseren Schwachheiten nichtMitleid haben könnte.Darum sagte er früher: „Denn darin, worin erselbst versucht wor<strong>den</strong> und gelitten hat,k<strong>an</strong>n er auch Denen, <strong>die</strong> versucht wer<strong>den</strong>,helfen.“ Siehe, wie er Dasselbe auch hierthut. Seine Worte haben aber <strong>die</strong>sen Sinn: Erist <strong>den</strong>selben Weg gew<strong>an</strong>delt wie wir, jaeinen noch rauheren; <strong>den</strong>n in allenmenschlichen Dingen hat er Erfahrunggewonnen. Er hatte dort gesagt: „Es ist keinGeschöpf vor ihm verborgen,“ indem erseine Gottheit <strong>an</strong>deuten wollte. Da er hieraufder Menschwerdung erwähnt, spricht er sichin mehr herablassender Form in <strong>den</strong> Worten60aus: „Da wir nun einen so großenHohenpriester haben, der <strong>die</strong> Himmeldurchdrungen,“ und zeigt dessen größereFürsorge, und wie er für <strong>die</strong> Seinigeneinsteht und nicht will, daß sie zu Fallkommen. Denn Moses, sagt er, ist nicht in <strong>die</strong>Ruhe eingeg<strong>an</strong>gen, er aber ist eingeg<strong>an</strong>gen;wie aber, will ich sagen. M<strong>an</strong> darf sich abernicht wundern, daß er Dieß nirgends <strong>an</strong>führt;<strong>den</strong>n entweder hat er ihn miteinbegriffen,um ihnen je<strong>den</strong> Vertheidigungsgrund zubenehmen, oder er hat, um <strong>den</strong> M<strong>an</strong>n nichtzu verklagen, Dieß nicht offen gesagt. Dennwenn sie schon, da Nichts der Artgesprochen wor<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Vorwurf hörenließen, er habe Moses und das Gesetzgeredet, um wie viel mehr wür<strong>den</strong>sie noch heftigere Angriffe gemacht haben,wenn er gesagt hätte, daß nicht Palästina,sondern <strong>die</strong> Himmelsruhe gemeint sei. Erlegt aber nicht Alles dem Priester bei,sondern er hebt auch Das hervor, was wirleisten sollen, nämlich das Bekenntniß: „Dawir nun einen so großen Hohenpriesterhaben, der <strong>die</strong> Himmel durchdrungen,Jesum, <strong>den</strong> Sohn Gottes, so lasset unsfesthalten am Bekenntnisse!“ Was für einBekenntniß meint er? Daß es eineAuferstehung gebe; daß eine Vergeltungfolge; uns unzählige Güter zu Theil wer<strong>den</strong>;daß Christus Gott, daß unser GlaubeWahrheit ist: Das sollen wir bekennen, dar<strong>an</strong>sollen wir festhalten! Daß Dieses aberWahrheiten sind, ergibt sich daraus, daß derHohepriester im Himmel ist. 172 Frei vomFalle wollen wir also festhalten amBekenntnisse; wenn auch <strong>die</strong> Dinge nochnicht gegenwärtig sind, so wollen wir<strong>den</strong>noch festhalten; <strong>den</strong>n bestän<strong>den</strong> sieschon in der Gegenwart, so wären sie Trug,so daß auch Das für ihre Wahrheit spricht,daß sie aufgeschoben wer<strong>den</strong>. UnserHohepriester ist groß; „<strong>den</strong>n wir haben keinen172῎Ενδον εῖναι = in seinem Hause, im Himmel, er, „der <strong>die</strong> Himmeldurchdrungen.“


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Hohenpriester, der mit unserer Schwachheit nichtMitleid haben könnte.“ Er ist nicht unbek<strong>an</strong>ntmit unseren Verhältnissen wie vieleHohepriester, welche Diejenigen, <strong>die</strong> Trübsallei<strong>den</strong>, nicht kennen oder nicht wissen, wasTrübsal ist. Denn es ist nicht möglich, daß einMensch <strong>die</strong> Schmerzen des Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> kenne,der nicht selbst <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> erfahren undempfun<strong>den</strong> hat. Unser Hohepriester hatAlles erfahren, <strong>den</strong>n darum hat er zuerstgelitten und ist d<strong>an</strong>n gen Himmel gefahren,auf daß er Mitleid haben könnte. „Der in allenStücken ähnlich wie wir versucht wor<strong>den</strong>, dochohne Sün<strong>den</strong> war.“ Siehe, wie er auch oben 173sich des Wortes „gleichfalls“ be<strong>die</strong>nt undhier nun <strong>den</strong> Ausdruck „ähnlich“ gebraucht; d. h. er wurde verfolgt,<strong>an</strong>gespuckt, verklagt, verspottet, verläumdet,verstoßen und endlich gekreuzigt. „Ähnlichwie wir, doch ohne Sünde.“ Hier deutet er nochetwas Anderes <strong>an</strong>, nämlich daß es möglichsei, auch ohne Sünde in Trübsal zu leben, sodaß, wenn der Ausdruck „Ähnlichkeit desFleisches“ vorkommt, damit nicht gesagt ist,daß er (bloß) Ähnlichkeit des Fleisches,sondern daß er wirklich Fleisch<strong>an</strong>genommen hat. Warum sagt er nun„ähnlich“? Weil er von dem sündhaftenFleische sprach; <strong>den</strong>n es best<strong>an</strong>d Ähnlichkeitmit unserem Fleische; der Natur nach war esmit dem unsrigen dasselbe, nicht aber inBezug auf <strong>die</strong> Sünde.16. Darum lasset uns mit Zuversichthinzutreten zum Throne der Gnade, damitwir Barmherzigkeit erl<strong>an</strong>gen und Gnadefin<strong>den</strong>, w<strong>an</strong>n wir Hilfe nöthig haben.Was versteht er unter „Thron der Gnade“? Denköniglichen Thron, von dem es heißt: „Essprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dichzu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zumSchemel deiner Füße lege;“ 174 - als wollte ersagen: Lasset uns mit Zuversicht hinzutreten,weil wir einen Hohenpriester haben, der <strong>die</strong>173 Kap. 2 V. 14174 Ps 109,161Welt besiegt hat. „Habet Vertrauen,“ sagt er,„ich habe <strong>die</strong> Welt <strong>über</strong>wun<strong>den</strong>;“ 175 <strong>den</strong>n dasheißt Alles gelitten haben, aber frei vonSün<strong>den</strong> sein. Wenn <strong>die</strong> Sünde <strong>über</strong> unsherrschet, heißt es, er aber der Sünde nichtunterth<strong>an</strong> ist, wie können wir mit Zuversichtzum Throne hinzutreten? Weil derselbe jetztein Thron der Gnade und kein Thron desGerichtes ist. „Darum,“ sagt er, „lasset uns mitZuversicht hinzutreten, damit wirBarmherzigkeit erl<strong>an</strong>gen, welche wir suchen;“<strong>den</strong>n sie ist eine Sache derFreigebigkeit und ein königliches Geschenk.„Und Gnade fin<strong>den</strong>, w<strong>an</strong>n wir Hilfe nöthighaben.“ Trefflich drückt er sich aus: „W<strong>an</strong>nwir Hilfe nöthig haben.“ Wenn du jetzt hinzutrittst, will er sagen, empfängst du Gnadeund Barmherzigkeit, <strong>den</strong>n du kommst zurrechten Zeit; kommst du aber hernach, soempfängst du sie nicht mehr; <strong>den</strong>n alsd<strong>an</strong>nfindet der Zutritt nicht mehr rechtzeitig statt;<strong>den</strong>n der Zutritt geschieht d<strong>an</strong>n zur Unzeit,<strong>den</strong>n d<strong>an</strong>n ist der Thron kein Gna<strong>den</strong>thronmehr; ein Gna<strong>den</strong>thron ist es, sol<strong>an</strong>ge derKönig gna<strong>den</strong>spen<strong>den</strong>d darauf sitzt; ist aberdas Ende gekommen, so erhebt er sich zumGerichte; <strong>den</strong>n „steh’ auf, Gott,“ heißt es,„richte <strong>die</strong> Erde.“ 176 Es ist noch etwasAnderes zu sagen. „Lasset uns,“ heißt es, „mitZuversicht hinzutreten,“ d. h. im Besitz einesguten Gewissens, frei von Zweifelmuth;<strong>den</strong>n ein Solcher k<strong>an</strong>n sich nicht mitVertrauen nahen. Darum steht auch <strong>an</strong> einer<strong>an</strong>deren Stelle geschrieben: „Zur Zeit derGnade erhöre ich dich, am Tage des Heileshelfe ich dir.“ 177 Denn auch <strong>die</strong> reuigeSinnesänderung Derer, <strong>die</strong> nach der Taufegesündiget haben, ist eine Frucht der Gnade.Damit du aber, da du ihn Hohenpriesternennen hörst, nicht wähnest, er stehe, führt erihn alsbald auf <strong>den</strong> Thron; der Priester abersitzt nicht, sondern steht. Siehst du, daß er175 Joh 16, 3 3176 Ps 81,8177 Is 49,8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>kein gewöhnlicher Hohepriester, sondern einsolcher aus Gnade in Herablassung undSelbstentäusserung ist. Auch für uns ist jetzt<strong>die</strong> günstige Zeit, zu re<strong>den</strong> (zu bitten); mitVertrauen wollen wir hinzutreten und bitten;lasset uns nur Glauben mitbringen, und erschenkt uns Alles. Jetzt ist <strong>die</strong> Zeit derGaben, Niem<strong>an</strong>d verzweifle <strong>an</strong> sich selber!D<strong>an</strong>n aber ist <strong>die</strong> Zeit der Verzweiflung,w<strong>an</strong>n der Saal geschlossen wird, w<strong>an</strong>n derKönig eintritt, um <strong>die</strong> Gäste zu sehen, da Diein <strong>den</strong> Schooß des Patriarchen gel<strong>an</strong>gen,welche dessen gewürdiget wer<strong>den</strong> sollen; -jetzt aber noch nicht: noch ist derSchauplatz geöffnet, noch harret der Kampf,noch blinket der Kampfpreis.III.Sputen wir uns also, <strong>den</strong>n auch Paulus sagt:„Ebenso laufe nun ich, aber nicht auf’sUngewisse hin.“ 178 Laufen muß m<strong>an</strong> undzwar <strong>an</strong>gestrengt laufen. Wer läuft, schautauf Niem<strong>an</strong><strong>den</strong>, der ihm begegnet, 179 magihn sein Weg durch liebliche Auen oderdurch dürre Wüsten führen. Wer läuft, blicktnicht auf zu <strong>den</strong> Zuschauern, sondern schautauf <strong>den</strong> Kampfpreis, seien nun Jene reichoder arm, mag Spott aufgegossen oder Lobgespendet wer<strong>den</strong>, mögen Schimpfwortegehört oder gar Steine geworfen wer<strong>den</strong>, undwürde selbst sein Haus ausgeplündert:Nichts hält ihn auf, auch nicht der Anblickseiner Kinder und seiner Gattin, und wasihm nur immer zu Gesichte kommen mag;nur Eines liegt ihm am Herzen, - zu laufenund <strong>den</strong> Preis zu gewinnen. Wer läuft, stehtnirgends still; <strong>den</strong>n wollte er auch nur einwenig sich der Fahrlässigkeit <strong>über</strong>lassen, sowäre Alles verloren. Wer läuft, versäumtnicht nur Nichts vor dem Ende, sondern178 1 Kor 9,26179 Wir ziehen <strong>die</strong> Lesart: τῶν ἀπαντώντων der τῶν ἁπάντων vor. Anm. D.Ü.62gerade d<strong>an</strong>n beflügelt er seinen Lauf. Dassage ich für Diejenigen, <strong>die</strong> da sprechen: Inder Jugend haben wir uns geübt, haben wirgefastet; jetzt sind wir alt gewor<strong>den</strong>. Geradejetzt soll m<strong>an</strong> <strong>die</strong> Frömmigkeit pflegen. Zählemir nicht deine alten Tugendthaten auf; jetztvielmehr werde wieder ein Jüngling undzeige <strong>die</strong> Vollkraft (deines Tugendlebens).Denn wer <strong>den</strong> Lauf seines leiblichen Lebensverfolgt, vermag begreiflicher Weise, sobaldihn das Greisenalter erfaßt hat, nicht mehr sobehende zu sein; <strong>den</strong>n der g<strong>an</strong>ze Kampfberuht auf dem Körper. Aus welchemGrunde aber willst <strong>den</strong>n du <strong>den</strong> Kampfverringern? Hier bedarf es nur der Seele, <strong>die</strong>in lebendiger Regsamkeit sich kräftig erweist. Die Seele erstarket im Alter, ja siegel<strong>an</strong>gt gerade da zur vollen Kraft und zueinem freudigen Stolze. Gleichwie nämlichder Körper, sol<strong>an</strong>ge er mit Fiebern und<strong>an</strong>deren Kr<strong>an</strong>kheiten zu kämpfen hat, undwenn er auch stark ist, hart leidet; sobald eraber von <strong>die</strong>ser Bedrängniß befreit ist, seinenatürliche Kraft wieder gewinnt: so fiebertauch <strong>die</strong> Seele in der Jugend und ist mitRuhmgier, Vergnügungssucht, Liebeslustund vielen <strong>an</strong>deren Begier<strong>den</strong> behaftet; istaber das Alter gekommen, d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> alle<strong>die</strong>se Lei<strong>den</strong>schaften theils durch <strong>die</strong> Zeittheils durch <strong>die</strong> ächte Lebensweisheitvertrieben. Denn das Alter, welches <strong>den</strong>Körper abschwächt, verwehrt der Seele,selbst wenn sie wollte, <strong>den</strong>selben zu <strong>die</strong>nen;es hält gleichsam <strong>die</strong> m<strong>an</strong>nigfachen Feinde(der Seele) zurück, stellt sie auf einensicheren Platz, wo der Tumult schweigt,bewirkt Sturmesstille und schafft einegrößere Furcht. Denn wie kein Andererkönnen es <strong>die</strong> Greise wissen, daß es mitihnen zu Ende geht, und daß der Tod g<strong>an</strong>znahe gekommen. Wenn nun <strong>die</strong> Begier<strong>den</strong><strong>die</strong>ses Lebens weichen und sich <strong>die</strong> Furchtvor dem Gerichte, welche <strong>den</strong>widerspänstigen Unglauben mildert,her<strong>an</strong>drängt, wird m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n nicht


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>vorsichtiger wer<strong>den</strong>, wenn m<strong>an</strong> nur will?Wie nun, heißt es, wenn wir sehen, daß <strong>die</strong>Alten verkommener sind als <strong>die</strong> Jungen? D<strong>an</strong>ennst du mir <strong>den</strong> Höhepunkt der Bosheit;<strong>den</strong>n auch bei <strong>den</strong> Rasen<strong>den</strong> sehen wir, daßsie sich in <strong>den</strong> Abgrund stürzen, ohne daßJem<strong>an</strong>d sie stößt. Ist nun sogar ein Alter mitder Kr<strong>an</strong>kheit der Jugend behaftet, d<strong>an</strong>n istdas Maaß der Schlechtigkeit voll. Ein Solcherk<strong>an</strong>n zu seiner Entschuldigung auch nichtseine Jugend vorschützen; <strong>den</strong>n er k<strong>an</strong>n nichtsagen: „Der Sün<strong>den</strong> meiner Jugend undmeiner Unachtsamkeiten ge<strong>den</strong>ke nicht!“ 180Denn wer im Alter Derselbe bleibt, zeigt, daßer auch in der Jugend nicht <strong>an</strong>ders gewesenund nicht aus Unverst<strong>an</strong>d oder aus M<strong>an</strong>gel<strong>an</strong> Erfahrung oder durch <strong>die</strong> Jahre, sonderndurch seine Sorglosigkeit alsogewor<strong>den</strong> ist; - <strong>den</strong>n Derjenige k<strong>an</strong>nsprechen: „Der Sün<strong>den</strong> meiner Jugend undmeiner Unachtsamkeiten ge<strong>den</strong>ke nicht!“welcher thut, was sich für einen Greisengeziemt, der in seinem Alter ein gebesserterMensch wird. Wenn er aber auch im Alternoch dasselbe schändliche Leben fortführt,wie k<strong>an</strong>n er mit dem Ehrennamen eines Altengeschmückt wer<strong>den</strong>, da er selbst vor demAlter keine sittliche Scheu hat? Denn wersagt: „Der Sün<strong>den</strong> meiner Jugend undmeiner Unachtsamkeiten ge<strong>den</strong>ke nicht!“spricht <strong>die</strong>se Worte als ein Solcher, der <strong>den</strong>Abend seines Lebens mit Rechtschaffenheitkrönt. Beraube dich also durch <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>deiner alten Tage ja nicht der Verzeihungderjenigen Fehler, welche du in der Jugendbeg<strong>an</strong>gen! Ist es nicht abgeschmackt undunverzeihlich, wenn sich ein Greis berauscht,wenn er in <strong>den</strong> Wirthshäusern sitzt, wenn erdem Pferderennen nachkeucht, das Theaterbesucht und wie ein Kind unter dem großenHaufen einherläuft? Es ist in der Thatschmachvoll und lächerlich: von aussen derSchmuck des Silberhaares, von innen derKindskopf! Und wenn ihn d<strong>an</strong>n etwa einjunger Mensch seinen Übermuth fühlen läßt,so nennt <strong>die</strong>ser ihn gleich einen Graukopf.Habe vorerst du Achtung vor deinen weissenHaaren! Fehlt dir aber selbst <strong>die</strong> Ehrfurchtvor deiner eigenen Greisenwürde, wie darfstdu erwarten, daß der Jüngling derselben mitEhrfurcht sich nahe? Du hast nicht frommeScheu vor <strong>den</strong> grauen Haaren, sondernbedeckst sie mit Sch<strong>an</strong>de. Gott hat dichdurch <strong>den</strong> Schneegl<strong>an</strong>z der Haare geehrt, hatdir einen großen Vorzug gegeben. Warumvergeudest du <strong>die</strong>sen Ehrenbesitz? Wie wirddir der Jüngling Ehrfurcht erweisen, wenndu es ihm in der Ausschweifung zuvorthust?Denn das Alter ist erst d<strong>an</strong>nehrfurchtgebietend, wenn es Thatenvollbringt, <strong>die</strong> sich für das Alter geziemen;wenn es sich aber in einem Bubenlebengefällt, ist es weit lächerlicher als das jungeVolk selber. Wie werdet ihr Alten <strong>die</strong> Jungenheilsam belehren, wenn ihr durchUnordnung berauscht seid? Diese Wortespreche ich aber nicht zum Tadel der Greise,Das sei ferne, sondern der jungen Leute; <strong>den</strong>n welche eine derartigeLebensweise führen, sind meines Erachtensnoch Jungen, und hätten sie auch ein Altervon hundert Jahren erreicht; gerade so wiejunge Leute, und wären sie noch kleineKnaben, <strong>die</strong> sich sittsam betragen, vor <strong>den</strong>Greisen <strong>den</strong> Vorzug ver<strong>die</strong>nen. Und Das,was ich sage, ist nicht meine persönlicheAnsicht; <strong>den</strong>n auch <strong>die</strong> heilige Schrift kennt<strong>die</strong>sen Unterschied. „Denn ein ehrenvollesAlter,“ heißt es, „hängt nicht von l<strong>an</strong>gerDauer ab, und ein unbeflecktes Leben ist daswahre Greisenalter.“ 181IV.180 Ps 24,763181 Weish 4,8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Wir ehren das Greisenalter, nicht weil wir <strong>die</strong>weisse Farbe der schwarzen vorziehen,sondern weil es ein Zeichen einestugendreichen Lebens ist und wir bei dessenAnblick auf <strong>den</strong> inneren Gl<strong>an</strong>z schließen.H<strong>an</strong>deln nun Greise ihrer Alterspflichtschnurstracks entgegen, so verfallen siedadurch um so mehr dem Gespötte. Wirehren ja auch <strong>den</strong> König, sowie auch seinPurpurgew<strong>an</strong>d und sein Diadem als Zeichender Herrschaft. Sehen wir aber, daß er inseinem Purpur <strong>an</strong>gespieen und von seinerLeibwache mit Füßen getreten, gewürgt, in’sGefängniß geworfen, hin und her gezerrtwird: wer<strong>den</strong> wir d<strong>an</strong>n, sag’ <strong>an</strong>, Ehrfurchthaben vor dem Purpurgew<strong>an</strong>de und demDiadem, oder wird uns nicht <strong>die</strong>Erscheinung selbst in Thränen versetzen?Wolle also nicht, daß m<strong>an</strong> dich wegen desAlters in Ehren halte, da du selbst dasselbeschändest; und gerade deine grauen Haaremüssen <strong>an</strong> dir Rache nehmen, da du ihrenGl<strong>an</strong>z und ihre Ehre so arg beschimpfest.Diese Worte richten wir nicht gegen Alle,noch sprechen wir <strong>über</strong>haupt gegen dasAlter; so wahnsinnig bin ich wohl nicht;sondern gegen ein jugendlich leichtfertigesLeben, das dem Alter Schmach bereitet; auchist unsere schmerzerfüllte Rede nicht gegenDiejenigen gerichtet, welche alt gewor<strong>den</strong>,sondern welche ihr Greisenalter entehren.Denn der Greis ist ein König, und wenn er will, in vollerem Sinne des Wortes alsDer, welcher <strong>den</strong> Purpur trägt, falls er <strong>die</strong>Lei<strong>den</strong>schaften beherrscht und <strong>die</strong> Triebewie fügsame Trab<strong>an</strong>ten sich unterwirft.Wenn er aber sich fortreissen und vomThrone herabwerfen läßt und ein Sklave derHabsucht, des eitlen Ruhmes und derZiersucht und der Völlerei und derTrunkenheit und des Zornes und derFleischeslust wird und das Haar mit Salböldurchduftet und ein Alter zeigt, das nachfreiem Entschlusse von Schmach bedeckt ist:welcher Züchtigung wäre ein Solcher nicht64werth? - Ihr Jünglinge aber, werdet nicht so.Denn ihr erl<strong>an</strong>gt keine Verzeihung, wenn ihreuch verirret. Warum? Weil Jem<strong>an</strong>d in derJugend schon ein Greis sein k<strong>an</strong>n; und wieim Alter sich Jünglinge fin<strong>den</strong>, so findet auchdas Gegentheil statt. Denn wie dort dassilberweiße Haar Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> schützt, so isthier das schwarze für Keinen ein Hemmniß.Wenn auch der Greis durch <strong>die</strong>besprochenen Ausschweifungen in größererSch<strong>an</strong>de dasteht als der Jüngling, so ist derJüngling <strong>den</strong>noch nicht frei von der Schuld.Dem Jünglinge k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nur d<strong>an</strong>nVerzeihung gewähren, wenn er ohneGeschäftskenntniß, <strong>die</strong> m<strong>an</strong> nur durch Zeitund Erfahrung gewinnt, zu einem Amteberufen wird, keineswegs aber, wenn es gilt,Selbstbeherrschung zu zeigen und <strong>die</strong>Obmacht <strong>über</strong> <strong>die</strong> irdischen Güter. Es ist aberauch der Fall möglich, daß der Jüngling vordem Greise Tadel ver<strong>die</strong>nt; <strong>den</strong>n der Greishat m<strong>an</strong>che Dienstleistung nöthig, da dasAlter seine Kräfte abschwächt; der Jünglingaber k<strong>an</strong>n, wenn er nur will, sich selberhelfen; - wie sollte ihm, wenn er nicht will,Verzeihung zu Theil wer<strong>den</strong>, wenn er mehrraubt als der Greis, wenn er rachsüchtig ist;wenn er Andere mit Verachtung beh<strong>an</strong>delt;wenn er der Noth (der Armen) wenigersteuert 182 als der Hochbetagte, wenn er vielUnzeitiges herschwatzt; wenn er Übermuthübt; wenn er sich im Schmähen gefällt; wenner ein Trunkenbold ist? Wenn er aberbezüglich der Selbstbeherrschungkeinen Vorwurf bekommen zu könnenglaubt, so <strong>über</strong>zeuge dich, wie er auch hierviele Hilfsmittel hat, wenn er nur will! Dennwenn ihm auch <strong>die</strong> Sinnlichkeit ungestümereAngriffe als dem alten M<strong>an</strong>ne bereitet, so hater doch wieder Vieles vor dem Alter voraus,wodurch er <strong>die</strong>ses Thier zur Ruhe zu bringenvermag. Und was sind das für Mittel? Arbeit,(fromme) Lesung, Nachtwachen, Fasten. Wie182 Wir ziehen <strong>die</strong> Lesart: προίστασϑαι vor


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>k<strong>an</strong>nst du aber Das uns sagen, <strong>die</strong> wir keineEinsiedler sind? Diese Einrede machst dumir? Mache sie Paulus, der da spricht: „Seidbeharrlich im Gebete und wachsam darin;“ 183wenn er spricht: „Pfleget <strong>die</strong> Sinnlichkeitnicht zur Erregung der Lüste!“ 184 DieseMahnung hat er nicht allein für <strong>die</strong>Einsiedler, sondern auch für alleStädtebewohner geschrieben. Denn wer inder Welt lebt, soll vor <strong>den</strong> Einsiedlern Nichtsvoraus haben als nur, daß er verehelicht seink<strong>an</strong>n; in <strong>die</strong>ser Beziehung findet er Nachsicht,in allen <strong>an</strong>deren Stücken hat er <strong>die</strong>selbePflicht wie Der zu erfüllen, der als Einsiedlerlebt. Denn <strong>die</strong> Seligpreisungen Christi sindnicht für <strong>die</strong> Mönche allein gesprochen, -würde ja sonst der g<strong>an</strong>ze Erdkreis zu Grundegehen, und wir könnten Gott derGrausamkeit beschuldigen. Wenn aber <strong>die</strong>Seligpreisungen für <strong>die</strong> Mönche alleinGeltung hätten und für <strong>die</strong> Weltleuteunerreichbar sein wür<strong>den</strong>, so würde ja erselbst, der Stifter des Ehest<strong>an</strong>des, für Alle derUrheber ihres Unterg<strong>an</strong>ges sein. Denn ist esnicht möglich, im Ehest<strong>an</strong>de Das zu thun,was in der Einsamkeit ausführbar ist, so ist jaAlles dem Unterg<strong>an</strong>g und dem Verderbengeweiht und <strong>die</strong> Tugend in <strong>die</strong> engstenSchr<strong>an</strong>ken verwiesen. Wie aber steht <strong>den</strong>n<strong>die</strong> Ehe ehrenvoll da, wenn sie uns so großeHemmnisse bietet? Was ist darauf zuerwidern? Auch im Ehest<strong>an</strong>de ist es möglich,ja sehr wohl möglich, wenn wir nur wollen,ein tugendhaftes Leben zu führen. Wie <strong>den</strong>n?Wenn Diejenigen, welche Frauen haben,sind, als hätten sie keine; 185 wenn wir uns<strong>über</strong> irgend einen Besitz nicht in Freude verlieren; wenn wir <strong>die</strong>se Weltgebrauchen, als gebrauchten wir sie nicht.Wenn aber M<strong>an</strong>che in der Ehe ein Hindernißf<strong>an</strong><strong>den</strong>, so mögen sie wissen, daß der Grund<strong>die</strong>ses Übels nicht in dem St<strong>an</strong>de zu suchen183 Kol 4,2184 Röm 13,14185 1 Kor 7,2965sei, sondern in der Lebensweise, welche vomEhest<strong>an</strong>de einen schlechten Gebrauch macht.Ist ja auch der Wein nicht <strong>die</strong> Quelle derTrunkenheit, sondern der verdorbene Willeund der unmäßige Genuß. Führe du daseheliche Leben in Ordnung und Maaß, unddu k<strong>an</strong>nst der Erste im Himmelreich seinund alle Güter genießen, deren wir alletheilhaftig wer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong> Gnadeund Menschenfreundlichkeit unseres HerrnJesus Christus, dem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Achte Homilie.I.Kap. V.1. 2. 3. Jeder Hohepriester, aus <strong>den</strong>Menschen genommen, wird für <strong>die</strong>Menschen bestellt in ihrenAngelegenheiten bei Gott, damit erdarbringe Gaben und Opfer für <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>und Mitlei<strong>den</strong> haben könne mit <strong>den</strong>Unwissen<strong>den</strong> und Irren<strong>den</strong>, da auch erselbst mit Schwachheit umgeben ist,weßhalb er wie für das Volk so auch fürsich selbst Opfer darbringen muß für <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong>.Der heilige Paulus will nun zeigen, daß dasneue Testament einen großen Vorzug vordem alten besitze. Zu <strong>die</strong>sem Zwecke holter sich weither <strong>die</strong> Grundlage für seineBeweisführung. Denn da nichtsKörperliches oder Vorbildliches mehr zufin<strong>den</strong> war, da nämlich kein Tempel, keinAllerheiligstes und kein Priester mit der sobedeuten<strong>den</strong> Diensteinrichtung und keineGesetzesgebräuche mehr waren, sondern Alles erhabener undvollkommener und frei von allem


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Körperlichen, g<strong>an</strong>z geistig gewor<strong>den</strong>, dasGeistige aber <strong>die</strong> Schwächeren nicht so<strong>an</strong>zieht wie das Körperliche: deßhalbunternimmt er <strong>die</strong>se g<strong>an</strong>ze Untersuchung.Und betrachte da seinen Verst<strong>an</strong>d! Mit demersten Priester beginnt er, und stets nennt erihn Hohenpriester, und in Bezug auf ihnweist er zuerst <strong>den</strong> Unterschied nach.Darum gibt er vorerst <strong>die</strong> Erklärung vonPriester und zeigt, was zum Priester gehöre,und welches <strong>die</strong> äusseren Zeichen desPriesterthumes seien. Und da ihmentgegenst<strong>an</strong>d, daß er nicht von hoherAbkunft und nicht aus der priesterlichenZunft und nicht auf <strong>die</strong>ser Erde Priesterwar, und es daher nahe lag, daß m<strong>an</strong>deßwegen <strong>die</strong> Einwendung mache: Wie ist<strong>den</strong>n Dieser ein Priester? - so macht er eshier wie im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Römer. 186 Denn daer eine Beweisführung unternommen hatte,<strong>die</strong> nicht <strong>an</strong>nehmbar schien, daß nämlichder Glaube Das wirke, was weder <strong>die</strong>Werke des Gesetzes noch der Schweiß<strong>an</strong>gestrengter Rechtschaffenheit zu wirkenvermögen, und da er zeigen wollte, daß dasscheinbar Unmögliche geschehen undglücklich zu St<strong>an</strong>de gebracht wor<strong>den</strong> sei, sonimmt er seine Zuflucht zum Patriarchenund führt das G<strong>an</strong>ze auf jenen Zeitpunktzurück. Ebenso weist er auch hier mitBezugnahme auf das Frühere einen <strong>an</strong>derenUrsprung des Priesterthumes nach. Und wieer bei der Bestrafung nicht bloß <strong>die</strong> Hölle<strong>an</strong>führt, sondern auch, was sich zur Zeit derVäter begab, so führt er auch hier zuerst ausder Gegenwart <strong>den</strong> Beweis. Denn dasIrdische mußte seine Glaubwürdigkeit ausdem Überirdischen schöpfen, aber wegender Schwäche der Zuhörer findet dasGegentheil statt. Was nun gemeinsam ist,setzt er zuerst, und d<strong>an</strong>n weist er nach, woder Vorzug sich findet. Denn so entspringtaus der Vergleichung der Vorzug, wenn ineiner Beziehung Gemeinsamkeit, in <strong>an</strong>dererBeziehung sich Auszeichnung herausstellt;ist aber Dieses nicht der Fall, sofindet Solches nicht statt. - „JederHohepriester aus <strong>den</strong> Menschen genommen.“Dieses ist Christo gemeinsam. „Wird für <strong>die</strong>Menschen bestellt in ihren Angelegenheitenbei Gott.“ Auch Das ist gemeinsam. „Damiter darbringe Gaben und Opfer für das Volk.“Auch Dieses, wenn gleich nicht g<strong>an</strong>z, dasÜbrige aber nicht mehr. „Und Mitleid habenkönne mit <strong>den</strong> Unwissen<strong>den</strong> und Irren<strong>den</strong>.“Hier ist ein Vorzug. „Da auch er selbst mitSchwachheiten umgeben ist, weßhalb er, wiefür das Volk, so auch für sich selbst Opferdarbringen muß für <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>.“ Daraufmacht er einen <strong>an</strong>deren Zusatz, - daß er esnämlich durch einen Anderen wird undsich nicht selber hinzudrängt (ἐπιπηδẨ).Auch hier ist Gemeinsamkeit.4. Auch nimmt sich Niem<strong>an</strong>d selbst <strong>die</strong>Würde, sondern der von Gott berufen wirdwie Aaron.Hier trägt er wieder für noch etwas AnderesSorge, indem er nämlich zeigt, daß er vonGott ges<strong>an</strong>dt sei. Dieses hebt Christus inseinen Re<strong>den</strong> zu <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> beständig hervor:„Der mich ges<strong>an</strong>dt hat, ist größer als ich“; 187und: „Ich bin nicht von mir selbstgekommen.“ Hier scheint er mir auch auf <strong>die</strong>Priester der Ju<strong>den</strong> als nicht wirkliche Priesterhinzudeuten, <strong>die</strong> da sich eindrängten unddas Gesetz des Priesterthumes verletzten.5. So hat auch Christus nicht sich selbstverherrlicht, Hoherpriester zu wer<strong>den</strong>.Unter welchen Verhältnissen ist er alsogewählt wor<strong>den</strong>, will er sagen? Denn Aaronwurde oft in seine Würde eingesetzt,so z. B. durch das Zeichen des Stabes (derRuthe), und da Feuer herabkam und <strong>die</strong> in’sPriesterthum Eingedrungenen verzehrte; hieraber ist das Gegentheil: es begegnet ihnennicht nur nichts Widriges, sondern sie stehen186 Röm 466187 Joh 8,42


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>in Ansehen. Woher hat er also seineSendung? Er weist Dieses aus der Prophetienach. Er hat Nichts, was in <strong>die</strong> Sinne, was in<strong>die</strong> Augen fällt. Darum stützt er sich auf Das,was als zukünftig vorhergesagt war:„Sondern der zu ihm geredet hat: Mein Sohn bistdu, heute habe ich dich gezeugt.“ Was hat Dasfür eine Beziehung auf <strong>den</strong> Sohn? Freilich,will er sagen, gelten <strong>die</strong>se Worte vom Sohne.In welcher Verbindung steht Dieß aber mitunserer Frage? In sehr naher; <strong>den</strong>n so wirdder Beweis eingeleitet, daß er seineErwählung von Gott hat.6. Wie er auch in einer <strong>an</strong>deren Stellespricht: Du bist Priester auf ewig nach derWeise des Melchisedech.Wem gelten <strong>die</strong>se Worte? Wer ist nach derWeise des Melchisedech? Kein Anderer als erselbst; <strong>den</strong>n Alle waren unter dem Gesetze,Alle hatten <strong>den</strong> Sabbat und <strong>die</strong>Beschneidung; keinen Anderen, sagt er,würde Jem<strong>an</strong>d aufzuweisen vermögen.7. Welcher in <strong>den</strong> Tagen seines Fleisches,nachdem er Gebet und Flehen unterstarkem Geschrei und Thränen Demdargebracht hatte, der ihn vom Tode rettenkonnte, und wegen seiner Ehrerbietigkeiterhört wor<strong>den</strong> ist, obwohl Sohn Gottesseiend, aus Dem, was er gelitten, <strong>den</strong>Gehorsam gelernt hat.Siehst du, daß er nichts Anderes thut als füruns sorgen und das Übermaaß der Liebe <strong>an</strong><strong>den</strong> Tag legen? Denn was besagen<strong>die</strong> Worte: „unter starkem Geschrei,“ da dochdas Ev<strong>an</strong>gelium Dieß <strong>an</strong> keiner Stellebemerkt, noch auch, daß er „unter Thränenund Geschrei“ gebetet habe? Siebst du daseine Herablassung? Denn es genügte ihmnicht, zu sagen, daß er gebetet habe, sonderndaß Dieß „unter starkem Geschrei“ geschehensei. „Und erhört,“ heißt es, „wegen seinerEhrerbietigkeit, hat er, obwohl Sohn Gottesseiend, aus Dem, was er gelitten, <strong>den</strong> Gehorsamgelernt.“679. 10. Und, zur Vollendung gebracht, Allen,<strong>die</strong> ihm gehorsam sind, Urheber der ewigenSeligkeit wurde, gen<strong>an</strong>nt von GottHoherpriester nach der WeiseMelchisedechs.Sei es mit „Geschrei“; warumheißt es aber: „mit starkem Geschrei“? „Undhat unter Thränen,“ heißt es, „dargebrachtund ist erhört wor<strong>den</strong> wegen seinerEhrerbietigkeit.“ Schämen müssen sich <strong>die</strong>Häretiker, welche <strong>die</strong> Körperlichkeitläugnen. Was sagst du? Wegen seinerEhrerbietigkeit wurde der Sohn Gotteserhört? Und was möchte da Jem<strong>an</strong>d nochweiter von <strong>den</strong> Propheten sprechen? WelcheSchlußfolge liegt in <strong>den</strong> Worten: „Er isterhört wor<strong>den</strong> wegen seiner Ehrerbietigkeit“und in dem Beisatz: „obwohl er als SohnGottes aus Dem, was er gelitten, Gehorsamlernte“? Wer wird Dieß auf Gott <strong>an</strong>wen<strong>den</strong>wollen? Wer wird so thöricht sein? Wer wirdeine so verkehrte Sprache führen? „Er isterhört wor<strong>den</strong>.“ heißt es, „wegen seinerEhrerbietigkeit; er hat aus Dem, was ergelitten, Gehorsam gelernt.“ Was für einenGehorsam hat er gelernt? Der bis zum Todevorher wie ein Sohn dem Vater Gehorsamgeleistet, wie hat er ihn <strong>den</strong>n nachhergelernt?II.Siehst du, daß Dieß von seiner Menschheitgesagt ist? Sage mir, hat er nicht zum Vatergebetet, daß er ihn vom Tode erlöse,und war er nicht darum traurig, indem ersprach: „Wenn es möglich ist, so gehe <strong>die</strong>serKelch <strong>an</strong> mir vor<strong>über</strong>!“ 188 Nirgends aberbetete er zum Vater in Bezug auf <strong>die</strong>Auferstehung, sondern gerade dasGegentheil thut er in <strong>den</strong> Worten: „Löset<strong>die</strong>sen Tempel, so will ich ihn in drei Tagenwieder aufrichten!“ 189 Und: „Ich habe Macht,188 Mt 26,39189 Joh 2,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>mein Leben hinzugeben, und ich habe Macht,es wieder zu nehmen. Niem<strong>an</strong>d nimmt esvon mir, sondern ich gebe es von mir selbsthin.“ 190 Wie verhält es sich nun? Warumbetete er? Und wiederum sagt er: „Siehe, wirziehen hinauf nach Jerusalem, und desMenschen Sohn wird <strong>den</strong> Hohenpriesternund Schriftgelehrten <strong>über</strong>liefert wer<strong>den</strong>, undsie wer<strong>den</strong> ihn zum Tode verdammen; undsie wer<strong>den</strong> ihn <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong> ausliefern, daßsie ihn verspotten, geißeln und kreuzigen,und am dritten Tage wird er wiederauferstehen.“ 191 Und er sagte nicht: Der Vaterwird mich auferwecken. Wie hätte er nundarum beten können? Aber wofür betete er?Für Diejenigen, <strong>die</strong> <strong>an</strong> ihn glaubten. Der Sinnder Worte ist <strong>die</strong>ser: Er findet leichtErhörung. Denn da sie in Betreff seiner nochnicht <strong>die</strong> Meinung hatten, <strong>die</strong> sie hättenhaben sollen, sagt er, Derselbe sei erhörtwor<strong>den</strong>, wie er auch selber, seine Jüngertröstend, spricht: „Wenn ihr mich liebtet, sowürdet ihr euch ja freuen, daß ich zum Vatergehe; <strong>den</strong>n der Vater ist größer als ich.“ 192Wie kommt es aber, daß er nicht sich selbstverherrlichte, da er doch sich selbstentäussert, sich hingeopfert hat? „Denn erhat sich selbst,“ heißt es, „hingegeben fürunsere Sün<strong>den</strong>;“ 193 und wieder: „Der sichselbst zum Lösegeld für Alle hingegebenhat.“ 194 Wie verhält es sich also? Siehst du,daß er seiner menschlichen Natur wegen vonsich Niedriges aussagt? So heißt es auch hier,daß er, obgleich er Sohn war, wegenseiner Ehrerbietigkeit erhört wor<strong>den</strong> sei. Erwill nämlich zeigen, daß Dieß mehr seinWerk als <strong>die</strong> Frucht der göttlichen Gnade sei.So groß, sagt er, war seine Ehrerbietigkeit,daß darum Gott sich von ihm erbitten ließ.„Er hat gelernt,“ heißt es, „Gott zugehorsamen.“ Hier zeigt er wieder <strong>den</strong>190 Joh 10,18191 Mt 20,18192 Joh 14, 28193 Gal 1,4194 1 Tim 2,668großen Gewinn, <strong>den</strong> <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> bringen.„Und zur Vollendung gebracht, ist er Allen, <strong>die</strong>ihm gehorsam sind, Urheber der ewigen Seligkeitgewor<strong>den</strong>.“ Wenn also er, der Sohn, als Fruchtder Lei<strong>den</strong> <strong>den</strong> Gehorsam gew<strong>an</strong>n, um soviel mehr wird Dieß mit uns der Fall sein!Siehst du, wie Vieles er <strong>über</strong> <strong>den</strong> Gehorsamspricht, um sie dafür zu gewinnen? Denn siescheinen mir beständig <strong>die</strong> Zügelabzustreifen und seinen Worten nicht zufolgen; <strong>den</strong>n Das deutet er <strong>an</strong>, indem er sagt:„Ihr seid träge gewor<strong>den</strong> im Anhören.“ AusDem, was er gelitten, lernte er,ununterbrochen Gott zu gehorchen. „Und zurVollendung gebracht;“ durch Lei<strong>den</strong>, will ersagen. Das ist also <strong>die</strong> Vollendung, unddadurch muß m<strong>an</strong> zur Vollendung gel<strong>an</strong>gen.Denn nicht nur er selbst wurde gerettet,sondern auch <strong>den</strong> Andern wurde Dieß zurFülle des Heiles: „Denn zur Vollendunggebracht wurde er Allen, <strong>die</strong> ihm gehorsam sind,Urheber der ewigen Seligkeit; gen<strong>an</strong>nt von Gott,“heißt es, „Hoherpriester nach der WeiseMelchisedechs.“11. Hievon haben wir große Dinge zu sagen,<strong>die</strong> schwer zu erklären sind.Indem er <strong>die</strong> Rede auf <strong>die</strong> Verschie<strong>den</strong>heitdes Priesterthums lenken will, macht erihnen zuerst einen Vorwurf, indem er zeigt,daß eine solche Herablassung Milch sei; undweil sie noch Kinder waren, ist seine Rede inBetreff der Menschheit in einem mehrunerhabenen Tone gehalten, und er sprichtvon ihm wie von irgend einem Gerechten.Und siehe: weder hat er gänzlichgeschwiegen, noch sich g<strong>an</strong>z ausgesprochen;das Eine, um ihre Erkenntniß und ihr sittliches Streben zu vervollkommnen undsie der großen Heilswahrheiten nicht zuberauben; das Andere aber, um ihren Sinnnicht zu verwirren. „Hievon haben wir großeDinge zu sagen, <strong>die</strong> schwer zu erklären sind, weilihr schwach gewor<strong>den</strong> seid zum Vernehmen.“ DaJene nicht hören, fällt <strong>die</strong> Erklärung schwer.Denn hat es Jem<strong>an</strong>d mit Menschen zu thun,


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>welche dem Unterrichte nicht folgen und <strong>den</strong>Vortrag nicht verstehen, so k<strong>an</strong>n er ihnen <strong>die</strong>Sache nicht schön erklären. Aber vielleichtmöchte Jem<strong>an</strong>d von euch, <strong>die</strong> ihr hierversammelt stehet, es recht sonderbar fin<strong>den</strong>(ἰλιλλιλ) und es für einen Verlust halten,daß er durch <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong> gehindert wird,eine mehr vollkommene Rede zu hören. Abervielleicht fin<strong>den</strong> sich auch hier mit wenigenAusnahmen, glaube ich, Viele <strong>die</strong>ser Art, sodaß auch <strong>über</strong> euch Dasselbe gesagt wer<strong>den</strong>k<strong>an</strong>n; jedoch der Wenigen wegen will ichsprechen. Hat er also geschwiegen oder imFolgen<strong>den</strong> <strong>die</strong> Rede wieder aufgenommenund Dasselbe geth<strong>an</strong>, was im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Römer geschah? Denn auch dort ließ er <strong>die</strong>Lösung folgen, nachdem er <strong>die</strong> Widersacherzum Schweigen gebracht und gesagt hatte:„O Mensch, wer bist du, daß du mit Gottrechten willst?“ 195 Ich aber bin der Ansicht,daß er weder g<strong>an</strong>z geschwiegen noch sichg<strong>an</strong>z ausgesprochen habe, um <strong>die</strong> Zuhörer inSp<strong>an</strong>nung zu erhalten. Denn siehe, wie er,nachdem er sie ermahnt und gesagt hatte,daß in der Rede erhabene Dinge verborgenseien, mit dem Lobe Tadel verbindet! DennDas ist der Weisheit des Paulus immerforteigen, daß er das Bittere mit demAngenehmen vermischt, wie er es auch im<strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Galater macht, da er spricht:„Ihr liefet gut; wer hat euchaufgehalten?“ 196 Und: Habt ihr umsonst soviel gelitten, wenn <strong>an</strong>ders umsonst?“ 197 Und:„Ich habe das Vertrauen zu euch imHerrn.“ 198 So geschieht es auch hier: „Voneuch aber versehen wir uns Besseres,und daß ihr nahe dem Heile seid.“ 199 Paulusthut nun <strong>die</strong>ß Doppelte: weder erhebt er sie,noch läßt er sie fallen. Natürlich. Denn sind<strong>die</strong> Beispiele Anderer passend, <strong>den</strong> Zuhöreraufzurichten und seinen Eifer zu wecken, so195 Röm 9, 20196 Gal 5,7197 Gal 3,4198 Gal 5,10199 Hebr 6,969ist der Lehre, wenn beim Lehrer selbst sichBeispiel und Aneiferung fin<strong>den</strong>, der Eing<strong>an</strong>ggesichert. Und Dieß zeigt er nun und gibt sieweder als g<strong>an</strong>z abgeurtheilt noch alsunwiderbringlich in der Gewalt des Bösenauf, sondern sagt, daß sie zur Zeit einmal gutgewesen.12. Denn <strong>die</strong> ihr Lehrer sein solltet der Zeitnach.Er zeigt hier, daß sie vor l<strong>an</strong>ger Zeit gläubiggewor<strong>den</strong> seien; er zeigt aber auch, daß sieAndere unterrichten sollten. Siehe also, wieer sich immer bemüht, <strong>die</strong> Rede auf <strong>den</strong>Hohenpriester zu lenken, aber auch immerdamit zurückhält; <strong>den</strong>n höre, wie er beginnt:„Da wir einen so großen Priester haben, der<strong>die</strong> Himmel durchdrungen;“ und ohne sich<strong>über</strong> <strong>die</strong>se Größe selbst auszusprechen, sagter wieder: „Denn jeder Hohepriester, aus <strong>den</strong>Menschen genommen, wird für <strong>die</strong>Menschen bestellt in ihren Anliegen beiGott;“ und wieder: „So hat auch Christusnicht sich selbst verherrlicht, Hoherpriesterzu wer<strong>den</strong>.“ Und nachdem er wieder gesagthat: „Du bist Priester auf ewig nach derWeise Melchisedechs,“ - schiebt erneuerdings auf mit <strong>den</strong> Worten: „Dieser hatin <strong>den</strong> Tagen seines Fleisches Gebet undFlehen dargebracht.“III.Nachdem er nun so oft zurückgedrängtwurde, sagt er, gleich als ob er sichentschuldigen wollte: Die Ursache liegt beieuch. Ha, welch’ ein Unterschied! Diejenigen,welche Andere belehren sollten, sind nichtbloß Schüler, sondern <strong>die</strong> letztenSchüler! „Denn <strong>die</strong> ihr Lehrer sein solltet derZeit nach, bedürfet wieder, daß m<strong>an</strong> euchnochmals lehre, welches <strong>die</strong> Anf<strong>an</strong>gsgründe desWortes Gottes seien.“ Hier versteht er unter„Anf<strong>an</strong>gsgrün<strong>den</strong>“ <strong>die</strong> Menschheit; <strong>den</strong>n wiebei weltlichen Wissenschaften vorerst <strong>die</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Anf<strong>an</strong>gsgründe gelernt wer<strong>den</strong> müssen, somußte auch bei <strong>den</strong> göttlichen Lehren zuerst<strong>über</strong> <strong>die</strong> Menschheit Unterricht ertheiltwer<strong>den</strong>. Siehst du, aus welchem Grunde erUnerhabenes spricht? So that Paulus auch inseinen Unterredungen mit <strong>den</strong> Athenern,indem er sagt: „Zwar hat Gott <strong>die</strong> Zeiten<strong>die</strong>ser Unwissenheit nachgesehen; aber nunverkündet er <strong>den</strong> Menschen, daß Alle <strong>über</strong>allBuße thun sollen; <strong>den</strong>n er hat einen Tagbestimmt, <strong>an</strong> welchem er <strong>den</strong> Erdkreisrichten wird nach Gerechtigkeit, durch einenM<strong>an</strong>n, <strong>den</strong> er dazu bestellt und Allen alsglaubwürdig dargeth<strong>an</strong> hat, indem er ihnauferweckte von <strong>den</strong> Todten.“ 200 Wenn erdaher irgend etwas Erhabenes aussagt, sothut er Das in Kürze; das Unerhabene aberfindet sich <strong>an</strong> vielen verschie<strong>den</strong>en Stellendes <strong>Brief</strong>es. So weist er auf das Erhabene hin;das Unerhabene aber von der Gottheit zuvermuthen, ist nicht zulässig. So hält er auchhier das Sichere fest und paßt dasUnerhabene der Menschheit <strong>an</strong>, und zwaraus dem Grunde, weil sie das Vollkommenenicht zu fassen vermochten. Dieß zeigt erbesonders im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Korinther, indemer sagt: „Denn wenn noch Eifersucht,Zwietracht und Parteigeist unter euchherrschen, seid ihr d<strong>an</strong>n nicht fleischlich?“ 201Betrachte mir da seine große Klugheit, wie erfortwährend schicklich <strong>den</strong> zu Grundeliegen<strong>den</strong> Lei<strong>den</strong>schaften nahe rückt! Denndort hatte <strong>die</strong> Schwäche ihre Quelle in derUnwissenheit, mehr aber noch in <strong>den</strong>Sün<strong>den</strong>, hier aber nicht nur in <strong>den</strong> Sün<strong>den</strong>,sondern auch in <strong>den</strong> beständigen Trübsalen.Darum wählt er auch eineAusdrucksweise, <strong>die</strong> geeignet war, <strong>den</strong>Unterschied zu bezeichnen, indem er dortsagt: „Ihr seid fleischlich,“ hier aber, da <strong>die</strong>Betrübniß größer war: „Ihr seid schwachgewor<strong>den</strong>.“ Denn Jene konnten es nichttragen, da sie fleischlich waren, Diese aberkonnten es; <strong>den</strong>n in <strong>den</strong> Worten: „Weil ihrschwach gewor<strong>den</strong> seid zum Vernehmen“zeigt er, daß sie vor Zeiten gesund und starkund von besonderem Eifer beseelt waren,was er auch später von ihnen bezeugt: „Undihr seid zu Solchen gewor<strong>den</strong>, <strong>die</strong> der Milchbedürfen, nicht der starken Speise.“ Dieunerhabene Rede nennt er immerfort Milch,sowohl hier, wie auch dort. „Denn <strong>die</strong> ihr,“sagt er, „Lehrer sein solltet der Zeit nach,“ - alswollte er sagen: Um deretwillen ihr zumeistabgewichen und nachlässig gewor<strong>den</strong>, umeben <strong>die</strong>ser willen, wegen der Zeit nämlich,müsset ihr g<strong>an</strong>z besonders eifrig sein. Milchnennt er <strong>die</strong> mehr niedrige Rede, weil sich<strong>die</strong>se für <strong>die</strong> Einfältigen eignet; dasGegentheil aber findet statt bezüglich dermehr Vollkommenen, für welche daraus einNachtheil erwüchse, wenn sie dabeiverweilten. Darum war es nicht nöthig,Gesetzbezügliches <strong>an</strong>zuführen, noch auchdavon einen Vergleich herzunehmen, weil erHoherpriester war, und weil er opferte, undweil er Gebet darbrachte mit Geschrei undFlehen. Siehe, wie uns Dieß zum Überdrußwird, was Jenen zur Nahrung war und garnicht <strong>über</strong>drüssig war. - Eine wahre Speiseist demnach das Wort Gottes, welche <strong>die</strong>Seele nährt. Daß aber das Wort eine Speiseist, erhellt aus dem Folgen<strong>den</strong>: „Denn ichwerde,“ heißt es, „ihnen geben nicht Hungernach Brod noch Durst nach Wasser, sondernHunger, zu hören das Wort des Herrn.“ 202„Ich gab euch Milch zu trinken, nichtSpeise.“ 203 Er sagt nicht: Ich habe euchgenährt, indem er zeigt, daß Solches nichteine Nahrung sei, sondern daß es sich so verhalte wie bei <strong>den</strong> kleinen Kindern,<strong>die</strong> noch nicht mit Brod genährt wer<strong>den</strong>;<strong>den</strong>n solche empf<strong>an</strong>gen nicht zu trinken,sondern der Tr<strong>an</strong>k selbst ersetzt bei ihnen <strong>die</strong>Speise. So auch hier. Auch sagt er nicht: Ihrhabt nothwendig, sondern: „Ihr seid zu200 Apg 17,30.31201 1 Kor 3,370202 Am 8,11. 2203 1 Kor 3,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Solchen gewor<strong>den</strong>, <strong>die</strong> der Milch bedürfen, nichtder starken Speise.“ d. h. ihr selbst habt esgewollt, ihr selbst habt euch auf <strong>die</strong>senSt<strong>an</strong>dpunkt, in <strong>die</strong>se Nothwendigkeitversetzt.13. Denn Jeder, der Milch bekommt, istunempfänglich für das Wort derGerechtigkeit, <strong>den</strong>n er ist ein Kind.Was heißt Das: „das Wort der Gerechtigkeit“?Mir scheint hier der Lebensw<strong>an</strong>del<strong>an</strong>gedeutet zu wer<strong>den</strong>, wie auch Christussagt: „Wenn euere Gerechtigkeit nichtvollkommener sein wird als <strong>die</strong> derSchriftgelehrten und Pharisäer.“ 204 Dieß alsosagt er in <strong>den</strong> Worten: „unempfänglich für dasWort der Gerechtigkeit,“ d. h. wem <strong>die</strong>Weisheit von oben nicht zu Theil ward, derk<strong>an</strong>n zu keinem erhabenen undvollkommenen Leben gel<strong>an</strong>gen. Oder erversteht hier unter Gerechtigkeit Christumund <strong>die</strong> erhabene Lehre <strong>über</strong> seine Person.Daß sie also schwach gewor<strong>den</strong>, sagt er, <strong>den</strong>Grund davon fügt er nicht bei, sondern läßtsie dar<strong>über</strong> selber nach<strong>den</strong>ken, weil er siedurch seine Rede nicht un<strong>an</strong>genehmberühren will. Bei <strong>den</strong> Galatern aber wunderter sich und hegt Be<strong>den</strong>ken, was um so mehrzum Troste gereicht, als wenn er gar nichtdar<strong>an</strong> dachte, daß Solches stattfinde. Siehstdu, wie verschie<strong>den</strong> <strong>die</strong>se Schwäche von derVollkommenheit ist? Wachsen wir also in<strong>die</strong>ser Vollkommenheit; <strong>den</strong>n auch imkindlichen und jugendlichen Alter steht derWeg offen, zu <strong>die</strong>ser zu gel<strong>an</strong>gen;<strong>den</strong>n sie ist nicht eine Frucht der Natur,sondern ein Werk der Tugend.14. Für Vollkommene aber ist <strong>die</strong> starkeSpeise, für Die, welche durch <strong>die</strong>Gewohnheit geübte Sinne erl<strong>an</strong>gt haben,das Gute und Böse zu unterschei<strong>den</strong>.Wie aber? Hatten Jene nicht geübte Sinneund wußten sie nicht, was gut und böse war?Hier ist nicht <strong>die</strong> Rede vom Lebensw<strong>an</strong>del,wenn er spricht: „das Gute und Böse zuunterschei<strong>den</strong>;“ <strong>den</strong>n Das ist jedem Menschenmöglich und leicht, sondern hier spricht ervon <strong>den</strong> gesun<strong>den</strong> und erhabenen Lehrenund von <strong>den</strong> verderblichen und niedrigenGrundsätzen. Das Kind versteht es nicht, <strong>die</strong>schlechte und gute Nahrung zuunterschei<strong>den</strong>; deßhalb bringt es oft Erde in<strong>den</strong> Mund und nimmt, was ihm schadet, zusich und thut Alles un<strong>über</strong>legt. Das ist aberkeine Vollkommenheit. So sind Diejenigen,<strong>die</strong> sich ohne Weiteres <strong>an</strong> Alles hängen undihre Aufmerksamkeit ohne UnterschiedVerwerflichem zuwen<strong>den</strong>. Und Diese tadelter, weil sie in erbärmlicher Unbeständigkeitsich bald Diesen bald Jenen ergeben, was erauch am Schlusse mit <strong>den</strong> Worten <strong>an</strong>deutet:„Lasset euch durch abweichende und fremdeLehren nicht irreführen;“ 205 Das heißt: „dasGute und Böse zu unterschei<strong>den</strong>;“ <strong>den</strong>n derGaumen kostet <strong>die</strong> Speise, <strong>die</strong> Seele aber prüfet<strong>die</strong> Lehre.IV.Auch wir sollen Dieß lernen, damit wir nicht,wenn wir hören, daß Jem<strong>an</strong>d weder Hei<strong>den</strong>och Jude sei, gleich glauben, er sei nun einChrist; sondern wir sollen auch alles Andereprüfen, da auch <strong>die</strong> M<strong>an</strong>ichäer und alle Häretiker <strong>die</strong>se Maske <strong>an</strong>zogen, um so<strong>die</strong> Einfältigeren zu täuschen. Haben wiraber geübte Sinne der Seele, das Gute undBöse zu unterschei<strong>den</strong>, d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> wirSolche zu durchschauen vermögen. Wie aberwer<strong>den</strong> unsere Sinne geübt? Durch fleissigesAnhören und durch <strong>die</strong> Einsicht in <strong>die</strong>heilige Schrift. Denn wenn wir uns <strong>den</strong>Irrthum derselben vorführen, und du hörstheute <strong>den</strong>selben und morgen und gewinnst<strong>die</strong> Überzeugung, daß er nicht stichhaltig sei,so hast du <strong>die</strong> volle Einsicht gewonnen, <strong>die</strong>204 Mt 5,2071205 Kap. 13 V. 9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>vollständige Erkenntniß erl<strong>an</strong>gt; und hast du<strong>die</strong>selbe nicht heute erl<strong>an</strong>gt, so wirst du siemorgen gewinnen.“ „Die,“ sagt er, „geübteSinne erl<strong>an</strong>gt haben.“ Siehst du, daß unserGehör sich bil<strong>den</strong> muß durch <strong>die</strong> göttlichenVorträge, damit nicht eine fremde Sprache zuuns dringe! „Geübt,“ sagt er, „zuunterschei<strong>den</strong>,“ d. h. erfahren sein. Dieser sagt,es gebe keine Auferstehung; Jener hofftNichts von Dem, was zukünftig ist; einAnderer spricht von einem <strong>an</strong>deren Gott;wieder ein Anderer sagt, er habe von Mariaseinen Ursprung. Sieh’ aber sogleich, wie siealle aus Maßlosigkeit fehlten, indem <strong>die</strong>Einen zu viel, <strong>die</strong> Andern zu wenig hatten!So fin<strong>den</strong> wir beispielshalber zuerst <strong>die</strong>Häresie des Marcion, welche einen <strong>an</strong>dernGott einführte. Siehe da das Zuviel! D<strong>an</strong>nkommt <strong>die</strong> Irrlehre des Sabellius, <strong>die</strong> daerklärt, daß der Vater und der Sohn und derheilige Geist eine Person seien. Ferner <strong>die</strong>Häresie des Marcellus und des Photinus, <strong>die</strong>Dasselbe vorbrachte. D<strong>an</strong>n <strong>die</strong> des Paulusvon Samosata, welche behauptet, er habe vonMaria seinen Ursprung empf<strong>an</strong>gen. D<strong>an</strong>n <strong>die</strong>Irrlehre der M<strong>an</strong>ichäer, als <strong>die</strong> neueste vonallen. Nach <strong>die</strong>sen <strong>die</strong> Häresie des Arius,wiewohl es noch <strong>an</strong>dere gibt. Wir aber habeneinfach darum <strong>den</strong> Glauben empf<strong>an</strong>gen, daßwir nicht genöthiget wer<strong>den</strong>, uns umzahllose Häresien bis zum Überdruß zubekümmern, sondern um uns, falls sichJem<strong>an</strong>d beikommen ließe, jenem Etwasbeizufügen oder davon fallen zu lassen, vonder Fälschung <strong>über</strong>zeugen zu können. Denngleichwie Diejenigen, welche Regeln geben, nicht zu unzähligen Abmessungenzwingen, sondern das Gegebene genau zubeachten befehlen, so verhält es sich auch mit<strong>den</strong> Glaubenswahrheiten. Aber Niem<strong>an</strong>dwill sich <strong>an</strong> <strong>die</strong> heilige Schrift halten; wür<strong>den</strong>wir aber darauf achten, so blieben wir nichtnur selbst vor Verführung bewahrt, sondernwür<strong>den</strong> auch schon Verirrte befreien und<strong>den</strong> Gefahren entreissen. Denn ein tapferer72Soldat ist nicht bloß im St<strong>an</strong>de, sich selber zuschützen, sondern vermag auch seinenNebenm<strong>an</strong>n zu schirmen und ihn vorFeindesscha<strong>den</strong> zu bewahren. Nun aber sindM<strong>an</strong>chen <strong>die</strong> heiligen Schriften gar nichtbek<strong>an</strong>nt, und doch hat der heilige Geist soVieles geth<strong>an</strong>, daß sie bewahrt bleiben. Undschauet bis zum Anf<strong>an</strong>g hinauf, damit ihrGottesunaussprechlicheMenschenfreundlichkeit kennen lernet! Erhat <strong>den</strong> seligen Moses erleuchtet, <strong>die</strong> Tafelngeschrieben; er hat ihn vierzig Tage auf demBerge behalten und d<strong>an</strong>n eben so viele Tage,um das Gesetz zu geben. 206 Darnach s<strong>an</strong>dteer <strong>die</strong> Propheten, welche unsägliche Lei<strong>den</strong>erduldet haben. Es kam der Krieg, und <strong>die</strong>Feinde führten Alle fort und machten sienieder; <strong>die</strong> Bücher wur<strong>den</strong> verbr<strong>an</strong>nt. D<strong>an</strong>nerleuchtete er wieder einen <strong>an</strong>derenWunderm<strong>an</strong>n, ich meine <strong>den</strong> Esdras, undbewirkte, daß sie aus <strong>den</strong> Überbleibselnzusammengestellt wur<strong>den</strong>. Darauf sorgte er,daß sie von <strong>den</strong> Siebenzig (Septuaginta)<strong>über</strong>setzt wur<strong>den</strong>. Sie <strong>über</strong>setzten sie. Eserschien Christus; er nimmt sie <strong>an</strong>, und <strong>die</strong>Apostel verbreiten sie unter alle Völker.Christus that Zeichen und Wunder. Wasd<strong>an</strong>n? Nach solchen Thaten schrieben auch<strong>die</strong> Apostel, wie auch Paulus sagt: „Es istnämlich zur Warnung geschrieben für uns,<strong>die</strong> wir in <strong>den</strong> letzten Zeiten leben.“ 207 UndChristus sagt: „Ihr irret und verstehet <strong>die</strong>Schrift nicht.“ 208 Und wieder sagt Paulus:„Daß wir durch <strong>die</strong> Geduld und <strong>den</strong> Trostaus der Schrift <strong>die</strong> Hoffnung haben.“ 209 Und wieder: „Jede von Gott eingegebeneSchrift ist nützlich.“ 210 Und: „Das WortChristi wohne reichlich in euch.“ 211 Und derProphet spricht: „In seinem Gesetzebetrachtet er Tag und Nacht.“ 212 Und wieder206 Ex 32ff207 1 Kor 10, 11208 Mt 22,29209 Röm 15,4210 2 Tim 3, 16211 Kol 3, 16212 Ps 1,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>an</strong> einer <strong>an</strong>deren Stelle: „Jegliches deinerWorte sei nach dem Gesetze desAllerhöchsten!“ 213 Und wieder: „Wie süßsind meinem Gaumen deine Aussprüche (ersagt nicht: meinen Ohren, sondern: meinemGaumen), <strong>über</strong> Honig und Honigseimmeinem Munde.“ 214 Und Moses: „Du sollst,“sagt er, „sie betrachten, wenn du aufstehest,wenn du sitzest, wenn du dichniederlegst.“ 215 Darum sagt auch Paulus inseinem <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> Timotheus: „Damit gib dichab, Dieses nimm zu Herzen! 216 Und m<strong>an</strong>könnte Unzähliges hier<strong>über</strong> sagen; und dochgibt es nach all Diesem M<strong>an</strong>che, <strong>die</strong> von <strong>den</strong>heiligen Schriften Nichts wissen. Darumkommt auch bei uns nichts Gesundes undHeilsames zu St<strong>an</strong>de. Denn wollte Jem<strong>an</strong>d<strong>die</strong> Kriegskunst erlernen, so müßte er <strong>die</strong>Gesetze <strong>die</strong>ser Kunst studiren; oder wollteJem<strong>an</strong>d das Seewesen oder <strong>die</strong> Baukunstoder irgend etwas Anderes kennen lernen, somüßte er sich das auf <strong>die</strong>se Kunst Bezügliche<strong>an</strong>eignen: hier aber ist von einem solchenBestreben Nichts zu bemerken, und docherheischt <strong>die</strong>se Wissenschaft eine großeWachsamkeit. Daß aber hier <strong>die</strong> Rede ist voneiner Kunst, <strong>die</strong> erlernt sein will, erhellt aus<strong>den</strong> Worten des Propheten, der da spricht:„Kommet, ihr Kinder, höret auf mich; <strong>die</strong>Furcht des Herrn will ich euch lehren.“ 217 InWahrheit also muß <strong>die</strong> Furcht Gottes erlernetwer<strong>den</strong>. Wiederum sagt er: „Wer ist derMensch, der das Leben liebt?“ Er meint dasjenseitige Leben. Und wieder: „Bewahredeine Zunge vom Bösen und deine Lippen,daß sie nicht Trug re<strong>den</strong>! Weiche vom Bösenund thue das Gute; suche <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> undjage ihm nach!“ Wisset ihr nun, welcherProphet Dieses gesagt hat oderwelcher Geschichtschreiber, Apostel oderEv<strong>an</strong>gelist? Ich glaube nicht, es müßten <strong>den</strong>n213 Ekkli 9,23214 Ps 18,11215 Dtn 6,7216 1 Tim 4,15217 Ps 33,12-1473deren Wenige sein. Und eben Diesen wird,wenn wir ein <strong>an</strong>derwärtiges Zeugniß<strong>an</strong>führen, wie euch Dasselbe begegnen. Dennsieh’, ich werde <strong>die</strong>selbe Rede, nur in <strong>an</strong>dererWeise, vorbringen: „Waschet, reiniget euch,thuet euere bösen Ged<strong>an</strong>ken von meinenAugen; lernet Gutes thun, suchet, was rechtist; bewahre deine Zunge vom Bösen undthue das Gute; lernet das Gute üben!“ 218Wisset ihr nun, wo <strong>die</strong>se Stellen sich fin<strong>den</strong>?Ich glaube nicht; oder nur Wenige wissen es.Und doch habt ihr in jeder Woche dar<strong>über</strong>zwei oder drei Vorlesungen; und wenn derLektor hinaufgestiegen, nennt er zuerst <strong>den</strong>Verfasser des Buches, <strong>die</strong>sen oder jenenPropheten oder Apostel oder Ev<strong>an</strong>gelisten,und d<strong>an</strong>n hält er seinen Vortrag, so daß euchdas G<strong>an</strong>ze deutlicher wird, und ihr nichtallein <strong>den</strong> Text wisset, sondern auch <strong>den</strong>Grund des Geschriebenen erfahret, und werder Verfasser desselben ist. Aber Allesumsonst, Alles vergeblich; <strong>den</strong>n all euerSorgen wird für’s Zeitliche vergeudet, undvon Dem, was das Geistige <strong>an</strong>geht, ist keineRede. Daher fehlt auch <strong>die</strong>sem dererwünschte Fortg<strong>an</strong>g, und fin<strong>den</strong> sich beijenem so viele Mißlichkeiten. Denn Christussagt: „Suchet zuerst das Reich Gottes, sowird euch <strong>die</strong>ses Alles zugegebenwer<strong>den</strong>!“ 219 Dieses soll also als Beigabezugetheilt wer<strong>den</strong>; wir aber verkehren <strong>die</strong>Ordnung und suchen <strong>die</strong> Erde sammt ihrenGütern, als wenn <strong>die</strong> himmlischen Güter <strong>die</strong>Zugabe wären. Aber darum haben wir weder<strong>die</strong> einen noch <strong>die</strong> <strong>an</strong>dern. Wer<strong>den</strong> wirdeßhalb doch nüchternen Sinnes und belebenwir in uns das Verl<strong>an</strong>gen nach <strong>den</strong>zukünftigen Gütern, und wir wer<strong>den</strong> so auch<strong>die</strong>ser (der zeitlichen) theilhaftig wer<strong>den</strong>;<strong>den</strong>n es k<strong>an</strong>n nicht <strong>an</strong>ders sein, als daßDerjenige, welcher Das, was Gottes ist,<strong>an</strong>strebt, auch Das erl<strong>an</strong>ge, was zeitlich ist;<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Wahrheit selbst hat <strong>die</strong>sen218 Is 1,16.1 7219 Mt 6,33


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Ausspruch geth<strong>an</strong>. H<strong>an</strong>deln wir alsonicht <strong>an</strong>ders, sondern halten wir fest <strong>an</strong> demRathe Christi, damit wir nicht Alles verlieren!Gott aber ist mächtig, uns zu erschüttern undzu bessern in Christus Jesus, unserem Herrn,dem mit dem Vater und dem heiligen Geistesei Ruhm, Macht und Ehre und Anbetungjetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Neunte Homilie.I.Kap. VI.1. 2. 3. Darum wollen wir <strong>die</strong>Anf<strong>an</strong>gsgründe der Lehre Christi<strong>über</strong>gehen und uns zum Vollkommenenwen<strong>den</strong>, indem wir nicht abermal einenGrund legen mit der Bekehrung von todtenWerken und mit dem Glauben <strong>an</strong> Gott, mitder Lehre von <strong>den</strong> (verschie<strong>den</strong>en) Taufen,der Händeauflegung, der Auferstehung derTodten und des ewigen Gerichtes. Ja,Dieses wollen wir thun, wenn <strong>an</strong>ders Gottes zuläßt.Ihr habt gehört, wie sehr Paulus <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>tadelte, weil sie in ihrer Ausbildung immerauf demselben St<strong>an</strong>dpunkte verharrenwollten; und mit Recht: „Denn <strong>die</strong> ihr Lehrersein solltet der Zeit nach, bedürfet wieder,daß m<strong>an</strong> euch nochmals lehre, welches <strong>die</strong>Anf<strong>an</strong>gsgründe des Wortes Gottes seien.“Und ich fürchte, daß <strong>die</strong>ser Vorwurf auch füreuch <strong>an</strong> der Zeit sei, weil auch ihr Lehrer sein solltet der Zeit nach, aber nichteinmal in der Reihe der Schüler stehet,sondern immer Dasselbe hörend undfortwährend <strong>über</strong> Dasselbe belehrt euch ineinem Zust<strong>an</strong>de befindet, als wäre euch nochgar Nichts beigebracht wor<strong>den</strong>; und wollteeuch Jem<strong>an</strong>d befragen, so wür<strong>den</strong>Diejenigen, <strong>die</strong> zu <strong>an</strong>tworten wüßten, wegen74ihrer sehr geringen Zahl leicht zu zählensein. Das ist aber kein unbedeutenderNachtheil. Denn oft möchte der Lehrer weitervor<strong>an</strong>schreiten und sich mit tiefer liegen<strong>den</strong>und mehr erhabenen Wahrheiten befassen,wenn es <strong>die</strong> Unachtsamkeit der Zuhörererlaubte. Denn wie ein Schulmeister, der <strong>die</strong>Anf<strong>an</strong>gsgründe lehrt, falls ein Knabe <strong>die</strong>sebeim Unterrichte nicht faßt, sich immergenöthiget sieht, dem Knaben Ein undDasselbe vorzusagen und nicht eher von<strong>die</strong>sem Unterricht abzulassen, als bis derKnabe das Vorgetragene gründlich erfaßthat, - und es wäre ein gewaltiger Unsinn, zuetwas Anderem <strong>über</strong>zugehen, bevor ihm dasFrühere nicht richtig beigebracht ist: sower<strong>den</strong> auch wir in der Kirche, wenn ihr beiunseren Vorträgen keine Fortschritte machet,nicht aufhören, euch immer Dasselbe zuwiederholen. Wür<strong>den</strong> wir von Prahlsuchtund Ehrgeiz gestachelt, so müßten wir raschvor<strong>an</strong>eilen, (M<strong>an</strong>ches) <strong>über</strong>springen, nurheißhungerig nach eueren Lobeserhebungensein. Weil aber unser Bestreben nicht daraufhinzielt, sondern wir in Allem nur auf euerenNutzen bedacht sind, so wer<strong>den</strong> wir mitunseren Vorträgen <strong>über</strong> <strong>die</strong>selbenGegenstände nicht innehalten, bis ihr sierichtig aufgefaßt habt. Wir könnten euchVieles <strong>über</strong> <strong>den</strong> heidnischen Aberglaubenund <strong>über</strong> <strong>die</strong> M<strong>an</strong>ichäer und <strong>die</strong>Marcionisten sagen und <strong>den</strong>selben mitGottes Hilfe m<strong>an</strong>ch wuchtigen Hiebversetzen; allein es ist jetzt dazu keine Zeit.Denn wer wollte sich mit ähnlichenBelehrungen <strong>an</strong> Solche wen<strong>den</strong>, <strong>die</strong> nochnicht gründlich wissen, was sie selber<strong>an</strong>geht, und <strong>die</strong> nicht einmal gelernt haben,daß <strong>die</strong> Habsucht ein Laster ist? Wer wolltemit Solchen vor der Zeit zu etwas Anderemschreiten? Wir aber wer<strong>den</strong> nicht aufhören,Dasselbe zu sagen, möget ihr nun <strong>über</strong>zeugtwer<strong>den</strong> oder auch nicht; wir fürchten aber,daß wir durch fortgesetzteWiederholung unseres Unterrichtes, falls wir


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>tauben Ohren predigen, <strong>den</strong> Unfolgsamengrößere Verdammung bereiten. Jedoch <strong>die</strong>semeine Worte gelten nicht für Alle; <strong>den</strong>n ichweiß, daß Viele aus dem Besuche <strong>die</strong>sesUnterrichtes Nutzen ziehen, und daß sie mitRecht ihre Stimme gegen Jene erheben,welche durch ihre Trägheit undNachlässigkeit ihnen gleichsam feindlicherWeise nachstellen. Jedoch eigentlich wer<strong>den</strong>auch Diesen keine Nachstellungen bereitet;<strong>den</strong>n das fortwährende Anhören derselbenLehren ist auch <strong>den</strong> schon Unterrichtetenheilsam; <strong>den</strong>n wir wissen ja, daß wir durchdas oftmalige Anhören mehr ergriffenwer<strong>den</strong>. Ich gebe ein Beispiel. Wir wissen,daß <strong>die</strong> Demuth eine schöne Tugend ist, unddaß Christus oft von derselben gesprochenhat; aber wenn wir <strong>die</strong>se Worte selbst und<strong>die</strong> darauf bezüglichen Unterweisungen<strong>an</strong>hören, wer<strong>den</strong> unsere Gefühle mehrbelebt, wenn wir auch unzählige MaleDasselbe vernehmen. Es ist also <strong>an</strong>gemessen,daß auch wir euch jetzt <strong>die</strong>se Worte zurufen:„Darum wollen wir <strong>die</strong> Anf<strong>an</strong>gsgründe der LehreChristi <strong>über</strong>gehen und zum Vollkommeneneilen.“ Welche aber <strong>die</strong> Anf<strong>an</strong>gsgründe desWortes sind, erklärt er selbst in <strong>den</strong>folgen<strong>den</strong> Worten: „Indem wir nicht abermaleinen Grund legen mit der Bekehrung von todtenWerken und mit dem Glauben <strong>an</strong> Gott, mit derLehre von <strong>den</strong> (verschie<strong>den</strong>en) Taufen, derHändeauflegung, der Auferstehung der Todtenund des ewigen Gerichtes.“ Ist aber Dieses derAnf<strong>an</strong>g, was <strong>an</strong>ders ist d<strong>an</strong>n unsere Lehre,als <strong>die</strong> Bekehrung von <strong>den</strong> todten Werkenund durch <strong>den</strong> heiligen Geist theilhaft zuwer<strong>den</strong> des Glaubens <strong>an</strong> <strong>die</strong> Auferstehungvon <strong>den</strong> Todten und das ewige Gericht? Wasist aber der Anf<strong>an</strong>g? Nichts Anderes als Dasnennt er <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>g, wenn einvollkommenes Leben vermißt wird. Dennwie derjenige, welcher sichwissenschaftlichen Stu<strong>die</strong>n hingeben will,zuerst <strong>die</strong> Anf<strong>an</strong>gsgründe hören muß: somuß auch der Christ <strong>die</strong>se vorerst kennen75und dar<strong>über</strong> keinen Zweifel aufkommenlassen. Bedürfte er aber wieder desUnterrichtes, so hat er noch keinen Grund;<strong>den</strong>n wer fest ist, muß auch unbeweglichund unw<strong>an</strong>delbar dastehen und nichtw<strong>an</strong>ken. Wenn aber Jem<strong>an</strong>d, in <strong>den</strong>Grundwahrheiten unterrichtet und getauft,nach zehn Jahren nothwendig hätte, <strong>über</strong> <strong>den</strong>Glauben wieder Belehrung zu hören, unddaß es nöthig sei, <strong>an</strong> <strong>die</strong> Auferstehung derTodten zu glauben, der hat noch keinenfesten Grund, der sucht wieder <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>gdes Christenthumes. Denn daß der Glaube<strong>die</strong> Grundlage, das Übrige aber das Gebäudeist, Das höre von ihm selbst, wenn er spricht:„Ich habe <strong>den</strong> Grund gelegt, ein Andererbauet darauf. Wenn nun Jem<strong>an</strong>d auf <strong>die</strong>senGrund fortbaut Gold, Silber, kostbare Steine,Holz, Heu, Stoppeln.“ 220 Darum sagt er:„Indem wir nicht abermal einen Grund legen mitder Bekehrung von todten Werken.“II.Was heißt aber Das: „Wir sollen zurVollkommenheit eilen“? Wir sollen, sagt er,d<strong>an</strong>n zur Höhe selbst emporsteigen, d. h. wirsollen ein g<strong>an</strong>z ausgezeichnetes Lebenführen. Denn wie bei <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>gsgrün<strong>den</strong>Alles auf dem Alpha und das Gebäude aufdem Fundamente beruht, so findet auch einrechtschaffenes Leben seine Grundlage in dergläubigen Überzeugung. Ohne <strong>die</strong>se ist esnicht möglich, ein Christ zu sein, gleichwieohne Fundament kein Gebäude und ohne <strong>die</strong>Anf<strong>an</strong>gsgründe keine wissenschaftlicheBildung möglich ist. Aber wie wenn Jem<strong>an</strong>dimmer bei <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>gsgrün<strong>den</strong> verweilt,oder wie wenn Einer es bei dem Fundamentebewendet und sich nicht <strong>an</strong> das Gebäudeselbst macht, nie etwas Vollendetes zuSt<strong>an</strong>de fördern wird, so verhält es sich auch220 1 Kor 3,10.12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>mit uns; <strong>den</strong>n wenn wir immer beim Beginnedes Glaubens verbleiben, wer<strong>den</strong> wir nie zuseiner Vollendung emporsteigen. Wähneaber nicht, der Glaube sei darum niedrigergestellt, weil er <strong>die</strong> erste Grundlagegen<strong>an</strong>nt wor<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n gerade er ist <strong>die</strong> Fülleder Kraft. Denn wenn er sagt: „Ein Jeder, derMilch bekommt, ist unempfänglich für dasWort der Gerechtigkeit, <strong>den</strong>n er ist einKind,“ so nennt er ihn (<strong>den</strong> Glauben)keineswegs Milch; wenn aber hier<strong>über</strong> nochZweifel obwalten sollten, so wür<strong>den</strong> <strong>die</strong>seZeugniß ablegen von einem schwachenVerst<strong>an</strong>de, der noch vieler Beweisgründebedürfte. Diese Lehrsätze sind unzweifelhaftrichtig; <strong>den</strong>n wir nennen nur Denvollkommen, welcher mit dem Glauben auchein rechtschaffenes Leben verbindet. Wennaber Jem<strong>an</strong>d zwar Glauben hatte, aber einenlasterhaften W<strong>an</strong>del führte und in Betreffseines Glaubens selbst Zweifel hegte und derLehre Schmach zufügte, so wür<strong>den</strong> wir einenSolchen mit Recht ein Kind heissen, das zu<strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>gsgrün<strong>den</strong> zurückläuft. Haben wiralso tausend Jahre <strong>den</strong> Glauben, stehen aberin demselben nicht fest, so sind wir Kinder,wenn wir keinen demselben entsprechen<strong>den</strong>Lebensw<strong>an</strong>del zeigen und noch amGrundlegen sind. Diese tadelt er nun nichtallein wegen des Lebensw<strong>an</strong>dels, sondernauch in <strong>an</strong>derer Hinsicht, weil sie nämlichnoch schw<strong>an</strong>kten und nöthig hatten, „Grundzu legen mit der Bekehrung von todten Werken“.Denn wer von einer Ansicht zu einer <strong>an</strong>deren<strong>über</strong>geht, so daß er jene verläßt und <strong>die</strong>se<strong>an</strong>nimmt, muß doch jene vorher verwerfenund davon abstehen und d<strong>an</strong>n sich zur<strong>an</strong>dern wen<strong>den</strong>; wenn er aber jene wiederaufnehmen will, wie k<strong>an</strong>n er d<strong>an</strong>n zu <strong>die</strong>sergel<strong>an</strong>gen? Wie verhält es sich nun, sagt er, inBezug auf das Gesetz? Wir haben dasselbeverworfen und kehren zu ihm wiederzurück. Das ist aber keinÜberzeugungswechsel; <strong>den</strong>n auch hier habenwir das Gesetz. „So heben wir also,“ heißt es,76„das Gesetz auf durch <strong>den</strong> Glauben? Das seiferne, sondern wir bestätigen das Gesetz.“ 221Ich aber habe von verderblichen Dingengeredet; <strong>den</strong>n wer zur Tugend gel<strong>an</strong>gen will,muß vorher das Böse verwerfen und d<strong>an</strong>n zu jener kommen; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Bußevermöchte nicht, sie rein darzustellen.Deßhalb wur<strong>den</strong> sie auch sogleich getauft,damit Dasjenige, was sie aus sich selbst nichtvermochten, durch <strong>die</strong> Gnade Christi zuSt<strong>an</strong>de käme. Die Buße genügt also nicht, umrein zu wer<strong>den</strong>, sondern m<strong>an</strong> muß auch <strong>die</strong>Taufe empf<strong>an</strong>gen; m<strong>an</strong> muß also zur Taufekommen, nachdem m<strong>an</strong> <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> vorhererk<strong>an</strong>nt und verdammt hat. Was bedeutet<strong>den</strong>n aber der Ausdruck: „<strong>die</strong> Lehren von <strong>den</strong>Taufen“? Nicht als gäbe es viele Taufen; esgibt ja nur eine. Warum spricht er aber in derMehrzahl? Weil er gesagt hatte: „Indem wirnicht abermal einen Grund legen mit derBekehrung.“ Denn wenn er sie wieder getauftund von Neuem unterrichtet hätte, und sieabermals nach der Taufe belehrt wor<strong>den</strong>wären, was m<strong>an</strong> thun, und was m<strong>an</strong> lassenmüsse, so wäre nie <strong>an</strong> eine Besserung zu<strong>den</strong>ken gewesen. - „Und der Händeauslegung;“<strong>den</strong>n so empfingen sie <strong>den</strong> heiligen Geist.„Da Paulus ihnen,“ heißt es, „<strong>die</strong> Händeaufgelegt hatte, kam der heilige Geist.“ 222 -„Und Auferstehung der Todten;“ - <strong>den</strong>n Dießgeschieht in der Taufe und wird imBekenntniß befestigt. - „Und des ewigenGerichtes.“ Warum sagt er <strong>den</strong>n Das? Weil sievielleicht, bereits gläubig gewor<strong>den</strong>,schw<strong>an</strong>ken oder ein lasterhaftes undleichtsinniges Leben führen konnten; darumsagt er: Wachet! Um sie also vor einemsolchen Leichtsinne ferne zu halten undaufmerksam zu machen, führt er eine solcheSprache. Denn ihr dürfet nicht sagen: Wennwir auch leichtsinnig leben, so wer<strong>den</strong> wirwieder getauft, nochmals unterrichtet undempf<strong>an</strong>gen abermals <strong>den</strong> heiligen Geist; oder221 Röm 3,31222 Apg 19,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gesetzt auch <strong>den</strong> Fall, wir hätten am GlaubenSchiffbruch gelitten, so können wir dochwieder durch <strong>die</strong> Taufe von unseren Sün<strong>den</strong>gereiniget wer<strong>den</strong> und Alles, was wir früherhatten, gewinnen. Ihr irret euch, sagt er,wenn ihr Das meint. 4. 5. 6. Denn es ist unmöglich, Diejenigen,welche einmal erleuchtet wor<strong>den</strong>, auchgekostet haben <strong>die</strong> himmlische Gabe undtheilhaftig gewor<strong>den</strong> sind des heiligenGeistes, deßgleichen gekostet haben dasgute, göttliche Wort und <strong>die</strong> Kräfte derzukünftigen Welt, und doch abgefallensind, wieder zur Sinnesänderung zuerneuern, da sie, ein Jeder für sich, <strong>den</strong>Sohn Gottes auf ein Neues kreuzigen undverspotten.Und siehe, wie beschämend und abwehrendgleich seine ersten Worte sind! „Es istunmöglich,“ sagt er, d. h. erwarte nicht dasUnmögliche! Er sagt nicht: Es ziemt sichnicht, es geht nicht <strong>an</strong>, es ist nicht thunlich,sondern: „Es ist unmöglich,“ so daß sie alsozur Verzweiflung gebracht wer<strong>den</strong> konntendurch <strong>die</strong> Worte: „welche einmal erleuchtetwor<strong>den</strong>.“III.D<strong>an</strong>n fügt er bei: „Auch gekostet haben <strong>die</strong>himmlische Gabe,“ d. i. <strong>die</strong> Nachlassung. „Undtheilhaftig gewor<strong>den</strong> des heiligen Geistes,deßgleichen gekostet haben das gute, göttlicheWort.“ Hier meint er <strong>die</strong> Lehre. „Und <strong>die</strong>Kräfte der zukünftigen Welt.“ Welche Kräftemeint er? Entweder <strong>die</strong> Wundergabe oderdas Unterpf<strong>an</strong>d des heiligen Geistes. „Unddoch abgefallen sind, wieder zur Sinnesänderungzu erneuern, da sie, ein Jeder für sich, <strong>den</strong> SohnGottes auf ein Neues kreuzigen und verspotten.“„Zu erneuern zur Sinnesänderung“ bedeutet soviel als zu erneuern durch Buße. Wie also? Ist<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Buße verworfen? Nicht <strong>die</strong> Buße,Das sei ferne, sondern <strong>die</strong> Wiedererneuerung77durch das Taufbad. Denn er sagt nicht: Es istunmöglich, erneuert zu wer<strong>den</strong> zurSinnesänderung, und läßt d<strong>an</strong>n Schweigenfolgen, sondern <strong>den</strong> Worten: „Es istunmöglich“ fügt er bei: „da sie auf einNeues kreuzigen.“ Erneuert wer<strong>den</strong> ist so vielals neu wer<strong>den</strong>. Neu aber macht allein dasTaufbad. „Es wird erneuert,“ heißt es. „deineJugend wie <strong>die</strong> des Adlers.“ 223 Die Buße aberhat Diejenigen, welche neu, durch <strong>die</strong> Sündeaber wieder alt gewor<strong>den</strong>, vom Alter zubefreien und neu herzustellen; <strong>den</strong> früherenGl<strong>an</strong>z aber zu verleihen vermag sie nicht;<strong>den</strong>n da war Alles Gnade.„Da sie, ein Jeder für sich, <strong>den</strong> Sohn Gottes aufein Neues kreuzigen und verspotten.“ DieseWorte aber heissen soviel als: <strong>die</strong> Taufe istdas Kreuz: „Denn unser alter Mensch istgekreuzigt.“ Und wieder: „Wir sindgleichgemacht der Ähnlichkeit seinesTodes.“ Und wieder: „Wir sind begraben mitihm durch <strong>die</strong> Taufe zum Tode.“ Wie alsoChristus nicht wieder gekreuzigt wer<strong>den</strong>k<strong>an</strong>n, - <strong>den</strong>n das heißt ihn verspotten, - so istauch eine Wiedertaufe nicht möglich. Dennwenn der Tod <strong>über</strong> ihn nicht mehr herrschenwird; wenn er auferst<strong>an</strong><strong>den</strong>, wenn er durch<strong>die</strong> Auferstehung Sieger gewor<strong>den</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong>Tod; wenn er durch <strong>den</strong> Tod <strong>den</strong> Tod<strong>über</strong>wun<strong>den</strong> hat: er hernach wiedergekreuziget wird, so ist all Jenes nur Fabelund Dichtung. Wer also <strong>an</strong> sich <strong>die</strong> Taufenwiederholt, kreuzigt ihn nochmals. Was heißtaber Das: „auf ein Neues kreuzigen“? VonAnf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> ihn wieder kreuzigen. Denn wieChristus am Kreuze gestorben, so sind wir inder Taufe nicht dem Fleische, sondern derSünde nach gestorben. Siehe da Tod undTod! Jener ist dem Fleische nach gestorben,wir aber der Sünde nach. Durch unsere Taufeist der alte Mensch begraben wor<strong>den</strong> und derneue auferst<strong>an</strong><strong>den</strong>, gleichförmig gewor<strong>den</strong>der Ähnlichkeit seines Todes. Wenn daher223 Ps 102,5


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>die</strong> Taufe wieder nothwendig ist, so ist esnicht weniger der abermalige Tod; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Taufe ist nichts Anderes als der Tod Dessen, der getauft wird, und seineAuferweckung. Und treffend sagt er: „auf einNeues kreuzigen.“ Denn wer Dieses thut,richtet, uneinge<strong>den</strong>k der früheren Gnadeund leichtfertig in seinem W<strong>an</strong>del, seing<strong>an</strong>zes Leben und Streben so ein, als gäbe esnoch eine zweite Taufe. Darum istAufmerksamkeit und Behutsamkeit nöthig.Was heißt Das: „auch gekostet haben <strong>die</strong>himmlische Gabe“? Diese Worte besagen:Nachlaß der Sün<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se k<strong>an</strong>n nurGott schenken, und <strong>die</strong> Gnade ist nur einmalGnade. 224 „Was nun? Wer<strong>den</strong> wir verharrenim Sündigen, damit <strong>die</strong> Gnade um soreichlicher werde? Das sei ferne.“ 225 Wennwir aber immer durch Gnade das Heil fin<strong>den</strong>könnten, so wür<strong>den</strong> wir niemals gut sein.Denn wenn wir, wo es nur eine Gnade gibt,so sehr dem Leichtsinne huldigen, wür<strong>den</strong>wir, falls wir wüßten, daß <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> wiederabgewaschen wür<strong>den</strong>, zu sündigenaufhören? Ich einmal glaube Das nicht. Erzeigt hier, daß <strong>die</strong> Gaben vielfach seien, undum dich davon zu <strong>über</strong>zeugen, so höre: Dubist gewürdiget wor<strong>den</strong>, sagt er, einer sogroßen Vergebung; <strong>den</strong>n der in derFinsterniß saß, der ein Feind, einWidersacher und g<strong>an</strong>z entfremdet war; aufdem der Zorn Gottes lag und der demUnterg<strong>an</strong>ge entgegenreifte: wie könnte einSolcher, da er plötzlich erleuchtet, desheiligen Geistes sowie der himmlischenGnade, der Annahme <strong>an</strong> Sohnes Statt, deshimmlischen Reiches, der <strong>an</strong>deren Güter undder unaussprechlichen Geheimnissegewürdiget wor<strong>den</strong>, dadurch aber sichkeineswegs bessern ließ, und da er ver<strong>die</strong>nte,zu Grunde zu gehen, in <strong>den</strong> Besitz von Heilund Ehre gel<strong>an</strong>gte, als hätte er preiswürdigeThaten vollbracht, - wieder getauft wer<strong>den</strong>?224 d.h. <strong>die</strong> Taufgnade wird nur einmal zu Theil225 Röm 6,178Die Unmöglichkeit <strong>die</strong>ser Sache zeigt er aufdoppelte Weise und läßt <strong>den</strong>wichtigeren Beweis zuletzt folgen. Einmalnämlich, weil Jem<strong>an</strong>d, der solcher Gna<strong>den</strong>gewürdiget wor<strong>den</strong> und <strong>die</strong> ihmgeschenkten vergeudet hat, einer zweitenErneuerung unwürdig ist; d<strong>an</strong>n aber, weileine nochmalige Kreuzigung unmöglich ist;<strong>den</strong>n Das heißt: „dem Spotte preisgeben.“ Esgibt also keine zweite Taufe; eine solchefindet nicht statt. Gäbe es aber eine solche,d<strong>an</strong>n gäbe es auch eine dritte und eine vierte,und von der letzten wird immer <strong>die</strong>vorhergehende aufgehoben, und <strong>die</strong>se letztewieder von einer <strong>an</strong>dern und so in’sUnendliche fort.In <strong>den</strong> Worten: „Gekostet haben das gutegöttliche Wort und <strong>die</strong> Kräfte der zukünftigenWelt“ gibt er keine Erklärung, sondern nureine Andeutung und will damit sagen: DasLeben, welches dem der Engel gleicht; <strong>die</strong>gänzliche Befreiung von <strong>den</strong> irdischenBedürfnissen; <strong>die</strong> Gewißheit, daß <strong>die</strong>Annahme <strong>an</strong> Kindesstatt uns <strong>den</strong> Genuß derewigen Güter vermittelt; <strong>die</strong> Hoffnung, injenes Heiligthum einzugehen, - <strong>über</strong> <strong>die</strong>seDinge k<strong>an</strong>n nur der heilige Geist <strong>die</strong> richtigeAufklärung gehen. - Was heißt Das: „DieKräfte der zukünftigen Welt?“ Das ewige Lebenin der Gesellschaft der Engel. Hievon hat unsder heilige Geist durch <strong>den</strong> Glauben dasUnterpf<strong>an</strong>d gegeben. Sage mir nun, wenn duin einen königlichen Palast gekommenwärest, und m<strong>an</strong> hätte dir daselbst Alles<strong>an</strong>vertraut, du aber hättest darnach Allesverrathen, - könntest du d<strong>an</strong>n nochmals indasselbe Vertrauen eingesetzt wer<strong>den</strong>?IV.Wie nun? Gibt es <strong>den</strong>n keine Buße? Wohl gibtes eine Buße, aber eine zweite Taufe gibt esnicht. Es gibt eine Buße, <strong>die</strong> eine große Kraftbesitzt und Denjenigen, der in seinen


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Verirrungen g<strong>an</strong>z vergraben liegt, wenn ernur will, von der Sün<strong>den</strong>last befreien undaus der Gefahr in Sicherheit versetzen k<strong>an</strong>n,und wäre er bis zum Abgrunde desVerderbens gekommen. „Denn,“ heißt es,„soll <strong>den</strong>n Der, welcher fällt, nicht wiederaufstehen, oder soll Der, welcher sichabgewendet hat, nicht wiederzurückkehren?“ 226 Christus k<strong>an</strong>n, wenn wirwollen, in uns neu dargestellt wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>nhöre, was Paulus spricht: „Meine Kindlein,für <strong>die</strong> ich abermal Geburtsschmerzen habe,bis daß Christus in euch gestaltet wird!“ 227Nur müssen wir uns zur Buße wen<strong>den</strong>. Dennbetrachte <strong>die</strong> Menschenfreundlichkeit Gottes!Schon im Anf<strong>an</strong>g hatten wir ver<strong>die</strong>nt, aufjegliche Weise gezüchtigt zu wer<strong>den</strong>, weilwir das Naturgesetz empf<strong>an</strong>gen haben undunzähliger Wohlthaten theilhaftig gewor<strong>den</strong>,<strong>den</strong> Herrn nicht erk<strong>an</strong>nt und ein unreinesLeben geführt haben. Er aber unterzog unsnicht nur keiner Züchtigung, sondern<strong>über</strong>häufte uns mit zahllosen Wohlthaten, alshätten wir große Werke vollbracht.Wiederum sind wir gefallen, und er züchtigtuns nicht mit der ver<strong>die</strong>nten Strafe, sondernschenkt uns das Heilmittel der Buße, welches<strong>die</strong> Kraft hat, alle unsere Sün<strong>den</strong> zu tilgenund zu erlassen, wenn wir nur das Heilmittelin seiner Bedeutung erfassen und es recht<strong>an</strong>zuwen<strong>den</strong> verstehen. Von welcherBeschaffenheit ist nun <strong>die</strong>ß Heilmittel derBuße, und wie wird es zu St<strong>an</strong>de gebracht?Zuerst durch <strong>die</strong> Erkenntniß der eigenenSün<strong>den</strong> und das Bekenntniß. „Meine Sünde,“heißt es, „habe ich dir kund geth<strong>an</strong> undmeine Ungerechtigkeit nicht verborgen;“und: „Ich will bekennen meineUngerechtigkeit dem Herrn, und du hastnachgelassen <strong>die</strong> Gottlosigkeit meinesHerzens;“ 228 und wieder: „Bekenne du zuerstdeine Sün<strong>den</strong>, damit du gerechtfertigt226 Jer 8,4227 Gal 4,19228 Ps 31,5.679werdest;“ 229 und: „Der Gerechte klagt sichselbst am ersten <strong>an</strong>.“ 230 Zweitens durch großeDemuth; ähnlich wie bei einer gol<strong>den</strong>enKette dem Anf<strong>an</strong>ge das G<strong>an</strong>ze folgt. Dennhast du <strong>die</strong> Sünde bek<strong>an</strong>nt, wie m<strong>an</strong> siebekennen soll, so wird <strong>die</strong> Seele demüthig;<strong>den</strong>n das Gewissen, welches ihr zusetzt,macht sie niedergeschlagen. Es mußaber zur Demuth auch noch Andereshinzukommen, damit sie eine solche sei, wiesie der selige David erflehte mit <strong>den</strong> Worten:„Schaffe in mir, o Gott, ein reines Herz;“ undferner: „Ein zerknirschtes und gedemüthigtesHerz wird Gott nicht verschmähen.“ 231 Dennwas zerknirscht ist, erhebt sich nicht undverletzt nicht, sondern ist bereit, auch Übleszu dul<strong>den</strong>, erhebt sich selbst aber nicht. So ist<strong>die</strong> Zerknirschung des Herzens beschaffen,daß auch bei erlittener Schmach und bitterenLei<strong>den</strong> <strong>die</strong> Ruhe nicht verloren geht undRacheged<strong>an</strong>ken nicht aufkommen. Nach derDemuth aber sind eifrige Gebete und vieleReuethränen bei Tag und bei Nachtnothwendig. „Denn ich wasche,“ heißt es,„jede Nacht mein Bett und benetze mitmeinen Thränen mein Lager; ich habe michabgemühet in meinem Seufzen;“ 232 undwieder: „Denn Asche esse ich wie Brod, undmeinen Tr<strong>an</strong>k mische ich mit Thränen.“ 233Und nach dem so inbrünstigen Gebete mußm<strong>an</strong> reichlich Almosen spen<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n Dießist es eben, was am wirksamsten dasHeilmittel der Buße beschafft. Denngleichwie unter <strong>den</strong> ärztlichen Mitteln sichein Heilmittel findet, wozu viele Kräutergenommen wer<strong>den</strong>, eines aber am meistenvorherrscht, so ist auch bei der Buße Dießdas vorherrschende Kraut, ja es möchte fastdas G<strong>an</strong>ze sein; <strong>den</strong>n höre, was <strong>die</strong> göttlicheSchrift sagt: „Gebet Almosen, und Alles ist229 Is 43,26230 Spr 18,17231 Ps 50,12. 19232 Ps 50,6.7233 Ps 101,10


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>euch rein;“ 234 und wieder: „Denn durchAlmosen wer<strong>den</strong> <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> getilgt;“ 235 und:„Das Wasser löscht brennendes Feuer, unddas Almosen thut Widerst<strong>an</strong>d großenSün<strong>den</strong>.“ 236 Ferner soll m<strong>an</strong> dem Zorn nichtergeben und der erlittenen Unbil<strong>den</strong> nichteinge<strong>den</strong>k sein und Allen ihre Sün<strong>den</strong>verzeihen. „Denn ein Mensch,“ heißt es,„bewahrt <strong>den</strong> Zorn wider einen <strong>an</strong>dern undsucht bei Gott Vergebung.“ 237 „Vergebet,“ heißt es, „damit euch vergebenwerde!“ 238 D<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Brüder von ihremIrrthum bekehren: „Gehe,“ heißt es, „undbekehre deine Brüder, damit dir deineSün<strong>den</strong> vergeben wer<strong>den</strong>!“ 239 Und sichgegen <strong>die</strong> Priester geziemend betragen. „Undwenn er Sün<strong>den</strong> auf sich hat,“ heißt es, „sower<strong>den</strong> sie ihm vergeben wer<strong>den</strong>. 240 DenenSchutz und Schirm <strong>an</strong>gedeihen lassen,welchen Unrecht geschieht; keinen Zornhaben und Alles gelassen erfragen.V.Bevor ihr wußtet, daß durch <strong>die</strong> Buße <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong> abgewaschen wer<strong>den</strong>, waret ihr d<strong>an</strong>icht wie in einen Kampf verwickelt, und beider Gewißheit, daß es keine zweite Taufegibt, seid ihr da nicht <strong>an</strong> euch selbstverzweifelt? Nachdem ihr aber nun gelernthabt, wodurch Buße und Vergebung richtigzu St<strong>an</strong>de gebracht wer<strong>den</strong>, und daß wirAllem entgehen können, wenn wir <strong>die</strong>selbenur pflichtgemäß <strong>an</strong>wen<strong>den</strong> wollen, welcheVerzeihung wird uns zu Theil wer<strong>den</strong>, wennwir nicht einmal zur Erkenntniß unsererSün<strong>den</strong> gel<strong>an</strong>gen? Denn wenn Das wäre, sowäre Alles geth<strong>an</strong>. Denn wie Derjenige,welcher zur Thüre hineingekommen, sich234 Lk 11,41235 Tob 4,11236 Ekkli 3,33237 Ekkli 28,3238 Mt 6,14239 Lk 22,52240 Jak 5,1580drinnen befindet, so verhält es sich auch mitDem, welcher seine eigenen Sün<strong>den</strong> erwägt.Wenn er <strong>die</strong>selben täglich <strong>über</strong><strong>den</strong>kt, wird ergewiß auch zu ihrer Heilung gel<strong>an</strong>gen. Wenner aber sagt, ich bin ein Sünder, <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>aber nicht nach Art und Gattung erforscht, sodaß er sagen k<strong>an</strong>n, <strong>die</strong>se und jene Sün<strong>den</strong>habe ich beg<strong>an</strong>gen, so wird er nie (zusündigen) aufhören; er wird zwar immerbeichten, nimmer aber auf wirksameBesserung sinnen; <strong>den</strong>n ist der Anf<strong>an</strong>ggemacht und der Eing<strong>an</strong>g gezeigt, so wirddas Übrige unfehlbar folgen; - sind ja Anf<strong>an</strong>gund Beginnen immer beschwerlich. Daswollen wir nun als Grundlage nehmen, undAlles wird leicht und wohl vonStatten gehen. Machen wir also <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>g;der Eine mit inbrünstigem Gebet, der Anderemit reichlichen Thränen, wieder ein Anderermit heilsamer Trauer; <strong>den</strong>n nicht einmal Das,was so winzig scheint, ist ohne Nutzen. „Ichhabe gesehen,“ heißt es, „daß er vonTraurigkeit ergriffen ist undniedergeschlagen w<strong>an</strong>delt, und ich habeseine Wege geheilt.“ 241 Demüthigen wir alsoalle unsere Seelen, indem wir Almosengeben, dem Nächsten, was er gegen unsgesündiget hat, verzeihen, der empf<strong>an</strong>genenUnbil<strong>den</strong> halber nicht grollen und nicht aufRache sinnen! Wenn wir stets unsererSün<strong>den</strong> ge<strong>den</strong>ken, wird <strong>die</strong> Aussenwelt aufuns keinen Einfluß ausüben können: nichtEhre noch Macht, nicht Herrschergewaltnoch Ruhm; und säßen wir auf einemköniglichen Wagen, wir wür<strong>den</strong> bitterlichseufzen; <strong>den</strong>n auch der selige David warKönig und sprach: „Denn ich wasche jedeNacht mein Bett;“ 242 und Purpur und Kronegereichten ihm nicht zum Scha<strong>den</strong>, er wur<strong>den</strong>icht verblendet; <strong>den</strong>n er wußte, daß er einMensch sei, und da er ein zerknirschtes Herzhatte, weheklagte er. Denn was sind <strong>die</strong>menschlichen Dingen Asche und Staub und241 Is 57,1 7242 Ps 6,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Spreu vor dem Angesichte des Windes;Rauch und Schatten, Laub, das hin und hergetrieben wird; und eine Blume, ein Traum,Wortkl<strong>an</strong>g und Dichtung, Wind und dünneLust, <strong>die</strong> leicht zerfließt; eine hinfälligeFeder, eine verflüchtigende Flüssigkeit, undwas es sonst noch Nichtigeres gibt. Sage mir,was hältst du für groß? Welche Würdescheint dir erhaben? <strong>die</strong> des Consuls? Denn<strong>die</strong> große Menge meint doch, es gebe nichtsGrößeres als <strong>die</strong>se Würde. Wer aber nichtConsul ist, ist nicht geringer als Der, welcherin solchem Gl<strong>an</strong>ze dasteht und derGegenst<strong>an</strong>d hoher Bewunderung ist; <strong>den</strong>nDieser und Jener theilen <strong>die</strong> gleiche Würde,da Beide auf gleiche Weise binnen Kurzemnicht mehr sein wer<strong>den</strong>. W<strong>an</strong>n ist eres gewor<strong>den</strong>? Wie l<strong>an</strong>ge Zeit war er’s? ZweiTage? Das kommt auch bei Träumen vor.Aber das ist, heißt es, auch nur ein Traum.Und was ist Dieses d<strong>an</strong>n? Ist <strong>den</strong>n Das, wasbei Tage geschieht, nicht auch ein Traum?Sage mir, warum nennen wir nicht vielmehrDieß einen Traum? Denn wie <strong>die</strong> Träume(der Nacht) beim Beginne des Tages sich alsnichtig erweisen, so erweisen sich auch <strong>die</strong>sebeim Anbruch der Nacht als ein Nichts; <strong>den</strong>nder Tag und <strong>die</strong> Nacht haben <strong>die</strong> gleicheHälfte der Zeit empf<strong>an</strong>gen, und <strong>die</strong> g<strong>an</strong>zeZeit gleichmäßig getheilt. Wie sich alsoNiem<strong>an</strong>d am Tage dar<strong>an</strong> erfreut, was in derNacht vorgeht, so ist es auch nicht möglich,in der Nacht zu genießen, was bei Tagegeschieht. Bist du Consul gewesen? Ich auch,aber du bei Tage und ich in der Nacht. Undwas soll Das? Nicht einmal so hast du mehrals ich, es sei <strong>den</strong>n, daß der Eine oder Anderedich Consul gen<strong>an</strong>nt hat, und daß dasVergnügen der Worte einen Mehrbesitz bot.Ich gebe ein Beispiel, und meine Wortewer<strong>den</strong> deutlicher sein, wenn ich mich alsoausdrücke: Dieser oder Jener ist Consul, undich gebe ihm <strong>die</strong>sen Titel; - ist nun nicht mitdem Kl<strong>an</strong>ge des Wortes das Wort selberverschwun<strong>den</strong>? So verhält es sich auch mit81der Sache: der Consul erschien und ist nichtmehr vorh<strong>an</strong><strong>den</strong>. Nehmen wir auch ein Jahr<strong>an</strong> oder zwei, drei, vier Jahre, und wo sindDiejenigen, <strong>die</strong> durch zehn Jahre Consulnwaren? Nirgends. Paulus aber nicht also.Denn auch bei Lebzeiten st<strong>an</strong>d er in vollemGl<strong>an</strong>ze da, und zwar nicht einen Tag, auchnicht zwei, noch zehn, noch zw<strong>an</strong>zig, nochdreissig Tage, auch nicht zehn, noch zw<strong>an</strong>zigoder dreissig Jahre; - seit seinem Tode sindschon vierhundert Jahre verflossen, und seinGl<strong>an</strong>z leuchtet noch schöner, ja noch vielheller, als da er noch lebte. Dieses findet sichschon hier auf der Erde. Welche Worte sindaber im St<strong>an</strong>de, <strong>die</strong> Herrlichkeit der Heiligenim Himmel zu schildern? Darum wollen wir,ich bitte euch, <strong>die</strong>se Herrlichkeit suchen;<strong>die</strong>ser wollen wir nachstreben, um ihrertheilhaftig zu wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se isteine ächte Herrlichkeit. Lassen wir ab von<strong>die</strong>sen zeitlichen Dingen, damit wir Gnadeund Barmherzigkeit fin<strong>den</strong> in Christus Jesus,unserem Herrn, dem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht, Ehre undAnbetung jetzt und alle Zeit und vonEwigkeit zu Ewigkeit. Amen. Zehnte Homilie.I.7. 8. Denn das L<strong>an</strong>d, welches <strong>den</strong> oft darauffallen<strong>den</strong> Regen einsaugt und <strong>die</strong>nlicheGewächse für Diejenigen trägt, <strong>die</strong> esbebauen, empfängt Segen von Gott; wennes aber Dornen und Disteln trägt, so ist esverwerflich und dem Fluche nahe, seinEnde ist Verbrennung.Mit Furcht sollen wir <strong>die</strong> Aussprüche Gottes<strong>an</strong>hören, mit Furcht und vielem Zittern; <strong>den</strong>n„<strong>die</strong>net,“ heißt es, „dem Herrn in Furcht undfrohlocket ihm mit Zittern!“ 243 Wenn aber243 Ps 2,11


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>schon unsere Freude und unser Frohlockenmit Zittern geschehen soll, welche Strafever<strong>die</strong>neten wir nicht, wenn wir, daerschütternde Worte wie jetzt zu uns geredetwer<strong>den</strong>, Das, was gesprochen wird, nicht mitSchauer <strong>an</strong>hören wollten? Nachdem ergesagt, daß es für <strong>die</strong> Gefallenen unmöglichsei, neuerdings getauft zu wer<strong>den</strong> und durchdas Taufbad wieder Verzeihung zu fin<strong>den</strong>,und nachdem er das Schauderhafte<strong>die</strong>ser Sache dargeth<strong>an</strong> hat, fügt er hinzu:„Denn das L<strong>an</strong>d, welches <strong>den</strong> oft darauf fallen<strong>den</strong>Regen einsaugt und <strong>die</strong>nliche Gewächse fürDiejenigen trägt, <strong>die</strong> es bebauen, empfängt Segenvon Gott; wenn es aber Dornen und Distelnträgt, so ist es verwerflich und dem Fluche nahe,sein Ende ist Verbrennung.“ Fürchten wirdaher, Geliebte; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se Drohung thutnicht Paulus; wir vernehmen nicht <strong>die</strong> Worteeines Menschen; es ist <strong>die</strong> Sprache desheiligen Geistes; es ist Christus, der in ihmspricht. Ist <strong>den</strong>n irgend Jem<strong>an</strong>d von <strong>die</strong>senDornen frei? Und wären wir davon auch inder That frei, so dürften wir auch so nicht aufuns selber vertrauen, sondern fürchten undzittern, es möchten in uns Dornenhervorsprossen. Da wir aber g<strong>an</strong>z und garDisteln und Dornen sind, sage mir, wohersollen wir da dreiste Zuversicht nehmen undStolz in uns aufkommen lassen? Wie könntenwir leichtsinnig wer<strong>den</strong>? Denn wennDerjenige, welcher zu stehen scheint,fürchten muß, zu fallen, - „<strong>den</strong>n wer dameint,“ heißt es, „zu stehen, der sehe zu, daßer nicht falle!“ 244 - wie muß d<strong>an</strong>n Der,welcher darniederliegt, besorgt sein, sichwieder zu erheben? Wenn Paulus fürchtet, ermöchte, nachdem er Andern gepredigt, selbstverworfen wer<strong>den</strong>, und er, der so tugendhaftwar, sich beängstiget fühlte, er möchte derVerwerfung <strong>an</strong>heim fallen, 245 wie wer<strong>den</strong>wir, <strong>die</strong> bereits Unbewährten,Entschuldigung und Verzeihung fin<strong>den</strong>,244 1 Kor 10,12245 1 Kor 9,2782wenn wir keine Frucht haben und dasChristenthum nur aus Gewohnheit üben undnur dem äusseren Scheine leben? Fürchtenwir daher, Geliebte, „<strong>den</strong>n es offenbart sichder Zorn Gottes vom Himmel!“ 246 Fürchtenwir; <strong>den</strong>n er offenbart sich nicht nur gegen<strong>die</strong> Gottlosigkeit, sondern auch gegen alleUngerechtigkeit, sei sie nun groß oder klein.An <strong>die</strong>ser Stelle deutet er GottesMenschenfreundlichkeit <strong>an</strong>; Regen aber nennt er <strong>die</strong> Lehre, und was er obensprach: „Die ihr Lehrer sein solltet der Zeitnach,“ Das sagt er auch hier. Auch <strong>die</strong> Schriftnennt <strong>an</strong> vielen Stellen <strong>den</strong> Unterricht Regen.„Den Wolken,“ heißt es, „will ich gebieten,daß sie keinen Regen darauf herabgießen,“ 247 indem <strong>die</strong> Rede vom Weinbergeist. An einer <strong>an</strong>deren Stelle wird derselbebezeichnet als Hunger nach Brod und Durstnach Wasser; und wieder: „Gottes Strom istvoll des Wassers.“ 248 „Denn das L<strong>an</strong>d,“ heißtes, „welches <strong>den</strong> oft darauf fallen<strong>den</strong> Regeneinsaugt.“ Hier zeigt er, daß sie das Wortempf<strong>an</strong>gen und getrunken haben und dessenoft theilhaftig gewor<strong>den</strong>, aber daraus<strong>den</strong>noch keinen Nutzen gezogen haben.Denn wärest du, will er sagen, nicht bebautwor<strong>den</strong> und hättest keinen Regenempf<strong>an</strong>gen, so wäre das Übel nicht so arg;<strong>den</strong>n es heißt: „Wenn ich nicht gekommenwäre und zu ihnen nicht geredet hätte, sohätten sie keine Sünde;“ 249 da du aber zutrinken empf<strong>an</strong>gen und wohl bedachtwor<strong>den</strong> bist, warum hast du statt der FrüchteAnderes hervorgebracht? „Ich erwartete,“heißt es, „daß er Trauben brächte, aber erbrachte Dornen.“ 250 Siehst du, daß <strong>die</strong> Schrift<strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> <strong>über</strong>all Dornen nennt? Dennauch David sagt: „In meinem Elende habe ichmich bekehrt, während der Stachel in mir246 Röm ,18 1247 Is 5,6248 Ps 64,10249 Joh 15,22250 Is 5,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>haftete.“ 251 Denn er dringt nicht einfach ein,sondern er heftet sich fest, und wenn nur einWeniges davon sitzen bleibt, und wir ihnnicht g<strong>an</strong>z herausziehen, so verursacht <strong>die</strong>ßWenige einen g<strong>an</strong>z gleichen Schmerz, als daes noch am Dorne war. Und was rede ich davon etwas Wenigem? Auch wenn Dieß schong<strong>an</strong>z herausgezogen ist, verbleibt nochlängere Zeit der quälende Schmerz, unddarum muß m<strong>an</strong> noch eine dauernde Pflegesammt Heilmitteln <strong>an</strong>wen<strong>den</strong>, um davonvollkommen frei zu wer<strong>den</strong>. Denn es genügtnicht, <strong>die</strong> Sünde herausgezogen zu haben; <strong>die</strong> verletzte Stelle verl<strong>an</strong>gt auch eineheilende Pflege. Aber ich fürchte, daß <strong>die</strong>Worte: „Denn das L<strong>an</strong>d, welches <strong>den</strong> oft darauffallen<strong>den</strong> Regen einsaugt,“ mehr uns alsAnderen gelten; <strong>den</strong>n immer trinken wir,immer hören wir, aber schnell verlieren wir,sobald <strong>die</strong> Sonne aufgeht, <strong>die</strong> Feuchtigkeit,und darum bringen wir Dornen hervor.Welches sind <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Dornen? Hören wirauf Christus, der da sagt, 252 daß <strong>die</strong>Weltsorgen und <strong>die</strong> Täuschungen desReichthums das Wort (Gottes) ersticken, undes trägt keine Frucht: „Denn das L<strong>an</strong>d,“ heißtes, „welches <strong>den</strong> oft darauf fallen<strong>den</strong> Regeneinsaugt und <strong>die</strong>nliche Gewächse hervorbringt.“II.Nichts ist so <strong>an</strong>gemessen wie ein reinesLeben, Nichts so passend wie einmusterhafter W<strong>an</strong>del, Nichts so in derOrdnung wie <strong>die</strong> Tugend: „Und <strong>die</strong>nlicheGewächse für Diejenigen trägt, <strong>die</strong> es bebauen,empfängt Segen von Gott.“ Hier sagt er, daßGott <strong>die</strong> Ursache von Allem sei, und versetzt<strong>den</strong> Hei<strong>den</strong> so leichthin einen Schlag, welcheder Kraft der Erde <strong>die</strong> Erzeugung der Früchtezuschreiben. Denn nicht <strong>die</strong> Hände desL<strong>an</strong>dm<strong>an</strong>nes, will er sagen, sind es, welche<strong>die</strong> Erde zur Fruchtbarkeit wecken, sondernGottes Anordnung ist es. Deßwegen sagt er:„empfängt Segen von Gott.“ Siehe aber, wie erbezüglich der Dornen nicht sagt: Dornenerzeugt und sich nicht <strong>die</strong>ses sonstgebräuchlichen Ausdruckes be<strong>die</strong>nt, sondern- wie drückt er sich aus? „Dornen trägt,“ alswollte er sagen: hervorsprießt, heraustreibt. -„So ist es verwerflich und dem Fluche nahe.“ Ha,welch ein Trost liegt in <strong>die</strong>sen Worten! Denner sagt nicht: verflucht, sondern: „dem Fluchenahe.“ Wer aber dem Fluche noch nichtverfallen, sondern nur nahe gekommen ist,k<strong>an</strong>n sich davon auch wieder entfernen. Aber nicht nur <strong>die</strong>se Worte,sondern auch <strong>die</strong> folgen<strong>den</strong> sind tröstlich;<strong>den</strong>n er sagt nicht: verwerflich und demFluche nahe, es wird verbr<strong>an</strong>nt wer<strong>den</strong>,sondern was? „Sein Ende ist Verbrennung,“wodurch er zeigt, daß Denjenigen, welcherbis zum Ende (im Bösen) verharret, <strong>die</strong>sesLoos treffen wird. Demnach können wir,wenn wir <strong>die</strong> Dornen ausbauen undverbrennen, unzählige Güter genießen, zurBewährung gel<strong>an</strong>gen und des Segenstheilhaftig wer<strong>den</strong>. Treffend hat er <strong>die</strong> Sünde„Distel“ gen<strong>an</strong>nt, indem er sagte: „Wenn esaber Dornen und Disteln tragt;“ <strong>den</strong>n wenn du<strong>die</strong>selbe irgendwo <strong>an</strong>fassest, verletzt sie undsticht und ist auch häßlich <strong>an</strong>zusehen.Nachdem er ihnen nun hinlänglich nahegekommen, sie erschreckt und verwundethat, heilt er sie wieder, um sie nicht gar zuniedergeschlagen und traurig zu machen;<strong>den</strong>n wer einen Trägen schlägt, macht ihnnoch träger. Er schmeichelt ihnen also nichtallseitig, um sie nicht stolz zu machen, nochverletzt er sie hart, um sie nicht zuentmuthigen; sondern er versetzt ihneneinige Hiebe, um d<strong>an</strong>n so reichlicher zutrösten und zu heilen, welchen Zweck erdurch <strong>den</strong> Beisatz vollkommen erreicht.Denn was sagt er?251 Ps 31,4252 Lk 8,1483


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>9. Von euch aber, Geliebte, versehen wiruns Besseres, und daß ihr nahe dem Heileseid, obgleich wir so re<strong>den</strong>.Das heißt: nicht um gegen euch Klage zuführen, sagen wir Dieses, noch auch, alswären wir der Ansicht, daß ihr voll vonDornen seid, sondern nur in der Besorgniß,es könnte etwas Derartiges eintreten. Denn esist besser, euch durch Worte zu schrecken,als daß euch <strong>die</strong> Wirklichkeit Schmerzenbereite. Hier zeigt sich g<strong>an</strong>z besonders <strong>die</strong>Klugheit des Paulus. Er sagt nicht: Wirglauben oder: Wir machen <strong>den</strong> Schluß, nochauch: Wir erwarten, sondern was?„Wir versehen uns,“ 253 was er auch <strong>an</strong> <strong>die</strong>Galater schreibt: „Ich habe das Vertrauen zueuch im Herrn, daß ihr nicht <strong>an</strong>ders gesinntsein werdet.“ 254 Er sagt nicht: gesinnt seid,sondern: gesinnt sein werdet. Denn weil erdort eine scharfe Sprache geführt hatte und<strong>die</strong> Gegenwart keinen Stoss zu ihrem Lobedarbot, so nimmt er <strong>die</strong> Zukunft zu Hilfe,indem er sagt: „Daß ihr nicht <strong>an</strong>ders gesinntsein werdet.“ Hier aber spricht er von derGegenwart: „Von euch aber, Geliebte, versehenwir uns eines Besseren, und daß ihr nahe demHeile seid, obgleich wir so re<strong>den</strong>.“ Und da ervon der Gegenwart nichts Besonderes sagenkonnte, so schöpft er seine Trostgründe ausder Verg<strong>an</strong>genheit und sagt:10. Denn Gott ist nicht ungerecht, daß ervergessen sollte eueres Thuns und derLiebe, <strong>die</strong> ihr gegen seinen Namenbewiesen habt, da ihr <strong>den</strong> Heiligen <strong>die</strong>ntetund <strong>die</strong>net.Ha! wie er ihre Seele neu belebt und kräftigt,indem er sie dar<strong>an</strong> erinnert, was sie frühergeth<strong>an</strong>, und sie nöthigt, aller Furcht, als hätteGott Solches vergeben, zu entsagen! Dennnothwendig muß Derjenige sündigen,welcher nicht <strong>über</strong>zeugt ist von Gottesgerechtem Gerichte und dessen Vergeltung,<strong>die</strong> er einem Je<strong>den</strong> nach W<strong>an</strong>del undVer<strong>die</strong>nst <strong>an</strong>gedeihen läßt, und er mußsagen, daß Gott ungerecht ist. Darum zwingter sie, auf jene Dinge zu hoffen, <strong>die</strong> dazukünftig sind. Denn Jem<strong>an</strong>d, der <strong>an</strong> derGegenwart verzweifelt und <strong>die</strong>selbe aufgibt,k<strong>an</strong>n neue Stärke gewinnen aus Dem, was<strong>die</strong> Zukunft verheißt; wie er auchselbst im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Galater sagt: „Ihr liefetgut; wer hat euch aufgehalten?“ 255 Undwieder: „Habt ihr umsonst so viel gelitten?wenn <strong>an</strong>ders umsonst!“ 256 Wie er aber hiermit einem Verweise Lob verbindet, indem erspricht: „Da ihr Lehrer sein solltet der Zeitnach,“ so auch dort: „Mich wundert, daß ihreuch sobald abwen<strong>den</strong> lasset.“ 257 Da istVerwunderung und Lob; <strong>den</strong>n <strong>über</strong> gefalleneGrößen wundern wir uns. Siehst du, wiezwischen Vorwurf und Tadel das Lobverborgen ist? Er spricht aber nicht nur vonsich, sondern auch von allen Andern; <strong>den</strong>n ersagt nicht: Ich versehe mich, sondern: Wirversehen uns von euch Besseres, d. h. Gutes.Dieses sagt er entweder in Bezug auf <strong>den</strong>W<strong>an</strong>del oder bezüglich der Vergeltung.Nachdem er oben gesagt: „Verwerflich unddem Fluche nahe, sein Ende istVerbrennung,“ - damit er nicht in Hinsichtauf sie Dieß zu sagen scheine, fügt er gleich<strong>die</strong> Worte hinzu: „Denn Gott ist nichtungerecht, daß er vergessen sollte eueres Thunsund der Liebe,“ als wollte er sagen: Wenn wirauch so sprechen, so sollen <strong>die</strong>se Wortekeineswegs auf euch ihre Anwendungfin<strong>den</strong>. Wenn du aber nicht von uns sprichst,warum tadelst du <strong>den</strong>n, indem du vonSolchen redest, <strong>die</strong> lässiger sind, und flößestdurch Erinnerung <strong>an</strong> Dornen Furcht ein?11. 12. Wir wünschen aber, daß ein Jedervon euch <strong>den</strong>selben Eifer beweise, um volleHoffnung zu haben bis <strong>an</strong>s Ende; daß ihrnicht träge werdet, sondern Nachahmer253 oder: W ir haben das Vertrauen (πεπείσμεϑα)254 Gal 5,1084255 Gal 5,7256 Gal 3,4257 Gal 1,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Derer, welche durch Glauben und GeduldErben der Verheissungen gewor<strong>den</strong> sind.III.„Wir wünschen,“ sagt er. Nicht bloße Wortewollen wir, sondern was wünschest du?sprich! Wir wünschen, daß ihr imTugend<strong>die</strong>nst wirket, nicht, indem ihr, wasvordem gewesen, verwerfet, sondern indemihr Furcht habet in Bezug auf Das, waszukünftig ist. Er vermeidet es, zu sagen:indem ihr nicht, was früher gewesen,verwerfet, sondern was gegenwärtig ist;<strong>den</strong>n ihr seid abgewichen, seid trägergewor<strong>den</strong>. Aber betrachte, wie zart er Dieseszeigt, ohne zu verletzen! Denn was sagt er?„Wir wünschen aber, daß ein Jeder von euch<strong>den</strong>selben Eifer beweise, um volle Hoffnung zuhaben bis <strong>an</strong>’s Ende.“ Darin muß m<strong>an</strong> <strong>die</strong>Klugheit des Paulus bewundern, daß er nichtnachweist, wie sie nachlässig, wie siesaumselig gewor<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Worte: „Wirwünschen, daß ein Jeder von euch,“ haben <strong>den</strong>gleichen Sinn, als wenn Einer sagte: Ichwünsche, daß du dich bemühest, dich jetztund in Zukunft so zu betragen, wie du dichfrüher aufgeführt hast. Denn Dieß milderte<strong>den</strong> Tadel und bewirkte eine bessereAufnahme. Auch sprach er nicht: Ich will,worin sich der Charakter des Lehrmeistersausspricht, sondern er sagt: „Wir wünschen,“was mehr als das Wort „wollen“ väterlichklingt, als wollte er sagen: „Habet Nachsicht,wenn unsere Rede irgend etwas Lästiges hat!„Wir wünschen aber, daß ein Jeder von euch<strong>den</strong>selben Eifer beweise, um vollem Hoffnung zuhaben bis <strong>an</strong>’s Ende.“ Was will Das sagen? DieHoffnung, sagt er, trägt und verleiht neueKraft. Verzaget nicht, hütet euch vorVerzweiflung damit euere Hoffnung nichtvergebens sei; <strong>den</strong>n wer Gutes thut, hofftauch Gutes und stürzt sich nie inVerzweiflung. „Daß ihr nicht träge werdet,“ -85jetzt nämlich. Oben hat er gesagt: „Weil ihrschwach gewor<strong>den</strong> seid zum Vernehmen.“Allein betrachte, wie er dort <strong>die</strong> Trägheitdarstellt, <strong>die</strong> bis zum Anhören reicht! Wenner auch hier Dasselbe sagt, so deutet er dochnoch etwas Anderes <strong>an</strong>. Denn <strong>an</strong>statt zusagen: Verharret nicht im Leichtsinne! sagter: Werdet nicht träge! Er führt sie wieder in<strong>die</strong> Zukunft, <strong>die</strong> von Rechenschaft frei ist,indem er spricht: „Daß ihr nicht träge werdet;“<strong>den</strong>n für <strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> noch nicht daist, können wir nicht ver<strong>an</strong>twortlich sein.Wer nämlich für <strong>die</strong> Gegenwart zum EiferErmunterung empfängt, wird in seinemLeichtsinne vielleicht noch träger; aber inBezug auf <strong>die</strong> Zukunft verhält es sich <strong>an</strong>ders.„Wir wünschen aber, daß ein Jeder von euch.“Groß ist seine Liebe, und er ist für Groß undKlein gleichmäßig besorgt. Alle kennt er undläßt Keinen ausser Acht, sondern offenbart<strong>die</strong> gleiche Sorge für Alle und erweist Allen<strong>die</strong> gleiche Ehre, weßhalb er ihnen auch sosehr zusprach, seine scharfe Rede nicht übelzu nehmen. „Daß ihr nicht träge werdet;“ <strong>den</strong>ngleichwie <strong>die</strong> Unthätigkeit dem Leibeschadet, so macht auch <strong>die</strong> Verabsäumungguter Werke <strong>die</strong> Seele schlaff und kraftlos.„Nachahmung Derer,“ sagt er, „welche durchGlauben und Geduld Erben der Verheissungengewor<strong>den</strong> sind.“ Und welche Diese seien, sagter im Folgen<strong>den</strong>. Früher sagte er: „Ahmetdas eigene Gute nach, was ihr vordemgeth<strong>an</strong>!“ Damit sie aber nicht fragen könnten:Welches <strong>den</strong>n? führt er sie zum Patriarchenund stellt ihnen <strong>die</strong> Beispiele ihrer eigenenThaten vor Augen, und in Bezug auf <strong>die</strong>Meinung, als seien sie verla<strong>den</strong>, stellt erihnen <strong>den</strong> Patriarchen als Beispiel hin. Dießthut er aber, damit sie nicht sagen könnten,unbeachtet und verachtet seien sie verlassen,sondern <strong>die</strong> Überzeugung gewännen, daßgerade Dieß das Loos der tüchtigsten Männersei, daß nämlich ihr Lebensweg vonPrüfungen begleitet werde, und daß Gottbewunderungswürdige und große Männer


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>auf <strong>die</strong>se Weise beh<strong>an</strong>dle; - aber m<strong>an</strong> muß,sagt er, Alles mit Starkmuth ertragen; <strong>den</strong>nDas heißt auch glauben. Wenn ich aber eineGabe verspreche, und du empfängst siesogleich, wo ist da dein Glaube? Hier ist<strong>die</strong>selbe nicht das Ver<strong>die</strong>nst deinesGlaubens, sondern sie kommt von mir, derich dem Versprechen fast zuvorkam undsolches erfüllte. Wenn ich aber ein Geschenkverspreche und sage, daß ich dasselbe nachhundert Jahren geben werde, du aber <strong>die</strong>Hoffnung nicht aufgibst, d<strong>an</strong>n hältst du michfür glaubwürdig, d<strong>an</strong>n hast du von mir <strong>die</strong>geziemende Meinung. Siehst du, daßoft nicht allein der M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> Hoffnung <strong>den</strong>Unglauben erzeugt, sondern daß derselbeaus einem schwachen Geiste und ausKleinmuth entspringt, keineswegs aber vonDem herrührt, der das Versprechen gegeben:„Denn Gott,“ heißt es, „ist nicht ungerecht,daß er vergessen sollte eueres Thuns und derLiebe, <strong>die</strong> ihr gegen seinen Namen bewiesen,da ihr <strong>den</strong> Heiligen <strong>die</strong>ntet und <strong>die</strong>net.“ Errühmt Großes von ihnen, nicht allein ihreWerke, sondern auch daß sie <strong>die</strong>selben mitEifer vollbracht, was er auch <strong>an</strong>derwärtssagt: „Nicht aber nur ..., sondern auch sichselbst gaben sie dem Herrn und uns.“ 258 „Dieihr,“ heißt es, „gegen seinen Namenbewiesen habt, da ihr <strong>den</strong> Heiligen <strong>die</strong>ntetund <strong>die</strong>net.“ Siehst du, wie er sie wiederumhebt, indem er <strong>die</strong> Worte hinzufügt: „und<strong>die</strong>net“? Auch jetzt noch, sagt er, „<strong>die</strong>netihr“, um sie aufzurichten und zu zeigen, daßsie, was sie geth<strong>an</strong>, nicht Jenen, sondern Gotterwiesen haben. „Die ihr bewiesen habt,“sagt er, nicht allein gegen <strong>die</strong> Heiligen,sondern gegen Gott; <strong>den</strong>n Das heissen <strong>die</strong>Worte: „gegen seinen Namen,“ als ob ersagte: Seines Namens wegen habt ihr Allesgeth<strong>an</strong>. Der daher solchen Eifer und solcheLiebe von euch erfährt, wird euch nichtverachten und nicht vergessen.258 vgl. 2 Kor 8,586IV.Da wir Das hören, wollen wir, ich bitte euch,<strong>den</strong> Heiligen <strong>die</strong>nen; <strong>den</strong>n jeder Gläubige istheilig, insofern er gläubig ist, und lebt erauch in der Welt, so ist er doch heilig. „Dennder ungläubige M<strong>an</strong>n,“ heißt es, „ist geheiligtdurch das gläubige Weib, und dasungläubige Weib durch <strong>den</strong> gläubigenM<strong>an</strong>n.“ 259 Siehe, wie der Glaube <strong>die</strong>Heiligkeit wirkt! Wenn wir daher Jem<strong>an</strong><strong>den</strong>in der Welt in Noth sehen, wollen wir ihm<strong>die</strong> H<strong>an</strong>d reichen und uns nicht nur umDiejenigen kümmern, <strong>die</strong> auf <strong>den</strong> Bergenwohnen; <strong>den</strong>n heilig sind Diese durchW<strong>an</strong>del und Glauben, heilig aberauch Jene durch ihren Glauben, oft auchdurch ihren W<strong>an</strong>del. Wenn wir einenEinsiedler im Gefängniß erblicken, sollen wirihn besuchen, aber auch in dasselbeeintreten, wenn wir darin einen Weltlichensehen; <strong>den</strong>n heilig ist auch Dieser undBruder. Wie aber, wenn er unrein undlasterhaft ist? Höre, was Christus spricht:„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtetwerdet.“ 260 Du h<strong>an</strong>dle aus Liebe zu Gott!Und was sage ich? Auch wenn wir einenHei<strong>den</strong> im Unglücke sehen, sollen wir ihmGutes thun, und <strong>über</strong>haupt allenUnglücklichen ohne Unterschied helfen,besonders aber dem Gläubigen, der in derWelt lebt. Höre, was Paulus spricht: „ThutGutes Allen, besonders aber <strong>den</strong>Glaubensgenossen!“ 261 Aber ich weiß nicht,woher Das gekommen und wie <strong>die</strong>seGewohnheit herrschend gewor<strong>den</strong>. Dennwer nur Diejenigen aufsucht, welche inEinö<strong>den</strong> leben, und nur Solchen Gutes thunwill und Diese wieder ängstlich aussuchtund spricht: Wenn er nicht würdig, wenn er259 1 Kor ,14 7260 Mt 7,1261 Gal 6,10


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nicht gerecht ist, wenn er nicht Zeichen thut,reiche ich ihm <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d nicht: der hat <strong>den</strong>besten Theil des Almosens weggenommenund wird <strong>die</strong>ses selbst mit der Zeit wiederg<strong>an</strong>z aufheben; und doch ist auch DasAlmosen, was m<strong>an</strong> <strong>den</strong> Sündern undschuldbela<strong>den</strong>en spendet; <strong>den</strong>n Almosen istDas: nicht Derer, <strong>die</strong> Gerechtigkeit geübt,sondern der Sünder sich erbarmen. Unddamit du dich davon <strong>über</strong>zeugest, höre, wasChristus in der Parabel spricht. Es ging einMensch, heißt es, von Jerusalem nach Jerichound fiel unter Räuber, und nachdem sie ihngeschlagen hatten, ließen sie ihn mit seinenWun<strong>den</strong> auf dem Wege halbtodt liegen.Zufällig kam ein Levit des Weges; er sah ihnund ging vor<strong>über</strong>. Auf gleiche Weise machtees auch ein Priester und eilte vorbei. Zuletztaber kam ein Samariter, und <strong>die</strong>ser machtesich große Sorge um ihn. Er verb<strong>an</strong>d seine Wun<strong>den</strong>, goß Öl hinein, hob ihn auf <strong>den</strong>Esel, führte ihn in <strong>die</strong> Herberge und befahldem Wirthe, für ihn zu sorgen. Undbetrachte <strong>die</strong> große Freigebigkeit! Ich werde,sagte er, dir erstatten, was du ausgibst.Darnach fragt er: Wer scheint dir nun derNächste von ihm gewesen zu sein? Und derGesetzlehrer, welcher sprach: Derjenige,welcher <strong>an</strong> ihm Barmherzigkeit geth<strong>an</strong> hat,hörte <strong>die</strong> Antwort: „Gehe hin und thuedeßgleichen!“ 262 Betrachte, welche Parabel ervortrug! Er sagte nicht, daß ein Jude gegeneinen Samariter also geh<strong>an</strong>delt, sondern daßein Samariter jene g<strong>an</strong>ze Freigebigkeit <strong>an</strong> <strong>den</strong>Tag gelegt habe. Daraus lernen wir, daß wirfür Alle gleichmäßig bedacht sein müssenund nicht nur für <strong>die</strong> Glaubensgenossensorgen, sondern auch <strong>die</strong> Frem<strong>den</strong> nichtvernachlässigen sollen. So mache auch du es,wenn du siehst, daß Jem<strong>an</strong>d leidet, undforsche nicht weiter nach; <strong>den</strong>n er hat einAnrecht auf Hilfe, da er von Lei<strong>den</strong>heimgesucht ist! Denn wenn du einen Esel262 Lk 10,30ff87siehst, der dem Ersticken nahe ist, richtest duihn auf und forschest nicht nach, wem ergehöre; um so mehr darf beim Menschennicht untersucht wer<strong>den</strong>, woher er ist; ergehört Gott <strong>an</strong>, sei er Heid’ oder Jude; wenner auch ein Ungläubiger ist, - er bedarf derHilfe. Wenn es dir befohlen wäre, zuforschen und zu urtheilen, dürftest du einesolche Sprache führen; nun aber läßt dasUnglück eine solche Sprache nicht zu. Dennwenn es nicht nöthig ist, bezüglich derGesun<strong>den</strong> zu untersuchen und sich umfremde Angelegenheiten zu kümmern, sollDieß noch viel weniger bei Unglücklichender Fall sein. Wie ist es aber, wenn sich <strong>die</strong>Sache <strong>an</strong>ders verhält? Du sahest ihn wohl(einst) in Wohlst<strong>an</strong>d und Ehren, weil dusagst: Er ist schlecht und verdorben? Nun ister heimgesucht von Lei<strong>den</strong>. Wenn du abereinen Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> siehst, so sage nicht, daß erschlecht sei. Denn steht er hoch in Ehren, sosagen wir Das mit Recht; ist er aber imUnglück und der Hilfe bedürftig, so ist es nicht nöthig, zu sagen, daß er böse ist,<strong>den</strong>n Das hieße grausam, unmenschlich undstolz sein. Was war ungerechter, sag’ <strong>an</strong>, als<strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>? Gott hat sie gestraft und zwar mitvollem Rechte gestraft; jedoch Diejenigen, <strong>die</strong>Mitleid mit ihnen hatten, nahm er auf, <strong>die</strong> sieaber verhöhnten, züchtigte er. „Siekümmerten sich nicht,“ heißt es, „um <strong>den</strong>Scha<strong>den</strong> Josephs.“ 263 Und wieder: „ErretteDiejenigen, <strong>die</strong> m<strong>an</strong> zum Tode führt, sparenicht!“ 264 Er sagt nicht: Forsche nach undsuche zu erfahren, wer er ist; obgleich <strong>die</strong>Meisten, <strong>die</strong> abgeführt wer<strong>den</strong>, böse sind, sosagt er doch einfach: Errette, wer immer ersei! Das ist vorzugsweise ein Almosen; <strong>den</strong>nwer einem Freunde wohlthut, h<strong>an</strong>delt nichtausschließlich aus Liebe zu Gott; wer abereinem Unbek<strong>an</strong>nten also begegnet, der thutes rein nur wegen Gott. Jener sagt: Spare (das263 Am 6,6; d.h. um das Verderben des israelitischen Staates und <strong>den</strong>kommen<strong>den</strong> Unterg<strong>an</strong>g264 Spr 24,11


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Geld) nicht, sondern gib, selbst wenn duAlles ausleeren müßtest; wir aber, wenn wirLeute sehen, <strong>die</strong> hinschmachten, <strong>die</strong> Thränenvergießen, <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> und oft ungerechteLei<strong>den</strong>, welche härter als tausendfacher Todsind, ertragen, - schonen das Geld, schonenaber nicht unsere Brüder. Für leblose Dingetragen wir Sorge, <strong>die</strong> Seele abervernachlässigen wir. Und doch befiehltPaulus, „mit Milde zurechtzuweisenDiejenigen, welche der Wahrheitwiderstreben; vielleicht,“ sagt er, „daß Gottihnen Buße verleiht, <strong>die</strong> Wahrheit zuerkennen, und sie wieder aus der Schlingedes Teufels zu sich kommen, von dem siegef<strong>an</strong>gen gehalten wer<strong>den</strong> nach seinemWillen.“ 265 Vielleicht sagt er. Siehst du, welcheFülle von Geduld <strong>die</strong>se Worte enthalten!Wenn wir ihm nachahmen, wer<strong>den</strong> wir <strong>an</strong>Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> verzweifeln; <strong>den</strong>n auch <strong>die</strong>Fischer werfen das Netz oft in’s Meer, ohneEtwas zu f<strong>an</strong>gen; später werfen sie dasselbewieder aus, und sie haben <strong>die</strong> Menge. Soverlieren auch wir <strong>die</strong> Hoffnung nicht, sondern vertrauen, daß ihr uns <strong>die</strong>reife Frucht beisammen zeigen werdet. Dennauch der L<strong>an</strong>dm<strong>an</strong>n, wenn er säet, wartet<strong>den</strong> ersten Tag und <strong>den</strong> zweiten undgeduldet sich längere Zeit; d<strong>an</strong>n aber sieht ernach allen Seiten <strong>die</strong> sprossende Frucht. DaßDieß auch bei euch der Fall sein möge, hoffenwir durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Elfte Homilie.I.265 2 Tim 2,25.268813. 14. 15. 16. Denn dem Abraham gab Gotteine Verheissung, und da er bei keinemGrößeren schwören konnte, schwur er beisich selbst und sprach: Wahrlich, sehr willich euch segnen, und sehr will ich euchmehren. Und da er geduldig so hoffte,erl<strong>an</strong>gte er das Verheißene. DennMenschen schwören bei dem Größeren, alssie sind, und der Eid, zur Bestätigunggeleistet, macht jedem Streit unter ihnenein Ende.Nachdem Paulus <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong> scharf<strong>an</strong>gelassen und ihnen eine heilsame Furchteingeflößt hatte, tröstet er sie zuerst durchBelobung, d<strong>an</strong>n aber, was noch wirksamerist, durch <strong>die</strong> Versicherung, daß sie dasErhoffte auch wirklich erl<strong>an</strong>gen wür<strong>den</strong>. DenTrost aber entnimmt er nicht der Gegenwart,sondern wieder der Verg<strong>an</strong>genheit, was sieauch mehr <strong>über</strong>zeugte; <strong>den</strong>n wie er in Bezugauf Bestrafung durch jene am meistenschreckt, so tröstet er auch durch <strong>die</strong>se inBetreff der Belohnungen, indem er GottesWeise zu h<strong>an</strong>deln zeigt; <strong>die</strong>se aber läßt dasVerheissene nicht gleich, sondern erst nachl<strong>an</strong>ger Zeit sich erfüllen. Dieß thut er aber, um ein glänzendes Zeugniß seinerMacht zu geben und uns zum Glauben zuführen, damit wir unter der Last einestrübseligen Lebens und noch nicht theilhaftigdes verheissenen Lohnes in <strong>den</strong> Arbeitennicht ermü<strong>den</strong>. Und obgleich er Viele<strong>an</strong>führen konnte, <strong>über</strong>geht er sie Alle undnennt bloß <strong>den</strong> Abraham, sowohl wegenseines persönlichen Ansehens, als auch weilsich <strong>die</strong> Erfüllung bei ihm amvollkommensten findet; obgleich er zu Endedes <strong>Brief</strong>es sagt, daß Diese alle <strong>die</strong>Verheissungen von ferne mit Verl<strong>an</strong>gengesehen, aber sie nicht erl<strong>an</strong>gt hätten, damitsie nicht ohne uns erfüllt wür<strong>den</strong>. „Denn demAbraham gab Gott eine Verheissung, und da erbei keinem Größeren schwören konnte, schwur erbei sich selbst und sprach: Wahrlich, sehr will ichdich segnen, und sehr will ich dich mehren. Und


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>da er geduldig so hoffte, erl<strong>an</strong>gte er dasVerheissene.“ Wie sagt er nun zu Ende: „Erhat <strong>die</strong> Verheissung nicht erhalten,“ 266 hieraber: „Da er geduldig so hoffte, erl<strong>an</strong>gte er dasVerheissene“? Wie hat er sie nicht erhalten?Wie hat er sie erl<strong>an</strong>gt? Er bespricht nicht<strong>die</strong>selbe Sache hier und dort, sondern erunterscheidet einen zweifachen Trost. DemAbraham gab er eine Verheissung, und waser ihm hier versprach, gab er ihm nachVerlauf einer geraumen Zeit, was er ihm aberdort verhieß, noch nicht: „Und so erl<strong>an</strong>gte erdas Verheissene, da er geduldig hoffte.“ Siehstdu, daß nicht <strong>die</strong> Verheissung allein, sondernauch <strong>die</strong> Geduld das G<strong>an</strong>ze bewirkte? Hierschreckt er sie, indem er zeigt, daß <strong>die</strong>Verheissung durch Kleinmuth verhindertwird, und Dieß weist er am Volke nach. Dasie kleinmüthig waren, wur<strong>den</strong> sie derVerheissung gar nicht theilhaftig. DasGegentheil zeigt er <strong>an</strong> Abraham. Zu Endethut er noch Etwas mehr; er zeigt, daß sieauch bei geduldigem Hoffen nicht theilhaftig gewor<strong>den</strong>, und auch so wer<strong>den</strong> sienicht mit Trauer erfüllt. - „Denn Menschenschwören bei dem Größeren, als sie sind, und derEid, zur Bestätigung geleistet, macht jedem Streitunter ihnen ein Ende. Da aber Gott bei keinemGrößeren schwören konnte, schwur er bei sichselbst.“ Recht! Wer hat nun dem Abrahamgeschworen? Nicht der Sohn? Nein, heißt es.Woher sprichst du Dieses? Gerade er selbst;jedoch ich streite nicht. Wenn er nun<strong>den</strong>selben Eid schwört: „Wahrlich, wahrlich,ich sage euch!“ geschieht Das nicht offenbardarum, weil er keinen Größeren hatte, beidem er schwören konnte? Denn wie derVater geschworen, so schwört auch der Sohnbei sich selbst in <strong>den</strong> Worten: „Wahrlich,wahrlich, ich sage euch.“ Hier erinnert er sie<strong>an</strong> <strong>die</strong> Eide, <strong>die</strong> Christus beständiggebrauchte: „wahrlich, wahrlich, ich sage dir,wer <strong>an</strong> mich glaubt, wird in Ewigkeit nichtsterben!“ 267 Was heissen <strong>die</strong> Worte: „Und derEid, zur Bestätigung geleistet, macht jedem Streitein Ende“? So viel als: dadurch findet jederZwiespalt seine Lösung, nicht <strong>die</strong>ser oderjener, sondern jeder, wiewohl m<strong>an</strong> auch ohneEid Gott glauben soll.17. Deßwegen hat Gott, um <strong>den</strong> Erben derVerheissung <strong>über</strong>schwenglich <strong>die</strong>Unw<strong>an</strong>delbarkeit seines Rathschlusses zuzeigen, einen Eid beigefügt.Hier umfaßt er auch <strong>die</strong> Gläubigen, weßhalber ebenfalls <strong>an</strong> <strong>die</strong> Verheissung erinnert,welche uns gemeinsam gewor<strong>den</strong>. „Er hateinen Eid,“ sagt er, „beigefügt.“ Hier sagt erwieder, daß der Sohn der Mittler zwischenGott und <strong>den</strong> Menschen gewor<strong>den</strong> sei. 18. Damit wir durch zwei unw<strong>an</strong>delbareDinge, wobei Gott unmöglich lügen k<strong>an</strong>n...Durch welche (zwei Dinge)? Durch das Wortder Verheissung und durch <strong>den</strong> derVerheissung beigefügten Eid. Denn dabei<strong>den</strong> Menschen Das, was durch einen Eidbekräftiget wird, glaubwürdiger erscheint,hat auch er einen solchen beigefügt.II.Siehst du, wie er auf seine eigene Würdekeine Rücksicht nimmt, sondern nur <strong>die</strong>Menschen <strong>über</strong>zeugen will und sogarUnwürdiges von sich aussagen läßt? Weil ereben volles Genügen leisten will. Und inBezug auf Abraham zeigt er, daß Gott, nichtdas geduldige Hoffen Jenes, Alles geth<strong>an</strong> hat,da er ja einen Eid hinzutreten ließ; - wienämlich <strong>die</strong> Menschen, so schwur auch Gottbei Einem, nämlich bei sich selbst. Jene aberschwören bei einem Größeren, Dieser abernicht, und <strong>den</strong>noch schwur er. Und wohlverschie<strong>den</strong> ist der Schwur des Menschen beisich selbst und der Schwur Gottes; <strong>den</strong>n der266 Hebr 11,39 - steht der Plural: οὐϰ ἐϰομίσαντο89267 Joh 11,26


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Mensch ist nicht sein eigener Herr. Siehst du,daß <strong>die</strong>se Worte nicht so fast für Abrahamals für uns gelten? „Damit wir einen festenTrost haben, wir, <strong>die</strong> da eilen, <strong>die</strong> <strong>an</strong>geboteneHoffnung festzuhalten.“ Auch hier wiedererl<strong>an</strong>gte er durch ausharrende Geduld <strong>die</strong>Verheissung. Jetzt, sagt er; und er sagt nicht:weil er geschworen. Was der Eid ist, zeigt erin <strong>den</strong> Worten: „bei einem Größerenschworen.“ Allein da das menschlicheGeschlecht ungläubig ist, läßt er sich zu Demherab, was bei uns geschieht. Wie er nununsertwegen schwört, so wäre es auchungeziemend, ihm nicht zu glauben. Ebensoin <strong>den</strong> Worten: „Er hat gelernt aus Dem, waser gelitten,“ 268 weil <strong>die</strong> Menschen Das, wasaus der Erfahrung geschöpft ist, fürglaubwürdiger halten. Was heißt Das:„<strong>an</strong>gebotene Hoffnung“? Daraus, willer sagen, schließen wir auf <strong>die</strong> Zukunft; <strong>den</strong>nwenn Solches nach so l<strong>an</strong>ger Zeit geschah, sowird auch Jenes g<strong>an</strong>z und gar erfüllt wer<strong>den</strong>,so daß, was bei Abraham geschehen, auchuns für <strong>die</strong> Zukunft mit Hoffnung erfüllt.19. 20. Welche ein sicherer und fester Ankerfür unsere Seele ist, der bis in’s Innere desVorh<strong>an</strong>ges hineingeht, wohin als Vorläuferfür uns eingeg<strong>an</strong>gen ist Jesus, welcher nachder Weise des Melchisedech Hoherpriestergewor<strong>den</strong> ist auf ewig.Obgleich wir noch in <strong>die</strong>ser Welt weilen undnoch nicht aus <strong>die</strong>sem Leben geschie<strong>den</strong>sind, sind wir doch schon, wie er zeigt, inDem, was verheissen ist; <strong>den</strong>n durch <strong>die</strong>Hoffnung sind wir schon im Himmel. Ersagt: Wartet! <strong>die</strong> Erfüllung wird sicherkommen. Um vollständig zu re<strong>den</strong>, spricht erd<strong>an</strong>n: Noch mehr; durch <strong>die</strong> Hoffnung seidihr schon im Besitze. Er sagt nicht: Wir sinddrinnen, sondern: Sie ist hineingeg<strong>an</strong>gen,was mehr der Wahrheit gemäß und<strong>über</strong>zeugender war. Denn wie der am Schiffehängende Anker nicht zuläßt, daß es, wennauch zahllose Winde brausen, hin und hergetrieben werde, sondern es festhält, so stehtes auch mit der Hoffnung. Betrachte, welchgelungenes Bild er gefun<strong>den</strong>! Er sagt nicht:Fundament, was nicht sehr gepaßt hätte,sondern: „Anker“. Denn was aufschw<strong>an</strong>kender See ist und so nicht recht festzu sein scheint, hat, wozu sonst <strong>die</strong> Erde<strong>die</strong>nt, das Meer zur Unterlage und schw<strong>an</strong>ktmehr oder weniger. 269 Von Denen, welchemit Stärke und Weisheit ausgerüstet sind,spricht Christus passend in jenen Worten:„Der sein Haus auf <strong>den</strong> Felsen gebauthat;“ 270 in Bezug auf <strong>die</strong> Schwachen aber,und <strong>die</strong> noch von der Hoffnung getragenwer<strong>den</strong> müssen, hat Paulus <strong>die</strong>se seineWorte sehr treffend gebraucht. Denn derSturm und ein arges Unwetter erschütterndas Fahrzeug; <strong>die</strong> Hoffnung aber läßt es nichtumhergetrieben wer<strong>den</strong>, wenn es auchtausend Winde umbrausen. Wenn wir daher<strong>die</strong>se nicht hätten, wären wir längst schon zuGrunde geg<strong>an</strong>gen. Aber nicht nur in Dem,was <strong>die</strong> Seele betrifft, sondern auch in <strong>den</strong>Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens k<strong>an</strong>nm<strong>an</strong> sich von ihrer gewaltigen Kraft<strong>über</strong>zeugen, so z. B. im H<strong>an</strong>del, beimAckerbau, im Kriegswesen; <strong>den</strong>n hätte m<strong>an</strong><strong>die</strong>se nicht alsbald vor Augen, so würde m<strong>an</strong>schwerlich irgend ein Werk unternehmen. Ersagt aber nicht einfach: „Anker“, sondern:„sicherer und fester Anker,“ um <strong>an</strong>zuzeigen,daß Diejenigen, welche sich dar<strong>an</strong> halten,zuverlässig zum Heile gel<strong>an</strong>gen; darum fügter hinzu: „Der bis in’s Innere des Vorg<strong>an</strong>geshineingeht.“ Was heißt Das? So viel als: derbis in <strong>den</strong> Himmel reicht. D<strong>an</strong>n fügt er auch<strong>den</strong> Glauben hinzu, damit <strong>die</strong> Hoffnung einesolche in voller Wahrheit sei; <strong>den</strong>n nach demEide setzt er noch ein Anderes, nämlich <strong>den</strong>Beweis, der durch <strong>die</strong> Thaten spricht, daßJesus für uns als Vorläufer eingeg<strong>an</strong>gen ist.268 Hebr 5,890269 Σαλεύετ ι ϰαὶ οὺ σαλεύεται = schw<strong>an</strong>kt und schw<strong>an</strong>kt nichtα270 Mt 7,24


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Der Vorläufer ist aber ein solcher für Leute(τινῶν), wie <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> der Vorläufer Christiwar. Und er sagt nicht einfach: Er isteingeg<strong>an</strong>gen, sondern: „Wohin er als Vorläuferfür uns eingeg<strong>an</strong>gen ist,“ da auch wir dorthingel<strong>an</strong>gen sollen. Zwischen dem Vorläuferund Denen, <strong>die</strong> folgen, darf kein großerZwischenraum sein, da er sonst nichtVorläufer wäre. Denn der Vorläufer und <strong>die</strong>Nachfolger müssen sich auf demselben Wegebefin<strong>den</strong>; der Vorläufer muß <strong>den</strong> Weg<strong>an</strong>treten, <strong>die</strong> Andern ihm folgen. - „Welchernach der Weise des Melchisedech Hoherpriestergewor<strong>den</strong> ist auf ewig.“ Siehe, noch ein <strong>an</strong>derer Trost, da er ja droben unserHoherpriester und viel besser ist, als <strong>die</strong> derJu<strong>den</strong> sind, sowohl durch <strong>die</strong> Weise wiedurch <strong>den</strong> Ort, das Zelt, <strong>den</strong> Bund und <strong>die</strong>Person. Und auch Dieß ist in Bezug auf <strong>die</strong>Menschheit gesprochen.III.Es ist daher auch nothwendig, daßDiejenigen, deren Priester er ist, viel besserseien, und wie zwischen Aaron und Christusein großer Unterschied ist, auch zwischenuns und <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> ein solcher sich finde.Denn siehe! Droben haben wir das Opfer,droben <strong>den</strong> Priester. Bringen wir dahersolche Opfer, welche auf jenem Altaredargebracht wer<strong>den</strong> können; nicht Schafeund Rinder, nicht Blut und Fettdampf; <strong>den</strong>nalle <strong>die</strong>se haben aufgehört, und <strong>an</strong> ihre Stelletrat ein vernünftiger Gottes<strong>die</strong>nst. Welchesist aber ein vernünftiger Gottes<strong>die</strong>nst? Derdurch <strong>die</strong> Seelen durch <strong>den</strong> Geist(dargebracht) wird; „<strong>den</strong>n Gott,“ heißt es,„ist ein Geist, und <strong>die</strong> ihn <strong>an</strong>beten, müssenihn im Geiste und in der Wahrheit<strong>an</strong>beten,“ 271 wobei kein Leib, wobei keineWerkzeuge, wobei keine Orte nothwendig271 Joh 4,2491sind. Solche (Gott wohlgefällige) Opfer abersind: Beschei<strong>den</strong>heit, Mäßigkeit, Almosen,Geduld, L<strong>an</strong>gmuth, Demuth. Diese Opferk<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch im alten Bunde von früherher verzeichnet fin<strong>den</strong>. „Opfert,“ sagt David,„ein Opfer der Gerechtigkeit;“ 272 und wieder:„Ich will dir opfern ein Opfern des Lobes;“ 273und: „Ein Lobopfer wird mich ehren;“ 274und: „Ein Opfer vor Gott ist ein betrübterGeist;“ 275 d<strong>an</strong>n: „Was fordert der Herr vondir, als nur daß du ihn hörest?“ 276 „AnBr<strong>an</strong>dopfern für <strong>die</strong> Sünde wirst du keinGefallen haben.“ 277 „Da sprach ich, siehe, ichkomme, deinen Willen zu erfüllen;“ 278 undwieder: „Was bringt ihr mirWeihrauch von Saba?“ 279 Und: „Thue wegvon mir <strong>den</strong> Lärm deiner Lieder, und deinGeleier will ich nicht hören; 280 <strong>den</strong>nBarmherzigkeit will ich und nicht Opfer.“ 281Siehst du, <strong>an</strong> welchen Opfern sich Gottergötzt? Siehst du, daß jene schon in uraltenZeiten best<strong>an</strong><strong>den</strong>, <strong>die</strong>se aber ihren Platzeingenommen? Diese sollen wir alsodarbringen; <strong>den</strong>n jene kommen vomReichthum und von Denen, <strong>die</strong> solchenbesitzen, <strong>die</strong>se aber entstammen der Tugend;jene sind äusserlich, <strong>die</strong>se aber innerlich; jenek<strong>an</strong>n Jeder, <strong>die</strong>se aber können nur Wenigewirken. In jenem Maaße, in welchem derMensch ein Schaf <strong>über</strong>trifft, in demselben hat<strong>die</strong>ses Opfer <strong>den</strong> Vorzug vor jenem; <strong>den</strong>nhier bringst du <strong>die</strong> Seele zum Opfer. Es gibtaber auch noch <strong>an</strong>dere Opfer, welche inWahrheit Br<strong>an</strong>dopfer sind, nämlich <strong>die</strong>Leiber der heiligen Märtyrer; da sind Seeleund Leib heilig; <strong>die</strong>se duften einen großenWohlgeruch aus. Auch du k<strong>an</strong>nst, wenn duwillst, ein solches Opfer darbringen. Was soll272 Ps 4,6273 Ps 115,17274 Ps 49,23275 Ps 50,19276 Mi 6,8277 Ps 50,18278 Ps 39,8279 Jer 6,20280 Am 5, 23281 Os 6,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Das, wenn du auch deinen Leib nicht imFeuer verbrennst? Du k<strong>an</strong>nst Das durch ein<strong>an</strong>deres Feuer erreichen, z. B. durch dasFeuer der freiwilligen Armuth, durch das derTrübsal. Denn wenn es uns freisteht, inErgötzlichkeit und Pracht zu leben, und wirdoch lieber ein mühevolles und bitteresLeben wählen und <strong>den</strong> Leib abtödten, ist Daskein Br<strong>an</strong>dopfer? Er tödte deinen Leib undkreuzige ihn, und auch du wirst <strong>die</strong> Krone<strong>die</strong>ses Marterthums empf<strong>an</strong>gen; <strong>den</strong>n wasdort das Schwert leistet, Das soll hier derEifer bewirken. Es brenne und feßle nichtGeldgier, sondern <strong>die</strong>se häßlicheLei<strong>den</strong>schaft werde verbr<strong>an</strong>nt undausgerottet durch das geistige Feuer; siewerde zerhauen durch das Schwert desheiligen Geistes. Dieß ist ein schönes Opfer,das keines Priesters, sondern nur Dessenbedarf, der es darbringt; ein herrliches Opfer,das hienie<strong>den</strong> dargebracht wird, aber schnellaufwärts steigt. Wundern wir uns nicht, daßehedem herniedersteigendes Feuer Alles verzehrte? Auch jetzt k<strong>an</strong>n Feuer, dasviel bewunderungswürdiger ist als jenes,herabkommen und Alles, was da ist,verzehren oder vielmehr nicht verzehren,sondern in <strong>den</strong> Himmel hinauftragen; <strong>den</strong>n<strong>die</strong>ses Feuer verw<strong>an</strong>delt <strong>die</strong> Gaben nicht inAsche, sondern trägt sie vor Gott. So waren<strong>die</strong> Opfergaben des Cornelius beschaffen.„Denn deine Gebete und deine Almosen sindemporgestiegen zum An<strong>den</strong>ken vor Gott.“ 282Siehst du <strong>die</strong> schönste Vereinigung? D<strong>an</strong>nwer<strong>den</strong> wir erhört, wenn wir <strong>den</strong> Armen, <strong>die</strong>zu uns kommen, unser Ohr nichtverschließen. „Wer sein Ohr,“ heißt es, „vordem Schreien der Armen verstopft, der wirdauch rufen, aber nicht erhört wer<strong>den</strong>.“ 283„Selig ist, der des Armen und Dürftigenge<strong>den</strong>kt; am Tage des Unglückes wird ihnerretten der Herr.“ 284 Dieser Tag ist kein282 Apg 10,4283 Spr 21, 13284 Ps 40,292<strong>an</strong>derer als jener, welcher für <strong>die</strong> Sünder einTag des Unglückes wird.Was bedeuten <strong>die</strong> Worte: „welcherge<strong>den</strong>kt“? Welcher erwägt, was der Arme ist,und dessen Armseligkeit kennen lernt; <strong>den</strong>nwer dessen Noth kennen gelernt, wird sichgewiß auch schnell seiner erbarmen. Wenndu einen Armen siehst, eile nicht <strong>an</strong> ihmvor<strong>über</strong>, sondern be<strong>den</strong>ke gleich, wer duwärest, wenn du dich <strong>an</strong> seiner Stellebefändest; - was würdest du nicht wünschen,daß Alle thäten? „Der ge<strong>den</strong>ket,“ heißt es.Be<strong>den</strong>ke, daß er frei ist wie du und mit dirdasselbe Herkommen und Alles gemein hat;und doch hältst du <strong>die</strong>sen, welcher dir inNichts nachsteht, oft nicht einmal deinenHun<strong>den</strong> gleich; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se wer<strong>den</strong> mit Brodgesättigt, jener geht oft hungerig schlafen,und der da frei ist, findet weniger Rücksichtals deine Sklaven. Aber <strong>die</strong>se besorgen unserGeschäft, sagt m<strong>an</strong>. Sage mir, was <strong>den</strong>n füreines? Verrichten sie dir pünktlich <strong>die</strong>Dienste? Wenn ich dir aber zeige, daß dir derArme einen viel größeren Nutzenbringen wird als jene, was wirst du d<strong>an</strong>nsagen? Denn er wird dir am Tage desGerichtes beistehen und dich aus dem Feuererretten. Was Derartiges leisten dir deinesämmtlichen Sklaven? Als <strong>die</strong> Tabitha 285gestorben war, wer hat sie wiederauferweckt? <strong>die</strong> sie umstehen<strong>den</strong> Sklavenoder <strong>die</strong> Bettler? Du aber willst nicht einmalDen, der frei ist, <strong>den</strong> Sklaven gleich halten.Es ist große Kälte, und auf dem Bo<strong>den</strong> liegtder Arme in Lumpen gehüllt, halbtodt vorFrost, und klappert mit <strong>den</strong> Zähnen, und seinAnblick und seine Haltung müssen zur Hilfestimmen, - du aber gehst wohlgewärmt undweinselig vor<strong>über</strong>; und wie k<strong>an</strong>nst duerwarten, daß Gott dich aus dem Unglückerretten werde? Oft sagst du auch: Wenn ichin dem Falle wäre und Einen bekäme, derVieles verbrochen hat, so würde ich ihn285 Apg 10


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>loslassen, - und Gott schont nicht. Rede dochnicht so; <strong>den</strong>n du verachtest ja Den, welchergegen dich in Nichts gefehlt hat und <strong>den</strong> dufrei machen könntest. Wenn aber du gegeneinen Solchen trügerisch vorgehst, wie wirdGott dir verzeihen, der du ihm gegen<strong>über</strong> einSünder bist? Ver<strong>die</strong>nt Das nicht <strong>die</strong> Hölle?Und was Wunder? Einen Leib, der oft schontodt und ohne Gefühl ist und von der Ehregar Nichts mehr merkt, schmückst du mitunzähligen bunten und goldgesticktenGewändern; jenen (Leib) aber, der vonSchmerz erschöpft und von Hunger undFrost gemartert und zu Bo<strong>den</strong> gestreckt ist,beachtest du nicht und erweisest dich derEitelkeit freigebiger als der Furcht Gottes.Und wenn es nur so weit käme! Aber sobalder sich naht, kommst du mit Klagen. Warum,heißt es, arbeitet er nicht? Warum lebt er imMüßigg<strong>an</strong>g? Aber sage mir: Hast du, was dubesitzest, durch Arbeit erworben, oder ist esväterliches Erbe? Wenn du auch arbeitest,warum machst du einem AnderenVorwürfe? Hörst du nicht, was Paulusspricht? Denn nachdem er gesagt hatte: „Wernicht arbeitet, soll auch nicht essen,“fügt er bei: „Ihr aber werdet nicht müde,Gutes zu thun.“ 286 Aber du sagst: Er ist einBetrüger.IV.Was sagst du, o Mensch? Eines Brodes undeines Kleides wegen nennst du ihn einenBetrüger? Aber er verkauft es gleich, sagtm<strong>an</strong>. Verwaltest <strong>den</strong>n du Alles, was dein ist,gut? Wie aber, sind <strong>den</strong>n Alle durchMüssigg<strong>an</strong>g und Niem<strong>an</strong>d durchSchiffbruch, durch <strong>die</strong> Gerichte, oder durchDiebstahl, durch Gefahren, durchKr<strong>an</strong>kheiten oder durch einen <strong>an</strong>derenUmst<strong>an</strong>d arm gewor<strong>den</strong>? Wenn wir aber286 2 Thess 10,1393hören, daß Jem<strong>an</strong>d Solches mit lauter Stimmebeweint, indem er nackt, mit l<strong>an</strong>gen Haarenund in Lumpen gehüllt zum Himmel schaut,so nennen wir ihn auf der Stelle einenBetrüger, einen Heuchler, einen Versteller.Schämst du dich nicht? Wen nennst du einenBetrüger? Du gibst Nichts, darum verschoneauch <strong>den</strong> Menschen mit deinenSchmähre<strong>den</strong>! Er hat genug, heißt es, undverstellt sich. Diese Anklage trifft dich undnicht ihn. Er weiß, daß er es mit derGrausamkeit, mehr mit Thieren als mitMenschen zu thun hat, und daß er, wenn erauch Worte gebraucht, <strong>die</strong> zum Erbarmenstimmen könnten, doch Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> <strong>an</strong>zieht;und darum ist er gezwungen, eine Gestalt<strong>an</strong>zunehmen, <strong>die</strong> mehr Erbarmen einflößt,um dein Herz zu erweichen. Sehen wirJem<strong>an</strong><strong>den</strong> in der Haltung eines Freien zu unskommen, so heißt es: Der ist ein Betrüger;und doch kommt er so, damit er von guterHerkunft zu sein scheine; - sehen wir ihn ineiner <strong>an</strong>deren Haltung, so tadeln wir ihnwieder. Was sollen sie nun machen? O derGrausamkeit! O der Wildheit! Warum, sagtm<strong>an</strong>, zeigen sie <strong>die</strong> verstümmelten Glieder?Deinetwegen. Denn wenn wir barmherzigwären, hatten sie <strong>die</strong>se Künste nicht nöthig;wenn wir sie, sobald sie zu uns gekommen,erhört hätten, brauchten sie nicht zu solchenMitteln ihre Zuflucht zu nehmen. Wer ist so elend, daß er also aufschreien, insolcher Häßlichkeit auftreten, öffentlich miteinem nackten Weibe weheklagen, mit <strong>den</strong>Kindern sich Asche aufstreuen wollte? IstDas nicht ärger als jegliche Armuth? Aberdarum versagen wir ihnen nicht nurjedwedes Erbarmen, sondern sie erfahrennoch unsern Tadel. Sollen wir nunungehalten sein, daß wir, wenn wir zu Gottstehen, nicht erhört wer<strong>den</strong>? Sollen wirunwillig sein, daß wir mit unseren BittenNichts ausrichten? Erschaudern wir nicht,Geliebte? Ja, ich habe schon oft gegeben, sagtm<strong>an</strong>. Genießest du aber nicht selber


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>fortwährend Speise? Und <strong>die</strong> Kinder, <strong>die</strong> oftbetteln kommen, weisest du ab? O derUnverschämtheit. Den Armen nennst duschamlos? Du aber, der du fremdes Gut <strong>an</strong>dich reissest, bist nicht unverschämt? Jeneraber der um Brod fleht, sollte es sein? Kennstdu nicht <strong>den</strong> Nothzw<strong>an</strong>g des Hungers? Istnicht <strong>die</strong>ser <strong>die</strong> Triebfeder all deinesWirkens? Ist nicht er <strong>die</strong> Ursache, daß dasGeistige von dir vernachlässigt wird? Liegtnicht der Himmel vor dir und des HimmelsHerrlichkeit? Du aber, erträgst du nicht Allesvor jener Tyr<strong>an</strong>nei des Hungers undverabsäumst, was des Geistes ist? Das istUnverschämtheit. Siehst du nichtverstümmelte Greise? Aber, o der Albernheit.Dieser, sagt m<strong>an</strong>, hat so viele Goldstücke aufZinsen, Jener aber so viele und geht betteln.Ihr schwatzt Kindermärchen und Possen;<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Kinder hören solches Geplaudervon der Amme. Ich nehme Das durchausnicht <strong>an</strong> und glaube es nicht. Es legt Jem<strong>an</strong>dGeld aus Zinsen aus, und indem er Überflußhat, geht er betteln? Sage mir, warum? Wasist <strong>den</strong>n häßlicher als betteln? Es ist jaerträglicher, zu sterben als zu betteln. Wiel<strong>an</strong>ge noch wollen wir gefühllos bleiben? Wieaber? Haben <strong>den</strong>n Alle ihr Geld auf Zinsausgelegt? Sind <strong>den</strong>n Alle Betrüger? Ist <strong>den</strong>nNiem<strong>an</strong>d in der That arm? Ja, heißt es, undzwar Viele. Warum trägst du nicht Sorge fürDiese, da du ihr Leben einer so scharfenPrüfung unterziehst? Das ist nur Vorw<strong>an</strong>dund Ausrede. Jedem, der dich <strong>an</strong>fleht, gib,und Den, welcher von dir leihen will, weise nicht ab! Strecke deine H<strong>an</strong>d aus undverkürze sie nicht. Wir sind nicht bestellt,<strong>den</strong> Lebensw<strong>an</strong>del zu prüfen; so wür<strong>den</strong> wiruns <strong>über</strong> keinen Menschen erbarmen.Warum sprichst du, wenn du zu Gott flehst:Ge<strong>den</strong>ke nicht meiner Sün<strong>den</strong>? Dieß erwägeauch bei dem Armen, und wenn er auch eingroßer Sünder wäre, ge<strong>den</strong>ke nicht seinerFehler. Jetzt ist <strong>die</strong> Zeit der Milde, nicht derstrengen Prüfung; das Erbarmens und nicht94der Rechenschaft. Er will Nahrung haben;wenn du willst, so gib sie ihm; bist du aberdazu nicht geneigt, so laß ihn gehen underlaube dir keine Muthmaßungen <strong>über</strong> <strong>den</strong>Grund seines Unglückes und seines Elendes!Warum hast du mit ihm kein Erbarmen undhältst noch Diejenigen ab, <strong>die</strong> es thunmöchten? Denn hört Jem<strong>an</strong>d von dir, Diesersei ein Betrüger, Jener ein Heuchler, Der einWucherer, so gibt er weder Diesen nochJenen; <strong>den</strong>n er argwöhnt, daß Alle so seien.Denn ihr wisset, daß wir in Bezug auf dasBöse leicht schlimmen Verdacht schöpfen, inBetreff des Guten aber nicht also. Seien wirbarmherzig, nicht obenhin, sondern wieunser himmlischer Vater; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>ser ernährtEhebrecher, Hurer und Betrüger, und wassage ich? Diejenigen, <strong>die</strong> das Bild jeglichenLasters <strong>an</strong> sich tragen; <strong>den</strong>n in einer sogroßen Welt müssen sich nothwendig Vielevon solcher Beschaffenheit fin<strong>den</strong>; aber<strong>den</strong>noch nährt er sie alle und kleidet sie alle;Keiner ist noch vor Hunger gestorben, es sei<strong>den</strong>n aus freier Entschließung. Seien wir alsobarmherzig; und wenn Jem<strong>an</strong>d in der Nothum Hilfe steht, unterstütze ihn. Jetzt sind wiraber im Unsinn so weit gekommen, daß wirnicht nur <strong>die</strong> Armen, <strong>die</strong> auf <strong>den</strong> Straßengehen, sondern auch <strong>die</strong> Einsiedler alsobeh<strong>an</strong>deln. Dieser oder Jener, sagt m<strong>an</strong>, istein Betrüger. Habe ich nicht früher gesagt,daß wir, falls wir Allen ohne Unterschiedgeben, immer barmherzig sein wer<strong>den</strong>, wennwir aber nachzuforschen beginnen, unserErbarmen nach allen Seiten in’s Stockengeräth? Was sagst du? Um Brod zu erhalten,ist er ein Betrüger? Würde er Talente Goldesoder Silbers oder kostbare Kleider oderSklaven oder sonst Etwas fordern, so dürstem<strong>an</strong> Diesen einen Betrüger nennen;da er aber Nichts der Art verl<strong>an</strong>gt, sondernNahrung und Bedeckung, <strong>die</strong> zum Lebengehören, ist hier, sag’ <strong>an</strong>, der Betrügerersichtlich? Lassen wir ab von <strong>die</strong>serunzeitigen, sat<strong>an</strong>ischen und verderblichen


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Spürsucht! Sollte er aber sagen, er gehöredem Klerus oder dem Priesterst<strong>an</strong>de <strong>an</strong>, soforsche sorgfältig nach; <strong>den</strong>n da ist eineunerforschte Gemeinschaft nicht ohneGefahr; <strong>den</strong>n wo es sich um Großes h<strong>an</strong>delt,ist Gefahr vorh<strong>an</strong><strong>den</strong>; wenn er sich aberNahrung erbittet, untersuche nicht weiter;<strong>den</strong>n du gibst nicht, sondern empfängst! Daserforsche, wenn du willst, wie Abrahamgegen Alle, <strong>die</strong> zu ihm kamen, <strong>die</strong>Gastfreundschaft zeigte. Hätte er sich beiDenen, welche zu ihm ihre Zufluchtgenommen, auf’s Spüren verlegt. so hätten er<strong>die</strong> Engel wohl nicht aufgenommen; <strong>den</strong>nvielleicht hätte er nicht geglaubt, daß esEngel seien, und hätte mit <strong>den</strong> Anderen auchsie fortgewiesen; da er aber Alle aufnahm,hat er auch <strong>die</strong> Engel aufgenommen. Gibt<strong>den</strong>n Gott dir <strong>den</strong> Lohn nach demLebensw<strong>an</strong>del Derer, <strong>die</strong> von dir Etwasempf<strong>an</strong>gen? Nach deinem freien Entschluß,nach der eigenen Freigebigkeit, nach demMaaße der Güte undMenschenfreundlichkeit vergilt er dir. Sind<strong>die</strong>se da, d<strong>an</strong>n wirst du alle Güter erl<strong>an</strong>gen.Mögen wir alle <strong>die</strong>ser theilhaftig wer<strong>den</strong>durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Zwölfte Homilie.I.Kap. VII.1. 2. 3. Denn <strong>die</strong>ser Melchisedech, Königvon Salem, Priester des höchsten Gottes,der dem Abraham, als Dieser von derNiederlage der Könige zurückgekehrt war,entgegen kam und ihn segnete, dem auch95Abraham <strong>den</strong> Zehnten gab von Allem, derfür’s Erste gedolmetschet wird König derGerechtigkeit, d<strong>an</strong>n aber auch König vonSalem ist, das ist König des Frie<strong>den</strong>s, derohne Vater, ohne Mutter, ohneGeschlechtsregister weder Anf<strong>an</strong>g der Tagenoch Ende des Lebens hat, ward dem SohneGottes ähnlich gemacht (ähnlich dargestellt)und bleibt Priester in Ewigkeit.Weil Paulus <strong>den</strong> Unterschied des alten undneuen Testamentes zeigen will, streut erhiezu <strong>an</strong> vielen Stellen gleichsam <strong>den</strong> Samenaus und trifft <strong>die</strong> Einleitung, prüft <strong>die</strong> Ohrender Zuhörer und übt sie. Denn gleich im Anf<strong>an</strong>ge (des <strong>Brief</strong>es) legt er hiezu <strong>den</strong>Grund, indem er sagt, daß Gott zu Jenendurch <strong>die</strong> Propheten, zu uns aber durch <strong>den</strong>Sohn gesprochen habe, „zu Jenenm<strong>an</strong>nigfaltig und auf vielerlei Weise durch<strong>die</strong> Propheten, zu uns aber durch <strong>den</strong> Sohn.“Nachdem er d<strong>an</strong>n in Bezug auf <strong>den</strong> Sohnbesagt hatte, wer er sei, und was er gewirkthabe, und zum Gehorsame gegen ihnermuntert hatte, damit wir nicht gleich <strong>den</strong>Ju<strong>den</strong> heimgesucht wür<strong>den</strong>; nachdem erferner erklärt, daß er ein Hoherpriester nachder Ordnung des Melchisedech sei und, umin <strong>die</strong>sen Unterschied einzugehen, vieleEinleitungen getroffen, auch sie ob ihrerSchwäche getadelte d<strong>an</strong>n wieder, um ihrverletztes Gemüth zu heilen, neuesVertrauen eingeflößt hatte: führt er endlich,nachdem ihre Ohren hinlänglich gekräftigetwaren, <strong>die</strong> Gründe des Unterschiedeswirklich <strong>an</strong>; - ist ja der Niedergebeugte zumHören nicht leicht geneigt. Damit du dichdavon <strong>über</strong>zeugest, vernimm, was <strong>die</strong> heiligeSchrift sagt: „Aber sie hörten <strong>den</strong> Mosesnicht vor Angst des Herzens.“ 287 Nachdem erdaher ihre Zaghaftigkeit durch vieleerschütternde und beruhigende Worteverb<strong>an</strong>nt hatte, geht er nun wirklich zurBegründung des Unterschiedes <strong>über</strong>. Und287 Ex 6,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>was sagt er? „Denn <strong>die</strong>ser Melchisedech, Königvon Salem, Priester des höchsten Gottes.“ Zuverwundern ist es, daß er <strong>an</strong> dem Vorbildeeine große Verschie<strong>den</strong>heit zeigt; <strong>den</strong>n, wieschon gesagt, sucht er immer aus demVorbilde <strong>die</strong> Wahrheit und aus derVerg<strong>an</strong>genheit <strong>die</strong> Gegenwart glaubhaft zumachen, und zwar der Schwäche derZuhörer wegen. „Denn <strong>die</strong>ser Melchisedech,“sagt er, „König von Salem, Priester des höchstenGottes, der dem Abraham, als Dieser von derNiederlage der Könige zurückgekehrt war,entgegen kam und ihn segnete, dem auchAbraham <strong>den</strong> Zehnten gab von Allem.“Nachdem er in Kürze <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Erzählunggegeben, unterbreitet er <strong>die</strong>se einer mystischen Betrachtung und zwar vorerst inBezug auf <strong>den</strong> Namen. „Der für’s Erstegedolmetscht wird König der Gerechtigkeit.“Richtig; <strong>den</strong>n „Sedech“ heißt Gerechtigkeitund „Melchi“ König; daher ist „Melchisedechein König der Gerechtigkeit“. Siehst du also <strong>die</strong>Genauigkeit auch in Bezug auf <strong>die</strong> Namen?Wer ist aber ein König der Gerechtigkeit,wenn nicht unser Herr Jesus Christus? D<strong>an</strong>nheißt er auch König von „Salem“, von derStadt so gen<strong>an</strong>nt, d. h. König des „Frie<strong>den</strong>s“;<strong>den</strong>n so erklärt m<strong>an</strong> das Wort „Salem“. Dießpaßt wieder auf Christus; <strong>den</strong>n Dieser hatuns <strong>die</strong> Gerechtigkeit verliehen und Allem,was im Himmel und auf Er<strong>den</strong> sich findet,<strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> geschenkt. Welcher Mensch istaber <strong>den</strong>n ein König der Gerechtigkeit unddes Frie<strong>den</strong>s? Kein Anderer als nur alleinunser Herr Jesus Christus. D<strong>an</strong>n führt ernoch einen <strong>an</strong>deren Unterschied <strong>an</strong> mit <strong>den</strong>Worten: „Der ohne Vater, ohne Mutter, ohneGeschlechtsregister weder Anf<strong>an</strong>g der Tage nochEnde des Lebens hat, ward dem Sohne Gottesähnlich gemacht (dargestellt) und bleibt Priesterin Ewigkeit.“ Da ihm nun <strong>die</strong> Worteentgegenst<strong>an</strong><strong>den</strong>: „Du bist Priester inEwigkeit nach der Ordnung Melchisedechs,“und da Dieser gestorben und nicht Priester inEwigkeit war, so schaue, wie er Dieß96aufgefaßt hat! Damit ihm Niem<strong>an</strong>d <strong>den</strong>Einwurf machen könne: Wer k<strong>an</strong>n Dieß voneinem Menschen behaupten? gibt er zurAntwort: Ich spreche hier nicht von derSache selbst, sondern: Wir wissen nicht,welchen Vater oder welche Mutter er gehabt,noch, w<strong>an</strong>n er geboren oder w<strong>an</strong>n ergestorben ist. Und was soll <strong>den</strong>n Das? Hat er<strong>den</strong>n deßhalb, weil wir es nicht wissen, <strong>den</strong>Tod nicht gesehen oder keine Eltern gehabt?Du hast Recht; er ist gestorben und hatteEltern. Wie war er <strong>den</strong>n „ohne Vater und ohneMutter“? Wie hatte er <strong>den</strong>n weder „Anf<strong>an</strong>gder Tage noch Ende des Lebens“? Wie? Weil inder Schrift davon Nichts erwähnt wird. Wassoll Das heissen? Daß, so wie Dieser ohneVater war, weil er kein Geschlechtsregister (in der heiligen Schrift)hat, in Bezug auf Christus dasselbeVerhältniß in der Wirklichkeit best<strong>an</strong>d.II.Siehe da weder Anf<strong>an</strong>g noch Ende! Wie unsvon <strong>die</strong>sem (Melchisedech) weder derAnf<strong>an</strong>g der Tage noch das Ende des Lebensbek<strong>an</strong>nt sind, weil sie nicht aufgeschriebensind, so befin<strong>den</strong> wir uns in derselbenUnkenntniß in Bezug auf Jesus, nicht ausM<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> schriftlicher Aufzeichnung,sondern weil sie (Anf<strong>an</strong>g und Ende) ebeng<strong>an</strong>z fehlen; <strong>den</strong>n Jener ist das Vorbild, unddarum fehlt <strong>die</strong> Aufzeichnung; Dieser aberist <strong>die</strong> Wahrheit und daher (wirklich) ohneAnf<strong>an</strong>g und ohne Ende. Ähnlich verhält essich auch mit <strong>den</strong> Namen; <strong>den</strong>n hier waren<strong>die</strong> Benennungen: „König der Gerechtigkeitund des Frie<strong>den</strong>s,“ dort aber <strong>die</strong> Wirklichkeit;so ist auch dort Das gen<strong>an</strong>nt, was sich hierwirklich findet. Wie hat er also einenUrsprung? Du siehst, daß der Sohn nicht indem Sinne <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gslos ist, als hätte er keinenGrund seines Daseins, weil Das unmöglichist, <strong>den</strong>n er hat einen Vater, und wie könnte


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>er sonst Sohn sein? sondern insofern erkeinen Lebens<strong>an</strong>f<strong>an</strong>g und kein Ende hat.„Er wurde,“ heißt es, „dem Sohne Gottes ähnlichgemacht.“ Worin liegt <strong>die</strong> Ähnlichkeit? Darin,daß wir das Ende und <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>g vonDiesem und von Jenem nicht kennen; vonDiesem, weil <strong>die</strong> Aufzeichnung fehlt, vonJenem, weil sie gar nicht sind. Hier ist <strong>die</strong>Ähnlichkeit. Wenn aber in allen TheilenÄhnlichkeit vorh<strong>an</strong><strong>den</strong> sein würde, sobestände ja nicht mehr Vorbild undWahrheit, sondern beide wären Vorbild.Solches k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch bei Gemäl<strong>den</strong>beobachten, bei <strong>den</strong>en Ähnlichkeit undUnähnlichkeit in <strong>die</strong> Augen fallen. In <strong>den</strong>einfachen Zügen und Umrissen liegt einegewisse Ähnlichkeit; sind aber <strong>die</strong> Farbenaufgetragen, so tritt <strong>die</strong> Verschie<strong>den</strong>heithervor, und es wird klar, in wiefernÄhnlichkeit und Unähnlichkeit bestehen. 4. Sehet aber, wie groß Der sei, dem derPatriarch Abraham <strong>den</strong> Zehnten vomBesten (der Beute) gab! Schön paßt er dasVorbild <strong>an</strong>: er zeigt bereits mit Zuversicht,daß dasselbe viel vortrefflicher sei, als wasbei <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> wirklich best<strong>an</strong>d. Wenn aberDer, welcher als Vorbild Christi dasteht, in sohohem Grade nicht allein vor <strong>den</strong> Priestern,sondern auch vor dem Stammvater derPriester hervorragt, wie muß es d<strong>an</strong>n erst mitder Wahrheit bestellt sein? Siehst du, wieglänzend er <strong>den</strong> Vorzug darstellt?„Betrachtet,“ sagt er, „wie groß Der sei, dem derPatriarch Abraham <strong>den</strong> Zehnten vom Besten (derBeute) gab!“ Unter dem Besten wird <strong>die</strong> Beuteverst<strong>an</strong><strong>den</strong>. Und es k<strong>an</strong>n nicht gesagtwer<strong>den</strong>, daß er demselben als Genossen desKrieges (vom Erbeuteten) gegeben habe;<strong>den</strong>n darum heißt es: „Er ging ihm, da Dieservon der Niederlage der Könige zurückkehrte,entgegen,“ <strong>an</strong>deutend, daß er zu Hausegewesen, und daß er ihm <strong>die</strong> Erstlinge seinerKriegsmühen gegeben habe.975. Jene Söhne Levi’s, welche dasPriesterthum empfingen, haben wohl <strong>die</strong>Vorschrift, <strong>den</strong> Zehnten nach dem Gesetzezu nehmen vom Volke, das ist von ihrenBrüdern, obwohl auch <strong>die</strong>se aus <strong>den</strong>Len<strong>den</strong> Abrahams abstammen.So groß, sagt er, ist der Vorr<strong>an</strong>g desPriesterthumes, daß Diejenigen, welche inBezug auf <strong>die</strong> Vorfahren in gleicher Ehrestehen und <strong>den</strong>selben Stammvater haben,vor <strong>den</strong> Andern eine große Auszeichnunggenießen: sie empf<strong>an</strong>gen ja von ihnen <strong>den</strong>Zehnten. Würde nun aber Jem<strong>an</strong>d gefun<strong>den</strong>,der von Diesen selbst <strong>den</strong> Zehnten erhielte,gehörten sie d<strong>an</strong>n nicht zu <strong>den</strong> Laien, Dieseraber zu <strong>den</strong> Priestern? Und nicht alleinDieses, sondern er st<strong>an</strong>d mit ihnen nicht auf gleicher Stufe der Ehre und war auseinem <strong>an</strong>deren Geschlechte. Darum würde ereinem Fremdling <strong>den</strong> Zehnten nicht gegebenhaben, wäre <strong>die</strong>ser nicht in hohen Ehrengest<strong>an</strong><strong>den</strong>. Ha! was hat Paulus geth<strong>an</strong>?Mehr, als m<strong>an</strong> glauben sollte, hat er im <strong>Brief</strong>e<strong>an</strong> <strong>die</strong> Römer in seinen Erklärungenausgesprochen; <strong>den</strong>n dort hat er <strong>den</strong>Abraham als <strong>den</strong> Stammvater unserer undder jüdischen Verfassung dargestellt; hieraber spricht er sich entschie<strong>den</strong> gegen ihnaus und zeigt, daß der Unbeschnittene einengroßen Vorzug behaupte. Wie zeigt er nunDas? Dadurch, daß Levi <strong>den</strong> Zehnten gab;„Abraham,“ heißt es, „gab.“ Und welcheBeziehung hat Das auf uns? Die allernächstefür euch; <strong>den</strong>n ihr werdet doch schwerlichbehaupten, daß <strong>die</strong> Leviten mehr seien alsAbraham.6. Derjenige aber, der gar nicht zu ihremGeschlechte gehörte, nahm <strong>den</strong> Zehntenvon Abraham.D<strong>an</strong>n geht er nicht einfach weiter, sondernfügt bei: „und segnete Den, der <strong>die</strong>Verheissungen hatte.“ Da Dieses für <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>in jeder Beziehung ehrenvoll war, zeigte er,daß Dieser nach dem gemeinsamen Urtheile


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Aller eine noch höhere Würde als Jenerbehaupte.7. Ohne alle Widerrede aber wird, wasgeringer ist, von dem Größeren gesegnet.Das heißt: Allen scheint es <strong>an</strong>gemessen, daßdas Geringere von dem Höheren gesegnetwerde. Daher ist das Vorbild Christi höherund hat auch <strong>den</strong> Vorzug vor Dem, der <strong>die</strong>Verheißungen hatte. 8. Auch nehmen hier sterbliche Menschen<strong>den</strong> Zehnten, dort aber (nimmt ihn) Einer,von dem bezeugt wird, daß er lebe.Damit sie aber nicht sagen konnten: Warumgehst du in <strong>die</strong> frühere Zeit zurück? Wasgeht es unsere Priester <strong>an</strong>, wenn Abraham<strong>den</strong> Zehnten gab? Sprich, was auf uns paßt, -fügt er <strong>die</strong> Worte hinzu:9. Und so zu sagen (g<strong>an</strong>z passend sprach ersich so mehr zurückhaltend und nicht g<strong>an</strong>zklar aus, um nicht zu verletzen) durchAbraham hat auch Levi, welcher Zehentenempfing, <strong>den</strong> Zehenten geben müssen.Wie <strong>den</strong>n?10. Denn er war noch in <strong>den</strong> Len<strong>den</strong> desVaters, als ihm Melchisedech entgegenkam, d.h. in ihm war Levi, obgleich er nochnicht geboren war, und durch ihn gab er<strong>den</strong> Zehnten.Siehe, er sagt nicht: Die Leviten, sondern:„Levi“, was mehr war, wie er es auch wollte,um schon dadurch <strong>den</strong> Vorzughervorzuheben. Erkennst du, welch’ einUnterschied ist zwischen Abraham undMelchisedech, der ein Vorbild unseresHohenpriesters ist? Und er zeigt, daß derVorzug in der Macht, nicht in derNothwendigkeit liege. Denn Jener gab <strong>den</strong>Zehnten, was <strong>den</strong> Priester <strong>an</strong>geht; Diesersegnete, was <strong>die</strong> Sache eines Höheren ist.Dieser Vorzug geht auch auf <strong>die</strong>Nachkommen <strong>über</strong>. Auf einebewunderungswürdige und kräftige Weisefertigt er, was jüdisch ist, ab, weßwegen erauch sagt: „Ihr seid schwach 98gewor<strong>den</strong>,“ 288 und wollte <strong>die</strong>sen Grundlegen, damit sie nicht muthwillig wür<strong>den</strong>;<strong>den</strong>n das ist <strong>die</strong> Weisheit des Paulus: vorerstmacht er <strong>die</strong> gehörigen Einleitungen, d<strong>an</strong>nunternimmt er das vorgenommene Werk.Denn das Menschengeschlecht ist schwer zu<strong>über</strong>zeugen und bedarf großer Sorgfalt, mehrals <strong>die</strong> Pfl<strong>an</strong>zenwelt. Hier nämlich ist es <strong>die</strong>Natur der Körper und der Erde, <strong>die</strong> sich <strong>den</strong>Hän<strong>den</strong> des L<strong>an</strong>dm<strong>an</strong>nes fügt; dort aber istes der freie Wille, der viele W<strong>an</strong>dlungendurchmacht und bald <strong>die</strong>se, bald jene Wahltrifft; <strong>den</strong>n er ist zum Bösen geneigt.III.Daher ist es nothwendig, daß wir uns selbstbewachen, damit wir nicht schlafen. „Dennsiehe,“ heißt es, „er schlummert und schläftnicht, der Israel behütet;“ 289 und: „Lasse nichtw<strong>an</strong>ken deinen Fuß!“ Er sagt nicht: Wer<strong>den</strong>icht gerüttelt, sondern: Laß du nicht! DasLassen liegt also in unserer Gewalt, nicht inder eines Anderen. Wenn wir daher fest undunbeweglich dastehen wollen, wer<strong>den</strong> wirnicht w<strong>an</strong>ken. Durch obige Worte hat erDieses <strong>an</strong>gedeutet. Wie aber? Liegt <strong>den</strong>nNichts mehr in der Kraft Gottes? Alles liegtin der Gewalt Gottes, aber nicht so, daß unserfreier Wille verletzt würde. Wenn nun, sagtm<strong>an</strong>, Gottes Macht Alles thut, wie k<strong>an</strong>n eruns d<strong>an</strong>n schuldig erklären? Darum habe ichgesagt: Aber nicht so liegt Alles in GottesGewalt, daß dadurch unser freier Willeverletzt würde. Es liegt also <strong>an</strong> uns und <strong>an</strong>ihm. Wir müssen daher zuerst das Gutewählen, und ist d<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Wahl getroffen,fügt er das Seinige hinzu. Er kommt unserenEntschlüssen nicht zuvor, damit er unserenfreien Willen nicht verletze. Haben wir unsaber zu Etwas entschlossen, d<strong>an</strong>n gewährt eruns große Hilfe. Wenn es also auch <strong>an</strong> uns288 Hebr 5,11289 Ps 120,4.3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>liegt, wie sagt <strong>den</strong>n Paulus: „Also liegt esnicht <strong>an</strong> Jem<strong>an</strong>des Wollen oder Laufen,sondern <strong>an</strong> Gottes Erbarmen“? 290 Zunächstsprach er hier nicht seine Meinungaus, sondern was er aus dem vorliegen<strong>den</strong>Stoff schöpfte, und was vorausgeg<strong>an</strong>gen war;<strong>den</strong>n nachdem er gesagt hatte: „Es stehtgeschrieben: Ich erbarme mich, wessen ichmich erbarmen will, und ich erzeigeBarmherzigkeit, wem ich Barmherzigkeiterzeigen will,“ spricht er: „Also liegt es nicht<strong>an</strong> Jem<strong>an</strong>des Wollen oder Laufen, sondern <strong>an</strong>Gottes Erbarmen.“ Sage mir also, was trifftihn noch für ein Vorwurf? 291Zweitens k<strong>an</strong>n Jenes gesagt wer<strong>den</strong>, weil vonDem, welcher das Meiste geleistet hat,ausgesagt wird, er habe das G<strong>an</strong>zevollbracht. An uns liegt es, zu wählen und zuwollen, Gott aber vollendet und führt zuEnde. Da also Dieser <strong>den</strong> größeren Antheilhat, schreibt er ihm das G<strong>an</strong>ze zu, indem ersich nach der Gewohnheit, wie sie in dermenschlichen Gesellschaft besteht,ausdrückt. Denn so machen auch wir es. Ichgebe ein Beispiel. Wenn wir ein schöngebautes Haus sehen, so sprechen wir dasG<strong>an</strong>ze dem Baumeister zu, und doch ist nichtdas G<strong>an</strong>ze sein Werk, sondern auch <strong>die</strong>Arbeiter haben ihren Antheil und der Herr,der das Material geliefert, und viele Andere;aber <strong>den</strong>noch schreiben wir Jenem, da er dasMeiste geleistet, das G<strong>an</strong>ze zu. So auch hier.Und wiederum gebrauchen wir bei einerMenge, wo Viele sind, <strong>den</strong> Ausdruck: Alle,wo aber Wenige sind, sagen wir: Niem<strong>an</strong>d.Auf ähnliche Weise sagt auch hier Paulus:„Also liegt es nicht <strong>an</strong> Jem<strong>an</strong>des Wollen oderLaufen, sondern <strong>an</strong> Gottes Erbarmen.“ Durch<strong>die</strong>se Worte erstrebt er zwei wichtigeZwecke: er will uns vor Hochmuth obunserer guten Werke bewahren, d<strong>an</strong>n aberauch uns bestimmen, Gott als <strong>die</strong> Ursache290 Röm 9,6unserer Tugendwerke zu ehren. Magst dualso laufen und magst du dich abmühen, wasdu Rühmliches thust, erachte nichtals dein Werk; <strong>den</strong>n wenn du <strong>den</strong> Ausschlagnicht von oben empfängst, ist Allesvergebens. Daß du aber bei selbsteigenemBemühen mit der Hilfe von dorther zumZiele gel<strong>an</strong>gen wirst, ist klar, vorausgesetzt,daß du selber läufst und guten Willen zeigst.Er sagt also nicht, daß wir <strong>über</strong>hauptvergebens laufen, sondern daß wir in demFalle vergebens laufen, wenn wir Alles alsunser Werk erachten und nicht <strong>den</strong> größerenAntheil Gott zuschreiben. Gott wollte nichtAlles wirken, damit es nicht scheine, alskröne er uns ohne Ver<strong>die</strong>nst; er wollte aberauch uns nicht Alles vollbringen lassen, aufdaß wir nicht dem Übermuthe verfallen.Denn wenn wir, da wir nur <strong>den</strong> geringerenAntheil haben, aufgeblasenen Geistes sind,was würde erst geschehen, wenn wir Herrendes G<strong>an</strong>zen wären? Denn Vieles hat Gottgeth<strong>an</strong>, um unsere Prahlerei auszurotten.„Und seine H<strong>an</strong>d,“ heißt es, „bleibt nochausgestreckt.“ 292 Mit wie vielenLei<strong>den</strong>schaften hat er uns umgeben, umunseren Stolz zu vernichten. Mit wie vielenThieren uns umstellt! Denn wenn M<strong>an</strong>chesagen: Warum Dieses? Wozu Das? sosprechen sie <strong>die</strong>se Worte gegen Das, wasGott will. Er hat dich in so große Furchtversetzt, und du bewahrest nicht einmal so<strong>die</strong> Demuth; wenn dir aber auch nurmittelmäßige Erfolge zufielen, würdest du indeiner Hoffart dich bis zum Himmelerheben.IV.Daher <strong>die</strong> raschesten Wechsel undVeränderungen, und wir gewinnen <strong>den</strong>nochkeine Zucht; daher <strong>die</strong> häufigen und291 Μέμϕεται - passiv gebraucht, wie es auch bei Diogen. Laert. vorkommt.Anm. d. Übers.99292 Is 5,25


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>frühzeitigen Todesfälle, wir aber sind wieUnsterbliche hochfahren<strong>den</strong> Sinnes, alswürde der Tod uns niemals ereilen; wirberauben und <strong>über</strong>vortheilen Andere, alswür<strong>den</strong> wir nie Rechenschaft ablegenmüssen. Wir bauen so, als wenn wir immerhier bleiben sollten, und weder das WortGottes, das täglich in unseren Ohren ertönt,noch auch <strong>die</strong> Ereignisse selbstvermögen uns zu bil<strong>den</strong>. M<strong>an</strong> vermag keinenTag und keine Stunde zu nennen, wo m<strong>an</strong>nicht sehen k<strong>an</strong>n, wie m<strong>an</strong> zahlreicheLeichen hinausträgt; aber Alles ist vergebensund Nichts vermag unserer Härtebeizukommen. Auch <strong>die</strong> UnglücksfälleAnderer sind nicht im St<strong>an</strong>de, uns zubekehren, oder vielmehr wir wollen es nicht;wenn aber wir selbst allein in Trauer versetztsind, d<strong>an</strong>n grämen wir uns, und wenn Gottseine (strafende) H<strong>an</strong>d zurückzieht, erhebenwir unsere wieder. Niem<strong>an</strong>d richtet seinenSinn auf das Himmlische, Niem<strong>an</strong>d verachtetdas Irdische, Keiner wendet seinen Blicknach oben, sondern wie <strong>die</strong> Schweine sicherdwärts neigen, nach dem Bauche sichvorwärts beugen und im Schlamme walzen,so besudeln auch viele Menschen sich selbstmit dem ekelhaftesten Kothe und merken esnicht; - besser aber ist es, mit unreinemSchlamme als mit Sün<strong>den</strong> sich zubeschmutzen; <strong>den</strong>n wer mit <strong>die</strong>semverunreinigt ist, k<strong>an</strong>n sich in kurzer Zeitabwaschen und gleicht d<strong>an</strong>n Dem, der vonAnf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> gar nicht in jene Schmutzgrubegefallen; wer aber in <strong>den</strong> Abgrund der Sündegestürzt ist, dem klebt ein Schmutz <strong>an</strong>, derdurch Wasser nicht weggeschafft wer<strong>den</strong>k<strong>an</strong>n, der viel Zeit und strenge Buße undThränen und Klagen und mehr heissesWeinen erfordert, als ihr Derer wegen <strong>an</strong> <strong>den</strong>Tag legt, <strong>die</strong> euch <strong>die</strong> Theuersten sind. Dennjener Schmutz kommt uns von aussen, unddarum können wir uns schnell desselbenentledigen; <strong>die</strong>ser aber wird innerlicherzeugt, weßhalb wir ihn auch nur mit Mühe100abwaschen und rein wer<strong>den</strong> können. „Dennaus dem Herzen,“ heißt es, „kommen <strong>die</strong>bösen Ged<strong>an</strong>ken, Ehebrüche, Hurereien,Diebstahl, fasche Zeugnisse.“ 293 Und dahersagt der Prophet: „Schaffe in mir, o Gott, einreines Herz.“ 294 Ein Anderer aber: „Waschedein Herz rein von Bosheit, Jerusalem!“ 295Siehst du, daß rechtschaffen h<strong>an</strong>deln Gottesund unser Werk ist? Und wieder:„Selig sind, <strong>die</strong> ein reines Herz haben; <strong>den</strong>nsie wer<strong>den</strong> Gott <strong>an</strong>schauen.“ 296 Suchen wiralso aus allen unseren Kräften, rein zuwer<strong>den</strong>, und waschen wir unsere Sün<strong>den</strong> ab!Wie wir sie aber abwaschen können, lehrteder Prophet mit <strong>den</strong> Worten: „Waschet,reiniget euch, thut euere bösen Ged<strong>an</strong>kenvon meinen Augen!“ 297 Was heißt Das: „vonmeinen Augen“? Gewisse Leute scheinensün<strong>den</strong>frei zu sein, aber bloß vor <strong>den</strong>Menschen, vor Gott aber erscheinen sie wie<strong>über</strong>tünchte Gräber; daher sagt er: Nehmetsie weg, so wie ich sie sehe! „Lernet Gutesthun, suchet, was recht ist, kommet zu Hilfedem Unterdrückten! Alsd<strong>an</strong>n kommt undklaget <strong>über</strong> mich, spricht der Herr. Wenneuere Sün<strong>den</strong> wie Scharlach wären, will ichsie weiß machen wie Schnee, und wenn sieroth wären wie Purpur, will ich sie weißmachen wie Wolle.“ 298 Siehst du, daß wirzuerst uns reinigen müssen, und daß unsd<strong>an</strong>n der Herr reinigt? Denn <strong>den</strong> Worten:„Waschet, reiniget euch!“ fügt er hinzu: „sowill ich sie weiß machen.“ Es soll also Keinervon Denen. welche in <strong>den</strong> tiefsten Abgrunddes Lasters vers<strong>an</strong>ken, verzweifeln; <strong>den</strong>nwenn dir auch das Laster, will er sagen, zurGewohnheit und fast zur Natur selbstgewor<strong>den</strong>, sei ohne Furcht. Daher wählte erkeine verbleichen<strong>den</strong> Farben, sondern solche,<strong>die</strong> <strong>den</strong> Gegenstän<strong>den</strong>, <strong>an</strong> <strong>den</strong>en sie haften,293 Mt 15,19294 Ps 50,12295 Jer 4,14296 Mt 5,8297 Is 1,16298 Is 1,17.18


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>natürlich sind, und sagte von ihnen, daß siein <strong>die</strong> entgegenstehende Beschaffenheit<strong>über</strong>gehen wür<strong>den</strong>. Denn er sagte nichteinfach waschen, sondern weiß machen wieSchnee und Wolle, um uns gute Hoffnung zugeben. Groß ist also <strong>die</strong> Kraft der Buße, da sieuns weiß wie Schnee und Wolle macht, wennauch <strong>die</strong> Sünde unsere Seelen ergriffen undsie gefärbt hat. Bemühen wir uns daher, reinzu wer<strong>den</strong>; er hat nichts Schweres befohlen!„Schaffet Recht,“ heißt es, „dem Waisen,beschirmet <strong>die</strong> Wittwe!“ 299 Siehst du, wie Gott <strong>über</strong>all sehr auf Barmherzigkeitdringt und auf <strong>den</strong> Schutz Derer, <strong>die</strong> Unrechterdul<strong>den</strong>? Diesen guten Werken wollen wirnachstreben, und wir können <strong>die</strong> LiebeGottes und <strong>die</strong> zukünftigen Güter erl<strong>an</strong>gen,deren wir alle mögen gewürdiget wer<strong>den</strong> inChristus Jesus, unserem Herrn. Dreizehnte Homilie.I.11 - 14. Ferner, wenn <strong>die</strong> Vollkommenheitdurch das levitische Priesterthum käme(<strong>den</strong>n das Volk hat unter demselben dasGesetz empf<strong>an</strong>gen), wozu war es nochnothwendig, einen <strong>an</strong>deren Priester nachder Weise des Melchisedech aufzustellenund ihn nicht nach der Weise des Aaron zubenennen? Denn wenn das Priesterthumgewechselt wird, ist es nöthig, daß auch dasGesetz gewechselt werde. Denn Derjenige,von welchem Dieß gesagt wird, ist auseinem <strong>an</strong>deren Stamme, aus welchem nieEiner dem Altare ge<strong>die</strong>nt hat; <strong>den</strong>n es istbek<strong>an</strong>nt, daß unser Herr von Judaabstammt, welchem Stamme Mosesrücksichtlich des Priesterthumes Nichtszugesichert hat.299 Is 1,17101„Ferner, wenn <strong>die</strong> Vollkommenheit durch daslevitische Priesterthum käme,“ sagt er.Nachdem er von Melchisedech gesprochenund gezeigt hatte, wie sehr er sich vorAbraham auszeichne, und <strong>den</strong> großen Unterschied dargelegt hatte, beginnt er,<strong>die</strong> Verschie<strong>den</strong>heit des Bundes selbst zuzeigen und klar zu machen, wie jenerunvollkommen, <strong>die</strong>ser aber vollkommen sei.Und er geht noch nicht auf <strong>die</strong> Sache selbstein, sondern führt einstweilen vomPriesterthume und dem Bunde <strong>die</strong>Untersuchung; <strong>den</strong>n dadurch konnten <strong>die</strong>Ungläubigen eher zum Glauben gebrachtwer<strong>den</strong>, wenn der Beweis von Dem geführtwurde, was schon früher <strong>an</strong>genommen undgeglaubt wor<strong>den</strong> war. Er zeigt, daßMelchisedech, welcher sich bei ihnen in derOrdnung der Priester befun<strong>den</strong>, vor Leviund Abraham sehr ausgezeichnet gewesen.Aber er sucht <strong>den</strong> Beweis auch noch ausetwas Anderem zu führen. Woraus <strong>den</strong>n?Aus dem dermaligen und aus dem jüdischenPriesterthume. Betrachte mir hier seineausseror<strong>den</strong>tliche Klugheit! Denn wodurcher Diesen aus dem Priesterthumeweggedrängt zu haben schien, weil er nichtnach der Ordnung Aarons war, gibt er ihmeine feste Stellung und macht Jene weichen.Dieses thut er aber, indem er sich selbsteinführt wie in einem Zweifel bef<strong>an</strong>gen,nämlich dar<strong>über</strong>, warum er nicht nach derOrdnung des Aaron gen<strong>an</strong>nt werde, und löstd<strong>an</strong>n <strong>die</strong>sen Zweifel auf folgende Weise:Auch ich, sagt er, bin dar<strong>über</strong> im Unklaren,warum er es nicht nach der Ordnung desAaron gewor<strong>den</strong>. Dieses aber zeigt er <strong>an</strong> in<strong>den</strong> Worten: „Wenn aber <strong>die</strong> Vollkommenheitdurch das levitische Priesterthum käme;“ undd<strong>an</strong>n: „Wozu war (ein <strong>an</strong>deres) nochnotwendig;“ - welche Worte ein besonderesGewicht haben. Denn wäre Christus demFleische nach früher nach der Ordnung desMelchisedech dagewesen, und wäre d<strong>an</strong>nerst das Gesetz, und was auf Aaron Bezug


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>hat, gekommen, so könnte Jem<strong>an</strong>d allerdingssagen, daß alles Andere, weil das mehrVollkommene nachgekommen, aufgelöst sei.Ist aber Christus später gekommen und hater einen <strong>an</strong>deren Charakter desPriesterthumes <strong>an</strong>genommen, so ist Dießoffenbar darum geschehen, weil jenes einunvollkommenes war. Denn nehmen wir <strong>an</strong>,will er sagen, es sei Alles erfüllt wor<strong>den</strong> undNichts unvollkommen im Priesterthume; -warum war es <strong>den</strong>n nöthig, zu sagen: „nach der Ordnung des Melchisedech“ undnicht: „nach der Ordnung des Aaron“? Warumwur<strong>den</strong> <strong>den</strong>n Aaron aufgegeben und ein<strong>an</strong>deres Priesterthum eingeführt, nämlichdas „nach der Ordnung des Melchisedech“?„Wenn nun <strong>die</strong> Vollkommenheit durch daslevitische Priesterthum käme,“ sagt er, d. h.wenn <strong>die</strong> Vollkommenheit der Dinge, derLehren (Dogmen), des Lebens durch daslevitische Priesterthum käme. Siehe, wie erauf seinem Wege vor<strong>an</strong>schreitet. Er sagt:„nach der Ordnung des Melchisedech,“ um<strong>an</strong>zuzeigen, daß das Priesterthum „nach derOrdnung des Melchisedech“ <strong>den</strong> Vorzug habe,<strong>den</strong>n Dieser ist viel ausgezeichneter. D<strong>an</strong>nweist er Dasselbe in Bezug auf <strong>die</strong> Zeit nach;es war nach Aaron, daher offenbar auchbesser. Welchen Sinn haben <strong>den</strong>n <strong>die</strong>folgen<strong>den</strong> Worte: „Denn das Volk hat unterdemselben das Gesetz empf<strong>an</strong>gen“? Was heißtDas: „unter demselben“? An dasselbe hält essich und durch dasselbe thut es Alles; esk<strong>an</strong>n nicht gesagt wer<strong>den</strong>, daß es Anderengegeben wurde. „Das Volk hat unter demselbendas Gesetz empf<strong>an</strong>gen,“ d. h. es hat sich dessenbe<strong>die</strong>nt. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n nicht sagen, daß es zwarvollkommen gewesen, das Volk aber nichtdarauf <strong>an</strong>gewiesen wor<strong>den</strong> sei. „Unterdemselben hat es das Gesetz empf<strong>an</strong>gen,“ d. h. eshat dasselbe gebraucht. Was bedürfte es<strong>den</strong>n eines <strong>an</strong>deren Priesterthumes, wennjenes <strong>die</strong> Vollkommenheit gehabt hätte?Denn nachdem das Priesterthum gewechseltwor<strong>den</strong>, mußte mit dem Gesetze nothwendig102das Gleiche geschehen; wenn aber ein<strong>an</strong>derer Priester erforderlich ist odervielmehr ein <strong>an</strong>deres Priesterthum, so istauch ein <strong>an</strong>deres Gesetz nöthig. Dieß ist fürDiejenigen gesagt, welche da sprechen:Warum war <strong>den</strong>n das neue Testamentnothwendig? M<strong>an</strong> konnte ja auch aus <strong>den</strong>Propheten 300 <strong>die</strong> Zeugnisse entnehmen: Dasist der Bund, <strong>den</strong> ich mit eueren Vätern geschlossen habe. Indessen führtPaulus seine Untersuchung aus demPriesterthume. Und siehe, wie er hiezu vonfrüher her seine Darlegung macht! Er sagte:„nach der Ordnung des Melchisedech,“ wodurcher das Aaron’sche Priesterthum beseitigt;<strong>den</strong>n er würde nicht gesagt haben: „nach derOrdnung des Melchisedech,“ wenn jenes bessergewesen wäre. Ist also ein <strong>an</strong>deresPriesterthum eingeführt wor<strong>den</strong>, so mußauch ein <strong>an</strong>derer Bund sein; <strong>den</strong>n es k<strong>an</strong>nkein Priesterthum ohne Bund und ohneGesetze und Einrichtungen bestehen, und esk<strong>an</strong>n, da ein <strong>an</strong>deres Priesterthum<strong>an</strong>genommen wird, jenes nicht weiter imGebrauch bleiben. Da nun eingewendetwer<strong>den</strong> konnte, wie er, ohne zum StammeLevi zu zählen, Priester sei, - hält er <strong>die</strong>senEinwurf, welcher bereits im Früheren seineLösung gefun<strong>den</strong>, keiner weiterenBeseitigung werth, sondern spricht nur imVor<strong>über</strong>gehen davon. Ich habe gesagt,bemerkt er, daß das Priesterthum gewechseltwor<strong>den</strong>, daher auch der Bund. DieserWechsel aber f<strong>an</strong>d statt nicht nur in Bezugauf <strong>die</strong> Art und Weise und <strong>die</strong> Vorschriften,sondern auch hinsichtlich des Stammes; <strong>den</strong>nauch in Bezug auf <strong>den</strong> Stamm war es nöthig.Wie <strong>den</strong>n? „Wenn das Priesterthum gewechseltwird,“ heißt es; das heißt: Darum ist es vondem einen Stamm auf <strong>den</strong> <strong>an</strong>deren, von dempriesterlichen zu dem königlichengewechselt wor<strong>den</strong>, damit der königlicheund der priesterliche derselbe sei. Betrachte300 Apg 3,25


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>das Geheimniß. Zuerst war der königliche,und nun ist auch der priesterliche gewor<strong>den</strong>.So verhält es sich auch mit Christus; <strong>den</strong>nKönig war er immer, Priester aber ist ergewor<strong>den</strong>, als er Fleisch <strong>an</strong>nahm und dasOpfer vollbrachte. Siehst du da <strong>die</strong>Veränderung? Was aber eingewendetwer<strong>den</strong> konnte, führt er, wie es natürlichfolgen mußte, also <strong>an</strong>: „Denn Derjenige,“ heißtes, „von welchem Dieß gesagt wird, ist aus einem<strong>an</strong>deren Stamme, aus welchem nie Einer demAltare ge<strong>die</strong>nt hat. Denn es ist bek<strong>an</strong>nt, daßunser Herr von Juda abstammt, welchem StammeMoses rücksichtlich des Priesterthumes Nichts zugesichert hat.“ Er will damitFolgendes sagen: Auch ich weiß und sprechees aus, daß <strong>die</strong>ser Stamm am Priesterthumekeinen Antheil hatte, und noch Niem<strong>an</strong>d ausdemselben <strong>den</strong> priesterlichen Dienstversehen hat, was auch in <strong>den</strong> Worten:„Keiner hat dem Altare ge<strong>die</strong>nt“ ausgesprochenist; sondern das G<strong>an</strong>ze beruht auf einemWechsel. So war es nothwendig, daß dasGesetz und der alte Bund gewechseltwur<strong>den</strong>, weil ja selbst der Stamm <strong>die</strong>seVeränderung erfahren hat. Siehst du, wie ernoch einen <strong>an</strong>deren Unterschied <strong>an</strong> demWechsel des Stammes zeigt? Aber nicht alleindar<strong>an</strong> wird <strong>die</strong>ser Unterschiednachgewiesen, sondern auch <strong>an</strong> der Person,dem Bunde, der Art und Weise und selbstdem Vorbilde.16. 301 Der es nicht nach Vorschrift einerfleischlichen Bestimmung, sondern nachder Kraft eines unauflösbaren Lebensgewor<strong>den</strong> ist.II.Er ist Priester gewor<strong>den</strong>, heißt es, „aber nichtnach Vorschrift einer fleischlichen Bestimmung;“<strong>den</strong>n jenes Gesetz war in vielen Stücken kein301 V. 15 folgt nach 16103Gesetz, und g<strong>an</strong>z richtig hat er es einefleischliche Bestimmung gen<strong>an</strong>nt; <strong>den</strong>n Alles,was es festsetzte, bezog sich auf das Fleisch.Denn sind <strong>die</strong> Vorschriften: Beschneide dasFleisch, salbe das Fleisch, wasche das Fleisch,reinige das Fleisch, bescheere (περίϰειρον)das Fleisch, binde das Fleisch, nähre dasFleisch, gib Ruhe dem Fleische! - nichtfleischliche Bestimmungen? Willst du aberauch <strong>die</strong> Güter kennen lernen, <strong>die</strong> esversprochen hat, so höre! Ein l<strong>an</strong>ges Leben,heißt es, dem Fleische, Milch und Honig demFleische, Friede dem Fleische, Vergnügendem Fleische. Von <strong>die</strong>sem Gesetze hat Aarondas Priesterthum empf<strong>an</strong>gen, Melchisedechaber nicht so. 15. Und noch mehr erhellet es, indem nachder Ähnlichkeit des Melchisedech einAnderer als Priester aufsteht.Was erhellet <strong>den</strong>n? Was für ein Unterschiedzwischen dem einen und dem <strong>an</strong>dernPriesterthume besteht, und wie groß <strong>die</strong>Verschie<strong>den</strong>heit zwischen bei<strong>den</strong> ist; wieausgezeichnet Der ist, welcher es nicht nachVorschrift einer fleischlichen Bestimmunggewor<strong>den</strong>. Wer? Dieser Melchisedech? Nein,sondern Christus. „Sondern nach der Krafteines unauflöslichen Lebens.“17. Denn (<strong>die</strong> Schrift) bezeugt ja: Du bistein Priester in Ewigkeit, nach der Weise desMelchisedech,d. h. nicht für eine gewisse Zeitdauer, <strong>die</strong>einmal ihr Ende erreicht, „sondern nach derKraft eines unauflöslichen Lebens.“ Diesessagt er, um <strong>an</strong>zudeuten, daß er Priestergewor<strong>den</strong> durch seine und des Vaters Macht,durch „<strong>die</strong> Kraft eines unauflöslichenLebens“. Damit aber stehen <strong>die</strong> Worte: „Deres nicht nach Vorschrift einer fleischlichenBestimmung gewor<strong>den</strong> ist“ in keinerpassen<strong>den</strong> Verbindung; <strong>den</strong>n folgerichtigmüßte jetzt kommen: „sondern nachVorschrift einer geistigen Bestimmung.“Allein durch das Fleischliche zeigt er dasZeitliche <strong>an</strong>, wie er sich auch <strong>an</strong>derwärts


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>bezüglich der Gesetze zur Rechtfertigung desFleisches nach der Kraft des Lebens inähnlicher Weise ausspricht; d. h. daß erdurch <strong>die</strong> eigene Kraft lebt. Er sagt, daß dasGesetz gewechselt werde, und zeigt nun, wieDas geschehe. D<strong>an</strong>n fragt er nach derUrsache; <strong>den</strong>n Das ist am meisten geeignet,<strong>über</strong>zeugt zu wer<strong>den</strong>, und führt zu einemfesteren Glauben, wenn m<strong>an</strong> <strong>die</strong> Ursachekennt; <strong>den</strong>n d<strong>an</strong>n ist unsere Überzeugungfest, wenn wir <strong>die</strong> Ursache kennen und <strong>den</strong>Grund verstehen. 18. Das vorhergehende Gesetz wird nämlichabgeschafft wegen seiner Schwäche undUnbrauchbarkeit.Hier erheben sich <strong>die</strong> Häretiker undsprechen: Paulus hat das Gesetz schlechtgen<strong>an</strong>nt. Aber gib genau Acht! Er sagt nicht:Weil es schlecht oder böse war, sondern:„Wegen seiner Schwäche und Unbrauchbarkeit.“Auch <strong>an</strong> <strong>an</strong>deren Stellen zeigt er dessenSchwäche, wenn er z. B. sagt: „In welchem erschwach war durch das Fleisch.“ Also klebt<strong>die</strong> Schwäche nicht <strong>die</strong>sem <strong>an</strong>, sondern uns.19. Denn das Gesetz hat Nichts zurVollkommenheit gebracht.Was heißt Das: „Es hat Nichts zurVollkommenheit gebracht“? Es hat Niem<strong>an</strong><strong>den</strong>vollkommen gemacht, weil m<strong>an</strong> ihm nichtgehorchte. Übrigens hätte es auch, selbstwenn ihm Gehör geschenkt wor<strong>den</strong> wäre,Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> vollkommen und tugendstarkgemacht. Dieß ist aber auch in <strong>den</strong> Wortennicht ausgesprochen, sondern daß es keineKraft gehabt habe; und mit Recht, <strong>den</strong>n esbest<strong>an</strong>d aus Buchstaben, welche <strong>an</strong>ordneten,Dieß zu thun und Jenes zu lassen, aber <strong>die</strong>Vorschriften trugen <strong>die</strong> Quelle der Kraftnicht in sich. Anders verhält es sich mit derHoffnung. Was bedeutet das Wort:„Abschaffung“? Tausch, Entfernung. Was willer damit bezeichnen, daß er sagt: „dasvorhergehende Gesetz“? So nennt er dasGesetz, weil es seiner Schwäche wegenabgeschafft wurde; er nennt es104„vorhergehend“, weil es veraltet undvor<strong>über</strong>geg<strong>an</strong>gen ist - wegen seinerSchwäche. „Abschaffung“ ist also <strong>die</strong>Beseitigung Dessen, was früher in Kraft war.Übrigens ist hieraus klar, daß es in Geltungst<strong>an</strong>d, aber verachtet wurde, weil es Nichtsvollbrachte. Hat also das GesetzNichts genützt? Wohl hat es genützt undsogar großen Nutzen geschafft; aber umvollkommen zu machen, hat es einen solchennicht gebracht. In <strong>die</strong>sem Sinnen sagt er also:„Das Gesetz hat Nichts zur Vollkommenheitgebracht,“ in so ferne Alles Bild, AllesSchatten war: Beschneidung, Opfer, Sabbat,welche Dinge nicht <strong>die</strong> Kraft hatten, in <strong>die</strong>Seele einzudringen; - darum weichen sie undtreten ab. „Sondern <strong>die</strong> Einführung einerbesseren Hoffnung ist es, durch welche wir zuGott kommen.“20. Und in wie ferne es nicht ohneEidschwur geschah.Siehst du, daß hier der Eid nothwendig war?Weßhalb er auch oben so Vieles dar<strong>über</strong>gesprochen, daß Gott geschworen und Dießdarum geth<strong>an</strong> habe, um uns desto fester zu<strong>über</strong>zeugen. Auch das Gesetz, will er sagen,hatte eine Hoffnung, aber keine solche; <strong>den</strong>nsie hofften bei guter Aufführung das L<strong>an</strong>d zubesitzen und kein Ungemach zu erfahren;wir aber hoffen hier, wenn wir einen gutenLebensw<strong>an</strong>del führen, nicht <strong>die</strong> Erde,sondern <strong>den</strong> Himmel zu besitzen, odervielmehr, was noch besser ist als Dieses, wirhoffen, in <strong>die</strong> Nähe Gottes zu seinemväterlichen Throne zu gel<strong>an</strong>gen und mit <strong>den</strong>Engeln ihm zu <strong>die</strong>nen. Und siehe, wie erDieß allmählig hinsetzt; <strong>den</strong>n dort sagte er:„Wir gehen bis in’s Innere des Vorh<strong>an</strong>geshinein;“ hier aber: „Durch welche wir zuGott kommen.“ - „Und in wie ferne es nichtohne Eidschwur geschah.“ Was heißt Das: „Undin wie ferne es nicht ohne Eidschwur geschah“?Das heißt: Nicht ohne Eid. Siehe da noch eine<strong>an</strong>dere Verschie<strong>den</strong>heit. Wir haben, will ersagen, kein einfaches Versprechen. „Jene


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nämlich sind ohne Eidschwur Priester gewor<strong>den</strong>,21 - 24. Dieser aber mit Eidschwur durchDen, der zu ihm sprach: Der Herr hatgeschworen, und es wird ihn nicht gereuen:Du bist Priester in Ewigkeit; in soferne istJesus eines besseren Testamentes Bürgegewor<strong>den</strong>. Auch sind von Jenen mehrerePriester gewor<strong>den</strong>, weil sie durch <strong>den</strong> Todverhindert wur<strong>den</strong> zu bleiben. Dieser aberhat, weil er ewig bleibt, ein ewigesPriesterthum.Er gibt einen doppelten Unterschied <strong>an</strong>:Dieses hat, was beim Gesetze nicht der Fallwar, kein Ende, und es beruht auf einemEide. Dieß weist er nach <strong>an</strong> Christus, derewig ist; <strong>den</strong>n „nach der Kraft,“ heißt es,„eines unauflöslichen Lebens;“ d<strong>an</strong>n <strong>an</strong> demEide, <strong>den</strong> er geschworen, und <strong>an</strong> der Sacheselbst; <strong>den</strong>n weil jenes schwach war, sagt er,wurde es gewechselt, <strong>die</strong>ses aber steht fest,weil es stark ist. Dasselbe thut er dar <strong>an</strong> demPriester. Wie <strong>den</strong>n? Er zeigt, daß er deralleinige ist; Das aber wäre er nicht, wenn ernicht unsterblich wäre. Denn gleichwie esviele Priester gibt, weil sie der Sterblichkeitunterworfen sind, so ist einer der alleinige,weil er unsterblich ist. „In so ferne ist Jesuseines besseren Testamentes Bürge gewor<strong>den</strong>,“weil er ihm geschworen hat, sagt er, daß erimmer Priester sein werde, was nichtgeschehen wäre, wenn er nicht das Lebenhätte.25. Weßhalb er auch immer retten k<strong>an</strong>nDiejenigen, welche durch ihn Gott nahen,da er alle Zeit lebt, um für uns zu bitten.III.Siehst du, daß er Dieses von ihm dem Fleischenach spricht? W<strong>an</strong>n er ihn als Priester zeigt,läßt er ihn auch g<strong>an</strong>z passend als Fürbittererscheinen. Wenn daher Paulus sagt, daß erfür uns bitte, will er damit <strong>an</strong>deuten, daß er105als Hoherpriester Dieß thue. Denn sofern ernach seinem Willen <strong>die</strong> Todtenerweckt und wie der Vater lebendig macht,wie sollte er da, wenn es zu retten gilt, sichauf’s Bitten einlassen? wie ein Fürbitter sein,da er das g<strong>an</strong>ze Gericht hat? Wie soll Derbitten, welcher <strong>die</strong> Engel aussendet, damit sie<strong>die</strong> Einen in’s Feuer werfen, <strong>die</strong> Andern aberretten?Weßhalb er auch, heißt es, retten k<strong>an</strong>n.Darum also rettet er, weil er nicht stirbt. Daer aber immer lebt, hat er keinen Nachfolger;hat er aber keinen Nachfolger, so k<strong>an</strong>n erauch für Alle stehen (προίστασϑαι). Hieraber erstreckt sich <strong>die</strong> Wirksamkeit desHohenpriesters, selbst wenn erbewunderungswürdig wäre, nur auf <strong>die</strong> Zeit,in welcher er lebt, wie es zum Beispiel beiSamuel und allen Anderen war; d<strong>an</strong>n abernicht mehr, <strong>den</strong>n sie starben; bei unseremHohenpriester ist es aber nicht so, sondern<strong>die</strong>ser rettet vollkommen. 302 Was heißt Das:„bis zur Vollendung“? Hier wird ein großesGeheimniß <strong>an</strong>gedeutet. Nicht allein hier, sagter, sondern auch dort rettet er Diejenigen,welche durch ihn Gott nahen. Wie rettet ersie? „Da er alle Zeit lebt,“ sagt er, „um für unszu bitten.“ Siehst du, wie er der menschlichenNatur wegen sich unerhaben ausdrückt?Denn nicht für einmal, sagt er, ist er einFürsprecher gewor<strong>den</strong>, sondern er ist es fürimmer und so oft, als es nothwendig ist, fürsie zu bitten; <strong>den</strong>n Das wird klar durch <strong>den</strong>Ausdruck: „bis zur Vollendung“ (immer).Welche Bedeutung hat <strong>den</strong>n der Ausdruck:„bis zur Vollendung“? Nicht allein für <strong>die</strong>gegenwärtige Zeit, will er sagen, sondernauch dort im zukünftigen Leben. Muß er alsoimmerfort bitten? Und wo liegt <strong>den</strong>n da einvernünftiger Sinn? Fin<strong>den</strong> doch gerechteMenschen oft durch eine einzige BitteErhörung, und Dieser soll immerdar bitten?Warum sitzt er <strong>den</strong>n <strong>an</strong> der Seite (des302 Εἰς τὸ παντελές = bis zur Vollendung, immer


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Vaters)? Siehst du, daß <strong>die</strong>se unerhabene Redeweise nur Herablassung ist?Was er aber sagen will, ist Dieses: Leget alleFurcht ab und wollet nicht sprechen: Ja, erliebt uns zwar, und er hat Zuversicht beimVater; allein ewig leben k<strong>an</strong>n er nicht; - <strong>den</strong>ner lebt ewig.26. Auch geziemte uns, daß wir einensolchen Hohenpriester hätten, der da wäreheilig, schuldlos, unbefleckt, ausgeschie<strong>den</strong>von <strong>den</strong> Sündern.Siehst du, daß das G<strong>an</strong>ze in Bezug auf <strong>die</strong>Menschheit gesagt ist? Wenn ich hier von derMenschheit spreche, so meine ich <strong>die</strong>, welchemit der Gottheit verbun<strong>den</strong> ist, indem ichnicht theilen, sondern nur das richtigeVerständniß erleichtern will. Siehst du <strong>die</strong>Verschie<strong>den</strong>heit in Bezug auf <strong>den</strong>Hohenpriester? Er hat, was oben gesagtwor<strong>den</strong>, nämlich: „Der in allen Stückenähnlich wie wir versucht wor<strong>den</strong>, doch ohneSünde war,“ kurz wiederholt. „Es geziemteuns,“ sagt er, „daß wir einen solchenHohenpriester hätten, der da wäre heilig,schuldlos.“ Was heißt Das: „schuldlos“? Freivon Laster, ohne (innerliche) Bosheit; unddaß er also beschaffen ist, lerne aus <strong>den</strong>Worten des Propheten, der da spricht: „Listist nicht erfun<strong>den</strong> wor<strong>den</strong> in seinemMunde.“ 303 Wer möchte wohl von Gott alsore<strong>den</strong>? Und wer könnte, ohne zu erröthen,sagen, Gott sei frei von Bosheit und List? InBezug auf ihn dem Fleische nach könnenaber <strong>die</strong> Worte: „heilig, unbefleckt“ einenvernünftigen Sinn haben. Von Gott aber k<strong>an</strong>nNiem<strong>an</strong>d so sprechen, <strong>den</strong>n er hat eineunbefleckbare Natur: „ausgeschie<strong>den</strong> von <strong>den</strong> Sündern.“ Zeigt nun Dieß allein <strong>den</strong>Unterschied <strong>an</strong> oder auch selbst das Opfer?Auch das Opfer. Wie <strong>den</strong>n?27. Er hat nicht je<strong>den</strong> Tag nöthig, heißt es,wie <strong>die</strong> Hohenpriester zuerst für seineeigenen Sün<strong>den</strong> Opfer darzubringen, d<strong>an</strong>n303 Is 53,9106für <strong>die</strong> des Volkes; <strong>den</strong>n Dieß hat er einmalgeth<strong>an</strong>, da er sich selbst aufopferte.Hier macht er bereits <strong>die</strong> Einleitung, um <strong>den</strong>Vorzug des geistigen Opfers darzustellen,und gibt <strong>an</strong>, was für ein Unterschied seizwischen dem Priester und dem Testamente,zwar nicht g<strong>an</strong>z, aber doch theilweise, undmacht <strong>die</strong> Einleitung in Bezug auf das Opferselbst. Glaube also nicht, wenn du ihnPriester nennen hörst, daß er immer opfere!Denn Das hat er einmal geth<strong>an</strong>, und nun hater seinen Sitz inne. Denn damit du nichtwähnest, er stehe im Himmel und sei Diener,zeigt er, daß das Werk der Erlösungvollbracht sei. Denn wie er Knecht wurde, soauch Priester und Diener. Aber wie er Knechtwurde, ohne es zu bleiben, so blieb er auchnicht immer Diener; <strong>den</strong>n der Diener hatnicht zu sitzen, sondern zu stehen. Diesesnun deutet <strong>die</strong> Größe des Opfers <strong>an</strong>, welchesals einziges und alleiniges genügte undeinmal dargebracht mehr Kraft hatte als alle.Doch hier<strong>über</strong> später und für jetzt nurDieses, sagt er: „Denn Dieß hat er einmalgeth<strong>an</strong>.“ Was <strong>den</strong>n? Denn es ist nothwendig,sagt er, daß auch Dieser Etwas habe, was erdarbringe, nicht für sich selbst; - <strong>den</strong>n wiehatte Das sein können, da für ihn <strong>die</strong> Sündeeine Unmöglichkeit ist, - sondern für dasVolk. Was sagst du? Und er hat nichtnothwendig, für sich selbst Opferdarzubringen, sondern hat eine solcheMacht? Allerdings, sagt er. Denn damit dunicht glaubest, <strong>die</strong> Worte: „Das hat er einmalgeth<strong>an</strong>“ fän<strong>den</strong> auch auf ihn Anwendung, sohöre, was er hinzufügt! 28. Denn das Gesetz stellt Menschen zuHohenpriestern auf, <strong>die</strong> Schwachheitenhaben.Daher opfern sie auch immer für sich selber;warum aber sollte er, der mächtig ist und freivon Sünde, für sich opfern? Er opfert alsonicht für sich, sondern für das Volk, undDieß nur einmal. „Das Wort des Eides aber, dasnach dem Gesetze gekommen ist, <strong>den</strong> Sohn, <strong>den</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Vollkommenen in Ewigkeit.“ Was heißt Das:„<strong>den</strong> Vollkommenen“? Siehe, Paulus stelltkeine scharfen Gegensätze auf; <strong>den</strong>nnachdem er gesagt hatte: „<strong>die</strong> Schwachheitenhaben,“ sprach er nicht: <strong>den</strong> Sohn, <strong>den</strong>Mächtigen, sondern: „<strong>den</strong> Vollkommenen,“ d. i.<strong>den</strong> Mächtigen, wie m<strong>an</strong> auch sagen könnte.Siehst du, daß der Name „Sohn“ imGegensatze zu Knecht steht? Schwäche abernennt er <strong>die</strong> Sünde oder <strong>den</strong> Tod. - Was heißtDas: „in Ewigkeit“? Er ist nicht nur jetzt ohneSünde, sondern immer. Wenn er alsovollkommen ist; wenn er niemals sündigt;wenn er ewig lebt, - warum wird er <strong>den</strong>nvielmal für uns Opfer bringen? Dar<strong>über</strong>h<strong>an</strong>delt er jetzt nicht, sondern er suchtdarzuthun, daß er nicht für sich Opferbringe. - Da wir nun einen solchenHohenpriester haben, so wollen wir ihnnachahmen und in seine Fußtapfen treten. Esgibt kein <strong>an</strong>deres Opfer, eines hat unsgereinigt; nach <strong>die</strong>sem aber ist Feuer undHölle. Denn deßhalb auch bewegte er aufund ab und sagte: Nur ein Priester, nur einOpfer, damit Niem<strong>an</strong>d im Wahne, es gebeviele, furchtlos sündige.IV.So Viele also von uns des Siegels gewürdigetwor<strong>den</strong>; so Viele am Genusse des OpfersAntheil bekommen; so Viele <strong>an</strong> demunsterblichen Tische ihren Platz gefun<strong>den</strong>:stets treu wollen wir unseren Adel undunsere Ehre bewahren; <strong>den</strong>n der Abfall istnicht ohne Gefahr. Alle Diejenigen aber,welche bis jetzt <strong>die</strong>ser Güter noch nichtgewürdiget wor<strong>den</strong>, sollen darum keinvermessenes Vertrauen fassen; <strong>den</strong>nwenn Jem<strong>an</strong>d deßhalb sündigt, um <strong>die</strong> heiligTaufe in <strong>den</strong> letzten Augenblicken desLebens zu empf<strong>an</strong>gen, wird er sie oft gar107nicht erl<strong>an</strong>gen. 304 Ja, glaubet mir, ich willeuch durch Das, was ich sage, nichtschrecken; ich habe Viele gek<strong>an</strong>nt, welche<strong>die</strong>se traurige Erfahrung gemacht haben,indem sie im Vertrauen auf <strong>die</strong> Taufgnadeviele Sün<strong>den</strong> begingen, am Ende ihresLebens aber leer ausgingen; <strong>den</strong>n Gott hat<strong>die</strong> Taufe eingesetzt, um <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> zutilgen, nicht aber, um <strong>die</strong>selben zu mehren.Wollte sie aber Jem<strong>an</strong>d dazugebrauchen, umdesto ungescheuter sündigen zu können, sowürde sie ja <strong>die</strong> Ver<strong>an</strong>lassung derAusschweifung sein. Denn gäbe es keineTaufe, d<strong>an</strong>n wür<strong>den</strong> <strong>die</strong> Menschenvorsichtiger w<strong>an</strong>deln, weil sie keineVergebung zu erwarten hätten. Siehst du,daß wir jene Worte: „Sollen wir Böses thun,damit Gutes daraus komme?“ 305 zur vollenGeltung bringen? Darum w<strong>an</strong>delt auch ihr,<strong>die</strong> ihr noch nicht zu <strong>den</strong> Geheimnissenzugelassen wor<strong>den</strong> seid, ich bitte euch, mitVorsicht. Niem<strong>an</strong>d trete als ein Miethling,Niem<strong>an</strong>d ohne Überlegung in <strong>den</strong> Dienst derTugend; Niem<strong>an</strong>d scheue sie als eineschwere Last. Mit Lust und Freude wollenwir ihr uns weihen; <strong>den</strong>n müßten wir nichtauch d<strong>an</strong>n gut sein, wenn kein Lohn zuhoffen wäre? Da uns nun aber eineVergeltung in Aussicht gestellt ist, so wollenwir wenigst so gut wer<strong>den</strong>. Ist aber Das nichteine Sch<strong>an</strong>de und <strong>die</strong> größte Schmach? Wenndu mir keinen Lohn bietest, sagst du, werdeich nicht rechtschaffen wer<strong>den</strong>. Darf ich mirda eine Bemerkung erlauben? Du wirst nierechtschaffen sein, auch nicht, falls du dichrechtschaffen geberdest, wenn du es bloß umLohn thust; <strong>den</strong>n du hältst <strong>die</strong> Tugend fürNichts, wenn du sie nicht liebst. Alleinobgleich Gott unserer großen Schwächewegen für <strong>die</strong> Tugendübung Lohn verheißt,so wollen wir ihr <strong>den</strong>noch nichtfolgen. Setzen wir aber <strong>den</strong> Fall, wenn ihr304 Chrysostomus spricht hier gegen Jene, welche <strong>die</strong> Taufe bis zum Todeverschoben .305 Röm 3,8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wollt, es scheide ein Mensch, der unzähligeVerbrechen beg<strong>an</strong>gen, nach empf<strong>an</strong>generTaufe, was nach meiner Meinung nicht soleicht vorkommen wird, aus <strong>die</strong>sem Leben.Wie wird er, sage mir, dorthin <strong>über</strong>gehen?Wenn er auch seiner Thaten wegen nichtgerichtet wird, so wird er doch keine wahreBefriedigung fin<strong>den</strong>, und zwar mit Recht.Denn wenn er, hundert Jahre alt gewor<strong>den</strong>,kein <strong>an</strong>deren Ver<strong>die</strong>nst aufzuweisen hätte,als daß er von Sün<strong>den</strong> frei geblieben, odervielmehr nur, daß er aus purer GnadeRettung gefun<strong>den</strong>, <strong>die</strong> Anderen aber mitKronen geschmückt in Gl<strong>an</strong>z und Ehreerblickte: würde er, obgleich er nicht derHölle verfiel, <strong>den</strong> Schmerz wohl ertragen?Damit ich aber <strong>die</strong> Sache durch ein Beispieldeutlicher mache, nehmen wir <strong>an</strong>, es seienzwei Soldaten, von <strong>den</strong>en der eine stiehlt,Ungerechtigkeiten begeht und Betrügereienverübt, der Andere aber thue Nichtsdergleichen, sondern führe sich einesM<strong>an</strong>nes würdig auf, vollbringe rühmlicheThaten, trage im Kriege glänzende Siegedavon und röthe seine Rechte mit dem Blute(der Feinde). Nach einiger Zeit werde er vonder R<strong>an</strong>gstufe, welche auch der Dieb innehatte, plötzlich auf <strong>den</strong> kaiserlichen Thronerhoben und mit dem Purpur bekleidet; jenerDieb aber bleibe in seiner früheren Stellungund habe es nur der königlichen Gnade zuverd<strong>an</strong>ken, daß seine Missethaten ungestraftbleiben, müsse sich aber mit dem letztenPlatze begnügen und sich dem Königeunterordnen. Wird er nicht, sage es mir, vonSchmerz <strong>über</strong>wältiget wer<strong>den</strong>, wenn erseinen früheren Dienstgenossen auf derhöchsten Stufe der Ehre, im Gl<strong>an</strong>ze desThrones als Beherrscher des Erdkreiseserblickt, sich selbst aber noch unten findetund selbst seine Straflosigkeit sich nicht zurEhre rechnen k<strong>an</strong>n, sondern darin nurkönigliche Huld und Gnade erblicken muß?Denn hat ihm der König auch verziehen undihn der Rechenschaft entzogen, so lastet auf108seinem Leben <strong>den</strong>noch <strong>die</strong> Sch<strong>an</strong>de; <strong>den</strong>nauch Andere wer<strong>den</strong> ihm keine Achtungbezeugen. Denn bei solchen Begnadigungenbewundern wir nicht Die, welche Huldempf<strong>an</strong>gen, sondern Die, welche siespen<strong>den</strong>; und je reicher <strong>die</strong> Gna<strong>den</strong> fließen,desto größer wird <strong>die</strong> Scham der Empfänger,wenn sie sich vieler Verbrechen schuldiggemacht. Mit welchen Augen wird einSolcher <strong>die</strong> Seligen im Himmelreich<strong>an</strong>schauen können, da <strong>die</strong>se zahlloseSchweißtropfen und Wun<strong>den</strong> aufweisenkönnen, er aber gar Nichts zu zeigen hat,sondern auch noch seine Rettung allein derBarmherzigkeit Gottes zuschreiben muß?Denn gleichwie ein Mörder oder ein Dieboder ein Ehebrecher, der auf dem Punktesteht, seiner Strafe entgegengeführt zuwer<strong>den</strong>, falls er von Jem<strong>an</strong>dem los gebetenund in <strong>den</strong> Vorhof des königlichen Palasteshingestellt würde, Niem<strong>an</strong>dem frei in’sAngesicht schauen könnte, obgleich ihm <strong>die</strong>Strafe erlassen wor<strong>den</strong>: so würde es auch mit<strong>die</strong>sem der Fall sein.V.Wähne aber nicht, daß Alle, wenn von einemköniglichen (kaiserlichen) Palaste <strong>die</strong> Redeist, eines solchen theilhaftig wer<strong>den</strong>. Dennwenn schon hier der Unterfeldherr(ὕπαρχος) und <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze königlicheUmgebung, d<strong>an</strong>n aber Diejenigen, welcheweit unter <strong>die</strong>sen stehen und <strong>die</strong> Stelle dersogen<strong>an</strong>nten Hof<strong>die</strong>ner 306 einnehmen, imköniglichen Palaste wohnen, - und doch istein großer Unterschied zwischen einemUnterfeldherrn und einem Hof<strong>die</strong>ner, - sowird in noch viel höherem Grade einähnliches Verhältniß im Himmelreichstattfin<strong>den</strong>. Und was ich da sage, ist nicht306 Λεϰανοί. Hi dec<strong>an</strong>i lictores er<strong>an</strong>t in aula imperatoris. Vide C<strong>an</strong>gium inGlossario Gr. ad vocem Λεϰανός.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>meine persönliche Ansicht; <strong>den</strong>n noch eine<strong>an</strong>dere größere Verschie<strong>den</strong>heit machtPaulus geltend. Sowie nämlich großeVerschie<strong>den</strong>heiten obwalten zwischen derSonne, dem Monde, <strong>den</strong> Sternen und demallerkleinsten Sterne, so wird es auch imHimmelreich sein. Und daß ein größererUnterschied zwischen der Sonne und demkleinsten Sterne obwalte, als der sogen<strong>an</strong>nteHof<strong>die</strong>ner vom Unterfeldherrn verschie<strong>den</strong>ist, wird Allen einleuchten. Denn <strong>die</strong> Sonneerleuchtet und erhellt auf einmal <strong>den</strong>g<strong>an</strong>zen Erdkreis und stellt <strong>den</strong> Mond und <strong>die</strong>Sterne in’s Dunkel; jener aber scheint oftnicht, und <strong>die</strong>se verschwin<strong>den</strong> in derFinsterniß; viele Sterne gibt es auch, <strong>die</strong> demAuge unsichtbar bleiben. Wenn wir nunsehen, daß Andere zu Sonnen wer<strong>den</strong>, wiraber <strong>den</strong> Platz der kleinsten Sterne, <strong>die</strong> wirnicht einmal sehen, einnehmen, welcherTrost wird uns da wer<strong>den</strong>? Leben wir dochnicht, ich bitte, in Trägheit und Faulheitdahin, sondern erwerben wir uns, frei vomLeichtsinne, Heilsschätze bei Gott undvermehren wir sie. Denn wer auch nurKatechumene ist, kennt doch schonChristum, kennt <strong>den</strong> Glauben, hört das WortGottes, ist nicht weit von der Vollkenntnißder göttlichen Heilslehre und weiß <strong>den</strong>Willen seines Herrn. Warum schiebt er auf?Warum wartet und zögert er? Nichts istbesser als ein rechtschaffenes Leben, sowohlhier wie dort; ebenso bei <strong>den</strong> Erleuchteten(<strong>den</strong> Getauften) wie bei <strong>den</strong> Katechumenen.Denn sage mir, was ist uns <strong>den</strong>n Schwereszur Pflicht gemacht? Sei verehelicht, heißt es,und lebe keusch. Sag’ <strong>an</strong>, ist Das etwasSchweres? Und wie? Gibt es nicht Viele, nichtbloß Christen, sondern auch Hei<strong>den</strong>, welcheledigen St<strong>an</strong>des keusch leben? Was nun derHeide aus eitler Ruhmsucht vollbringt, willstdu Das nicht einmal aus Gottesfurcht leisten?„Gib <strong>den</strong> Armen,“ heißt es, „von Dem, was109du hast!“ 307 Ist Das schwer? Aber auch hiertreten Hei<strong>den</strong> als Kläger gegen uns auf,indem sie sich, freilich nur aus eitlerRuhmsucht, aller Habe entäussern. „Re<strong>den</strong>ichts Unfläthiges!“ 308 Ist Das schwierig?Müßten wir Das nicht vollbringen, umunsere Ehre zu wahren, wenn es auch keinGebot <strong>die</strong>ser Art gäbe? Daß aber dasGegentheil, ich meine <strong>die</strong> schamlosen Re<strong>den</strong>,schwer seien, geht daraus hervor, daß <strong>die</strong>Seele, wenn sie sich unterfängt, etwasSolches zu sagen, sich schämt und erröthet;und sie wird solche Re<strong>den</strong> nicht führen alsetwa in trunkenem Zust<strong>an</strong>de. Warum thustdu <strong>den</strong>n Das nicht auf öffentlichemPlatze, was du dir wohl zu Hause erlaubst?Nicht aus Rücksicht gegen <strong>die</strong> Anwesen<strong>den</strong>?Warum thust du Das nicht in Gegenwartdeiner Frau? Geschieht es nicht darum, umsie nicht zu beleidigen? Also um deine Fraunicht zu kränken, thust du es nicht; und Gottbeleidigest du, ohne zu erröthen? Denn Gottist <strong>über</strong>all gegenwärtig und hört Alles.„Fliehe <strong>die</strong> Trunkenheit.“ heißt es. 309 G<strong>an</strong>zrecht. Denn ist <strong>die</strong>se nicht schon <strong>an</strong> sich eineStrafe? Er sagt nicht: Martere <strong>den</strong> Leib,sondern was? Betrinke dich nicht, d. h. laß<strong>den</strong>selben nicht so üppig wer<strong>den</strong>, daß derSeele Herrschaft verloren geht. Wie nun?Braucht m<strong>an</strong> für <strong>den</strong> Leib nicht zu sorgen?Bewahre. Das sage ich nicht; sondern pflegeihn nicht zu üppiger Ausschweifung; <strong>den</strong>n<strong>den</strong>selben Befehl hat auch Paulus gegeben,indem er spricht: „Pfleget der Sinnlichkeitnicht zur Erregung der Lüste!“ 310 „Reissenicht fremdes Gut <strong>an</strong> dich,“ heißt es, „seinicht habsüchtig, schwöre keinenMeineid!“ 311 Welcher Mühen bedarf es dazu?welchen Schweißes? „Hüte dich vor demEhrabschnei<strong>den</strong>,“ heißt es, „und vor307 Tob 4,7308 Kol 3,8309 Eph 5,18310 Röm 13 ,14311 Mt 5,33


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Verläumdung!“ 312 Welche Anstrengungkostet <strong>den</strong>n Das? Das Gegentheil aber hatwohl seine Mühe, <strong>den</strong>n hast du eine böseZunge gehabt, so kommst du schnell inGefahr und mußt besorgt sein, es konnte Der,welchem du Böses nachgesagt hast, davonKenntniß erhalten, mag derselbe nun einemhohen oder niederen St<strong>an</strong>d <strong>an</strong>gehören; <strong>den</strong>nhat er einen hohen R<strong>an</strong>g, so ist <strong>die</strong> Sache <strong>an</strong>sich schon gefährlich; ist er aber einegewöhnliche Persönlichkeit, so k<strong>an</strong>n erGleiches mit Gleichem oder vielmehr deinebösen Re<strong>den</strong> noch in viel größerem Maaßevergelten. Kein Gebot fällt uns schwer,keines lästig, wenn wir nur wollen; fehlt unsaber der Wille, so erscheint uns auch dasLeichteste als eine gewaltige Last. Was istwohl leichter als essen? Allein im Übermaaßeder Faulheit haben Viele auchdagegen ihren Widerwillen, Viele höre ichsogar sagen, daß auch das Essen eineAnstrengung sei. Wenn du nur willst, istNichts von <strong>die</strong>sen Dingen beschwerlich;<strong>den</strong>n nach der Gnade von oben ist Alles amWollen gelegen. Wollen wir also das Gute,auf daß wir <strong>die</strong> ewigen Güter erl<strong>an</strong>gen durch<strong>die</strong> Gnade und Menschenfreundlichkeit u. s.w. Vierzehnte HomilieI.Kap. VIII.1. 2. Der kurze Inhalt aber Dessen, wasgesagt wor<strong>den</strong>, ist: Wir haben einen solchenHohenpriester, der zur Rechten des Thronesder Majestät im Himmel sitzt, als Dienerdes Heiligthums und des wahrhaftenZeltes, welches der Herr errichtet hat undnicht ein Mensch.Paulus, welcher immer das Beispiel seinesMeisters nachahmt, untermischt dasNiedrige mit dem Erhabenen, durch dasNiedrige zum Erhabenen <strong>den</strong> Weg zubahnen und durch jenes zu <strong>die</strong>sem <strong>an</strong> derH<strong>an</strong>d hinzugeleiten, um d<strong>an</strong>n nacherstiegener Höhe <strong>die</strong> Überzeugungbeizubringen, daß Dieß Herablassung war.Das thut er nun auch hier; <strong>den</strong>n nachdem erihn als Hohenpriester gezeigt und gesagthatte, daß er sich selbst zum Opfer gebracht,fügt er hinzu: „Der kurze Inhalt aber Dessen,was gesagt wor<strong>den</strong>, ist: Wir haben einen solchenHohenpriester, der zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel sitzt;“ und dochkommt Das nicht dem Priester, sondernDemjenigen zu, welchem zu opfern er <strong>die</strong>Verpflichtung hat. „Als Diener desHeiligthums.“ Er ist nicht einfach Diener,sondern „Diener des Heiligthums“. „Und deswahrhaften Zeltes, welches der Herr errichtet hatund nicht ein Mensch.“ Siehst du <strong>die</strong>Herablassung? Sprach er nicht früher <strong>den</strong>Unterschied aus mit <strong>den</strong> Worten: 313 „Sind sienicht alle <strong>die</strong>nende Geister?“ und darumhören <strong>die</strong>se nicht <strong>die</strong> Worte: „Setze dich zumeiner Rechten!“ Dieses aber sagt er, weilDerjenige, welcher also sitzet, durchaus keinDiener ist; so muß m<strong>an</strong> also Dieß in Bezugauf <strong>die</strong> Menschheit auffassen. „Zelt“ nennt eraber hier <strong>den</strong> Himmel. Um aber dasselbeauch in seiner Verschie<strong>den</strong>heit von demjüdischen darzustellen, setzt er <strong>die</strong> Wortehinzu: „welches der Herr errichtet hat und keinMensch.“ Siehe, wie er durch <strong>die</strong>se Worte <strong>die</strong>Gemüther Derjenigen erhebt, welche aus <strong>den</strong>Ju<strong>den</strong> gläubig gewor<strong>den</strong>. Denn da sie sichwahrscheinlich einbildeten, wir hätten keinsolches Zelt, sagt er: Siehe da einen Priester,einen Hohenpriester, der viel größer ist alsJener und ein bewunderungswürdigeresOpfer dargebracht hat. Aber, sind <strong>die</strong>seWorte nicht bloß Ruhmrede und Seelenreiz?312 Lk 3,14110313 Hebr 1,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Nein; darum führt er zuerst <strong>den</strong> Beweis vomEide, d<strong>an</strong>n auch vom Zelte. Denn auch hierlag ein offenbarer Unterschied vor; er <strong>den</strong>ktaber noch <strong>an</strong> einen <strong>an</strong>deren. „Welches derHerr errichtet hat und kein Mensch.“ Wo sindDiejenigen, <strong>die</strong> da behaupten, der Himmelbewege sich? wo Diejenigen, welchebehaupten, derselbe sei rund? Denn hier istBeides ausgeschlossen. 314 „Der kurze Inhaltaber,“ sagt er, „Dessen, was gesagt wor<strong>den</strong>.“Inhalt aber nennt m<strong>an</strong> immer, wasdas Wichtigste ist. Er steigt nun wieder mitder Rede herab, und nachdem er Hohesgesprochen, redete er neuerdings ohne ScheuUnerhabenes. Damit du ferner einsehenmögest, daß jenes Wort „Diener“ von derMenschheit ausgesagt ist, so siehe, wie erDieß <strong>an</strong>zeigt!3. Denn jeder Hohepriester, sagt er, wirdausgestellt zur Darbringung von Gabenund Opfern, weßhalb es nothwendig ist,daß auch <strong>die</strong>ser Etwas habe, was erdarbringe.Wenn du hörst, daß er sitzt, darf dir seineBenennung eines Hohenpriesters nicht wieein leerer Wortkram erscheinen; <strong>den</strong>n jenesSitzen soll <strong>die</strong> göttliche Würde <strong>an</strong>deuten,<strong>die</strong>se aber seine große und gütige Fürsorgefür uns. Darum kommt er in der Rede daraufzurück, weil Einige fragten, warum er <strong>den</strong>ngestorben, da er Priester sei. Ein Priester aberk<strong>an</strong>n nicht ohne Opfer sein; daher muß auch<strong>die</strong>ser ein Opfer haben. Nachdem er gesagthatte, daß er oben sei, bringt er für <strong>die</strong>Wirklichkeit seines Priesterthums von allenSeiten Beweisgründe vor: von Melchisedech,vom Eide, und weil er ein Opfer darbringe.Hieraus entwickelt er übrigens noch einen<strong>an</strong>deren notwendigen Schluß.4. Wenn er aber, sagt er, auf Er<strong>den</strong> seinsollte, so wäre er nicht Priester, weil daPriester sind, welche dem Gesetze gemäß<strong>die</strong> Gaben darbringen.314 In der Note heißt es: Sphaericum esse coelum Chrysostomus negabat.111Wenn er daher Priester ist, will er sagen, wieDas wirklich der Fall ist, muß m<strong>an</strong> für ihneinen <strong>an</strong>deren Ort suchen; <strong>den</strong>n wäre er aufder Erde, so würde er nicht Priester sein.Wieso? Er hätte nicht geopfert und <strong>den</strong>priesterlichen Dienst nicht versehen; undnatürlich, <strong>den</strong>n es waren Priester da. Und erzeigt, daß er auf Er<strong>den</strong> nicht Priester seinkonnte. Wie <strong>den</strong>n? Weil <strong>die</strong> Auferstehung noch nicht stattgefun<strong>den</strong>, sagt er. Hiermuß m<strong>an</strong> <strong>den</strong> Geist <strong>an</strong>strengen und <strong>die</strong>apostolische Weisheit betrachten; <strong>den</strong>n erlegt wieder <strong>den</strong> Unterschied desPriesterthums dar.5. Welche, sagt er, für das Vorbild und <strong>den</strong>Schatten der himmlischen Dinge <strong>den</strong>Dienst verwalten.Was nennt er hier himmlische Dinge? Diegeistigen Dinge; <strong>den</strong>n wenn sie auch auf derErde vollbracht wer<strong>den</strong>, so sind sie doch desHimmels würdig. Denn da unser Herr JesusChristus als Opfer erscheint, da der heiligeGeist kommt, da der zur Rechten des VatersSitzende hier ist; da wir durch <strong>die</strong> TaufeSöhne und Bürger des himmlischen Reicheswer<strong>den</strong>; da wir dort unser Vaterl<strong>an</strong>d, unsereStadt und Heimath haben, während wir hierals Fremdlinge weilen, - wie? sind Das nichtalles himmlische Dinge?II.Wie aber? Sind <strong>die</strong> Lobgesänge nichthimmlisch? stimmen wir hienie<strong>den</strong> aufEr<strong>den</strong> nicht ein in <strong>die</strong> Lieder, welche <strong>die</strong><strong>über</strong>irdischen Chöre der unkörperlichenKräfte fin<strong>den</strong>? Ist nicht auch der Altarhimmlisch? Wie <strong>den</strong>n? Er hat nichtsFleischliches; Alles, was da ist, ist geistig; dasOpfer löst sich nicht auf in Asche, in Rauch,in Fettdampf, sondern verw<strong>an</strong>delt allesVorh<strong>an</strong><strong>den</strong>e in Gl<strong>an</strong>z und Klarheit. Wiesollte da nicht Himmlisches beg<strong>an</strong>genwer<strong>den</strong>, wo <strong>die</strong> Diener jene Worte


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>vernehmen: „Welchen ihr <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>behalten werdet, <strong>den</strong>en sind sie behalten;und welchen ihr sie nachlassen werdet,<strong>den</strong>en sind sie nachgelassen.“ 315 Wie wärenicht Alles himmlisch, da <strong>die</strong>se auch <strong>die</strong>Schlüssel des Himmelreichs haben? „Undwelche für das Vorbild und <strong>den</strong> Schatten derhimmlichen Dinge <strong>den</strong> Dienst verwalten wie<strong>den</strong>n dem Moses, als er das Zeltverfertigen sollte, gesagt wurde: Siehe zu, spracher, daß du Alles nach dem Bilde machest, welchesdir auf dem Berge gezeigt wurde.“ Denn weilunser Gehör weniger leicht auffaßt, als dasGesicht (<strong>den</strong>n was wir hören, prägt sich nichtso der Seele ein, als was wir mit <strong>den</strong> Augenselbst sehen), zeigte er ihm Alles. Entwedersagt er <strong>die</strong>ses durch <strong>die</strong> Worten „für dasVorbild und <strong>den</strong> Schatten, oder er versteht<strong>die</strong>selben vom Tempel; <strong>den</strong>n er fügt bei:„Siehe zu“ sprach er, „daß du Alles nach demBilde machest, welches dir auf dem Berge gezeigtwurde.“ Entweder hatte er nur <strong>die</strong>Anschauung von dem Baue des Tempels,oder auch von <strong>den</strong> Opfern und allemAndern; ja sicher würde Jener nicht irren,welcher <strong>die</strong>se Ansicht ausspräche; <strong>den</strong>nhimmlisch ist <strong>die</strong> Kirche, und sie ist nichtsAnderes als der Himmel.6. Nun aber hat er einen um so bessernPriester<strong>die</strong>nst erhalten, je mehr er Mittlereines bessern Bundes ist.Siehst du, um wie viel besser <strong>die</strong>ser Dienstals jener ist? <strong>den</strong>n jener ist nur Vorbild undSchatten, <strong>die</strong>ser aber Wahrheit. Allein <strong>die</strong>sesbrachte <strong>den</strong> Zuhörern keinen Nutzen undgewährte ihnen keine Freude; darum sagt erihnen nun, was sie besonders erfreut; „der aufbessern Verheißungen beruht.“ Nachdem er<strong>die</strong>ß in Bezug auf <strong>den</strong> Ort, <strong>den</strong> Priester unddas Opfer hervorgehoben, gibt er auch <strong>den</strong>Unterschied vom Testamente <strong>an</strong>. Er hattesich zwar schon früher dar<strong>über</strong>ausgesprochen, als er zeigte, daß jenesschwach und ohne Nutzen sei. Undbetrachte, welche Vorsicht er gebraucht, daer gegen dasselbe sprechen will. Denn da erdort gesagt hatte: „nach der Kraft einesunauflösbaren Lebens,“ bemerkte er weiter:„das vorhergehende Gesetz wird nämlichabgeschafft,“ und zuletzt fügte er auch etwasGroßes hinzu mit <strong>den</strong> Worten: „durch welche wir zu Gott kommen.“ 316 Hieraber führt er uns in <strong>den</strong> Himmel ein undzeigt, daß wir statt des Tempels <strong>den</strong> Himmelbesitzen, und daß dort nur Vorbildergewesen von dem, was wir haben; undnachdem er so <strong>den</strong> Dienst gerühmt, spendeter auch dem Priesterthume das gebührendeLob. Aber was sie, wie ich schon sagte, ammeisten erfreute, schreibt er in <strong>den</strong> Worten:„der auf bessern Verheissungen beruht.“ Worauserhellt <strong>die</strong>ses? Daraus, daß jener abgeschafftwor<strong>den</strong>, <strong>die</strong>ser aber <strong>an</strong> seine Stelle getreten;darum aber behauptet der <strong>den</strong> Vorr<strong>an</strong>g, weiler besser ist. Denn wie er sagt: „Wenn durchihn <strong>die</strong> Vollkommenheit käme, wozu war esnoch nothwendig, nach der Weise desMelchisedech einen <strong>an</strong>dern Priesteraufzustellen“; - so be<strong>die</strong>nt er sich auch hierdesselben Schlusses, indem er spricht:7. Denn wenn jener Erste nicht m<strong>an</strong>gelhaftgewesen wäre, so würde ja für <strong>den</strong> Zweitenkeine Stelle gesucht wor<strong>den</strong> sein,- d. h. wenn ihm Nichts gefehlt, wenn er siezur Vollkommenheit geführt hätte. Daß eraber hier<strong>über</strong> spricht, vernimm aus demFolgen<strong>den</strong>: „Er tadelt sie,“ heißt es; es heißtnicht: „er tadelt ihn,“ sondern: er tadelt sieund spricht:8. 9. Siehe, es kommen <strong>die</strong> Tage, spricht derHerr, da ich mit dem Hause Israel und mitdem Hause Juda einen neuen Bundschließe; nicht gemäß dem Bunde, welchenich mit ihren Vätern schloß am Tage, da ichihre H<strong>an</strong>d ergriff, um sie aus dem L<strong>an</strong><strong>den</strong>Egypten zu führen; <strong>den</strong>n sie verblieben315 Joh 20,23112316 Hebr 7,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nicht bei meinem Bunde, und ich achteteihrer deßhalb nicht, spricht der Herr.Ja, heißt es; aber woraus erhellet, daß er seinEnde gefun<strong>den</strong>? Er hat Dieß am Priesternachgewiesen; jetzt zeigt er es nochdeutlicher in bestimmten Worten, daß erabgeschafft wor<strong>den</strong>. Wie <strong>den</strong>n? Durch <strong>die</strong>Worte: „auf bessern Verheissungen“; <strong>den</strong>n,sage mir, wo sind <strong>den</strong>n Himmel und Erdegleich? Betrachte aber, wie er auch dort vonVerheissungen spricht, um jegliche Einredeabzuschnei<strong>den</strong>. Denn dort sagt er: „Durchwelche bessere Hoffnung wir zu Gottkommen,“ 317 um <strong>an</strong>zuzeigen, daß auch dortHoffnung war; hier aber: „auf bessereVerheissungen“, um <strong>an</strong>zudeuten, daß er auchdort Verheissungen gemacht. Ihrenfortwähren<strong>den</strong> Einwendungen aber begegneter durch <strong>die</strong> Worte: „Denn siehe, es kommen <strong>die</strong>Tage, spricht der Herr, da ich mit dem HauseIsrael und mit dem Hause Juda einen neuen Bundschließe.“ Nicht irgend einen alten Bund, sagter. Denn damit sie das nicht behauptenkonnten, bestimmt er genau <strong>die</strong> Zeit. Er sagtnicht einfach: „gemäß dem Bunde, welchen ichmit ihren Vätern schloß,“ damit du nicht <strong>den</strong>mit Abraham oder Noa geschlossenen<strong>an</strong>führen k<strong>an</strong>nst, sondern er macht<strong>den</strong>selben g<strong>an</strong>z kennbar in <strong>den</strong> Worten:„Nicht gemäß dem Bunde, welchen ich mit ihrenVätern schloß am Tage ihres Auszuges.“ Unddarum setzt er hinzu: „Da ich ihre H<strong>an</strong>dergriff, um sie aus dem L<strong>an</strong>de Egypten zu führen;<strong>den</strong>n sie verblieben nicht bei meinem Bunde, undich achtete ihrer deßhalb nicht, spricht der Herr.“III.Siehst du, daß <strong>die</strong> Übel zuerst bei uns ihrenAnf<strong>an</strong>g nahmen?„Sie selbst“, sagt er, „verblieben zuerst nicht.“Daher ist bei uns <strong>die</strong> Nachlässigkeit, von ihmaber kommen <strong>die</strong> Güter, d. h. <strong>die</strong>Wohlthaten. Hier gibt er gleichsamum eine Vertheidigung zu führen, <strong>die</strong>Ursache <strong>an</strong>, warum er sie verläßt.10. Weil <strong>die</strong>ß der Bund ist, <strong>den</strong> ich mit demHause Israel nach <strong>die</strong>sen Tagen schließenwill, spricht der Herr: Ich will meineGesetze in ihren Sinn legen und in ihr Herzschreiben; ich will ihr Gott sein und siesollen mein Volk sein.Diese Worte spricht er also vom neuenBunde, weil er sagt: „nicht gemäß demBunde, welchen ich schloß.“ Welch’ <strong>an</strong>dererUnterschied aber als <strong>die</strong>ser findet noch statt?Wollte aber Jem<strong>an</strong>d behaupten, derUnterschied liege nicht hierin, sondern darin,daß <strong>die</strong>selben (Gesetze) in ihre Herzen gelegtwor<strong>den</strong> seien, der gibt keine Verschie<strong>den</strong>heitder Vorschriften <strong>an</strong>, sondern zeigt <strong>die</strong> Artund Weise ihrer Übergabe; <strong>den</strong>n der Bund,will er sagen, wird nicht mehr in <strong>den</strong>Buchstaben niedergelegt sein, sondern in <strong>den</strong>Herzen seine Grundlage fin<strong>den</strong>. Möge derJude doch zeigen, daß <strong>die</strong>ses einmalgeschehen; er wird vergeblich nachforschen;<strong>den</strong>n in Buchstaben f<strong>an</strong>d er wiederum stattnach der Rückkehr aus Babylon. Ich aberzeige, daß <strong>die</strong> Apostel nichts Geschriebenesempf<strong>an</strong>gen haben, sondern Alles durch <strong>den</strong>heiligen Geist in ihre Herzen gelegt wor<strong>den</strong>ist. Darum sprach auch Christus: „WennJener gekommen sein wird, so wird er euch<strong>an</strong> Alles erinnern und euch Alles lehren. 31811. 12. Da wird Keiner seinen Nächsten,Keiner seinen Bruder lehren und ihm sagenmüssen: erkenne <strong>den</strong> Herrn! <strong>den</strong>n siewer<strong>den</strong> mich Alle kennen, vom Kleinstenbis zum Größten unter ihnen. Denn gnädigwerde ich sein ihren Ungerechtigkeiten,und ihrer Sün<strong>den</strong> hinfür nicht mehrge<strong>den</strong>ken.Siehe da auch noch ein <strong>an</strong>deres Zeichen.„Vom Kleinsten“ sagt er, „bis zum Größten317 Hebr 7,19113318 Joh 14,26


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>unter ihnen wer<strong>den</strong> sie mich kennen;und sie wer<strong>den</strong> nicht sagen: „erkenne <strong>den</strong>Herrn!“ W<strong>an</strong>n ist <strong>die</strong>ses geschehen, als nurjetzt? Denn das Unsrige ist klar; was aberJene <strong>an</strong>geht, ist nicht offenbar, sondern engverschlossen. Übrigens nennt m<strong>an</strong> auch d<strong>an</strong>nEtwas neu, wenn es <strong>an</strong>ders gewor<strong>den</strong>, und<strong>an</strong> demselben mehr als <strong>an</strong> dem Altenvorgewiesen wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n. Auch erscheintEtwas als neu, wenn davon Einigesweggenommen wor<strong>den</strong>, Anderes aber nicht.So z. B. sagen wir, wenn Jem<strong>an</strong>d ein Haus,das dem Einsturz drohte fortschafft und dasFundament befestigt, er habe es neugemacht, da er Einiges weggenommen,Anderes <strong>an</strong> <strong>die</strong> Stelle gesetzt hat. So sagenwir ja auch vom Himmel, daß er neu sei,wenn er nicht mehr ehern ist, sondern Segenspendet. Auf gleiche Weise heißt <strong>die</strong> Erde,ohne weitere Veränderung erfahren zuhaben, neu, wenn ihre Unfruchtbarkeitaufgehört hat. So gilt das Haus für neu, wennEiniges davon weggebracht wor<strong>den</strong>, Anderesaber geblieben ist. Darum hat er auch <strong>den</strong>Bund zutreffend neu gen<strong>an</strong>nt, um<strong>an</strong>zuzeigen, daß jener Bund alt gewor<strong>den</strong>,insofern er sich als unfruchtbar erwiesen.Damit du aber genaue Kenntniß erl<strong>an</strong>gest, somerke, was Haggäus, was Zacharias, was derEngel spricht, was Esdras tadelt. Wie hatm<strong>an</strong> ihn nun aufgenommen? Wie kommt es,daß Keiner zum Herrn ruft, da sieabgewichen und sie selber es nicht einsehen?Siehst du, wie der deinige <strong>über</strong>wältigt ist?Ich aber stelle <strong>den</strong> meinigen hin, welchervorzugsweise neu gen<strong>an</strong>nt wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n.Uebrigens gebe ich nicht einmal zu, daß jeneWorte: „Der Himmel wird neu sein,“ 319 hierihre Anwendung fin<strong>den</strong>. Denn warumwer<strong>den</strong> im Deuteronomium, wo es heißt:„Der Himmel <strong>über</strong> dir wird ehern sein“, 320zur Unterscheidung nicht auch <strong>die</strong> Wortegesetzt: Wenn ihr aber hören werdet, wird er319 Is 64,17320 Dtn 28,23114neu sein? Darum also, sagt er, wolle er einen<strong>an</strong>dern Bund geben, weil sie bei dem frühernnicht verblieben. Dieses zeige ich durch <strong>die</strong>Worte, welche er spricht: „Denn wasdem Gesetze unmöglich war, weil es durchdas Fleisch geschwächt wurde.“ 321 Undwieder: „Warum versuchet ihr Gott, daß ihrein Joch auf <strong>den</strong> Nacken der Jünger leget,welches weder unsere Väter noch wir zutragen vermochten?“ 322 „Denn sie verbliebennicht“, heißt es. Hier zeigt er, daß er unsgrößerer und geistiger Güter würdigt: „Denn<strong>über</strong> <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Erde gehet aus“, heißt es, „ihrSchall, und bis <strong>an</strong> <strong>die</strong> En<strong>den</strong> des Erdreichesihr Wort,“ 323 d. h. es wird Keiner seinemNächsten sagen: „Erkenne <strong>den</strong> Herrn.“ Undwieder: „Die Erde wird voll wer<strong>den</strong> von derErkenntniß des Herrn, wie viel Wasser das Meerbedeckt.“ 32413. Indem er aber sagt: „einen neuen,“ machter <strong>den</strong> ersten alt; was aber veraltet ist undhinfällig wird, ist seinem Ende nahe.Siehe, wie er das Verborgene, <strong>den</strong> Sinn desPropheten selbst enthält. Er ehrte das Gesetz, unddarum wollte er es nicht ausdrücklich altnennen; er sagte jedoch <strong>die</strong>ses; <strong>den</strong>n wennjenes neu wäre. hätte er hernach nicht <strong>die</strong>sesneu gen<strong>an</strong>nt. Indem er also mehr undAnderes bot, sagt er, ist es alt gewor<strong>den</strong>;daher wird es aufgelöst und vernichtet, undist nicht mehr. Da er durch <strong>den</strong> ProphetenMuth bekommen, greift er dasselbe mitErfolg <strong>an</strong>, indem er zeigt, daß unsere Sachejetzt blüht, d. h. er weist nach, daß jenesveraltet ist. Nachdem nun der Bund altgen<strong>an</strong>nt und hinzugefügt wor<strong>den</strong>, daß erhinfällig sei, sagt er, was noch <strong>die</strong> weitereFolge ist: „er ist seinem Ende nahe.“ Der neueBund hat also <strong>den</strong> alten nicht ohne Grundaufhören gemacht, sondern deßhalb, weilderselbe veraltet und nutzlos war. Darum321 Röm 8,13322 Apg 15 ,10323 Ps 18,5324 Hab 2,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sagte er: „wegen seiner Schwäche undUnbrauchbarkeit;“ und: „Denn das Gesetzhat Nichts zur Vollkommenheit gebracht;“ 325und: „<strong>den</strong>n wenn jener Erste nichtm<strong>an</strong>gelhaft gewesen wäre, so würde ja für<strong>den</strong> Zweiten keine Stelle gesucht wor<strong>den</strong>sein.“ 326 Was ist ohne M<strong>an</strong>gel? Was nützlichund stark ist. Dieß sagt er aber nicht, umjenem <strong>die</strong> Schuld der Vergehen zu geben,sondern hat ihn, als nicht genügend, nachgewöhnlicher Art bezeichnet, wie m<strong>an</strong> etwasagen würde: Das Haus ist m<strong>an</strong>gelhaft, es hateinen Fehler, es ist schadhaft; Das Kleid istm<strong>an</strong>gelhaft, d. h. es zerfällt schon. Er sagtalso hier nicht, daß er (der alte Bund)schlecht sei, sondern daß ihm M<strong>an</strong>gel undGebrechen <strong>an</strong>kleben.IV.So sind auch wir neu, oder vielmehr wir sindes gewesen; jetzt eben sind wir alt gewor<strong>den</strong>,darum stehen wir auch am R<strong>an</strong>de desUnterg<strong>an</strong>ges und des Verderbens. Alleinwenn wir wollen, können wir <strong>die</strong>ses Alterabstreifen, wenn auch nicht mehr durch <strong>die</strong>Taufe, so doch durch <strong>die</strong> Buße. Findet sich inuns etwas Altes, so wollen wir es wegwerfen;jegliche Runzel, jegliche Mackel undjeglichen Schmutzflecken wollen wirwegreinigen, und <strong>an</strong>sehnlich wer<strong>den</strong>, damitder König nach unserer Schönheit verl<strong>an</strong>ge.Auch <strong>die</strong>jenigen, welche in <strong>die</strong> größteHäßlichkeit gefallen sind, können jeneSchönheit wiedererl<strong>an</strong>gen, von welcherDavid spricht: „Höre, Tochter, und schaue,und neige dein Ohr, und vergiß dein Volkund das Haus deines Vaters; so wird derKönig nach deiner Schönheit verl<strong>an</strong>gen.“ 327Allein das Vergessen verleiht <strong>die</strong> Schönheit,<strong>die</strong> Seelenschönheit nämlich, nicht. WelchesVergessen thut das? Das Vergessen derSün<strong>den</strong>. Er spricht nämlich zur Kirche, <strong>die</strong>sich aus Hei<strong>den</strong> gebildet, und ermahnt sie,der Eltern, <strong>die</strong> <strong>den</strong> Götzen opferten, nichtmehr zu ge<strong>den</strong>ken; <strong>den</strong>n aus solchen war siezusammengekommen. Er sagt nicht: bleibvon ihnen ferne, sondern was mehr ist: lassesie aus dem Sinne, wie es auch <strong>an</strong> einer<strong>an</strong>dern Stelle heißt: „Ich will deren Namennicht auf meine Lippen bringen.“ 328 Und wieder: „Damit mein Mund nicht redevon Menschenwerken.“ 329 Das ist noch keinegroße Tugend, oder vielmehr doch einegroße, aber keine wie <strong>die</strong> obige. Denn wasspricht er dort? Er sagt nicht: Du sollst „nichtre<strong>den</strong>“ von deinen Eltern, sondern: Du sollstihrer „nicht ge<strong>den</strong>ken“, sie dir nicht in <strong>den</strong>Sinn kommen lassen. Siehst du, wie sehr eruns vom Bösen ferne halten will? Denn wersich dessen nicht erinnert, wird dar<strong>über</strong> nichtnach<strong>den</strong>ken; wer aber nicht dar<strong>an</strong> <strong>den</strong>kt,wird auch seine Zunge bewahren; wer abernicht davon spricht, wird es auch nicht thun.Siehst du, vor wie vielen Zugängen er unsversch<strong>an</strong>zt, und durch wie vieleZwischenräume er uns zeitig entfernt hat?Daher wollen auch wir hören und unsereÜbel vergessen, nicht unsere Sün<strong>den</strong>, sageich, <strong>den</strong>n ge<strong>den</strong>ke, heißt es, du vorher, undich will nicht einge<strong>den</strong>k sein. Ge<strong>den</strong>ken wirz. B. nicht mehr des Raubes, sondern gebendas frühere zurück, das heißt: das Lastervergessen und jeglichen Raubged<strong>an</strong>kenentfernen und ihn nimmer aufkommenlassen, sondern auch <strong>die</strong> frühern Vergehentilgen. Wie gel<strong>an</strong>gen wir aber dahin, dasLaster zu vergessen? Durch das An<strong>den</strong>ken<strong>an</strong> <strong>die</strong> Güter Gottes; <strong>den</strong>n wenn wir stets <strong>an</strong>Gott <strong>den</strong>ken, wird jenes in unsermGedächtnisse keinen Platz mehr fin<strong>den</strong>;„Ge<strong>den</strong>ke ich deiner“, heißt es, „aus meinemLager, so sinne ich <strong>über</strong> dich nach am325 Kap. 7,18.19326 Kap. 8,7327 Ps 44,11.12115328 Ps 15,4329 Ps 16,4


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Morgen.“ 330 M<strong>an</strong> soll sich zwar immer, aberd<strong>an</strong>n zumeist <strong>an</strong> Gott erinnern, wenn <strong>die</strong>Betrachtung ruhig verläuft, wenn m<strong>an</strong> durchjenes An<strong>den</strong>ken mit sich selbst ins Gerichtgehen und Alles im Gedächtnisse festhaltenk<strong>an</strong>n. Denn wenn wir uns dem Nach<strong>den</strong>kenbei Tag <strong>über</strong>lassen, wer<strong>den</strong> wir durch dasGeräusch und durch <strong>die</strong> hinzugekommenenfrem<strong>den</strong> Sorgen darin gestört; in der Nachtaber, wo sich <strong>die</strong> Seele in stiller Ruhe, imHafen und unter heiterem Himmel befindet,ist <strong>die</strong>se Thätigkeit immerfort möglich: „Wasihr sprechet“, heißt es, „in euerm Herzen, dasbereuet auf euren Lagern!“ 331 Zwar sollte <strong>die</strong>ses An<strong>den</strong>ken auch bei Tage nichtfehlen; da ihr aber fortwährend zeitlicheSorgen habt und durch Verhältnisse desLebens abgezogen werdet: so ge<strong>den</strong>ket <strong>den</strong>neueres Gottes auf dem Lager, und sinnet <strong>über</strong>ihn am Morgen. 332 Wenn wir uns am Morgenmit solchen Ged<strong>an</strong>ken abgeben, d<strong>an</strong>nwer<strong>den</strong> wir mit großer Sicherheit <strong>an</strong> unserTagewerk gehen. Wenn wir vorerst durchGebet und Flehen uns Gott gnädig machen,so wer<strong>den</strong> wir, also fortschreitend, keinenFeind haben; solltest du aber <strong>den</strong>noch einensolchen haben, so k<strong>an</strong>nst du ihn verlachen,da Gott dich schirmt. Krieg gibt es imöffentlichen Leben, Kampf in <strong>den</strong> täglichenVerhältnissen: es gibt Sturm und Unwetter.Wir müssen daher Waffen haben; eine starkeWaffe aber ist das Gebet. Wir bedürfengünstiger Winde; wir müssen Alles lernen,damit wir <strong>die</strong> Länge des Tages ohneSchiffbruch und ohne Wun<strong>den</strong> vollen<strong>den</strong>.Denn Tag für Tag fin<strong>den</strong> sich viele Klippen,und schon oft ist das Schiff <strong>an</strong>gestoßen undzu Grunde geg<strong>an</strong>gen, darum ist uns dasGebet Morgens und Abends besondersvonnöthen. Viele von euch haben schon oft<strong>die</strong> olympischen Spiele gesehen, und siewaren nicht allein Zuschauer sondern auch330 Ps 16, 4331 Ps 4,5332 Ps 62,7116Gönner und Bewunderer der Kämpfer, undzollten ihren Beifall bald <strong>die</strong>sem bald jenem.Ihr wisset nun, daß während jener g<strong>an</strong>zenZeit, so l<strong>an</strong>ge <strong>die</strong> Kämpfe dauern, der Heroldwährend der g<strong>an</strong>zen Nacht nichts Anderes<strong>den</strong>kt und für nichts Anderes besorgt ist, alsdaß Derjenige, welcher zum Kampfeheraustritt, sich nicht mit Sch<strong>an</strong>de bedecke.Denn Jene, welche beisitzen, befehlen demTrompeter, mit Keinem Etwas zu sprechen,damit er nicht <strong>den</strong> Athem <strong>an</strong>strenge undd<strong>an</strong>n lächerlich werde. Wenn also derjenige,welcher vor Menschen kämpfen soll, sogroße Sorgsalt verwendet, so wird es uns umso mehr <strong>an</strong>gemessen erscheinen, zu <strong>den</strong>kenund besorgt zu sein, da für uns ja das g<strong>an</strong>zeLeben ein Kampf ist. Seien wir daher <strong>die</strong>g<strong>an</strong>ze Nacht wachsam, und sorgen wirdafür, daß wir, wenn wir am Tageausgehen, nicht dem Spotte verfallen. Ja,wenn wir bloß dem Spotte verfielen. Nunaber sitzt zur Rechten des Vaters derKampfrichter, der genau hört, ob unsereRede etwa übeltönend oder gegen <strong>die</strong> rechteArt sei; <strong>den</strong>n er richtet nicht bloß unsereH<strong>an</strong>dlungen, sondern auch unsere Worte.Wachen wir daher, Geliebte, <strong>die</strong> Nachtdurch! Auch wir haben unsere Gönner, wennwir wollen: einem Je<strong>den</strong> von uns steht einEngel zur Seite; wir aber schnarchen <strong>die</strong>g<strong>an</strong>ze Nacht. Und wenn es nur dabei bliebe.Viele vollbringen auch arge Wollust, indemsie in <strong>die</strong> schlechten Häuser gehen oder zuHause, wohin sie feile Dirnen bringen,Unzucht treiben. Ja so ist es. Diese sind umeinen guten Kampf wenig besorgt. Anderesind betrunken und führen schlechte Re<strong>den</strong>;Andere lärmen; Andere wachen im Dienstedes Bösen, indem sie gegen <strong>die</strong>jenigen,welche schlafen, Arglist sinnen; Andereberechnen ihre Zinsen; Andere wer<strong>den</strong> vonSorgen gefoltert und thun lieber Alles, alswas zum Kampfe gehört. Darum, ich bitteeuch, wollen wir Allem entsagen und aufEines hinschauen, damit wir <strong>den</strong> Kampfpreis


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>erl<strong>an</strong>gen und <strong>die</strong> Krone gewinnen. Alleswollen wir thun, wodurch wir theilhaftigwer<strong>den</strong> können der verheissenen Güter, <strong>die</strong>uns Allen zu Theil wer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong>Gnade und Menschenfreundlichkeit u. s. w.Fünfzehnte Homilie.I.Kap. IX.1. 2. 3. 4. 5. Es hatte zwar auch der erste(Bund) Vorschriften des Gottes<strong>die</strong>nstes unddas irdische Heiligthum. Denn es ward dasVorderzelt gemacht, worin der Leuchterund der Tisch und <strong>die</strong> Schaubrode waren,welches das Heilige heißt; und hinter demzweiten Vorh<strong>an</strong>g war das Zelt, welches dasAllerheiligste heißt, welches das gol<strong>den</strong>eRauchfaß und <strong>die</strong> von allen Seiten mit Goldbelegte Bundeslade enthielt, worin <strong>die</strong>gol<strong>den</strong>e Urne mit dem M<strong>an</strong>na, derblühende Stab Aarons und <strong>die</strong>Bundestafeln sich bef<strong>an</strong><strong>den</strong>, und <strong>über</strong>welchen <strong>die</strong> Cherubim der Herrlichkeitwaren, <strong>den</strong> Gna<strong>den</strong>thron <strong>über</strong>schattend,von welchem Allem jedoch im Einzelnenjetzt nicht zu re<strong>den</strong> ist.Er wies am Priester, am Priesterthume undam Testamente nach, daß jener Bund einEnde haben sollte; nun zeigt er Dieses<strong>an</strong> der Gestalt des Zeltes selbst. Wie <strong>den</strong>n?Durch <strong>die</strong> Worte: „das Heilige“ und „dasAllerheiligste“. Heilig waren auch <strong>die</strong>Sinnbilder der früheren Zeit; <strong>den</strong>n dortgeschah Alles durch Opfer; das Allerheiligsteaber gehört der gegenwärtigen Zeit <strong>an</strong>. Ernennt aber das Allerheiligste <strong>den</strong> Himmel,aber auch <strong>den</strong> Vorhof des Himmels und dasFleisch, welches eingeht in das Innere desVorh<strong>an</strong>gs, durch <strong>den</strong> Vorh<strong>an</strong>g seinesFleisches. Es wird aber, um <strong>über</strong> <strong>die</strong>se Stelle117zu sprechen, gut sein, auf Frühereszurückzukommen. Was sagt er also? „Es hattezwar auch das Frühere.“ Welches Frühere? DerBund. „Vorschriften des Gesetzes.“ Was heißtDas: „Vorschriften“? Sinnbilder, Satzungen,als wollte er sagen: Damals hatte er sie, jetzthat er sie nicht mehr. Er zeigt, daß er <strong>die</strong>semgewichen sei; <strong>den</strong>n er sagt: „Damals“ hatte ersie, so daß es jetzt, wenn er auch bestände,nicht der Fall ist. „Und das irdischeHeiligthum.“ „Irdisch“ nennt er es, weil derZutritt Niem<strong>an</strong>dem verwehrt war; es war einoffener Platz in demselben Gebäude,woselbst <strong>die</strong> Priester st<strong>an</strong><strong>den</strong>, sowie <strong>die</strong>Ju<strong>den</strong>, <strong>die</strong> Proselyten, <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong> und <strong>die</strong>Nazaräer. Weil nun auch <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong> dorthinkommen durften, nennt er ihn „irdisch“; <strong>den</strong>n<strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> machten ja <strong>die</strong> Welt nicht aus.„Denn es ward das Vorderzelt gemacht,“ sagt er,„welches das Heilige heißt, worin der Leuchterund der Tisch und <strong>die</strong> Schaubrode waren.“ Dassind Sinnbilder der Welt. „Nach dem zweitenVorh<strong>an</strong>g aber.“ Es war also nicht bloß einVorh<strong>an</strong>g, sondern es gab noch einen <strong>an</strong>dern,- „das Zelt, welches das Allerheiligste heißt“.Siehe, wie er immer <strong>den</strong> Namen „Zelt“gebraucht, weil m<strong>an</strong> sich dort wie untereinem Zelte bef<strong>an</strong>d. „Welches das gol<strong>den</strong>eRauchfaß und <strong>die</strong> von allen Seiten mit Goldbelegte Bundeslade enthielt, worin <strong>die</strong> gol<strong>den</strong>eUrne mit dem M<strong>an</strong>na, der blühende Stab Aaronsund <strong>die</strong> Bundestafeln sich bef<strong>an</strong><strong>den</strong>.“ Alle <strong>die</strong>seGegenstände waren ehrwürdige undglänzende Erinnerungen <strong>an</strong> <strong>die</strong>Und<strong>an</strong>kbarkeit der Ju<strong>den</strong>. „Und <strong>die</strong>Bundestafeln;“ <strong>den</strong>n <strong>die</strong>selben hat er (Moses)zerbrochen. „Und das M<strong>an</strong>na;“ <strong>den</strong>n siehaben gemurrt, und um daher <strong>die</strong>Erinnerung auf <strong>die</strong> Nachkommen zuvererben, befahl er, daß dasselbe in einergol<strong>den</strong>en Urne aufbewahrt werde. „Und derblühende Stab Aarons;“ <strong>den</strong>n sie haben sichempört. Weil also <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> und<strong>an</strong>kbarwaren und der vielen Wohlthaten nichtgedachten, brachte m<strong>an</strong> dasselbe auf Geheiß


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>des Gesetzgebers in eine gol<strong>den</strong>e Urne undbewahrte so für <strong>die</strong> Nachkommen dasAn<strong>den</strong>ken dar<strong>an</strong>. „Über welchen <strong>die</strong> Cherubimder Herrlichkeit waren, <strong>den</strong> Gna<strong>den</strong>thron<strong>über</strong>schattend.“ Was bedeuten <strong>die</strong> Worte:„Cherubim der Herrlichkeit“? Entweder <strong>die</strong>herrlichen, oder <strong>die</strong> unter Gott sind. Treffendaber sagt er von ihnen Hohes aus, um zuzeigen, wie Das größer sei, was auf siegefolgt ist. „Von welchem Allem jedoch imEinzelnen jetzt nicht zu re<strong>den</strong> ist.“ Hier deuteter <strong>an</strong>, daß <strong>die</strong> Anschauung nicht Alleserschöpft habe, sondern daß noch M<strong>an</strong>chesRäthsel geblieben. „Von welchem Allem jedochim Einzelnen“ sagt er, „nicht zu re<strong>den</strong> ist,“ -weil vielleicht eine umfassende Besprechungnothwendig wäre.6. Da <strong>die</strong>ses aber so eingerichtet war, sogingen in das Vorderzelt jederzeit <strong>die</strong>Priester ein, wenn sie <strong>den</strong> Opfer<strong>die</strong>nstverrichteten,d. h. <strong>die</strong>ses best<strong>an</strong>d zwar, aber selbst <strong>die</strong>Ju<strong>den</strong> hatten davon keinen weiteren Genuß;<strong>den</strong>n sie sahen dasselbe nicht einmal, so daßsie nicht mehr davon hatten als Diejenigen,für welche es Vorbild war.7. In das Hinterzelt einmal im Jahre derHohepriester allein, nicht ohne Blut,welches er darbrachte für sich und desVolkes Sün<strong>den</strong>.Siehst du, daß schon im Voraus <strong>die</strong> Vorbilderzum Fundamente gemacht wor<strong>den</strong> sind?Denn damit sie nicht sagen könnten:Wie kommt es <strong>den</strong>n, daß nur ein Opfer ist,und daß der Hohepriester nur einmalgeopfert hat? - so zeigt er, daß es schonvorher also gewesen; <strong>den</strong>n da es heiliger undfurchtbar war, so kam es nur einmal vor. Siewaren also von Alters her dar<strong>an</strong> gewöhnt;<strong>den</strong>n auch damals, sagt er, opferte derHohepriester nur einmal. Treffend sagt er:„nicht ohne Blut,“ zwar nicht ohne Blut, abernicht mit <strong>die</strong>sem Blute; <strong>den</strong>n so groß war <strong>die</strong>H<strong>an</strong>dlung nicht. Er zeigt, daß ein Opfer seinwerde, welches nicht im Feuer verzehrt wird,118sondern mehr im Blute sich darstellt. Dennda er das Kreuz ein Opfer gen<strong>an</strong>nt, dasweder Feuer noch Holz hat und nicht oftverrichtet wird, sondern nur einmal im Blutedargebracht wurde: so weist er nach, daßauch das alte Opfer ähnlicher Art war undeinmal im Blute dargebracht wurde. „Welcheser darbringt für sich und seines Volkes Sün<strong>den</strong>.“Wörtlich genommen sagt er nicht „Sün<strong>den</strong>“,sondern Unwissenheit, um sie vor Stolz zubewahren. Denn wenn du auch nichtfreiwillig, sagt er, gesündiget hast, so hast dudoch wider Willen aus Unkenntniß gefehlt,und hievon ist niem<strong>an</strong>d frei. Undallenthalben setzt er <strong>den</strong> Ausdruck: „fürsich“, um zu beweisen, daß Christus weitvorzüglicher sei als der Hohepriester bei <strong>den</strong>Ju<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n wenn er fern war von unsernSün<strong>den</strong>, wie sollte er <strong>den</strong>n für sich selbstopfern? Wofür <strong>den</strong>n, sagt m<strong>an</strong>, <strong>die</strong>se Worte?Denn Das geziemt sich für Den, dervorzüglicher ist. Hier läßt er sich noch inkeine Betrachtung ein, im Folgen<strong>den</strong> aberspricht er <strong>die</strong>se betrachten<strong>den</strong> Worte:8. Wodurch der heilige Geist <strong>an</strong>deutenwollte, daß der Weg zum Heiligthume nochnicht geöffnet sei, sol<strong>an</strong>ge das erste ZeltBest<strong>an</strong>d hatte.Darum, sagt er, findet sich <strong>die</strong>se Einrichtung,damit wir lernen, daß das Allerheiligste, d. i.der Himmel, noch unzugänglich sei.Wir dürfen daher nicht wähnen, will ersagen, daß derselbe nicht existire, weil wir inihn nicht eingehen, da wir ja noch nicht in’sHeiligthum eingeg<strong>an</strong>gen sind.9. Dieß ist, sagt er, ein Sinnbild dergegenwärtigen Zeit.II.Welche Zeit nennt er <strong>die</strong> gegenwärtige?Diejenige vor der Ankunft Christi, <strong>den</strong>n nachder Erscheinung Christi ist sie nicht mehrgegenwärtige Zeit; <strong>den</strong>n wie sollte sie es sein,


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>da sie durch seine Ankunft ihr Endegefun<strong>den</strong>? Er spricht in <strong>den</strong> Worten: „Diesesist ein Sinnbild der gegenwärtigen Zeit“ auchnoch etwas Anderes aus, nämlich: Es ist einVorbild. „Gemäß welchem Gaben und Opferdargebracht wer<strong>den</strong>, <strong>die</strong> im Gewissen Denjenigen,welcher <strong>die</strong>nt, nicht vollkommen machenkönnen.“ Siehst du, wie deutlich er hiergezeigt hat, was jene Worte: „Denn dasGesetz hat Nichts zur Vollkommenheitgebracht,“ 333 und: „Denn wenn jener Erstenicht m<strong>an</strong>gelhaft gewesen wäre“ 334 zubedeuten haben? Wie <strong>den</strong>n? „Im Gewissen.“Denn <strong>die</strong> Opfer reinigten <strong>die</strong> Seele nicht vomSchmutze, sondern bezogen sich nur auf <strong>den</strong>Körper; „<strong>den</strong>n nach Vorschrift,“ heißt es,„einer fleischlichen Bestimmung;“ <strong>den</strong>n siewaren nicht im St<strong>an</strong>de, <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> desEhebruches, des Mordes, des Tempelraubesnachzulassen. Du siehst: Dieß sollst du essen,Jenes nicht, ist <strong>an</strong> sich indifferent. „Nur inRücksicht auf Speisen und Getränke.“ 10. Und m<strong>an</strong>cherlei Waschungen.Diesestrinke, sagt er, obwohl in Bezug auf <strong>den</strong>Tr<strong>an</strong>k keine Vorschriften gegeben waren,sondern <strong>die</strong>se Worte bil<strong>den</strong> eine etwasverächtliche Ausdrucksweise. „Mittelstm<strong>an</strong>cherlei Abwaschungen und fleischlicherRechtfertigungsgebräuche, <strong>die</strong> bis zur Zeit derVerbesserung auferlegt waren.“ Denn Das ist<strong>die</strong> Rechtfertigung des Fleisches. Hierverwirft er <strong>die</strong> Opfer und zeigt, daß sie keineKraft und nur bis zur Zeit der VerbesserungBest<strong>an</strong>d hatten, d. h. <strong>die</strong> Zeit abwarteten, <strong>die</strong>Alles verbessere.11. Dagegen ist Christus, nachdem er alsHoherpriester der zukünftigen Gütergekommen, durch ein höheres undvollkommeneres Zelt, das nicht vonMenschenhän<strong>den</strong> gemacht ist, insHeiligthum eingeg<strong>an</strong>gen.Er spricht hier vom Fleische. Treffend abersagt er: „ein höheres und ein vollkommeneres,“333 Hebr 7,19334 Hebr 8,7119weil ja Gott das Wort und <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Kraftdes heiligen Geistes darin wohnet. „DennGott gibt <strong>den</strong> Geist nicht nach demMaaßen;“ 335 oder (er nennt es)vollkommener, weil es unverletzlich ist undGrößeres bewirkt. „Nämlich nicht von <strong>die</strong>serWelt.“ Siehe also, in wiefern es größer ist;<strong>den</strong>n es wäre nicht aus dem heiligen Geiste,wenn ein Mensch dasselbe gemacht hätte.„Nicht von <strong>die</strong>ser Welt,“ sagt er, d. h. es istnicht aus erschaffenen Dingen dargestellt,sondern es ist eine geistige Schöpfung, esstammt vom heiligen Geiste. Siehst du, wieer <strong>den</strong> Leib Zelt und Vorh<strong>an</strong>g und Himmelnennt? „Durch ein höheres und vollkommeneresZelt,“ sagt er; d<strong>an</strong>n: „Durch <strong>den</strong> Vorh<strong>an</strong>g,“ d. i. durch seinen Leib; undwieder. „In’s Innere des Vorh<strong>an</strong>ges; 336 und:„Der hineingeht in’s Allerheiligste,“ um zuerscheinen vor dem Angesichte Gottes.Warum aber thut er Das? Er will unsbelehren, daß <strong>die</strong> verschie<strong>den</strong>enBezeichnungen <strong>den</strong>selben Sinn enthalten. Soist z. B. ein Vorh<strong>an</strong>g der Himmel; <strong>den</strong>ngleichwie sich der Vorh<strong>an</strong>g, ähnlich einerMauer, vor dem Heiligthume befindet, soverbirgt das Fleisch <strong>die</strong> Gottheit. ÄhnlicherWeise ist das Fleisch ein Zelt, das <strong>die</strong>Gottheit hat; und wieder ist der Himmel einZelt; <strong>den</strong>n dort befindet sich im Innern derPriester. „Christus aber,“ sagt er, „nachdem erals Hoherpriester gekommen.“ Er sagt nicht:nachdem er gewor<strong>den</strong>, sondern: nachdem ergekommen, d. h. nachdem er zu <strong>die</strong>semZwecke gekommen, war Nichts weiter mehrzu <strong>über</strong>nehmen. 337 Er kam nicht zuerst undwurde d<strong>an</strong>n, sondern er kam in derEigenschaft als Priester. Und er sagt nicht:Nachdem er gekommen als Hoherpriesterder Opfer, sondern der „zukünftigen Güter“,335 Joh 3,34336 Hebr 6,19337 So <strong>über</strong>setzt Weber das οὐχ ἕτερον διαδεξάμενος. Montf. schreibt: alterinon successisset; Muti<strong>an</strong>: non alii succedeus.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gleichsam als wäre <strong>die</strong> Sprache nicht fähig,das G<strong>an</strong>ze auszudrücken.12. Auch nicht durch Blut von Böcken undStieren, heißt es;Alles ist <strong>an</strong>ders gewor<strong>den</strong>; „sondern mitfernem eigenen Blute,“ sagt er, „ist er ein fürallemal in’s Heiligthum eingeg<strong>an</strong>gen.“ Siehe,Dieß hat er <strong>den</strong> Himmel gen<strong>an</strong>nt. „Ein fürallemal,“ sagt er, „ist er in’s Heiligthumeingeg<strong>an</strong>gen und hat eine ewige Erlösungerfun<strong>den</strong>.“ Durch <strong>die</strong> Bezeichnung „erfun<strong>den</strong>“ist etwas Unerreichbares und alleErwartung Übersteigendes ausgedrückt,indem er durch einen einmaligen Eing<strong>an</strong>geine ewige Erlösung erfun<strong>den</strong> hat. D<strong>an</strong>n folgtder Beweis.13. 14. Denn wenn das Blut der Böcke undStiere und <strong>die</strong> Besprengung mit derKuhasche <strong>die</strong> Verunreinigten heiligt, sodaß sie leiblich rein wer<strong>den</strong>; um wie vielmehr wird das Blut Christi, der im heiligenGeiste sich selbst als unbefleckt Gottdargebracht, unser Gewissen von todtenWerken reinigen, damit wir Gott, demLebendigen, <strong>die</strong>nen.Denn wenn, sagt er, das Blut der Stiere dasFleisch reinigen k<strong>an</strong>n, so wird noch viel mehrdas Blut Christ <strong>den</strong> Schmutz der Seeleabwaschen. Damit du dir aber, wenn du <strong>den</strong>Ausdruck „heiligt“ vernimmst, nicht irgendetwas Großes <strong>den</strong>kest, zeigt er g<strong>an</strong>z deutlich<strong>den</strong> Unterschied zwischen <strong>die</strong>sen bei<strong>den</strong>Reinigungen, und wie <strong>die</strong> eine erhaben, <strong>die</strong><strong>an</strong>dere aber ihrer Natur nach niedrig sei;<strong>den</strong>n dort war es das Blut der Stiere, hieraber ist es das Blut Christi. Und er begnügtsich nicht mit dem bloßen Namen desOpfers, sondern gibt auch <strong>die</strong> Art und Weisedesselben <strong>an</strong>. „Der im heiligen Geiste,“ sagt er,„sich selbst als unbefleckt Gott dargebracht hat,“d. h. als ein unbedecktes Opfer, rein vonSün<strong>den</strong>. Der Ausdruck aber: „im heiligenGeiste“ zeigt <strong>an</strong>, daß das Opfer nicht im Feuernoch in irgend etwas Anderem dargebrachtwurde. „Es wird unser Gewissen,“ sagt er, „von120todten Werken reinigen.“ Und treffend sagt er:„von todten Werken;“ <strong>den</strong>n wenn Jem<strong>an</strong>ddamals einen Todten berührte, wurde erunrein, und wenn Jem<strong>an</strong>d hier sich miteinem todten Werke befassen wollte, sowürde er sich durch das Gewissenverunreinigen. „Damit wir Gott,“ sagt er,„dem Lebendigen und Wahren <strong>die</strong>nen.“Hier zeigt er, daß derjenige, welcher „todteWerke“ hat, dem „lebendigen Gott“ unmöglich<strong>die</strong>nen k<strong>an</strong>n. „Dem wahren und lebendigenGott,“ sagt er; <strong>den</strong>n er zeigt dadurch, daßDasjenige, was für ihn geschieht, sobeschaffen sein müsse. Was also bei unsgeschieht, ist Leben und Wahrheit; bei <strong>den</strong>Ju<strong>den</strong> aber ist Tod und Trug, - und natürlich.III.Niem<strong>an</strong>d also, der todte Werke hat, trete hierein. Denn wenn Derjenige, welcher einentodten Körper berührt hatte, nicht eintretendurfte: nm wie viel weniger darf Dieß einSolcher thun, der todte Werke hat! Denn Dasist <strong>die</strong> schwerste Befleckung. Todte Werkeaber sind alle, welche kein Leben haben,welche Gest<strong>an</strong>k verbreiten. Denn wie eintodter Körper zu irgend einer Empfindunguntauglich ist und Diejenigen, <strong>die</strong> ihmnahen, übel berührt: so greift auch <strong>die</strong> Sündedas Erkenntnißvermögen <strong>an</strong> und läßt <strong>die</strong>sesnicht zur ruhigen Überlegung gel<strong>an</strong>gen,sondern verwirret und störte es. Von der Pestsagt m<strong>an</strong>, daß sie in ihrem Entstehen <strong>die</strong>Körper zu Grunde richte. Also ist auch <strong>die</strong>Sünde. Diese ist von der Pest in Nichtsverschie<strong>den</strong>, nicht weil sie zuerst <strong>die</strong> Luftund d<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Körper vergiftet, sondern weilsie auf der Stelle <strong>die</strong> Seele befällt. Siehst dunicht, wie <strong>die</strong> Pestkr<strong>an</strong>ken in Gluthhitzeschmachten, wie sie sich hin und her werfen,wie sie voll Gest<strong>an</strong>k sind, wie häßlich ihrAnblick, wie groß ihr Schmutz ist? So sindauch <strong>die</strong> Sünder, obgleich sie es nicht


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wahrnehmen. Denn sage mir, ist Der nichtschlimmer dar<strong>an</strong> als jeglicher Fieberkr<strong>an</strong>ke,welcher in <strong>den</strong> Fesseln der Habsucht oderder Sinnenlust liegt? Ist Der nichtschmutziger als alle Diese, welcher jeglichesAbscheuliche vollbringt oder duldet? Dennwas ist häßlicher als ein Mensch, der vonGeldgier beherrscht wird? Denn was <strong>die</strong>Buhlweiher und <strong>die</strong> Schauspielerinen nichtausschlagen zu thun, dessen weigert sich einSolcher auch nicht; ja m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n <strong>an</strong>nehmen,daß sich jene eher in Etwas weigern alsDieser. Was rede ich von Weigerung?Auch Sklaven<strong>die</strong>nste verrichtet er,schmeichelt Leuten, wo es sich nicht schickt,ist d<strong>an</strong>n wieder frech, wo es unziemlich ist,ist <strong>über</strong>all charakterlos. Im Kreise schlechterMenschen und elender Betrüger, obgleich sieviel ärmer und geringer sind, als er selbst ist,gefällt er sich oft als Schmeichler;rechtschaffene und tugendhafte Männerbeh<strong>an</strong>delt er <strong>über</strong>müthig und frech. Siehst duauf bei<strong>den</strong> Seiten <strong>die</strong> Häßlichkeit und <strong>die</strong>Unverschämtheit? Er ist grenzenloskriechend und in gleichem Gradehochmüthig. - Die Dirnen stehen <strong>an</strong> ihrerWohnung, und Das ist ihr Vergehen, daß sieihren Körper um Geld verkaufen; allein siehaben in etwa <strong>die</strong> Noth und <strong>den</strong>Hungerzw<strong>an</strong>g zur Entschuldigung, wiewohlauch Das keine genügende Entschuldigungist; <strong>den</strong>n sie könnten sich durch Arbeiternähren. Hier aber steht der Habsüchtigenicht <strong>an</strong> seinem Hause, sondern mitten in derStadt und <strong>über</strong>liefert nicht <strong>den</strong> Leib, sondern<strong>die</strong> Seele dem Teufel, so daß er mit demTeufel zusammenkommt und wie mit einerDirne verkehrt und nach vollerLustbefriedigung von d<strong>an</strong>nen geht; undAugenzeuge ist <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Stadt, nicht zweioder drei Menschen. Und Das ist noch dasEigene bei <strong>den</strong> Dirnen, daß sie Dem gehören,der ihnen das Geld gibt, mag er ein Sklave,ein Freier, ein Mönch oder wer immer sein;wer da <strong>den</strong> Lohn zahlt, findet Aufnahme; <strong>die</strong>121aber Nichts spen<strong>den</strong>, und zählten sie auch zu<strong>den</strong> höchsten Stän<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong> nicht<strong>an</strong>genommen. Gerade so h<strong>an</strong>deln auch <strong>die</strong>Habsüchtigen. Mit dem Edelsinn wollen sie,wenn das Geld fehlt, Nichts zu thun haben;das Geld aber führt sie mit dem Schmutz undder Gottlosigkeit zusammen, und durch<strong>die</strong>se schmähliche Gemeinschaft vernichtensie <strong>die</strong> Schönheit der Seele. Denn wie jeneDirnen von Natur häßlich und schwarz undplump und fleischklumpig und mißgestaltet,garstig und g<strong>an</strong>z und gar widerlich sind, soerhalten eine gleiche Beschaffenheit <strong>die</strong>Seelen Dieser, und es läßt sich ihreHäßlichkeit nicht einmal durch äussereSchminke verbergen. Denn wenn <strong>die</strong>Scheußlichkeit <strong>den</strong> höchsten Grad erreichthat, sind sie nicht mehr im St<strong>an</strong>de, ihreGed<strong>an</strong>ken zu verbergen. Daß aber<strong>die</strong> Unverschämtheit Dirnen macht, lerne aus<strong>den</strong> Worten des Propheten: „Du bistunverschämt gewor<strong>den</strong> gegen Alle; du hasteine Hurenstirne erhalten.“ 338 Dasselbe k<strong>an</strong>nm<strong>an</strong> auch zum Habsüchtigen sagen: Du bistunverschämt gewor<strong>den</strong> gegen Alle, nichtgegen Diese oder Jene, sondern gegen Alle.Wie? Nicht Vater, nicht Sohn, nicht Weib,nicht Freund, nicht Bruder, nicht Wohlthäter,kurz Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> scheut er. Und was rede ichvon Freund und Bruder und Vater? Gottselbst fürchtet er nicht, und Alles scheint ihmein Härchen zu sein, und in <strong>über</strong>großerLusttrunkenheit lacht er auf und verschließtAllem sein Ohr, was ihm nur immer Nutzenzubringen vermöchte. Aber, o derAbgeschmacktheit! und was führt m<strong>an</strong> fürRe<strong>den</strong>. Wehe dir, o Mammon, und Dem, derdich nicht hat. Hier <strong>über</strong>wältigt mich derUnwille, - <strong>den</strong>n wehe Denen, <strong>die</strong> Solchesre<strong>den</strong>, und thaten sie es auch nur im Scherze.Denn sage mir, hat Gott nicht eine solcheDrohung ergehen lassen in <strong>den</strong> Worten: „Ihrkönnet nicht zweien Herren <strong>die</strong>nen.“ 339338 Jer 3,3339 Mt 6,24


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Lösest du <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Drohung auf, indem dues wagst, zu deinem eigenen Verderbensolche Re<strong>den</strong> zu führen? Nennt Paulus Dießnicht Abgötterei und <strong>den</strong> Habsüchtigeneinen Götzen<strong>die</strong>ner? Du aber stehst da undlachest wie lebenslustiges Weibsvolk undscherzest wie Schauspielerinen.IV.Das aber hat alle Ordnung verkehrt und <strong>über</strong><strong>den</strong> Haufen geworfen. Was wir haben, wirdbelacht, unsere Einrichtungen, unsereBildungsformen. Nichts ist mehr fest, Nichtswürdevoll. Und nicht für <strong>die</strong> lebensfrohenMänner allein spreche ich so, sondern ichweiß, auf welche ich <strong>an</strong>spiele; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Kirche ist g<strong>an</strong>z voll von Gelächter. SprichtJem<strong>an</strong>d nur irgend ein Witzwort, so befälltauf der Stelle, <strong>die</strong> da sitzen, ein Lachen, undwor<strong>über</strong> m<strong>an</strong> sich wundern muß, selbst zurZeit des Gebetes hören Viele nichtauf, zu lachen. Überall führt der Teufel <strong>den</strong>Chor <strong>an</strong>, in Alle ist er hineingefahren, Allebeherrscht er: verachtet ist Christus,verstoßen ist er, <strong>die</strong> Kirche gilt Nichts mehr.Höret ihr nicht, was Paulus bricht:„Schamlosigkeit, thörichtes Gerede undPossen (sollen von euch ferne sein)“? 340Neben <strong>die</strong> Schamlosigkeit setzt er dasPossenwesen. Du aber lachst? Was istthörichtes Gerede? Nutzloses Zeug. Du aberlachst mit dem g<strong>an</strong>zen Gesichte, der du dochein Mönch und gekreuziget bist und trauerst,und du k<strong>an</strong>nst lachen, sag’ <strong>an</strong>. Wo hast dugehört, daß Christus je so Etwas geth<strong>an</strong>?Nirgends, wohl aber, daß er oft trauriggewesen. Denn da er Jerusalem sah, weinteer, und da er <strong>an</strong> <strong>den</strong> Verräther dachte, fühlteer sich ergriffen, und da er im Begriffe war,<strong>den</strong> Lazarus zu erwecken, vergoß erThränen. Du aber lachst? Wenn Jem<strong>an</strong>d, der<strong>über</strong> <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> Anderer keinen Schmerzempfindet, <strong>an</strong>geklagt zu wer<strong>den</strong> ver<strong>die</strong>nt,wie k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n Derjenige auf Verzeihungrechnen, welcher bei seinen eigenenVergehen gefühllos bleibt und lacht? Jetzt ist<strong>die</strong> Zeit der Trauer und der Trübsal, derZüchtigung und Unterwerfung, der Kämpfeund des Schweißes: du aber lachst? Siehst dunicht, wie Sara Vorwürfe erhalten hat? Hörstdu nicht, was Christus spricht? „WeheDenen, welche lachen, <strong>den</strong>n sie wer<strong>den</strong>weinen. 341 Täglich singst du Das. WelcheWorte aber, sage mir, gebrauchst du? Sagstdu etwa: Ich habe gelacht? Gewiß nicht,sondern was? „Ich habe mich abgemüht inmeinem Seufzen.“ Aber vielleicht sind Einigeso verkommen und ausgelassen, daß siesogar bei eben <strong>die</strong>ser Zurechtweisungspassen, weil wir uns <strong>über</strong> das Lachen soausgesprochen haben. Denn so groß ist derWahnsinn, so groß <strong>die</strong> Verrücktheit, daß sienicht einmal <strong>die</strong> Zurechtweisung fühlt. Essteht der Priester Gottes da und opfert dasGebet Aller auf; du aber <strong>über</strong>lassest dichohne Scheu dem Lachen? Jener bringtzitternd <strong>die</strong> Gebete für dich als Opfer dar; duaber bist voll Verachtung? Hörst du nicht,was <strong>die</strong> Schrift sagt? „Wehe euch, ihrVerächter!“ Erbebst du nicht? Fühlst du dichnicht ergriffen? Betrittst du einenKönigspalast. so suchst du durch Haltung,Ansehen, G<strong>an</strong>g und alles Andere in schönemAnst<strong>an</strong>d zu erscheinen; hier aber, wo inWahrheit ein Königspalast ist, und zwargerade so wie der Himmel, lachst du sogar?Jedoch ich weiß, du bist mit Blindheitgeschlagen; aber höre, <strong>über</strong>all sind Engelzugegen, und g<strong>an</strong>z besonders im HauseGottes stehen sie bei dem Könige, und Allesist <strong>an</strong>gefüllt von <strong>die</strong>sen unkörperlichenMächten. Diese meine Rede gilt auch für <strong>die</strong>Weiber, welche es wohl schwerlich wagen, inGegenwart ihrer Männer sich so zu340 Eph 5,4122341 vgl. Lk 6,25


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>benehmen, und wenn sie etwa solches thun,es sich doch keineswegs immer, sondern nurzur Zeit der Erholung erlauben. Hier abergeschieht es fortwährend. Du sitzest, sag’ <strong>an</strong>,mit verschleiertem Haupt in der Kirche, oWeib, und lachst? Du bist eingetreten, umdeine Sün<strong>den</strong> zu bekennen, um vor Gottniederzufallen, ob deiner Vergehen zu bittenund zu stehen, - und du thust Das mitLachen? Wie wirst du also im St<strong>an</strong>de sein,ihn zu versöhnen? Aber was Böses, sagt m<strong>an</strong>,ist <strong>den</strong>n das Lachen? Das Lachen ist nichtböse, wohl aber das maaßlose und unzeitigeLachen. Das Lachen liegt in uns, und wirüben solches, wenn wir nach l<strong>an</strong>ger ZeitFreunde wiedersehen; wenn wir Traurigeund Betroffene durch freundliches Lächelnaufrichten wollen; keineswegs aber sollenwir laut auslachen oder fortwährend lachen.Das Lachen liegt in unserer Seele, damit<strong>die</strong>se darin eine Erholung finde, aber nichtdarin sich verliere. So liegt auch <strong>die</strong> sinnlicheBegierde 342 in uns; aber darum ist esdurchaus nicht nothwendig, daß wir ihr auchFolge leisten oder ihr unmäßig fröhnen;sondern wir beherrschen sie und sagen nicht:Da sie in uns liegt, wollen wir davonGebrauch machen. Mit Thränen<strong>die</strong>ne Gott, damit es dir möglich werde,deine Sün<strong>den</strong> zu tilgen. Ich weiß, daß Vieleuns verspotten, indem sie sagen: SogleichThränen. Darum ist <strong>die</strong> Zeit der Thränen. Ichweiß auch, was Die im Sinne haben, <strong>die</strong> dasagen: „Lasset uns essen und trinken, <strong>den</strong>nmorgen sind wir todt;“ 343 aber be<strong>den</strong>ke dasWort: „Eitelkeit der Eitelkeiten, und Alles istEitelkeit!“ 344 Nicht ich rede so, sondernDerjenige, welcher Alles erfahren hat, spricht<strong>die</strong>se Worte: „Ich baute mir Häuser undpfl<strong>an</strong>zte mir Weinberge; ich machte mirWasserteiche und hatte Mundschenke und342 Έπιϑυμία σωμάτων = körperliche Begierde343 1 Kor 15, 32344 Ekkli 1,2123Mundschenkinen.“ 345 Und was sagt er nachall Diesem? „Eitelkeit der Eitelkeiten, undAlles ist Eitelkeit.“ Trauern wir daher,Geliebte, trauern wir, damit wir in Wahrheitlachen, damit wir uns thatsächlich ergötzenzur Zeit der ächten Freude; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> jetzigeFreude ist g<strong>an</strong>z mit Trauer vermischt, undm<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sie nirgends rein fin<strong>den</strong>; jene aberist ächt und ohne Trug und Tücke, frei vonjeglicher Beimischung. Dieser Freude wollenwir uns erfreuen, nach <strong>die</strong>ser wollen wirstreben. Anders aber können wir <strong>die</strong>se nichterreichen, als wenn wir nicht nach Dem, wassüß, sondern nach Dem, was heilsam ist,greifen, indem wir eine kurze Trübsalfreudig erdul<strong>den</strong> und mit D<strong>an</strong>k uns Allemunterziehen, was <strong>über</strong> uns kommt. Denn sokönnen wir das Himmelreich erl<strong>an</strong>gen durch<strong>die</strong> Gnade und Menschenfreundlichkeit u. s.w. Sechzehnte Homilie.I.15. 16. 17. 18. Und darum ist er des neuenBundes Mittler, damit durch <strong>den</strong> Tod,welcher zur Erlösung von <strong>den</strong>Übertretungen unter dem ersten Bundeerfolgte, Diejenigen, welche berufen sind,das verheissene Erbe erhielten. Denn woein Testament ist, da muß der Tod Dessen,der das Testament macht, dazwischenkommen; <strong>den</strong>n ein Testament wird durch<strong>den</strong> Tod geltend, sonst hat es keine Kraft,wenn Der noch lebt, der es gemacht hat.Daher wurde auch das erste nicht ohne Bluterrichtet.Es war natürlich, daß Viele von <strong>den</strong>Schwächeren <strong>den</strong> Verheißungen Christidarum keinen Glauben schenkten, weil ergestorben ist. Paulus widerlegt nun eine345 Ekkli 2,4.5


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>solche Ansicht gründlich und stellt einZeichen auf, das allgemeine Geltunghat. Welches <strong>den</strong>n? Deßhalb gerade, sagt er,muß m<strong>an</strong> fest vertrauen. Weßhalb? Weilnicht <strong>die</strong> Testamente der noch Leben<strong>den</strong>zuverlässig und fest sind, sondern erst nachdem Tode Das wer<strong>den</strong>. Darum beginnt erauch mit <strong>die</strong>sen Worten und sagt: „Er ist desneuen Bundes Mittler.“ Das Testament aberwird gegen <strong>den</strong> letzten Tag hin vor demHinschei<strong>den</strong> gemacht und hat <strong>die</strong>Beschaffenheit, daß es Einige zu Erbeneinsetzt, Andere aber enterbt. So spricht auchChristus hier in Bezug auf <strong>die</strong> Erben: „Ichwill, daß, wo ich bin, auch Diese seien.“ 346Und wieder in Bezug auf <strong>die</strong> Enterbtenvernimm seine Worte: „Ich bitte nicht fürAlle, sondern für Diejenigen, welche durchihr Wort <strong>an</strong> mich glauben wer<strong>den</strong>.“ 347 DasTestament enthält ferner auch M<strong>an</strong>ches, wasDen <strong>an</strong>geht, der es macht, und M<strong>an</strong>ches fürDiejenigen, auf welche es lautet, so daß Dieseetwas Gewisses empf<strong>an</strong>gen und etwasGewisses leisten. So ist es auch hier.Nachdem er ihnen Unzähliges verheissen,sagt er auch, was er von ihnen verl<strong>an</strong>ge,indem er spricht: „Ein neues Gebot gebe icheuch.“ 348 D<strong>an</strong>n muß das Testament auchZeugen haben; höre seine eigenen Worte:„Ich bin es, der ich von mir selbst Zeugnißgebe, und es gibt Zeugniß von mir der Vater,der mich ges<strong>an</strong>dt hat.“ 349 Und wieder: „Jenerwird von mir Zeugniß geben,“ 350 indem ervom heiligen Geiste spricht. Und <strong>die</strong> zwölfApostel s<strong>an</strong>dte er aus mit <strong>den</strong> Worten:„Leget Zeugniß ab vor Gott;“ und deßhalbsagt er: „Er ist des neuen Bundes Mittler.“ Washeißt Das aber: „Mittler“? Der Mittler istnicht Herr <strong>über</strong> <strong>die</strong> Sache, wofür er <strong>die</strong>Vermittlung <strong>über</strong>nimmt, sondern etwasAnderes ist <strong>die</strong> Sache, etwas Anderes der346 Joh 17,24347 vgl. Joh 17,20348 Joh 17,13349 Joh 8,18350 Joh 15,26124Vermittler, wie z. B. der Ehevermittler nichtDerjenige ist, welcher heirathet, sondern Derjenige, welcher Dem behilflichist, der heirathen will. So ist auch hier derSohn Mittler gewor<strong>den</strong> zwischen dem Vaterund uns. Der Vater wollte uns <strong>die</strong> Erbschaftnicht hinterlassen, sondern er zürnte uns undhatte gegen uns eine Abneigung wie gegenFeinde; Christus wurde daher der Mittlerzwischen uns und ihm und legte bei ihm mitErfolg Fürsprache ein. Und siehe, wie er derMittler gewor<strong>den</strong>. Unsere Worte brachte erzum Vater und des Vaters Mittheilungen zuuns und weihte sich dem Tode. Wir warenschuldbela<strong>den</strong> und sollten sterben; er starbfür uns und machte uns des Testamenteswürdig. Daher ist auch das Testament sicherund fest, weil es nicht auf Unwürdige gestelltwar. Anf<strong>an</strong>gs st<strong>an</strong>d es, wie wenn ein Vaterfür seine Söhne testirt; nachdem wir aberunwürdig gewor<strong>den</strong>, bedurfte es keinesTestamentes mehr, sondern es sollte Strafefolgen. Warum, sagt er, bist du also stolz aufdas Gesetz? Denn durch dasselbe waren wirso sehr der Sünde verfallen, daß wir niehatten Rettung fin<strong>den</strong> können; wäre unserHerr nicht für uns gestorben, so hätte dasGesetz keine Kraft gehabt; <strong>den</strong>n es warohnmächtig. Er führt aber <strong>den</strong> Beweis nichtmehr aus dem allgemeinen Gebrauche allein,sondern auch aus Dem, was im alten Bundegeschah; und Das zog sie besonders <strong>an</strong>. Aberdort, sagt m<strong>an</strong>, ist Niem<strong>an</strong>d gestorben; wiekonnte jener (Bund) nun fest sein? Durch <strong>die</strong>gleiche Art und Weise, sagt er. Wie <strong>den</strong>n?Denn auch dort war Blut, wie hier Blut ist;wenn aber nicht Christi Blut, so wunderedich dar<strong>über</strong> nicht, <strong>den</strong>n es war nur einVorbild; darum sagt er auch: „Daher wurdeauch das erste (Bündniß) nicht ohne Bluterrichtet.“ Was heißt aber der Ausdruck:„wurde errichtet?“ Es wurde befestigt,bekräftigt. Dadurch, will er sagen, mußte esein Vorbild des Testamentes und des Todessein.


II.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Warum, sag’ <strong>an</strong>, wurde <strong>den</strong>n das Buch desTestamentes besprengt?19. 20. Denn als Moses, heißt es, alle Gebotedes Gesetzes allem Volke vorgelesen hatte,nahm er das Blut von Stieren und Böckenmit Wasser und purpurrother Wolle undHyssop und besprengte das Buch selbstund alles Volk und sprach: Dieß ist das Blutdes Bundes, welchen Gott mit euchgeschlossen hat.Weßhalb, sag’ <strong>an</strong>, wurde <strong>den</strong>n das Buch desBundes und das Volk besprengt? Weil <strong>die</strong>sesBlut und das Übrige ein Vorbild jeneskostbaren, von Alters her vorgebildetenBlutes war. Warum aber auch mit Hyssop?Weil er seiner Dichtheit und Zartheit wegengeeignet war, das Blut festzuhalten. Wasbedeutet aber das Wasser? Es soll <strong>die</strong> durchdasselbe (in der Taufe) stattfin<strong>den</strong>deReinigung <strong>an</strong>zeigen. Was aber <strong>die</strong> Wolle?Auch <strong>die</strong>se wurde genommen, um das Blutzu sammeln. Er zeigt hier, daß Wasser undBlut Dasselbe seien; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Taufe ist dasAbbild seines Lei<strong>den</strong>s.21. 22. Auch das Zelt und alle Gefäße zumDienste besprengte er gleichfalls mit demBlute. Und mit Blut wird ja fast Allesgereinigt nach dem Gesetze, und ohneBlutvergießen gibt es keine Vergebung.Warum gebraucht er <strong>den</strong> Ausdruck: „fast“?Warum macht er <strong>die</strong>se Beschränkung? Weiljenes keine vollkommene Reinigung, keinevollkommene Nachlassung, sondern einehalbe war und sich auf <strong>den</strong> geringsten Theilbezog; hier aber sagt er: „Dieß ist das Blutdes neuen Bundes, das für euch vergossenwird zur Vergebung der Sün<strong>den</strong>.“ 351 Wo hat<strong>den</strong>n das Buch ihren Sinn gereinigt? Sie selbst waren <strong>die</strong> Bücher des neuenBundes. Wo aber sind <strong>die</strong> Gefäße desDienstes? Sie selber sind es. Wo aber ist dasZelt? Wiederum sind sie es selbst; „<strong>den</strong>n ichwill,“ heißt es, „in ihnen wohnen und unterihnen w<strong>an</strong>deln.“ 352 Aber hier wur<strong>den</strong> sienicht mit purpurrother Wolle und Hyssopbesprengt. Warum? Weil <strong>die</strong> Reinigung keineleibliche, sondern eine geistige und das Blutein geistiges war. Wie <strong>den</strong>n? Es floß nicht ausdem Körper unvernünftiger Thiere, sondernaus dem Leibe, der vom heiligen Geistezubereitet war. Mit <strong>die</strong>sem Blute hat unsnicht Moses, sondern Christus besprengtdurch das Wort, so er gesprochen: „Dieß istdas Blut des neuen Bundes zur Vergebungder Sün<strong>den</strong>.“ Dieses Wort, statt des Hyssopmit Blut getränkt, besprengt Alle. Und dortwurde der Leib von aussen gereinigt, <strong>den</strong>n eswar eine körperliche Reinigung; hier aberdringt <strong>die</strong> Reinigung, weil sie eine geistige ist,in <strong>die</strong> Seele, nicht sie einfach umsprengend,sondern als sprudelnder Quell in unsernSeelen. Die Eingeweihten verstehen <strong>die</strong>seWorte. Und bei Jenen wurde nur <strong>die</strong>Oberfläche besprengt und Derjenige, welcherbesprengt wurde, wieder abgewaschen; <strong>den</strong>ner ging nicht beständig blutbedeckt einher;bei der Seele aber ist es nicht so, sondern mitihrem Wesen selbst mischt sich das Blut undmacht sie stark und rein und führt sie zueiner unerreichbaren Schönheit. Darnachzeigt er, daß der Tod nicht nur <strong>die</strong> Ursacheder Kraft, sondern auch der Reinigung sei.Denn weil der Tod und besonders derKreuzestod eine häßliche Sache zu seinschien, sagt er, daß derselbe gereinigt habe,und daß <strong>die</strong>se Reinigung eine g<strong>an</strong>zausgezeichnete gewesen sei, und zwar inwichtigen Dingen. Darum gingen <strong>die</strong>sesBlutes wegen <strong>die</strong> Opfer, darum <strong>die</strong> Lämmervorher, darum geschah Alles. 23. So mußten <strong>die</strong> Vorbilder derhimmlischen Dinge durch dergleichen351 Mt 26,28125352 2 Kor 6,16


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gereiniget wer<strong>den</strong>; allein das Himmlischeselbst erfordert vorzüglichere Opfer alsJene.Und wie sind sie Vorbilder der himmlischenDinge? Was versteht er unter <strong>den</strong>himmlischen Dingen? Etwa <strong>den</strong> Himmel?oder <strong>die</strong> Engel? Nichts von Diesem, sondernwas unser ist. Also im Himmel ist, was unsgehört, das Himmlische, und wenn es auchauf der Erde vollbracht wird. Denn obgleichauch Engel auf der Erde sind, wer<strong>den</strong> siedoch himmlisch gen<strong>an</strong>nt; und <strong>die</strong> Cherubimsind aus der Erde erschienen und sind dochhimmlisch. Und was sage ich: erschienen? Aufder Erde ist ihr Aufenthalt wie im Para<strong>die</strong>se.Allein Das ist kein Hinderniß; <strong>den</strong>n auch sosind sie himmlisch; auch „unser W<strong>an</strong>del istim Himmel,“ 353 obgleich wir hienie<strong>den</strong>verweilen. - „Allein das Himmlische selbst,“ d.h. <strong>die</strong> Offenbarung, welche uns, <strong>die</strong> wirdorthin berufen sind, zu Theil gewor<strong>den</strong>. -„Vorzüglichere Opfer,“ heißt es, „als jene.“ Wasvor irgend einem Gute <strong>den</strong> Vorzug hat, istbesser. Also waren auch <strong>die</strong> Vorbilder derhimmlischen Dinge gut; <strong>den</strong>n waren <strong>die</strong>Vorbilder böse gewesen, so hätten auch <strong>die</strong>Dinge, welche sie vorgebildet haben, alsosein müssen.III.Wenn wir also Himmlische und einessolchen Gutes theilhaftig gewor<strong>den</strong> sind, soerbeben wir! Verweilen wir nicht mehr aufder Erde; <strong>den</strong>n wer will, braucht auch jetztnicht mehr auf der Erde zu verbleiben. Denndas Sein oder Nichtsein auf der Erde gründetsich auf <strong>die</strong> Art und Weise und auf <strong>den</strong>Willen. So sagt m<strong>an</strong> z. B., Gott sei imHimmel. Warum? Nicht als wenn er örtlich abgeschlossen wäre, bewahre! nochauch als wenn er der Erde seine Gegenwartentzogen hätte, sondern wegen desliebevollen Verhältnisses, in dem er zu <strong>den</strong>Engeln steht. Wenn daher auch wir Gottnahe stehen, so sind wir im Himmel. Dennwas k<strong>an</strong>n mir am Himmel gelegen sein,wenn ich <strong>den</strong> Herrn des Himmels schaue,wenn ich selbst der Himmel gewor<strong>den</strong> bin?„Ich und mein Vater,“ heißt es, „wir wer<strong>den</strong>zu ihm kommen und Wohnung bei ihmnehmen.“ 354 Machen wir also unsere Seelezum Himmel. Heiter ist der Himmel vonNatur aus, und auch beim Unwetter wird ernicht schwarz; <strong>den</strong>n nicht er selbst verändertseinen Anblick, sondern <strong>die</strong> ihn<strong>über</strong>laufen<strong>den</strong> Wolken verbergen ihn. DerHimmel besitzt <strong>die</strong> Sonne; auch wir haben<strong>die</strong> Sonne der Gerechtigkeit. Ich habe gesagt,wir könnten wie der Himmel wer<strong>den</strong>, undich gewahre, daß wir vor dem Himmel nocheinen Vorzug haben können. Wie <strong>den</strong>n? Dawir <strong>den</strong> Herrn der Sonne haben. Der Himmelist allseitig rein und unbefleckt und ändertsich weder beim Unwetter noch bei derNacht. Darum soll auch uns Das weder in<strong>den</strong> Trübsalen noch bei <strong>den</strong> Versuchungendes Teufels begegnen, sondern wir wollenunbefleckt und rein bleiben. Der Himmel isthoch und weit von der Erde entfernt. Daswollen auch wir thun; entfernen auch wiruns von der Erde und streben auch wir zujener Höhe empor! Und wie wer<strong>den</strong> wir unsder Erde entrücken? Wenn wir <strong>an</strong> dasHimmlische <strong>den</strong>ken. Der Himmel ist höherals Regen und Sturm und wird davon nichterfaßt. Dasselbe wer<strong>den</strong> auch wir zu leistenvermögen, wenn wir nur wollen. DerHimmel scheint von ihnen getroffen zuwer<strong>den</strong>, aber es ist nicht der Fall. So wollenauch wir von Lei<strong>den</strong> frei bleiben, selbst wennwir von ihnen erfaßt zu sein scheinen. Dennwie im Winter Viele <strong>die</strong> Schönheitdesselben nicht erkennen, sondern meinen,er ändere sich, - <strong>die</strong> Weisen aber wissen, daß353 Phil 3,20126354 Joh 14,23


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Nichts dergleichen mir ihm stattfindet, - sowähnen auch Viele in Bezug auf uns, daß in<strong>den</strong> Trübsalen mit uns ein Wechselgeschehen und <strong>die</strong> Trübsal unser Herz selbstergriffen habe, - <strong>die</strong> Weisen aber sind<strong>über</strong>zeugt, daß sie uns nicht erfaßt habe.Wer<strong>den</strong> wir daher selbst ein Himmel, steigenwir zu jener Höhe auf, d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> wirsehen, daß sich <strong>die</strong> Menschen von <strong>den</strong>Ameisen nicht unterschei<strong>den</strong>. Wir wer<strong>den</strong>nicht allein weder <strong>die</strong> Armen noch <strong>die</strong>Reichen, sondern wäre auch irgend Jem<strong>an</strong>dein Feldherr oder ein König, - wir wer<strong>den</strong>dort weder <strong>den</strong> König noch <strong>den</strong> Privatm<strong>an</strong>nerkennen. Wir wer<strong>den</strong> nicht wissen, wasGold oder Silber, was ein sei<strong>den</strong>er oderpurpurner M<strong>an</strong>tel ist; wir wer<strong>den</strong> Alles wieFliegen <strong>an</strong>sehen, wenn wir in jener Höhesitzen; dort ist kein Lärm, kein Aufruhr, keinGeschrei. Und wie k<strong>an</strong>n, heißt es, Derjenige,welcher auf <strong>die</strong>ser Erde einherw<strong>an</strong>delt, aufjene Höhe erhoben wer<strong>den</strong>? Ich will Dießnicht einfach durch Worte ausdrücken,sondern, wenn du willst, werde ich dirDiejenigen, welche zu <strong>die</strong>ser Höhe gel<strong>an</strong>gtsind, in Wirklichkeit zeigen. Welche abersind Diese? Paulus und seine Anhänger,meine ich, <strong>die</strong> da auf der Erde sich befin<strong>den</strong>dim Himmel verweilten. Und was sage ich imHimmel, <strong>über</strong> <strong>den</strong> Himmel waren sie erhabenund auch <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>an</strong>dern Himmel undwaren bis zu Gott selbst emporgestiegen.„Denn wer,“ heißt es, „wird uns schei<strong>den</strong>von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst?oder Hunger? oder Blöße? oder Gefahr? oderVerfolgung? oder Schwert?“ 355 Und wieder:„Die wir nicht hinsehen auf das Sichtbare,sondern auf das Unsichtbare.“ 356 Siehst du,daß er nicht schaute, was hienie<strong>den</strong> ist?Damit ich dir aber zeige, daß er <strong>über</strong> <strong>die</strong>Himmel erhaben war, so höre ihnselbst sprechen: „Denn ich hin versichert, daßweder Tod noch Leben, weder Engel nochMächte noch Gewalten, wederGegenwärtiges noch Zukünftiges, wederStärke, weder Höhe noch Tiefe noch ein<strong>an</strong>deres Geschöpf es vermag, uns zuschei<strong>den</strong> von der Liebe Christi.“ 357IV.Siehst du, wie <strong>die</strong> <strong>über</strong> Alles hineilendeBetrachtung ihn nicht allein <strong>über</strong> <strong>die</strong>erschaffenen Dinge erhob, sondern auch <strong>über</strong><strong>die</strong>sen Himmel und <strong>über</strong> alle etwaigen<strong>an</strong>dern? Siehst du <strong>die</strong> Höhe der Erkenntniß?Siehst du, was aus dem Zeltmacher, als erwollte, gewor<strong>den</strong>, aus ihm, der sein g<strong>an</strong>zesLeben in öffentlichen Geschäften zugebrachthatte? Denn es gibt gar kein Hinderniß, daswir nicht Alle <strong>über</strong>steigen können, wenn wirnur wollen. Denn wenn wir in <strong>den</strong> Künsten,welche dem großen Haufen unzugänglichsind, zu so hoher Vollendung gel<strong>an</strong>gen, sowird Dieß noch viel mehr in <strong>den</strong> Dingen derFall sein, welche keine solche Anstrengungerheischen. Denn sage mir, was ist härterund schwieriger, als auf einemausgesp<strong>an</strong>nten Seile wie auf ebener Erde zugehen und einherschreitend sich <strong>an</strong>zuziehenund auszuklei<strong>den</strong>, als säße m<strong>an</strong> auf demBette? Scheint uns <strong>die</strong> Sache nicht soschrecklich zu sein, daß wir nicht einmalhinschauen wollen, sondern schon beimbloßen Anblicke fürchten und zittern? Wasist aber, sag’ <strong>an</strong>, mühsamer und schwieriger,als eine St<strong>an</strong>ge auf’s Angesicht stellen, so daßein daraufsitzender Knabe tausenderleiSpiele macht und <strong>die</strong> Zuschauer ergötzt?Was ist schwerer, als zwischen SchwerternBall zu spielen? Was schwieriger, als <strong>die</strong>Tiefe des Meeres zu erforschen? Und sokönnte m<strong>an</strong> noch unzählige <strong>an</strong>dere Künstenennen; aber leichter als alle <strong>die</strong>se ist <strong>die</strong>Tugend und das Aufsteigen zum Himmel,355 Röm 8,35356 Kor 4,18127357 Röm 8,38.39


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wenn wir nur wollen; ja, wir brauchen nur zu wollen, und Alles wird folgen.Denn m<strong>an</strong> darf nicht sagen: ich k<strong>an</strong>n nicht;Das hieße <strong>den</strong> Schöpfer <strong>an</strong>klagen; <strong>den</strong>n wenner uns ohnmächtig erschaffen hat und d<strong>an</strong>nPflichten auferlegt, so liegt darin eineAnklage gegen ihn. Wie kommt es nun, sagtm<strong>an</strong>, daß Viele ohnmächtig sind? Weil es amWollen fehlt. Warum aber wollen sie nicht?Aus Fahrlässigkeit; <strong>den</strong>n wenn sie gutenWillen hätten, vermöchten sie Alles. Darumsagt auch Paulus: „Ich wünschte, daß ihr allewäret wie ich,“ 358 weil er wußte, daß Allesein könnten wie er; <strong>den</strong>n wenn Das eineUnmöglichkeit wäre, würde er nicht sogesprochen haben. Willst du tugendhaftwer<strong>den</strong>? F<strong>an</strong>g nur damit <strong>an</strong>? Denn sage mir,beschränken wir uns bei allen Künsten, wennwir darin Etwas leisten wollen, auf’sWünschen, oder legen wir auch H<strong>an</strong>d <strong>an</strong>’sWerk? So will z. B. Jem<strong>an</strong>d ein Steuerm<strong>an</strong>nwer<strong>den</strong>; er sagt nicht: Ich will, und begnügtsich damit, sondern legt auch H<strong>an</strong>d <strong>an</strong>’sWerk. Jem<strong>an</strong>d will ein Kaufm<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong>; ersagt nicht bloß: Ich will, sondern er greiftauch <strong>die</strong> Sache thätig <strong>an</strong>. Wiederum, es willJem<strong>an</strong>d verreisen; er sagt nicht: Ich will,sondern schickt sich auch dazu <strong>an</strong>. Alsogenügt bei allen Dingen das alleinige Wollennicht, sondern es muß auch <strong>die</strong> Ausführunghinzukommen; du aber, der du in <strong>den</strong>Himmel hinaufsteigen willst, sprichst: Ichwill nur. Wie sagtest du aber, heißt es, daßdas Wollen genüge? Das Wollen mit <strong>den</strong>Werken, indem m<strong>an</strong> <strong>die</strong> Sache thatkräftig<strong>an</strong>greift; <strong>den</strong>n wir haben Gott zum Mithelfer,der uns beisteht. Wenn wir nur zumEntschlusse kommen, nur wirklich zumH<strong>an</strong>deln gel<strong>an</strong>gen, nur Sorgfalt <strong>an</strong>wen<strong>den</strong>,nur unseren Sinn darauf richten, d<strong>an</strong>n folgtAlles von selbst. Wenn wir aber schlafen undschnarchend in <strong>den</strong> Himmel einzugehenhoffen, w<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> wir alsd<strong>an</strong>n <strong>die</strong>Erbschaft des Himmels erl<strong>an</strong>gen können?Wollen wir daher, ich bitte, wollen wir doch! Warum kaufen wir Alles für dasgegenwärtige Leben, das wir morgenverlassen müssen? Wählen wir also <strong>die</strong>Tugend, <strong>die</strong> uns in alle Ewigkeit befriedigenwird, wo wir immer sein und <strong>die</strong> ewigenGüter genießen wer<strong>den</strong>, deren wir alletheilhaftig wer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong> Gnadeund Menschenfreundlichkeit u. s. w. Siebenzehnte Homilie.I.24. 25. 26. Denn nicht in das vonMenschenhän<strong>den</strong> gemachte Heiligthum,welches ein Vorbild des wahren gewesen,ist Jesus eingeg<strong>an</strong>gen, sondern in <strong>den</strong>Himmel selbst, um jetzt vor demAngesichte Gottes für uns zu erscheinen;und nicht, um oft sich selbst zu opfern, wieder Hohepriester jedes Jahr in dasAllerheiligste eingeht mit fremdem Blute;<strong>den</strong>n d<strong>an</strong>n hatte er oft lei<strong>den</strong> müssen vomAnbeginne der Welt; sondern jetzt ist er einMal am Ende der Zeit zur Hinwegnahmeder Sünde durch sein Opfer erschienen.Großes bildeten sich <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> auf <strong>den</strong>Tempel und das Zelt ein; darum sagten sie:„Der Tempel des Herrn, der Tempel desHerrn.“ 359 Denn nirgends f<strong>an</strong>d sich ein solcher Tempel aufgeführt, weder inBezug auf Pracht und Schönheit noch inirgend einer <strong>an</strong>dern Hinsicht. Denn Gott, der<strong>den</strong> Bau <strong>an</strong>geordnet hatte, befahl, daß er mitvielem Aufw<strong>an</strong>de ausgeführt werde, weilauch Jene durch Körperliches mehr<strong>an</strong>gezogen und gewonnen wur<strong>den</strong>. Denn <strong>die</strong>Wände waren mit Gold <strong>über</strong>zogen, was einJeder, der da will, im zweiten Buche derKönige und bei Ezechiel lesen k<strong>an</strong>n, sowie358 1 Kor 7,7128359 Jer 7,3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>auch <strong>die</strong> Zahl der Talente Goldes, <strong>die</strong> damalsverbraucht wur<strong>den</strong>. Der zweite Bau aber warglänzender, sowohl was Schönheit, als auchwas alles Andere betrifft. Und nicht alleindadurch war er ehrwürdig, sondern auchweil er einzig und allein dast<strong>an</strong>d und Alledurch seine Schönheit <strong>an</strong>zog; <strong>den</strong>n von <strong>den</strong>äussersten Grenzen der Erde kam m<strong>an</strong>dorthin, sowohl von Babylon als ausÄthiopien. Dieß zeigt auch Lukas in derApostelgeschichte <strong>an</strong> mit <strong>den</strong> Worten: „Eswaren aber dort wohnhaft Parther undMeder und Elamiten und Bewohner vonMesopotamien, Judäa und Kappadocien,Pontus und Asien, von Phrygien undPamphilien, Ägypten und von <strong>den</strong> Gegen<strong>den</strong>Lybiens bei Cyrene.“ 360 Die Bewohner desg<strong>an</strong>zen Erdkreises also waren dorthinzusammengekommen, und groß war derName des Tempels. Was thut nun Paulus?Wie bei <strong>den</strong> Opfern, so macht er es auch hier;<strong>den</strong>n wie er dort (<strong>den</strong> Opfern) <strong>den</strong> TodChristi gegen<strong>über</strong> stellte, so stellt er auch hier<strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen Himmel dem Tempel gegen<strong>über</strong>.Er zeigt aber nicht dadurch allein <strong>die</strong>Verschie<strong>den</strong>heit, sondern auch dadurch, daßer darthut, daß der Priester Gott näher stehe;<strong>den</strong>n er sagt: „um vor dem Angesichte Gottes zuerscheinen; so macht er also nicht nur durch<strong>den</strong> Himmel, sondern auch durch dasEingehen <strong>die</strong> Sache ehrwürdig. Denn er siehtnicht lediglich, wie hier, durch Vorbilder,sondern dort sieht er Gott selbst. Siehst du, wie er allenthalben, um sichherabzulassen, Niedriges sagt? Waswunderst du dich aber, daß er als Mittlerauftritt, da er ihn als Hohenpriester darstellt?„Und nicht, um oft sich selbst zu opfern, wie derHohepriester jedes Jahr in das Allerheiligsteeingeht mit fremdem Blute. Denn nicht in dasvon Menschenhän<strong>den</strong> gemachte Heiligthum,welches ein Vorbild des wahren gewesen, ist Jesuseingeg<strong>an</strong>gen.“ Also hier ist Wahrheit, dortaber sind Vorbilder; <strong>den</strong>n der Tempel war sogebaut wie der Himmel des Himmels. Wassagst du? Wenn er nicht in <strong>den</strong> Himmeleingeg<strong>an</strong>gen wäre, so erschiene er nicht, er,der <strong>über</strong>all zugegen ist und Alles erfüllt?Siehst du, daß sich Dieß alles aus <strong>die</strong>Menschheit bezieht? „Um,“ sagt er, „vor demAngesichte Gottes für uns zu erscheinen.“ Washeißt Das? „für uns“? Er ist aufgestiegen, willer sagen, mit einem Opfer, das im St<strong>an</strong>de ist,uns mit dem Vater zu versöhnen. Warumaber, sage mir? War er <strong>den</strong>n feindlich? DieEngel waren es, er selbst war es nicht. Denndaß <strong>die</strong> Engel feindlich waren, erschließe ausseinen Worten: „Daß durch ihn Alles mit ihmversöhnt werde, sowohl was auf der Erde alsim Himmel ist.“ 361 G<strong>an</strong>z richtig sagt er also:„Er ist in <strong>den</strong> Himmel eingeg<strong>an</strong>gen, um jetzt vordem Angesichte Gottes für uns zu erscheinen.“Jetzt erscheint er, aber für uns. „Und nicht,um oft sich selbst zu opfern, wie der Hohepriesterjedes Jahr in das Allerheiligste eingeht mitfremdem Blute.“ Siehst du, wie vieleVerschie<strong>den</strong>heiten obwalten? Statt oft,einmal; statt mit fremdem Blute, mit demeigenen. Ein großer Unterschied! Er selbstalso ist das Opfer und der Priester. „Dennd<strong>an</strong>n hätte er oft lei<strong>den</strong> müssen vomAnbeginne der Welt.“ Hier spricht er einenLehrsatz aus und sagt: Wenn er wiederholtopfern mußte, so mußte er auch oftgekreuziget wer<strong>den</strong>. „Jetzt aber ein Mal amEnde der Zeiten.“ Warum „am Ende derZeiten“? Nach <strong>den</strong> vielen Sün<strong>den</strong>. Dennwenn es am Anf<strong>an</strong>g geschehen wäre,darnach aber Niem<strong>an</strong>d geglaubt hätte, sowäre das Erlösungswerk ohne Nutzengewesen; <strong>den</strong>n Christus mußte nicht zumzweiten Mal sterben, so daß auch so seinZweck erreicht wor<strong>den</strong> wäre; da aber später<strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> zahlreich waren, erschien ernatürlich damals. Dasselbe sagt er auch <strong>an</strong>einer <strong>an</strong>deren Stelle: „Als aber <strong>die</strong> Sünde360 Apg 2,5.9129361 Kol 1,20


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>über</strong>schwänglich war, wurde <strong>die</strong> Gnade noch<strong>über</strong>schwänglicher.“ 362 „Jetzt aber,“ sagt er,„ist er ein Mal am Ende der Zeit zurHinwegnahme der Sünde durch sein Opfererschienen.“27. Und wie es <strong>den</strong> Menschen bestimmt ist,einmal zu sterben, woraus das Gericht folgt.II.Nachdem er gezeigt hat, daß Jener nicht ofthabe sterben müssen, zeigt er jetzt, warum erein Mal gestorben sei, weil er nämlich einesTodes Lösegeld gewor<strong>den</strong> sei. „Es war,“ sagter, „<strong>den</strong> Menschen bestimmt, ein Mal zusterben.“ Dieses also: „Er ist ein Malgestorben“ gilt für alle Menschen. Wie aber?Sterben wir nicht mehr jenes Todes? Wohlsterben wir, aber wir verbleiben nicht imTode, was nicht einmal ein Sterben gen<strong>an</strong>ntwer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n; <strong>den</strong>n Tyr<strong>an</strong>nei des Todes undTod in Wirklichkeit bestehen nur d<strong>an</strong>n, wennes dem Gestorbenen nicht mehrvergönnt ist, in’s Leben zurückzukommen;wenn er aber nach dem Tode lebt, und zwarein besseres Leben, so ist das kein Tod,sondern nur ein Schlaf. Da nun der Tod Allebehalten sollte, so ist er deßhalb gestorben,damit er uns befreie.28. So ward auch Christus ein Mal geopfert.Von wem ward er geopfert? Offenbar hat ersich selbst geopfert. Hier zeigt er ihn nichtnur als Priester, sondern auch als Opfer.D<strong>an</strong>n gibt er <strong>die</strong> Ursache <strong>an</strong>, warum ergeopfert wor<strong>den</strong>. „Ein Mal,“ sagt er, „wardauch Christus geopfert, um vieler MenschenSün<strong>den</strong> wegzunehmen.“ Warum sagt er„Vieler“ und nicht Aller? Weil nicht Allegeglaubt haben. Denn er ist zwar für Allegestorben, um seines Theils Alle zu retten;<strong>den</strong>n jener Tod sollte dem Unterg<strong>an</strong>ge Allerdas Gleichgewicht halten; er hat aber <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong> nicht Aller hinweggenommen, weilsie selber nicht wollten. Was besagen aber <strong>die</strong>Worte: „<strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> wegzunehmen“? Wie wirauch bei dem Opfer, das wir darbringen,unsere Sün<strong>den</strong> mit <strong>den</strong> Worten vortragen:mögen wir mit oder ohne Willen gesündigethaben, so verzeihe uns, d. h. wir ge<strong>den</strong>kenzuerst derselben und d<strong>an</strong>n bitten wir umVerzeihung: so verhält es sich auch hier. Wohat Christus Das geth<strong>an</strong>? Höre ihn selbstre<strong>den</strong>: „Und ich heilige mich selbst fürsie.“ 363 Siehe, er hob <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> auf, er nahmsie von <strong>den</strong> Menschen weg und brachte sie dem Vater dar, nicht damit erEtwas gegen sie beschließe, sondern damit erVerzeihung <strong>an</strong>gedeihen lasse. „Zum zweitenMale wird er ohne Sünde zum Heile Denenerscheinen, <strong>die</strong> ihn erwarten.“ Was ist Das:„ohne Sünde“? Nicht um <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>wegzunehmen, noch auch wegen der Sün<strong>den</strong>wird er zum zweiten Mal kommen, umwieder zu sterben; <strong>den</strong>n auch nicht, da er einMal starb, starb er, weil er sterben mußte.Wie wird er erscheinen? Strafend, will ersagen. Aber Dieß sagt er nicht, sondern <strong>die</strong><strong>an</strong>genehmen Worte: „Ohne Sünde wird erDenen zum Heile erscheinen, <strong>die</strong> ihn erwarten,“so daß sie nicht weiter des Opfers bedürfen,um zum Heile zu gel<strong>an</strong>gen, sondern Dießaus <strong>den</strong> Werken geschieht.Kap. X.1. Denn da das Gesetz <strong>den</strong> Schatten derzukünftigen Güter hat, nicht das Bild derDinge selbst,d. h. nicht <strong>die</strong> Wahrheit selbst. Denn bisJem<strong>an</strong>d am Gemälde <strong>die</strong> Farben aufgetragenhat, ist ein gewisser Schatten(riß) da; hat eraber <strong>den</strong> Grundton eingestrichen und <strong>die</strong>Farben <strong>an</strong>gebracht, alsd<strong>an</strong>n entsteht das Bild.Ähnlich verhält es sich auch mit demGesetze. „Denn da das Gesetz,“ sagt er, „<strong>den</strong>Schatten der zukünftigen Güter hat, nicht dasBild der Dinge selbst,“ d. i. des Opfers, der362 Röm 5,20130363 Joh 17,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Verzeihung, „so k<strong>an</strong>n es alljährlich durch<strong>die</strong>selben Opfer, welche m<strong>an</strong> unaufhörlichdarbringt, nimmermehr <strong>die</strong> Opfern<strong>den</strong> zurVollkommenheit bringen.“ 2. - 9. Sonst wür<strong>den</strong> sie aufgehört haben,dargebracht zu wer<strong>den</strong>, weil <strong>die</strong> Opfern<strong>den</strong>kein Bewußtsein der Sünde mehr gehabthätten, wenn sie einmal gereiniget wor<strong>den</strong>.Sie sind zur alljährlichen Erinnerung <strong>an</strong> <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n es ist unmöglich, daß durchBlut von Stieren und Böcken Sün<strong>den</strong> getilgtwer<strong>den</strong>. Darum spricht er bei seinemEintritte in <strong>die</strong> Welt: „Schlachtopfer undSpeiseopfer verl<strong>an</strong>gst du nicht, einen Leibaber hast du mir zubereitet. AnBr<strong>an</strong>dopfern und Sündopfern hast du keinWohlgefallen. Da sprach ich: Siehe, ichkomme (im Anf<strong>an</strong>ge des Buches steht vonmir geschrieben), zu vollbringen, Gott,deinen Willen.“ Zuerst sagt er:Schlachtopfer und Speiseopfer, Br<strong>an</strong>dopferund Sündopfer verl<strong>an</strong>gst du nicht und hastkein Wohlgefallen <strong>an</strong> Dem, was demGesetze gemäß dargebracht wird; d<strong>an</strong>n: Ichsprach: siehe, ich komme, zu vollbringen,Gott, deinen Willen. Er hebt also das Ersteauf, damit er das Andere festsetze.Siehst du wiederum <strong>die</strong> Fülle? Eines, sagt er,ist <strong>die</strong>ses Opfer, jene aber sind viele, deßhalbaber sind sie auch nicht kräftig, weil sie vielesind.III.Denn warum sollten, sage mir, vielenothwendig sein, da eines genügt? Daß vielewaren und daß sie fortwährend dargebrachtwur<strong>den</strong>, beweist, daß sie niemals reinigten.Denn wie ein Heilmittel, wenn es kräftig istund gesund macht und im St<strong>an</strong>de ist, <strong>die</strong>g<strong>an</strong>ze Kr<strong>an</strong>kheit zu vertreiben, ein Mal<strong>an</strong>gewendet das G<strong>an</strong>ze wirkt, seine Kraftdadurch zeigt, daß es nicht mehr<strong>an</strong>gewendet wird; wenn es aber immer131gebraucht wird, dadurch bekundet, daß eskraftlos ist, - <strong>den</strong>n darin liegt der Werth desHeilmittels, daß es ein Mal und nichtoft <strong>an</strong>gewendet wird -: so verhält es sichauch hier. Warum wer<strong>den</strong> <strong>den</strong>n <strong>die</strong>selbenOpfer immerfort dargebracht? Denn wärem<strong>an</strong> von allen Sün<strong>den</strong> befreit, so wür<strong>den</strong> <strong>die</strong>Opfer nicht Tag für Tag dargebracht wer<strong>den</strong>;sie waren ja bestimmt, daß sie immer, sowohlbei Tag als bei Nacht, für das g<strong>an</strong>ze Volkdargebracht wer<strong>den</strong> sollten. So warDasjenige, was geschah, eine Sün<strong>den</strong><strong>an</strong>klageund nicht eine Sün<strong>den</strong>tilgung, eine Anklageder Schwäche und kein Zeichen der Kraft;<strong>den</strong>n da das erste (Opfer) Nichts vermochte,wurde das zweite dargebracht; und da <strong>die</strong>sesNichts ausrichtete, wieder ein <strong>an</strong>deres, sodaß es eine Überführung (ἔλελχος) von <strong>den</strong>Sün<strong>den</strong> war. Daß nun geopfert wird,<strong>über</strong>führt von <strong>den</strong> Sün<strong>den</strong>, daß immergeopfert wird, von der Schwäche. BeiChristus findet sich das Gegentheil; ein Malwurde er geopfert, und es war für immergenug. Und schön hat er jene OpferVorbilder gen<strong>an</strong>nt; <strong>den</strong>n es ist nur ein Bildda, aber keineswegs <strong>die</strong> Kraft, sowie auch bei<strong>den</strong> Gemäl<strong>den</strong> das Bild <strong>die</strong> Figur desMenschen, aber nicht <strong>die</strong> Kraft hat, so daß<strong>die</strong> Wirklichkeit und <strong>die</strong> Figur mitein<strong>an</strong>derÄhnlichkeit haben; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Figur ist gleich,<strong>die</strong> Kraft aber nimmermehr. So war es auchbei dem Himmel und dem Zelte; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Figur war gleich, <strong>den</strong>n sie war heilig, <strong>die</strong>Kraft aber und das Andere waren nichtDasselbe. Was besagen <strong>die</strong> Worte: „Er ist zurHinwegschaffung der Sünde durch seinOpfer erschienen“? Was heißt Das:„Hinwegschaffung“? Das bedeutetVerachtung; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Sünde hat keineErwartung mehr; <strong>den</strong>n sie ist verworfen. Wie<strong>den</strong>n? Die Sünde sollte Strafe empf<strong>an</strong>genund empfing sie nicht, d. h. sie hat Gewalterlitten; als sie Alle zu vernichten hoffte,ward sie selbst vernichtet.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>„Er ist durch sein Opfer erschienen,“ d. h. erist Gott offenbar gewor<strong>den</strong> und zu ihmgekommen. Wolle nun, da der Priester Dießoft im Jahre thut, nicht der Meinung sein,daß Dieß einfach und nicht der Schwächewegen geschieht. Wenn nicht der Ohnmachtwegen, warum geschieht es <strong>den</strong>n?Wenn keine Wun<strong>den</strong> mehr da sind, brauchtm<strong>an</strong> auch keine Heilmittel mehr. Darumbefahl er, sagt er, immer zu opfern wegen derSchwäche, und um <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> in Erinnerungzu bringen. Wie aber? Opfern nicht auch wirje<strong>den</strong> Tag? Wohl opfern wir, aber wirbegehen das An<strong>den</strong>ken <strong>an</strong> seinen Tod, und esist ein Opfer, und es sind nicht viele. Wie<strong>den</strong>n eines und nicht viele? Weil es ein Maldargebracht wurde wie jenes, das in’sAllerheiligste einging. Von dem aber ist<strong>die</strong>ses das Abbild und von <strong>die</strong>sem jenes;<strong>den</strong>n wir opfern immer <strong>den</strong>selben, und nichtjetzt ein <strong>an</strong>deres Schaf und morgen wiederein <strong>an</strong>deres, sondern immer dasselbe, so daßdas Opfer eines ist. Sind daher auf <strong>die</strong>seWeise, weil <strong>über</strong>all geopfert wird, auch vieleChristus? Durchaus nicht, sondern Christusist nur einer und ist hier vollständig und dortvollständig, ein Leib. Wie also Derjenige,welcher geopfert wird, <strong>über</strong>all ein Leib istund nicht viele Leiber, so ist auch ein Opfer.Unser Hoherpriester ist Jener, der das Opfernwelches uns reinigt, dargebracht hat. Jenes,welches damals dargebracht wurde, bringenauch wir jetzt dar, und <strong>die</strong>ses istunerschöpflich. Dieses geschieht zumAn<strong>den</strong>ken dar<strong>an</strong>, was damals geschah.„Denn Das thut,“ sagt er, „zu meinemAn<strong>den</strong>ken!“ 364 Kein <strong>an</strong>deres Opfer, alswelches der Hohepriester damals opferte,sondern dasselbe opfern wir immer, odervielmehr, wir begehen das An<strong>den</strong>ken desOpfers.364 Lk 22,19132IV.Allein da ich <strong>die</strong>ses Opfers Erwähnunggeth<strong>an</strong>, will ich einige wenige Worte <strong>an</strong> euch,<strong>die</strong> ihr eingeweiht seid, sprechen, wenigezwar dem Wortmaaße nach, <strong>die</strong> aber großeKraft und großen Nutzen haben; <strong>den</strong>n essind nicht meine, sondern des heiligenGeistes Worte. Was ist es nun? Viele nehmen<strong>an</strong> <strong>die</strong>sem Opfer ein Mal im g<strong>an</strong>zen Jahre,Andere zwei Mal, Andere aber oftmals Theil.Meine Worte sind daher <strong>an</strong> Allegerichtet, nicht nur <strong>an</strong> <strong>die</strong> hier <strong>an</strong>wesen<strong>den</strong>,sondern auch <strong>an</strong> Diejenigen, welche sich inder Wüste aufhalten; <strong>den</strong>n Diese sind einMal im Jahre Theilhaber, oft aber erst nachzwei Jahren. Wie nun? Welche wer<strong>den</strong> wirhochschätzen? Die ein Mal, <strong>die</strong> oft, oder <strong>die</strong>selten kommen? Weder Die, welche ein Mal,noch Die, welche oft, noch Solche, welcheselten, sondern Diejenigen, welche mit einemreinen Gewissen, mit einem makellosenHerzen, mit einem tadelfreien Leben Theilnehmen. Die so beschaffen sind, sollenimmer hinzutreten, welche Das nicht sind,auch nicht einmal. Warum? Weil sie sichselbst das Gericht, <strong>die</strong> Verdammung undStrafe bereiten. Und kein Wunder; <strong>den</strong>n wie<strong>die</strong> Speise, welche von Natur aus nahrhaft,wenn sie in einen kr<strong>an</strong>ken Magen kommt,Alles verdirbt und zu Grunde richtet und <strong>die</strong>Ursache einer Kr<strong>an</strong>kheit wird, so verhält essich auch mit <strong>die</strong>sen schrecklichenGeheimnissen. Du speisest <strong>an</strong> einemgeistigen Tische, <strong>an</strong> einer königlichen Tafel,und du beschmutzest deinen Mund wiedermit Koth? Du salbst dich mit wohlriechenderSalbe und füllest dich wieder mit Gest<strong>an</strong>k<strong>an</strong>? Sag’ <strong>an</strong>, ich bitte: nach einem Jahre wirstdu des Genusses theilhaftig, glaubst du, daßvierzig Tage genügen, um dich für <strong>die</strong> g<strong>an</strong>zeZeit von deinen Sün<strong>den</strong> zu reinigen? Undsobald eine Woche verflossen ist, ergibst dudich wieder dem früheren Leben? Sage mir,wenn du, während vierzig Tagen von einer


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>schweren Kr<strong>an</strong>kheit genesen, dich wieder<strong>den</strong> früheren Speisen, welche <strong>die</strong> Kr<strong>an</strong>kheiterzeugt haben, ergeben wolltest, würdest dud<strong>an</strong>n nicht <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze frühere Arbeitvernichten? Das ist offenbar. Denn wenn sich<strong>die</strong> natürlichen Dinge ändern, so geschiehtDas um so mehr bei <strong>den</strong>jenigen, welche vomfreien Entschluß abhängig sind. So z. B.sehen wir von Natur und haben gemäß dernatürlichen Beschaffenheit gesunde Augen;aber oft empfängt unsere Sehkraft durcheinen bösen Umst<strong>an</strong>d einen Scha<strong>den</strong>. Wenndaher <strong>die</strong> natürlichen Dinge veränderlichsind, um wie viel mehr <strong>die</strong> Zustände, welchevom freien Willen abhängig sind? VierzigTage widmest du der Gesundheit derSeele, vielleicht auch nicht einmal vierzig,und du glaubst, Gott versöhnet zu haben?Du scherzest, o Mensch! Dieses sage ichnicht, um euch von dem einmaligen undalljährlichen Zutritte abzuhalten, sondern ichwünsche vielmehr, daß ihr euch demHeiligen fortwährend nahet. Darum ruftauch der Priester 365 und gebraucht dabei <strong>den</strong>Namen Heilige und will durch <strong>die</strong>sen ZurufAlle in eine Prüfung einführen, damitNiem<strong>an</strong>d unvorbereitet hinzutrete. Denn wiein einer Heerde, wo viele Schafe gesund,viele aber von der Räude befallen sind, <strong>die</strong>seletzteren nothwendig von <strong>den</strong> gesun<strong>den</strong>geschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> müssen, so verhält essich auch in der Kirche, indem ein Theil derSchafe gesund, ein Theil aber kr<strong>an</strong>k ist, undder umhergehende Priester durch solchenRuf <strong>die</strong>se von jenen trennt und durch <strong>die</strong>senschauerlichen Zuruf <strong>die</strong> Heiligen einladetund <strong>an</strong>zieht. Denn da es nicht möglich ist,daß er als Mensch <strong>die</strong> Zustände desNächsten wisse, - „<strong>den</strong>n welcher Menschweiß,“ heißt es, „was im Menschen ist, alsnur der Geist des Menschen, der in ihmselbst ist?“ 366 - so läßt er, nachdem das Opfer365 In <strong>an</strong>deren Ausgaben steht διάϰονος statt ίερεύς, gemeint ist der Ruf vorder Communion: „Das Heilige <strong>den</strong> Heiligen“366 1 Kor 2,11133vollendet ist, <strong>die</strong>se Stimme hören, damitNiem<strong>an</strong>d un<strong>über</strong>legt und ohne Vorbereitungzu <strong>die</strong>ser geistigen Quelle herbeikomme.Denn wie wir bei einer Heerde (<strong>den</strong>n Nichtssteht im Wege, dasselbe Beispiel nochmals zugebrauchen) <strong>die</strong> kr<strong>an</strong>khaften (Schafe) in <strong>den</strong>inneren Raum einschließen und im Dunkelnzurückbehalten und ihnen <strong>an</strong>dere Nahrungreichen und sie weder reine Luft noch frischeKräuter genießen, noch von der Quelle, <strong>die</strong>draussen ist, trinken lassen: so ist daher auchhier <strong>die</strong>se Stimme wie eine hemmendeFessel. Du k<strong>an</strong>nst nicht sagen: Ich habe nichtgewußt, ich habe nicht eingesehen, daß<strong>die</strong>ser Sache Gefahr folge; am meistenwiderlegt Dieß Paulus. Aber du sagst: Ichhabe es nicht gelesen. Das ist keine Entschuldigung, sondern eine Anklage: dugehst je<strong>den</strong> Tag in <strong>die</strong> Kirche, und du weißtDas noch nicht?V.Damit du aber nicht einmal <strong>die</strong>sen Vorw<strong>an</strong>dhabest, darum ruft der Priester mitgewaltiger Stimme, mit schauerlichemKl<strong>an</strong>ge, wie ein Herold, <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d in <strong>die</strong>Höhe haltend und hoch stehend und Allensichtbar, bei jener ergreifen<strong>den</strong> Stille weithinvernehmbar, Diese herbei, Jene aber hält erzurück und thut Dieß nicht mit der H<strong>an</strong>d,sondern mit der Stimme, <strong>die</strong>durchdringender als <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d ist. Denn jeneStimme, <strong>die</strong> da in unseren Ohren klingt, stößtwie eine H<strong>an</strong>d Jene zurück und drängt sieweg. Diese aber führt sie herbei und stellt sieauf. Sage mir, ich bitte, steht nicht bei <strong>den</strong>olympischen Wettkämpfen der Herold da,welcher mit gewaltiger und lauter Stimmeruft und spricht: Klagt Diesen etwa Jem<strong>an</strong>d<strong>an</strong>? Ist er ein Sklave, ein Dieb, ein schlechterMensch? Und doch sind <strong>die</strong>se Kämpfe keinesolche, welche <strong>die</strong> Seele oder <strong>die</strong> gutenSitten, sondern nur <strong>die</strong> Leibesstärke und <strong>den</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Körper betreffen. Wenn nun da, wo eineKörperübung vorkommt, eine große Übungdes Charakters stattfindet, um wie viel mehrhier, wo <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen Kampf <strong>die</strong> Seelekämpft? Es steht also auch bei uns derHerold da, hält aber Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> am Kopfeund führt Keinen herbei, faßt aber Allezugleich innerlich am Kopfe; er stellt für siekeine frem<strong>den</strong> Ankläger auf, sondern einenJe<strong>den</strong> für sich selbst; <strong>den</strong>n er sagt nicht: Klagtetwa Jem<strong>an</strong>d Diesen <strong>an</strong>? sondern was? HatJem<strong>an</strong>d sich selbst <strong>an</strong>zuklagen? Denn da erspricht: „Das Heilige <strong>den</strong> Heiligen!“ sagt erDieß: Wenn Einer nicht heilig ist, trete ernicht hinzu! Er sagt nicht bloß: rein vonSün<strong>den</strong>, sondern: heilig; <strong>den</strong>n heilig machtnicht <strong>die</strong> Befreiung von Sün<strong>den</strong> allein,sondern auch <strong>die</strong> Gegenwart des heiligenGeistes und der Reichthum <strong>an</strong> guten Werken.Ich will nicht allein, sagt er, daß ihr vonUnrath frei seid, sondern ihr sollt auch weißund glänzend sein. Denn wenn derbabylonische König, als er sich <strong>die</strong> Jünglingeaus der Gef<strong>an</strong>genschaft auswählte, <strong>die</strong> durchGesichtsbildung und Aussehenschönen und blühen<strong>den</strong> heraussuchte, somüssen noch vielmehr wir, <strong>die</strong> wir amköniglichen Tische stehen, durchSeelenschönheit glänzen, indem wir einengol<strong>den</strong>en Schmuck, ein reines Gew<strong>an</strong>d,königliche S<strong>an</strong>dalen, ein schön gestaltetesSeelen<strong>an</strong>tlitz und eine Seele besitzen, welchemit gol<strong>den</strong>en Zier<strong>den</strong> und dem Gürtel derWahrheit umkleidet ist. Wer so beschaffenist, der trete hinzu und berühre <strong>den</strong>königlichen Becher! Wollte sich aber Jem<strong>an</strong>din Lumpen gehüllt, kothig und schmutzigdem königlichen Tische nahen, betrachte,was ihm widerfahren würde, indem nichtvierzig Tage genügen, <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>wegzuwaschen, <strong>die</strong> in der g<strong>an</strong>zen Zeitbeg<strong>an</strong>gen wor<strong>den</strong> sind! Denn wenn <strong>die</strong> Höllenicht zureicht, wiewohl <strong>die</strong> ewig ist, - <strong>den</strong>ndarum ist sie auch ewig, - um wie viel mehr<strong>die</strong>se kurze Zeit! Denn wir haben keine134starke, sondern eine schwache Buße<strong>über</strong>nommen. Die Beschnittenen müssenaber g<strong>an</strong>z besonders beim Könige sein. Ichsage: <strong>die</strong> Beschnittenen, <strong>die</strong> da eine lautereErkenntniß besitzen und frei sind vonSchmutz und Flecken, <strong>die</strong> erhabenen Geistessind, deren Seelenauge mild und scharf,wohlgew<strong>an</strong>dt und lebhaft, nicht schläfrigund faul, in der Fülle der Freiheit, fern vonUnverschämtheit und Keckheit, wachsam,gesund, nicht gar traurig undniedergeschlagen noch ausgelassen undflatterhaft ist. Dieses Auge uns zu bil<strong>den</strong> undes scharfsehend und schön zu machen, stehtin unserer Macht. Denn wenn wir dasselbenicht gegen <strong>den</strong> Rauch und <strong>die</strong> Aschewen<strong>den</strong> (Das sind alle menschlichen Dinge),sondern gegen <strong>die</strong> freie Luft und <strong>den</strong> leichtenHauch derselben, zu Dem, was hoch underhaben, was voll von großer Reinheit undreichem Genusse ist: so erfreuen wir dasselbeund stärken es, das <strong>an</strong> solchem Anblicke sichergötzt. Siehst du Habsucht und Jem<strong>an</strong><strong>den</strong>,der großen Reichthum besitzt? Richte deinAuge nicht darauf hin; <strong>die</strong> Sache ist Kothund Rauch und böser Dunst, Finsterniß undarge Bedrängniß und erstickende Sorge.Siehst du einen Menschen, der Gerechtigkeitübt, sich mit dem Seinigen begnügt undeinen weiten Raum zur Erholung hat und inBetreff der Dinge hienie<strong>den</strong> frei ist von Sorgeund Angst? Dorthin wende underhebe es, und du wirst es viel glänzenderund schöner machen und es nicht mitBlumen der Erde ergötzen, sondern mit<strong>den</strong>en der Tugend, mit Mäßigkeit,Beschei<strong>den</strong>heit und allen <strong>an</strong>deren; <strong>den</strong>nNichts verwirrt so das Auge wie ein bösesGewissen. „Denn verdunkelt ist,“ heißt es,„vom Grimme mein Auge.“ 367 Nichtsverfinstert es so. Von <strong>die</strong>sem Scha<strong>den</strong> befreiees, und du wirst es hell und kräftig machenund es mit guten Hoffnungen nähren!367 Ps 6,8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Möchten wir alle sowohl <strong>die</strong>ses (Auge) alsalle <strong>an</strong>deren Werke der Seele erl<strong>an</strong>gen,welche Christus verl<strong>an</strong>gt, damit wir,nachdem wir unser Haupt niedergelegt,würdig wer<strong>den</strong>, dorthin zu gehen, wohin erwill; <strong>den</strong>n er sagt: „Ich will, daß, wo ich bin,auch Die bei mir seien, <strong>die</strong> du mir gegebenhast, damit sie meine Herrlichkeit sehen,“ 368welche uns allen zu Theil wer<strong>den</strong> möge inChristus Jesus, unserm Herrn, mit welchemdem Vater und dem heiligen Geiste seiRuhm, Macht und Ehre jetzt und alle Zeitund von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Achtzehnte Homilie.I.8.-13. Zuerst sagt er: „Schlachtopfer undSpeisopfer, Br<strong>an</strong>dopfer und Sündopferverl<strong>an</strong>gst du nicht und hast keinWohlgefallen <strong>an</strong> Dem, was dem Gesetzegemäß dargebracht wird; d<strong>an</strong>n: Ich sprach:siehe, ich komme, zu vollbringen, Gott,deinen Willen!“ Er hebt also das Erste auf,da mit er das Andere festsetze. In <strong>die</strong>semWillen sind wir geheiliget durch das Opferdes Leibes Jesu Christi ein für allemal.Jeder Priester nämlich steht täglich da, <strong>den</strong>heiligen Dienst zu verrichten und <strong>die</strong>selbenOpfer, welche <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> nichthinwegnehmen können, oft darzubringen.Er aber, nachdem er ein Opfer für <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong> dargebracht hat, sitzt auf immer zurRechten Gottes und wartet hinfort, bis seineFeinde zum Schemel seiner Füße gelegtwer<strong>den</strong>.Im Vorausgehen<strong>den</strong> zeigt er, daß <strong>die</strong> Opferzur vollkommenen Reinigung unnütz, nurein Vorbild seien und weitzurückstehen. Da ihm nun Dieses368 Joh 17,24135entgegentrat: Wenn sie Vorbilder sind,warum haben sie <strong>den</strong>n, nachdem <strong>die</strong>Wahrheit gekommen, nicht aufgehört undsind nicht gewichen, sondern dauern nochfort? so sucht er hier eben Dieses zu zeigen,daß sie nicht mehr, ja nicht einmal alsVorbild dargebracht wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n Gott magsie nicht. Und Dieses weist er wiederumnicht aus dem neuen Testamente, sondernaus <strong>den</strong> Propheten nach, indem er aus derfrüheren Zeit ein sehr kräftiges Zeugniß<strong>an</strong>führt, daß sie aufhören und nicht mehrbestehen sollten, und daß sie Alles vergeblichvollbringen und dem heiligen Geisteimmerfort widerstreben. Und er weistvollständig nach, daß sie nicht erst jetztausgehört haben, sondern gleich bei derAnkunft Christi, ja noch vor derselben, unddaß nicht Christus sie endlich aufgelöst habe,sondern daß er alsd<strong>an</strong>n gekommen, nachdemsie vorher ihr Ende gefun<strong>den</strong>. Denn damit sienicht sagen könnten: Auch ohne <strong>die</strong>ses Opferwaren wir im St<strong>an</strong>de, Gott zu gefallen,wartete er, bis sie durch Jene worfen wur<strong>den</strong>,und alsd<strong>an</strong>n erschien er: „DennSchlachtopfer,“ heißt es, „und Speisopferverl<strong>an</strong>gst du nicht.“ Dadurch hat er Allesaufgehoben, und nachdem er imAllgemeinen gesprochen. sagt er auch imBesonderen: „An Br<strong>an</strong>dopfern und Sündopfernhast du kein Wohlgefallen.“ „Speisopfer“ aberhieß Alles, was ausser dem Schlachtopferdargebracht wurde. „D<strong>an</strong>n: Ich sprach: siehe,ich komme!“ In Bezug auf wen ist Dießgesprochen? In Bezug auf keinen Andern alsauf Christus. Hier erhebt er keine Klagegegen Diejenigen, welche opfern, indem erzeigt, daß sie nicht ihrer Fehler wegen keineAnnahme fän<strong>den</strong>, wie er <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>derenStelle sagt, sondern weil <strong>die</strong> Sache <strong>über</strong>hauptabgeschafft sei und sich kraftlos erwies undder Zeit nicht entspreche. Welchen Bezug hatDieß aber darauf, daß <strong>die</strong> Opfer oftdargebracht wur<strong>den</strong>? Aus der oftmaligenDarbringung, will er sagen, sei nicht bloß


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ersichtlich, daß sie ohnmächtig und nutzlosseien, sondern auch, daß sie, weil ohneFrucht und Nutzen, nicht zu Gott gel<strong>an</strong>gten.Dasselbe sagt er auch <strong>an</strong> einer<strong>an</strong>deren Stelle: „Wenn du ein Opfer verl<strong>an</strong>gthättest, hätte ich es gegeben.“ 369 Also auchhieraus wird klar, daß er keine will. Alsosind <strong>die</strong> Opfer nicht dem göttlichen Willengemäß, sondern das Aufhören derselben;also opfern sie nicht nach Gottes Willen. Washeißt Das: „zu vollbringen deinen Willen“?Damit ich mich selbst zum Opfer bringe, willes sagen. Das ist der Wille Gottes. „In <strong>die</strong>semWillen sind wir geheiliget.“ Auch hiedurchzeigt er auf eine <strong>an</strong>dere Weise, daß nicht <strong>die</strong>Opfer <strong>den</strong> Menschen reinigen, sondern derWille Gottes. Es ist also das Opfern nichtdem göttlichen Willen gemäß. Und wiewunderst du dich, daß es jetzt nicht demWillen Gottes entspricht, da es nicht einmalvon Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> demselben gemäß war?„Denn wer fordert Das,“ heißt es, „voneueren Hän<strong>den</strong>?“ 370 Warum hat er <strong>den</strong>nselbst sie <strong>an</strong>geordnet? Weil er sich zu ihnenherabließ, wie auch Paulus zu thun schont,da er spricht: „Ich wünsche, daß alleMenschen so seien wie ich“ 371 - in derEnthaltsamkeit; und wieder <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>derenStelle mahnt er: „Ich will, daß <strong>die</strong> jüngerenheirathen, Kinder gebären.“ 372 Er stellt alsozwei Willen hin, aber sie sind nicht beide seineigen, wenn er auch befiehlt; sondern jenerist sein, weßhalb er auch <strong>die</strong> Ursache nichtbeifügt, <strong>die</strong>ser aber nicht, weßhalb er auchmit der Begründung ausgesprochen ist. Dennnachdem er sie vorerst <strong>an</strong>geklagt hatte, daßsie gegen Christus ausgelassen seien, sagt er:„Ich will, daß <strong>die</strong> jüngeren heirathen, Kindergebären.“ So läßt er auch hier, sichherablassend, <strong>die</strong> Sache geschehen; es warnicht sein bestimmender Wille, daß Opfer369 Ps 50,18370 Is 1,12371 1 Kor 7,7372 1 Tim 5,14136dargebracht wür<strong>den</strong>. So spricht er auch inBezug aus <strong>den</strong> Tod: „Ich will nicht <strong>den</strong> Tod des Sünders, sondern daß er sichbekehre und lebe,“ 373 und <strong>an</strong>derswo sagt er,daß er Dieß nicht allein will, sondern auchverl<strong>an</strong>gt; und doch findet sich hier einWiderspruch; <strong>den</strong>n das Verl<strong>an</strong>gen ist derausdrückliche Wille. Wie nun willst du nicht,was du <strong>an</strong>derswo verl<strong>an</strong>gst? Dieses ist dochein Zeichen eines entschie<strong>den</strong>en Willens.Dasselbe k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch hier sagen. „In<strong>die</strong>sem Willen sind wir geheiliget,“ sagt er. Wiewir geheiliget sind, erklärt er in <strong>den</strong>folgen<strong>den</strong> Worten: „Durch das Opfer des LeibesJesu Christi ein für allemal. Jeder Priester stehtnämlich täglich da, <strong>den</strong> heiligen Dienst zuverrichten und <strong>die</strong>selben Opfer darzubringen.“Das Stehen ist also ein Zeichen des Dienens,das Sitzen aber, daß (Einem) ge<strong>die</strong>nt wird.„Er aber, nachdem er Opfer für <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>dargebracht hat, sitzt auf immer zur RechtenGottes und wartet hinfort, bis seine Feinde zumSchemel seiner Fuße gelegt wer<strong>den</strong>.“14. 15. Denn mit einem Opfer hat er aufewig <strong>die</strong> Geheiligten zur Vollendunggebracht. Dieß bezeugt uns aber auch derheilige Geist.Er sagt, daß jene nicht dargebracht wer<strong>den</strong>.Er schließt Dieß aus Dem, was geschrieben,und was nicht geschrieben steht. Ausserdemführt er das prophetische Wort <strong>an</strong>: „Opferund Gaben verl<strong>an</strong>gst du nicht.“ Er führt <strong>an</strong>,daß er <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> nachgelassen habe, undbeweist Dieß wieder durch ein geschriebenesZeugniß. Dieß bezeugt uns aber auch, sagt er,der heilige Geist; <strong>den</strong>n nachdem er gesagt hat: 16. 17. 18. „Dieß aber ist der Bund, <strong>den</strong> ichmit ihnen schließen will nach <strong>die</strong>sen Tagenspricht der Herr: Ich will meine Gesetze inihre Herzen und in ihren Sinn schreibenund ihrer Sün<strong>den</strong> und Ungerechtigkeitennicht mehr ge<strong>den</strong>ken.“ Wenn aber nun373 Ez 18,23


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>die</strong>se vergeben sind, so ist weiter keinOpfer mehr übrig für ihre Sün<strong>den</strong>.Er hat also <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> nachgelassen, als er<strong>den</strong> Bund gegeben hat; <strong>den</strong> Bund hat er aberdurch das Opfer gegeben. Wenn er daher <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong> durch ein Opfer nachgelassen hat, istkein zweites mehr nothwendig. „Er sitzt zurRechten Gottes und wartet hinfort.“ Undwarum <strong>die</strong>ser Aufschub? Damit seine Feindezum Schemel seiner Füße gelegt wer<strong>den</strong>.„Denn mit einem Opfer,“ sagt er, „hat er aufewig <strong>die</strong> Geheiligten zur Vollendunggebracht.“ Aber es könnte vielleicht Jem<strong>an</strong>dsagen: Warum hat er sie nicht sogleich (zuseinen Füßen) gelegt? Der zukünftigenGläubigen wegen. Woraus erhellt aber, daßsie in der Folge gelegt wer<strong>den</strong>? Aus seinenWorten: „Er sitzt.“ Er hat wieder jenesZeugniß in’s Gedächtniß gerufen, das dalautet: „Bis er seine Feinde unter seine Füßelegt.“ Seine Feinde aber sind <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>. D<strong>an</strong>nweil er sagte: „Bis seine Feinde unter seineFüße gelegt wer<strong>den</strong>,“ sie aber sich sehrbeeiferten, setzt er all das Folgende, was erimmer <strong>über</strong> <strong>den</strong> Glauben spricht. Wer sindaber seine Feinde <strong>an</strong>ders als alleUngläubigen, <strong>die</strong> Dämonen? Denn <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>sind es nicht allein. Um aber <strong>die</strong>Unterwerfung als eine gänzliche <strong>an</strong>zudeuten,sagt er nicht: unterworfen wer<strong>den</strong>, sondern:unter seine Füße gelegt wer<strong>den</strong>. Gehören wirdaher ja nicht zu seinen Fein<strong>den</strong>! Denn nicht<strong>die</strong> Ungläubigen und <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> allein sindseine Feinde, sondern auch Diejenigen, derenLeben g<strong>an</strong>z unrein ist; <strong>den</strong>n „<strong>die</strong> fleischlicheGesinnung ist Feindschaft wider Gott, weilsie sich dem Gesetze Gottes nicht unterwirft; <strong>den</strong>n sie vermag es nicht.“ 374 Wasalso sagt er? Ist Das kein Vergehen? G<strong>an</strong>zgewiß; <strong>den</strong>n der Böse k<strong>an</strong>n, so l<strong>an</strong>ge er böseist, sich nicht unterwerfen, er k<strong>an</strong>n sich aberändern und gut wer<strong>den</strong>.374 Röm 8,7137II.Verb<strong>an</strong>nen wir daher <strong>die</strong> fleischlichenBestrebungen! Welche sind aber fleischlich?Alle, <strong>die</strong> da bewirken, daß der Körperblühend und behäbig sei, <strong>die</strong> Seele aberschädigen, z. B. Reichthum, Wohlleben,Ruhm; alle <strong>die</strong>se sind fleischlich, sindKörperliebe. Wünschen wir daher nicht,mehr zu haben, sondern streben wir immernach der Armuth; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se ist ein großesGut! Aber, sagt m<strong>an</strong>, sie macht niedrig undgering. Dieß ist uns nothwendig; <strong>den</strong>n esbringt uns großen Nutzen. „Die Armuth,“heißt es, „macht <strong>den</strong> Menschen demüthig. 375Und wiederum sagt Christus: „Selig sind <strong>die</strong>Armen im Geiste.“ 376 Betrübst du dichdar<strong>über</strong> also, daß du einen Weg hast, der zurTugend führt? Weißt du nicht, daß uns <strong>die</strong>segroße Zuversicht verleiht? „Aber <strong>die</strong>Weisheit des Armen,“ heißt es, „wirdverachtet;“ 377 und ein Anderer sagt:„Armuthund Reichthum gib mir nicht;“ 378und: „Aus dem Glutofen der Armuth rettemich.“ Wie aber wiederum, wenn Reichthumund Armuth vom Herrn kommen, können<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Armuth und der Reichthum einÜbel sein? Weßhalb nun sind <strong>die</strong>se Wortegesprochen? Diese Worte wur<strong>den</strong> im altenTestamente gesprochen, wo der Reichthumsehr geschätzt war, <strong>die</strong> Armuth in großerVerachtung st<strong>an</strong>d, <strong>die</strong>se als Fluch, jener alsSegen galt. Aber jetzt ist es nicht mehr so.Allein willst du das Loh der Armuth hören?Christus hat sie gewählt, und er spricht: „DerMenschensohn hat nicht, wohin er seinHaupt hinlege.“ 379 Und wieder sagt er zuseinen Jüngern: „Ihr sollet weder Gold nochSilber noch zwei Röcke haben.“ 380375 Spr 10 ,4376 Mt 5,3377 Ekkle 9, 16378 Spr 30,8379 Mt 8,20380 Mt 10,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Und Paulus schreibt: „Wie Nichts habendund doch Alles besitzend.“ 381 Und Petrussprach zum Lahmgebornen: „Silber undGold habe ich nicht.“ 382 Selbst im altenTestamente, wo der Reichthum in hohemAnsehen st<strong>an</strong>d, welche, sage mir, warenhochgeehrt? Nicht Elias, welcher ausser demSchafspelze Nichts besaß? nicht Elisäus?nicht <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong>? Niem<strong>an</strong>d sei daherniedergeschlagen wegen der Armuth; <strong>den</strong>nnicht <strong>die</strong> Armuth ist es, <strong>die</strong> <strong>die</strong>nstbar macht,sondern der Reichthum, der vieleBedürfnisse schafft und zwingt, Vielend<strong>an</strong>kbar zu sein. Wer war <strong>den</strong>n ärmer, sag’<strong>an</strong>, als Jakob, der da sprach: „So Gott mirBrod zu essen gibt und Kleider<strong>an</strong>zuziehen.“ 383 Waren nun Elias und<strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> mit ihrer Umgebung nichtfreimüthig? Hat Jener nicht <strong>den</strong> Achab,Dieser <strong>den</strong> Herodes getadelt? Er sagte: „Es istdir nicht erlaubt, deines Bruders PhilippusWeib zu haben.“ 384 Elias aber sprach mitFreimuth zu Achab: „Ich verwirre Israelnicht, sondern du und das Haus deinesVaters.“ 385 Siehst du, daß gerade <strong>die</strong> Armutheine freie Sprache zu führen erlaubt? Dennder Reiche ist ein Sklave, da er dem Verlusteausgesetzt ist und von Jedem, der dazu <strong>die</strong>Absicht hat, Scha<strong>den</strong> erlei<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n; wer aberNichts hat, fürchtet weder Entziehung derGüter noch Verurtheilung. Wenn also <strong>die</strong>Armuth nicht eine freimüthige Spracheverliehe, würde Christus seine Jünger gewißnicht in Armuth zu einer Sache ausges<strong>an</strong>dthaben, <strong>die</strong> eine so große Freimüthigkeiterheischte. Denn der Arme ist gar stark, under hat Nichts, woraus ihm ein Unrecht oderein Scha<strong>den</strong> erwachsen könnte. Dem Reichenist aber von allen Seiten bequembeizukommen; und wie m<strong>an</strong> Einen, der daviele und l<strong>an</strong>ge Stricke nachschleppt, leicht381 2 Kor 6, 10382 Apg 3,6383 Gen 28,20384 Mk 6,18385 3 Kön 18,18138f<strong>an</strong>gen k<strong>an</strong>n, wer aber nackt ist, sich nicht soleicht festhalten läßt, also verhält es sich auchmit dem Reichen: Sklaven, Gold,Güter, unzählige Sachen, zahllose Sorgen,Verhältnisse und Nothwendigkeiten machenihn für Alle leicht bezwingbar.III.Niem<strong>an</strong>d halte also dafür, daß <strong>die</strong> Armuth<strong>die</strong> Ursache von Unehre sei; <strong>den</strong>n wenn sichTugend vorfindet, ist auch der gesammteReichthum des Erdkreises mit ihr verglichennicht einmal Koth oder Spreu! Ihr wollen wirdaher nachstreben, wenn wir insHimmelreich eingehen wollen; <strong>den</strong>n es heißt:„Verkaufe, was du hast, und gib es <strong>den</strong>Armen, so wirst du einen Schatz im Himmelhaben.“ 386 Und wieder: „Es ist schwer, daßein Reicher ins Himmelreich eingehe.“ 387Siehst du, daß m<strong>an</strong> <strong>die</strong> Armuth, auch wennsie nicht da ist, zu gewinnen suchen muß?Ein so großes Gut ist <strong>die</strong> Armuth; <strong>den</strong>n siegeleitet gleichsam auf <strong>den</strong> Weg, der zumHimmel führt; sie ist <strong>die</strong> Salbung zumKampfe, eine herrliche undbewunderungswürdige Übung, ein ruhigerHafen. Allein ich brauche Vieles, heißt es,und ich mag von Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> eineGna<strong>den</strong>gabe <strong>an</strong>nehmen. Aber auch hierinsteht der Reiche dir nach; <strong>den</strong>n du bittestvielleicht um ein Almosen, um dich zunähren; jener aber fordert unverschämt, umdurch <strong>den</strong> Besitz unzähliger Dinge seineHabsucht zu befriedigen. So sind es <strong>die</strong>Reichen, <strong>die</strong> Vieles nothwendig haben. Undwas sage ich Vieles? Sie brauchen oftGegenstände, <strong>die</strong> ihrer unwürdig sind, z. B.Soldaten und Sklaven. Der Arme bedarf nichteinmal des Königs, und wenn er dessenbedarf, wird er bewundert, daß er sich selbstin <strong>die</strong>se Lage versetzt hat, da er doch reich386 Mt 19,21387 Mt 19,23


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sein könnte. Niem<strong>an</strong>d klage daher <strong>die</strong>Armuth <strong>an</strong>, als wäre sie <strong>die</strong> Ursachezahlloser Übel, Niem<strong>an</strong>d widersprecheChristus, der sie ja <strong>die</strong> Vollendung derTugend nennt, da er spricht: „Wenn duvollkommen sein willst.“ Das hat er in Wortenausgesprochen, durch Thaten gezeigt unddurch seine Schüler gelehrt. Streben wir alsonach Armuth; <strong>den</strong>n sie ist das größte Gut für Diejenigen, welche nüchternenGeistes sind. Vielleicht wer<strong>den</strong> Einige derZuhörer empfindlich berührt. Ich zweiflenicht dar<strong>an</strong>; <strong>den</strong>n groß ist <strong>die</strong>se Kr<strong>an</strong>kheitbei <strong>den</strong> meisten Leuten und so gewaltig <strong>die</strong>Tyr<strong>an</strong>nei des Geldes, daß m<strong>an</strong> nicht einmalauch nur einen Angriff in Worten auf<strong>die</strong>selbe verträgt, sondern vor einem solchenzurückbebt. Ferne sei Dieß von der Seele desChristen; <strong>den</strong>n Niem<strong>an</strong>d ist reicher als Der,welcher aus freien Stücken und mitfreudigem Muthe <strong>die</strong> Armuth erwählt hat.Wie <strong>den</strong>n? Ich will es sagen, und wenn ihrwollt, will ich zeigen, daß Derjenige, welcherfreiwillig arm gewor<strong>den</strong>, reicher ist als selbstder König. Denn <strong>die</strong>ser braucht Vieles undlebt in Sorgen und fürchtet, er möchteM<strong>an</strong>gel haben <strong>an</strong> Dem, was zum Unterhaltedes Heeres gehört. Jener aber hat Alles imÜberflusse, hat keine Furcht in Betreff irgendeiner Sache, und wenn auch, so ängstigt ersich doch <strong>über</strong> nichts Besonderes. Wer, sag’<strong>an</strong>, ist nun reich? Der sich je<strong>den</strong> Tag inSorgen verzehrt und sich abmüht, Vieles zusammeln, und von Angst gequält ist, ermöchte M<strong>an</strong>gel lei<strong>den</strong>, - oder Der, welcherNichts <strong>an</strong>häuft und in reichem Überflusselebt und keine Bedürfnisse hat? DennZuversicht verleiht <strong>die</strong> Tugend und <strong>die</strong>Furcht Gottes, nicht aber das Geld, <strong>den</strong>n <strong>die</strong>ßmacht zum Sklaven; „<strong>den</strong>n Geschenke,“heißt es, „und Gaben verblen<strong>den</strong> <strong>die</strong> Augender Weisen (Richter); sie machen sie stumm,so daß sie nicht strafen können.“ 388 Betrachte,388 Ekkli 20,31139wie jener arme Petrus <strong>den</strong> reichen An<strong>an</strong>iasgestraft hat. War Dieser nicht reich, Jeneraber arm? Aber siehe, wie er mit Ansehenspricht und sagt: „Habt ihr <strong>den</strong> Acker umsoviel verkauft?“ 389 Jener aber mit Kleinmuth<strong>an</strong>twortet: „Ja, um soviel.“ Und wer, sagtm<strong>an</strong>, wird mir Das geben, zu sein wiePetrus? Du k<strong>an</strong>nst wie Petrus sein, wenn duwegwerfen willst, was du hast; theile aus, gib<strong>den</strong> Armen, folge Christus nach, und duwirst ein Solcher sein. Wie? Jener, sagt m<strong>an</strong>,hat Wunder geth<strong>an</strong>. Ist es <strong>den</strong>n Das,sage mir, was <strong>den</strong> Petrus sobewunderungswerth gemacht hat, oder <strong>die</strong>Zuversicht, <strong>die</strong> aus seinem Leben stammt?Hörst du nicht, was Christus sagt? „Freueteuch nicht dar<strong>über</strong>, daß euch <strong>die</strong> Teufelgehorchen! Willst du vollkommen sein, sogehe hin, verkaufe Alles, was du hast, undgib es <strong>den</strong> Armen; so wirst du einen Schatzim Himmel haben.“ 390 Höre, was Petrus sagt:„Gold und Silber habe ich nicht; was ich aberhabe, Das gebe ich dir.“ 391 Wenn Einer Goldund Silber hat, so hat er Dieses nicht. Wieaber verhält es sich damit, sagt m<strong>an</strong>, daßViele weder Dieses noch Jenes haben? Weilsie nicht freiwillig arm sind; welche ausfreien Stücken in Armuth leben, haben alleGüter. Denn wenn sie auch weder Todteerwecken, noch Lahme heilen, so haben siedoch, was größer als Alles ist. Zuversicht zuGott; <strong>an</strong> jenem Tage wer<strong>den</strong> sie <strong>die</strong>beseligende Stimme hören, <strong>die</strong> da spricht:„Kommet, ihr Gesegnete meines Vaters!“Was hat wohl höheren Werth? „Besitzet dasReich, welches seit Grundlegung der Welteuch bereitet ist; ich war durstig, und ihrhabt mich getränkt; ich war ein Fremdling,und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt,und ihr habt mich bekleidet; ich war kr<strong>an</strong>kund im Gefängnisse, und ihr habt michbesucht. Besitzet das Reich, welches seit389 Apg 5,8390 Mt 19,21391 Apg 3,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Grundlegung der Welt euch bereitet ist! 392Fliehen wir also <strong>die</strong> Habsucht, damit wir dasHimmelreich erl<strong>an</strong>gen! Nähren wir <strong>die</strong>Armen, auf daß wir Christus nähren, damitwir seine Miterben wer<strong>den</strong>, in Christus Jesus,unserem Herrn, welchem mit dem Vater unddem heiligen Geiste sei Ruhm. Macht undEhre jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Neunzehnte Homilie.I.(Fortsetzung.)19. - 23. Weil wir nun, Brüder,zuversichtliche Hoffnung haben, in dasHeiligthum durch das Blut Christieinzugehen, wohin er uns einen neuen undlebendigen Weg durch <strong>den</strong> Vorh<strong>an</strong>g, das istdurch sein Fleisch, bereitet hat, und weilwir einen großen Priester <strong>über</strong> das HausGottes haben: so lasset uns hinzutreten mitaufrichtigem Herzen, mit vollkommenemGlauben, nachdem unsere Herzenbesprengt sind (zur Reinigung) vomBewußtsein des Bösen, und der Leibgewaschen ist mit reinem Wasser; lasset unsunw<strong>an</strong>delbar festhalten am Bekenntnißunserer Hoffnung.Nachdem er gezeigt hatte, wie groß derUnterschied sei zwischen dem Hohenpriesterund <strong>den</strong> Opfern und dem Zelte, demTestamente und der Verheißung, und daßderselbe sehr bedeutend sei, indem jenezeitlich, <strong>die</strong>se aber ewig, jene demUnterg<strong>an</strong>ge nahe, <strong>die</strong>se aber bleibend, jeneschwach, <strong>die</strong>se vollkommen, jene Vorbild,<strong>die</strong>se aber Wahrheit seien, - „<strong>den</strong>nnicht nach Vorschrift einer fleischlichenBestimmung,“ heißt es, „sondern nach derKraft eines unauflösbaren Lebens;“ 393 undwieder: „Du bist ein Priester in Ewigkeit“(siehe <strong>die</strong> Ewigkeit des Priesters!) und inBezug auf das Testament sagt er, daß jenesalt sei; <strong>den</strong>n „was veraltet ist und hinfälligwird, ist seinem Ende nahe; 394 <strong>die</strong>ses aber seineu und habe <strong>die</strong> Nachlassung der Sün<strong>den</strong>,jenes aber besitze Nichts der Art; <strong>den</strong>n „dasGesetz,“ heißt es, „hat nichts zurVollkommenheit gebracht;“ 395 und wieder:„Opfer und Gaben hast du nicht gewollt;“jenes sei von Menschenh<strong>an</strong>d, <strong>die</strong>ses abernicht; jenes habe das Blut der Böcke, <strong>die</strong>sesaber das des Herrn; jenes <strong>den</strong> Priesterstehend, <strong>die</strong>ses aber <strong>den</strong>selben sitzend -:nachdem er also gezeigt hatte, daß all Jeneskleiner, Dieses aber größer sei, darum sagt er:„Weil wir nun, Brüder, zuversichtliche Hoffnunghaben.“ Woher <strong>die</strong>se Zuversicht? Von derNachlassung. Denn wie <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong>, sagt er,Scham bereiten, so erzeugt <strong>die</strong> gänzlicheNachlassung derselben Zuversicht. Und Dasnicht allein; wir sind auch Miterben undeiner so großen Liebe theilhaftig gewor<strong>den</strong>.„In das Heiligthum einzugehen.“ Was nennt erhier Eing<strong>an</strong>g? Den Himmel und <strong>den</strong> Zutrittzu <strong>den</strong> geistigen Gütern. „Welchen (Weg) eruns neu bereitet hat,“ d. h. eingerichtet, undauf dem er <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>g gemacht hat; <strong>den</strong>n<strong>die</strong> Neueinrichtung will so viel heissen alsder erste Gebrauch; welchen er neueinrichtete, sagt er, und auf welchem erselbst einging. „Einen neuen und lebendigenWeg.“ Hier zeigt er <strong>die</strong> Fülle der Hoffnung.„Einen neuen,“ sagt er. Er bemüht sich, zuzeigen, daß wir Alles größer erhalten haben,da uns jetzt <strong>die</strong> Himmelspforten geöffnetwor<strong>den</strong>, was nicht einmal bei Abrahamgeschah. Treffend sagt er: „Einen neuen und lebendigen Weg;“ <strong>den</strong>n der erstewar der Weg des Todes, der zur Hölle führt;<strong>die</strong>ser aber ist der Weg des Lebens. Er nennt392 Mt 25,34-36140393 Hebr 7,16; 5,6394 Hebr 8,13395 Hebr 7,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ihn aber nicht Weg des Lebens, sondernlebendigen Weg, um <strong>an</strong>zuzeigen, daß er bleibt.„Durch <strong>den</strong> Vorh<strong>an</strong>g, das ist durch sein Fleisch.“Denn <strong>die</strong>ses Fleisch hat zuerst ihm jenenWeg geöffnet, wovon es heißt, daß er ihn neubereitet habe, indem er selbst sich würdigte,durch <strong>den</strong>selben einzugehen. Passend aberhat er das Fleisch einen Vorh<strong>an</strong>g gen<strong>an</strong>nt;<strong>den</strong>n nachdem er in <strong>die</strong> Höhe emporgehobenwar, da erschienen <strong>die</strong> himmlischen Dinge.„So lasset uns,“ sagt er, „hinzutreten mitaufrichtigem Herzen!“ Als welche wollen wirhinzutreten? Wenn Jem<strong>an</strong>d heilig ist durch<strong>den</strong> Glauben und <strong>die</strong> Anbetung im Geiste:„mit aufrichtigem Herzen, mit vollkommenemGlauben“ das ist, da Nichts sichtbar ist, wederder Priester noch das Opfer noch der Altargesehen wird, wiewohl auch jener Priesternicht sichtbar war, sondern er selbst st<strong>an</strong>ddrinnen, Jene alle aber, das g<strong>an</strong>ze Volknämlich, draussen. Hier aber zeigt er nichtallein Dieses, daß der Priester in dasHeiligthum einging, <strong>den</strong>n Das bekundet erdurch <strong>die</strong> Worte: „Und einen großen Priester<strong>über</strong> das Haus Gottes,“ sondern daß auch wireingehen. Darum sagt er: „mit vollkommenemGlauben;“ <strong>den</strong>n m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n auch zweifelndglauben, sowie es auch jetzt Viele gibt, <strong>die</strong> dasagen, daß M<strong>an</strong>che auferstehen, M<strong>an</strong>che abernicht. Das aber ist kein vollkommenerGlaube; <strong>den</strong>n m<strong>an</strong> muß so glauben, alsschaute m<strong>an</strong> wirklich, und noch viel mehr;<strong>den</strong>n hier ist bei Dem, was m<strong>an</strong> schaut, einIrrthum möglich, dort aber nicht; <strong>den</strong>n hierverlassen wir uns auf <strong>die</strong> sinnlicheWahrnehmung, dort aber auf <strong>den</strong> Geist.„Nachdem unsere Herzen besprengt sind (zurReinigung) vom Bewußtsein des Bösen.“ Hier zeigt er, daß nicht nur der Glaube,sondern auch ein tugendhaftes Lebenverl<strong>an</strong>gt wird, und daß m<strong>an</strong> sich selbstkeiner Missethat bewußt sei. Denn dasHeiligthum nimmt nur Diejenigen auf,welche mit der Fülle des Glaubensausgerüstet sind; <strong>den</strong>n es ist das Heiligthum141und das Allerheiligste; darum betritt es auchkein unheiliger Mensch. Jene wur<strong>den</strong> amKörper besprengt, wir aber im Gewissen, sodaß m<strong>an</strong> auch jetzt besprengt wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n,aber durch <strong>die</strong> Tugend selbst. „Und der Leibgewaschen ist mit reinem Wasser.“ Hier meinter das Abwaschen, nicht das, welches <strong>den</strong>Leib, sondern <strong>die</strong> Seele reinigt. „Denn getreuist, der <strong>die</strong> Verheissung geth<strong>an</strong> hat.“ Und washat er <strong>den</strong>n versprochen und ist treu? Daßm<strong>an</strong> dorthin kommen und in das Reicheintreten solle. Grüble also nicht undverl<strong>an</strong>ge nicht nach Grün<strong>den</strong>! Unsere Sachefordert Glauben.24. 25. Und lasset uns, sagt er, auf ein<strong>an</strong>derAcht haben, um zu wetteifern in der Liebeund in guten Werken, indem wir nichtverlassen unsere Versammlung, wie Einige<strong>die</strong> Gewohnheit haben, sondern ein<strong>an</strong>deraufmuntern, und Das um so mehr, je mehrihr sehet, daß der Tag her<strong>an</strong>nahet.Und wieder <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>deren Stelle: „DerHerr ist nahe; seid nicht ängstlich besorgt;<strong>den</strong>n jetzt ist unser Heil näher.“ 396 Undwiederum: „Die Zeit ist kurz.“ 397 Was heißtDas: „Indem wir nicht verlassen unsereVersammlung“? Er wußte, daß in demZusammensein und in der Vereinigunggroße Kraft liege; „<strong>den</strong>n wo Zwei oder Drei,“heißt es, „in meinem Namen versammeltsind, da bin ich mitten unter ihnen.“ 398 Undwieder: „Damit sie Eins seien, wieauch wir Eins sind.“ 399 Und wiederum: „Allewaren ein Herz und eine Seele.“ 400 Aber nichtdarum allein, sondern weil aus derVersammlung auch <strong>die</strong> Liebe Nahrungschöpft, aus der wachsen<strong>den</strong> Liebe aber auchnothwendig <strong>die</strong> Sache Gottes gewinnt. „DieKirche,“ heißt es, „betete ohne Unterlaß zuGott.“ 401396 Phil 4,5397 1 Kor 7,29398 Mt 18,20399 Joh 17,11400 Apg 4,32401 Apg 12,5


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>„Wie Einige <strong>die</strong> Gewohnheit haben.“ Hierspricht er nicht nur eine Ermunterung,sondern auch einen Tadel aus.„Und lasset uns auf ein<strong>an</strong>der Acht haben, um zuwetteifern in der Liebe und in guten Werken!“ Erwußte, daß auch Dieß durch ihreVersammlung geschehe; <strong>den</strong>n wie EisenEisen schärft, so vermehrt auch <strong>die</strong>Versammlung <strong>die</strong> Liebe. Denn wenn derStein <strong>an</strong> Stein gerieben Feuer gibt, um wieviel mehr thun Dieß <strong>die</strong> in ein<strong>an</strong>dergeflossenen Seelen? Siehe, er sagt nicht:nachzuahmen, sondern: „zu wetteifern in derLiebe.“ Was heißt Das: „zu wetteifern in derLiebe“? Um mehr zu lieben und geliebt zuwer<strong>den</strong>. Er fügt aber bei: „und in gutenWerken,“ - damit sie Eifer gewännen. MitRecht. Denn wenn <strong>die</strong> Thaten, will er sagen,eine größere Gewalt haben, zu belehren, als<strong>die</strong> Worte, so habt auch ihr viele Lehrer inder Menge, <strong>die</strong> durch ihre Thaten alsowirken. Was heißt Das: „Lasset unshinzutreten mit aufrichtigem Herzen?“ Dasheißt: ohne Heuchelei; „<strong>den</strong>n wehe,“ heißt es,„dem doppelten Herzen, <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong>, <strong>die</strong>Böses thun!“ 402 Keine Lüge, will er sagen, seiin euch; wir dürfen nicht Anderes sprechen und Anderes <strong>den</strong>ken; <strong>den</strong>n das istLüge; auch nicht kleinmüthig sein, <strong>den</strong>n Dasbeweist kein aufrichtiges Herz; stammt ja ausdem Unglauben der Kleinmuth. Wie aberwird Dieß geschehen? Wenn wir uns einesichere Überzeugung durch <strong>den</strong> Glaubenverschaffen. „Nachdem unsere Herzenbesprengt sind.“ Warum sagt er nicht:gereinigt, sondern: besprengt ? Er will <strong>die</strong>Verschie<strong>den</strong>heit der Besprengung zeigen,und daß es ein Anderes ist, was Gott thut,und ein Anderes, was wir thun. Denn dasGewissen zu waschen und zu besprengen istGottes Werk; mit Aufrichtigkeit aber und mitder Fülle des Glaubens hinzuzutreten istunsere Sache. D<strong>an</strong>n gibt er dem Glauben402 Ekkli 2,14142auch Kraft von der Wahrhaftigkeit Dessen,der <strong>die</strong> Verheissung gemacht hat. Was heißtDas: „Und der Leib gewaschen ist mit reinemWasser“? Entweder will er sagen: welchesrein macht, oder: welches kein Blut enthält.D<strong>an</strong>n fügt er das Vollkommene, nämlich <strong>die</strong>Liebe, hinzu. „Indem wir,“ sagt er, „nichtverlassen unsere Versammlung,“ - was Einige,sagt er, thun und <strong>die</strong> Zusammenkünftetrennen. Dieses verbietet er ihnen: „Wenn einBruder dem <strong>an</strong>dern zu Hilfe kommt, so ist’swie eine feste Stadt.“ 403„Sondern lasset uns auf ein<strong>an</strong>der Acht haben, umzu wetteifern in der Liebe!“ Was heißt Das:„Lasset uns auf ein<strong>an</strong>der Acht haben“? Wenn z.B. Jem<strong>an</strong>d tugendhaft ist, <strong>den</strong> wollen wirnachahmen, wollen auf ihn sehen, um zulieben und geliebt zu wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n aus derLiebe stammen <strong>die</strong> guten Werke.II.Ein großes Gut ist <strong>die</strong> Versammlung; <strong>den</strong>nsie macht <strong>die</strong> Liebe stärker, und aus ihrentspringen alle Güter, und es gibtkein Gut, das nicht aus der Liebe stammte;<strong>die</strong>se wollen wir daher unter uns waltenlassen, <strong>den</strong>n „<strong>die</strong> Liebe ist <strong>die</strong> Erfüllung desGesetzes.“ 404 Wir brauchen da nicht zuarbeiten, nicht zu schwitzen. wenn wirein<strong>an</strong>der lieben; sie ist ein Weg, der vonselbst zur Tugend führt. Denn wie Jem<strong>an</strong>dauf der Heerstraße, sobald er <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>gderselben gefun<strong>den</strong> hat, von ihr selbstgeführt wird und keines Wegweisers bedarf:so ist’s auch bei der Liebe; erfasse nun <strong>den</strong>Anf<strong>an</strong>g, und alsbald wird sie dich führenund leiten, „<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Liebe,“ heißt es, „istgeduldig, ist gütig, <strong>den</strong>kt nichts Arges.“ 405Wie Jem<strong>an</strong>d bei sich erwägt, wie er gegensich selbst gesinnt ist, also soll er auch gegen403 Spr 18,19404 Röm 13,10405 1 Kor 13,4


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>den</strong> Nächsten gestimmt sein. Niem<strong>an</strong>dbeneidet sich selbst, ein Jeder wünscht sichselbst alles Gute, Allen zieht er sich selbstvor, und Alles will er für sich selbst thun.Wenn wir daher auch gegen Andere alsogesinnt sind, d<strong>an</strong>n ist alles Böse aufgelöst,d<strong>an</strong>n gibt es keine Feindschaften mehr undkeinen Geiz. Denn wer sollte für sich nacheinem größeren Besitzst<strong>an</strong>de verl<strong>an</strong>gen?Niem<strong>an</strong>d, vielmehr dürfte in Allem dasGegentheil stattfin<strong>den</strong>. Wollen wir daherAlles gemeinsam besitzen, und nichtaufhören, uns selbst zu mäßigen, und wennwir Das thun, d<strong>an</strong>n wird das An<strong>den</strong>ken <strong>an</strong>erlittene Unbil<strong>den</strong> keinen Platz fin<strong>den</strong>; <strong>den</strong>nwer wollte wohl gegen sich selbstempf<strong>an</strong>gener Kränkungen einge<strong>den</strong>kbleiben? Wer wollte wohl sich selber zürnen?Haben wir nicht am meisten vor Allen mituns selbst Nachsicht? Wenn wir auch gegen<strong>den</strong> Nächsten also gesinnt sind, d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong>wir nie Racheged<strong>an</strong>ken haben. Und wie ist esmöglich, sagt m<strong>an</strong>, daß m<strong>an</strong> <strong>den</strong> Nächsten soliebe, wie ein Jeder sich selbst liebt? WennAndere Das nicht geth<strong>an</strong> haben, so urtheilstdu richtig, daß <strong>die</strong>ß unmöglich sei; haben siees aber geth<strong>an</strong>, so ist klar, daß es von unsunserer Sinnlichkeit wegen nichtgeschieht. Übrigens befiehlt Christus nichtsUnmögliches, da ja Viele auch noch mehrgeleistet haben, als seine Gebote verl<strong>an</strong>gten.Wer hat <strong>den</strong>n Dieses geth<strong>an</strong>? Paulus, Petrusund <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Schaar der Heiligen. Aberwenn ich sage, daß sie ihre Nächsten geliebthaben, so spreche ich nichts Großes aus: siehaben ihre Feinde so geliebt, wie kaum Jem<strong>an</strong>dDie lieben würde, welche mit ihm eine Seelesind. Denn wer würde wohl von euch fürDiejenigen, welche mit ihm eine Seele sind, in<strong>die</strong> Hölle gehen wollen, da er insHimmelreich eingehen soll? Keiner; aberPaulus wollte Dieß für seine Feinde, <strong>die</strong> ihngesteinigt, <strong>die</strong> ihn gegeißelt haben. WelcheVerzeihung wird uns zu Theil wer<strong>den</strong>,welche Entschuldigung, wenn wir nicht143einmal <strong>den</strong> winzigsten Theil der Liebe,welche Paulus gegen seine Feinde gezeigthat, gegen unsere Freunde <strong>an</strong> <strong>den</strong> Tag legen?Und vor Diesem (Paulus) wollte der seligeMoses für seine Feinde, <strong>die</strong> ihn mit Steinenverfolgt hatten, aus dem Buche Gottesausgetilgt wer<strong>den</strong>. 406 Und als David sah, daßDiejenigen, welche gegen ihn st<strong>an</strong><strong>den</strong>,getödtet wur<strong>den</strong>, sagte er: „Ich, der Hirt,habe gesündigt; was haben aber Diesegeth<strong>an</strong>?“ 407 Und als Saul in seine Händegefallen, wollte er ihn nicht tödten, sondernschützte ihn, und zwar, als er selbst inGefahren war. Wenn Das im AltenTestamente geschah, welche Verzeihungwer<strong>den</strong> wir fin<strong>den</strong>, falls wir, <strong>die</strong> wir imNeuen Bunde leben, nicht einmal zugleichem Maße mit Jenen gel<strong>an</strong>gen? Denn„wenn eure Gerechtigkeit nichtvollkommener sein wird als <strong>die</strong> derSchriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihrin’s Himmelreich nicht eingehen.“ 408 Wennwir nun weniger als Jene haben, wie wer<strong>den</strong>wir eingehen? „Liebet,“ heißt es, „euereFeinde, und ihr werdet ähnlich euerem Vatersein, der im Himmel ist.“ 409 Liebe daher <strong>den</strong>Feind; <strong>den</strong>n du erweisest dadurchnicht ihm, sondern dir selbst eine Wohlthat.Wie <strong>den</strong>n? Wenn du Das thust, wirst du Gottähnlich. Wenn Jener von dir geliebt wird, hater keinen großen Gewinn; <strong>den</strong>n er wird voneinem Mitknechte geliebt; wenn aber du <strong>den</strong>Mitknecht liebst, ziehst du einen großenVortheil; <strong>den</strong>n du wirst Gott ähnlich. Siehstdu, daß du nicht Jenem zu Gunsten h<strong>an</strong>delst,sondern dir selbst? Denn <strong>den</strong> Preis stellt ernicht für Jenen, sondern für dich hin. Wieaber, heißt es, wenn er böse ist? Um sogrößer ist der Lohn, und seinerVerkommenheit wegen mußt du ihm D<strong>an</strong>kwissen, wenn er auch unzählige Wohlthaten406 Ex 32,32407 2 Kön 24,17408 Mt 5,20409 Mt 44,25


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>empfinge; <strong>den</strong>n wenn er nicht sehr böse wäre,würde der Lohn nicht sehr groß wer<strong>den</strong>, sodaß <strong>die</strong> Ursache, ihn nicht zu lieben, nämlich<strong>die</strong> Einrede, er sei böse, der Grund ist, ihnrecht zu lieben. Nimm <strong>den</strong> Gegner weg, unddu raubst dir <strong>die</strong> Gelegenheit, Kronen zuerwerben. Siehst du nicht, wie <strong>die</strong> AthletenSäcke mit S<strong>an</strong>d füllen und also kämpfen? Duaber brauchst <strong>die</strong>se Übung nichtvorzunehmen; das Leben ist voll von solchenDingen, <strong>die</strong> dich üben und stark machen.Siehst du nicht, daß auch <strong>die</strong> Bäume, je mehrsie von <strong>den</strong> Win<strong>den</strong> <strong>an</strong>gebraust wer<strong>den</strong>, umso stärker und fester wer<strong>den</strong>? Wenn wirdaher auch geduldig sind, wer<strong>den</strong> wir starksein; „<strong>den</strong>n der M<strong>an</strong>n,“ heißt es, „welchergeduldig ist, <strong>den</strong> leitet viel Verst<strong>an</strong>d; weraber ungeduldig ist, der ist arg thöricht.“ 410Siehst du, wie groß dort das Lob, und wiegroß hier der Tadel ist? Arg thöricht heißt soviel, wie sehr thöricht. Seien wir daher nichtungeduldig gegen ein<strong>an</strong>der; <strong>den</strong>n Daskommt nicht aus der Feindschaft, sondernweil wir kleinmüthigen Geistes sind. Ist<strong>die</strong>ser aber stark, so wird er Alles leichtertragen, und Nichts wird ihn zu versenkenim St<strong>an</strong>de sein, sondern er wird in <strong>den</strong>ruhigen Hafen einlaufen, was unsAllen zu Theil wer<strong>den</strong> möge durch <strong>die</strong>Gnade und Menschenfreundlichkeit unseresHerrn Jesus Christi, welchem mit dem Vaterund dem heiligen Geiste sei Ruhm, Machtund Ehre jetzt und alle Zeit und vonEwigkeit zu Ewigkeit. Amen. Zw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.26. 27. Denn wenn wir vorsätzlich sündigen,nachdem wir <strong>die</strong> Erkenntniß der Wahrheiterl<strong>an</strong>gt haben, so ist kein Opfer für Sün<strong>den</strong>mehr übrig; sondern es wartet unser einschreckliches Gericht und eiferndes Feuer,das <strong>die</strong> Widerspenstigen verzehren wird.Alle <strong>die</strong> Bäume, welche von der H<strong>an</strong>d desL<strong>an</strong>dm<strong>an</strong>nes gepfl<strong>an</strong>zt und aller sonstigerSorgfalt theilhaftig wur<strong>den</strong>, aber <strong>die</strong> auf sieverwendete Arbeit nicht lohnen, wer<strong>den</strong> mitder Wurzel herausgeschafft und in’s Feuergeworfen. Ähnlich verhält es sich auch inBezug auf <strong>die</strong> Erleuchtung (Taufe). Dennwenn unser Leben, da uns Christus gepfl<strong>an</strong>zthat und wir <strong>die</strong> geistige Befruchtungempf<strong>an</strong>gen haben, darnach sich unfruchtbarerweist: so erwartet uns das Feuer der Hölleund eine unauslöschliche Flamme. Nachdemsie daher Paulus zur Liebe und zu einem <strong>an</strong>guten Werken fruchtbaren W<strong>an</strong>del ermahnt,und sie dazu im Hinblick auf <strong>die</strong> größernVortheile ermuntert hatte, (welche sind aber<strong>die</strong>se? Daß wir Zutritt haben zumHeiligthume, wohin er selbst unseinen neuen Weg bereitet hat), so thut erDasselbe wiederum, indem er sich in mehrernsten Worten ausspricht. Denn nachdem ergesagt hatte: „indem wir nicht verlassenunsere Versammlung, wie Einige <strong>die</strong>Gewohnheit haben, sondern ein<strong>an</strong>deraufmuntern, und Das um so mehr, je mehrihr sehet, daß der Tag her<strong>an</strong>nahet (worin einhinreichender Trost liegt): fügt er hinzu:„Denn wenn wir vorsätzlich sündigen, nachdemwir <strong>die</strong> Erkenntniß der Wahrheit erl<strong>an</strong>gt haben.“Nothwendig, will er sagen, sind gute Werke,ja sehr notwendig sind sie: „Denn wenn wirvorsätzlich sündigen, nachdem wir <strong>die</strong>Erkenntniß der Wahrheit erl<strong>an</strong>gt haben, so istkein Opfer für Sün<strong>den</strong> mehr übrig.“ Er will aberdamit Folgendes sagen: Du bist rein und freivon Vergehen, du bist Sohn gewor<strong>den</strong>. Wenndu daher zu dem früher Ausgespieenenzurückkehrest, d<strong>an</strong>n wird Verwerfung undFeuer, und was sonst der Art ist, dein Loossein; <strong>den</strong>n es gibt kein zweites Opfer. Hiererheben sich wieder Diejenigen gegen uns,410 Spr 14,29144


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>welche <strong>die</strong> Buße aufheben, 411 und Alle,welche zögern, zur Taufe zu kommen. Diesesagen, es sei nicht sicher für sie, zur Taufezukommen, da keine zweite Nachlassungstattfinde; Jene aber, es sei nicht sicher,Diejenigen <strong>an</strong> <strong>den</strong> Geheimnissentheilnehmen zu lassen, welche gesündigethaben, da es ja keine zweite Nachlassunggebe. Was wer<strong>den</strong> wir also Bei<strong>den</strong><strong>an</strong>tworten? Daß er hier nicht in einer solchenAbsicht spricht; daß er also weder <strong>die</strong> Bußeaufhebt noch <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Buße bewirkteVersöhnung, noch auch <strong>den</strong> Gefallenenverstößt und durch Verzweiflungniederschmettert; <strong>den</strong>n ein solcher Feindunseres Heiles ist er nicht. Sondern was? Daßer <strong>die</strong> zweite Taufe verwirft. Denn er sagtnicht: es gibt keine Buße mehr; auch nicht: esist keine Nachlassung mehr, sondern: es istkein Opfer mehr, d. h. es gibt kein zweites Kreuz; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>ses nennt er Opfer:„Denn mit einem Opfer,“ sagt er, hat er aufewig <strong>die</strong> Geheiligten zur Vollendunggebracht.“ 412 Es war nicht wie <strong>die</strong> jüdischen(Opfer), noch f<strong>an</strong>d es oft statt. Denn darumist <strong>über</strong> das Opfer so viel hin und hergesprochen wor<strong>den</strong>, daß es Eines und nurEines sei, weil er nicht Dieses allein zeigenwollte, daß es hiedurch von <strong>den</strong> jüdischenverschie<strong>den</strong> sei, sondern um ihnen auch einegrößere Gewißheit beizubringen, so daß sienicht mehr ein <strong>an</strong>deres Opfer erwarteten, dasdem jüdischen Gesetze gemäß wäre: „Dennwenn wir vorsätzlich sündigen,“ sagt er. Siehstdu, wie er zum Verzeihen geneigt ist? „Dennwenn wir,“ sagt er, „vorsätzlich sündigen,“ sodaß also Denen, <strong>die</strong> ohne Vorsatz sündigen,Verzeihung zu Theil wird. - „Nachdem wir <strong>die</strong>Erkenntniß der Wahrheit erl<strong>an</strong>gt haben.“Entweder meint er <strong>die</strong> Erkenntniß Christi,oder <strong>die</strong> aller Heilslehren. „So ist kein Opferfür Sün<strong>den</strong> mehr übrig.“ Sondern was?„Sondern es wartet unser ein schrecklichesGericht und eiferndes Feuer, das <strong>die</strong>Widerspenstigen verzehren wird.“„Widerspenstige“ (Feinde) nennt er nicht nur<strong>die</strong> Ungläubigen, sondern auch <strong>die</strong>Tugendfeinde, oder er will sagen, daßdasselbe Feuer ebenso <strong>die</strong> Hausgenossen wie<strong>die</strong> Feinde ergreifen wird. D<strong>an</strong>n hat er, um<strong>den</strong> verzehren<strong>den</strong> Charakter desselben zuverdeutlichen, demselben gleichsam Lebengegeben, indem er sagt: „eiferndes Feuer, das<strong>die</strong> Widerspenstigen verzehren wird.“ Denn wieein gereiztes wildes Thier in seiner Wuth undWildheit nicht ruht, bis es irgend Jem<strong>an</strong><strong>den</strong>erfaßt und verzehrt hat: so läßt auch jenesFeuer, wie wenn Einer von Eifer gesporntwird, Diejenigen, <strong>die</strong> es ergriffen, nichtfahren, sondern zerreißt und frißt sie. D<strong>an</strong>nfügt er auch <strong>den</strong> Grund der Drohung bei,daß nämlich Solches natürlich und gerechtsei. Denn Das trägt zur Überzeugungbei, wenn wir beweisen, daß Etwas auf einegerechte Weise geschieht.28. Hat Jem<strong>an</strong>d das Gesetz Mosis<strong>über</strong>treten, so muß er ohne Erbarmen aufZweier oder Dreier Zeugniß hin sterben.„Ohne Erbarmen,“ sagt er. Dort ist also keineVerzeihung, kein Erbarmen, und doch ist esdas Gesetz Mosis; <strong>den</strong>n Vieles hat er selbst<strong>an</strong>geordnet. Was heißt Das: „auf Zweier oderDreier Zeugniß hin“? Wenn Zwei oder DreiZeugniß ablegen, ist das Urtheil rasch gefällt.Wenn daher im alten Bunde, wo das GesetzMosis verletzt wird, eine so große Strafebesteht: um wie viel mehr wird Dieß hier derFall sein! Darum sagt er auch:29. Wie viel mehr, meinet ihr, ver<strong>die</strong>nt Jenerhärtere Strafen, welcher <strong>den</strong> Sohn Gottesmit Füßen getreten und das Blut desBundes für gemein gehalten und <strong>den</strong> Geistder Gnade Schmach <strong>an</strong>geth<strong>an</strong> hat?II.411 <strong>die</strong> Novati<strong>an</strong>er412 Hebr 10,14145


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Und wie tritt Jem<strong>an</strong>d <strong>den</strong> Sohn Gottes mitFüßen? Tritt Derjenige, sage mir, welcher <strong>an</strong><strong>den</strong> Geheimnissen desselben Theil nimmtund Sün<strong>den</strong> begeht, ihn nicht mit Füßen?Denn wie wir Dasjenige, was wir mit Füßentreten, keiner Berücksichtigung werth halten,so nehmen auch <strong>die</strong> Sünder keine Rücksichtauf Christus, weßhalb sie also sündigen. Dubist gewor<strong>den</strong> zum Leibe Christi und gibstdich selbst dem Teufel hin, daß er dich mitFüßen tritt? „Und das Blut,“ sagt er, „fürgemein gehalten hat.“ Was ist „gemein“? Wasunrein ist und nicht mehr Werth hat als dasÜbrige. „Und dem Geiste der Gnade Schmach<strong>an</strong>geth<strong>an</strong> hat.“ Denn wer eine Wohlthat nicht<strong>an</strong>nimmt, thut dem Wohlthäter Schmach <strong>an</strong>.Er hat dich zum Sohne gemacht, du aberwillst ein Sklave sein; er istgekommen, um bei dir Wohnung zunehmen; du aber hast böse Ged<strong>an</strong>ken in dich<strong>den</strong> Einzug halten lassen; Christus wollte beidir Unterkunft fin<strong>den</strong>; du aber trittst ihn mitFüßen durch Rausch und Trunkenheit.Hören wir es, <strong>die</strong> wir unwürdig <strong>an</strong> <strong>den</strong>Geheimnissen theilnehmen. Hören wir es,<strong>die</strong> wir unwürdig zu jenem Tischehinzutreten. „Gebet,“ heißt es, „das Heiligenicht <strong>den</strong> Hun<strong>den</strong>, damit sie dasselbe nichtetwa mit ihren Füßen zertreten,“ 413 d. h.damit sie dasselbe nicht verachten undverspucken. Aber Dieß sagt er nicht, sondernwas schrecklicher als Dieses ist; <strong>den</strong>n durchdas Schreckliche packt er <strong>die</strong> Seelen; <strong>den</strong>nDas ist nicht weniger geeignet, zu bekehren,als Trostre<strong>den</strong>. Er zeigt ihnen also zugleich<strong>den</strong> Unterschied und <strong>die</strong> Strafe und <strong>über</strong>läßtihnen selbst, da <strong>die</strong> Sache klar ist, dasUrtheil. „Wie viel mehr,“ sagt er, „meint ihr,ver<strong>die</strong>nt Jener härtere Strafen?“ Hier scheint ermir auf <strong>die</strong> Geheimnisse hinzudeuten. D<strong>an</strong>nfügt er auch ein Zeugniß hinzu mit <strong>den</strong>Worten:30. 31. Schrecklich ist es, in <strong>die</strong> Hände deslebendigen Gottes zu fallen. Denn es stehtgeschrieben: Mein ist <strong>die</strong> Rache, ich werdevergelten. Und abermal: Der Herr wird seinVolk richten.Wir wer<strong>den</strong>, sagt er, in <strong>die</strong> Hände des Herrnund nicht in <strong>die</strong> Hände der Menschen fallen.Aber wenn ihr nicht Buße thut, werdet ihr in<strong>die</strong> Hände Gottes fallen: Das ist schrecklich,aber in <strong>die</strong> Hände der Menschen zu fallen,das ist gar Nichts. Wenn wir sehen, will ersagen, daß hier Jem<strong>an</strong>d gestraft wird, sofürchten wir ja nicht, was gegenwärtig,sondern zittern vor Dem, was zukünftig ist: „<strong>den</strong>n zwar nähert sich schnellseine Barmherzigkeit, aber auch sein Zorn,und sein Zorn sieht auf <strong>die</strong> Sünder.“ 414 Abernoch etwas Anderes deutet er hier <strong>an</strong> durch<strong>die</strong> Worte: „Mein ist <strong>die</strong> Rache, ich werdevergelten.“ Diese Worte sind in Bezug auf <strong>die</strong>Feinde gesagt, <strong>die</strong> Böses thun, aber nicht inBezug auf Diejenigen, welche Böseserdul<strong>den</strong>. Hier tröstet er sie auch, indem erungefähr Dieses sagt: Gott bleibt ewig undlebt; wenn sie daher auch jetzt ihren Lohnnicht empf<strong>an</strong>gen, so wer<strong>den</strong> sie ihn spätererhalten. Über Jene muß m<strong>an</strong> wehklagen,nicht <strong>über</strong> uns; <strong>den</strong>n wir fallen zwar in ihreHände, sie aber in <strong>die</strong> Hände Gottes. Dennnicht wer Lei<strong>den</strong> erduldet, ist übel dar<strong>an</strong>,sondern wer sie zufügt; noch auch wird Demeine Wohlthat erwiesen, der Gutes empfängt,sondern der Gutes spendet. -Da wir nun Dieses wissen, wollen wir beiunsern Lei<strong>den</strong> geduldig und zum Wohlthunbereit sein. Das wer<strong>den</strong> wir aber sein, wennwir das Geld und <strong>den</strong> Ruhm verachten. Wer<strong>die</strong>se Lei<strong>den</strong>schaften abgelegt hat, ist freierals alle Menschen und reicher als selbstDerjenige, welchen der Purpur umgibt.Siehst du nicht, wie viele Übel aus demGelde stammen? Ich rede nicht davon, wieviel Böses aus dem Geize herrührt, sondern413 Mt 7,6146414 Ekkli 5,7


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wie viel schon aus der Geldbegierde. Wennz.B. Jem<strong>an</strong>d sein Geld verloren hat, lebt er jaein Leben, das schmerzlicher ist als jeglicherTod. Warum grämst du dich, o Mensch?Warum zerfließest du in Thränen? Daß dichGott von unnützer Wachsorge frei gemachthat? Daß du nicht dasitzest in Furcht undSchrecken? Ferner, wenn dich Jem<strong>an</strong>d mitdem Befehle <strong>an</strong> einen Schatz fesselte, daß duimmer dabei sitzen und fremdes Gutbewachen solltest, so würdest du vonVerdruß und Ärger erfüllt wer<strong>den</strong>; du aber,der du dich selbst mit <strong>den</strong> schwerstenFesseln bela<strong>den</strong> hast, grämst dich, nachdemdu von der Knechtschaft befreit wor<strong>den</strong> bist?Wahrhaftig, <strong>die</strong>se bei<strong>den</strong> und <strong>die</strong>se Freu<strong>den</strong>stammen aus einer vorgesagten Meinung;<strong>den</strong>n wir verwahren <strong>die</strong>se Güter, als hättenwir fremdes Eigenthum. - Nun habe ich nochein Wort <strong>an</strong> <strong>die</strong> Weiber zu sprechen. Oft hateine Frau ein golddurchwebtes Kleid; sieschüttelt es zurecht, umwickelt es mit Leinen,bewahrt es sorgfältig auf, ängstigt sichdeßhalb und benutzt es nicht; - <strong>den</strong>nentweder stirbt sie, oder sie wird Wittwe,oder wenn keines von bei<strong>den</strong> geschieht,fürchtet sie, es durch beständigen Gebrauchabzunutzen, und versagt es sich selbst ausKargheit. Aber sie läßt es auf eine <strong>an</strong>dere<strong>über</strong>gehen? Das ist noch gar nicht gewiß,und wenn sie es auch thäte, so würde <strong>die</strong>sees gerade so machen wie sie. Und wollteJem<strong>an</strong>d <strong>die</strong> Gegenstände in <strong>den</strong> Häusernuntersuchen, so würde er <strong>die</strong> kostbarstenGewänder und <strong>an</strong>dere werthvolle Dingefin<strong>den</strong>, <strong>die</strong> hoch in Ehren stehen, als wärensie leibhaftige Herren. Denn sie benutzt sienicht oft, sondern sie lebt in Angst undBesorgniß, verscheucht <strong>die</strong> Motten und das<strong>an</strong>dere Ungeziefer, welches <strong>die</strong> Kleider zuzernagen pflegt, und versieht das Meiste mitwohlriechen<strong>den</strong> Flüssigkeiten und Kräuternund läßt nicht Alle ihre Augen dar<strong>an</strong> wei<strong>den</strong>,sondern sie selbst nimmt sie m<strong>an</strong>chmal mit147ihrem M<strong>an</strong>ne in ihre sorgsam ordnendeH<strong>an</strong>d.III.Hat nun, sage mir, Paulus nicht mit Recht<strong>den</strong> Geiz Abgötterei gen<strong>an</strong>nt? Denn wieDiese ihren Götzen Ehre erweisen, so ehrenJene Kleider und Gold. Wie l<strong>an</strong>ge <strong>den</strong>nwer<strong>den</strong> wir Koth aufrühren? Wie l<strong>an</strong>ge uns<strong>an</strong> Schlamm und Erde ketten? Denn wie Jenefür <strong>den</strong> König der Aegyptier arbeiteten, sowirken auch wir im Dienste des Teufels undwer<strong>den</strong> mit viel schärferen Geißelngezüchtigt. Und glaube nicht, daß <strong>die</strong>se Redeeine Übertreibung enthalte; <strong>den</strong>n um wie viel<strong>die</strong> Seele vorzüglicher als der Leib ist, um soviel einschnei<strong>den</strong>der sind <strong>die</strong> Striemen, mit<strong>den</strong>en wir je<strong>den</strong> Tag getroffen wer<strong>den</strong>: inKummer und Sorgen zittern undbeben wir. Allein wenn wir aufseufzenwollen, wenn wir zu Gott aufblicken wollen,so schickt er uns nicht Moses, nicht Aaron,sondern sein eigen Wort und <strong>den</strong>Reueschmerz. Wenn aber das Wortgekommen sein und unsere Seelen in Besitzgenommen haben wird, so wird er unserlösen aus der bittern Knechtschaft und unsherausführen aus Aegypten, von der eitelnund vergeblichen Anstrengung, derDienstbarkeit, <strong>die</strong> keinen Nutzen bringt. Jenesind wenigstens im Besitze von Gold, demLohne ihrer Arbeit, ausgezogen, wir abersind im Besitze von Nichts - und wenn esdabei nur bliebe! Jetzt aber empf<strong>an</strong>gen wirnicht Gold, sondern <strong>die</strong> Übel Aegyptens: <strong>die</strong>Sün<strong>den</strong>, Züchtigungen und Strafgerichte.Lernen wir also uns selber nützen; lernen wirUnbil<strong>den</strong> ertragen; Das ist <strong>die</strong> Aufgabe desChristen. Verachten wir daher goldgestickteGewänder, verachten wir <strong>die</strong> Reichthümer,damit wir nicht unser Heil verschmähen.Verachten wir das Geld, damit wir nichtunsere Seele vernachlässigen; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se ist


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>es, <strong>die</strong> gezüchtiget, <strong>die</strong>se ist es, <strong>die</strong> gepeinigetwird; jene Dinge bleiben hier, <strong>die</strong>se aber gehtdorthin ab. Warum, sage mir, warumzerfleischest du dich selbst, und du merkst esnicht? Das sage ich <strong>den</strong> Geizhälsen. Denenaber, welche von <strong>den</strong> Geizhälsen<strong>über</strong>vortheilt wer<strong>den</strong>, k<strong>an</strong>n sehr gut gesagtwer<strong>den</strong>: ertraget euere Beraubung mit Muth;<strong>den</strong>n jene berauben nicht euch, sondern sichselbst; euch entreissen sie zwar das Geld, sichselbst aber berauben sie des WohlwollensGottes und seiner Hilfe; wer aber <strong>die</strong>serverlustig gewor<strong>den</strong>, und besäße er auch <strong>den</strong>Reichthum der g<strong>an</strong>zen Welt, ist ärmer alsAlle, sowie auch der ärmste von Allen, wenner sich derselben erfreut, reicher als Alle ist;„<strong>den</strong>n der Herr,“ heißt es, „weidet mich, undNichts wird mir m<strong>an</strong>geln.“ 415 Sage mireinmal, wenn du einen großen undbewunderungswürdigen M<strong>an</strong>n hättest, derdich sehr liebte und für dich sorgte;und wenn du ferner <strong>die</strong> Überzeugunghättest, daß er immer leben, und dich derTod nicht vor ihm ereilen, und daß er alleseine Besitzthümer dir zur Verfügung stellenwerde, so daß du sie furchtlos wie <strong>die</strong>deinigen genießen könntest: würdest dud<strong>an</strong>n noch Etwas besitzen wollen? Würdestdu dich deßhalb, wenn du von Allementblößt daständest, nicht für <strong>über</strong>reichhalten? Warum trauerst du nun? Weil dukeine Reichthümer besitzest? Nun sobe<strong>den</strong>ke, daß dir das Fundament der Sün<strong>den</strong>entzogen wor<strong>den</strong> ist. Aber du bist deinesBesitzst<strong>an</strong>des beraubt wor<strong>den</strong>? Allein dafürerl<strong>an</strong>gtest du das göttliche Wohlwollen. Aberwie, sagt m<strong>an</strong>, erl<strong>an</strong>gte ich <strong>die</strong>ses? Er hatgesprochen: „Warum leidet ihr nicht lieberUnrecht?“ 416 Er hat gesprochen: „Saget D<strong>an</strong>kbei Allem!“ 417 Er hat gesprochen: „Selig sind<strong>die</strong> Armen im Geiste.“ 418 Erkenne also,welch’ großes Wohlwollen du genießenwirst, wenn du Solches in Werken zeigst!Denn nur Eines wird von uns verl<strong>an</strong>gt, daßwir in Jeglichem Gott D<strong>an</strong>k sagen, und wirwer<strong>den</strong> Alles im Überfluß haben. Hast du z.B. 10,000 Pfund 419 Goldes verloren?D<strong>an</strong>ksage alsbald Gott, und du hast dir100,000 Pfund durch <strong>die</strong>se Worte derD<strong>an</strong>ksagung erworben! Denn sage mir, w<strong>an</strong>npreisest du <strong>den</strong> Job glücklich? Als er so vieleKameele und <strong>die</strong> Schafe und Rinderheer<strong>den</strong>besaß, oder als er jene Worte aussprach: „DerHerr hat’s gegeben, der Herr hat’sgenommen“? 420 Denn auch der Teufel fügtuns darum Scha<strong>den</strong> zu, nicht um uns nur desGeldes zu berauben, - <strong>den</strong>n er weiß, daß<strong>die</strong>ses ein Nichts ist, - sondern um unsdadurch zu gotteslästerlichen Re<strong>den</strong> zuzwingen. So zielte auch bei dem seligen Jobsein Bemühen dahin, ihn nicht bloß arm zumachen, sondern daß derselbeGotteslästerungen ausstoße. Nachdem er ihndaher von Allem entblößt hatte, siehe, was er zu ihm durch sein Weib spricht.„Lobe nur deinen Gott und stirb.“ 421 Unddoch, du Verruchter! hast du ihn seinerg<strong>an</strong>zen Habe beraubt. Aber Das war meinBestreben nicht, sagt er; habe ich doch durchalle meine Werke gar nicht erreicht, was icherstrebte; <strong>den</strong>n ich wollte ihn der HilfeGottes berauben, und darum habe ich ihnaller seiner Reichthümer entblößt: Das istmein Wunsch, Jenes ist Nichts. Wenn mirDas nicht gelingt, habe ich ihm nicht nurkeinen Scha<strong>den</strong> zugefügt, sondern nochNutzen gebracht.IV.Siehst du, daß auch der böse Geist weiß,welch großer Nachtheil hierin liegt? Daher415 Ps 22,1416 1 Kor 6,7417 1 Thess 5,18418 Mt 5,3148419 vgl. Joh 12,3420 Job 1,21421 Job 2,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>siehst du auch, daß er durch das Weib <strong>die</strong>Nachstellung bereitet. Höret es, ihr Männeralle, <strong>die</strong> ihr Weiber habt, welche das Geldlieben und euch Zw<strong>an</strong>g <strong>an</strong>thun, Gott zulästern: <strong>den</strong>ket <strong>an</strong> Job! Aber betrachten wir,wenn es beliebt, seine S<strong>an</strong>ftmuth, und wie ersie zum Schweigen gebracht: „Warum,“spricht er, „redest du wie eines von <strong>den</strong>thörichten Weibern?“ 422 In Wahrheit„verderben böse Re<strong>den</strong> gute Sitten“. 423 Siescha<strong>den</strong> zwar immer, am meisten aber imUnglück, da haben <strong>die</strong> bösen RathgeberGewalt. Denn wenn <strong>die</strong> Seele schon aus sichselber zum Überdrusse geneigt ist, um wieviel mehr wird sie demselben verfallen,wenn Jem<strong>an</strong>d mit seinem Zure<strong>den</strong> dazuhilft? Wird sie nicht bis zum Abgrundgestoßen? Ein großes Gut ist ein Weib, so wiees auch ein großes Übel ist. Denn da ihn derVerlust der Reichthümer nicht <strong>über</strong>w<strong>an</strong>d, -<strong>die</strong>ser Scha<strong>den</strong> brachte Nichts vonBedeutung zu St<strong>an</strong>de - sondern auch <strong>die</strong>Worte: „ob er dich nicht segne 424 in’sAngesicht“ sich als eitel erwiesen, sobewaffnet er deßhalb das Weib gegen ihn.Siehst du, wohin er zielte? Aber auch von<strong>die</strong>sem Kunstgriffe hatte er keinenbessern Erfolg. Wenn daher auch wir mitd<strong>an</strong>kbarem Gemüthe Alles ertragen, wirduns gegeben wer<strong>den</strong>, und wenn wir nichtempf<strong>an</strong>gen, wird unser Lohn noch größersein. So ist es auch jenem diam<strong>an</strong>tfestenM<strong>an</strong>ne erg<strong>an</strong>gen. Denn nachdem er muthiggekämpft hatte, wur<strong>den</strong> ihm auch <strong>die</strong>seDinge gegeben, und nachdem er dem Teufelgezeigt hatte, daß er nicht <strong>die</strong>ser halber demHerrn <strong>die</strong>ne, da wur<strong>den</strong> ihm auch <strong>die</strong>se zuTheil. So ist Gott. Wenn er sieht, daß wir <strong>an</strong><strong>die</strong> Dinge <strong>die</strong>ses Bebens nicht gefesselt sind,so gibt er sie uns; wenn er sieht, daß wir demGeistigen <strong>den</strong> Vorzug schenken, so verzeihter auch, was da fleischlich ist, aber er theilt422 Job 2,10423 1 Kor 15,33424 d.h. dir entsage149Solches nicht früher zu, damit wir von demGeistigen nicht losgetrennt wer<strong>den</strong>. Also umuns zu schonen, gibt er uns das fleischlichenicht, damit er uns auch wider Willen davonabziehe. Nein, sagt m<strong>an</strong>, sondern wenn ichsolche Güter empf<strong>an</strong>ge, so erfreue ich micheines reichen Besitzes und sage mehr D<strong>an</strong>k.Du lügst, o Mensch! <strong>den</strong>n gerade d<strong>an</strong>n wirstdu am meisten leichtsinnig sein. Wie kommtes <strong>den</strong>n, heißt es, daß er sie Vielen schenkt?Und woraus erhellt <strong>den</strong>n, daß er sie gibt?Aber wer <strong>an</strong>ders, sagt m<strong>an</strong>, ist <strong>den</strong>n derGeber? Ihre Habsucht und ihr Raub. Wie läßter <strong>den</strong>n aber, sagt m<strong>an</strong>, <strong>die</strong>se Dinge zu?Geradeso, wie Mord, Diebstahl undGewaltthätigkeit. Was aber sagst du, heißt es,in Bezug auf Diejenigen, welche von ihrenVätern ein Erbe <strong>über</strong>kommen und selbst vonjeglicher Missethat strotzen? Wie läßt nunGott <strong>die</strong>se, sagt m<strong>an</strong>, solches genießen? Wieer auch Diebe und Mörder und <strong>die</strong> übrigenMissethäter gewähren läßt; <strong>den</strong>n jetzt istnicht <strong>die</strong> Zeit des Gerichtes, sondern jetzt giltes, nach vollendeter Tugend zu streben. Wasich aber schon früher ausgesprochen habe.Das sage ich auch jetzt: daß sie nämlicheinem strengeren Strafgerichte <strong>an</strong>heimfallenwer<strong>den</strong>, wenn sie, nachdem sie alle Gütergenossen haben, nicht einmal so besserwer<strong>den</strong>. Denn nicht Alle wer<strong>den</strong> gleichmäßiggestraft wer<strong>den</strong>; sondern welche nachempf<strong>an</strong>genen Wohlthaten schlecht gebliebensind, wer<strong>den</strong> schwerer gezüchtiget wer<strong>den</strong>; <strong>die</strong> aber mit Armuth zu kämpfenhatten, nicht so. Und damit du dich von derWahrheit des Gesagten <strong>über</strong>zeugest, so höre,was er dem David sagt: „Habe ich dir nichtAlles, was deines Herrn ist, gegeben?“ 425Wenn du daher siehst, daß ein Jüngling ohneArbeit ein väterliches Erbe bekommen hatund böse bleibt, so wisse, daß <strong>die</strong> Strafe fürihn sich mehrt, und <strong>die</strong> Strafgerichte <strong>über</strong>ihm schweben. Eifern wir also nicht Diesen425 2 Kön 12,8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nach, sondern Denjenigen, welche Tugendgewonnen und geistigen Reichthumerworben haben; „<strong>den</strong>n wehe Jenen,“ heißtes, „<strong>die</strong> da vertrauen auf ihrenReichthum!“ 426 Und: „Glückselig Alle, <strong>die</strong><strong>den</strong> Herrn fürchten!“ 427 Sage mir, zu welchenwillst du gehören? Gewiß zu Denen, <strong>die</strong> seliggepriesen wer<strong>den</strong>. Diesen also eifere nach,nicht Jenen, damit auch du der Gütertheilhaftig wirst, <strong>die</strong> für <strong>die</strong>selbenaufbewahrt wer<strong>den</strong>, welche uns Allen zuTheil wer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit! Amen. Einundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.32. 33. 34. Erinnert euch aber der früherenTage, in welchen ihr nach euererErleuchtung einen schweren Kampf derLei<strong>den</strong> best<strong>an</strong>det, indem ihr einerseitsdurch Schmach und Trübsal zumSchauspiel gewor<strong>den</strong>, <strong>an</strong>dererseitsTheilnehmer Derer wurdet, <strong>die</strong> solchesSchicksal hatten; <strong>den</strong>n ihr hattet Mitlei<strong>den</strong>mit <strong>den</strong> Gef<strong>an</strong>genen und ertruget mitFreude <strong>den</strong> Raub euerer Güter, wohlwissend, daß ihr ein besseres undbleibendes Gut im Himmel habet.Wenn <strong>die</strong> berühmtesten Ärzte eine tiefeWunde geschnitten und durch <strong>den</strong> Schnitt<strong>die</strong> Schmerzen vermehrt haben, so bringensie <strong>an</strong> dem lei<strong>den</strong><strong>den</strong> Theile besänftigendeMittel in Anwendung und beruhigen undheben wieder <strong>die</strong> beängstigte Seele undfügen keinen zweiten Schnitt hinzu, sondern426 Ps 48,7427 Ps 127,1150kommen dem bereits vorh<strong>an</strong><strong>den</strong>en mitlindern<strong>den</strong> und <strong>den</strong> größten Schmerzbenehmen<strong>den</strong> Mitteln zu Hilfe. Das hat auchPaulus geth<strong>an</strong>; nachdem er ihre Seelenerschüttert und durch <strong>die</strong> Erinnerung <strong>an</strong> <strong>die</strong>Hölle durchbohrt und sie <strong>über</strong>zeugt hatte,daß Derjenige, welcher mit Übermuth der Gnade Gottes begegnet, sicherzu Grunde gehe; und nachdem er aus <strong>den</strong>Gesetzen des Moses bewiesen hatte, daß siezu Grunde gehen und einem noch strengernStrafgerichte verfallen wür<strong>den</strong>; und nachdemer seine Worte durch noch <strong>an</strong>dere Zeugnissebekräftiget und gesagt hatte, daß esschrecklich sei, in <strong>die</strong> Hände des lebendigenGottes zu fallen: so tröstet er sie, damit <strong>die</strong>durch große Furcht niedergedrückte Seelenicht vor Trauer verschmachte, durch Lobund Zuspruch und stellt ihnen <strong>den</strong> Wetteifer,<strong>den</strong> sie von Haus aus hatten, vor Augen:„Erinnert euch aber,“ sagt er, „der früherenTage, in welchen ihr nach euerer Erleuchtungeinen schweren Kampf der bei<strong>den</strong> best<strong>an</strong>det!“Groß ist der Trost, der aus <strong>den</strong> Werkenstammt; <strong>den</strong>n wer eine Sache <strong>an</strong>gef<strong>an</strong>genhat, muß auch nothwendig in derAusführung vor<strong>an</strong>schreiten; als wollte ersagen: im Anf<strong>an</strong>ge, da ihr noch in der Reiheder Schüler waret, zeigtet ihr einen soherrlichen Muth und so große Tüchtigkeit;jetzt aber nicht mehr. Und wer eineMahnung ausspricht, nimmt sie am bestenvon Dem her, was sie (<strong>die</strong> zu Ermahnen<strong>den</strong>)selber <strong>an</strong>geht. Und siehe, er sagt nichteinfach: „ihr habt einen Kampf best<strong>an</strong><strong>den</strong>,“sondern setzt bei: einen „schweren“. Auchsagt er nicht: „Versuchungen“, sondern:„Kampf“, worin das größte Lob und derhöchste Ruhm ausgesprochen liegen. D<strong>an</strong>nzählt er sie (<strong>die</strong> Kämpfe) der Reihe nach auf,spricht sich weitläufiger aus und ergeht sichin vielen Lobeserhebungen. Wie <strong>den</strong>n?„Indem ihr,“ sagt er, „einerseits durch Schmachund Trübsale zum Schauspiel gewor<strong>den</strong>.“ Einvortreffliches Mittel ist <strong>die</strong> Schmach, um <strong>die</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Herzen zu treffen, und geeignet, <strong>die</strong> Seelezur Umkehr zu bringen und <strong>den</strong> Verst<strong>an</strong>dschwindlich zu machen; <strong>den</strong>n höre, was derProphet spricht: „Meine Thränen sind meineSpeise Tag und Nacht, da m<strong>an</strong> täglich zu mirsagt: wo ist dein Gott?“ 428 Und wieder: „Wenn mich der Feind geschmähthätte, so würde ich es ertragen haben;“ 429<strong>den</strong>n weil das Menschengeschlecht sehr <strong>an</strong>Ruhmsucht leidet, so wird es davon auchleicht ergriffen. Und er sagt nicht einfach:„durch Schmach,“ sondern sagt noch mitbesonderem Nachdruck: „zum Schauspielgewor<strong>den</strong>.“ Denn wenn Jem<strong>an</strong>d für sichSchmach erfährt, so ist Das schon lästig, vielmehr aber noch, wenn es in Gegenwart Allergeschieht. Denn betrachte, wie gar mißlich eswar, von der jüdischen Unvollkommenheitabgefallen zu sein und nach der Erhebung zueinem ausgezeichneten Leben <strong>die</strong> väterlichenSatzungen verachtet zu haben und nun von<strong>den</strong> Seinigen verfolgt zu wer<strong>den</strong> und keinenSchutz zu fin<strong>den</strong>! Ich k<strong>an</strong>n nicht sagen,bemerkt er, daß ihr Dieß zwar ertragen, abermit Schmerz erduldet habt, sondern sogarmit freudiger Bereitwilligkeit. Dieß hat erausgesprochen mit <strong>den</strong> Worten: „<strong>an</strong>derseitsTheilnehmer Derer wurdet, welche solchesSchicksal hatten; <strong>den</strong>n ihr hattet Mitlei<strong>den</strong> mit<strong>den</strong> Gef<strong>an</strong>genen,“ und bezieht sich auf <strong>die</strong>Apostel selbst. Ihr habt euch, sagt er, nichtallein euerer Angehörigen nicht geschämt,sondern ihr wäret auch Theilnehmer derAndern, welche Solches erdul<strong>den</strong>. Das sindauch Worte zu ihrer Ermunterung. Er sagtnicht: ihr traget meine Trübsale, ihr seidmeine Theilnehmer, sondern er sprichteinfach: „ihr hattet Mitleid mit <strong>den</strong>Gef<strong>an</strong>genen.“ Siehst du, daß er von sich und<strong>den</strong> <strong>an</strong>dern Gef<strong>an</strong>genen spricht? Auf <strong>die</strong>seWeise habt ihr <strong>die</strong> Fesseln nicht für Fesselngehalten, sondern wie edle Kämpfer st<strong>an</strong>detihr da, so daß ihr nicht allein in euerenLei<strong>den</strong> des Trostes nicht bedurftet, sondernauch noch Andern zum Troste gereichtet.„Und ihr ertruget mit Freude <strong>den</strong> Raub euererGüter.“ Ha! Welche Fülle des Glaubens! D<strong>an</strong>nfügt er auch <strong>die</strong> Ursache bei, nicht bloß, umsie zum Kampfe zu ermuntern, sondernauch, damit ihr Glaube nichterschüttert würde. Ihr habt gesehen, sagt er,wie euer Reichthum geraubt wurde, undhabt es ertragen; <strong>den</strong>n ihr habt schon <strong>den</strong>unsichtbaren (Reichthum) wie sichtbar vorAugen gehabt, was das Zeichen eines ächtenGlaubens ist, und habt <strong>die</strong>sen durch <strong>die</strong>Thaten selbst gezeigt. Aber dasBeraubtwer<strong>den</strong> war vielleicht eine Folge derGewaltthätigkeit Derjenigen, <strong>die</strong> <strong>den</strong> Raubausführten, und es konnte möglicher WeiseDas Niem<strong>an</strong>d verhindern, so daß eskeineswegs einleuchtend ist, daß ihr durch<strong>den</strong> Glauben <strong>den</strong> Raub ertragen habt. Jedochauch Das ist offenbar; <strong>den</strong>n es st<strong>an</strong>d bei euch,wenn ihr nur gewollt, nicht beraubt zuwer<strong>den</strong>, falls ihr nur dem Glauben entsagthättet. Aber was noch viel mehr ist alsDieses, habt ihr geth<strong>an</strong>: ihr habt Solches mitFreude ertragen, was g<strong>an</strong>z apostolisch undjener edlen Seelen würdig ist, <strong>die</strong> sichfreuten, gegeißelt wor<strong>den</strong> zu sein. „Sie aber,“heißt es, „gingen freudig vom Angesichte deshohen Rathes hinweg, weil sie gewürdigetwur<strong>den</strong>, um des Namens Jesu willenSchmach zu lei<strong>den</strong>.“ 430 Wer aber mit Freu<strong>den</strong>Etwas erträgt, zeigt, daß er einen gewissenLohn hat, und daß ihm <strong>die</strong> Sache nichtScha<strong>den</strong>, sondern Gewinn bringt. Aber auchder Ausdruck: „ertruget“ zeigt <strong>an</strong>, daß ihrDul<strong>den</strong> ein freiwilliges war. Wie habt ihr nunSolches aus freier Wahl ertragen? „Wohlwissend,“ sagt er, „daß ihr ein besseres undbleibendes Gut im Himmel habet.“ Was heißtDas: „ein bleibendes“? Ein festes, das nicht sovergänglich ist wie <strong>die</strong>ses.428 Ps 41,4429 Ps 54,13151430 Apg 5,41


II.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Nachdem er sie nun gelobt hatte, sagt er:35. Verlieret also euer Vertrauen nicht, daseine große Belohnung hat.Was sprichst du? Er sagt nicht: ihr habt euer Vertrauen verloren und sollt eswieder gewinnen, damit sie nicht verzagenmöchten, sondern: ihr habt es, verliert esnicht, - was sie mehr tröstete und sie stärkermachte. Ihr habt dasselbe, sagt er; <strong>den</strong>n dasVerlorene wieder zu gewinnen, fordert einegrößere Anstrengung, als nicht zu verlieren,was m<strong>an</strong> besitzt. An <strong>die</strong> Galater aber schreibter das Gegentheil: „O meine Kindlein, für <strong>die</strong>ich abermal Geburtsschmerzen habe, bis daßChristus in euch gestaltet wird,“ 431 und Dasmit Recht; <strong>den</strong>n Diese waren nachlässiggewor<strong>den</strong>, so daß sie einer eindringlicherenRede bedurften; Jene aber warenkleinmüthig, so daß sie mehr heilendeZusprache nöthig hatten. Verlieret also, sagter, das Vertrauen nicht. Sie setzten somit aufGott ein großes Vertrauen; „welches,“ sagt er,„eine große Belohnung hat.“ Was heißt Das?Dereinst, will er sagen, wer<strong>den</strong> wir sieempf<strong>an</strong>gen. Wenn uns also <strong>die</strong>se für <strong>die</strong>Zukunft hinterlegt ist, dürfen wir sie nichthier suchen. Damit nun nicht Jem<strong>an</strong>d sage:siehe, was uns betrifft, so haben wir Allesgeth<strong>an</strong>; so kommt er ihnen bezüglich ihrerEinrede zuvor, indem er ungefähr Diesessagt: Wenn ihr erkennet, daß ihr im Himmelein besseres Gut habt, so suchet hienie<strong>den</strong>Nichts; Geduld braucht ihr, nicht neueKampfesnahrung, damit ihr treu ausharret,und nicht verlieret, was ihr in Hän<strong>den</strong> habt.Es ist euch daher Nichts weiter nöthig, alsdaß ihr so stehet, wie ihr gest<strong>an</strong><strong>den</strong>, damitihr, nachdem ihr zum Ende gel<strong>an</strong>gt seid, derVerheissung theilhaftig werdet.36. Denn Geduld ist euch nothwendig,damit ihr durch Vollziehung des WillensGottes <strong>die</strong> Verheissung erl<strong>an</strong>get.Eines ist euch also nöthig, daß ihr nämlichdas Zukünftige erwartet, nicht, daß ihrwiederum kämpfet. Ihr seid schon biszur Krone gekommen, sagt er; ihr habt alle<strong>die</strong> Kämpfe, <strong>die</strong> Fesseln, <strong>die</strong> Trübsale, <strong>den</strong>Raub euerer Güter ertragen. Was nun? Ihrstehet nun bereit da, <strong>die</strong> Krone zuempf<strong>an</strong>gen: Dieß traget nun, daß ihr auf <strong>die</strong>Krone wartet! O Größe des Trostes! So trösteter sie, als wenn Jem<strong>an</strong>d zu einem Kämpferspräche, der Alle niedergeworfen und keinenGegenstreiter mehr findet, der also gekröntwer<strong>den</strong> soll und jene Zeit nicht abwartenk<strong>an</strong>n, wo der Kampfrichter erscheint undihm <strong>die</strong> Krone aufsetzt, und nun inunerträglicher Ungeduld hinausgehen undfliehen wollte, indem er sich <strong>den</strong> Durst und<strong>die</strong> Hitze nicht gefallen läßt. Indem er alsoDas <strong>an</strong>deutete, was sagt er?37. Denn nur noch eine kleine Weile, und eswird kommen, der da kommen soll, und erwird nicht zögern. 432Denn damit sie nicht sagen möchten: w<strong>an</strong>nwird er kommen? tröstet er sie aus derSchrift; <strong>den</strong>n auch <strong>die</strong> Worte: „Jetzt ist unserHeil näher,“ 433 <strong>die</strong> er <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>dern Stellespricht, trösten sie damit, daß nur noch einekurze Zeit übrig sei. Und Das sagt er nichtaus sich selbst, sondern entnimmt es derSchrift. Denn wenn von jener Zeit gesagtwurde: „Nur noch eine kleine Weile, und es wirdkommen, der da kommen soll, und er wird nichtzögern;“ - so ist klar, daß sie jetzt näherher<strong>an</strong>gerückt ist, weßhalb auch dasAbwarten keinen geringen Lohn bringt.38. Der Gerechte aber, sagt er, lebt aus demGlauben; wenn er sich entzieht, wird er mirnicht mehr gefallen. 434431 Gal 4,19152432 siehe Hab 2,3433 Röm 13,11434 siehe Hab 2,4 und Röm 1,17


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Groß ist <strong>die</strong>ser Trost, wenn Jem<strong>an</strong>d zeigt,daß Diejenigen, welche Alles gutausgeführt haben, durch eine kurzeSaumseligkeit Solches verlieren.39. Wir aber sind nicht Kinder, <strong>die</strong> sichentziehen zum Verderben, sondern Kinderdes Glaubens zur Erhaltung der Seele.Kap. XI.1. 2. Es ist aber der Glaube ein fester Grundfür Das, was m<strong>an</strong> hofft, eine gewisseÜberzeugung von Dem, was m<strong>an</strong> nichtsieht. Durch ihn haben <strong>die</strong> Alten Zeugnißempf<strong>an</strong>gen.Ha! wie hat er sich ausgedrückt, da erspricht: „eine gewisse Überzeugung von Dem,was m<strong>an</strong> nicht sieht!“ Denn das Wort:„Überzeugung“ gebraucht m<strong>an</strong> in Bezug auf<strong>die</strong> Dinge, <strong>die</strong> g<strong>an</strong>z und gar offenbar sind.Der Glaube ist also <strong>die</strong> Anschauung derDinge, <strong>die</strong> nicht offenbar sind, will er sagen,und er führt uns zu derselbenÜberzeugungsfülle in Betreff der Dinge, <strong>die</strong>nicht gesehen wer<strong>den</strong>, wie wir <strong>über</strong>zeugtsind von <strong>den</strong>en, <strong>die</strong> wirklich <strong>an</strong>geschautwer<strong>den</strong>. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n also weder in Bezug auf<strong>die</strong> Dinge, <strong>die</strong> gesehen wer<strong>den</strong>, ungläubigsein; noch k<strong>an</strong>n wieder, wenn Jem<strong>an</strong>d von<strong>den</strong> Dingen, <strong>die</strong> nicht <strong>an</strong>geschaut wer<strong>den</strong>,nicht klarer <strong>über</strong>zeugt ist als von <strong>den</strong>en, <strong>die</strong>gesehen wer<strong>den</strong>, Glaube stattfin<strong>den</strong>. Dennda <strong>die</strong> Dinge, welche in der Hoffnungbestehen, ohne Grundlage zu sein scheinen,so verleiht ihnen der Glaube das Fundament,oder vielmehr er verleiht es nicht, sonderneben darin besteht das Wesen derselben. Sohat z. B. <strong>die</strong> Auferstehung noch nichtstattgefun<strong>den</strong>, noch besteht sie nicht inWirklichkeit, sondern <strong>die</strong> Hoffnung gibt ihrHalt und Bo<strong>den</strong> in unserer Seele. Das ist <strong>die</strong>Grundlage der Dinge, <strong>die</strong> in der Hoffnungbestehen. Wenn also der Glaube eine gewisse Überzeugung ist von Dem, was m<strong>an</strong>nicht sieht, warum wollt ihr <strong>den</strong>n Solches<strong>an</strong>schauen, um vom Glauben und derGerechtigkeit abzustehen, da ja der Gerechte153aus dem Glauben lebt? Wenn ihr aber <strong>die</strong>seDinge sehen wollt, seid ihr nicht mehrgläubig. „Ihr habt gearbeitet, ihr habtgekämpft,“ sagt m<strong>an</strong>, und ich sprecheDasselbe, aber wartet ab; <strong>den</strong>n Das istGlaube; suchet nicht das G<strong>an</strong>ze hienie<strong>den</strong>!III.Diese Worte sind zwar <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gerichtet, sie sind aber auch eine gemeinsameMahnung für Viele der hier Versammelten.Wie und auf welche Weise? Sie gelten für <strong>die</strong>schwachen und kleinmüthigen Seelen. Dennwenn sie sehen, daß <strong>die</strong> Bösen glücklich, sieselbst aber unglücklich sind, so trauern sieund sind unwillig, indem sie jenen ihre Strafeund Züchtigung wünschen, oder für sich <strong>den</strong>Lohn ihrer eigenen Arbeiten erwarten: „Dennnur noch eine kleine Weile, und es wird kommen,der da kommen soll, und er wird nicht zögern,“sprach damals Paulus. Und wir sagen daher<strong>den</strong> Nachlässigen Folgendes: Sicher wirdStrafe erfolgen; sicher wird er 435 kommen,vor der Thür ist <strong>die</strong> Auferstehung. Woraus,sagt m<strong>an</strong>, erhellet Das? Ich berufe mich nichtauf <strong>die</strong> Propheten, <strong>den</strong>n ich spreche jetztnicht ausschließlich zu Christen, sondern ichhabe <strong>die</strong> Gewißheit, wenn auch ein Heide daist, ihm <strong>die</strong> Beweise zu liefern und ihn zubelehren. Höre aber wie. Vieles hat Christusvorhergesagt. Wenn nun Dieses nicht inErfüllung geg<strong>an</strong>gen ist, so magst du auchJenes nicht glauben; ist aber Alles wirklichgeschehen, warum willst du <strong>den</strong>n in Bezugauf das Übrige zweifeln? Wäre es doch vielschwieriger, falls Nichts seine Erfüllunggefun<strong>den</strong> hätte, zu glauben, als, nachdemsich Alles erfüllt hat, zu zweifeln. Ich willaber <strong>die</strong> Sache lieber <strong>an</strong> einemBeispiele klar machen. Christus hat435 Πάντως ἥξει (ὁ ἐρχίμενος); Andere ziehen: Πάντως ἥξει (ϰόλασις) vor,was aber eine Tautologie gäbe.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>geweissagt, daß Jerusalem werde erobertwer<strong>den</strong>, und zwar mit einer solchenZerstörung, daß es nicht mehr erstehenwerde; 436 und <strong>die</strong> Weissagung ist inErfüllung geg<strong>an</strong>gen. Er hat gesagt, daß einegroße Trübsal sein werde, und sie isteingetreten. 437 Er hat gesagt, daß <strong>die</strong>Verkündigung des Ev<strong>an</strong>geliums gleich demausgesäeten Senfkörnlein sich ausbreitenwerde: 438 und wir sehen dasselbe täglich <strong>den</strong>Erdkreis durchlaufen. Er hat gesagt, daßDiejenigen, welche Vater oder Mutter oderBrüder oder Schwestern verlassen haben,sowohl Väter als Mütter haben wer<strong>den</strong>; 439und wir sehen Dieß in der That sich erfüllen.Er hat gesagt: in der Welt werdet ihr Trübsalhaben; allein habet Muth, ich habe <strong>die</strong> Welt<strong>über</strong>wun<strong>den</strong>; 440 d. h. niem<strong>an</strong>d wird euchbesiegen; und wir gewahren, daß Dießwirklich in Erfüllung geg<strong>an</strong>gen ist. Er hatgesagt, daß <strong>die</strong> Pforten der Hölle <strong>die</strong> Kirche,wenn sie auch verfolgt würde, nicht<strong>über</strong>wältigen wer<strong>den</strong>, und daß Niem<strong>an</strong>d dasEv<strong>an</strong>gelium vernichten werde; 441 und <strong>die</strong>Erfahrung bezeugt <strong>die</strong> Wahrheit <strong>die</strong>serVorhersagung. Und doch war es damals, alser Dieses aussprach, noch nicht so garglaubwürdig. Warum? Weil das G<strong>an</strong>ze nurin Worten best<strong>an</strong>d, und noch keinen Bereisfür das Gesamte geliefert hatte, so daß alsojetzt eine viel größere Glaubwürdigkeit dafürbesteht. - Er hat gesagt, daß nach derVerkündigung unter allen Völkern das Endekommen werde; 442 und siehe, wir sind zumEnde hingel<strong>an</strong>gt; <strong>den</strong>n der größte Theil desErdkreises hat das Ev<strong>an</strong>gelium empf<strong>an</strong>gen:also steht das Ende bevor. Erzittern wir,Geliebte! Wie aber, in Bezug auf dasWeltende bist du besorgt? Allerdings ist<strong>die</strong>ses g<strong>an</strong>z nahe gekommen, aber das Leben436 Lk 19,44437 Mk 13,9438 Lk 13,19439 Mt 19,29440 Joh 16,33441 Mt 16,18442 Mt 24,14154und der Tod eines Je<strong>den</strong> sind noch vielnäher; <strong>den</strong>n „<strong>die</strong> Zeit unserer Jahre,“heißt es, „ist siebenzig Jahre, und wenn mitKräften, achtzig Jahre.“ 443 Nahe ist der Tagdes Gerichtes, und wenn Das der Fall ist, o sofürchten wir uns doch! „Ein Bruder erlöset j<strong>an</strong>icht, oder erlöset ein Mensch?“ 444 Wirwer<strong>den</strong> dort großen Reueschmerz haben,„aber im Tode ist keiner, der deinerge<strong>den</strong>ket;“ 445 darum heißt es: „Lasset unsfrühzeitig mit D<strong>an</strong>ksagung vor seinAngesicht kommen,“ 446 d. h. vor seinerAnkunft; <strong>den</strong>n hier haben unsere Werkenoch Kraft, dort aber nicht mehr. WennJem<strong>an</strong>d, sage mir, uns nur kurze Zeit in einenglühen<strong>den</strong> Feuerofen legte, wür<strong>den</strong> wir fürunsere Befreiung nicht Alles aufbieten, selbstwenn wir unser Vermögen opfern und unsder Knechtschaft unterziehen müßten? Wieviele sind in schwere Kr<strong>an</strong>kheiten gefallen,und wür<strong>den</strong> gerne, hätte m<strong>an</strong> ihnen <strong>die</strong>Wahl gelassen, Alles für ihre Rettunghingegeben haben? Wenn daher hienie<strong>den</strong>eine Kr<strong>an</strong>kheit, <strong>die</strong> nur kurze Zeit dauert,uns in solche Betrübniß versetzt; was wer<strong>den</strong>wir dort <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen, wo <strong>die</strong> Reue fruchtlos ist?Mit wie vielen Übeln sind wir jetzt behaftetund merken es nicht! Wir beißen ein<strong>an</strong>der,wir verzehren ein<strong>an</strong>der, indem wir Unrechtbegehen, <strong>an</strong>klagen, verleum<strong>den</strong> und <strong>den</strong>Ruhm des Nächsten benagen. Und nunbetrachte, wie schwer <strong>die</strong> Sache ist: willJem<strong>an</strong>d <strong>den</strong> Ruf des Nächsten untergraben,so sagt er: Dieß hat Jener von ihm gesagt; oGott verzeihe mir, du mögest mich nichterforschen, ich bin <strong>über</strong> das GerüchtRechenschaft schuldig. Warum sagst du es<strong>den</strong>n, wenn du es nicht glaubst? Warumsprichst du davon? Warum bewirkst dudurch das viele Geschwätz, daß esglaubwürdig erscheint? Warum verbreitest443 Ps 89,10444 Ps 48, 8445 Ps 6,6446 Ps 94,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>du das Gerede, das nicht wahr ist? Duglaubst es nicht, und rufst Gott <strong>an</strong>, daß erdich nicht erforsche? D<strong>an</strong>n rede nicht davon, sondern schweige, und du wirst vonaller Furcht frei sein.IV.Aber ich weiß nicht, woher <strong>die</strong>se Kr<strong>an</strong>kheitin <strong>die</strong> Menschen hineinfiel; wir sindSchwätzer, und Nichts bleibt in unserer Seelezurück. Höre einen Weisen, der da mahnendspricht: „Hast du Etwas (wider deinenNächsten) gehört, so laß es mit dir sterben;sei versichert, du wirst davon nicht bersten.“Und wiederum: „Der Thor fühlt Wehen voneinem Worte, das er gehört hat, wie <strong>die</strong>Gebärende von dem Kinde.“ 447 Wir sindschnell bereit, Andere zu verklagen, undrasch fertig, sie zu verurtheilen. Und hättenwir sonst nichts Böses geth<strong>an</strong>, so wäre Dießhinreichend, uns dem Verderben zu<strong>über</strong>liefern und in <strong>die</strong> Hölle zu stürzen, unsin unsägliche Übel zu verwickeln. Und damitdu g<strong>an</strong>z genau belehrt werdest, so höre, wasder Prophet spricht: „Du saßest und redetestwider deinen Bruder.“ 448 Aber nicht ich, sagtm<strong>an</strong>, sondern Jener. Ja wohl du; <strong>den</strong>n hättestdu nicht also geredet, so hätte der Andere esnicht gehört; und wenn er es <strong>den</strong>nocherführe, so wärest du nicht <strong>die</strong> Ursache derSünde. Pflicht ist es, <strong>die</strong> Fehler des Nächstenzu bedecken und zu verheimlichen, du aberbreitest <strong>die</strong>selben unter dem Deckm<strong>an</strong>tel desFrommseins aus. Du bist kein Ankläger, aberein Schwätzer, ein alberner Mensch. O derGeschicklichkeit! Dich beschimpfst du mitJenem und merkst es nicht? Betrachte, welchgroße Übel daraus entstehen! Du erzürnestGott, versetzest <strong>den</strong> Nächsten in Trauer undmachst dich selber strafwürdig. Hörst dunicht, was Paulus in Bezug auf <strong>die</strong> Wittwespricht? „Und nicht nur müßig,“ sagt er,„sondern auch geschwätzig und vorwitziglernen sie in <strong>den</strong> Häusern herumgehen undre<strong>den</strong>, was sich nicht ziemt.“ 449 Darumsolltest du, selbst wenn du glaubst, wasgegen deinen Bruder gesprochen wird, nichtdavon re<strong>den</strong>, geschweige <strong>den</strong>n, wenndu es nicht glaubst. Aber <strong>über</strong>all bist du vonder Selbstsucht geleitet, und bist in Angst,von Gott erforscht zu wer<strong>den</strong>? Nun sofürchte, wegen deiner Schwätzerei insGericht zu kommen. Hier k<strong>an</strong>nst du nichtsagen: Gott erforsche mich nicht wegen derSchwatzhaftigkeit, <strong>den</strong>n Das ist Geplauder.Warum hast du <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Sache verbreitet?Warum hast du das Übel vermehrt? Das istim St<strong>an</strong>de, uns zu Grunde zu richten; darumsprach Christus: „Richtet nicht, damit ihrnicht gerichtet werdet.“ Aber darauf nehmenwir gar keine Rücksicht; nicht einmalDasjenige, was sich mit dem Pharisäerzutrug, bringt uns zur Besonnenheit. Ersprach: ich bin nicht, wie <strong>die</strong>ser Zöllner, -und er sagte <strong>die</strong> Wahrheit, ohne daß esJem<strong>an</strong>d hörte, und wurde gerichtet. Wennnun Derjenige, welcher <strong>die</strong> Wahrheit geredet,und zwar ohne daß es Jem<strong>an</strong>d hörte,gerichtet wurde: welche Strafe wird d<strong>an</strong>nDiejenigen treffen, welche Lügen und Dinge,wovon sie nicht <strong>über</strong>zeugt sind, allenthalbenverbreiten, wie es Plauderweiber machen?Was wer<strong>den</strong> Solche d<strong>an</strong>n auszustehen, waszu erdul<strong>den</strong> haben?So wollen wir <strong>den</strong>n unserem Munde Thürund Riegel geben; <strong>den</strong>n aus derSchwatzhaftigkeit sind unzählige Übelentst<strong>an</strong><strong>den</strong>: Häuser wur<strong>den</strong> zerstört,Freundschaften zerrissen und zahllose<strong>an</strong>dere Unglücksfälle hervorgerufen.Kümmere dich nicht, o Mensch, um <strong>die</strong>Angelegenheiten des Nächsten! Aber duplauderst gern und hast <strong>die</strong>sen Fehler? Nunso sage Das, was du zu sprechen hast, Gott;447 Ekkli 19,10.11448 Ps 49,20155449 1 Tim 5,13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>auf <strong>die</strong>se Weise gereicht es nicht mehr zumNachtheil, sondern bringt Nutzen. Theiledeine Angelegenheiten deinen Freun<strong>den</strong> mit,und zwar solchen, <strong>die</strong> es wirklich sind, undGerechtigkeit besitzen, damit sie deinerSün<strong>den</strong> willen für dich beten! Wenn dubesprichst, was Andere <strong>an</strong>geht, hast dudavon keinen Nutzen, und es gereicht dirnicht zum Vortheil, sondern zum Scha<strong>den</strong>.Wenn du deine Anliegen dem Herrnvorträgst, empfängst du großen Lohn; <strong>den</strong>n„ich habe gesprochen,“ heißt es, „ich willmeine Ungerechtigkeit dem Herrn bekennen,und du hast verziehen <strong>die</strong> Gottlosigkeitmeines Herzens.“ Willst du richten?Nun so richte, was dich <strong>an</strong>geht; Niem<strong>an</strong>dwird dich verklagen, wenn du mit dir selbstin’s Gericht gehst; er (Gott) wird dich aber<strong>an</strong>klagen, wenn du dich nicht selbstaburtheilst; er wird dich <strong>an</strong>klagen, wenn dunicht Reueschmerz hast. Siehst du Jem<strong>an</strong>demzornig, erbittert oder sonst etwasVerwerfliches thun? Nun so be<strong>den</strong>ke rasch,was dich betrifft, und so wirst du Jenen nichtstrenge verurtheilen, und du wirst dich selbstvon der Last der Sün<strong>den</strong> befreien. Wenn wirunser eigenes Leben so ordnen; wenn wirunsern W<strong>an</strong>del so einrichten; wenn wir unsselbst richten: so wer<strong>den</strong> wir wohl nicht vieleSün<strong>den</strong> begehen, sondern viele gute Werkevollbringen; wir wer<strong>den</strong> beschei<strong>den</strong> sein undMäßigung bewahren, und alle <strong>die</strong> Gütergenießen, welche Denen versprochen sind,<strong>die</strong> Gott lieben. Möchten wir doch Allederselben theilhaftig wer<strong>den</strong> durch <strong>die</strong>Gnade und Menschenfreundlichkeit unseresHerrn Jesus Christus, welchem mit demVater und dem hl. Geiste sei Ruhm, Machtund Ehre jetzt und alle Zeit, und vonEwigkeit zu Ewigkeit. Amen. Zweiundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.3. 4. Durch <strong>den</strong> Glauben erkennen wir, daß<strong>die</strong> Welt durch das Wort Gottes geschaffenwor<strong>den</strong>, damit aus Unsichtbarem Sichtbareswürde. Durch <strong>den</strong> Glauben brachte AbelGott ein besseres Opfer als Kain dar, underhielt dadurch das Zeugniß, gerecht zusein, indem Gott seinen Gaben Zeugnißgab; und mittelst dessen redet derVerstorbene jetzt noch.Der Glaube bedarf einer edlen undjugendlich frischen Seele, <strong>die</strong> sich <strong>über</strong> allesWahrnehmbare erhebt und <strong>die</strong> Schwächemenschlicher Beweisgründe <strong>über</strong>steigt. Dennunmöglich k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> <strong>an</strong>ders gläubig wer<strong>den</strong>,als wenn m<strong>an</strong> sich selbst <strong>über</strong> <strong>die</strong> allgemeineGewohnheit hinausführt. Da nun <strong>die</strong> Seelender <strong>Hebräer</strong> schwach gewor<strong>den</strong> waren, undzwar <strong>die</strong> Anfänge des Glaubens hatten, aberdurch <strong>die</strong> Ereignisse, ich meine nämlichdurch <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> und Trübsale kleinmüthig,niedergebeugt und voll Unruhe waren: sotröstet er sie zuerst durch Das, was sie selbst<strong>an</strong>ging, indem er bemerkt: „Erinnerteuch der vorigen Tage;“ 450 d<strong>an</strong>n durch <strong>die</strong>Schrift, <strong>die</strong> da spricht: „Der Gerechte aberlebt aus dem Glauben;“ ferner durchÜberzeugungsgründe, indem er sagt: „Es istaber der Glaube ein fester Grund für Das,was m<strong>an</strong> hofft, eine gewisse Überzeugungvon Dem, was m<strong>an</strong> nicht sieht;“ jetzt aberentnimmt er wieder Trost für sie von <strong>den</strong>Vorfahren, jenen großen undbewunderungswürdigen Männern, indem erungefähr Folgendes sagt: Wenn damals, wo<strong>die</strong> Güter in Hoffnung st<strong>an</strong><strong>den</strong>, Alle durch<strong>den</strong> Glauben Rettung f<strong>an</strong><strong>den</strong>, so wer<strong>den</strong>noch viel mehr wir <strong>die</strong>ses Glückes theilhaftigwer<strong>den</strong>. Denn hat <strong>die</strong> Seele in <strong>den</strong> Dingen,<strong>die</strong> ihr begegnen, einen Genossen gefun<strong>den</strong>,so ruht sie aus und athmet neu auf. Dießk<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch bezüglich des Glaubens und156450 Hebr 1032,


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>der Trübsal zutreffen sehen, so wie es auch<strong>an</strong> einer <strong>an</strong>dern Stelle heißt: „Das ist, umzugleich bei euch durch wechselseitigenGlauben, <strong>den</strong> eurigen und <strong>den</strong> meinigen,getrösteten wer<strong>den</strong>;“ 451 - <strong>den</strong>n dasMenschengeschlecht ist sehr ungläubig undk<strong>an</strong>n sich selber nicht trauen, und ist inFurcht in Betreff der Dinge, wor<strong>über</strong> esentschei<strong>den</strong> soll, welches gar sehr besorgt istin Bezug auf <strong>die</strong> Meinung der Menge. Wasthut nun Paulus? Er entnimmt für sieTrostgründe von <strong>den</strong> Vorfahren, und vorhernoch von der allgemeinen Überzeugung;<strong>den</strong>n weil damals der Glaubeverleumderischer Weise als eineunerweisliche Sache und als ein Werk desBetruges dargestellt wurde, so zeigt erdeßhalb, daß <strong>die</strong> größten Werke <strong>den</strong> Glaubenund keineswegs <strong>die</strong> Beweisgründe zu ihrerQuelle hatten. Und wie, sage mir, zeigt er<strong>den</strong>n Dieses? „Durch <strong>den</strong> Glauben,“ sagt er,„erkennen wir, daß <strong>die</strong> Welt durch das WortGottes geschaffen wor<strong>den</strong>, damit ausUnsichtbarem Sichtbares würde.“ Es ist klar,will er sagen, daß Gott aus dem NichtsDasjenige, was da ist, und aus demUnsichtbaren das Sichtbare, und aus Dem,was keinen Best<strong>an</strong>d hat, das Bestehendeerschaffen hat. Woraus erhellet aber, daß erDieß durch ein Wort geth<strong>an</strong> hat? Denn <strong>die</strong>Vernunft unterstellt Solches nicht, sonderngerade das Gegentheil, daß nämlich aus demSichtbaren das Unsichtbare gewor<strong>den</strong>,weßhalb <strong>die</strong> Philosophen auch meistentheilssagen, daß Nichts aus Nichts sei. Sie sindnämlich Naturmenschen, welche demGlauben keinen Platz gönnen, <strong>die</strong> sich aberd<strong>an</strong>n selbst wieder f<strong>an</strong>gen, wenn sie irgendetwas Großes und Erhabenes aussprechenund es dem Glauben zuweisen. So sagen sie,Gott sei ohne Anf<strong>an</strong>g und ohne Ursprung,was <strong>die</strong> Vernunft nicht unterstellt, sondernwovon sie das Gegentheil verl<strong>an</strong>gt. Nunbetrachte mir aber ihre große Thorheit. Gott,sagen sie, sei ohne Anf<strong>an</strong>g, was doch vielbewunderungswürdiger ist, als daß Etwasaus dem Nichts sein Dasein habe; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Behauptung, daß er ohne Anf<strong>an</strong>g, daß erohne Ursprung, daß er weder durch sich,noch durch einen Andern gewor<strong>den</strong> ist, istschwerer zu erweisen, als <strong>die</strong> Behauptung,Gott habe, was da ist, aus Nichts erschaffen.Denn hier ist M<strong>an</strong>ches <strong>an</strong>nehmbar, so z. B.,daß er Etwas erschaffen hat, daß Dasjenige,was erschaffen wurde, einen Anf<strong>an</strong>g hatte,und daß es <strong>über</strong>haupt erschaffen wurde. Istaber dort, sage mir, wo es heißt, daß er durchsich selbst, daß er ohne Ursprung, daß erohne Anf<strong>an</strong>g und ohne Zeit sei, nichtGlauben nothwendig? Allein er setzte nichtDieses, was mehr gewesen wäre, sondernwas weniger ist, sagte er in <strong>den</strong> Worten:„Durch <strong>den</strong> Glauben erkennen wir, daß <strong>die</strong> Weltdurch das Wort Gottes geschaffen wor<strong>den</strong>.“Woher sagst du nun, es sei offenbar, daß Gottdurch ein Wort Alles erschaffen habe? Denn<strong>die</strong> Vernunft unterstellt Dieses nicht, nochwar irgend Einer gegenwärtig, als Dießgeschah. Durch <strong>den</strong> Glauben; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Erkenntniß ist ein Werk des Glaubens. Dahersagt er auch so: durch <strong>den</strong> Glauben erkennenwir. Was erkennen wir, sprich, durch <strong>den</strong>Glauben? Daß aus dem Unsichtbaren dasSichtbare gewor<strong>den</strong> ist; <strong>den</strong>n Das ist derGlaube. Nachdem er nun imAllgemeinen gesprochen hat, zeigt erdasselbe auch <strong>an</strong> Personen; <strong>den</strong>n in gleichemWerthe mit dem Erdkreise steht einruhmvoller M<strong>an</strong>n. Dieß hat er auch später<strong>an</strong>gedeutet; <strong>den</strong>n nachdem er Solches <strong>an</strong>hundert oder zweihundert Personennachgewiesen hatte, und nun <strong>die</strong> geringeAnzahl sah, sagte er d<strong>an</strong>n: „ihrer war <strong>die</strong>Welt nicht werth.“ 452 „Durch <strong>den</strong> Glaubenbrachte Abel Gott ein besseres Opfer als Kaindar.“ Betrachte, wen er zuerst hinstellt,451 Röm 1,12157452 Hebr 11,38


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Denjenigen nämlich, der da Böses erduldetvom eigenen Bruder, dem kein Unrechtzugefügt wor<strong>den</strong>, sondern der Gottes wegenneiderfüllt war. Das Lei<strong>den</strong> war daher mitdem ihrigen verw<strong>an</strong>dt: „Da auch ihr, will ersagen, Dasselbe erlitten habt von euerenL<strong>an</strong>dsleuten.“ 453 Zugleich zeigt er, daß auch<strong>die</strong>se von Neid und Mißgunst erfüllt seien.Jener ehrte Gott und zog sich durch <strong>die</strong>seVerehrung <strong>den</strong> Tod zu, und ist derAuferstehung doch nicht theilhaftiggewor<strong>den</strong>. Jedoch sein Eifer ist offenbar, undwas <strong>an</strong> ihm lag, ist geschehen, aber <strong>die</strong>göttliche Vergeltung ist ihm noch nicht zuTheil gewor<strong>den</strong>.Ein „besseres Opfer“ heißt aber hier so viel alsein geschätzteres, ein glänzenderes, einnothwendigeres. Wir können aber nichtsagen, daß es nicht <strong>an</strong>genehm gewesen sei;<strong>den</strong>n Gott nahm es auf und sagte zu Kain,daß, wenn er auch recht geopfert, so dochnicht recht getheilt habe. 454 Also hat Abelrecht geopfert und recht getheilt. WelcheVergeltung hat er aber dafür erhalten? Er istgemordet wor<strong>den</strong> von der H<strong>an</strong>d desBruders, und <strong>die</strong> Strafe, welche der Vaterwegen der Sünde erwartete, empfing zuerstder Sohn, der fromm gelebt hatte; und um soschwerer war, was er erduldete, als er <strong>die</strong>sesvom Bruder, und zwar als der Erste erlitt.Und das Gute übte er, ohne auf Jem<strong>an</strong><strong>den</strong>hinzuschauen. Denn auf wen sah er undehrte Gott? Auf <strong>den</strong> Vater und <strong>die</strong>Mutter? Aber <strong>die</strong>se fügten ihm für seineguten Werke Unbil<strong>den</strong> zu. Auf <strong>den</strong> Bruder.Aber auch von <strong>die</strong>sem erfuhr er Schmach: erf<strong>an</strong>d also das Gute aus sich selber. Und waswiderfährt ihm, der so großer Ehre würdigwar? Er wird ermordet. D<strong>an</strong>n stellt er nochein <strong>an</strong>deres Lob hin mit <strong>den</strong> Worten: „underhielt dadurch das Zeugniß, gerecht zu sein,indem Gott seinen Gaben Zeugniß gab; undmittelst desselben redet der Verstorbene jetzt453 1 Thess 2,14454 vgl. Gen 4,7158noch.“ Wie aber empfing er auch auf <strong>an</strong>dereWeise das Zeugniß, gerecht zu sein? Es sollFeuer herunter gekommen sein und <strong>die</strong>Opfergaben verkehrt haben. Denn statt derWorte: „Da sah der Herr auf Abel und seineGaben,“ liest m<strong>an</strong> auch: „verzehrte mitFeuer.“ Der also durch Worte wie durchThaten gezeigt hatte, daß er gerecht sei, undder deßhalb ihn auch durch Mord fallen sah,leistete keine Abwehr, sondern ließ esgeschehen.II.Euere Verhältnisse sind aber <strong>an</strong>derer Art;<strong>den</strong>n wie wäre das möglich, da ihr Prophetenund Beispiele und unzählige Tröstungen,und Zeichen und Wunder, <strong>die</strong> geschehensind, habt? Dort war also in WahrheitGlauben. Denn was für Wunder sah Jener,woraus er <strong>den</strong> Glauben hätte gewinnenkönnen, das Gute werde irgend eineVergeltung fin<strong>den</strong>? Entnahm er seineTugend nicht g<strong>an</strong>z allein dem Glauben?Was heißen <strong>die</strong> Worten „und mittelst desselbenredet der Verstorbene jetzt noch“? Damit er sienicht in große Verzweiflung stürze, zeigt er,daß Derselbe zum Theil <strong>die</strong> Vergeltungempf<strong>an</strong>gen habe. Wie <strong>den</strong>n? Das Ansehen,das er genießt, sagt er, ist ein hohes; <strong>den</strong>nDieß hat er <strong>an</strong>gedeutet in <strong>den</strong> Worten: „erredet jetzt noch,“ d. h. er hat ihnweggenommen, aber er hat nicht zugleichmit ihm seinen Ruhm und seine Ehreweggenommen, Jener ist nicht gestorben,darum werdet auch ihr nicht sterben, <strong>den</strong>n jeSchwereres Jem<strong>an</strong>d erduldet, destogrößer ist sein Ruhm. Wie nun „redet er jetztnoch“? Dieses zeigt <strong>an</strong>, daß er sowohl nochlebt, als auch von Allen verehrt, bewundertund glücklich gepriesen wird; <strong>den</strong>n werAndere ermuntert, gerecht zu sein, derspricht; <strong>den</strong>n Das vermögen Worte nicht,was <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> Jenes bewirken. Wie nun der


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sichtbare Himmel allein spricht, so auchJener, wenn seiner Erwähnung geschieht.Wenn er sich selbst laut gerühmt, wenn ertausend Zungen besessen und gelebt hätte,würde er nicht so bewundert wie jetzt, d. h.Solches kommt nicht ohne Mühe und ohneWeiteres zu St<strong>an</strong>de, noch ist esvor<strong>über</strong>gehend.5. Durch <strong>den</strong> Glauben ward Henochhinweggenommen, damit er <strong>den</strong> Tod nichtsähe und m<strong>an</strong> f<strong>an</strong>d ihn nicht, <strong>den</strong>n Gotthatte ihn hinweggenommen, und vor derHinwegnahme hatte er das Zeugniß, Gottgefallen zu haben. Ohne Glauben aber istes unmöglich, Gott zu gefallen; <strong>den</strong>n wer zuGott kommen will, muß glauben, daß er istund daß er Die, welche ihn suchen, belohnt.Dieser zeigte einen größeren Glauben alsAbel. Warum? Obgleich er nach <strong>die</strong>semgeboren wurde, so war Dasjenige, was<strong>die</strong>sem begegnet war, doch nicht im St<strong>an</strong>de,ihn abwendig zu machen. Wie <strong>den</strong>n? Gottwußte vorher, daß er (Abel) umkommenwerde; <strong>den</strong>n er sagte zu Kain: Du hastgesündigt, füge nicht noch mehr hinzu. Er(Abel) wurde von ihm geehrt, aber er halfihm nicht. Und auch Das <strong>über</strong>lieferte ihn(Henoch) nicht der Verkommenheit; er sagtenicht zu sich selbst: Wozu Arbeiten undGefahren, da ja Abel Gott ehrte und dochkeine Hilfe f<strong>an</strong>d? Was nützt demHingeschie<strong>den</strong>en <strong>die</strong> Strafe des Bruders?Welcher Vortheil k<strong>an</strong>n ihm darausentspringen? Wir wollen <strong>an</strong>nehmen, er sollschwere Strafen verbüßen; was hilft Das demGemordeten? Aber Nichts der Art sprachnoch dachte er, sondern <strong>über</strong> Dies alles erhob er sich und erk<strong>an</strong>nte, daß, wennein Gott ist, er auch ein Vergelter sein werde,wiewohl sie noch Nichts von derAuferstehung wußten. Wenn nun Diejenigen,welche von der Auferstehung noch gar keineKenntniß besaßen, sondern auch hier nochGegentheiliges wahrnahmen, so gottgefälliglebten: um wie vielmehr müssen wir Das159thun? Denn Jene wußten weder von derAuferstehung Etwas, noch hatten sie solcheBeispiele vor Augen. Eben Dieses alsoverschaffte ihm das Wohlgefallen Gottes,weil Jener keine Vergeltung empf<strong>an</strong>genhatte. Wie so? Abel war ja auch noch nichtbelohnt wor<strong>den</strong>, so daß also <strong>die</strong> VernunftAnderes, der Glaube aber das Gegentheil vonDem unterstellte, was gesehen wird. Alsosollet auch ihr, will er sagen, <strong>den</strong> Muth nichtverlieren, wenn ihr wahrnehmet, daß ihrNichts empf<strong>an</strong>get. Wie ist aber Henochdurch <strong>den</strong> Glauben hinweggenommenwor<strong>den</strong>? Weil <strong>die</strong> Ursache seinerHinwegnahme das Wohlgefallen Gottes war,das göttliche Wohlgefallen aber seinenGrund im Glauben hatte. Denn wie hätte erwohlgefällig sein können, wenn er nichtgewußt hätte, daß er Vergeltung empf<strong>an</strong>genwerde? „Ohne Glauben aber ist es unmöglich,Gott zu gefallen.“ Wie? Denn wenn Jem<strong>an</strong>dglaubt, daß es einen Gott und eineVergeltung gibt, der wird <strong>den</strong> Lohnempf<strong>an</strong>gen. Von daher stammt also dasGottgefallen, „<strong>den</strong>n wer zu Gott kommen will,muß glauben, daß er ist,“ nicht was er ist.Wenn aber, „daß er ist,“ Glauben erheischtund nicht Vernunftgründe; wird d<strong>an</strong>n, waser ist, <strong>die</strong> Vernunft erfassen können? Wenndazu, daß er ein Vergelter ist, Glaubegefordert wird, - wie wird m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n mit derVernunft sein Wesen begreifen können?Welche Vernunft wird im St<strong>an</strong>de sein, dahinzu gel<strong>an</strong>gen? Denn Einige sagen, Alles seiaus sich selbst da (αὐπόματα). Siehst du, daßuns, wenn wir nicht in Bezug auf Alles, nichtallein in Betreff der Vergeltung, sondernauch bezüglich des Daseins Gottes, Glaubenhaben, Alles verloren geht? Viele aber fragen,wie Henoch hinweggenommenwor<strong>den</strong> sei, und warum erhinweggenommen wor<strong>den</strong> und weßhalb ernicht gestorben sei, weder <strong>die</strong>ser noch Elias,und wenn sie noch leben, wie sie leben undin welchem Zust<strong>an</strong>de sie sich befin<strong>den</strong>? Aber


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>es ist g<strong>an</strong>z <strong>über</strong>flüssig, Dieß zu erforschen;<strong>den</strong>n daß Jener hinweg- und Dieseraufgenommen wurde, sagt <strong>die</strong> heilige Schrift;wo sie aber sind und wie sie sich befin<strong>den</strong>,hat sie nicht beigefügt; <strong>den</strong>n sie sagt nichtmehr, als nothwendig ist. Dieß aber, ichmeine <strong>die</strong> Hinwegnahme, geschah gleich imAnf<strong>an</strong>ge, damit <strong>die</strong> menschliche NaturHoffnung fasse, daß der Tod vernichtet und<strong>die</strong> Tyr<strong>an</strong>nei des Teufels <strong>über</strong>wältigt sei undder Tod nicht mehr herrschen werde; <strong>den</strong>n erwurde nicht todt hinweggenommen, sonderndamit er <strong>den</strong> Tod nicht sähe. Darum fügt erhinzu, daß er lebendig hinweggenommenwor<strong>den</strong>, weil er Gott wohlgefällig war. Dennwie ein Vater, der seinem Sohne eineDrohung ertheilt hat, <strong>die</strong>se, wenn siestattgefun<strong>den</strong>, bald wieder aufhören lassenmöchte, sie aber aufrecht erhält undfortbestehen läßt, damit er ihm unterdesseneine Lehre und Warnung ertheile, indem er<strong>die</strong> Drohung in Geltung erhält: so schob esauch Gott nicht auf, um mich menschlicherWeise auszudrücken, sondern zeigte alsbald,daß der Tod vernichtet sei. Und zuerst läßt erzu, daß der Tod <strong>den</strong> Gerechten treffe, indemer durch <strong>den</strong> Sohn <strong>den</strong> Vater schreckenwollte. Denn weil er <strong>die</strong> Absicht hatte, zuzeigen, daß der Spruch wirklich feststehe, sounterwarf er nicht sogleich <strong>die</strong> Bösen,sondern Den, welcher ihm wohlgefällig war,der Strafe, ich meine nämlich jenen seligenAbel; und gar bald nach <strong>die</strong>sem nahm er <strong>den</strong>Henoch lebend hinweg. Und er erweckteJenen nicht, damit sie nicht schnell zugetrosten Muthes wür<strong>den</strong>; <strong>die</strong>sen aber nahmer lebendig hinweg; durch Abel wollte erihnen Furcht einflössen, durch Henoch aberihnen Eifer verleihen, sein Wohlgefallen zuerwerben. Es sind also Diejenigen, <strong>die</strong> dasagen, daß Alles von sich selbst gescheheund getragen werde, und <strong>die</strong> keineVergeltung erwarten, so wie <strong>die</strong> Hei<strong>den</strong> Gottdurchaus nicht wohlgefällig; <strong>den</strong>n fürDiejenigen, <strong>die</strong> ihn suchen durch <strong>die</strong>160Werke und <strong>die</strong> Erkenntniß, wird er einBelohner sein.III.Da wir also einen Belohner haben, so wollenwir Alles thun, um <strong>den</strong> Tugendpreis nicht zuverlieren; <strong>den</strong>n viele Thränen müßtenfließen, würde m<strong>an</strong> einen solchen Lohn<strong>über</strong>sehen, eine solche Vergeltung verachten;<strong>den</strong>n gleichwie er Jenen, <strong>die</strong> ihn suchen, einBelohner ist, so ist er auch für Diejenigen, <strong>die</strong>ihn nicht suchen, das Gegentheil. „Suchet,und ihr werdet fin<strong>den</strong>,“ 455 heißt es. Wie k<strong>an</strong>nm<strong>an</strong> aber <strong>den</strong> Herrn fin<strong>den</strong>? Betrachte, wiem<strong>an</strong> das Gold auffindet, nämlich mit vielerArbeit: „Ich strecke aus meine Hände desNachts zu ihm, und täusche mich nicht“, 456 d.h. wie wir das Verlorene suchen, so sollenwir Gott suchen. Richten wir nicht unserg<strong>an</strong>zes Denken dorthin? Fragen wir nichtAlle aus? Machen wir nicht eine Reise in <strong>die</strong>Fremde? Versprechen wir nicht Geld? Setzenwir <strong>den</strong> Fall, es sei uns ein Sohnverlorengeg<strong>an</strong>gen. Was thun wir nicht?Welches Meer, welches L<strong>an</strong>d besuchen wirnicht? Achten geringer als <strong>die</strong>sen Fund? Undwenn wir ihn gefun<strong>den</strong> haben, so halten wirihn fest, wir umarmen ihn und lassen ihnnicht mehr zurück. Und wenn wir uns zumSuchen aufmachen, so bieten wir Alles auf,um auch zu fin<strong>den</strong>, was wir suchen; - um wieviel mehr sollte Dieß nun in Bezug auf Gottstattfin<strong>den</strong>, daß wir ihn nämlich suchen alsetwas Nothwendiges, oder vielmehr nicht so,sondern noch viel sorgfältiger. Aber weil wirschwach sind, suche wenigstens Gott, wie dudein Geld oder deinen Sohn suchst. Hast dunicht schon des letzteren wegen eine Reiseunternommen? Bist du nicht schon ausGeldrücksichten in <strong>die</strong> Fremde gezogen?Unterziehst du dich nicht allen455 Mt 7,7456 Ps 76,3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Mühseligkeiten? Und hast du, wenn du dasGesuchte gefun<strong>den</strong>, nicht frohenMut? „Suchet,“ heißt es, „und ihr werdetfin<strong>den</strong>.“ Beim Suchen aber ist große Sorgfaltnothwendig, besonders in Bezug auf Gott;<strong>den</strong>n zahlreich sind <strong>die</strong> Hindernisse, Vielesverdunkelt unsere Erkenntniß, Vieles trittderselben hemmend in <strong>den</strong> Weg. Denngleichwie <strong>die</strong> Sonne sichtbar ist und vorAllen in der Mitte dasteht, und wir sie nichtzu suchen brauchen; - wenn wir uns aberselbst vergraben, und wollten wir Allesumkehren, viele Arbeit erforderlich ist, umzur Sonne aufzuschauen, so wer<strong>den</strong> wir auchhier, wenn wir in der Tiefe der bösenBegier<strong>den</strong>, wenn wir uns selbst im Dunkelder Lei<strong>den</strong>schaften und der weltlichenSorgen vergraben, mit Mühe durchblicken,mit Mühe emporkommen können. Wer tiefvergraben ist, strebt, je mehr er aufblickt,desto mehr gegen <strong>die</strong> Sonne. Schütteln wiralso <strong>den</strong> Schutt ab; zerreissen wir <strong>die</strong> auf unslastende Finsterniß; sie ist dicht undzusammengezogen und läßt uns nichtaufwärts blicken. Und wie wird, sagt m<strong>an</strong>,<strong>die</strong>se Wolke durchbrochen? Wenn wir <strong>die</strong>Strahlen der geistigen Sonne, der Sonne derGerechtigkeit, <strong>an</strong> uns ziehen, wenn wir <strong>die</strong>Hände zum Himmel erheben: „MeinerHände Erhebung,“ heißt es, „sei einAbendopfer,“ 457 wenn wir mit <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong>auch <strong>den</strong> Sinn emporrichten. IhrEingeweihten wisset, was ich sagen will; ihrverstehet wohl meine Worte und habtEinsicht in Das, was ich <strong>an</strong>gedeutet habe: wirwollen <strong>den</strong> Sinn zum Himmel erheben! Ichkenne viele Männer, welche fast <strong>über</strong> derErde schwebten, und <strong>über</strong> das Maß <strong>die</strong>Hände ausstreckten und schmerzerfülltwaren, daß sie sich nicht in <strong>die</strong> Höhe erhebenkonnten und also mit Eifer beteten. Sowünsche ich, möget ihr immer sein; wennaber nicht immer, doch oft, wenn aber nicht457 Ps 140,2161oft, wenigstens m<strong>an</strong>chmal, doch Morgensund Abends. Denn sage mir, k<strong>an</strong>nst du deineHände nicht ausstrecken? So laß deinenWillen sich erheben, so weit duwillst. Diesen laß selbst bis zum Himmelemporsteigen, und wenn du <strong>die</strong> höchsteHöhe selbst berühren und hochemporgestiegen dort verweilen willst: es istdir vergönnt; <strong>den</strong>n leichter und höher alsjeder Vogel erhebt sich unser Geist. Wenn eraber auch noch <strong>die</strong> Gnade des heiligenGeistes empf<strong>an</strong>gen hat, ha! wie ist er d<strong>an</strong>n soschnell, so durchdringend; wie umeilt erAlles und wird nicht abwärts getragen undfällt nicht zur Erde! Diese Flügel wollen wiruns verschaffen; mit ihnen sind wir imSt<strong>an</strong>de, <strong>über</strong> das wogenreiche Meer <strong>die</strong>sesLebens hin<strong>über</strong>zufliegen. Die schnellstenVögel schweben in kurzer Zeit unversehrt<strong>über</strong> Berge und Thalschluchten und Meereund Bergspitzen. So ist auch der Geistbeschaffen. Hat er Flügel empf<strong>an</strong>gen, hat ersich <strong>den</strong> Angelegenheiten <strong>die</strong>ses Lebensentzogen, so vermag ihn Nichts zu halten; erist <strong>über</strong> Alles erhaben und höher, als <strong>die</strong>feurigen Geschoße des Teufels reichen. Sozieltreffend ist der Teufel nicht, daß er <strong>die</strong>seHöhe zu erreichen vermöchte. Er schleudertzwar <strong>die</strong> Geschoße, <strong>den</strong>n er ist unverschämt,aber er trifft nicht; sondern das Geschoßkehrt ohne Wirkung zu ihm zurück, undnicht nur ohne Wirkung, sondern es fährt aufsein eigenes Haupt; <strong>den</strong>n hat er einmal einsolches abgeschleudert, so muß es unfehlbartreffen. Wie nun Dasjenige, was vonMenschen geschleudert wird, entweder <strong>den</strong>Gegenst<strong>an</strong>d, auf <strong>den</strong> es geworfen ward, trifft,entweder einen Vogel oder eine Mauer oderein Kleid oder ein Holz oder <strong>die</strong> Luft selbstschneidet, so muß auch das Geschoß desTeufels g<strong>an</strong>z und gar verletzen; trifft es aber<strong>den</strong> Zielgegenst<strong>an</strong>d nicht, so muß esdurchaus auf Den, der es geschleudert,eindringen. Und von vielen Seiten herkönnen wir uns davon <strong>über</strong>zeugen, daß,


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wenn wir nicht getroffen wer<strong>den</strong>, Jenergeschlagen wird. So z. B. stellte er dem Jobnach; er <strong>über</strong>w<strong>an</strong>d Diesen nicht, sondernwurde selbst geschlagen. Er stellte demPaulus nach, aber er verletzte ihn nicht,sondern unterlag selber. Denn wenn erschlägt, wird er selbst getroffen, g<strong>an</strong>zbesonders aber, wenn wir uns selbst mit <strong>den</strong>Schwertern und dem Schilde desGlaubens gegen ihn bewaffnet und befestigethaben und in Sicherheit uns schirmen, so daßwir un<strong>über</strong>windlich sind. Ein Geschoß desTeufels aber ist <strong>die</strong> böse Begierlichkeit. DerZorn ist meistentheils ein Feuer, eineFlamme, <strong>die</strong> um sich greift, zerstört,verbrennt, <strong>die</strong> wir aber durch Geduld undL<strong>an</strong>gmuth auslöschen. Denn gleichwieglühendes Eisen, wenn es in Wasser getauchtwird, das Feuer verliert, so schadet auch derZorn, wenn er einen L<strong>an</strong>gmüthigen <strong>an</strong>fällt,einem solchen Nichts, sondern verschafftihm vielmehr Nutzen, indem <strong>die</strong> Festigkeitnoch mehr zunimmt. Nichts kommt derL<strong>an</strong>gmuth gleich; wer <strong>die</strong>se besitzt, wird nieverletzt, sondern wie diam<strong>an</strong>tene Körpernicht beschädiget wer<strong>den</strong>, so verhält es sichauch mit solchen Seelen: ihre Höhe ist fürGeschoße unerreichbar. Der L<strong>an</strong>gmüthige isterhaben und so erhaben, daß derGeschoßwurf ihm keine Verletzungbeibringt. Wird also Jener zornig, so lachedu; lache aber nicht offenbar, um ihn nicht zuerbittern, sondern für dich, deiner selbstwegen! Denn auch bei Kindern lachen wir,wenn sie im Zornmuthe uns schlagen, alswollten sie sich rächen. Wenn du also lachst,so wird zwischen dir und Jenem ein solcherUnterschied sein wie zwischen einem Kindeund einem M<strong>an</strong>ne; zeigst du dich aberzornig, so bist du ein Kind gewor<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n<strong>die</strong> Zornigen sind unsinniger als Kinder.Sage mir, wenn Jem<strong>an</strong>d seinen Blick aufeinen ergrimmten Knaben fallen läßt, lacht erd<strong>an</strong>n nicht? Dasselbe k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch beiZornmüthigen wahrnehmen. Solche sind162auch kleine Seelen, wenn aber kleine Seelen,so sind sie auch unverständig. „Wer aberungeduldig ist,“ heißt es, „der richtet seineThorheit auf.“ 458 Wer sich aber alsunverständig erweist, der ist ein Kind. „Undwer geduldig ist,“ heißt es, „<strong>den</strong> leitet vielVerst<strong>an</strong>d.“ Dieser Geduld also wollen wirnachstreben, - <strong>den</strong>n Die sich derselbenbefleissen, gewinnen große Einsicht, -damit wir der verheissenen Güter theilhaftigwer<strong>den</strong> in Christus Jesus, unserm Herrn,dem mit dem Vater und dem heiligen Geistesei Macht, Ruhm und Ehre und Anbetungjetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Dreiundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.7. Durch <strong>den</strong> Glauben bereitete Noe inheiliger Furcht, nachdem er Offenbarungerhalten <strong>über</strong> Das, was m<strong>an</strong> noch nicht sah,<strong>die</strong> Arche zur Rettung seines Hauses; durch<strong>den</strong>selben verurtheilte er <strong>die</strong> Welt undward Erbe der Gerechtigkeit, <strong>die</strong> aus demGlauben kommt.„Durch <strong>den</strong> Glauben,“ heißt es, „nachdem NoeOffenbarung erhalten.“ Wie der Sohn Gottes,da er von seiner Ankunft redet, <strong>die</strong> Wortegebrauchte: „In <strong>den</strong> Tagen des Noe nahmenund gaben sie Weiber zur Ehe,“ 459 so sprichtauch Dieser. Treffend ruft er ihnen einvergleichendes Bild ins Gedächtniß, das sieselber <strong>an</strong>geht; <strong>den</strong>n das Beispiel des Henochwar nur ein Muster des Glaubens, das desNoe aber auch eine Ver<strong>an</strong>schaulichung desUnglaubens. Darin aber liegt einevollkommene Tröstung und Aufmunterung,wenn m<strong>an</strong> findet, daß nicht allein <strong>die</strong>Treugläubigen Ehre empf<strong>an</strong>gen, sondern458 Spr 14,2 9459 Lk 17,27


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>auch <strong>die</strong> Ungläubigen das Gegentheilerfahren. Was besagen <strong>die</strong> Worte: „Durch <strong>den</strong>Glauben, nachdem Noe Offenbarung erhalten“?Was ist Das? Es war ihm vorhergesagtwor<strong>den</strong>, will er sagen. Offenbarung abernennt er <strong>die</strong> Weissagung; <strong>den</strong>n auch <strong>an</strong> einer<strong>an</strong>dern Stelle sagt er: „Es war ihm vomheiligen Geiste geoffenbart wor<strong>den</strong>.“ 460 Undwieder: „,Was sagte ihm <strong>die</strong> göttlicheOffenbarung?“ 461 Siehst du <strong>die</strong> gleiche Ehredes heiligen Geistes? Denn wie Gott, sooffenbart auch der heilige Geist. Warum aberhat er so gesprochen? Um zu zeigen, daß <strong>die</strong>Offenbarung eine Weissagung sei. „ÜberDas, was m<strong>an</strong> noch nicht sah,“ sagt er, d. i.<strong>über</strong> <strong>den</strong> Regen. „In heiliger Furcht bereitete er<strong>die</strong> Arche.“ Die Vernunft unterstellte einsolches Ereigniß nicht; <strong>den</strong>n sie nahmen undgaben Weiber zur Ehe; <strong>die</strong> Luft erschien hell,und es waren keine Anzeichen da, und<strong>den</strong>noch fürchtete Noe. Daher auch <strong>die</strong>Worte: „Durch <strong>den</strong> Glauben bereitete Noe inheiliger Furcht, nachdem er Offenbarung erhalten<strong>über</strong> Das, was m<strong>an</strong> noch nicht sah, <strong>die</strong> Arche zurRettung seines Hauses.“ Wie <strong>den</strong>n? „Durch<strong>den</strong>selben verurtheilte er <strong>die</strong> Welt.“ Er zeigte,daß Diejenigen, welche nicht einmal durch<strong>den</strong> Bau zur Erkenntniß kamen, derZüchtigung werth waren.„Und ward Erbe der Gerechtigkeit, <strong>die</strong> aus demGlauben kommt;“ d. h. dadurch erschien ergerecht, weil er Gott glaubte. Denn Dieß istdas Zeichen einer wirklich Gott ergebenenSeele, und <strong>die</strong> der Überzeugung lebt, daßNichts wahrer sei als sein Wort, so wie auchder Unglaube das Gegentheil <strong>an</strong> <strong>den</strong> Taglegt. Es ist aber klar, daß der Glaube<strong>die</strong> Gerechtigkeit wirkt. Denn so wie uns <strong>die</strong>Offenbarung in Betreff der Hölle zu Theilgewor<strong>den</strong>, so war es auch mit Noe; und dochwurde er damals verlacht und <strong>an</strong>gefeindetund verhöhnt; aber er nahm auf Nichts derArt Rücksicht.8. 9. Durch <strong>den</strong> Glauben gehorchte Jener,der Abraham gen<strong>an</strong>nt wird, auszuw<strong>an</strong>dernnach dem Orte, <strong>den</strong> er zum Erbe erhaltensollte, und er w<strong>an</strong>derte aus, ohne zu wissen,wohin er käme. Durch <strong>den</strong> Glauben hielt ersich im L<strong>an</strong>de der Verheißung wie in einemfrem<strong>den</strong> auf, wohnend im Zelte mit Isaakund Jakob, <strong>den</strong> Miterben derselbenVerheißung.Denn wen, sage mir, sah er, <strong>den</strong> er hättenachahmen können? Sein Vater war Heideund Götzen<strong>die</strong>ner; <strong>die</strong> Propheten hatte ernicht gehört, und er wußte nicht, wohin erkäme. Denn da Diejenigen, welche aus demJu<strong>den</strong>thume gläubig gewor<strong>den</strong>, auf Diesehinschauten, als hätten sich <strong>die</strong>selbenunzähliger Güter zu erfreuen gehabt, so zeigter, daß noch Keiner Etwas erhalten hatte, daßsie noch nicht in <strong>den</strong> Besitz der Geschenkegekommen, und daß noch Keinem <strong>die</strong>Vergeltung zu Theil gewor<strong>den</strong>. Jener verließsein Vaterl<strong>an</strong>d und sein Haus „und w<strong>an</strong>derteaus, ohne zu wissen, wohin er käme.“ Und wiek<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> sich dar<strong>über</strong> wundern, daß er sichalso niederließ, da auch seineNachkommenschaft das gleiche Loos theilte?Da er nun sah, daß <strong>die</strong> Verheissung nicht inErfüllung ging, verzagte er nicht; <strong>den</strong>n derHerr hatte gesprochen: „Dir und deinemSamen will ich <strong>die</strong>ses L<strong>an</strong>d geben.“ 462 Er sah<strong>den</strong> Sohn dort wohnen; und auch der Enkelf<strong>an</strong>d wiederum, daß er in fremdemL<strong>an</strong>de wohne, und er blieb st<strong>an</strong>dhaft. Dennin Betreff Abrahams kam Das nicht widerErwarten so, indem sich <strong>die</strong> Verheißung beiseinen Nachkommen verwirklichen sollte,obgleich auch zu ihm gesagt wurde: „dir unddeinem Samen,“ nicht aber: „durch deinenSamen dir“, sondern: „dir und deinemSamen;“ und weder er noch Isaak noch Jakobhaben das Verheissene erl<strong>an</strong>gt. Denn Dieser<strong>die</strong>nte für Lohn, Jener aber wurde vertrieben;Der entwich aus Furcht und hatte zwar460 Lk 2,26461 Röm 11,4163462 Gen 12,7


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Glück im Kampfe, würde aber, hätte ihmnicht <strong>die</strong> Kraft Gottes zur Seite gest<strong>an</strong><strong>den</strong>,großen Scha<strong>den</strong> erfahren haben. Deßhalbsagt er: „<strong>den</strong> Miterben derselben Verheissung.“Nicht er allein, sagt er, sondern auch seineMiterben. D<strong>an</strong>n fügt er noch etwas Anderesvon dem Gesagten in bestimmteren Wortenhinzu: „Im Glauben sind Diese alle gestorbenund haben das Verheißene nichtempf<strong>an</strong>gen.“ 463 Hier ist es der Mühe werth,eine zweifache Frage zu stellen: einmal, wieer nach <strong>den</strong> Worten: „Henoch isthinweggenommen wor<strong>den</strong>, damit er <strong>den</strong> Todnicht sähe, und m<strong>an</strong> f<strong>an</strong>d ihn nicht,“ nunspricht: „Im Glauben sind Diese allegestorben.“ Und wieder zeigt er, nachdem erausgesprochen: „sie haben das Verheissenenicht empf<strong>an</strong>gen,“ daß Noe <strong>den</strong> Lohn zurRettung seines Hauses empf<strong>an</strong>gen habe, unddaß Henoch hinweggenommen wor<strong>den</strong> sei,und daß Abel noch spreche, und daßAbraham das L<strong>an</strong>d erhalten habe, und sagt:„Im Glauben sind Diese alle gestorben undhaben das Verheissene nicht empf<strong>an</strong>gen.“Was will er also sagen? Es ist nothwendig,vorab <strong>die</strong> erste und d<strong>an</strong>n <strong>die</strong> zweite Frage zulösen. „Im Glauben,“ sagt er, „sind sie allegestorben.“ Das Wort „Alle“ hat er hiergebraucht, nicht weil Alle gestorben sind,sondern weil mit Ausnahme Jenes(Henoch’s) alle Diejenigen gestorben sind,von <strong>den</strong>en wir wissen, daß sie gestorbensind. Die Worte: „und haben das Verheissene nicht empf<strong>an</strong>gen“ sind wahr,<strong>den</strong>n Solches war dem Noe nicht verheissenwor<strong>den</strong>.II.Welche Verheissungen aber meint er? DennIsaak und Jakob hatten <strong>die</strong> Verheissung desL<strong>an</strong>des. Aber welche Verheissungen hatten463 V. 13164Noe und Abel und Henoch? Entweder redeter von <strong>die</strong>sen Dreien, oder wenn er auch vonJenen spricht, so war Dieß keineVerheissung, daß Abel in Bewunderungst<strong>an</strong>d, daß Henoch hinweggenommen, unddaß Noe gerettet wurde; sondern Dießwurde ihnen ihrer Tugend wegen zu Theil,war aber ein Vorgeschmack des Zukünftigen.Denn weil Gott von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> wußte, daßdas Menschengeschlecht einer großenHerablassung bedürfe, so schenkt er unsnicht nur, was zukünftig ist, sondern auch<strong>die</strong> Güter der Gegenwart; wie auch Christuszu seinen Jüngern sagte: „Und wer immersein Haus oder Brüder oder Schwestern oderVater oder Mutter oder Weib oder Kinderoder Aecker um meines Namens willenverläßt: Der wird Hundertfältiges dafürerhalten und das ewige Leben besitzen.“ 464Und wieder: „Suchet das Reich Gottes, undDieß alles wird euch zugegeben wer<strong>den</strong>!“ 465Siehst du, daß Dieses von ihm als Zugabegegeben wird, damit wir nicht ermü<strong>den</strong>?Denn wie <strong>die</strong> Athleten, auch wenn siekämpfen, Pflege genießen, sich aber nichtvolle Ruhe erlauben, - <strong>den</strong>n sie leben nachGesetzen, - und <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Erholung ersthernach für sie eintritt: so läßt auch Gott unshier nicht vollkommene Ruhe zu Theilwer<strong>den</strong>. Er erweist sich zwar schonhienie<strong>den</strong> wohlthätig, aber das gänzlicheAusruhen hat er der Zukunft vorbehalten.Und daß Dieß sich so verhält, hat er in demZusatze <strong>an</strong>gedeutet: „sondern von Ferne es<strong>an</strong>geblickt und begrüßt.“ 466 Hier findet sicheine mystische Andeutung, <strong>den</strong>n er zeigt,daß sie Alles vorher empf<strong>an</strong>gen haben, wasvon <strong>den</strong> zukünftigen Dingen, von derAuferstehung, vom Himmelreiche und vonallem Dem, wor<strong>über</strong> Christus nach seinerAnkunft geprediget hat, gesagt ist. Denn<strong>die</strong>se Verheissungen meint er. Entweder sagt464 Mt 19,29465 Mt 6, 33466 V. 13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>er nun Dieses oder, daß sie derselben zwarnicht theilhaftig gewor<strong>den</strong>, aber imVertrauen auf <strong>die</strong>selben hingeschie<strong>den</strong> seien.Im Glauben aber allein wurzelte ihrVertrauen. Er sagt, daß sie <strong>die</strong>selben(Verheissungen) von Ferne <strong>an</strong>geblickt haben,nämlich vor vier Geschlechtern; <strong>den</strong>n nach sovielen kamen sie wieder aus Egypten herauf.„Und begrüßt,“ sagt er, „und erfreut“. So<strong>über</strong>zeugt waren sie davon, daß sie <strong>die</strong>selbenauch begrüßten. Er hat sich in einem <strong>den</strong>Schiffern entlehnten Bilde ausgedrückt,welche, ehe sie <strong>die</strong> Städte, <strong>die</strong> sie von Fernesehen, und nach <strong>den</strong>en sie verl<strong>an</strong>gen,betreten, <strong>den</strong>selben mit dem Gruße entgegenkommen und als sich zugehörig betrachten.10. Denn sie erwarteten, sagt er, <strong>die</strong>festbegründete Stadt, deren Baumeister undSchöpfer Gott ist.Siehst du, daß <strong>die</strong> Worte: sie sind derselbentheilhaftig gewor<strong>den</strong>, so viel bedeuten, alsdaß sie <strong>die</strong>selben bereits erwartet und festdarauf vertraut haben? Wenn also festvertrauen so viel ist als besitzen, so könnenauch wir <strong>die</strong>ses Besitzthum haben. Dennobgleich sie <strong>die</strong>selben noch nicht genossen,so wur<strong>den</strong> sie <strong>den</strong>noch durch das Verl<strong>an</strong>genvon ihnen geschaut. Warum aber geschiehtDieß? Auf daß wir uns schämen, weil Jene,auch da ihnen <strong>die</strong> irdischen Güter verheissenwur<strong>den</strong>, sich nicht dar<strong>an</strong> klammerten,sondern <strong>die</strong> zukünftige Stadt suchten, Gottaber zu uns fort und fort von demhimmlischen Wohnsitze spricht, und wir<strong>den</strong>noch <strong>den</strong> irdischen erl<strong>an</strong>gen wollen. Erhatte ihnen gesagt: ich will euch <strong>die</strong>gegenwärtigen Güter geben; da er aber sah,oder vielmehr weil sie zeigten, daß siebesserer werth waren, ließ er sie nicht <strong>die</strong>se,wohl aber jene besitzen, um uns zu zeigen,daß sie der bessern würdig seien, da sie <strong>an</strong> jene nicht gekettet sein wollten; wiewenn Jem<strong>an</strong>d irgend Einem, der Verst<strong>an</strong>dhat, Etwas, was für Knaben paßt, verheilenwollte, nicht damit er es <strong>an</strong>nehme, sondern165um <strong>die</strong> Weisheit Dessen, der nach Höheremtrachtet, offenkundig zu machen. Denn Dießwill er zeigen, weil sie mit einem solchenEifer der Erde ferne blieben, daß sie nichteinmal nahmen, was ihnen gegeben wurde.Darum empf<strong>an</strong>gen Dieses <strong>die</strong> Nachkommen;<strong>den</strong>n <strong>die</strong>se waren der Erde würdig. - Washeißt Das: „<strong>die</strong> festgegründete Stadt“? Ist <strong>den</strong>nhier kein fester Grund? In Vergleich mit jenernicht, „deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“Ha! welches Lob jener Stadt gespendet wird!11. Durch <strong>den</strong> Glauben hat selbst <strong>die</strong> Sara.Hier beginnt er sie zu beschämen, da sie nochkleinmüthiger als Sara erschienen. Aber eskönnte Jem<strong>an</strong>d sagen: Wie ist <strong>den</strong>n Diejenigegläubig, <strong>die</strong> da gelacht hat? Das Lachenkommt zwar aus dem Unglauben, <strong>die</strong> Furchtaber aus dem Glauben; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Worte: „Ichhabe nicht gelacht“ 467 kamen aus demGlauben. Nachdem also der Unglaubeverschwun<strong>den</strong> war, hielt der Glaube seineEinkehr. „Durch <strong>den</strong> Glauben hat selbst <strong>die</strong> SaraKraft bekommen, <strong>über</strong> <strong>die</strong> Zeit ihres Alters eineFrucht zu empf<strong>an</strong>gen.“ Was heißt Das: eineFrucht zu empf<strong>an</strong>gen? Die Fruchtaufzunehmen und zu behalten erhielt sieKraft, obgleich sie schon erstorben undunfruchtbar war. Denn der M<strong>an</strong>gel war einzweifacher, indem er einerseits in der Zeitlag, weil sie in der That alt war, <strong>an</strong>dererseitsin der Natur seinen Grund hatte; <strong>den</strong>n siewar unfruchtbar. 12. Darum sind auch von einem Einzigenund noch dazu von einem Abgelebten Alleentst<strong>an</strong><strong>den</strong>, zahlreich wie <strong>die</strong> Sterne desHimmels und unzählbar wie der S<strong>an</strong>d amUfer des Meeres.„Deßhalb,“ sagt er, „sind auch von einemEinzigen Alle entst<strong>an</strong><strong>den</strong>.“ Er sagt hier nichtnur, daß sie geboren habe, sondern daß auchsie so Vieler Mutter gewor<strong>den</strong> wie selbstfruchtbare Mütter nicht. „Wie <strong>die</strong> Sterne,“ 468sagt er. Wie nun zählt er sie oft, da er doch467 Gen 18,15468 Gen 13,16


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sagte: Wie <strong>die</strong> Sterne des Himmels nichtgezählt wer<strong>den</strong>, so wird auch euereNachkommenschaft unzählbar sein?Entweder hat er hier hyperbolischgesprochen, oder er hat <strong>die</strong>se Worte in Bezugauf Jene gebraucht, welche immer nochhernach geboren wur<strong>den</strong>. Denn <strong>die</strong>Nachkommen eines Hauses k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> zählen;z. B. Dieser stammt von Jenem, und Jenerwieder von Dem; hier aber, wo <strong>die</strong>Abkömmlinge der Menge der Sterneverglichen wer<strong>den</strong>, ist Das nicht möglich.III.So sind <strong>die</strong> Verheissungen Gottes beschaffen;so erfüllen sich seine Versprechen. Ist aberDasjenige, was er als Zugabe verheissen hat,so bewunderungswürdig, so herrlich und soglänzend, wie wer<strong>den</strong> d<strong>an</strong>n jene Güterbeschaffen sein, von <strong>den</strong>en Dieses <strong>die</strong>Zugabe und <strong>den</strong> Überschuß bildet? Was gibtes nun Glückseligeres als Die, welchederselben theilhaftig wer<strong>den</strong>? was Elenderesals Die, welche <strong>die</strong>selben verlieren? Dennwenn Derjenige, der aus dem Vaterl<strong>an</strong>devertrieben wor<strong>den</strong> ist, Allen Mitleid einflößt,und der sein Vermögen eingebüßt hat, Allenbeklagenswerth erscheint: mit wie vielenThränen muß d<strong>an</strong>n Derjenige der <strong>den</strong>Himmel und <strong>die</strong> dort aufbewahrten Güterverloren hat, beweint wer<strong>den</strong>, oder vielmehrnicht beweint wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n beweint wirdm<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n, wenn m<strong>an</strong> Lei<strong>den</strong> erduldet, <strong>an</strong><strong>den</strong>en m<strong>an</strong> nicht selber <strong>die</strong> Schuld trägt;wenn m<strong>an</strong> sich aber aus selbsteigenemEntschlusse durch Lasterhaftigkeit zuGrunde richtet, d<strong>an</strong>n sind nicht Thränen,sondern Wehklagen oder vielmehrKlaggestöhn nothwendig. Denn auch unserHerr Jesus Christus betrauerte und beweinteJerusalem, obgleich es gottlos war.Wahrhaftig, unsägliches Wehklagen muß<strong>über</strong> uns ergehen, Thränenströme müssen166unsertwegen fließen! Wenn der g<strong>an</strong>zeErdkreis stimmbegabt wäre, und <strong>die</strong> Steineund das Gehölz und <strong>die</strong> Bäume und <strong>die</strong>wil<strong>den</strong> Thiere und <strong>die</strong> Vögel und <strong>die</strong> Fischeund <strong>über</strong>haupt der g<strong>an</strong>ze Erdkreis mit seinerStimme uns, <strong>die</strong> wir jener Güter verlustiggewor<strong>den</strong>, beweinte: wir wür<strong>den</strong> nicht nachGebühr beweint und beweheklagt wer<strong>den</strong>.Denn welche Worte, welcher Verst<strong>an</strong>dwer<strong>den</strong> im St<strong>an</strong>de sein, jene Seligkeit undjene Tugend, jene Freude, jenen Ruhm, jeneHeiterkeit und jenen Gl<strong>an</strong>z auszudrücken?„Kein Auge,“ heißt es, „hat es gesehen, keinOhr hat es gehört, und in keines MenschenHerz ist es gekommen, was Gott Denenbereitet hat, <strong>die</strong> ihn lieben.“ 469 Er sagt nichteinfach, daß es <strong>die</strong> Sinne <strong>über</strong>steige, sonderndaß noch Niem<strong>an</strong>d es eingesehen habe, wasGott Denen bereitet hat, <strong>die</strong> ihn lieben. Dennwie müssen natürlicher Weise <strong>die</strong> Güterbeschaffen sein, welche der Herr selberzubereitet und besorgt? Wenn er uns jagleich nach unserer Erschaffung, da vonunserer Seite noch gar Nichts gewirktwor<strong>den</strong> war, so Vieles geschenkt hat, dasPara<strong>die</strong>s, <strong>den</strong> Verkehr mit ihm, <strong>die</strong>Unsterblichkeit und ein sorgenfreies Lebenversprach: was wird er nun Denen geben, <strong>die</strong>für ihn so Vieles gewirkt und durchgekämpftund erduldet haben? SeinesEingebornen hat er für uns nicht geschont,seinen wirklichen Sohn hat er für uns in <strong>den</strong>Tod dahin gegeben. Wenn er uns nun, als wirseine Feinde waren, so Großes hatzukommen lassen, wessen wird er uns d<strong>an</strong>nnicht würdigen, da wir seine Freundegewor<strong>den</strong>? wor<strong>an</strong> uns nicht theilnehmenlassen, da er uns mit sich versöhnt hat? Under ist sehr reich und verl<strong>an</strong>gt und bemühtsich außeror<strong>den</strong>tlich, unsere Freundschaft zubesitzen; wir aber, Geliebte, bemühen unsgar wenig um <strong>die</strong> seine! Was sage ich: wirbemühen uns nicht? Wir wollen nicht einmal469 1 Kor 2,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>so seiner Güter theilhaftig wer<strong>den</strong>, wie erselber es will. Und daß er Solches mehrverl<strong>an</strong>gt, hat er durch Das bewiesen, was erfür uns geth<strong>an</strong> hat. Denn wir verachten, wasuns betrifft, kaum ein wenig Gold; er aberhat für uns seinen eigenen Sohn hingegeben.Benutzen wir, Geliebte, wie es nothwendigist, <strong>die</strong> Liebe Gottes, genießen wir seineFreundschaft! „Denn ihr seid,“ sagt er,„meine Freunde, wenn ihr thut, was ich euchsage.“ 470 Ha! seine Feinde, <strong>die</strong> gränzenlosweit von ihm entfernt st<strong>an</strong><strong>den</strong>, von <strong>den</strong>en erdurch Alles in unvergleichbarem Übermaßesich auszeichnete, hat er zu Freun<strong>den</strong>gemacht und nennt sie Freunde. Was sollm<strong>an</strong> nun nicht für <strong>die</strong>se Freundschaft zuerdul<strong>den</strong> wünschen? Wir aber unterziehenuns für <strong>die</strong> Freundschaft der Menschen sogarGefahren, für <strong>die</strong> Freundschaft Gottes wollenwir nicht einmal Geld zum Opfer bringen.Wir sind von unserer Hoffnung abgefallen,von unserer Höhe heruntergestürzt,unwürdig erschienen, von Gott Ehre zuempf<strong>an</strong>gen; wir haben uns als und<strong>an</strong>kbarund nach <strong>den</strong> Wohlthaten als böse erwiesen;der Teufel hat uns aller Güter beraubt. Wir,<strong>die</strong> gewürdiget wor<strong>den</strong>, seine Söhne zu sein,<strong>die</strong> Brüder und Miterben, haben uns seinenFein<strong>den</strong>, <strong>die</strong> ihm Schmach zufügen,gleichgestellt. Welcher Trost wirduns noch übrig bleiben? Er hat uns zumHimmel berufen, wir selbst verstoßen uns in<strong>die</strong> Hölle. Daher haben sich auch Lüge undDiebstahl und Ehebruch auf der Erdeverbreitet. Die Einen mischen Blut mit Blut,<strong>die</strong> Andern verüben Dinge, <strong>die</strong> schlimmersind als Blut. Viele von Denen, <strong>die</strong> Unrechtlei<strong>den</strong>, Viele, <strong>die</strong> betrogen wer<strong>den</strong>,wünschen lieber tausend Mal zu sterben, alsSolches zu erdul<strong>den</strong>; und wenn <strong>die</strong> Furchtvor Gott sie nicht erzittern machte, wür<strong>den</strong>sie Selbstmörder wer<strong>den</strong>; so blutgierig sindsie gegen sich selbst. Ist Das nicht schlimmer470 Joh 15,14167als Blut? „Wehe mir,“ sprach mit Zagen derProphet, „weg sind <strong>die</strong> Frommen aus demL<strong>an</strong>de, und Rechtschaffene gibt es unter <strong>den</strong>Menschen nicht.“ 471 Jetzt aber können wirDieß zuerst in Bezug auf uns selbst lautausrufen. Seid doch ihr meineTrauergenossen! Vielleicht gehen Einige ihresWeges und lachen; wahrhaftig, Das muß <strong>die</strong>Thränen noch vermehren, weil wir zu einemsolchen Grade von Raserei und Verrücktheitgel<strong>an</strong>gt sind, daß wir nicht erkennen, wierasend wir gewor<strong>den</strong>, sondern dar<strong>über</strong>lachen, wor<strong>über</strong> wir aufseufzen sollten.„Denn es offenbart sich, o Mensch, der ZornGottes vom Himmel <strong>über</strong> alle Gottlosigkeitund Ungerechtigkeit der Menschen.“ 472 „Gottkommt offenbar, unser Gott schweigt nicht;Feuer brennt auf vor seinem Angesichte, undum ihn her ist starkes Wetter.“ 473 „Feuer gehtvor ihm her und verzehrt ringsum seineFeinde.“ 474 „Denn siehe, es wird kommen derTag, entflammt wie ein Ofen.“ 475 UndNiem<strong>an</strong>d erwägt Das in seinem Geiste,sondern gleich Märchen wer<strong>den</strong> <strong>die</strong>seschauerlichen und fürchterlichen Dingeverachtet und beschimpft. Niem<strong>an</strong>d hört sie,Alle lachen und spotten dar<strong>über</strong>. Was für einAusweg wird uns bleiben? Woherwer<strong>den</strong> wir Rettung fin<strong>den</strong>? Wir sind zuGrunde geg<strong>an</strong>gen, wir sind zum Nichtsherabgesunken, sind unsern Fein<strong>den</strong> zumGelächter und <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong> und Teufeln zumGespötte gewor<strong>den</strong>.IV.Großes hat der Teufel im Pl<strong>an</strong>e; in stolzemÜbermuthe freut er sich; beschämt undniedergeschlagen sind alle unsereSchutzengel. Niem<strong>an</strong>d will sich bekehren;471 Mi 7,2472 Röm 1, 8473 Ps 49,3474 Ps 96,3475 Mal 4,1


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>vergebens haben wir Alles geth<strong>an</strong>; wir selbstwer<strong>den</strong> für albern gehalten. Jetzt ist es <strong>an</strong> derZeit, <strong>den</strong> Himmel <strong>an</strong>zurufen, weil Niem<strong>an</strong>dhört, und <strong>die</strong> Elemente zu Zeugen zunehmen: „Höret, ihr Himmel, und nimm eszu Ohren, o Erde, <strong>den</strong>n der Herr redet.“ 476Gebet <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d, ihr, <strong>die</strong> ihr noch nicht in <strong>den</strong>Fluthen vergraben lieget; reichet sie Denendar, welche in der Trunkenheituntergeg<strong>an</strong>gen sind: <strong>die</strong> Gesun<strong>den</strong> <strong>den</strong>Kr<strong>an</strong>ken, <strong>die</strong> Weisen <strong>den</strong> Rasen<strong>den</strong>, <strong>die</strong>Feststehen<strong>den</strong> Denen, <strong>die</strong> hin- undhergeworfen wer<strong>den</strong>! Niem<strong>an</strong>d, ich bitte,habe um der Rettung des Freundes willenirgend welche Rücksicht, und Vorwurf undTadel sollen nur auf Eines hinzielen, nämlichauf dessen Nutzen! Ist das Fieber eingetreten,d<strong>an</strong>n sind <strong>die</strong> Knechte Herren <strong>über</strong> ihreGebieter; <strong>den</strong>n wenn jenes brennt und <strong>die</strong>Seele verwirrt, und der Schwarm der Sklavendasteht, nimmt Keiner auf <strong>die</strong> HausgesetzeRücksicht, wenn der Herr dadurch zuGrunde ginge. Kehren wir um, ich bitte euch.Beständige Kriege, Schiffbrüche, unzähligeUnglücksfälle ringsum und der Zorn Gottesumdrängen uns von allen Seiten. Wir aberleben in solcher Sicherheit, als wären wirLieblinge (Gottes). Alle aber halten wir <strong>die</strong>Hände bereit, um zu <strong>über</strong>vortheilen, Keinerum zu helfen; Alle zum Raube, Keiner zumSchutze; ein Jeder ist voll Eifer, seinen Besitzzu vermehren, Keiner, demBedürftigen Hilfe zu bringen; ein Jeder hatgroße Sorge, wie er zu seinem Gelde neuesgewinne, Keiner, wie er seine eigene Seelerette. Eine Furcht erfüllt Alle: O daß wir dochnicht arm wer<strong>den</strong>! Daß wir aber nicht in <strong>die</strong>Hölle stürzen, dar<strong>über</strong> hat Niem<strong>an</strong>d Angstnoch Schrecken. Das ist der Thränen werth,Das ver<strong>die</strong>nt Vorwurf und Tadel. Ich habeaber <strong>die</strong>se Worte nicht sagen wollen, alleinder Schmerz hat mich <strong>über</strong>wältigt, verzeihetmir. Von der Betrübniß <strong>über</strong>wältigt habe ichVieles gesagt, was ich nicht sagen wollte. Icherkenne es: das Unglück ist groß, <strong>die</strong>Niederlage ist trostlos, <strong>die</strong> Übel, <strong>die</strong> unsbefallen haben, sind zu groß, als daß Trostmöglich wäre, wir sind zu Grunde geg<strong>an</strong>gen!„Wer gibt meinem Haupte Wasser undmeinen Augen eine Thränenquelle, daß ichweine?“ 477 Weinen wir, Geliebte! weinen wir,lassen wir unsern Klagen freien Lauf!Vielleicht sind Einige hier, <strong>die</strong> sagen: Nichtsals Thränen, Nichts als Thränen führt er imMunde. Ich wollte Dieß nicht, glaubet es mir,ich habe es nicht gewollt, sondern ich möchteeuch loben und erheben; aber <strong>die</strong> Zeitverl<strong>an</strong>gt es jetzt so! Das Weinen ist nichtsBöses, Geliebte, wohl aber,Beweinenswerthes zu thun; das Klagenbringt kein Unheil, wohl aber,Beklagenswertes zu thun! Bleibst du von derStrafe verschont, d<strong>an</strong>n trauere ich nicht;verfällst du nicht dem Tode (der Seele), d<strong>an</strong>nweine ich nicht. Aber wenn der Leib todtdaliegt, da ladest du Alle ein, <strong>an</strong> deinemSchmerze Theil zu nehmen, und hältstDiejenigen, welche nicht trauern, fürgefühllos; geht aber <strong>die</strong> Seele zu Grunde,d<strong>an</strong>n willst du Nichts von Trauer wissen.Aber ich k<strong>an</strong>n nicht Vater sein, ohne zuweinen; und ich bin ein zärtlich liebenderVater. Höret, wie Paulus klagt: „O meineKindlein, für <strong>die</strong> ich abermalsGeburtsschmerzen habe!“ 478 WelcheMutter, <strong>die</strong> gebären soll, k<strong>an</strong>n soeinschnei<strong>den</strong>de Worte vernehmen lassen wieJener? O wäre es doch vergönnt, das Feuerder Seele selbst zuschauen! M<strong>an</strong> würdewahrnehmen, daß ich mehr von Schmerzbrenne, als jedes Weib und jede junge Frau,<strong>die</strong> vor der Zeit Wittwe gewor<strong>den</strong>. Nicht sobetrauert <strong>die</strong>se ihren eigenen M<strong>an</strong>n, nocheine Mutter ihren Sohn, wie ich <strong>über</strong> <strong>die</strong> hierversammelte Schaar klage. Ich sehe garkeinen Fortg<strong>an</strong>g, nur Verleumdung und böse476 Is 1,2168477 Jer 9,1478 Gal 4,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Nachrede. Keiner thut ein Werk, um Gott zugefallen; sondern von Diesem, sagt m<strong>an</strong>,wollen wir Böses re<strong>den</strong> und von Jenem:Dieser ist nicht werth, daß er dem geistlichenSt<strong>an</strong>de <strong>an</strong>gehört, Jener führt einenLebensw<strong>an</strong>del, der sich nicht schickt.Während wir nothwendig hätten, unsereigenes Sün<strong>den</strong>elend zu beweinen, richtenwir Andere, was wir nicht einmal d<strong>an</strong>n thunsollten, wenn wir von Sün<strong>den</strong> rein wären.„Denn wer,“ heißt es, „unterscheidet dich?Was hast du, das du nicht empf<strong>an</strong>genhättest? Hast du es aber empf<strong>an</strong>gen, warumrühmst du dich, als hättest du es nichtempf<strong>an</strong>gen?“ 479 Was richtest du aber deinenBruder, da du selbst voll unzähliger Übelbist? Wenn du gesagt hast: Jener ist schlecht,ein Taugenichts, ein elender Mensch, so habeAcht auf dich selbst und erforsche scharfdeinen eigenen Zust<strong>an</strong>d, und du wirst Dasbereuen, was du gesagt hast. Denn es gibt, jaes gibt gar keine solche Mahnung zurTugend als <strong>die</strong> Erinnerung <strong>an</strong> <strong>die</strong>beg<strong>an</strong>genen Sün<strong>den</strong>. Wenn wir <strong>die</strong>se bei<strong>den</strong>Stücke bei uns erwägen, so können wir <strong>die</strong>verheissenen Güter erl<strong>an</strong>gen, können wir unsselbst rein und fleckenlos darstellen. Wollenwir nur einmal <strong>die</strong>se Überzeugung gewinnenund <strong>die</strong> Sache uns <strong>an</strong>gelegen sein lassen,Geliebte. Wollen wir hier im Geiste Schmerzempfin<strong>den</strong>, auf daß wir nicht dort durch <strong>die</strong>Züchtigung Qual ausstehen, sondern <strong>die</strong> ewigen Güter genießen, dort, woentflohen ist Schmerz, Trauer und Klage,damit wir der ewigen Güter, welche <strong>den</strong>menschlichen Verst<strong>an</strong>d <strong>über</strong>steigen,theilhaftig wer<strong>den</strong> in Christus Jesus. Ihm seiRuhm von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Vierundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.13. 14. 15. 16. Im Glauben sind Diese allegestorben und haben das Verheissene nichtempf<strong>an</strong>gen, sondern von Ferne es<strong>an</strong>geblickt und begrüßt, und habenbek<strong>an</strong>nt, daß sie Pilger und Fremdlinge aufEr<strong>den</strong> seien; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> so sprechen, geben zuerkennen, daß sie ein Vaterl<strong>an</strong>d suchen;und hatten sie etwa jenes gemeint, aus demsie ausgezogen waren, so hatten sie ja Zeit,wieder zurückzukehren; nun aberverl<strong>an</strong>gten sie nach einem bessern, das istdem himmlischen; darum schämet sich Gottnicht, ihr Gott zu heissen.Die erste und alle Tugend besteht darin, daßwir als Pilger und Fremdlinge in <strong>die</strong>ser Weltverweilen und Nichts gemein haben mit <strong>den</strong>Dingen hienie<strong>den</strong>, sondern von <strong>den</strong>selbenlosgeschält seien wie jene seligen Schüler,von <strong>den</strong>en es heißt: „Sie gingen umher inSchafspelzen und Ziegenfellen, M<strong>an</strong>gellei<strong>den</strong>d, gedrängt, mißh<strong>an</strong>delt; ihrer war <strong>die</strong>Welt nicht werth.“ 480 Jene nun habenbek<strong>an</strong>nt, daß sie Fremdlinge seien,Paulus aber hat noch weit mehr gesagt: er hatsich nicht einfach für einen Fremdlingerklärt, sondern er hat ausgesprochen, daß erder Welt und <strong>die</strong> Welt ihm abgestorben sei;„<strong>den</strong>n mir,“ sagt er, „ist <strong>die</strong> Welt gekreuzigtund ich der Welt.“ 481 Wir aber sind hier wieBürger und leben gerade wie Bürger, undunsere g<strong>an</strong>ze Thätigkeit ist auf <strong>die</strong>se Weiseeingerichtet; und wie <strong>die</strong> Gerechten der Weltfremd und abgestorben waren, so verhaltenwir uns in Bezug auf <strong>den</strong> Himmel; wie aberJene für <strong>den</strong> Himmel lebten und sicheinrichteten, so stehen wir zur Welt. Darumsind wir auch dem Tode verfallen, weil wirdas wahre Leben ausgeschlagen und <strong>die</strong>seszeitliche gewählt haben. Dadurch erzürnenwir Gott, weil wir, obgleich uns der Genußder himmlischen Güter in Aussicht steht,479 1 Kor 4,7169480 Hebr 11, 7 3481 Gal 6,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>auch nicht einmal so von <strong>den</strong> Dingen <strong>die</strong>serErde abstehen wollen, sondern uns wiegewisse Würmer aus <strong>die</strong>sem Erdbo<strong>den</strong> injenen und von <strong>die</strong>sem wieder in einen<strong>an</strong>dern bewegen, und weil wir auch nicht einWeniges empor kommen und <strong>den</strong>menschlichen Verhältnissen zu entsagen unsentschließen, und wie in einen gewissenSchwindel, in Schlafsucht und Trunkenheitversunken, in Luftgebil<strong>den</strong> verf<strong>an</strong>genniedergeworfen daliegen. Und wieDiejenigen, <strong>die</strong> einen süßen Schlaf haben,nicht allein während der Nacht, sondernauch selbst bei <strong>an</strong>brechendem Morgen, undwenn es schon heller Tag gewor<strong>den</strong>, im Betteliegen und ohne Scham dem Vergnügenfröhnen, <strong>die</strong> Zeit der Thätigkeit und desFleisses zu einer Zeit des Schlafes und derFaulheit machen: so thun auch wir, wenn derTag her<strong>an</strong>kommt und <strong>die</strong> Nacht schwindet,oder vielmehr da es schon wirklich Tag ist, -„<strong>den</strong>n wirket,“ heißt es, „so l<strong>an</strong>ge es Tagist,“ 482 Alles, was bei Nacht geschieht; wirschlafen, träumen und schwelgen inPh<strong>an</strong>tasiebildern. Die Augen des Geistes unddes Leibes sind uns verschlossen, und wir plaudern Unsinn und schwatzenunverständiges Zeug; und wenn uns Jem<strong>an</strong>deinen wuchtigen Schlag versetzte, so wür<strong>den</strong>wir es nicht merken; und wenn er uns auchunser g<strong>an</strong>zes Vermögen raubte und selbstunser Haus in Br<strong>an</strong>d steckte; oder vielmehr,wir warten nicht ab, bis Dieses Andere thun,sondern vollbringen es in eigener Person,indem wir uns selbst tagtäglich stechen undverwun<strong>den</strong> und schändlich daliegen undalles Ansehens und aller Ehre bar unsereSch<strong>an</strong>dthaten weder selbst verbergen nochauch Andere Dieses thun lassen und, um <strong>die</strong>Schmach voll zu machen, Allen, <strong>die</strong>vor<strong>über</strong>gehen und es sehen, zum Gelächterund zum tausendfältigen Spotte hingestrecktdaliegen. Glaubt ihr nicht, daß selbst <strong>die</strong>Bösen ihre Gesinnungsgenossen verlachenund verurtheilen? Denn weil Gott in uns einunbestechliches Gericht hineingelegt hat, dasnie und nimmer zerstört wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n, undwären wir auch bis in <strong>den</strong> Abgrund desVerderbens versunken, darum verurtheilensogar <strong>die</strong> Bösen sich selbst; und wenn sieJem<strong>an</strong>d mit dem rechten Namen bezeichnet,so schämen sie sich und wer<strong>den</strong> ärgerlichund nennen es Frechheit. So verdammen sie,wenn auch nicht durch ihre Werke, so dochdurch Worte, was sie thun, in ihremGewissen oder vielmehr auch durch ihreWerke. Denn weil sie ihre Werke heimlichund im Verborgenen thun, erbringen sie ja<strong>den</strong> klarsten Beweis, was für eine Meinungsie von <strong>den</strong>selben haben. Das Laster istnämlich so offenbar (abscheulich), daß selbstDiejenigen, welche ihm fröhnen, esverdammen; und <strong>die</strong> Tugend ist sobeschaffen, daß sie auch bei Denen inBewunderung steht, <strong>die</strong> derselben nichtnachstreben. Denn auch der Unzüchtige lobt<strong>die</strong> Keuschheit, und der Habsüchtigeverdammt <strong>die</strong> Ungerechtigkeit, und derZornmüthige bewundert <strong>die</strong> Geduld undtadelt <strong>den</strong> Kleinmuth, und der Ausgelassene<strong>die</strong> Ausschweifung. Warum begeht er <strong>den</strong>n,sagt m<strong>an</strong>, Derartiges? Aus großerFahrlässigkeit und keineswegs in derÜberzeugung, als sei Dieses gut, weil er sichsonst darob nicht schämen und sich nichtaufs Leugnen verlegen würde, wenn er<strong>an</strong>geklagt wird. Viele sind auch, weilsie <strong>die</strong> Sch<strong>an</strong>de nicht ertragen wollten,zuvorgekommen und haben sich selbsterdrosselt; so mächtig ist in uns das Zeugnißfür Ehrbarkeit und Sitte; so auch ist das Gutestrahlender als <strong>die</strong> Sonne und das Gegentheilhäßlicher als Alles.II.482 Joh 9,4170


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Fremdlinge und Pilger waren <strong>die</strong> Heiligen.Wie und in welcher Weise? Wo aber hatAbraham bek<strong>an</strong>nt, daß er ein Fremdling undPilger sei? Vielleicht hat er es selbstausgesprochen, daß aber David es bek<strong>an</strong>nthat, weiß wohl Jeder; und höre ihn selbstre<strong>den</strong>: „Denn ein Fremdling bin ich und einPilger wie alle meine Väter.“ 483 Denn <strong>die</strong> inZelten wohnten und für Geld sich Gräberkauften, waren auf <strong>die</strong>se Weise offenbarFremdlinge, so daß sie nicht einmal hatten,wo sie ihre Todten begraben konnten. Wienun? N<strong>an</strong>nten sie sich Fremdlinge nur injenem L<strong>an</strong>de, in Palästina nämlich? Gewißnicht, sondern auf dem g<strong>an</strong>zen Erdkreise,und natürlich; <strong>den</strong>n sie gewahrten daselbstNichts, wornach sie verl<strong>an</strong>gten, sondernAlles war ihnen fremd und un<strong>an</strong>gehörig. Sienun wollten <strong>die</strong> Tugend üben. Hier aber, wodas Böse so mächtig war und ihnen alleDinge fremd waren, hatten sie ausser einigenwenigen keine Freunde, keine Genossen. Wieaber waren sie Fremdlinge? Sie kümmertensich nicht um das Weltliche und zeigten Dießnicht nur durch Worte, sondern auch durchihre Werke. Wie und auf welche Weise? Gottsprach zu Abraham: „Verlaß das L<strong>an</strong>d,“ 484welches du als dein Vaterl<strong>an</strong>d betrachtest,und komm in ein fremdes; und ohne <strong>an</strong> <strong>die</strong>Heimath gefesselt zu sein, verließ er dasselbeso frei von Trennungsschmerz, als sollte eraus der Fremde w<strong>an</strong>dern. Er sprach zu ihm:„Opfere deinen Sohn;“ 485 und er brachte, alshätte er keinen Sohn, ihn zum Opfer; und erbrachte ihn dar, als hätte er kein natürlichesGefühl. Sein Vermögen besaß er alsGemeingut für Alle, <strong>die</strong> zu ihm kamen, under legte keinen Werth darauf; <strong>den</strong> Vorr<strong>an</strong>gtrat er <strong>an</strong> Andere ab; sich selbst setzte erGefahren aus; er duldete tausenderleiUngemach. Er baute keine prächtigenHäuser, noch führte er ein weichliches483 Ps 38,13484 Gen 12,1485 Gen 22,2171Lebens weder auf Kleider noch auf sonstetwas Zeitliches verwendete er seine Sorge,sondern er lebte und h<strong>an</strong>delte g<strong>an</strong>z alsBürger der jenseitigen Stadt und übteGastfreundschaft,Bruderliebe,Barmherzigkeit, Geduld und Verachtung desgegenwärtigen Ruhmes und derReichthümer und aller <strong>an</strong>dern Dinge. Geradeso war auch sein Sohn. Verfolgt und bekriegtwich er und machte Platz, als halte er sich inder Fremde auf; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Frem<strong>den</strong> ertragenihre Bedrückung wie Solche, <strong>die</strong> nicht imVaterl<strong>an</strong>de wohnen. Und als er sein Weibverlor, ertrug er auch Dieß wie einFremdling; aber nach Oben war sein g<strong>an</strong>zesStreben gerichtet, indem er in AllemEnthaltsamkeit und Ehrbarkeit <strong>an</strong> <strong>den</strong> Taglegte. Denn nachdem er einen Sohnbekommen hatte, pflegte er mit seinemWeibe keinen weitern Umg<strong>an</strong>g, und er hattesie zur Frau genommen, nachdem bei ihm<strong>die</strong> Blüthe der Jugend schon vor<strong>über</strong> war,um zu zeigen, daß er sich nicht von derSinnlichkeit habe leiten lassen, sondern einDiener der Verheissung Gottes sei. Wieverhält es sich aber mit Jakob? Suchte ernicht Brod nur und Kleidung, um welcheDinge Fremdlinge, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> äussersteArmuth geriethen, in der That bitten? Wurdeer nicht vertrieben und ging fort wie einFremdling? Diente er nicht um Lohn?Erduldete er nicht unzählige Mühsale undw<strong>an</strong>derte allenthalben umher wie einFremdling? Dieses aber ertrugen sie zumBeweise, daß sie ein <strong>an</strong>deres Vaterl<strong>an</strong>dsuchten. Ha, welche ein Unterschied. Jenelitten je<strong>den</strong> Tag Geburtsschmerzen undwünschten, sich von hier zu entfernen undnach ihrem Vaterl<strong>an</strong>de zurückzukehren; wiraber thun das Gegentheil. Denn befällt unsein Fieber, so lassen wir Alles fahren undwinseln wie kleine Kinder und sind vollTodesfurcht. Und mit Recht erfahren wirDas; <strong>den</strong>n weil wir hienie<strong>den</strong> nicht wie Fremdlinge weilen noch als solche mit


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Verl<strong>an</strong>gen nach dem Vaterl<strong>an</strong>de streben,sondern uns verhalten, als gingen wir nachdem Bestimmungsort unserer Strafe, darumwer<strong>den</strong> wir von Schmerz gefoltert, weil wiruns der Dinge nicht, wie es Pflicht ist,be<strong>die</strong>nen, sondern <strong>die</strong> Ordnung umgekehrthaben. Daher weinen wir, wo wir uns freuensollten; daher sind wir starr vor Angst wieMörder und Räuber<strong>an</strong>führer, <strong>die</strong> vor demRichterstuhle erscheinen sollen und nun alleihre Gräuelthaten im Geiste erwägen unddarob in Furcht und Schrecken versetzt sind.Jene aber waren nicht also, sondern zeigtenEile (in’s Vaterl<strong>an</strong>d zu gel<strong>an</strong>gen). Aber auchPaulus seufzte. Höre, was er sagt: „Aber auchwir selbst, <strong>die</strong> wir in <strong>die</strong>ser Hütte wohnen,seufzen belastet.“ 486 So waren Diejenigen,welche dem Abraham nahe st<strong>an</strong><strong>den</strong>.Fremdlinge, sagt er, waren sie auf der g<strong>an</strong>zenErde und suchten ihr Vaterl<strong>an</strong>d. Welchesaber war <strong>die</strong>ses? Etwa das sie verlassenhatten? Keineswegs; <strong>den</strong>n was hinderte sie,wenn sie gewollt hätten, dorthinzurückzukehren und daselbst Bürger zuwer<strong>den</strong>? Sie suchten das himmlischeVaterl<strong>an</strong>d. So strebten sie also nach derAbwesenheit von hier, und so gefielen sieGott; darum schämt sich Gott nicht, ihr Gottzu heissen. Ha, welche Würde! Ihr Gott willer heissen. Was sagst du? Er wird Gott derErde und Gott des Himmels gen<strong>an</strong>nt, und dustellst es als etwas Großes hin, daß er sichnicht schäme, ihr Gott zu heissen? Ja, etwasGroßes und in der That etwas Großes istDieses und das Zeugniß eines hohenGlückes? Wie <strong>den</strong>n? Gott des Himmels undder Erde wird er auf gleiche Art gen<strong>an</strong>nt, wieer auch Gott der Hei<strong>den</strong> heißt; und zwar Gottdes Himmels und der Erde, weil er <strong>die</strong>selbenerschaffen und gegründet hat; aber Gott jenerHeiligen wird er nicht auf <strong>die</strong>selbe Weisegen<strong>an</strong>nt, sondern wie als ihr wirklicherFreund. Ich will euch Dies <strong>an</strong> einem486 2 Kor 5,4172Beispiele klar machen. Es wer<strong>den</strong> ja von <strong>den</strong>Bewohnern großer Häuser <strong>die</strong>jenigenVorsteher des Hauses, <strong>die</strong> ein g<strong>an</strong>zbesonderes Ansehen haben und Allesverwalten und bei <strong>den</strong> Herrschaften großesVertrauen genießen, auch „Herren“ gen<strong>an</strong>nt;und m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n Viele, <strong>die</strong> so gen<strong>an</strong>nt wer<strong>den</strong>,fin<strong>den</strong>. Was aber spreche ich? Wie gesagtwer<strong>den</strong> konnte: der Gott nicht allein derVölker, sondern des g<strong>an</strong>zen Erdkreises, sokonnte auch gesagt wer<strong>den</strong>: der GottAbrahams. Aber ihr wisset nicht, wie groß<strong>die</strong>se Würde ist, da wir <strong>die</strong>selbe nichterl<strong>an</strong>gen; <strong>den</strong>n wie jetzt Gott der Herr allerChristen gen<strong>an</strong>nt wird, und <strong>die</strong>ser Name<strong>den</strong>noch unsern Werth <strong>über</strong>steigt, sobe<strong>den</strong>ke, welche Größe darin liegt, wenn erEines Gott gen<strong>an</strong>nt wird. Der Gott desErdkreises schämt sich nicht, der GottDreier 487 zu heissen, und mit Recht; <strong>den</strong>nnicht mit dem Erdkreise, sondern mitunzähligen solchen stehen in gleichemWerthe <strong>die</strong> Heiligen: „Denn Einer, der <strong>den</strong>Willen des Herrn thut, ist besser als tausendGottlose.“ 488 Daß sie aber auf <strong>die</strong>se Weise sichselbst Fremdlinge n<strong>an</strong>nten, ist klar. Gesetztaber, sie hatten sich <strong>die</strong>se Benennung wegendes frem<strong>den</strong> L<strong>an</strong>des gegeben, verhält es sich<strong>den</strong>n aber auch also mit David? War er nichtKönig? nicht Prophet? Lebte er nicht inseinem eigenen Vaterl<strong>an</strong>de? Weßhalb sagt ernun: „Ich bin ein Fremdling und einPilger?“ 489 Wie bist du ein Fremdling? „Wiealle meine Väter,“ sagt er. Siehst du, daßauch jene Fremdlinge waren? Wir haben einVaterl<strong>an</strong>d, will er sagen, aber nicht daswahre Vaterl<strong>an</strong>d. Wie aber bist du einFremdling? Insoferne ich auf der Erde weile.Also sind auch Jene Fremdlinge; <strong>den</strong>n wieJene es sind, so ist es auch Dieser, undumgekehrt. 487 Abrahams,Isaaks und Jakobs488 Ekkli 16 ,3489 Ps 38,13


III.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Seien wir daher jetzt auch Fremdlinge, damitsich Gott nicht schäme, unser Gott zuheissen; <strong>den</strong>n es gereicht ihm zur Schmach,wenn er böser Menschen Gott gen<strong>an</strong>nt wird;und er schämt sich derselben, sowie erverherrlichet wird, wenn er der braven undder guten und der tugendhaften MenschenGott ist. Denn wir vermei<strong>den</strong> es ja, Herrenunserer schlechten Knechte zu heissen, un<strong>den</strong>tlassen sie; und wenn Jem<strong>an</strong>d käme undsagte: Jener verübt wahllose Missethaten, ister etwa dein Knecht? so wür<strong>den</strong> wir alsbalderwiedern: keineswegs und <strong>die</strong> Sch<strong>an</strong>de vonuns wälzen. Der Knecht hat nämlich einnahes Verhältniß zu seinem Herrn, und <strong>die</strong>Sch<strong>an</strong>de jenes fällt mit auf <strong>die</strong>sen, was nochviel mehr bei Gott der Fall ist. Aber Jenestrahlten so hell und waren so vollVertrauen, daß er sich nicht nur nichtschämte, von ihnen so gen<strong>an</strong>nt zu wer<strong>den</strong>,sondern daß er von sich selbst sagte, er seider „Gott Abrahams, der Gott Isaaks und derGott Jakobs.“ 490 Seien, Geliebte, auch wirFremdlinge, auf daß Gott sich unser nichtschäme, ja sich unser nicht schäme und unsnicht in <strong>die</strong> Hölle stürze! So waren Jene,welche sprachen: „Herr! haben wir nichtgeweissagt in deinem Namen? Haben wirnicht viele Wunder gewirkt in deinemNamen?“ 491 Aber höret, was Christus zuihnen spricht: „Ich kenne euch nicht.“ Sowür<strong>den</strong> auch wohl <strong>die</strong> Herren der bösenKnechte, wenn <strong>die</strong>se zu ihnen gelaufenkämen, h<strong>an</strong>deln, um <strong>die</strong> Sch<strong>an</strong>de von sich zuwälzen. „Ich kenne euch nicht,“ sagt er. Wiestrafst du nun Diejenigen, <strong>die</strong> du nichtkennst? „Ich kenne euch nicht“ habe ich ineinem <strong>an</strong>dern Sinne gesprochen, d. i. ichverleugne euch und weise euch ab. O daßwir nur nicht <strong>die</strong>se vernichtende undschaudervolle Stimme vernehmen! Dennwenn Diejenigen, welche Teufel ausgetriebenund geweissagt haben, verleugnet wur<strong>den</strong>,weil ihr Lebensw<strong>an</strong>del ihren Worten nichtentsprach, um wie viel mehr wird<strong>die</strong>ses Loos uns treffen? Es istwahrscheinlich, daß sie später ausartetenund böse wur<strong>den</strong>, deßhalb auch ihr früheresTugendleben keinen Nutzen brachte; <strong>den</strong>nm<strong>an</strong> muß nicht allein glänzend beginnen,sondern noch glänzender en<strong>den</strong>. Denn sagemir, beeifert sich nicht der Redner, seinerRede einen glänzen<strong>den</strong> Schluß zu verleihen,um mit Beifall abzutreten? Sucht nicht deröffentliche Beamte <strong>die</strong> letzten H<strong>an</strong>dlungenseiner Verwaltung in noch hellerem Gl<strong>an</strong>zeerscheinen zu lassen? Ist für <strong>den</strong> Athleten,wenn seine Schlußthaten nicht besondershervorstrahlen, und wenn er bis zum Endegesiegt hätte, aber, nachdem er <strong>über</strong> AlleSieger gewor<strong>den</strong>, nun vom Letzten<strong>über</strong>wun<strong>den</strong> würde, nicht Alles vergebens?Hat nicht der Steuerm<strong>an</strong>n, und wenn er dasg<strong>an</strong>ze Meer durchschifft hätte, sein Schiffaber im Hafen zu Grunde ginge, seine g<strong>an</strong>zefrühere Arbeit eingebüßt? Wie verhält es sichaber mit dem Arzte? Hat er, wenn er <strong>den</strong>Kr<strong>an</strong>ken von seinen Lei<strong>den</strong> befreit hat,<strong>den</strong>selben aber, da er ihn vollständig heilenwill, zu Grunde richtet, nicht Alles verloren?So steht es auch mit der Tugend. Alle, welchemit dem Anf<strong>an</strong>g <strong>den</strong> darauffolgen<strong>den</strong> Schlußnicht in Harmonie und Übereinstimmungbrachten, sind verunglückt und zu Grundegeg<strong>an</strong>gen. So beschaffen sind Diejenigen, <strong>die</strong>aus <strong>den</strong> Schr<strong>an</strong>ken der Rennbahn hehr undstolz hervorspringen, d<strong>an</strong>n aber schlaff undweichlich wer<strong>den</strong>; der Kampfpreis geht fürsie verloren, und der Herr kennt sie nicht.Hören wir Dieß, <strong>die</strong> wir von Geldgierbrennen; <strong>den</strong>n darin liegt <strong>die</strong> größteGesetzesverletzung! „Denn <strong>die</strong> Wurzel allerÜbel,“ heißt es, „ist <strong>die</strong> Habsucht.“ 492 Hören490 Ex 3,7491 Mt 7,22173492 1 Tim 6,10


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wir es, <strong>die</strong> wir <strong>die</strong> vorfindlichenBesitzthümer noch vermehren wollen; hörenwir, und stehen wir endlich ab von derHabsucht, damit wir nicht <strong>die</strong> Worte wieJene vernehmen! Hören wir sie jetzt undhüten wir uns, damit wir sie nicht einst hörenmüssen; hören wir sie jetzt mit Furcht, damitwir sie alsd<strong>an</strong>n nicht <strong>an</strong>hören undStrafe lei<strong>den</strong>! „Weichet von mir,“ heißt es,„ich habe euch niemals gek<strong>an</strong>nt,“ 493 auchdamals nicht, sagt er, als ihr Weissagungengesprochen und Teufel ausgetrieben habt.Wahrscheinlich deutet er hier auch nochetwas Anderes <strong>an</strong>, daß sie nämlich auchdamals einen schlechten Lebensw<strong>an</strong>delführten. Im Anf<strong>an</strong>ge aber wirkte <strong>die</strong> Gnadeauch durch Unwürdige; <strong>den</strong>n, wenn siedurch Balaam wirkte, um wie viel mehrdurch Unwürdige und Dieß um Derer willen,<strong>die</strong> Nutzen ziehen sollten. Wenn aber auchZeichen und Wunder von der Strafe nichtfrei zu machen vermögen, um wie viel mehrwird Dieß der Fall sein, wenn auch Einer mitder priesterlichen Würde bekleidet wäre;wenn er auch <strong>die</strong> höchste Ehre besäße; wennauch <strong>die</strong> Gnade der Händeauflegung wirkte,und wenn sie auch zu allem <strong>an</strong>dern umDerer willen, welche der Vorsteher bedürfen,thätig wäre: - auch er wird <strong>die</strong> Wortevernehmen: ich habe dich niemals gek<strong>an</strong>nt,auch da nicht, als <strong>die</strong> Gnade in dir wirksamwar. Ha! welche Reinheit des Lebens wirddort verl<strong>an</strong>gt! Wie wird sie aus sich selbst imSt<strong>an</strong>de sein, uns ins Himmelreich zu führen?Wie aber läßt sie, wenn sie fehlt, <strong>den</strong>Menschen zu Grunde gehen, und wirkt erauch unzählige Zeichen und Wunder. DennNichts erfreut Gott so wie ein musterhafterW<strong>an</strong>del: „Wenn ihr mich liebt,“ heißt es; ersagt nicht: Thut Zeichen, sondern was?„Haltet meine Gebote!“ 494 Und wieder: „Ichnenne euch Freunde,“ nicht wenn ihr Teufelausgetrieben habt, sondern: „wenn ihr meineGebote haltet.“ 495 Denn Jenes ist eine Fruchtder göttlichen Gnade, Dieses aber neben dergöttlichen Gnade auch der Erfolg unseresEifers. Bemühen wir uns, Freunde Gottes zuwer<strong>den</strong>, und bleiben wir nicht seine Feinde!Immer sagen wir Dieses, dazu ermuntern wirfortwährend uns und euch; übrigens fehltder Erfolg, und darum befällt mich Furcht.Und ich selbst wünschte zu schweigen, um<strong>die</strong> Gefahr für euch nicht zu vermehren; <strong>den</strong>n Etwas oft hören und esnicht thun heißt <strong>den</strong> Herrn erzürnen. Aberich selber fürchte eine <strong>an</strong>dere Gefahr, <strong>die</strong> desSchweigens, wenn ich nämlich, der ich zumDienste des Wortes berufen bin, stumm seinwollte. Was wer<strong>den</strong> wir also thun, umRettung zu fin<strong>den</strong>? Lasset uns mit derTugend beginnen, so l<strong>an</strong>ge wir noch Zeithaben! Wir wollen uns <strong>die</strong> Tugen<strong>den</strong> wie <strong>die</strong>L<strong>an</strong>dleute ihre Feldarbeiten vertheilen. In<strong>die</strong>sem Monate wollen wir das Schmähen,<strong>den</strong> Übermuth, <strong>den</strong> ungerechten Zornbeherrschen und wollen uns selbst ein Gesetzgeben und sagen: Heute wollen wir <strong>die</strong>sesGute vollbringen. In dem nächsten Monatewollen wir uns in der Geduld ausbil<strong>den</strong> undin einem weitern Monate in einer <strong>an</strong>dernTugend. Und befin<strong>den</strong> wir uns im Besitz<strong>die</strong>ser Tugend, so gehen wir zu einer <strong>an</strong>dern<strong>über</strong>, sowie wir es auch bei <strong>den</strong>Wissenschaften machen, wo wir dasErworbene festhalten und Andereshinzugewinnen. D<strong>an</strong>n wollen wir zurVerachtung des Geldes gel<strong>an</strong>gen, wollenzuerst unsere Hände von der Habsucht reinhalten und d<strong>an</strong>n Almosen geben. Wir wollennicht Alles ohne Weiteres durchein<strong>an</strong>derwerfen, indem wir nämlich mit <strong>den</strong>selbenHän<strong>den</strong> rauben und Almosen spen<strong>den</strong>.Hierauf kommen wir zu einer <strong>an</strong>dernTugend und von <strong>die</strong>ser wieder zu einerweitern. „Schamlosigkeit, thörichtes Gerede,Possen,“ heißt es, „sollen unter euch nicht493 Mt 7,23494 Joh 14,15174495 Joh 15,10.15


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>einmal gen<strong>an</strong>nt wer<strong>den</strong>.“ 496 Dieses wollenwir also getreulich thun. Dabei ist wederAusgabe noch Arbeit noch Schweißerforderlich; wir brauchen nur zu wollen,und Alles vollendet sich. Es ist nicht nöthig,einen weiten Weg zurückzulegen, noch einunermeßliches Meer zu durchschiffen,sondern nur Eifer und Entschlossenheit zuzeigen und der Zunge gegen <strong>die</strong> unzeitigenErgüsse des Übermuthes einen Zaum<strong>an</strong>zulegen. Verb<strong>an</strong>nen wir aus unserer Seele<strong>den</strong> Zorn, <strong>die</strong> bösen Begier<strong>den</strong>, dasWohlleben, <strong>den</strong> Prachtaufw<strong>an</strong>d, <strong>die</strong>Geldgier, <strong>die</strong> Eidbrüche und <strong>die</strong> beständigen Eide! Wenn wir uns selbst eine solchePflege <strong>an</strong>gedeihen lassen, indem wir vorher<strong>die</strong> Dornen vertilgen und <strong>den</strong> himmlischenSamen ausstreuen, können wir <strong>die</strong>verheissenen Güter erl<strong>an</strong>gen. Denn derL<strong>an</strong>dm<strong>an</strong>n wird kommen und uns in seineScheune bringen, und wir wer<strong>den</strong> alle Gütererhalten, welcher wir Alle theilhaftig wer<strong>den</strong>mögen durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht, Ehre undAnbetung jetzt und alle Zeit und vonEwigkeit zu Ewigkeit. Amen. Fünfundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.17. 18. 19. Im Glauben hat Abraham, da ergeprüft ward, <strong>den</strong> Isaak dargebracht und<strong>den</strong> Eingebornen geopfert, er, der <strong>die</strong>Verheissungen empf<strong>an</strong>gen hatte, zu demgesagt wor<strong>den</strong>: In Isaak soll dirNachkommenschaft wer<strong>den</strong>. Er dachte, daßGott mächtig sei, auch von Todten zuerwecken, weßhalb er ihn auchgleichnißweise wieder erhielt.496 Eph 5,4175Wahrhaftig groß war Abraham’s Glaube;<strong>den</strong>n bei Abel, Noe und Henoch waren nurVernunfterwägungen im Kampfe mitein<strong>an</strong>der und nur menschliche Berechnungenzu <strong>über</strong>steigen; hier aber mußten nicht alleinsolche Erwägungen <strong>über</strong>wun<strong>den</strong>, sondern esmußte noch etwas Anderes, was mehr war,gezeigt wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n zwischen <strong>den</strong>Aussprüchen Gottes schien ein Widerstreitzu bestehen, und der Glaube kämpfte mitdem Glauben und der Befehl mit derVerheissung. So z. B. sprach Gott: „Geh’ ausdeinem L<strong>an</strong>de und aus deinerVerw<strong>an</strong>dtschaft und aus deines Vaters Haus, und ich werde dir <strong>die</strong>ses L<strong>an</strong>d (indas du kommen wirst) geben,“ 497 und er gabihm auch nicht einen Schritt breit Erb<strong>an</strong>theilin demselben. Siehst du, wie Dasjenige, wasgeschah, mit der Verheissung inWiderspruch steht? Wiederum spricht er:„Nach Isaak wird dein Same gen<strong>an</strong>ntwer<strong>den</strong>,“ 498 und er glaubte; und wieder sagter: Opfere mir Diesen, der da mit seinemSamen <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zem Erdkreis erfüllen soll!Siehst du <strong>den</strong> Kampf der Befehle mit derVerheissung? Er befahl Dinge, <strong>die</strong> dasGegentheil von <strong>den</strong> Verheissungen waren;aber auch so wurde der gerechte M<strong>an</strong>n nichtbestürzt und klagte nicht <strong>über</strong> Täuschung.Denn ihr, will er sagen, könnt nichtbehaupten, daß er euch Ruhe versprochenund Trübsal gegeben habe; <strong>den</strong>n hier thut er,was er vorhergesagt hat. Wie <strong>den</strong>n? „In derWelt,“ heißt es, „werdet ihr Bedrängnishaben.“ 499 „Wer sein Kreuz nicht auf sichnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nichtwerth.“ 500 Wer seine eigene Seele nicht haßt,der k<strong>an</strong>n mein Jünger nicht sein.“ 501 „Wernicht Allem entsagt, was er besitzt, und mirnachfolgt, ist meiner nicht werth.“ 502 Und497 Gen 12,1498 Gen 21,12499 Joh 16,33500 Mt 10,38501 Lk 14,26502 Lk 14,33


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wieder: „Vor Statthalter und Könige werdetihr geführt wer<strong>den</strong> um meinetwillen.“ 503 Undwieder: „Des Menschen Feinde wer<strong>den</strong> seineHausgenossen sein.“ 504 Hier ist <strong>die</strong> Trübsal,jenseits aber <strong>die</strong> Ruhe. Bei Abraham aberf<strong>an</strong>d das Gegentheil statt. Er empfing <strong>den</strong>Auftrag, zu thun, was mit <strong>den</strong>Verheissungen im Widerspruch st<strong>an</strong>d, undauch so gerieth er nicht in Verwirrung nochin Bestürzung, noch hielt er sich für betrogen;ihr aber erduldet Nichts, was mit <strong>den</strong>Verheissungen nicht im Einkl<strong>an</strong>ge stände,und ihr seid verwirrt. Jener hörte dasGegentheil des Verheissenen und zwar vonDem, der <strong>die</strong> Verheissung gemacht hatte,und er wurde nicht bestürzt, sondernh<strong>an</strong>delte, als wenn Übereinstimmungstattfände; <strong>den</strong>n es best<strong>an</strong>d Harmonie,Widerspruch zwar nach <strong>den</strong> Erwägungender menschlichen Vernunft, Harmonie aberim Lichte des Glaubens. Über das Wie hatuns der Apostel selbst belehrt in <strong>den</strong> Worten:„Er dachte, daß Gott mächtig sei, auch vonTodten zu erwecken.“ Was er aber sagt, istDieses: Durch <strong>den</strong>selben Glauben, durch <strong>den</strong>er es für gewiß hielt, daß er ihm einen Sohn,der noch nicht da war, schenken werde, hatteer auch <strong>die</strong> Überzeugung, daß er <strong>den</strong>Gestorbenen erwecken und <strong>den</strong>Geschlachteten neu beleben werde; <strong>den</strong>n eswar, menschlich betrachtet, ebenso schwer,aus einer erstorbenen und alten und zurGeburt schon unfähigen Mutter einen Sohnzu schenken, als einen Geschlachteten wiederzu erwecken. Aber <strong>den</strong>noch war er fest<strong>über</strong>zeugt; <strong>den</strong>n der vorhergehende Glaubebereitet für Zukünftiges <strong>den</strong> Weg. Übrigensaber sah auch Dieser das Angenehme zuerst,das Schmerzliche aber zuletzt in seinemAlter. Bei uns aber nehmen wir dasGegentheil wahr, sagt er: das Verdrießlichekommt zuerst, das Erfreuliche nachher. DieseWorte gelten für Diejenigen, welche es503 Mt 10,18504 Mt 10,36176wagen zu sprechen: nach dem Tode hat eruns <strong>die</strong> Güter verheissen, vielleicht hat er unsgetäuscht. Er zeigt, daß Gott mächtig sei,auch von <strong>den</strong> Todten zu erwecken. Wennaber Gott <strong>die</strong> Macht hat, nach dem To<strong>den</strong>eues Leben zu verleihen, d<strong>an</strong>n wird er auchg<strong>an</strong>z und gar Alles schenken. Wenn aberAbraham vor so vielen Jahren <strong>die</strong>Überzeugung hatte, daß Gott mächtig sei,auch von Todten zu erwecken, d<strong>an</strong>n müssenum so mehr wir von <strong>die</strong>sem Glauben beseeltsein. Siehst du, was ich bereits gesagt habe,daß der Tod noch nicht eingetreten war, under sie gleich zur Hoffnung der Auferstehunggeführt, und ihnen eine solche Glaubensfülleverliehen hat, daß sie auch dem Befehle, ihreeigenen Söhne zu opfern, von <strong>den</strong>en sieerwarteten, daß durch <strong>die</strong>selben der g<strong>an</strong>zeErdkreis werde bevölkert wer<strong>den</strong>, freudigeFolge leisteten? Er hat hier auch noch etwasAnderes in <strong>den</strong> Worten gesagt: „Gott hat <strong>den</strong> Abraham versucht.“ Wie nun? WußteGott nicht, daß er ein edler und tadelloserM<strong>an</strong>n war? G<strong>an</strong>z gewiß. Warum hat er ihnd<strong>an</strong>n versucht, wenn er Das wußte? Nichtdamit er selbst lerne, sondern um Andere zubelehren und dessen Edelsinn Allen vorAugen zu stellen. Hier zeigt er auch <strong>den</strong>Grund der Versuchungen, damit wir nichtwähnen, wir hätten als Verlassene Solches zudul<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n hier muß m<strong>an</strong> nothwendigVersuchungen bestehen, weil m<strong>an</strong> vieleVerfolger und Nachsteller hat. WelcheNothwendigkeit best<strong>an</strong>d aber dort, für ihnVersuchungen, <strong>die</strong> nicht best<strong>an</strong><strong>den</strong>,auszusinnen? Diese Versuchung traf alsooffenbar auf seinen Befehl ein; <strong>die</strong> <strong>an</strong>dernVersuchungen erfolgten zwar auf seineZulassung, <strong>die</strong>se aber ordnete er selbst <strong>an</strong>.Wenn daher <strong>die</strong> Versuchungen solcheTugendhaftigkeit verleihen, daß Gott, auchwenn kein besonderer Grund da ist, seineKämpfer übt, so müssen noch viel mehr wirAlles st<strong>an</strong>dhaft ertragen.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Mit Nachdruck sagt er hier: „Im Glauben hatAbraham, da er geprüft ward, <strong>den</strong> Isaakdargebracht;“ <strong>den</strong>n es war keine <strong>an</strong>dereUrsache, ihn zum Opfer zu verl<strong>an</strong>gen, als<strong>die</strong>se. In <strong>die</strong>sem Sinne bewegt sich seineBetrachtung nun weiter. Die Bemerkung, willer sagen, k<strong>an</strong>n nicht stattfin<strong>den</strong>, daß er nocheinen <strong>an</strong>dern Sohn hatte, von dem er <strong>die</strong>Erfüllung der Verheissung erwarten konnte,und wodurch er ermuthiget wor<strong>den</strong> sei,<strong>die</strong>sen zum Opfer zu bringen: „Und hat,“ sagter, „<strong>den</strong> Eingebornen geopfert, er, der <strong>die</strong>Verheißungen empf<strong>an</strong>gen hatte.“ Warum sagstdu: <strong>den</strong> „Eingebornen“? Wie verhält es sich<strong>den</strong>n mit Ismael? Woher war <strong>den</strong>n Dieser?Den „Eingeborenen“ sagt er, nenne ich ihn inBezug auf <strong>die</strong> Art und Weise derVerheissung; <strong>den</strong>n darum setzt er auch,nachdem er gesagt hatte: <strong>den</strong> „Eingebornen,“um zu zeigen, daß er in Bezug auf <strong>die</strong>sen sospreche, <strong>die</strong> Worte hinzu: „Zu dem gesagtwor<strong>den</strong> ist: In Isaak soll dir Nachkommenschaftwer<strong>den</strong>,“ d. i. von ihm. Siehst du, wieer Das bewundert, was vom Patriarchengeschehen ist. „In Isaak,“ hörte er, „soll dirNachkommenschaft wer<strong>den</strong>,“ und er brachteseinen Sohn als Schlachtopfer dar. Damitferner Niem<strong>an</strong>d wähne, er habe aus M<strong>an</strong>geldes Vertrauens also geh<strong>an</strong>delt und durch<strong>die</strong>sen Befehl jenen Glauben dar<strong>an</strong> gegeben,sondern damit er lerne, daß auch Dieß eineFrucht des Glaubens war, sagt er, daß er auchjenen Glauben festhielt, obgleich er <strong>die</strong>semzu widerstreiten schien. Aber es war keinWiderstreit da; <strong>den</strong>n er bemaß <strong>die</strong> MachtGottes nicht nach menschlichenBerechnungen, sondern <strong>über</strong>ließ Alles demGlauben. Darum scheute er sich auch nichtzu sagen, „daß Gott mächtig sei, auch vonTodten zu erwecken; weßhalb er ihn auchgleichnißweise wieder erhielt.“ d. i. in einemZeichen, im Widder, will er sagen. Wie <strong>den</strong>n?Denn da der Widder geschlachtet war, bliebIsaak unversehrt, so daß er ihn durch <strong>den</strong>Widder wieder erhielt, nachdem er nämlich177<strong>die</strong>sen für ihn geschlachtet hatte. Das sindaber gewisse Vorbilder; <strong>den</strong>n hier ist es derSohn Gottes, der geschlachtet wird. Undbetrachte, wie groß <strong>die</strong>Menschenfreundlichkeit ist! Denn da <strong>den</strong>Menschen ein großes Geschenk gegebenwer<strong>den</strong> sollte, und er <strong>die</strong>ses nicht aus Gnade,sondern wie ein Schuldner geben wollte,machte er, daß zuerst ein Mensch seineneigenen Sohn gemäß göttlichen Auftrageshingab, damit er nicht, indem er seineneigenen Sohn opferte, etwas Großes zugewähren schiene, da ja vor ihm ein MenschDieses geleistet habe, und daß nicht geglaubtwerde, daß er Dieß allein aus Gnade,sondern auch aus Pflicht thue. DennDenjenigen, welche wir lieben, wünschen wirdadurch etwas Angenehmes zu thun, daßwir scheinen, von ihnen vorher irgend Etwasempf<strong>an</strong>gen zu haben, um ihnen so das G<strong>an</strong>zezuzuwen<strong>den</strong>, und wir rühmen uns mehrDessen, was wir empf<strong>an</strong>gen, als was wirgegeben haben, und wir sagen nicht: Dießhaben wir ihm gegeben, sondern Dieß habenwir von ihm erhalten: „weßhalb er ihn auch,“sagt er, „gleichnißweise wieder erhielt,“d. i. wie in einem Räthsel; <strong>den</strong>n der Widderwar wie ein Gleichniß des Isaak, oder einBild desselben: <strong>den</strong>n weil das Opferdargebracht, und Isaak durch <strong>den</strong>Willensentschluß geschlachtet wor<strong>den</strong> war,darum schenkt er ihn dem Patriarchen.II.Siehst du, daß Dasjenige, was ich immersage, sich auch hier zeigt? Denn wenn sichunsere Gesinnung als eine vollkommeneerweist, und wir zeigen, daß wir <strong>über</strong> <strong>die</strong>irdischen Dinge hinwegsehen, - d<strong>an</strong>n schenkter uns auch <strong>die</strong>se, eher aber nicht, damitnicht das empf<strong>an</strong>gene Geschenk uns, <strong>die</strong> wirschon <strong>an</strong> <strong>die</strong>selben gefesselt sind, noch festerdar<strong>an</strong> binde. Entreisse, sagt er, vorerst dich


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>selbst der Sklaverei, und d<strong>an</strong>n empf<strong>an</strong>ge,damit du nicht mehr als Sklave, sondern alsHerr in <strong>den</strong> Besitz trittst. Verachte <strong>den</strong>Reichthum, und du wirst reich sein; verachte<strong>den</strong> Ruhm, und du wirst in Ehren stehen;verachte <strong>die</strong> Rache <strong>an</strong> <strong>den</strong> Fein<strong>den</strong>, und duwirst sie erl<strong>an</strong>gen; verachte <strong>die</strong> Ruhe, und duwirst sie besitzen, damit du, nachdem sie dirzu Theil gewor<strong>den</strong>, nicht wie einFesselbela<strong>den</strong>er, noch wie ein Sklave,sondern wie in vollem Genusse der Freiheitsie besitzest. Denn wie wir bei kleinenKnaben, wenn ein solcher Kinderspielzeugverl<strong>an</strong>gt, <strong>die</strong>se Gegenstände, z. B. <strong>den</strong> Ballund ähnliche Sachen sorgfältig verbergen,damit er nicht von Dem, was nothwendig ist,abgezogen werde; wenn ihm aber <strong>an</strong><strong>den</strong>selben Nichts mehr liegt und er darnachkeine Sehnsucht mehr hat, ohne Scheue ihm<strong>die</strong>selben zukommen lassen, indem wir <strong>die</strong>Gewißheit haben, daß für ihn daraus keinScha<strong>den</strong> entsteht, indem jenes Verl<strong>an</strong>gennicht mehr stark genug ist, ihn von demNothwendigen abzuziehen: so läßt auchGott, wenn er sieht, daß wir nicht mehr mitGier am Irdischen hängen, uns <strong>die</strong>selbengebrauchen; <strong>den</strong>n wir besitzen d<strong>an</strong>n<strong>die</strong>selben wie freie Männer und nicht wieKinder. Daß du aber, wenn du <strong>die</strong>Feindesrache verachtest, dich d<strong>an</strong>n wirklichrächest, höre, was er sagt: „Sondern wenndein Feind Hunger hat, so speise ihn; wenner Durst hat, so tränke ihn,“ - und fügt d<strong>an</strong>n hinzu: „Denn thust du Dieses, sowirst du feurige Kohlen auf sein Hauptsammeln.“ 505 Und wieder, daß du durch <strong>die</strong>Verachtung des Reichthums in dessen Besitzgel<strong>an</strong>gen werdest, höre, was Christus spricht:„Wer immer Vater oder Mutter, oder Hausoder Brüder verläßt, der wirdHundertfältiges dafür erhalten, und dasewige Leben besitzen.“ 506 Und daß du, wenndu <strong>den</strong> Ruhm verachtest, d<strong>an</strong>n ihn haben505 Röm 12,20506 Mt 19,29178wirst, höre wieder Christus selbst sprechen:„Wer unter euch groß wer<strong>den</strong> will, der seieuer Diener.“ 507 Und wieder: „Und wer sicherniedriget, der wird erhöhet wer<strong>den</strong>.“ 508Was sagst du? Wenn ich dem Feinde zutrinken gebe, werde ich ihn d<strong>an</strong>n strafen?Wenn ich meine Güter austheile, werde ich<strong>die</strong>selben d<strong>an</strong>n besitzen? Werde ich d<strong>an</strong>nhoch sein, wenn ich mich selbst erniedrige?Allerdings, sagt er; <strong>den</strong>n so ist meine Macht,daß ich Gegentheiliges durch Gegentheiligeswirke. Ich bin reich und erfinderisch, fürchtedarum nicht! Die Natur der Dinge ist meinemWillen unterworfen, nicht aber folge ich derNatur; ich wirke alle Dinge, werde aber von<strong>den</strong>selben nicht geleitet, weßhalb ich sie auchumbil<strong>den</strong> und verändern k<strong>an</strong>n. Und waswunderst du dich, daß es sich hierin alsoverhält? K<strong>an</strong>nst du doch Dasselbe in allemAndern fin<strong>den</strong>. Begehest du Unrecht, so trifftdich selbst Unrecht; leidest du Unrecht, sobleibst du davon verschont. Wenn du dichrächest, so bist du nicht gerächt, sondern hast<strong>an</strong> dir selbst Rache genommen: „Denn wer,“heißt es, „<strong>die</strong> Ungerechtigkeit liebt, hassetseine Seele.“ 509 Darum sagt auch Paulus:„Warum leidet ihr nicht lieber Unrecht?“ 510Siehst du, daß m<strong>an</strong> da kein Unrecht erfährt?Wenn du Schmach zufügst, wirst du mitSchmach bedeckt. Dieß wissen auch ihresTheils <strong>die</strong> Meisten; so sagt m<strong>an</strong> ja zuein<strong>an</strong>der: Gehen wir von hier weg, damit dudir nicht Sch<strong>an</strong>de zuziehest. Warum? Weilzwischen dir und Jenem ein großerUnterschied ist; <strong>den</strong>n so viel du schmähest,so viel Ruhm trägt Jener davon. Dieß wollenwir in Allem be<strong>den</strong>ken, und wir wer<strong>den</strong> <strong>über</strong><strong>die</strong> Schmähungen erhaben sein. Wie? will ichsagen. Wenn wir gegen Denjenigen selbst,der mit dem Purpur bekleidet ist, einen Streithaben, so halten wir dafür, daß wir durch <strong>die</strong>507 Mt 20,26508 Mt 23,12509 Spr 29,24510 1 Kor 6,7


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ihm zugefügten Unbil<strong>den</strong> uns selbstbeschimpfen; <strong>den</strong>n indem wir Jenen schelten,sind wir werth, Solches zu erfahren. Sag’ <strong>an</strong>,was redest du? Du, ein Bürger des Himmels,und im Besitze der himmlischen Weisheit,beschimpfst dich selbst mit Dem, der daIrdisches besorgt? Denn wenn er auchunzählige Reichthümer hat, und im Besitzeder Herrschaft ist, - dein Gut kennt er nochnicht. Beschimpfe dich selber nicht, indem duJenen schmähst. Schone dich selbst, nichtJenen; ehre dich selbst, nicht Jenen. Gibt esnicht ein Sprichwort: wer Ehre erweist, ehrtsich selbst? Natürliche <strong>den</strong>n er ehrt nichtJenen, sondern sich selbst. Höre, was einWeiser spricht: „Ehre deine Seele nach ihremVer<strong>die</strong>nste.“ 511 Was heißt das: „nach ihremVer<strong>die</strong>nste?“ Wenn dich Jem<strong>an</strong>d betrogenhat, so sei du kein Betrüger; wenn er dichbeschimpft hat, so schmähe du nicht. Sagemir, ich bitte, wenn irgend ein Armer Koth,der in deinem Hofe liegt, wegnähme,würdest du ihn deßwegen vor Gericht la<strong>den</strong>?Gewiß nicht. Warum? Um dich nicht selbstzu beschimpfen, und um der VerachtungAnderer zu entgehen. Das geschieht nunauch jetzt noch; <strong>den</strong>n arm ist der Reiche, undje mehr Reichthümer er hat, desto größer istseine wirkliche Armuth. Koth ist das Gold,und liegt im Hofe hingeworfen, nicht indeinem Hause; <strong>den</strong>n dein Haus ist derHimmel. Darum also willst du eine Klageerheben? Wer<strong>den</strong> dich <strong>die</strong> himmlischenBürger nicht verachten? Wer<strong>den</strong> sie dich ausihrem Vaterl<strong>an</strong>de nicht hinausstoßen, der duso niedrig und gemein bist, daß du eines unbedeuten<strong>den</strong> Kothes wegen einenStreit führen willst? Wenn <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Weltdein wäre, und sie dir Jem<strong>an</strong>d nähme, somüßtest du dadurch zur Umkehr gebrachtwer<strong>den</strong>.511 Ekkli 10,31179III.Weißt du nicht, daß der g<strong>an</strong>ze Erdkreis zehnMal und hundert Mal und zehntausend Malund doppelt so oft genommen, noch nicht<strong>den</strong> kleinsten Theil der himmlischen Güterausmacht? Wer daher <strong>die</strong> irdischen Güterbewundert, fügt jenen Schmach zu, weil er<strong>die</strong>selben seiner Sorge werth hält, <strong>die</strong> vondem himmlischen so weit <strong>über</strong>troffenwer<strong>den</strong>. Er wird aber auch jene nichtbewundern können; <strong>den</strong>n wie wäre Dasmöglich, da er bezüglich derselben vollängstlicher Sorgen ist? Durchschnei<strong>den</strong> wir<strong>den</strong>n endlich, wenn auch spät, ich bitte euch,<strong>die</strong> Seile und <strong>die</strong> Stricke, <strong>den</strong>n Das sind <strong>die</strong>irdischen Dinge. Wie l<strong>an</strong>ge beugen wir uns<strong>den</strong>n erdwärts? Wie l<strong>an</strong>ge verfolgen wirein<strong>an</strong>der, wie <strong>die</strong> wil<strong>den</strong> Thiere und wie <strong>die</strong>Fische? Oder vielmehr, <strong>die</strong> wil<strong>den</strong> Thierestellen ein<strong>an</strong>der nicht nach, sondern nur<strong>an</strong>derartigen Wesen. So zerreißt z. B. ein Bärnicht leicht einen Bären, noch tödtet <strong>die</strong>Schl<strong>an</strong>ge eine <strong>an</strong>dere, indem sie sich vor dergleichen Art scheuen. Denjenigen aber, dermit dir <strong>die</strong> gleiche Abstammung undunzählige Rechte gemein hat: <strong>die</strong>Verw<strong>an</strong>dtschaft, <strong>die</strong> Vernunft, <strong>die</strong>Erkenntniß Gottes, deinen Verw<strong>an</strong>dten alsound <strong>den</strong> Genossen derselben Natur mordestdu und bereitest ihm unsägliches Elend.Denn wenn auch dein Schwert ihm nicht in<strong>den</strong> Hals fährt, wird darum deine Rechtenicht in Blut getaucht? Du vollbringst, wasschwerer als Dieß ist, indem du ihn inbeständige Trauer versetzest. Thätest duJenes, so würdest du ihn von seinen Sorgenerlösen, jetzt aber <strong>über</strong>lieferst du ihn demHunger und der Knechtschaft, derVerzweiflung und vielen <strong>an</strong>dern Sün<strong>den</strong>.Diese Worte spreche ich, und werde nichtaufhören, also zu sprechen, nicht um euchzum Morde zu reizen, noch um euch zueinem geringern Vergehen, als <strong>die</strong>ses ist, zuver<strong>an</strong>lassen, sondern damit ihr nicht ein


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>dreistes Vertrauen habet, als würdetihr ungestraft bleiben: „Das Brod derArmen,“ heißt es, „ist das Leben der Armen;wer ihn darum bringt, ist ein Mörder.“ 512Halten wir daher endlich unsere Hände <strong>an</strong>uns, ich bitte euch, halten wir sie <strong>an</strong> uns,oder vielmehr, halten wir sie nicht <strong>an</strong> uns,sondern strecken wir <strong>die</strong>selben schön aus,nicht im Dienste der Habsucht, sondern zumAlmosenspen<strong>den</strong>. Unsere H<strong>an</strong>d sei nichtunfruchtbar noch dürr; <strong>den</strong>n wenn sie keineAlmosen spendet, ist sie dürr; wenn sie dabeinoch von der Habsucht geführt wird, ist sieverrucht und schmutzig. Niem<strong>an</strong>d esse mitsolchen Hän<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n es wäre eine Schmachfür <strong>die</strong> gela<strong>den</strong>en Gäste. Denn sage mir,wenn Jem<strong>an</strong>d auf Teppichen und einerweichen Decke und goldgestickter Leinw<strong>an</strong>din einem prachtvollen und großen Hause unsPlatz nehmen ließe, und eine große MengeDiener zur Verfügung <strong>an</strong>stellte, und einenTisch aus Gold und Silber bereitete, undnachdem er ihn mit <strong>den</strong> kostbarsten undm<strong>an</strong>nigfaltigsten Speisen vollgestellt, uns zuessen nöthigte, wenn wir nun dul<strong>den</strong>wollten, daß er selbst mit schmutzigen undmit Menschenkoth beschmierten Hän<strong>den</strong>sich niederlasse: würde wohl Einer <strong>die</strong>sePlage ertragen und das G<strong>an</strong>ze nicht für eineSchmach halten? Ich wenigstens glaube es,und er würde wohl rasch davon laufen. Jetztaber erblickst du nicht bloß <strong>die</strong> Hände mitwahrhaftigem Kothe besudelt, sondern auch<strong>die</strong> Speisen selbst sind davon voll und duläufst nicht weg, du fliehest nicht, du sprichstdich nicht tadelnd aus; sondern wenn er sichim Gl<strong>an</strong>ze der Herrschaft befindet, so hältstdu Das für Etwas gar Großes, und du richtestdeine Seele zu Grunde, indem du solcheSpeisen genießest; <strong>den</strong>n schlimmer alsjeglicher Koth ist <strong>die</strong> Habsucht; <strong>den</strong>n siebesudelt <strong>die</strong> Seele, nicht <strong>den</strong> Leib, und derSchmutz ist schwer wegzusäubern. Wenn dunun siehst, daß er sich zu Tische niederläßt,und mit <strong>die</strong>sem Kothe <strong>an</strong> <strong>den</strong>Hän<strong>den</strong> und im Gesichte beschmutzt ist, unddaß das g<strong>an</strong>ze Haus und der Tisch volldavon sind (<strong>den</strong>n schmutziger undabscheulicher als Koth, und was nocheckelhafter als solcher ist, sind jene Speisen),- hältst du dich d<strong>an</strong>n für geehrt und zueinem leckeren Mahle gela<strong>den</strong>? Und dufürchtest Paulus nicht, der uns, wenn wirwollen, unbehindert zu dem Tische derHei<strong>den</strong> hingehen läßt, es aber nicht duldet,auch wenn wir es wünschten, <strong>an</strong> <strong>den</strong> Tischender Geizigen Platz zu nehmen? Denn er sagt:„Wenn Einer, der unter euch Bruder heißt,ein Hurer oder ein Geiziger ist.“ 513 Brudernennt er hier je<strong>den</strong> Gläubigen, nicht einen,der einsam lebt. Denn was bewirkt <strong>die</strong>Bruderschaft? Das Bad der Wiedergeburt,das Recht, Gott Vater nennen zu dürfen, sodaß der Katechumen, wenn er auch einEinsiedler wäre, nicht Bruder heißt, derGläubige aber Bruder ist, wenn er auch in derWelt lebt: „Wenn einer,“ sagt er, Bruderheißt; <strong>den</strong>n damals war noch keine Spur voneinem Einsiedler, sondern <strong>die</strong>ser Seligesprach alle seine Worte zu Weltleuten.„Wenn Einer,“ sagt er, „Bruder heißt, einHurer, ein Geiziger oder ein Säufer ist, miteinem solchen sollet ihr nicht einmal essen.“Bezüglich der Hei<strong>den</strong> sagt er Solches nicht,sondern was? „Wenn Jem<strong>an</strong>d von <strong>den</strong>Ungläubigen euch einladet, und ihr hingebenwollet, so esset Alles, was euch vorgesetztwird.“ 514 „Wenn aber Jem<strong>an</strong>d,“ sagt er, „derdein Bruder heißt, ein Säufer ist.“IV.Ha, welch strenge Sorgfalt! Wir aber fliehennicht nur <strong>die</strong> Säufer nicht, sondern wir gehenauch zu ihnen und wer<strong>den</strong> ihre512 Ekkli 34,25180513 1 Kor 5,11514 1 Kor 10,27


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Zechgenossen. Darum geht auch Allesdr<strong>über</strong> und drunter, ist Alles in Verwirrungund Unordnung und geht zu Grunde. Dennsage mir, wenn Einer von Solchen dich, derdu für arm und gering giltst, zu einem Mahle, das er zubereitet hat, einla<strong>den</strong>würde, und d<strong>an</strong>n dich sprechen hörte: weilDasjenige, was hier vorgesetzt wird, von derHabsucht herrührt, k<strong>an</strong>n ich es nicht <strong>über</strong>mich bringen, meine eigene Seele damit zubeflecken, - würde er sich nicht ergriffenfühlen? würde er nicht in sich gehen? würdeer sich nicht schämen? Dieß allein wärehinreichend, ihn zu bessern und zubewirken, daß er sich des Reichthums wegenfür unglücklich erachtete; dich aber würde erder Armuth wegen bewundern, da er sich javon dir mit so entschie<strong>den</strong>em Eifer verachtetsehen würde. Wir aber sind, ich weiß nichtwoher, Sklaven der Menschen gewor<strong>den</strong>, dauns doch Paulus immer und immer zuruft:„Werdet nicht Sklaven der Menschen!“ 515Woher sind wir nun Sklaven der Menschengewor<strong>den</strong>? Weil wir Sklaven des Bauchesund des Geldes und des Ruhmes und aller<strong>an</strong>deren Dinge gewor<strong>den</strong>, haben wir <strong>die</strong>Freiheit, <strong>die</strong> uns Christus geschenkt hat,preisgegeben. Was, sage mir, erwartet nunDen, der ein Sklave gewor<strong>den</strong>? Höre, wasChristus spricht: „Der Sklave (Knecht) bleibtnicht ewig im Hause.“ 516 Da hast du einenbestimmten Ausdruck, daß er niemals in’sHimmelreich eingehen wird; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>ses istdas Haus: „Denn in meines Vaters Hause,“sagt er, „sind viele Wohnungen.“ 517 DerSklave also bleibt nicht ewig im Hause.Sklave aber nennt er Den, welcher der Sünde<strong>die</strong>nt. Wer aber nicht ewig im Hause bleibt,der bleibt ewig in der Hölle, und hat vonkeiner Seite her Trost. Nun aber sind <strong>die</strong>Dinge bis zu der Höhe des Verderbensgestiegen, daß sie hievon (was sie rauben)515 1 Kor 7, 23516 Joh 8,35517 Joh 14,2181Almosen machen, und Viele <strong>die</strong>selben<strong>an</strong>nehmen. Darum liegt auch unsereFreimüthigkeit in Fesseln, und wir könnenNiem<strong>an</strong><strong>den</strong> Vorwürfe machen. Aber<strong>den</strong>noch wollen wir, wenn auch erst von jetzt<strong>an</strong>, dem Unglück, welches von dortherentspringt, zu entgehen suchen. Ihr aber, <strong>die</strong>ihr <strong>die</strong>sen Koth aufrührt, stehet ab von <strong>die</strong>ser Schmach und beherrschet <strong>den</strong>Hungertrieb nach solchen Mahlen; vielleichtkönnen wir jetzt noch Gott uns geneigtmachen und <strong>die</strong> verheissenen Gütererl<strong>an</strong>gen, deren wir alle theilhaftig wer<strong>den</strong>mögen durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unsers Herrn JesusChristus, dem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Sechsundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.20. 21. 22. Im Glauben auch segnete Isaakauf <strong>die</strong> Zukunft hin <strong>den</strong> Jakob und Esau.Im Glauben segnete der sterbende Jakobje<strong>den</strong> der Söhne Josephs, und betete <strong>an</strong>gegen <strong>die</strong> Spitze seines Stabes. Im Glaubenredete der sterbende Joseph von demAuszuge der Söhne Israels, und gab Befehlein Ansehung seiner Gebeine.„Viele Propheten und Gerechte,“ heißt es,„haben gewünscht zu sehen, was ihr sehet,und haben es nicht gesehen, und zu hören,was ihr höret, und haben es nicht gehört.“ 518Haben <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Gerechten alles Zukünftigegewußt? Allerdings. Denn wenn auch derSohn wegen der Schwäche Derjenigen, <strong>die</strong>ihn nicht aufnehmen konnten, sich ihnennicht offenbarte, so offenbarte er sichnatürlich Solchen, <strong>die</strong> im Tugendgl<strong>an</strong>ze518 Mt 13,17


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>dast<strong>an</strong><strong>den</strong>. Dieß sagt nun auchPaulus, daß sie das Zukünftige, d. i. <strong>die</strong>Auferstehung Christi wußten. Entweder sagter nun Dieses, oder <strong>die</strong> Worte: „im Glaubenauf <strong>die</strong> Zukunft hin“ sind nicht in Bezug auf<strong>die</strong> zukünftige Welt, sondern bezüglichDesjenigen, was hier später stattfin<strong>den</strong>werde, gesprochen. Denn wäre Das nicht derFall, wie könnte d<strong>an</strong>n ein M<strong>an</strong>n, der sich ineinem frem<strong>den</strong> L<strong>an</strong>de aufhält, solcheSegnungen ertheilen? Wie wurde ihm <strong>den</strong>nwiederum Segen zu Theil, und er gewahrtenicht seine Erfüllung? Du siehst, dassDasselbe, was ich bei Abraham gesagt habe,bei Jakob zu bemerken ist, daß er nämlichnicht in <strong>den</strong> Genuß des Segens kam, sonderndaß <strong>die</strong> sämmtlichen Früchte des Segens auf<strong>die</strong> Nachkommen <strong>über</strong>gingen. Hat er aber<strong>die</strong> zukünftigen Güter erl<strong>an</strong>gt? Wir fin<strong>den</strong> ja<strong>den</strong> Bruder mehr im Genusse derselben. Erselbst verlebte seine g<strong>an</strong>ze Zeit in derDienstbarkeit und im Lohnverhältnisse, undin Gefahren und Nachstellungen undTäuschungen und in Schrecken, und auf <strong>die</strong>Frage des Pharao gab er zur Antwort: „DieTage meiner W<strong>an</strong>derschaft sind wenige undböse gewesen.“ 519 Jener aber lebte ohneFurcht und in großem Ansehen, so daß er<strong>die</strong>sem furchtbar wurde. Wo f<strong>an</strong><strong>den</strong> also <strong>die</strong>Segnungen ihre Erfüllung, als nur in derZukunft? Du siehst also, daß <strong>die</strong> Bösen vonfrühe her <strong>die</strong> zeitlichen Güter genoßen, <strong>die</strong>Gerechten aber, jedoch nicht alle, dasGegentheil erfuhren. Denn siehe, Abrahamwar gerecht und hatte Überfluß <strong>an</strong> irdischenDingen, aber unter Trübsal und Prüfungen.Reichthum allein war ihm zu Theilgewor<strong>den</strong>; alles Andere, was ihn <strong>an</strong>ging, warvoll Trübsal. Es k<strong>an</strong>n ja nicht sein, daß derGerechte, und wär’ er auch reich, vonHeimsuchungen verschont bleibe; <strong>den</strong>n weiler ein Verl<strong>an</strong>gen hat, gedrückt zu wer<strong>den</strong>und Unrecht zu erdul<strong>den</strong>, müssen ihn519 Gen 47,9182nothwendig Kümmernisse treffen, so daß,wenn er sich auch des Reichthumserfreut, <strong>die</strong>ser Genuß nicht ohne Schmerz ist.Warum <strong>den</strong>n? Weil er in Betrübnissen und inLei<strong>den</strong> lebt. Wenn aber <strong>die</strong> Gerechten damalsin Trübsal lebten, so wird Dieß um so mehrjetzt der Fall sein. „Im Glauben,“ sagt er,„segnete auch Isaak auf <strong>die</strong> Zukunft hin <strong>den</strong> Jakobund Esau.“ Obgleich Esau älter war, so setzter doch <strong>den</strong> Jakob - seiner Tugend wegen -zuerst. Denn wie hätte er seinen Söhnensolche Güter versprechen können, wenn erGott nicht unbedingten Glauben geschenkthätte? „Im Glauben segnete der sterbende Jakobje<strong>den</strong> der Söhne Josephs.“ Hier muß m<strong>an</strong> alleseine Segnungen nehmen, damit sein Glaubeund seine Weissagung klar wer<strong>den</strong>. „Undbetete <strong>an</strong>,“ sagt er, „gegen <strong>die</strong> Spitze seinesStabes.“ Hier zeigt er, wie mit seinen Wortenauch ein solches Vertrauen auf <strong>die</strong> Zukunftverbun<strong>den</strong> war, daß er einen thatsächlichenNachweis lieferte; <strong>den</strong>n weil aus Ephraim ein<strong>an</strong>derer König erstehen werde, darum sagter: „er betete <strong>an</strong> gegen <strong>die</strong> Spitze seines Stabes,“d. i. da er schon ein Greis war, bewies er demJoseph seine Huldigung, und zeigte so, daßdemselben in der Folge <strong>die</strong> Verehrung desg<strong>an</strong>zen Volkes werde zu Theil wer<strong>den</strong>. UndDieß geschah zwar schon, da seine Brüdervor ihm niederfielen; es sollte aber späterauch durch <strong>die</strong> zehn Stämme stattfin<strong>den</strong>.Siehst du, wie er Dasjenige, was spätergeschehen sollte, vorhersagte? Siehst du,welche großen Glauben sie hatten? Wie siebezüglich der zukünftigen Dinge festvertrauten? Denn es gibt hier Beispiele derGeduld allein, und der Heimsuchungen,ohne daß irgend etwas Gutes dazutritt, wiewir Das bei Abel und Abraham sehen, und,wie bei Noe, Beispiele des Glaubens, daß esnämlich einen Gott und eine Vergeltunggebe. Denn das Wort „Glauben“ hat einevielseitige Bedeutung und bald <strong>die</strong>sen, baldjenen Sinn. Hier zeigt es <strong>an</strong>, daß es eineVergeltung gebe, und daß <strong>die</strong>se nicht auf


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gleiche Weise Allen zu Theil werde, und daßder Siegespreis erst dem Kampfe folge. Bei Joseph fin<strong>den</strong> wir <strong>den</strong> Glauben allein;<strong>den</strong>n <strong>die</strong> dem Abraham gewor<strong>den</strong>eVerheissung: „Dir und deinem Samen willich <strong>die</strong>ses L<strong>an</strong>d geben,“ hörte Joseph, undobgleich er in einem frem<strong>den</strong> L<strong>an</strong>de war unddas Versprechen noch nicht erfüllt sah, verlorer <strong>den</strong> Muth doch nicht, sondern bewahrteeinen so festen Glauben, daß er auch <strong>über</strong><strong>den</strong> Auszug sprach und in Betreff seinereigenen Gebeine Aufträge gab. Also nichtallein er selbst glaubte, sondern führte auchnoch Andere zum Glauben. Darum befiehlter auch, daß sie ihres Auszuges immergedächten. Er würde aber in Betreff seinereigenen Gebeine solche Aufträge nichtgegeben haben, hätte er nicht <strong>die</strong>Überzeugung gehabt, daß sie zurückkehrenwür<strong>den</strong>. Wenn nun gewisse Leute sagen:siehe, auch <strong>die</strong> Gerechten waren fürDenkmäler besorgt, so erwidern wir ihnen,daß Solches aus <strong>die</strong>sem, aber durchaus nichtaus einem <strong>an</strong>dern Grunde geschah; <strong>den</strong>n erwußte, daß „des Herrn <strong>die</strong> Erde ist, und wassie erfüllt.“ 520 Das war also ihm, der so hoheWeisheit besaß, und <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Zeit inÄgypten gelebt hatte, nicht unbek<strong>an</strong>nt. Nunaber hätte er auch, wäre es sein Verl<strong>an</strong>gengewesen, zurückkehren und frei bleibenkönnen von Trauer und Kummer. Da er aberauch <strong>den</strong> Vater hinaufgeführt hatte, weßhalbwürde er auch seine Gebeine von dortherhinaufzubringen befohlen haben, wenn nichtaus dem besagten Grunde?II.Wie nun aber, sage mir, liegen nicht selbstdes Moses Gebeine in fremdem L<strong>an</strong>de? Woaber <strong>die</strong> Gebeine des Aaron und des D<strong>an</strong>iel,und des Jeremias und vieler Apostel ruhen,520 Ps 23,1183wissen wir nicht. Denn des Petrus und desPaulus und des <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> und des ThomasGräber sind uns zwar bek<strong>an</strong>nt, <strong>über</strong> <strong>die</strong> der<strong>an</strong>dern Apostel aber, so viele ihrer sind,haben wir gar keine Kenntniß. Hier<strong>über</strong> alsowollen wir nicht niedergeschlagen sein, nochuns kleinmüthig benehmen; <strong>den</strong>n woimmer wir begraben wer<strong>den</strong>, „des Herrn ist<strong>die</strong> Erde und was sie erfüllt.“ Durchaus abergeschieht, was geschehen muß, allein wegender Hingeg<strong>an</strong>genen zu trauern und zuklagen und Thränen zu vergießen beweistKleinmuth.23. Im Glauben ward Moses nach seinerGeburt drei Monate verborgen von seinenEltern.Siehst du, daß sie hofften, hier auf der Erdewerde geschehen, was nach dem Todestattfin<strong>den</strong> sollte? Und Vieles ging nachihrem Tod in Erfüllung. Dieß gilt fürDiejenigen, <strong>die</strong> da sagen: nach dem Todegeht in Bezug auf Jene Das in Erfüllung,wessen sie im Leben nicht theilhaftiggewor<strong>den</strong>, noch auch nach dem Todetheilhaftig zu wer<strong>den</strong> glaubten. Und Josephsagte nicht: bei meinen Lebzeiten hat erweder mir das L<strong>an</strong>d gegeben, noch meinemVater, noch meinem Großvater, dessenTugend Ehrfurcht einflößte: wird er nun<strong>die</strong>se Bösen Dessen werth halten, wessen erJene nicht gewürdiget hat? Nichts vonDiesem sagte er, und <strong>über</strong>stieg und<strong>über</strong>w<strong>an</strong>d Dieß alles durch <strong>den</strong> Glauben. Erhat <strong>den</strong> Abel, <strong>den</strong> Noe, <strong>den</strong> Abraham, <strong>den</strong>Isaak, <strong>den</strong> Jakob und <strong>den</strong> Joseph gen<strong>an</strong>nt,lauter ruhmreiche undbewunderungswürdige Männer. Wiedervermehrt er <strong>den</strong> Trost, indem er <strong>die</strong> Sacheauf geringere Personen herabführt. Denn daßbewunderungswürdige Personen Solchesst<strong>an</strong>dhaft ertrugen, ist nicht zu erstaunen,und daß sie geringer als <strong>die</strong>se erschienen, istnicht von Bel<strong>an</strong>g; daß sie aber nochunbedeutender erschienen als Solche, <strong>die</strong> garkeinen Namen hatten, darin liegt das g<strong>an</strong>ze


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Gewicht. Und er beginnt mit <strong>den</strong> Eltern desMoses, welche bedeutungslose Leutegewesen, und nichts Solches hatten, was derSohn besaß. Deßhalb vermehrt er, indem erweiter geht, das Sonderbare, indem erschlechte Weiber und Wittwen <strong>an</strong>führt:„Denn durch <strong>den</strong> Glauben,“ sagt er,„ging Rahab, <strong>die</strong> Hure, nicht zu Grunde mit<strong>den</strong> Ungläubigen, weil sie <strong>die</strong> Kundschafterfriedlich aufgenommen hatte.“ 521 Und erführt nicht nur <strong>den</strong> Lohn des Glaubens,sondern auch <strong>die</strong> Strafe des Unglaubens <strong>an</strong>,wie bei Noe. Indeß ist es nothwendig, <strong>über</strong><strong>die</strong> Eltern des Moses zu sprechen. Pharaohatte befohlen, alle Kinder männlichenGeschlechtes zu tödten, und keines entgingder Gefahr. Woher schöpften nun sie (<strong>die</strong>Eltern) <strong>die</strong> Hoffnung, daß der Knabe werdegerettet wer<strong>den</strong>? Aus dem Glauben. Auswelchem Glauben? „Sie sahen,“ heißt es, „daßdas Kind schön war.“ Selbst das Antlitz zog siezum Glauben. So war dem Gerechten vonfrühe her, und da er noch in <strong>den</strong> Windelnlag, reichliche Gnade eingegossen, und eswar Dieß nicht ein Geschenk der Natur,sondern ein Werk Gottes. Denn betrachte:gleich nach der Geburt erschien der Knabeschön und nicht häßlich. Woher kam Das?Nicht von der Natur, sondern von der GnadeGottes, welche auch jenes fremde ägyptischeWeib erweckte, und ihr <strong>die</strong> Kraft verlieh, <strong>den</strong>Knaben zu nehmen und <strong>an</strong> sich zu bringen,obwohl der Glaube hiebei keine zureichendeUnterlage hatte; <strong>den</strong>n welchen Glaubenkonnte m<strong>an</strong> aus dem Antlitz entnehmen?Aber euer Glaube, sagt er, gründet sich aufThatsachen, und ihr habt viele Unterpfänderdes Glaubens; <strong>den</strong>n daß ihr <strong>den</strong> Raub euererGüter freudig ertrüget, ist ein Werk desGlaubens und der Geduld. Aber weil auchsie glaubten, d<strong>an</strong>n aber in Kleinmuthverfielen, zeigt er, daß auch der Glaube Jenerl<strong>an</strong>ge Zeit hingehalten wurde, wie Dieß bei521 V. 31184Abraham der Fall war, wo auch noch <strong>die</strong>Sachen mit ein<strong>an</strong>der im Widerspruch zustehen schienen: „Und sie fürchteten nicht,“sagt er, „<strong>den</strong> Befehl des Königs.“ Und dochwurde Jenes im Werke vollbracht, Dieses aber war nur eine bloße Furcht, undes ging Das nur <strong>die</strong> Eltern des Moses <strong>an</strong>, ihnselber aber nicht. D<strong>an</strong>n führt er wieder einBeispiel <strong>an</strong>, welches sie betrifft und wichtigerals jenes ist. Was für eines?24. 25. 26. Denn im Glauben, sagt er,verneinte Moses, als er groß gewor<strong>den</strong>, daßer ein Sohn der Tochter des Pharao sei, undwollte lieber mit dem Volke GottesDr<strong>an</strong>gsal lei<strong>den</strong>, als zeitliche Freu<strong>den</strong> derSünde haben. Für größern Reichthum als<strong>die</strong> Schätze Aegyptens hielt er <strong>die</strong> SchmachChristi; <strong>den</strong>n er sah auf <strong>die</strong> Vergeltung;Als wenn er zu ihnen sagte: Keiner von euchhat einen königlichen Hof verlassen, undzwar einen glänzen<strong>den</strong> königlichen Hof,noch solche Schätze, und Keiner hat, da erKönigssohn sein konnte, Solches verschmäht,wie es Moses geth<strong>an</strong> hat. Und daß er nichteinfach darauf Verzicht geleistet, hat erdurch <strong>die</strong> Worte gezeigt: „er verneinte,“ d. h.er haßte und verabscheute es.III.Und siehe, wie bewunderungswürdig Paulussich ausdrückt. Er sagt nicht: indem er dafürhielt, daß der Himmel und was im Himmelist, ein größerer Reichthum als <strong>die</strong> SchätzeÄgyptens sei, sondern was? Die SchmachChristi. Denn er hielt es für besser, umChristi willen Schmach zu lei<strong>den</strong>, als einruhiges und freu<strong>den</strong>reiches Leben zu führen.So war auch Dieß selbst durch sich allein derLohn: „Und wollte lieber mit dem Volke GottesDr<strong>an</strong>gsale lei<strong>den</strong>.“ Denn ihr ertraget euereLei<strong>den</strong> für euch selbst, Jener aber <strong>über</strong>nahmsie für Andere, und <strong>über</strong>lieferte sich selbstfreiwillig so vielen Gefahren, während es


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ihm freist<strong>an</strong>d, seine Güter im Frie<strong>den</strong> zugenießen: „als zeitliche Freu<strong>den</strong> der Sünde zuhaben,“ sagt er. Sünde hat er es gen<strong>an</strong>nt, nicht mit <strong>den</strong> Anderen verfolgt zuwer<strong>den</strong>. Dieß, sagt er, hat er für Sündegehalten. Wenn nun Jener es für Sündeerachtete, nicht freudigen Muthes mit <strong>den</strong>Anderen verfolgt wer<strong>den</strong> zu wollen, d<strong>an</strong>nmuß <strong>die</strong> Verfolgung, in <strong>die</strong> er sich selbst vomköniglichen Hofe hineinwarf, ein großes Gutsein. Dieß aber that er, indem er große Dingevorhersah, weßhalb es auch also heißt: „Fürgrößern Reichthum als <strong>die</strong> Schätze Aegyptenshielt er <strong>die</strong> Schmach Christi.“ Was heißt das:„Die Schmach Christi?“ Solche Schmacherfahren, wie ihr sie aussteht, <strong>die</strong> Schmach,welche Christus erlitt; oder, welche er umChristi willen ertrug, da er wegen desFelsens, aus dem er Wasser hervorbrachte,beschimpft wurde: „Der Fels aber,“ sagt er,„war Christus.“ 522 Wie ist das aber <strong>die</strong>Schmach Christi? Weil wir <strong>die</strong> väterlichenSatzungen verabscheuen, und darumSchmach erfahren, weil wir Lei<strong>den</strong> erdul<strong>den</strong>,da wir zu Gott geeilt sind. Wahrscheinlichlag auch eine Schmach in jenen Worten, <strong>die</strong>er hören mußte: „Willst du auch mich tödten,wie du gestern <strong>den</strong> Ägyptier getödtethast?“ 523 Das ist <strong>die</strong> Schmach Christi, bis zumEnde und bis zum letzten LebenshaucheLei<strong>den</strong> zu ertragen, wie er selbst <strong>die</strong>Schmähworte: „Wenn du Gottes Sohnbist,“ 524 von Denen hörte, für welche, <strong>die</strong>seine Stammesgenossen waren, er gekreuzigtwurde. Das ist <strong>die</strong> Schmach Christi, wennJem<strong>an</strong>d von seinen Hausgenossen, vonDenen, <strong>die</strong> von ihm Gutes empf<strong>an</strong>gen, durchSchmähungen verfolgt wird; <strong>den</strong>n auch Jenerlitt Solches von Dem, der ihm zum D<strong>an</strong>keverpflichtet war. Hier richtet er sie auf,indem er zeigt, daß auch Christus undMoses, zwei ruhmvolle Persönlichkeiten,522 1 Kor 10,4523 Ex 2,14524 Mt 27,40185Solches gelitten haben, weßhalb <strong>die</strong>seSchmach mehr Christi als des Moses ist, weiler Solches von <strong>den</strong> Seinigen erduldete. Aberweder widerfuhr Diesem Etwas, noch s<strong>an</strong>dteJener seine Blitze aus, sondern unterzog sichder Schmach und ertrug Alles, indem Jene<strong>die</strong> Köpfe schüttelten. Da nun auchsie wahrscheinlich Derartiges hörten undsich nach Vergeltung sehnten, sagt er, daßauch Christus und Moses <strong>die</strong>se Lei<strong>den</strong>erfahren haben. Die Ruhe gehört also derSünde <strong>an</strong>, <strong>die</strong> Schmach aber Christus. Waswillst du also? Die Schmach Christi oder <strong>die</strong>Ruhe?27. Im Glauben verließ er Ägypten undfürchtete nicht <strong>den</strong> Zorn des Königs; <strong>den</strong>nerhielt sich <strong>an</strong> <strong>den</strong> Unsichtbaren, als sähe erihn. Was sagst Du? Er fürchtete nicht? Unddoch sagt <strong>die</strong> heilige Schrift, daß er, als er <strong>die</strong>Worte gehört hatte, Furcht bekommen undsein Heil in der Flucht gesucht habe, daß erdavon eilte und sich verborgen habe, unddaß seine Angst groß gewesen sei. Merkeaufmerksam auf das Gesagte. Die Worte: „erfürchtete nicht <strong>den</strong> Zorn des Königs,“ sagt er inBezug darauf, daß er wieder vor ihn trat;<strong>den</strong>n es war Sache des Fürchten<strong>den</strong>, nichtwieder Beist<strong>an</strong>d zu leisten, noch sich mit<strong>die</strong>ser Angelegenheit zu befassen; da er aberwieder H<strong>an</strong>d <strong>an</strong>’s Werk legte, that er dasG<strong>an</strong>ze im Vertrauen auf Gott. Denn er sagtnicht: weil er mich sucht und mir nachspürt,wage ich es nicht, mir Solches nochmals<strong>an</strong>gelegen sein zu lassen. So kam auch <strong>die</strong>Flucht aus dem Glauben. Warum, könntem<strong>an</strong> fragen, ist er <strong>den</strong>n nicht geblieben? Umsich keiner offenbaren Gefahr auszusetzen;<strong>den</strong>n das wäre <strong>die</strong> That eines Versuchen<strong>den</strong>gewesen, mitten in <strong>die</strong> Gefahrhineinzuspringen und d<strong>an</strong>n zu sprechen: ichwill sehen, ob Gott mich retten will. Sosprach auch der Teufel zu Christus: „Stürzedich hinab.“ 525 Siehst Du, daß es vom Teufel525 Mt 4,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>stammt, sich selbst ohne Ueberlegung undohne Grund in Gefahren zu stürzen und zuversuchen, ob Gott als Retter erscheinenwerde? Er konnte Denen keine Hilfe mehrleisten, <strong>die</strong> sich nach empf<strong>an</strong>genenWohlthaten so rücksichtslos benahmen. Es wäre also Thorheit undUnsinn gewesen, dort noch zu bleiben. Dießalles aber geschah, weil er sich <strong>an</strong> <strong>den</strong>Unsichtbaren hielt, als sähe er ihn. Wenndaher auch wir Gott immer im Geisteschauen, wenn wir sein An<strong>den</strong>ken stets imGedächtnisse haben, so wird uns Alles leicht,Alles erträglicher erscheinen, wir wer<strong>den</strong>Alles freudig erdul<strong>den</strong> und <strong>über</strong> Alleserhaben sein. Denn wenn Jem<strong>an</strong>d, der einentheuren Geliebten sieht, oder auch nur sich<strong>an</strong> <strong>den</strong>selben erinnert, sich in seiner Seeleemporgerichtet und in seinem Geistegehoben fühlt und Alles freudig erträgt,indem er in <strong>die</strong>ser Erinnerung schwelgt: wirdnun Derjenige, welcher Den, der in Wahrheituns zu lieben sich gewürdiget hat, imGedächtnisse bewahrt und sich dar<strong>an</strong>erinnert, irgend Etwas für niederschlagenderachten oder als schrecklich und gefahrvollbefürchten? W<strong>an</strong>n wird er kleinmüthig sein?Niemals. Denn Alles kommt uns schwer vor,weil wir Gott nicht, wie wir sollten, imAn<strong>den</strong>ken haben, weil wir uns mit ihm nichtimmer im Geiste beschäftigen; <strong>den</strong>n mitRecht könnte er zu uns sprechen: du hastmeiner vergessen, und ich will auch deinernicht mehr ge<strong>den</strong>ken. Auf <strong>die</strong>se Weiseentstehen <strong>die</strong> zwei Uebel, daß wir seinervergessen und er unser nicht mehr ge<strong>den</strong>kt;<strong>den</strong>n <strong>die</strong>se zwei sind zwar in ein<strong>an</strong>derverflochten, aber es sind deren zwei. Denn esist eine wichtige Sache, daß wir bei Gott imAn<strong>den</strong>ken bleiben, wichtig aber auch ist es,daß wir uns seiner erinnern. Dieses bewirkt,daß wir das Gute wählen, Jenes, daß wir esausführen und zu Ende bringen; darum sagtauch der Prophet: „Deßhalb <strong>den</strong>ke ich <strong>an</strong>dich aus dem L<strong>an</strong>de des Jord<strong>an</strong>s und der186Hermon-Berge, vom kleinen Berge.“ 526 Alsospricht das Volk, das in Babylon war:„Daselbst verweilend <strong>den</strong>ke ich <strong>an</strong> dich.“IV.Daher wollen auch wir, als verweilten wir inBabylon, dasselbe sprechen; <strong>den</strong>n sitzen wirauch nicht mitten unter <strong>den</strong>Kriegsvölkern, so befin<strong>den</strong> wir uns <strong>den</strong>nochmitten unter <strong>den</strong> Fein<strong>den</strong>. Denn Einige saßenals Kriegsgef<strong>an</strong>gene dort, Andere empf<strong>an</strong><strong>den</strong>nicht einmal <strong>die</strong> Gef<strong>an</strong>genschaft, wie D<strong>an</strong>ielund <strong>die</strong> drei Jünglinge, welche, obgleich siein der Gef<strong>an</strong>genschaft waren, auch in jenemL<strong>an</strong>de in größerem Ruhmesgl<strong>an</strong>z dast<strong>an</strong><strong>den</strong>,als der König selbst, der sie alsKriegsgef<strong>an</strong>gene weggeführt hatte: <strong>den</strong>n <strong>den</strong>Gef<strong>an</strong>genen brachte der Gef<strong>an</strong>gennehmerseine Anbetung dar (προςεϰύνει). Siehst du,was <strong>die</strong> Tugend ist? Die in derGef<strong>an</strong>genschaft waren, be<strong>die</strong>nte er wieHerren, so daß eher Jener ein Gef<strong>an</strong>generwar, als Diese. Es wäre nicht zumVerwundern gewesen, wenn sie in ihremVaterl<strong>an</strong>de sich befun<strong>den</strong> hätten, und erdorthin, sich vor ihnen niederzuwerfen,gekommen wäre, oder wenn sie dort eineHerrschergewalt ausgeübt hätten; dar<strong>über</strong>muß m<strong>an</strong> aber staunen, daß Derjenige, dersie gebun<strong>den</strong> und als Kriegsgef<strong>an</strong>geneweggeführt und sie in seiner Gewalt hatte,vor Aller Augen sich nicht scheute, sie<strong>an</strong>zubeten und M<strong>an</strong>na (Mimha) alsD<strong>an</strong>kopfer zu spen<strong>den</strong>. Seht ihr, daßDasjenige, was Gott <strong>an</strong>geht, sich als wahrhaftglänzend erweist, <strong>die</strong> menschlichen Dingeaber Schatten sind? Er erk<strong>an</strong>nte also nicht,daß er sich Gebieter herbeigeführt habe, undwarf <strong>die</strong> in <strong>den</strong> Feuerofen, welche er <strong>an</strong>betensollte. Dieß kam aber Jenen wie im Traumevor. Fürchten wir daher, Geliebte, fürchten526 Ps 41,7


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wir Gott, und befän<strong>den</strong> wir uns auch in derGef<strong>an</strong>genschaft, wir wer<strong>den</strong> alle <strong>an</strong> Gl<strong>an</strong>z<strong>über</strong>treffen. Ist <strong>die</strong> Furcht Gottes da, so wirduns Nichts schmerzlich berühren, mag esnun Armuth oder Kr<strong>an</strong>kheit oderKriegsgef<strong>an</strong>genschaft oder Sklaverei heissen,oder was immer für eine Beschwerde sein,sondern eben <strong>die</strong>se wer<strong>den</strong> bei uns geradedas Gegentheil zu St<strong>an</strong>de bringen. Gef<strong>an</strong>genewaren <strong>die</strong>se, und der König betete sie <strong>an</strong>; einZeltmacher war Paulus, und sie opferten ihmals einem Gotte. Hier macht sich eineUntersuchung geltend; <strong>den</strong>n Viele fragen,warum <strong>die</strong> Apostel <strong>die</strong> Opfer abgewehrt,ihre Kleider zerrissen und sie von ihremVorhaben abgebracht und unter Thränengesprochen haben: „Was thut ihr? Auch wir sind sterbliche Menschen wieihr;“ 527 bei D<strong>an</strong>iel aber findet sich nichtsDerartiges vor. Denn daß auch er demüthigwar und nicht weniger als <strong>die</strong>se Gott <strong>die</strong>Ehre zum Opfer brachte, ist uns aus vielenStellen ersichtlich, am meisten aber undzuerst auch daraus, weil er von Gott geliebtwurde. Denn wenn er sich Gottes Ehre<strong>an</strong>gemaßt hatte, so würde er ihn nicht habenloben, geschweige <strong>den</strong>n berühmt wer<strong>den</strong>lassen. D<strong>an</strong>n ist es aber auch daraus klar,weil er mit vieler Freimüthigkeit sagte:„Auch ist mir nicht durch meine Weisheit<strong>die</strong>ses Geheimniß geoffenbart wor<strong>den</strong>.“ 528Und drittens wieder, weil er Gottes wegen inder Grube war, und er, wenn ihm derProphet Nahrung brachte, sagte: „Meiner hatGott gedacht;“ 529 so demüthig undzerknirscht war er. In der Grube war erGottes wegen, und er hielt sich selbst fürunwürdig, daß er seiner ge<strong>den</strong>ke und ihnerhöre. Wir aber, <strong>die</strong> wir zahllose Frevelwagen und uns durch Ruchlosigkeit vorAllen auszeichnen, ziehen uns zurück, wennwir nicht auf <strong>die</strong> erste Bitte erhört wer<strong>den</strong>. InWahrheit ist zwischen uns und Jenen einsolcher Unterschied, wie zwischen Himmelund Erde und noch ein größerer. Was sagstDu? Würdest du selbst nach so vielen edlenThaten und nach dem Wunder in der Grubeso demüthig sein? Gewiß, sagt m<strong>an</strong>; <strong>den</strong>n soviel wir immer gewirkt haben, so sind wirunnütze Knechte. So erfüllte er l<strong>an</strong>ge vorher<strong>die</strong> Vorschrift des Ev<strong>an</strong>geliums und erachtetesich selber für Nichts: „<strong>den</strong>n Gott hat meinergedacht,“ sagte er. Betrachte wieder, wie seinGebet so voll Demuth ist. Also sprachen auch<strong>die</strong> drei Jünglinge: „Wir haben gesündigt,wir haben Böses geth<strong>an</strong>,“ 530 und zeigten<strong>über</strong>all ihre Demuth; und doch hatte D<strong>an</strong>ielunzählige Ver<strong>an</strong>lassungen, sich zu erheben;aber er wußte, daß ihm Solches geradedarum zu Theil wurde, weil er frei blieb vonHochmuth, und er richtete seinen Schatznicht zu Grunde. Denn bei allenVölkern und auf dem g<strong>an</strong>zen Erdkreisewurde er nicht allein darum besungen, weilder König sich auf sein Angesicht warf undihm <strong>den</strong> Opferguß spendete; sondern weilauch Der ihn für einen Gott hielt, welcher aufder g<strong>an</strong>zen Erde wie ein Gott geehrt wurde;<strong>den</strong>n sie war ihm g<strong>an</strong>z unterworfen. Dieseserhellet aus Jeremias: „Denn er zieht“, heißtes, „<strong>die</strong> Erde <strong>an</strong> wie ein Gew<strong>an</strong>d.“ Undwieder: „Darum gab ich nun alle <strong>die</strong>seLänder in <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d Nabuchodonosor’s,meines Knechtes.“ 531 Auch aus dem, was eraufgezeichnet hat, ist es wiederum klar, daßer nicht nur dort, wo er war, bewundertwurde, sondern auch allenthalben; und erst<strong>an</strong>d durch seinen Ruf größer da, als wennihn <strong>die</strong> <strong>an</strong>dern Völker persönlich gesehenhätten, da er nämlich durch seine Schriften<strong>die</strong> Knechtschaft und das Wunder bek<strong>an</strong>nte.Aber zugleich st<strong>an</strong>d er wiederum seinerWeisheit wegen in Bewunderung: „Siehe“,heißt es, „bist du weiser als D<strong>an</strong>iel?“ 532 Und527 Apg 14,14528 D<strong>an</strong> 2,30529 D<strong>an</strong> 4,37187530 D<strong>an</strong> 3,2 9531 Jer 27,6532 Ez 28,3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nach all <strong>die</strong>sem war er so demüthig, daß erdes Herrn wegen tausend Mal gestorbenwäre.V.Warum hat er <strong>den</strong>n, da er so demüthig war,weder des Königs Anbetung noch <strong>die</strong>Opfergußspende verhindert? Ich werdeDieses nicht sagen; für mich genügt es, <strong>die</strong>bloße Frage gestellt zu stellen; das Übrige<strong>über</strong>lasse ich euch, damit ich wenigstens soeuer Nach<strong>den</strong>ken <strong>an</strong>rege; dazu aber mahneich, Alles der Furcht Gottes wegen zu thun,da wir solche Beispiele haben, und weil wirgewiß auch <strong>die</strong> zeitlichen Güter erl<strong>an</strong>gen,wenn wir uns aufrichtig <strong>an</strong> <strong>die</strong> zukünftigenhalten. Denn daß er nicht aus Anmaßungalso geh<strong>an</strong>delt, geht klar aus seinen Wortenhervor: „Deine Geschenke behalte fürdich.“ 533 Auch Dieß ist wieder eine <strong>an</strong>dereFrage; wie er mit Worten <strong>die</strong> Ehre abgelehnt,in der That aber sie <strong>an</strong>genommen und <strong>die</strong>Halskette getragen habe? Als Herodes <strong>den</strong>Zuruf vernahm: „Eines Gottes Stimme und nicht eines Menschen,“ 534zerbarst er, weil er Gott <strong>die</strong> Ehre nicht gab,und seine Eingeweide schoßen heraus; <strong>die</strong>seraber ließ <strong>die</strong> Gott gebührende Ehre, nichtbloß <strong>die</strong> Worte zu. Hier ist es nothwendig zusagen, wie sich <strong>die</strong> Sache verhält: dortverfielen <strong>die</strong> Menschen in eine größereAbgötterei, hier aber nicht. Wie <strong>den</strong>n? Weilm<strong>an</strong> <strong>die</strong>sen für einen solchen (Gott) hielt,wurde <strong>die</strong> Ehre Gott zu Theil; <strong>den</strong>n darumhatte er früher gesagt: „Auch ist mir nichtdurch meine Weisheit <strong>die</strong>ses Geheimnißgeoffenbart wor<strong>den</strong>.“ 535 Uebrigens sieht m<strong>an</strong>auch nicht, daß er <strong>die</strong> Opfergußspende<strong>an</strong>nimmt; <strong>den</strong>n er hat gesagt, heißt es, daßgeopfert wer<strong>den</strong> müsse, es ist aber gar nicht533 D<strong>an</strong> 5,17534 Apg 12,22535 D<strong>an</strong> 2,30188ersichtlich, daß <strong>die</strong>ses auch wirklich geschah.Dort aber brachten sie Ochsen, um sie zuopfern, und n<strong>an</strong>nten <strong>den</strong> Einen Jupiter, <strong>den</strong>Andern Merkur. Die Kette ließ er nun zu, umsich selbst kenntlich zu machen. Warum abernimmt m<strong>an</strong> nicht wahr, daß er <strong>die</strong>Opfergußspende verhindert? Denn <strong>die</strong>Apostel h<strong>an</strong>delten dort nicht so, sondernschritten ein und beseitigten Solches, so daßes auch hier sofort hätte verhindert wer<strong>den</strong>sollen; und dort war das gesammte Volk, hieraber der Tyr<strong>an</strong>n. Warum er nun <strong>den</strong>selbenvon seinem Vorhaben nicht abbrachte, habeich schon früher gesagt, - weil er ihmnämlich nicht wie einem Gotte opferte zumUmsturze der Religion, sondern wegen desgroßen Wunders. Wie <strong>den</strong>n? Gottes wegenhat er <strong>den</strong> Befehl erlassen, um dessenHerrschaft zu bekennen, so daß er dessenEhre nicht verringerte. Mit Jenen verhielt essich aber nicht so, sondern sie glaubten, daß<strong>die</strong>selben wirkliche Götter seien; darumwurde hindernd eingeschritten. Er hat also,da er ihn hier <strong>an</strong>betete, auf besagte Weisegeh<strong>an</strong>delt; <strong>den</strong>n er erwies ihm nicht <strong>die</strong>göttliche Anbetung, sondern er verehrte ihnals einen weisen M<strong>an</strong>n. Es ist aber auch nichtgewiß, daß er ihm wirklich geopfert habe.Wenn er aber auch das Opfer dargebrachthat, so hat es D<strong>an</strong>iel doch nicht<strong>an</strong>genommen. Wie aber, hat er ihmnicht <strong>den</strong> Namen Baltasar, <strong>den</strong> Namen einesGottes beigelegt? In <strong>die</strong>ser Beziehungst<strong>an</strong><strong>den</strong> ihre Götter bei ihnen in keinerbesonderen Verehrung, da er auch einenKriegsgef<strong>an</strong>genen mit einem solchen Namenben<strong>an</strong>nte, und da er befahl, dasverschie<strong>den</strong>tlich zusammengesetzte Bild<strong>an</strong>zubeten, und <strong>den</strong> Drachen verehrte. DieBabylonier waren auch viel unverständigerals Diejenigen, welche in Lystra wohnten,weßhalb es auch nicht möglich war, sie soforthiezu zu vermögen. Und Vieles könnte m<strong>an</strong>noch <strong>an</strong>führen, aber jetzt genügt das Gesagte.Wollen wir uns also in <strong>den</strong> Besitz aller Güter


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>bringen, so sollen wir suchen, was auf GottBezug hat. Denn wie Diejenigen, welche <strong>die</strong>Weltschätze suchen, Dieses und Jenesverlieren, so erl<strong>an</strong>gen auch Diejenigen,welche <strong>die</strong> Güter, <strong>die</strong> bei Gott sind,vorziehen, Beides. Wollen wir daher <strong>die</strong>senicht weiter suchen, sondern jene, damit wirauch der verheissenen Güter theilhaftigwer<strong>den</strong> in Christo Jesu unserm Herrn. Siebenundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.28. - 31. Im Glauben hielt er das Osterfestund <strong>die</strong> Angießung des Blutes, damit derWürger der Erstgeburt sie nicht <strong>an</strong>rühre. ImGlauben gingen sie durch das rothe Meer,wie <strong>über</strong> trockenes L<strong>an</strong>d, auch was <strong>die</strong>Ägypter versuchten, aber verschlungenwur<strong>den</strong>. Durch <strong>den</strong> Glauben stürzten <strong>die</strong>Mauern von Jericho ein, nachdem m<strong>an</strong>sieben Tage um sie herumgezogen war.Durch <strong>den</strong> Glauben ging Rahab, <strong>die</strong> Hure,nicht zu Grunde mit <strong>den</strong> Ungläubigen,nachdem sie <strong>die</strong> Kundschafter friedlichaufgenommen hatte.Vieles pflegt Paulus im Verlaufe seiner Redezu beweisen, und er beh<strong>an</strong>delt seineGed<strong>an</strong>ken in gedrängter Kürze; <strong>den</strong>n so ist<strong>die</strong> Gnade des heiligen Geistes beschaffen:sie umfaßt nicht in reicher Wortfülle wenigeGed<strong>an</strong>ken, sondern sie gibt in kurzen Worteneinen großen und reichen Sinn. Betrachtedaher, wie er in der Weise einerErmunterung auch <strong>über</strong> <strong>den</strong> Glaubenh<strong>an</strong>delt, und <strong>an</strong> welches Vorbild undGleichniß, wovon wir <strong>die</strong> Wahrheit besitzen,er sie erinnert: „Im Glauben“, sagt er, „hielt erdas Osterfest und <strong>die</strong> Angießung des Blutes,damit der Würger der Erstgeburt sie nicht<strong>an</strong>rühre.“ Was ist das: „Die Angießung des189Blutes?“ Das Lamm wurde im Hausegeopfert, und das Blut desselben auf <strong>die</strong>Thürpfosten gestrichen, und das war <strong>die</strong>Versch<strong>an</strong>zung vor dem ägyptischenUnterg<strong>an</strong>ge. Wenn nun das Blut des Lammesmitten unter <strong>den</strong> Aegyptern und bei einemsolchen Todesverderben <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> unverletztbewahrte: so wird uns um so mehr das nichtauf <strong>die</strong> Thürpfosten, sondern in unsere Seeleeingestrichene Blut Christi erretten. Dennauch jetzt noch geht der Würger in <strong>die</strong>serfinstern Nacht umher; allein wir wollen unsmit jenem Opfer bewaffnen. Angießen nennter das Anstreichen; <strong>den</strong>n aus Aegypten hatuns Gott herausgeführt, aus der Finsternißund der Abgötterei; und doch hatte Das, wasgeschah, keinen, was aber dadurch bewirktwurde, einen großen Werth; <strong>den</strong>n wasgeschah, best<strong>an</strong>d in Blut, was aber bewirktwurde, war Rettung und ein hindernderDamm gegen das Verderben. Der Engel hatteFurcht vor dem Blute; <strong>den</strong>n er wußte, wessenVorbild es war; er erschauderte, da er <strong>den</strong>Tod des Herrn erk<strong>an</strong>nte; daher berührte er<strong>die</strong> Thürpfosten nicht. Moses sprach: ihr solltbestreichen, und sie thaten es; und nachdemsie <strong>den</strong> Befehl erfüllt hatten, hatten sie Muth.Ihr aber, <strong>die</strong> ihr das Blut des Lammes selbsthabt, verzaget? - „Im Glauben gingen sie durchdas rothe Meer, wie <strong>über</strong> trockenes L<strong>an</strong>d.“Wieder vergleicht er das g<strong>an</strong>ze Volk mit demVolke, damit sie nicht sagen könnten: wirvermögen nicht wie <strong>die</strong> Heiligen zu sein: „ImGlauben,“ sagt er, „gingen sie durch das rotheMeer, wie <strong>über</strong> trockenes L<strong>an</strong>d, was auch <strong>die</strong>Aegypter versuchten, aber verschlungenwur<strong>den</strong>.“ Hier erweckt er ihnen <strong>die</strong>Erinnerung <strong>an</strong> <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> in Aegypten. Wie<strong>den</strong>n im Glauben? Weil sie hofften, daß siedurch das Meer hindurch gehen wür<strong>den</strong>,und darum beteten sie, oder vielmehr Moseswar es, der betete. Siehst du, daß<strong>über</strong>all der Glaube <strong>die</strong> menschlichenVernunftgründe <strong>über</strong>steigt und <strong>die</strong>Schwäche und Niedrigkeit <strong>über</strong>windet?


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Siehst Du, zugleich glaubten sie, undfürchteten <strong>die</strong> Strafe, sowohl im Blute <strong>an</strong> <strong>den</strong>Thüren, als auch im rothen Meere. Unddurch Diejenigen, welche hineingefallen undertrunken sind, zeigte er, daß es Wasser undkeine Einbildung, sondern Wahrheit war.Wie aber Diejenigen, welche von <strong>den</strong> Löwenzerrissen wur<strong>den</strong> und in dem Glutofenverbr<strong>an</strong>nten, für <strong>die</strong> Wahrheit Zeugnißgaben, so siehst du auch jetzt <strong>die</strong>selbe SacheDiesen zur Rettung und zum Ruhme, Jenenaber zum Verderben gereichen. Ein soausgezeichnetes Gut ist der Glaube. Dennwenn wir auch in Noth gerathen sind, sower<strong>den</strong> wir befreit, und wären wir auch biszum Tode selbst gekommen, und fände sichgar kein Ausweg mehr, dem Unterg<strong>an</strong>g zuentrinnen. Denn was Anderes war nochübrig? Die Aegyptier und das Meer schloßen<strong>die</strong> wehrlosen ein, und sie mußten entwederfliehend vom Wasser verschlungen wer<strong>den</strong>,oder in <strong>die</strong> Hände der Ägyptier fallen. Und<strong>den</strong>noch rettete er sie aus <strong>die</strong>ser Noth: dasWasser selbst wurde ihnen wie fester Bo<strong>den</strong>unterbreitet, <strong>die</strong>se aber vers<strong>an</strong>ken, wie es imMeere zu geschehen pflegt; dort wurde <strong>die</strong>Natur vergessen, hier aber wurde sie gegen<strong>die</strong>selbe bewaffnet. - „Durch <strong>den</strong> Glaubenstürzten <strong>die</strong> Mauren von Jericho ein, nachdemm<strong>an</strong> sieben Tage um sie herumgezogen war;“<strong>den</strong>n nicht der Schall der Trompeten ist imSt<strong>an</strong>de, Mauern zusammenzustürzen, undwenn Jem<strong>an</strong>d tausend Jahre blasen würde;der Glaube aber vermag Alles.II.Siehst du, daß allenthalben nicht durch einenatürliche Folge, nicht nach dem Gesetze derNatur Veränderungen geschehen, sondernsich Alles gegen Erwarten ereignet? Sogeschieht auch hier Alles gegen Erwartung;<strong>den</strong>n nachdem er sich allseitig dar<strong>über</strong>verbreitet hatte, daß m<strong>an</strong> der zukünftigen190Hoffnung vertrauen müsse, hat er sehrpassend <strong>die</strong>se g<strong>an</strong>ze Ausein<strong>an</strong>dersetzungvorgenommen durch <strong>den</strong> Nachweis, daßnicht allein jetzt, sondern vom Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> alle Wunder geschahen: „Durch <strong>den</strong>Glauben ging Rahab, <strong>die</strong> Hure, nicht zu Grundemit <strong>den</strong> Ungläubigen, nachdem sie <strong>die</strong>Kundschafter friedlich aufgenommen hatte.“ Eswäre daher eine Schmach, wolltet ihrungläubiger als eine Hure erscheinen; unddoch hat <strong>die</strong>se nur <strong>die</strong> Männer, welche <strong>die</strong>Ankündigung aussprachen, gehört undalsbald geglaubt. Darum ist auch <strong>die</strong>Erfüllung gefolgt; <strong>den</strong>n da Alle untergingen,wurde sie allein gerettet. Sie sprach nicht zusich selbst: ich will mich zu <strong>den</strong> Vielen, <strong>die</strong>mir <strong>an</strong>gehören, halten. Sie sprach nicht: k<strong>an</strong>nich klüger als so viele weise Männer, <strong>die</strong>nicht glauben, sein, und ich sollte glauben?Nichts der Art, was ein Andererwahrscheinlich gesagt und geth<strong>an</strong> hätte, f<strong>an</strong>dsich bei ihr, sondern sie glaubte, was ihrgesagt wurde.32. Und was soll ich mehr sagen? Die Zeitwürde mir m<strong>an</strong>geln zu erzählen.Er setzt nun weiter keinen Namen mehr hin,sondern nachdem er bei der Hure <strong>den</strong> Schlußgemacht und durch <strong>die</strong> Beschaffenheit derPerson sie <strong>an</strong>geregt hatte, verbreitet er sichnicht weiter <strong>über</strong> Geschichten, damit er nichtweitläufig erscheine. Er steht aber vonsolchen nicht g<strong>an</strong>z ab, sondern berührt sieauf kluge Weise g<strong>an</strong>z kurz, wodurch er <strong>die</strong>bei<strong>den</strong> Zwecke erreicht: daß er sie nicht<strong>über</strong>drüssig macht und der gedrängtenKürze keinen Abbruch thut; er hat wederg<strong>an</strong>z geschwiegen, noch hat er sie durchseine Worte belästigt, sondern nach bei<strong>den</strong>Seiten hin befriedigt. Denn wenn sichJem<strong>an</strong>d sehr <strong>an</strong>strengt, und <strong>die</strong>seAnstrengung <strong>an</strong>dauert, übt er auf <strong>den</strong>Zuhörer einen Druck aus, indem er ihn, derschon <strong>über</strong>zeugt ist, belästigt, und in <strong>den</strong>Verdacht des Ehrgeizes kommt; <strong>den</strong>n m<strong>an</strong>soll sich dem, was Nutzen schafft,


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>an</strong>bequemen: „Und was soll ich mehr sagen?Die Zeit würde mir m<strong>an</strong>geln, zu erzählen vonGedeon, Barak, Samson, Jephte, David, Samuelund <strong>den</strong> Propheten.“ M<strong>an</strong>che tadeln Paulus,daß er <strong>den</strong> Barak und <strong>den</strong> Samson undJephte hier gen<strong>an</strong>nt hat. Was sagstdu? Da er <strong>die</strong> Hure gen<strong>an</strong>nt hat, sollte er<strong>die</strong>se nicht <strong>an</strong>führen? Denn du mögest nichtvon ihrem übrigen Leben sprechen, sondern,ob nur sie nicht geglaubt und durch <strong>den</strong>Glauben geglänzt haben. „Und von <strong>den</strong>Propheten“, sagt er,33. welche durch <strong>den</strong> Glauben Königreichebezw<strong>an</strong>gen. Du siehst, daß er hier nicht einZeugniß für ihren glänzen<strong>den</strong> W<strong>an</strong>delablegt, - <strong>den</strong>n <strong>die</strong>sen zu untersuchen hatte ersich nicht vorgenommen, - sondern er stelltenur eine Prüfung ihres Glaubens <strong>an</strong>. Dennsage mir, haben sie nicht das G<strong>an</strong>ze durch<strong>den</strong> Glauben vollbracht? Wie <strong>den</strong>n? „Durch<strong>den</strong> Glauben“, sagt er, bezw<strong>an</strong>gen sieKönigreiche, nämlich Gedeon und <strong>die</strong> mitihm waren. „Wirkten sie Gerechtigkeit.“ Wer<strong>den</strong>n? Eben <strong>die</strong>se. Oder er hat <strong>die</strong>Menschenfreundlichkeit hier Gerechtigkeitgen<strong>an</strong>nt. „Erl<strong>an</strong>gten sie Verheissungen.“ Ichglaube, daß er <strong>die</strong>se Worte in Bezug aufDavid gebraucht. Worin bestehen <strong>den</strong>n <strong>die</strong>seVerheissungen, <strong>die</strong> er erl<strong>an</strong>gt hat? Daß ersagte: sein Same werde auf dem Thronesitzen. - Verstopften sie der Löwen Rachen,34. löschten des Feuers Kraft aus un<strong>den</strong>tr<strong>an</strong>nen der Schärfe des Schwertes.Betrachte, wie sie sich selbst im Angesichtedes Todes verhielten, so D<strong>an</strong>iel von <strong>den</strong>Löwen umringt, <strong>die</strong> drei Jünglinge imFeuerofen, Abraham, Isaak und Jakob inverschie<strong>den</strong>en Versuchungen, - und auch soverzweifelten sie nicht. Denn das ist Glaube:wenn, auch da <strong>die</strong> Dinge <strong>den</strong>entgegengesetzten Ausg<strong>an</strong>g nehmen wollen,<strong>die</strong> Ueberzeugung feststeht, daß nichtsWidriges stattfin<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n, sondern Alles gutist. „Sie entr<strong>an</strong>nen der Schärfe des Schwertes.“ Ich glaube, daß er wieder von <strong>den</strong>191drei Jünglingen spricht. „Aus Schwachenwur<strong>den</strong> Starke, <strong>die</strong> kraftvoll im Streite waren undder Feinde Heerlager in <strong>die</strong> Flucht trieben.“ Hierspielt er auf Dasjenige <strong>an</strong>, was nach derRückkehr von Babylon geschah. „AusSchwachen,“ sagt er, d.h. ausKriegsgef<strong>an</strong>genen. Als <strong>die</strong> jüdischenZustände sich in einer verzweifelten Lagebef<strong>an</strong><strong>den</strong>, indem sie sich von todtenGebeinen nicht unterschie<strong>den</strong>, - da f<strong>an</strong>d fürsie <strong>die</strong> Rückkehr statt. Denn wer hätteerwarten sollen, daß sie von Babylonzurückkehren, und nicht alleinzurückkehren, sondern auch kraftvoll seinund <strong>die</strong> Heerlager der Feinde in <strong>die</strong> Fluchttreiben wür<strong>den</strong>? Aber uns ist Nichts der Artbegegnet, heißt es. Allein hier sind Vorbildervon Dem, was zukünftig ist. „Weiber bekamendurch Auferstehung ihre Verstorbenen wieder.“Hier spricht er Solches von <strong>den</strong> ProphetenElisäus und Elias; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se haben Todteerweckt.35. Einige wur<strong>den</strong> auf <strong>die</strong> Folter gesp<strong>an</strong>ntund mochten <strong>die</strong> Freilassung nicht<strong>an</strong>nehmen, um <strong>die</strong> bessere Auferstehung zuerl<strong>an</strong>gen.Aber wir sind der Auferstehung nichttheilhaftig gewor<strong>den</strong>. Allein ich k<strong>an</strong>nnachweisen, sagt er, daß auch Jene, <strong>die</strong>zerschnitten wor<strong>den</strong> sind, <strong>die</strong>selbe nichterl<strong>an</strong>gt haben, um eine bessere zubekommen. Denn warum, sage mir, hattensie, da es ihnen vergönnt war zu leben, dazukein Verl<strong>an</strong>gen? Nicht darum, weil sie einbesseres Leben erwarteten? Und selbstDiejenigen, welche Andere auferweckthatten, wünschen zu sterben, um einebessere Auferstehung zu gewinnen, nichteine solche, wie sie <strong>den</strong> Söhnen jener Weiberzu Theil ward. Hier scheint er mir auf<strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> und Jakobus hinzudeuten,<strong>den</strong>n ἀποτυμπανισμός heißt


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Enthauptung. 536 Es st<strong>an</strong>d ihnen frei, dasSonnenlicht zu schauen; es st<strong>an</strong>d ihnen frei,nicht beschimpft zu wer<strong>den</strong>, und dochwählten sie lieber <strong>den</strong> Tod; und Jene, welcheAndere auferweckt hatten, wünschten selbstzu sterben, um eine bessere Auferstehung zuerl<strong>an</strong>gen.36. Andere aber haben Spott und Schlägeertragen, dazu B<strong>an</strong>de und Gefängnisse,wur<strong>den</strong> gesteinigt, zersägt, versucht.III.Er macht mit Dem, was sie näher <strong>an</strong>ging, <strong>den</strong>Schluß: <strong>den</strong>n das gewährt am meisten Trost,wenn <strong>die</strong> Trauer aus der gleichen Quellefließt; sonst aber, wenn sie nicht aus dergleichen Quelle stammt, wirst du Nichtsausrichten, selbst wenn du mit noch sogroßem Nachdruck sprichst. Deßhalbbeschließt er seine Worte damit, daß er vonB<strong>an</strong><strong>den</strong>, Gefängnissen, Schlägen spricht, unddarauf hindeutet, was Steph<strong>an</strong>us undZacharias erfuhren; darum fügt er auch bei:„Durchs Schwert getödtet.“ Was sagst du? Jeneentgingen der Schärfe des Schwertes, Dieseaber wur<strong>den</strong> mittelst desselben getödtet?Was ist Das? Was lobst du? Was bewunderstdu? Dieses oder Jenes? Dieses und Jenes, sagter; das Eine, weil es euch <strong>an</strong>geht, das Andere,weil sich der Glaube selbst im Tode kraftvollerwies, und ein Vorbild des Zukünftigen ist;<strong>den</strong>n das sind <strong>die</strong> zwei großen Wunder desGlaubens, daß er Großes wirkt und Großesduldet und Nichts zu lei<strong>den</strong> vermeint. Unddu k<strong>an</strong>nst nicht behaupten, sagt er, sie seienSünder und nichtswerthe Menschengewesen; <strong>den</strong>n wenn du auch <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Weltauf <strong>die</strong> entgegengesetzte Wagschale legst, so finde ich, daß sie <strong>den</strong> Wagebalkenherunterziehen und ehrenreicher sind.536 Montfaucon und Muti<strong>an</strong> <strong>über</strong>setzen es mit decollatio. Im klassischenGriechisch heißt ἀποτυμπανίζειν prügeln, auch zu Tode prügeln,entsprechend dem italienischen ammazzare, tödten, von mazza =Keule.192Darum sagt er auch also: „Ihrer war <strong>die</strong> Weltnicht würdig.“ Was sollten also Diejenigenhienie<strong>den</strong> empf<strong>an</strong>gen, deren Nichts, was inder Welt ist, würdig war? Hier richtet erihren Sinn auf und belehrt sie, sich nicht <strong>an</strong>das Gegenwärtige zu klammern, sondernGrößeres zu <strong>den</strong>ken als Alles, was in <strong>die</strong>semLeben vorkommt, da ja „<strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Welt ihrernicht werth ist.“ Was willst du also hierhaben? Denn es ist eine Schmach, wenn du<strong>den</strong> Lohn hier empfängst. Sinnen wir alsonichts Weltliches, suchen wir <strong>die</strong> Vergeltungnicht hier und seien wir nicht so arm. Dennwenn <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Welt ihrer nicht werth war,warum suchst du <strong>den</strong>n einen Theil? Und mitRecht; <strong>den</strong>n sie sind Freunde Gottes. Weltnennt er hier <strong>die</strong> Menge oder <strong>die</strong> Schöpfungselbst; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Schrift weiß Beides so zubezeichnen. Wenn <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Schöpfung, willer sagen, mit ihren Menschen dastände, siewürde mit <strong>die</strong>sen durchaus nicht <strong>den</strong>selbenWerth haben. Und natürlich; <strong>den</strong>n gleichwieunzählige Pfund Spreu und Heu nicht einmalzehn der Perlen <strong>an</strong> Werth gleichkommen, soverhält es sich auch mit Jenen: <strong>den</strong>n Einer,der <strong>den</strong> Willen Gottes thut, ist besser, alsunzählige Gottlose.“ 537 Er sagt nicht: viele,sondern unzählige, eine grenzenlose Menge.Be<strong>den</strong>ke, wie groß ein Gerechter ist! „Essprach Jesus, der Sohn des Nave (Josue):Sonne, bewege dich nicht von Gabaon, undMond nicht vom Thale Ajalon (Elom), 538 undes geschah.“ Es komme daher der g<strong>an</strong>zeErdkreis, oder vielmehr zwei oder drei odervier oder zehn oder zw<strong>an</strong>zig Erdkreise undsie sollen also sprechen und Solches thun: siewer<strong>den</strong> es aber nicht können. Der FreundGottes gebot <strong>den</strong> Geschöpfen seinesFreundes oder vielmehr er hat seinenFreund, und <strong>die</strong> unter dessen Botmäßigkeitst<strong>an</strong><strong>den</strong>, gehorchten, und der sich untenbef<strong>an</strong>d, ertheilte <strong>den</strong> Himmelskörpern seine Befehle. Siehst du,537 Ekkli 16, 3538 Jos 10,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>daß sie <strong>die</strong>nstbar wur<strong>den</strong>, <strong>die</strong> da <strong>den</strong> ihnenvorgeschriebenen Lauf vollen<strong>den</strong>? Dieß istgrößer als Das, was Moses geth<strong>an</strong> hat.Warum <strong>den</strong>n? Es steht sich nämlich nichtgleich, dem Meere zu befehlen und <strong>den</strong>Himmelskörpern; <strong>den</strong>n groß ist zwar auchJenes, ja sehr groß, aber doch Diesem nichtgleich. Höre aber auch, wodurch er zu <strong>die</strong>serGröße gel<strong>an</strong>gt ist. Wodurch <strong>den</strong>n? Der Namedes Jesus (Josue) war ein Vorbild Christi.Darum also, weil Josue im Vorbilde einensolchen Namen besaß, hatte <strong>die</strong> Schöpfungselbst vor der Benennung Ehrfurcht. Wieaber? Hat kein Anderer <strong>den</strong> Namen Jesusgehabt? Aber Dieser wurde zu <strong>die</strong>semZwecke im Vorbilde also gen<strong>an</strong>nt; <strong>den</strong>n erhieß auch Auses. Darum wurde sein Namegeändert, <strong>den</strong>n es lag darin eineVorhersagung und eine Weissagung. Dieserführte das Volk in <strong>die</strong> Verheissung, wie Jesusin <strong>den</strong> Himmel, nicht das Gesetz, so wie auchnicht Moses, <strong>den</strong>n er kam nicht hinein; <strong>den</strong>ndas Gesetz hat nicht <strong>die</strong> Kraft,hineinzuführen, sondern <strong>die</strong> Gnade. Siehstdu, daß <strong>die</strong> Vorbilder von frühe <strong>an</strong>, vorheraufgezeichnet wur<strong>den</strong>? Er gebot derSchöpfung, oder vielmehr dem vornehmstenTheile derselben, er, der unten st<strong>an</strong>d, selbstdem Haupte, damit du, wenn du Jesus inMenschengestalt dasselbe sprechen hörst,nicht staunest und kein Befrem<strong>den</strong> habest. Erschlug, auch als Moses noch lebte, <strong>die</strong> Feindein <strong>die</strong> Flucht; er trägt, auch während dasGesetz noch besteht, für Alles Sorge, nurnicht offenbar. Doch sehen wir, wie groß <strong>die</strong>Tugend der Heiligen ist!IV.Wenn sie hier Solches wirken, wenn sie hierthun, was <strong>die</strong> Engel vollbringen, was wirdd<strong>an</strong>n dort geschehen? Welch großen Gl<strong>an</strong>zwer<strong>den</strong> sie besitzen? Vielleicht machte einJeder von euch <strong>die</strong> Macht haben, der Sonne193und dem Monde zu gebieten. Was wer<strong>den</strong>wohl Diejenigen dazu sagen, <strong>die</strong> dabehaupten, der Himmel sei eine Kugel?Warum sagte er nicht: Sonne, bewege dichnicht, sondern setzte hinzu: „Sonne, bewegedich nicht von Gabaon, und Mond nicht vomThale Aialon (Elom)“, d. h. bewirke einen längern Tag? Dieß geschah auch beiEzechias; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Sonne ging zurück. Aber<strong>die</strong>ß ist wunderbarer als Jenes, daß sienämlich einen rückgängigen Weg machte, dasie ihren Rundlauf noch nicht vollendethatte. Wir aber wer<strong>den</strong>, wenn wir wollen,noch Größeres erl<strong>an</strong>gen. Denn was hat unsChristus versprochen? Nicht, daß wir <strong>die</strong>Sonne und <strong>den</strong> Mond zum Stillst<strong>an</strong>de, nochauch, daß wir <strong>die</strong> Sonne zum Rückg<strong>an</strong>gebestimmen wer<strong>den</strong>, - sondern was? „Wirwer<strong>den</strong>,“ heißt es, „zu ihm kommen, ich undder Vater, und Wohnung bei ihmnehmen.“ 539 Wozu brauche ich Sonne undMond und <strong>die</strong>se Wunder, wenn selbst derHerr vor Allem sich zu mir herablassen undbei mir bleiben will? D<strong>an</strong>n habe ich Solchesnicht nöthig; <strong>den</strong>n wie bedürfte ich Etwasvon Diesem? Er selbst wird mir Sonne undMond und Licht sein. Denn, sage mir,würdest du, wenn du in einen königlichenPalast kämest, lieber <strong>die</strong> Macht haben, das,was dort befestigt ist, zu verändern, odermöchtest du es vorziehen, mit dem Könige inso freundlichem Verkehre zu stehen, daß duihn <strong>über</strong>re<strong>den</strong> könntest, zu dir zu kommen?Wäre dir Dieses nicht erwünschter als Jenes?Wie aber? Ist es nicht zu verwundern, wennein Mensch so wie Christus gebietet? AberChristus, sagt m<strong>an</strong>, bittet <strong>den</strong> Vater nicht,sondern h<strong>an</strong>delt aus eigener Macht. Schön.Sprich also zuerst das Geständniß aus, daß er<strong>den</strong> Vater nicht bittet, und daß er aus eigenerMacht h<strong>an</strong>delt; und d<strong>an</strong>n will ich dichwieder fragen oder vielmehr in Betreff desGebetes, das er verrichtet, dich belehren, daß539 Joh 14,23


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>es Herablassung und Liebe war (<strong>den</strong>nChristus war doch nicht geringer, als JesusNave), und er konnte uns lehren ohne Gebet.Denn gleichwie du, wenn du einen Lehrerlautieren und <strong>die</strong> Buchstaben hersagen hörst,nicht sagst, daß er unwissend sei, und wenner fragt: wo ist <strong>die</strong>ser Buchstabe? du<strong>über</strong>zeugt bist, daß er nicht ausUnwissenheit fragt, sondern <strong>den</strong>Schüler einüben will: so hat auch Christus,nicht weil er des Gebetes bedürfte, dasselbeverrichtet, sondern weil er dich üben wollte,damit du dich beständig mit dem Gebetebeschäftigest, du ohne Unterlaß mitnüchternem Geiste, mit großer Wachsamkeitdasselbe verrichtest. Unter Wachen aberverstehe ich nicht allein, daß m<strong>an</strong> des Nachtsnicht schlafe, sondern auch, daß m<strong>an</strong> amTage mit nüchternem Geiste bete; <strong>den</strong>n einsolcher wird wachsam gen<strong>an</strong>nt. Denn es istmöglich, daß Jem<strong>an</strong>d bei Nacht betendschläft und daß er bei Tage nicht betendwacht, wenn sich nämlich <strong>die</strong> Seele zu Gotterhoben hat, wenn sie be<strong>den</strong>kt, mit wem siespricht, <strong>an</strong> wen ihre Worte gerichtet sind,wenn sie betrachtet, daß <strong>die</strong> Engel unterFurcht und Zittern <strong>an</strong>wesend sind, er selbstaber gähnend und sich reibend hinzutritt.Eine mächtige Waffe ist das Gebet, wenn esmit dem gebühren<strong>den</strong> Nach<strong>den</strong>kenverrichtet wird. Und damit du lernst, welcheKraft dasselbe besitze. so be<strong>den</strong>ke, daß das<strong>an</strong>haltende Gebet Schamlosigkeit undUngerechtigkeit und Grausamkeit undFrechheit <strong>über</strong>windet: „Denn höret, heißt es,was der ungerechte Richter sagt.“ 540 Undferner besiegt es <strong>die</strong> Trägheit, und was <strong>die</strong>Freundschaft nicht vermochte, das brachte<strong>die</strong> fortgesetzte Bitte zu St<strong>an</strong>de: „Wenn erauch nicht aufstände, heißt es, und ihmdarum gäbe, weil er sein Freund ist, so wirder doch wegen seines Ungestümes aufstehen,und ihm geben, soviel er nöthig hat.“ 541 Und540 Lk 8,6541 Lk 11,8194<strong>die</strong> unwürdig war, machte würdig ihrausdauernder Bitteifer: „Es ist nicht recht“,heißt es, „<strong>den</strong> Kindern das Brod zu nehmenund es <strong>den</strong> Hun<strong>den</strong> vorzuwerfen.“ Sie abersprach: „Ja Herr, <strong>den</strong>n auch <strong>die</strong> Hündleinessen von <strong>den</strong> Brosamen, <strong>die</strong> von dem Tischeihres Herrn fallen.“ 542V.Befassen wir uns daher mit dem Gebete: es isteine starke Waffe, wenn es mit Eiferverrichtet wird, wenn es von Eitelkeitfrei ist und aus einer fleckenlosen Seelekommt. Dasselbe hat Feinde in <strong>die</strong> Fluchtgeschlagen und einem g<strong>an</strong>zen undunwürdigen Volke Wohlthaten erwiesen:„Ich kenne,“ heißt es, „ihre Lei<strong>den</strong>, und binherabgekommen, um sie zu erretten.“ 543Dasselbe ist eine heilsame Arznei: esverhindert <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> und heilt <strong>die</strong> Fehler.Eifrig war mit demselben jene Wittwe, <strong>die</strong>zurückgelassen dast<strong>an</strong>d, beschäftigt. Wennwir nun mit Demuth beten, wenn wir <strong>an</strong>unsere Brust schlagen, wie der Zöllner, wennwir eine Sprache führen wie jener und sagen:„sei mir Sünder gnädig,“ 544 so wer<strong>den</strong> wirAlles erl<strong>an</strong>gen. Denn sind wir auch keineZöllner, so haben wir doch <strong>an</strong>dere Sün<strong>den</strong>,<strong>die</strong> nicht geringer sind, als <strong>die</strong> seinigenwaren. Denn sage mir nicht, daß du in einerkleinen Sache gefehlt hast; es waltet ja<strong>die</strong>selbe Beschaffenheit ob. Denn gleichwieJem<strong>an</strong>d ein Mörder gen<strong>an</strong>nt wird, mag er einKind oder einen M<strong>an</strong>n umgebracht haben: sowird auch, sowohl wer <strong>an</strong>dere um Vieles, alswer sie um Weniges bringt, ein Habsüchtigerheissen. Und der Groll <strong>über</strong> erlittenesUnrecht ist keine kleine, sondern eine großeSünde: „Denn <strong>die</strong> Wege Derer, <strong>die</strong> <strong>über</strong>erlittenes Unrecht grollen, führen zum542 Mt 15, 6.27 2543 Ex 3,8544 Lk 18,13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Tode.“ 545 Und: „Ein Jeder, der <strong>über</strong> seinenBruder ohne Ursache zürnt, wird desGerichtes schuldig sein,“ 546 und wer seinenBruder einen Bösewicht oder einen Narrenund was sonst noch nennt. Wir empf<strong>an</strong>genauch <strong>die</strong> schauerlichen Geheimnisseunwürdig, und benei<strong>den</strong> und schimpfen.M<strong>an</strong>che aber von uns sind nicht seltenbetrunken. Ein Jedes von <strong>die</strong>sen ist für sichallein hinreichend, uns vom Himmelreicheauszuschließen; fin<strong>den</strong> sich nun <strong>die</strong>selbenzusammen, wie wer<strong>den</strong> wir unsvertheidigen? Wir haben, Geliebte, vieleBuße, vielem Gebet, viele Geduld, vielenThateifer nothwendig, damit wir <strong>die</strong> unsverheissenen Güter zu erl<strong>an</strong>gen vermögen.Sprechen daher auch wir: „Sei mir Sünder gnädig,“ oder vielmehr wir wollen esnicht allein sprechen, sondern es auchempfin<strong>den</strong>, und wenn uns ein AndererAehnliches vorwirft, wollen wir uns nichterzürnen. Jener hörte <strong>die</strong> Worte: „daß ich nichtbin wie <strong>die</strong>ser Zöllner da,“ - und er wurde nichtgereizt, sondern ging in sich; Jener n<strong>an</strong>nte <strong>die</strong>Wunde, Dieser suchte das Heilmittel.Sprechen wir daher: „Sei mir Sünder gnädig,“und wenn ein Anderer uns so nennt, wollenwir nicht aufgebracht wer<strong>den</strong>. Wenn wiraber selbst von uns unzähliges Böseaussagen, <strong>über</strong> Andere jedoch, welche Diesesthun, aufgebracht wer<strong>den</strong>, so ist das keineDemuth und kein Eingeständniß mehr,sondern Schaustellen und Eitelkeit.Schaustellen ist es, sagt m<strong>an</strong>, sich selbst einenSünder zu nennen? Allerdings. Denn wirempf<strong>an</strong>gen <strong>den</strong> Ruhm der Demuth, wirwer<strong>den</strong> bewundert und gelobt; wenn wiraber von uns das Gegentheil sagen, wird unsVerachtung zu Theil. So thun wir auch Dießdes Ruhmes wegen. Was ist aber Demuth?Die Ertragung der von Andern unszugefügten Schmähungen, <strong>die</strong> Erkenntnißder Sün<strong>den</strong> und <strong>die</strong> Gelassenheit bei demSchimpfen der Anderen. Und selbst Dießmöchte vielleicht noch nicht Demuth,sondern Herzensgüte sein. Nun nennen wiruns zwar Sünder, Unwürdige undunzähliges Andere; wenn aber sonst Jem<strong>an</strong>duns auch nur Eines davon vorwirft, sower<strong>den</strong> wir ärgerlich und ergrimmen. Siehstdu, daß Dieß kein Geständniß und keineDemuth ist? Du sagst, du selbst seiest einSolcher. Werde daher nicht aufgebracht,wenn du auch von Andern Solches hörst undbeschimpft wirst; <strong>den</strong>n auf <strong>die</strong>se Weisewer<strong>den</strong> <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> verringert, wenn Andereuns schmähen; sich selbst zwar la<strong>den</strong> Dieseeine Last auf, uns aber fuhren sie zurWeisheit. Höre, was der selige David spricht,als ihm Semei fluchte: „Lasset ihn fluchen“,sagte er, „<strong>den</strong>n der Herr hat ihm befohlen.Vielleicht daß der Herr mir Gutes vergilt für<strong>die</strong>sen Fluch.“ 547 Du aber sagst von dir selbstauch <strong>über</strong>triebenes Böse; wenn duaber von Anderen nicht <strong>die</strong>Lobeserhebungen, welche nur großen undgerechten Männern gebühren, vernimmst, sowirst du erbost. Siehst du, daß du mit Dingenspielst, <strong>die</strong> mit sich nicht spielen lassen?Denn auch das Lob wehren wir aus Begier<strong>den</strong>ach <strong>an</strong>dern Lobesbezeugungen ab, um nochgrößeres Lob zu gewinnen, um noch mehrbewundert zu wer<strong>den</strong>, so daß wir das Lobdarum nicht zulassen, um dasselbe zumehren. Alles geschieht bei uns ausVerl<strong>an</strong>gen nach Ruhm und nicht aus Liebezur Wahrheit. Darum ist Alles eitel, Alleszweifelhaft. Darum bitte ich, doch jetztabzustehen von der Mutter der Uebel, derRuhmsucht, und zu suchen was Gott gefällt,damit wir <strong>die</strong> zukünftigen Güter erl<strong>an</strong>gen inChristo Jesu, unserm Herrn. Achtundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.545 Spr 12,28546 Mt 5,22195547 2 Kön 16,10.12


I.<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>37. 38. Sie gingen umher in Schafspelzenund Ziegenfellen, M<strong>an</strong>gel lei<strong>den</strong>d,gedrängt, mißh<strong>an</strong>delt; ihrer war <strong>die</strong> Weltnicht werth; sie sind umhergeirrt in Wüstenund Gebirgen, in Höhlen und Klüften derErde.Immer zwar, am meisten aber, wenn ich <strong>die</strong>Thaten der Heiligen zum Gegenst<strong>an</strong>d meinerBetrachtung mache, w<strong>an</strong>delt es mich <strong>an</strong>, alssollte ich verzagen in Bezug auf mich selbst,weil wir auch nicht im Traume Das erfahrenhaben, worin <strong>die</strong>se ihr g<strong>an</strong>zes Lebenzubrachten, <strong>die</strong> da nicht für ihre Sün<strong>den</strong>büßten, sondern innere Gerechtigkeit übtenund innere Bedrängnisse litten. Dennbetrachte mir <strong>den</strong> Elias, auf welchen wirheute wieder zu sprechen kommen; <strong>den</strong>n inBezug auf ihn sind hier <strong>die</strong> Wortegesprochen: „Sie gingen umher inSchafspelzen,“ und mit ihm schließt er <strong>die</strong>Beispiele, was auch sie nahe <strong>an</strong>ging. Und nachdem er von <strong>den</strong> Aposteln gesagthatte, daß sie durch das Schwert um’s Lebengekommen, und daß sie gesteiniget wer<strong>den</strong>,kehrt er wieder zu Elias zurück, der mit<strong>die</strong>sen Gleiches erduldet hatte. Denn da eswahrscheinlich war, daß sie in Bezug auf <strong>die</strong>Apostel noch nicht eine so hohe Meinunghatten, so entnimmt er von Dem, der daausgenommen wor<strong>den</strong> war, und in dergrößten Bewunderung st<strong>an</strong>d, für sieErmunterung und Trost: „Sie gingen umher“,sagt er, „in Schafspelzen und Ziegenfellen,M<strong>an</strong>gel lei<strong>den</strong>d, gedrängt, mißh<strong>an</strong>delt; ihrer war<strong>die</strong> Welt nicht werth.“ Sie hatten, will er sagen,im Uebermaß der Trübsal weder einOberkleid <strong>an</strong>zuziehen, noch besaßen sie eineStadt oder ein Haus oder eine Herberge.Dasselbe sagte auch Christus. „Der Sohn desMenschen hat nicht, wo er sein Haupthinlege.“ 548 Was rede ich von Herberge? Siehatten nicht einmal einen Aufenthaltsort;auch da sie <strong>die</strong> Einsamkeit gewählt hatten,genoßen sie keine Ruhe. Denn er sagt nicht,sie saßen in der Einsamkeit, sondern als sieauch dort verweilten, mußten sie fliehen undwur<strong>den</strong> von dort vertrieben, nicht nur ausbewohnten Gegen<strong>den</strong>, sondern auch ausEinö<strong>den</strong>. Und er ruft ihnen <strong>die</strong> Orte insAn<strong>den</strong>ken, wo sie sich aufhielten, und <strong>die</strong>Dinge, <strong>die</strong> dort geschahen: „M<strong>an</strong>gel lei<strong>den</strong>d,gedrängt.“ Euch also, sagt er, haben sie wegenChristus <strong>an</strong>geklagt, und Dieß haben sie auchdem Elias geth<strong>an</strong>. Welche Gründe zur Klagehatten sie wohl, als sie ihn vertrieben undverfolgten und mit dem Hunger zu kämpfenzw<strong>an</strong>gen? Solches haben auch Diese damalserduldet, weßhalb er auch <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>dernStelle sagt, daß <strong>die</strong> Brüder beschloßen hatten,<strong>den</strong> bedrängten Jüngern eine Unterstützungzu schicken: „Die Jünger aber beschloßen,daß ein Jeder nach seinem Vermögen Etwaszur Ausspendung sende <strong>den</strong> Brüdern, <strong>die</strong> inJudäa wohnten.“ 549 Mißh<strong>an</strong>delt, sagt er, d. i.Lei<strong>den</strong> erdul<strong>den</strong>d, auf Reisen in Gefahren, was auch Diesen widerfuhr: „Siesind umhergeirrt, in Wüsten und Gebirgen, inHöhlen und Klüften der Erde.“ Er will hiernichts Anderes <strong>an</strong>deuten, als daß sieumhergingen wie Flüchtlinge undAusw<strong>an</strong>derer, wie Solche, <strong>die</strong> derschändlichsten Verbrechen <strong>über</strong>wiesen, <strong>die</strong>nicht werth sind, das Antlitz der Sonne zuschauen, und <strong>den</strong>en nicht einmal in derWüste eine Zufluchtsstätte gegönnt war,sondern <strong>die</strong> immer fliehen, immerSchlupfwinkel aufsuchen, lebendig sichselbst in <strong>die</strong> Erde vergraben und immer inFurcht sein mußten.39. 40. Und Diese alle, obwohl durch dasZeugniß des Glaubens bewährt, haben <strong>die</strong>Verheissung nicht erhalten, weil Gott etwasBesseres für uns ausersehen hatte, damit sienicht ohne uns vollendet wür<strong>den</strong>.548 Mt 8,20196549 Apg 11,29


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Was wird nun, sagt er, der Lohn sein für einesolche Hoffnung? Was <strong>die</strong> Vergeltung? SoGroßes, daß Worte es nicht ausdrückenkönnen; „<strong>den</strong>n“, heißt es, „kein Auge hat esgesehen, kein Ohr gehört, und in keinesMenschen Herz ist es gekommen, was GottDenen bereitet hat, <strong>die</strong> ihn lieben.“ 550 Alleinsie haben <strong>den</strong> Lohn noch nicht empf<strong>an</strong>gen,sondern sie erwarten ihn noch und sind alsoin so großer Trübsal gestorben. Jene stehenschon seit so l<strong>an</strong>ger Zeit als Sieger da, undsind noch ohne Vergeltung geblieben; ihraber seid noch jetzt Kämpfer und wollttraurig sein? Be<strong>den</strong>ket auch ihr, was Das istund was Großes es ist, daß Abraham und derApostel Paulus sitzen und warten, bis duhingeschie<strong>den</strong> bist, damit sie alsd<strong>an</strong>n ihrenLohn empf<strong>an</strong>gen können. Denn der Erlöserhat vorhergesagt, daß er, wenn wir nichtgegenwärtig waren, ihnen <strong>den</strong>selben nichtgeben werde, wie wenn ein zärtlichliebenderVater seinen braven Söhnen, <strong>die</strong> ihre Arbeitvollbracht haben, sagt, daß sie mitdem Essen warten müßten, bis ihre Brüderkämen. Du aber bist verdrießlich, daß du <strong>den</strong>Lohn noch nicht erhalten hast? Was soll <strong>den</strong>nAbel thun, der vor Allen <strong>den</strong> Sieg davongetragen hat, und noch auf <strong>die</strong> Krone wartet?Was <strong>den</strong>n Noe? Was Diejenigen, welche zujenen Zeiten lebten, da sie auf Dich undDiejenigen, welche nach dir kommen,warten? Siehst du, daß wir vor Jenen imVortheile stehen? Sehr schön hat er darumgesagt: „Weil Gott etwas Besseres für unsausersehen hatte.“ Denn damit sie nicht einbesseres Loos zu haben schienen, als wir,wenn sie zuerst gekrönt wür<strong>den</strong>, hat er fürAlle eine Zeit der Kronenvertheilungbestimmt, und der vor so vielen Jahren <strong>den</strong>Sieg gewonnen hat, empfängt mit dir <strong>die</strong>Siegeskrone. Siehst du seine Sorge? Und ersagt nicht: „damit sie nicht ohne uns gekröntwür<strong>den</strong>,“ sondern: „damit sie nicht ohne unsvollendet wür<strong>den</strong>“, sodaß sie d<strong>an</strong>n alsvollkommen erscheinen. Sie sind unszuvorgekommen in Bezug auf <strong>die</strong> Kämpfe.Er hat Jenen kein Unrecht geth<strong>an</strong>, sondernuns geehrt; <strong>den</strong>n auch sie warten auf <strong>die</strong>Brüder. Denn wenn wir Alle Ein Leib sind, sowird <strong>die</strong>sem Leibe eine größere Freudebereitet, wenn er g<strong>an</strong>z und gemeinsam, alswenn er nur gliederweise gekrönt wird.Denn <strong>die</strong> Gerechten sind auch in <strong>die</strong>serBeziehung bewunderungswürdig, daß siesich <strong>über</strong> <strong>den</strong> Glückesbesitz der Brüder wie<strong>über</strong> ihren eigenen freuen, und es entspricht<strong>die</strong>ß g<strong>an</strong>z ihrem Wunsche, daß sie mit ihrenGliedern gekrönt wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>gemeinsame Krönung gereicht ihnen zugroßem Freu<strong>den</strong>genusse.Kap. XII.1. Daher lasset auch uns, da wir eine solcheWolke von Zeugen um uns haben...II.An vielen Stellen nimmt <strong>die</strong> heilige Schrift<strong>den</strong> Trost im Unglück von Dingen, <strong>die</strong> sichereignen, so z. B. wenn der Prophetspricht: „Und meine Hütte wird sein zumSchatten bei Tag vor der Hitze und zurZuflucht und Verbergung vor dem Wetterund Regen.“ 551 Und David: „Des Tags wird<strong>die</strong> Sonne dich nicht brennen, noch derMond des Nachts.“ 552 Dieß nun sagt er auchhier, daß das An<strong>den</strong>ken <strong>an</strong> jene Heiligen wieeine Wolke Denjenigen, welcher von einemheissen Strahle gebr<strong>an</strong>nt wird, beschattet, <strong>die</strong>vom Drucke des Unglücks entkräftete Seeleaufrichtet und wieder zu Kräften bringt. Under gebraucht nicht <strong>die</strong> Worte: „Die <strong>über</strong> unsschwebt,“ sondern: „Die uns umgibt“, wasmehr besagt, um dadurch <strong>an</strong>zuzeigen, daßsie, da sie uns von allen Seiten umschließt,natürlich um so mehr alle Furcht von uns550 1 Kor 2,9197551 Is 4,6552 Ps 120,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>vertreibe. Zeugen nennt er aber nicht allein<strong>die</strong> im Neuen, sondern auch <strong>die</strong> im AltenTestamente; <strong>den</strong>n auch <strong>die</strong>se zeugten fürGottes Größe, wie z. B. <strong>die</strong> drei Jünglinge,Elias und seine Genossen und alle Propheten.- „Alle Last ablegen.“ Was heißt Das: alle? DenSchlaf, <strong>die</strong> Nachlässigkeit, <strong>die</strong> gemeinenGed<strong>an</strong>ken, alles Menschliche. „Die leichtumzingelnde Sünde.“ Leicht umzingelnd nennter sie entweder darum, weil sie uns leichtumschließt, oder weil sie leicht umzingeltwer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n. Eher wird sie aber in letzteremSinne also gen<strong>an</strong>nt; <strong>den</strong>n es ist leicht, wennwir nur wollen, <strong>die</strong> Sünde zu bewältigen.„Und mit Geduld lasset uns dem uns vorgelegtenWettpreise zulaufen.“ Er sagt nicht: Lasset unskämpfen, noch auch: Lasset uns ringen, auchnicht: Lasset uns streiten, sondern was vonAllem am leichtesten ist: Lasset uns laufen.Auch sagt er nicht: Beschleunigen wir unsernLauf, sondern: Lasset uns in demselbengeduldig verharren und nicht saumseligwer<strong>den</strong>: „Lasset uns,“ sagt er, „dem unsvorgelegten Wettpreise zulaufen!“Hierauf nennt er <strong>den</strong> Mittelpunkt desTrostes, <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>g und das Ende, Christusnämlich.2. Lasset uns, sagt er, aufblicken zu demAnfänger und Vollender des Glaubens, zuJesus!Dasselbe sagt auch Christus selbst immerfortseinen Jüngern: „Haben sie <strong>den</strong> HausvaterBeelzebub geheissen, wie vielmehr wer<strong>den</strong>sie seine Hausgenossen also nennen?“ 553 Undwieder: „Der Lehrling ist nicht <strong>über</strong> <strong>den</strong>Meister, noch der Knecht <strong>über</strong> seinenHerrn.“ 554 „Lasset uns ausblicken,“ sagt er, d.h. damit wir laufen lernen, sollen wir aufChristus schauen. Denn gleichwie wir beiallen Künsten und bei <strong>den</strong> Kämpfen auf <strong>die</strong>Lehrmeister hinblicken, und so dem Geiste<strong>die</strong> Kunst einprägen, indem wir durch <strong>die</strong>Augenthätigkeit gewisse Regeln gewinnen:553 Mt 10,25554 Mt 10,24198so wollen auch wir, wenn wir unsentschließen zu laufen, und das Verl<strong>an</strong>genhaben, gut laufen zu lernen, auf Christushinschauen, <strong>den</strong> Anfänger und Vollender desGlaubens, auf Jesus. Was heißt das? Dasheißt: er selbst hat in uns <strong>den</strong> Glaubenhineingelegt, er selbst hat <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>ggegeben; wie auch Christus zu seinenJüngern sprach: „Nicht ihr habt micherwählt, sondern ich habe euchauserwählt.“ 555 Auch Paulus sagt: „D<strong>an</strong>naber werde ich erkennen, sowie auch icherk<strong>an</strong>nt bin.“ 556 Hat er aber selbst <strong>den</strong>Anf<strong>an</strong>g in uns hineingelegt, so wird er auchdas Ende hinzufügen: „welcher für <strong>die</strong> ihmvorgelegte Freude das Kreuz erduldete und<strong>die</strong> Schmach nicht achtete“, d. h. wenn ergewollt hätte, so wäre er von <strong>den</strong> Lei<strong>den</strong>verschont geblieben, „weil er kein Unrechtgeth<strong>an</strong> und Betrug nicht in seinem Mundewar;“ 557 wie er auch selbst im Ev<strong>an</strong>geliumsagt: „Es kommt der Fürst <strong>die</strong>ser Welt, aberer hat Nichts <strong>an</strong> mir.“ 558 Es st<strong>an</strong>d daher bei ihm, wenn er nicht wollte, das Kreuznicht zu erdul<strong>den</strong>; „<strong>den</strong>n ich habe Macht“,sagt er, „es (mein Leben) hinzugeben, undich habe Macht, es wieder zu nehmen.“ 559Wenn also er, der gar nicht nothwendighatte, das Kreuz zu erdul<strong>den</strong>, unsertwegengekreuzigt wurde: um wie viel mehr ist esgerecht, daß wir Alles st<strong>an</strong>dhaft ertragen?„Welcher“, sagt er, „für <strong>die</strong> ihm vorgelegteFreude das Kreuz erduldete, <strong>die</strong> Schmach nichtachtete.“ Was heißt das: „<strong>die</strong> Schmach nichtachtete?“ Das heißt: er wählte einenschimpflichen Tod. Sei es, daß er starb;warum ist er <strong>den</strong>n eines schimpflichen Todesgestorben? Aus keinem <strong>an</strong>dern Grunde, alsum uns zu lehren, daß wir Menschenehre fürNichts achten sollen. Da er der Sünde nichtunterworfen war, wählte er ihn deßhalb, um555 Joh 15,16556 1 Kor 13,12557 Is 53,9558 Joh 14,30559 Joh 10,18


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>uns <strong>die</strong> Lehre zu geben, daß wir ihm muthigentgegentreten und uns Nichts aus ihmmachen sollen. Warum sagt er nichtTraurigkeit, sondern Schmach? Weil er nichtmit Traurigkeit Solches ertrug. Wie lautetnun der Schluß? Höre nur, <strong>den</strong>n er fügte bei:„und zur Rechten des Thrones Gottes sitzt.“Siehst du <strong>den</strong> Kampfpreis? Dasselbe schreibtauch Paulus, indem er sagt: „Darum hat ihnGott auch erhöht, und ihm einen Namengegeben, der <strong>über</strong> alle Namen ist, so daß imNamen Jesu sich alle Kniee beugen.“ 560 Erspricht Dieß in Bezug auf <strong>die</strong> Menschheit.Gewiß müßte also, wenn auch keinKampfpreis in Aussicht stünde, das Beispielim St<strong>an</strong>de sein, uns zu bestimmen, Alles zu<strong>über</strong>nehmen; - jetzt aber glänzen unsSiegespreise entgegen, und zwar nichtgewöhnliche, sondern große undunaussprechliche. Wenn daher auch wirSolches lei<strong>den</strong>, wollen wir vor <strong>den</strong> Aposteln<strong>an</strong> Christus <strong>den</strong>ken. Warum? Weil seing<strong>an</strong>zes Leben voll von Schmach war; <strong>den</strong>n erhörte sich einen Besessenen, einen Verführer,einen Betrüger nennen. Denn bald sagten <strong>die</strong>Ju<strong>den</strong>: „Dieser ist nicht von Gott,“ 561bald aber: „Nein, sondern er verführt dasVolk.“ 562 Und wieder: „Wir haben unserinnert, daß jener Verführer, als er nochlebte, gesagt hat: Nach drei Tragen werde ichwieder auferstehen.“ 563 Auch klagten sie ihnder Zauberei <strong>an</strong>, indem sie sagten: „InBeelzebub treibt er <strong>die</strong> Teufel aus,“ 564 unddaß er rase und einen Teufel habe: „Habenwir nicht recht gesagt“, heißt es, „daß ereinen Teufel hat und wahnsinnig ist.“ 565 UndDieß hörte er von ihnen, während erWohlthaten spendete, Wunder wirkte, GottesWerke zeigte. Denn wenn er Nichts geth<strong>an</strong>und d<strong>an</strong>n <strong>die</strong>se Worte gehört hätte, so wäredas nicht zu verwundern gewesen; daß eraber <strong>die</strong> Wahrheit lehrte und Betrügergen<strong>an</strong>nt wurde; <strong>die</strong> Teufel austrieb und m<strong>an</strong>ihn für einen Besessenen erklärte; allefeindliche Macht vernichtete, und für einenZauberer galt: welches Uebermaß vonWunder liegt nicht darin! Denn <strong>die</strong>seKlagepunkte brachten sie unausgesetztgegen ihn <strong>an</strong>.III.Wenn du aber <strong>die</strong> Spottworte und dasHohngerede wissen willst, das m<strong>an</strong> gegenihn in Bereitschaft hielt, was schmerzlich inunsere Seele einbeißt, so höre vorerst, wasm<strong>an</strong> in Bezug auf seine Herkunft vorbrachte:„Ist Dieser nicht,“ heißt es, „einesZimmerm<strong>an</strong>nes Sohn, dessen Vater undMutter wir kennen; und sind nicht alle seineBrüder bei uns?“ 566 Und wenn sie ihnbezüglich seiner Heimath verspotten wollten,sagten sie, er sei aus Nazareth. Und wieder:„Durchforsche <strong>die</strong> Schrift und siehe, daß ausNazareth kein Prophet aufsteht.“ 567 Und alle<strong>die</strong>se Verunglimpfungen ertrug er. Undwieder sagten sie: Sagt nicht <strong>die</strong> Schrift:„Christus kommt aus dem FleckenBethlehem?“ 568 Willst du auch <strong>die</strong> Hohnredewissen, <strong>die</strong> sie gegen ihn selbst beimKreuze ausstießen? Sie beteten ihnspottweise <strong>an</strong>; sie stießen ihn und schlugenihn in’s Angesicht und sprachen: „Weissageuns, Christus, wer ist’s, der dich geschlagenhat?“ 569 Und sie reichten ihm Essig dar mit<strong>den</strong> Worten: „Wenn du der Sohn Gottes bist,so steige vom Kreuze herab.“ 570 Auch sogarder Knecht des Hohenpriesters gab ihmeinen Backenstreich, und er erwidert: „Habeich unrecht geredet, so beweise, daß es560 Phil 2,9. 10561 Joh 9,16562 Joh 7,12563 Mt 27,63564 Mt 12,24565 Joh 10,20199566 Mt 13,55 56) (567 Joh 7,52568 Joh 7,42569 Mt 26,28570 Mt 27,40


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>unrecht sei, habe ich aber recht geredet,warum schlägst du mich?“ 571 Und zumHohne zogen sie ihm einen Soldatenm<strong>an</strong>telum und spuckten in sein Angesicht, undbereiteten ihm immer Versuchungen, undlegten ihm Fallstricke. Willst du auch <strong>die</strong>Beschuldigungen wissen, <strong>die</strong> gegen ihn imGeheimen, und öffentlich und von seinenSchülern vorgebracht wur<strong>den</strong>? Denn <strong>die</strong>Worte: „Wollet auch ihr fortgehen?“ 572 und:„Du hast <strong>den</strong> Teufel“ 573 , wur<strong>den</strong> von Denengesprochen, welche schon glaubten. Abersage mir, floh er nicht selbst immer bald nachGaliläa, bald nach Judäa? Wur<strong>den</strong> ihm nichtvon <strong>den</strong> Windeln <strong>an</strong> viele Gefahren bereitet?Nahm ihn nicht seine Mutter als kleines Kindund floh nach Aegypten? Wegen all Diesemsagt Paulus: „Und lasset uns aufblicken zu demAnfänger und Vollender des Glaubens, zu Jesus,der für <strong>die</strong> ihm vorgelegte Freude das Kreuzerduldete, <strong>die</strong> Schmach nicht achtete, und zurRechten des Thrones Gottes sitzt.“ Auf ihn alsowollen wir hinschauen und auf <strong>die</strong>Schicksale seiner Jünger, und wollenbesonders beim hl. Paulus verweilen, indemwir seine eigenen Worte <strong>an</strong>hören: „Durchgroße Geduld in Trübsalen, in Nöthen, inAengsten, in Schlägen, in Gefängnissen, inAufruhr, in Mühen, in Fasten, durchKeuschheit, mit Klugheit.“ 574 Und wieder:„Bis zu <strong>die</strong>ser Stunde hungern und dursten wir, sind entblößt, wer<strong>den</strong> mitFäusten geschlagen, und haben keinebleibende Stätte. Wir arbeiten und mühenuns mit unsern Hän<strong>den</strong>; m<strong>an</strong> verflucht uns,und wir segnen; m<strong>an</strong> verfolgt uns, und wirdul<strong>den</strong>, m<strong>an</strong> lästert uns, und wir beten.“ 575K<strong>an</strong>n nun Einer von uns sagen, daß er auchnur <strong>den</strong> kleinsten Theil von Dem gelittenhabe? Denn wie Verführer, sagt er, wie ohneEhre, wie Nichts habend. 576 Und wieder:„Von <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> habe ich fünfmal vierzigStreiche weniger Einen bekommen. Dreimalbin ich mit Ruthen gestrichen, einmalgesteinigt wor<strong>den</strong>, einen Tag und eine Nachtbin ich in der Meerestiefe gewesen, oft aufReisen, in Gefahren, in Mühseligkeit, inHunger.“ 577 Und daß Dieses Gott gefiel,dar<strong>über</strong> höre ihn selbst sprechen: „Umdeßwillen habe ich drei Mal <strong>den</strong> Herrngebeten, daß er von mir weiche. Er abersprach zu mir: es genügt dir meine Gnade,<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Kraft wird in deiner Schwachheitvollkommen; darum habe ich Wohlgefallen<strong>an</strong> meinen Schwachheiten, <strong>an</strong> Schmähungen,<strong>an</strong> Nöthen, <strong>an</strong> Verfolgungen, <strong>an</strong>Bedrängnissen um Christi willen.“ 578 Höreaber auch, was Christus selber spricht: „Inder Welt werdet ihr Bedrängniß haben.“ 5793. „Denn <strong>den</strong>ket, sagt er, <strong>an</strong> ihn, der solchenWiderspruch von <strong>den</strong> Sündern gegen sicherduldet hat, damit ihr nicht ermüdet, undeueren Muth nicht sinken lasset.Mit Recht hat er Das hinzugefügt; <strong>den</strong>n wenn<strong>die</strong> lei<strong>den</strong>des Nächsten uns <strong>an</strong>spornen,welchen Muth wer<strong>den</strong> wir aus <strong>den</strong> Lei<strong>den</strong>des Herrn selbst schöpfen? Wie wer<strong>den</strong> sieuns nicht beistehen! Und betrachte, wie er esunterläßt, Alles <strong>an</strong>zuführen, und durch <strong>den</strong>Ausdruck Widerspruch, <strong>den</strong> er hinsetzt, dasG<strong>an</strong>ze bezeichnet. Denn <strong>die</strong> Backenstreiche, das Hohnlachen, <strong>die</strong>Schmähungen, <strong>die</strong> Beschimpfungen, <strong>den</strong>Spott, alles Dieß hat er durch das Wort„Widerspruch“ <strong>an</strong>gedeutet, und nicht alleinDieses, sondern was ihm in seinem g<strong>an</strong>zenLeben, da er lehrte, begegnete. Dieß also,Geliebte. wollen wir immer be<strong>den</strong>ken, undbei Tag und Nacht in unserm Geisteerwägen, in der Gewißheit, daß wir hierausgroße Güter gewinnen und großen Nutzen571 Joh 18,23572 Joh 6,68573 Joh 7,20574 2 Kor 6,4-6575 1 Kor 4,11-13200576 2 Kor 6,8577 2 Kor 11,24-26578 2 Kor 12, 8-10579 Joh 16,33


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ziehen wer<strong>den</strong>. Denn einen großen, ja inWahrheit einen großen Trost gewähren uns<strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> Jesu, <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> der Apostel.Denn so sehr erk<strong>an</strong>nte er, daß <strong>die</strong>ser Weg derbeste Weg zur Tugend sei, daß auch er selbst,der dessen nicht bedurfte, ihn w<strong>an</strong>delte; sosehr erk<strong>an</strong>nte er es, daß <strong>die</strong> Trübsal unsheilsam ist und <strong>die</strong> Grundbedingung unsererRuhe bildet; <strong>den</strong>n höre, was Christus selbstspricht: „Und wer sein Kreuz nicht auf sichnimmt, und mir nachfolgt, ist meiner nichtwerth.“ 580 Durch <strong>die</strong>se Worte will er folgendeLehre ertheilen: „Wenn du ein Schüler bist,so ahme dem Meister nach, <strong>den</strong>n Das ist <strong>die</strong>Pflicht des Schülers.“ Wenn er selbst aber<strong>den</strong> Weg der Trübsal ging, du aber auf demder Ruhe lustw<strong>an</strong>delst, so bist du mit jenemnicht auf derselben Straße, sondern auf einer<strong>an</strong>dern. Wie bist du nun ein Nachfolger,wenn du ihm nicht nachgehst? Wie einSchüler, wenn du nicht dem Meister folgst?Dieß sagt auch Paulus: „Wir sind schwach, ihraber seid stark; ihr seid <strong>an</strong>gesehen, wir aberverachtet.“ Oder welchen vernünftigen Sinn,will er sagen, k<strong>an</strong>n Das haben, daß wir nacheinem g<strong>an</strong>z entgegengesetzten Ziele streben,und ihr Schüler seid, wir aber Lehrer sind?Eine herrliche Sache ist daher, Geliebte! <strong>die</strong>Trübsal; <strong>den</strong>n sie bewirkt zwei sehr wichtigeDinge: „sie tilgt <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> und verleihtFestigkeit.“IV.Wie aber, wenn sie zu Grunde richtet undzerstört? Die Trübsal thut Das nicht, sondernunsere Faulheit. Wie <strong>den</strong>n? sagt m<strong>an</strong>.Wenn wir nüchternen Geistes sind; wenn wirGott <strong>an</strong>flehen, er möge uns nicht <strong>über</strong> unsereKräfte versucht wer<strong>den</strong> lassen; wenn wir unsimmer <strong>an</strong> ihn halten, wer<strong>den</strong> wirhel<strong>den</strong>müthig und kampfbereit dastehen.580 Mt 10,38201Denn sol<strong>an</strong>ge wir ihn zum Helfer haben,wer<strong>den</strong> alle Versuchungen, und brausten<strong>die</strong>selben gewaltiger als alle Stürme auf unslos, uns wie Spreu erscheinen und wie Laub,das leicht hinweggeweht wird. Höre, wasPaulus spricht: „Aber in Diesem allen<strong>über</strong>win<strong>den</strong> wir.“ 581 Und wieder: „Denn ichhalte dafür, daß <strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> <strong>die</strong>ser Zeit nichtzu vergleichen sind mit der zukünftigenHerrlichkeit, <strong>die</strong> <strong>an</strong> uns offenbar wer<strong>den</strong>wird.“ 582 Und wieder: „Denn unseregegenwärtige Trübsal, <strong>die</strong> augenblicklichund leicht ist, bewirkt eine<strong>über</strong>schwengliche, ewige, Alles<strong>über</strong>wiegende Herrlichkeit in uns.“ 583Betrachte, welch’ große Gefahren,Schiffbrüche, ununterbrochene Trübsale undwas sonst der Art ist, er leicht nennt, undahme <strong>die</strong>sem diam<strong>an</strong>tenen M<strong>an</strong>n nach, dergleichsam wie zum Überflüsse mit <strong>die</strong>semLeibe bekleidet war. Bist du in Armuth? Aberin keiner solchen, worin sich Paulus bef<strong>an</strong>d,der in Hunger und Durst und Blöße geprüftwurde, <strong>den</strong>n er litt Dieß nicht etwa EinenTag, sondern erduldete es fortwährend.Woraus geht Dieses hervor? Höre, was erselbst sagt: „Bis zu <strong>die</strong>ser Stunde hungernund dursten wir und sind entblößt.“ 584 Ha,welchen Ruhm besaß er schon in derVerkündigung des Ev<strong>an</strong>geliums, als erSolches erduldete; <strong>den</strong>n er predigte schon imzw<strong>an</strong>zigsten Jahre, als er Folgendes schrieb:„Denn ich kenne,“ sagten „einen Menschenin Christo, der vor vierzehn Jahren, ob mitdem Leibe, ich weiß es nicht, ob ausser demLeibe, ich weiß es nicht, Gott weiß es,entrückt war bis in <strong>den</strong> dritten Himmel“. 585Und wieder: „Hierauf nach drei Jahren kamich nach Jerusalem.“ 586 Und höre ihn nochweiter sprechen: „Denn lieber wollte581 Röm 8,37 .2582 Röm 8,18583 2 Kor 4,17584 1 Kor 4,11585 2 Kor 12,2586 Gal 1,18.3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ich sterben, als daß mir Jem<strong>an</strong>d meinenRuhm vernichte.“ 587 Aber nicht allein Diesessagt er, sondern er schreibt noch weiter: „Wieein Auswurf <strong>die</strong>ser Welt sind wirgewor<strong>den</strong>.“ 588 Was ist drückender alsHunger, als Kälte, als Nachstellungen vonBrüdern, <strong>die</strong> er falsche Brüder nennt? Hieß ernicht der Verderber des Erdkreises? Wurdeer nicht Verführer und Zerstörer gen<strong>an</strong>nt?Wurde er nicht mit Geißeln zerfleischt? - Daswollen wir, Geliebte! im Geiste betrachten,Das wollen wir be<strong>den</strong>ken, Dar<strong>an</strong> unserinnern, und wir wer<strong>den</strong> niemalserschlaffen, wenn wir auch Unrecht lei<strong>den</strong>,wenn wir beraubt wer<strong>den</strong>, wenn wirunzählige Unbil<strong>den</strong> erdul<strong>den</strong>. Wenn wir nurim Himmel in gutem An<strong>den</strong>ken stehen, d<strong>an</strong>nist Alles leicht zu ertragen; wenn wir nurdort unsere Angelegenheiten in guteOrdnung bringen, d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> wir <strong>den</strong>Begegnissen hienie<strong>den</strong> wenigBerücksichtigung schenken; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se sindSchatten und Traum; mögen sie aber auchsein, wie sie wollen; indem wir jene Güterhoffen und erwarten, k<strong>an</strong>n Nichts hartgen<strong>an</strong>nt wer<strong>den</strong>, möge es nun <strong>die</strong>Beschaffenheit oder <strong>die</strong> Natur betreffen.Denn was sollen wir mit jenen Übelnvergleichen? was mit dem Feuer, das nichterlischt? was mit dem Wurm, der nichtstirbt? Was hienie<strong>den</strong> könnte m<strong>an</strong> gleichheissen mit dem Zähneknirschen, <strong>den</strong>Fesseln, der äussersten Finsterniß, derZornwuth, der Bedrängniß, der Noth? Aberwas <strong>die</strong> Zeit betrifft? Und was sindzehntausend Jahre gegen eine grenzenloseund endlose Dauer? Nicht wie ein Tropfengegen einen unermeßlichen Abgrund? Aberwas <strong>die</strong> Güter betrifft? Aber <strong>die</strong> jenseitigenstrahlen in noch größerem Übermaaßehervor: „Kein Auge,“ heißt es, „hat esgesehen, kein Ohr hat es gehört, und inkeines Menschen Herz ist es gekommen.“ 589Und Diese wer<strong>den</strong> wieder in einerunendlichen Zeitdauer fortbestehen. Ist esnun kein Glück, für <strong>die</strong>se zehntausend Malzerhauen, gemordet, verbr<strong>an</strong>nt zuwer<strong>den</strong> und unzählige Male <strong>den</strong> Todauszustehen und jedwede durch Wort undThat zugefügte Qual zu erdul<strong>den</strong>? Dennwenn es möglich wäre, in einem Feuerbr<strong>an</strong>dezu leben, müßte m<strong>an</strong> sich nicht Allemunterziehen, um in <strong>den</strong> Besitz derverheissenen Güter zu kommen? Aberwarum rede ich thörichter Weise so zuMenschen, <strong>die</strong> nicht einmal <strong>die</strong> Reichthümerverachten, sondern <strong>die</strong>selben wieunvergängliche Schätze festhalten, und wennsie von dem Vielen etwas Weniges geben,Alles geth<strong>an</strong> zu haben vermeinen? Das istkein Almosen. Almosen war <strong>die</strong> Gabe jenerWittwe, welche ihr Leben von Allem, was siehatte, entblößte. K<strong>an</strong>nst du es aber nicht <strong>über</strong>dich gewinnen, so viel wie <strong>die</strong> Wittwe zugeben, so entäussere dich doch desÜberflusses; behalte, was genügt, und nicht,was du nicht brauchst. Aber Niem<strong>an</strong>d findetsich, der auch nur auf <strong>den</strong> Überflußverzichten wollte; <strong>den</strong>n so l<strong>an</strong>ge du vieleDiener und sei<strong>den</strong>e Gewänder besitzest, istDas lauter Überfluß. Nichts gehört zuunserm nothwendigen Gebrauch, ohnewelches wir leben können; Solches ist<strong>über</strong>flüssig und liegt einfach ausser unsermBedarf. Ohne was wir (nicht) 590 lebenkönnen, wollen wir sehen, wenn es beliebt.Wenn wir nur zwei Diener haben, könnenwir leben; <strong>den</strong>n da es M<strong>an</strong>che gibt, <strong>die</strong> keineDiener haben - welche Entschuldigunghätten wir d<strong>an</strong>n, wenn uns zwei nichtgenügten? Wir können auch ein Haus ausZiegelsteinen haben, das drei Wohnräumeenthält, und das reicht für uns hin; <strong>den</strong>n esgibt noch M<strong>an</strong>che, <strong>die</strong> mit Frau und Kindern589 1 Kor 2,19587 1 Kor 9,15 .4588 1 Kor 4,13202590 Diese Stelle: τίνος οὖν ἄνευ οὐ δυάμεϑα ζῇν scheint corrumpiert unddas οὐ <strong>über</strong>flüssig zu sein.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nur eine einzige Wohnstätte haben? Du sollstaber, wenn du willst, zwei Diener haben. Wieaber, sagt m<strong>an</strong>, ist es <strong>den</strong>n nicht schimpflich,wenn eine Freie mit nur zwei Dienern geht?Bewahre. Das ist keine Unehre, wenn sicheine Freie mit zwei Dienern zeigt; Das aberist eine Sch<strong>an</strong>de, wenn sie viele um sich hat.Ihr lachet vielleicht, da ihr Solches höret. Glaubet es, Das ist schimpflich, mitvielen einherzuschreiten. Wie <strong>die</strong>Schafverkäufer oder wie <strong>die</strong> Sklavenhändler,so haltet ihr es für etwas Großes, mit vielenDienern euch sehen zu lassen: Das istHochmuth und Eitelkeit, Jenes aber Weisheitund Würde; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Freie soll nicht aus derMenge der Diener hervorglänzen. Wasbesteht aber auch für eine Tugend darin,viele Sklaven zu haben? Das ist Nichts für <strong>die</strong>Seele; was aber nicht für <strong>die</strong> Seele ist,bekundet keine Freie. Ist sie mit Wenigemzufrie<strong>den</strong>, d<strong>an</strong>n ist sie in Wahrheit frei; wennsie aber Vieles bedarf, d<strong>an</strong>n ist sie <strong>die</strong>nstbarund ist geringer als Sklaven.V.Sage mir, gehen <strong>die</strong> Engel nicht ohne Geleitauf der Erde herum und bedürfenNiem<strong>an</strong>des, der ihnen folgt? Sind sie nungeringer als wir, <strong>die</strong> wir Dessen bedürfen,während sie Solches nicht nöthig haben?Wenn also g<strong>an</strong>z und gar keines Dieners zubedürfen engelähnlich macht, wer steht d<strong>an</strong>ndem Leben der Engel nahe, Derjenige,welcher viele oder wenige nothwendig hat?Ist Dieß nicht schimpflich? Schimpflich ist,wenn m<strong>an</strong> etwas Ungeziemendes thut. Sagemir, welche Frau macht Diejenigen, <strong>die</strong> aufdem Markte verweilen, auf sich aufmerksam,<strong>die</strong> viele oder wenige (Diener) mit sich führt?Kommt nun Diejenige, welche allein ist, nichtnoch unvorhergesehener (μλλλονἀπρόοπτος) zum Vorschein, als Die, welchezu ihrem Gefolge Wenige zählt? Siehst du,203daß Jenes schimpflich ist? Welche Frau wird<strong>die</strong> Augen der Marktsteher auf sich ziehen,<strong>die</strong> schöne Gewänder trägt, oder <strong>die</strong> einfachund ohne Ziererei gekleidet ist? Welchewiederum wird unter <strong>den</strong> MarktbesuchernAufsehen machen, <strong>die</strong> auf Maulthieren,welche goldgestickte Decken tragen,daherreitet, oder <strong>die</strong> einfach und mitwürdevollem Anst<strong>an</strong>de einhergeht? Diesewer<strong>den</strong> wir, wenn wir sie auch gesehenhaben, nicht weiter beachten; aber nichtallein um Jene zu begaffen wird sich dergroße Haufe her<strong>an</strong>drängen, sondern auchfragen, was das für eine Frau sei und wohersie komme. Und ich unterlasse es zu sagen, welch’ gewaltige Quelle des Neidesdas ist. Was ist nun, sage mir, schimpflich:Begafft oder nicht begafft zu wer<strong>den</strong>? W<strong>an</strong>nist <strong>die</strong> Beschämung größer: da Viele auf siehinschauen, oder da Niem<strong>an</strong>d Das thut? Dam<strong>an</strong> sich <strong>über</strong> sie erkundigt, oder da m<strong>an</strong>sich um sie gar nicht kümmert? Siehst du,daß wir nicht der Scham wegen, sondern ausEitelkeit Alles thun? Weil es aber unmöglichist, euch davon abzubringen, so genügt esmir unterdessen, euch belehrt zu haben, daßDieß keine Sch<strong>an</strong>de ist. Die Sünde allein,welche Niem<strong>an</strong>d für schändlich hält, und vorder alles Andere für schmachvoll erachtetwird, gereicht zur Sch<strong>an</strong>de. So vieleGewänder, als nöthig sind, aber keine<strong>über</strong>flüssigen, möge m<strong>an</strong> haben. Damit icheuch aber nicht in eine große Beengungeinschließe, spreche ich <strong>die</strong> Mahnung aus,daß ihr weder goldgestickte, noch gar feineStoffe nothwendig habt. Aber Dieß sage nichtich; <strong>den</strong>n daß es nicht meine Worte sind,höre, was der selige Paulus sagt, und wie er<strong>die</strong> Weiber ermahnt: „Deßgleichen sollen sichauch <strong>die</strong> Weiber mit Sittsamkeit schmücken,nicht mit Haarflechten, oder Gold, oderPerlen, oder kostbarem Gew<strong>an</strong>de.“ 591 Abersage doch, Paulus, wie soll m<strong>an</strong> sich <strong>den</strong>n591 1 Tim 2,9


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>schmücken? D<strong>an</strong>n vielleicht sagt m<strong>an</strong>, daß<strong>die</strong> gol<strong>den</strong>en Gewänder allein kostbar seien,<strong>die</strong> sei<strong>den</strong>en aber nicht; sprich’ daher aus,wie du es haben willst: „Wenn wir aberNahrung und Kleidung haben, so lasset unsdamit zufrie<strong>den</strong> sein.“ 592 Die Kleider seiennun also beschaffen, daß sie uns nur gehörigbedecken; <strong>den</strong>n darum hat uns Gott<strong>die</strong>selben gegeben, damit wir unsere Blößeverhüllen; Das vermag aber g<strong>an</strong>z wohl einKleid von geringem Werthe. Vielleicht lachenDie, welche sei<strong>den</strong>e Kleider tragen. M<strong>an</strong> mußin der That lachen; <strong>den</strong>n was hat Paulusbefohlen, was aber thun wir? Diese Wortespreche ich aber nicht allein zu <strong>den</strong> Frauen,sondern auch zu <strong>den</strong> Männern. Denn allesÜbrige, was wir besitzen, ist Überfluß; nur<strong>die</strong> Armen besitzen nichts Unnöthiges; aber auch <strong>die</strong>se vielleicht nur ausZw<strong>an</strong>g, so daß auch sie, falls es ihnenfreistände <strong>an</strong>ders zu h<strong>an</strong>deln, darauf nichtVerzicht leisten wür<strong>den</strong>. Jedoch sie haben, seies nun Schein oder Wahrheit, keinenÜberfluß. Tragen wir also solche Kleider,welche dem Bedürfnisse entsprechen. Dennwozu das viele Gold? Das paßt fürSchauspielerinen, zu deren Putz es gehört,und für Buhldirnen, <strong>die</strong> Alles aufbieten, umnur <strong>an</strong>gestiert zu wer<strong>den</strong>. Mag Jene sichherausputzen, <strong>die</strong> sich da auf der Bühne, <strong>die</strong>sich da im Orchester befindet; <strong>den</strong>n sie willAlle zu sich her<strong>an</strong>buhlen; <strong>die</strong> sich aber zurFrömmigkeit bekennt, ziere sich nicht auf<strong>die</strong>se Weise; aber in <strong>an</strong>derer Beziehung hatsie einen Schmuck, der viel prächtiger ist alsjener. Auch du hast eine Bühne; für <strong>die</strong>seziere dich und lege <strong>die</strong>sen Schmuck <strong>an</strong>!Welche ist deine Bühne? Der Himmel, <strong>die</strong>Schaar der Engel; nicht allein <strong>die</strong>(gottgeweihten) Jungfrauen meine ich,sondern auch Jene, <strong>die</strong> in der Welt leben, Alle<strong>die</strong> <strong>an</strong> Christus glauben, besitzen jene Bühne.Solches wollen wir sprechen, damit wir <strong>die</strong>Zuschauer ergötzen; Solches <strong>an</strong>ziehen, damitwir sie erfreuen. Denn sage mir, wenn <strong>die</strong>Buhldirne das Gold und <strong>die</strong> Gewänder unddas Lächeln und <strong>die</strong> süßeln<strong>den</strong> undschlüpfrigen Re<strong>den</strong> ablegte, und einärmliches Kleid <strong>an</strong>zöge, und in kunstloserEinfachheit aufträte, und sich ingottesfürchtigen Worten erginge und <strong>über</strong><strong>die</strong> Keuschheit re<strong>den</strong> wollte, und ihremMunde keine <strong>an</strong>stößige Silbe entschlüpfte:wür<strong>den</strong> d<strong>an</strong>n nicht Alle aufstehen? Würdesich das Theater nicht auflösen? Würde m<strong>an</strong>sie nicht hinauswerfen, weil sie es nichtverstehe, sich dem Volke <strong>an</strong>zubequemen,und Ungehöriges spreche, was auf <strong>die</strong>seTeufelsbühne nicht paßt? So wür<strong>den</strong> auchdich, wenn du mit <strong>den</strong> Putzgewändern Jener<strong>an</strong>geth<strong>an</strong> auf <strong>die</strong> Himmelsbühne einzutretendich unterständest, <strong>die</strong> Zuschauerhinausschaffen; <strong>den</strong>n dort sind nicht <strong>die</strong>segol<strong>den</strong>en Kleider, sondern <strong>an</strong>derenothwendig. Welche <strong>den</strong>n? Solche, wovonder Prophet spricht: „Bunt ist ihr Gew<strong>an</strong>d,mit Gold verbrämt,“ 593 nicht um <strong>den</strong>Leib schimmernd und glänzend zu machen,sondern um <strong>die</strong> Seele zu schmücken; <strong>den</strong>n<strong>die</strong>se ist es, welche dort (auf <strong>die</strong>ser Bühne)ringt und kämpft: „Alle Herrlichkeit derTochter des Königs ist inwendig,“ 594 heißt es.Diese Kleider ziehe <strong>an</strong>; <strong>den</strong>n du wirst dichauch von unzähligen <strong>an</strong>dern Übeln befreien,und deinen M<strong>an</strong>n von der Sorge, und dichvom Kummer erlösen; <strong>den</strong>n deinem M<strong>an</strong>newirst du d<strong>an</strong>n ehrwürdig erscheinen, wenndu nicht Vieles bedarfst.VI.Denn ein jeder Mensch pflegt sich gegenDiejenigen, welche seiner bedürfen, kurz zubenehmen; wenn er aber gewahrt, daß sie ihnnicht nothwendig haben, stimmt er seine592 1 Tim 6,8204593 Ps 44,15594 Ps 44,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>hohen Ged<strong>an</strong>ken herab und spricht sich inder Unterhaltung in gleichehrendem Tonaus. Wenn dein M<strong>an</strong>n sieht, daß du seiner inkeinem Stücke bedarfst, und daß dir seineGeschenke gleichgiltig sind, so wird er, undwäre er auch sehr hochmüthig, vor dir mehrAchtung haben, als wenn du inGoldgewändern gehüllt bist, und du wirstnicht mehr seine Magd sein; <strong>den</strong>n Solchen,<strong>die</strong> wir nöthig haben, müssen wir unsunterwerfen; ziehen wir uns aber selberzurück, so hören <strong>die</strong> Verbindlichkeiten auf,<strong>den</strong>n er weiß, daß wir ihm aus Gottesfurchtund keineswegs seiner Geschenke wegen,einen gewissen Gehorsam leisten. Denn jetztwird er, da er bedeutende Geschenke hergibt,und wenn er auch noch so geehrt wird, derMeinung sein, <strong>die</strong> Ehre nicht vollständigempf<strong>an</strong>gen zu haben; d<strong>an</strong>n aber, und wenner auch weniger zuvorkommend beh<strong>an</strong>deltwird, wird er D<strong>an</strong>k wissen. Er wird dir keineVorwürfe machen, und deinetwegen nichtgenöthiget sein, <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d zum Betrugauszustrecken. Denn was k<strong>an</strong>nunvernünftiger sein, als sich Goldgewänderzu dem Zweck zu verschaffen, um <strong>die</strong>selbenin <strong>den</strong> Bädern und auf öffentlichen Plätzenherumfliegen zu lassen? Aber in <strong>den</strong> Bädernund auf dem Markte wundert m<strong>an</strong> sich vielleicht dar<strong>über</strong> nicht; daß jedoch eineFrau auch in der Kirche in einem solchenAnzug erscheint, stimmt zum lauten Lachen.Denn warum kommt sie doch unter der Lastder Goldgewänder hieher, da sie dochdeßhalb erscheinen sollte, um zu hören, daßsie sich mit Sittsamkeit schmücken solle,nicht mit „Gold oder Perlen, oder kostbarenGewändern“. 595 Warum gehst du, o Weib!nun in <strong>die</strong> Kirche? Etwa um gegen Pauluseinen Kampf zu beginnen und zu zeigen, daßdu, und sollte er zehntausendmal Solchessagen, nicht bekehrt werdest? Oder willst duuns Lehrer davon <strong>über</strong>zeugen, daß wir595 1 Tim 2,9205vergeblich so sprechen? Denn sage mir,wenn irgend ein Heide und Ungläubiger<strong>die</strong>se Stelle hätte vorlesen hören, wo derselige Paulus <strong>die</strong>se Worte spricht und <strong>den</strong>Weibern befiehlt, sich nicht mit Gold oderPerlen oder kostbaren Gewändern zuschmücken, - und er selbst (der Heide) eingläubiges Weib hatte und sähe, daß sie aufihren Putz große Sorge verwende undgoldgestickte Gewänder <strong>an</strong>lege, um in <strong>die</strong>Kirche zu gehen; würde er nicht, wenn er sieim Schlafgemache solche <strong>an</strong>ziehen und schonzurechtmachen sähe, zu sich selbst sprechen:Was bleibt meine Frau drinnen imSchlafgemach? Was zögert sie? Warum legtsie Goldgewänder <strong>an</strong>? Wohin hat sie zugehen? in <strong>die</strong> Kirche? warum? Damit siehöre: „Nicht kostbare Gewänder!“ Wird er nichtlachen, daß es laut aufschallt? Wird er nichtunsere Sache für Trug und Hohn halten?Daher bitte ich: <strong>über</strong>lassen wir <strong>die</strong>goldgestickten Kleider <strong>den</strong> öffentlichenAufzügen, <strong>den</strong> Bühnen und <strong>den</strong>Ausstellungen <strong>an</strong> <strong>den</strong> Schaufenstern derVerkaufslä<strong>den</strong>; das Ebenbild Gottes aber sollnicht mit derlei Dingen geziert wer<strong>den</strong>; <strong>die</strong>Freie schmücke sich mit Freiheit, <strong>die</strong> Freiheitaber liebt <strong>die</strong> prunklose Beschei<strong>den</strong>heit.Wenn du aber auch bei <strong>den</strong> Menschen Ruhmernten willst, so wirst du auf <strong>die</strong>se Weisezum Ziele gel<strong>an</strong>gen. Denn <strong>die</strong> Frau einesreichen M<strong>an</strong>nes bewundern wir nicht so,wenn sie mit Gold beh<strong>an</strong>gen ist undin Seide daherrauscht, - <strong>den</strong>n Das ist allenreichen Frauen gemeinsam, - als wenn sie eingewöhnliches und einfaches, nur aus Wollegefertigtes Kleid trägt. Ein solches Erscheinenwer<strong>den</strong> Alle bewundern und mit Beifallbegleiten. Denn in <strong>die</strong>ser Welt derGoldgewänder und der kostbaren Anzügehat sie viele Genossinen, und wenn sie eine<strong>über</strong>trifft, muß sie einer <strong>an</strong>dern nachstehen;und könnte sie unter Allen hervorragen,d<strong>an</strong>n würde doch <strong>die</strong> Königin <strong>über</strong> sie <strong>den</strong>Sieg davontragen. Diese hier aber <strong>über</strong>ragt


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Alle und selbst <strong>die</strong> Königin; <strong>den</strong>n sie alleinhat im Gl<strong>an</strong>ze des Reichthumes <strong>die</strong> Armutherkoren, so daß auch, wenn wir Freunde desRuhmes sind, <strong>die</strong>ser hier schöner erstrahlet.Ich spreche nicht allein zu <strong>den</strong> Wittwen undreichen Frauen, - <strong>den</strong>n hier scheint derZw<strong>an</strong>g des Wittwenst<strong>an</strong>des Solches zu thun,- sondern auch zu Denen, welche demM<strong>an</strong>ne noch unterth<strong>an</strong> sind. Aber d<strong>an</strong>n, sagtm<strong>an</strong>, gefalle ich dem M<strong>an</strong>ne nicht. Nicht demM<strong>an</strong>ne willst du gefallen, sondern demHaufen der armen Weiber, oder vielmehr, duwillst ihnen nicht gefallen, sondern siekränken und mit Schmerz erfüllen und ihnenihre Armuth noch drückender machen. Wieviele Gotteslästerungen stoßen siedeinetwegen aus! Es sollte keine Armuthgeben; Gott haßt <strong>die</strong> Armen; Gott liebtDiejenigen nicht, <strong>die</strong> in Armuth leben. Denndaß du dem M<strong>an</strong>ne nicht gefallen willst unddich nicht deßhalb schmückest, ist Allen ausdeinem Benehmen ersichtlich. Denn hast du<strong>die</strong> Schwelle deines Gemaches <strong>über</strong>schritten,so legst du Alles gleich ab, sowohl <strong>die</strong>(kostbaren) Kleider, als auch <strong>den</strong>Goldschmuck und <strong>die</strong> Perlen; <strong>den</strong>n zu Hauseträgst du sie meistentheils nicht. Willst duaber dem M<strong>an</strong>ne gefallen, so geschehe esdadurch, wodurch du wirklich Gefallenerregst: durch Milde, Güte undBeschei<strong>den</strong>heit. Denn glaube mir, o Weib,und wenn dein M<strong>an</strong>n in unsäglichem Maaßegemein und ausschweifend wäre, <strong>die</strong>seTugen<strong>den</strong>, nämlich <strong>die</strong> Milde, <strong>die</strong>Beschei<strong>den</strong>heit, <strong>die</strong> Demuth, <strong>die</strong>Sparsamkeit, <strong>die</strong> Einfachheit wer<strong>den</strong> ihn<strong>an</strong>ziehen; <strong>den</strong>n einen genußsüchtigen M<strong>an</strong>n,und wenn du unzählige solcheSchmucksachen aus<strong>den</strong>ken würdest,wirst du dadurch nicht zügeln. Das wissenAlle, welche solche Männer haben. Denn damagst du dich, wie du immer willst,schmücken, wenn derselbe einausschweifender Mensch ist, sucht er sich ein<strong>an</strong>deres Weibsbild; <strong>den</strong> keuschen und206ehrbaren M<strong>an</strong>n aber wirst du durch <strong>die</strong>seDinge nicht fesseln, sondern durch dasgerade Gegentheil; <strong>den</strong>n du wirst ihndadurch betrüben, indem du dich in <strong>den</strong>Verdacht der Putzsucht bringst. Denn wennauch der M<strong>an</strong>n in seiner Mäßigung sichscheut, Dieß auszusprechen, - innerlich wirder aber <strong>über</strong> dich das Urtheil sprechen; <strong>den</strong>Neid aber und <strong>die</strong> Verläumdungen (τὰςβασϰανἰας) wird er nicht unterdrücken.Wirst du nicht das g<strong>an</strong>ze Vergnügenverb<strong>an</strong>nen, da du gegen dich <strong>den</strong> Neiderregst?VII.Vielleicht hört ihr meine Worte mit Verdrußund sprechet ärgerlich: Der hetzt <strong>die</strong> Männernoch mehr gegen <strong>die</strong> Weiber auf. Ich spreche<strong>die</strong>se Worte nicht, um <strong>die</strong> Männeraufzureizen, sondern weil ich wünsche, daßihr aus freien Stücken euch also benehmet,und zwar um Euerer, nicht um Jener willen;nicht damit ich Jene vom Neide befreie,sondern damit ich euch frei mache von <strong>den</strong>Trugbildern des Lebens. Du willst schönerscheinen? Das wünsche auch ich, aber ichwünsche eine Schönheit, welche Gott sucht,wornach der König verl<strong>an</strong>gt. Von wem willstdu geliebt wer<strong>den</strong>, von Gott oder von <strong>den</strong>Menschen? Wenn du <strong>den</strong> Gl<strong>an</strong>z <strong>die</strong>serSchönheit besitzest, so wird Gott nach deinerSchönheit ein Verl<strong>an</strong>gen haben; hast du aber<strong>die</strong>se nicht, sondern eine <strong>an</strong>dere, so wird erdich verabscheuen; deine Liebhaber aberwer<strong>den</strong> verruchte Männer sein, <strong>den</strong>nNiem<strong>an</strong>d ist gut, der nach einemverehelichten Weibe brennt. Dasselbe erwägeauch bei dem äussern Schmucke; <strong>den</strong>n jenerSchmuck, ich meine nämlich <strong>den</strong> der Seele,zieht Gott <strong>an</strong>, <strong>die</strong>ser aber hinwieder <strong>die</strong>Bösewichter. Siehst du, daß ich um euchbesorgt und für euch bedacht bin, daß ihrschön, in Wahrheit schön, in Wahrheit


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ruhmvoll sein möget, und daß ihr stattruchloser Menschen <strong>den</strong> Herrn Aller, Gottzum Liebhaber habet? Welche aber Diesenzum Liebhaber hat, wem wird sieähnlich sein? Mit <strong>den</strong> Engeln wird sie <strong>den</strong>Chor aufführen; <strong>den</strong>n wenn Diejenige,welche der König liebt, vor Allen glücklichgepriesen wird, - welche Würde hat <strong>den</strong>nDiejenige, welche von Gott mit inniger Liebegeliebt wird? Denn wenn du <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zenErdkreis ihr gegen<strong>über</strong> aufstellen wolltest,Nichts ist jener Schönheit würdig. DieseSchönheit wollen wir also pflegen, mit<strong>die</strong>sem Schmucke uns schmücken, damit wirin <strong>den</strong> Himmel kommen, in <strong>den</strong> geistigenSäulensaal, in das unbefleckte Brautgemach.Denn <strong>die</strong>se (irdische) Schönheit wird vonAllem <strong>an</strong>gegriffen, und wenn sie auch ihrenGl<strong>an</strong>z behielte und weder Kr<strong>an</strong>kheit nochSorge ihr zusetzten, was aber unmöglich ist, -sie dauert keine zw<strong>an</strong>zig Jahre; Jene aberpr<strong>an</strong>gt in ewiger Blüthe, in ewiger Kraft.Dort ist kein Wechsel zu fürchten, noch führtdas <strong>an</strong>rückende Alter Runzeln herbei;Niem<strong>an</strong>d wird von einer ausmergeln<strong>den</strong>Kr<strong>an</strong>kheit befallen; dort üben Traurigkeitund Kummer keinen zerstören<strong>den</strong> Einfluß:<strong>über</strong> all’ Dieses ist jene Schönheit erhaben.Diese aber ist verschwun<strong>den</strong>, ehe sie fasterschien, und erschienen hat sie nicht vieleBewunderer; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Beschei<strong>den</strong>enbewundern sie nicht, <strong>die</strong> sie aber bewundern,thun Das mit Lustbegierde. Diese wollen wirdaher nicht pflegen, sondern Jenernachstreben, damit wir mit hellleuchten<strong>den</strong>Lampen in das Gemach des Bräutigamseintreten. Dieß ist nicht ausschließlich <strong>den</strong>Jungfrauen verheissen, sondern <strong>den</strong>jungfräulichen Seelen; <strong>den</strong>n hatten daraufnur Jungfrauen Anspruch, so wären <strong>die</strong> fünfnicht ausgeschlossen wor<strong>den</strong>. Es wer<strong>den</strong> alsoAlle dar<strong>an</strong> Antheil gewinnen, welchejungfräuliche Seelen haben, <strong>die</strong> frei sind von<strong>den</strong> Gesinnungen <strong>die</strong>ses Lebens, <strong>den</strong>n <strong>die</strong>seGesinnungen richten <strong>die</strong> Seelen zu Grunde.207Wenn wir daher unsere Unschuld bewahren,wer<strong>den</strong> wir dorthin kommen und daselbstAufnahme fin<strong>den</strong>: „Denn ich habe euchverlobt,“ heißt es, „euch als keusche JungfrauChristo darzustellen.“ 596 Diese Worte spracher nicht zu <strong>den</strong> Jungfrauen, sondernzur Gemeinschaft der g<strong>an</strong>zen Kirche; <strong>den</strong>neine Jegliche, welche eine unverdorbeneSeele hat, ist eine Jungfrau, und wenn sieauch einen M<strong>an</strong>n hat; sie ist eine Jungfraumit dem Besitze der wahren undbewunderungswürdigen Jungfrauschaft,<strong>den</strong>n <strong>die</strong> leibliche Jungfrauschaft ist nur <strong>die</strong>nachfolgende Dienerin und der Schatten vonjener, welche aber <strong>die</strong> wahre Jungfrauschaftist. Diese wollen wir pflegen, und so wer<strong>den</strong>wir im St<strong>an</strong>de sein, mit klarglänzendemAntlitze <strong>den</strong> Bräutigam zu schauen, mithellleuchten<strong>den</strong> Lampen einzutreten, wennuns das Öl nicht ausgeg<strong>an</strong>gen ist, wenn wiruns, nachdem wir das Gold geschmolzenhaben, solches Öl beschaffen, welches <strong>die</strong>Lampen hell macht. Dieses Öl aber ist <strong>die</strong>Liebe zu <strong>den</strong> Mitmenschen. Wenn wir vonunserm Vermögen Andern mitgetheilt, wennwir dasselbe zu Öl gemacht haben, so wird esuns dereinst helfen, und wir wer<strong>den</strong> zu jenerZeit nicht sprechen: „Gebt uns Öl, <strong>den</strong>nunsere Lampen erlöschen;“ 597 wir wer<strong>den</strong>keiner frem<strong>den</strong> Hilfe bedürfen, und wirwer<strong>den</strong> nicht, da wir weggeg<strong>an</strong>gen sind, umÖl zu kaufen, uns ausgeschlossen fin<strong>den</strong>,noch wer<strong>den</strong> wir, wenn wir <strong>an</strong> <strong>die</strong> Thür<strong>an</strong>klopfen, jene furchtbare und schauerlicheStimme hören: „Ich kenne euch nicht,“ sonderner wird uns kennen, und wir wer<strong>den</strong> mitdem Bräutigam hineingehen, und wenn wiruns in dem geistigen Brautgemache befin<strong>den</strong>wer<strong>den</strong> wir unzählige Güter genießen. Dennwenn hier das Brautgemach so prachtvoll ist,und <strong>die</strong> Säle so glänzend sind, daß sich dar<strong>an</strong>Niem<strong>an</strong>d satt sehen k<strong>an</strong>n: um wie viel mehrwird Dieß dort der Fall sein? Das Gemach ist596 2 Kor 1 ,2 1597 Mt 25,8


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>der Himmel, und noch vorzüglicher als derHimmel ist das Brautgemach; dort wer<strong>den</strong>wir Eintritt fin<strong>den</strong>. Wenn aber dasBrautgemach so schön ist, wie wird erst derBräutigam sein? Und was sage ich: wirwollen Alles, was von Gold ist, ablegen undes <strong>den</strong> Bedürftigen geben? Wenn ihr euchselbst verkaufen, wenn ihr statt der Freiheitdas Loos der Mägde eintauschenmüßtet, um bei jenem Bräutigam sein zukönnen, seine Schönheit zu genießen, nursein Antlitz zu schauen: müßte m<strong>an</strong> da sichnicht Allem freudig unterziehen? Um einenirdischen König auch nur zu sehen, lassenwir oft, bloß um Diesen zu betrachten, Alles,womit wir gerade beschäftigt sind, und wärees auch noch so nothwendig, im Stiche. Wasmüßten wir aber nicht thun, um nicht alleingewürdigt zu wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong> König undBräutigam im Himmel zu schauen, sondernauch ihm mit Lichtern vor<strong>an</strong>zugehen, uns inseiner Nähe aufzuhalten und immer bei ihmzu sein? Was müßten wir da nicht thun, wasnicht lei<strong>den</strong>? Darum, ich bitte euch, wollenwir ein Verl<strong>an</strong>gen nach jenen Gütern fassen,wollen uns nach dem Bräutigam sehnen,wollen wirkliche und wahre Jungfrauen sein;<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Jungfrauschaft der Seele verl<strong>an</strong>gtder Herr. Mit <strong>die</strong>ser wollen wir in <strong>den</strong>Himmel eingehen, und keine Makel, keineRunzel, noch sonst Etwas der Art <strong>an</strong> unshaben, damit wir <strong>die</strong> verheissenen Gütererl<strong>an</strong>gen, deren wir alle theilhaftig wer<strong>den</strong>mögen durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit u. s. w. Neunundzw<strong>an</strong>zigste Homilie.I.4. - 7. Noch habt ihr nicht bis auf’s Blutwiderst<strong>an</strong><strong>den</strong> im Kampfe wider <strong>die</strong> Sünde.Und ihr habt vergessen <strong>den</strong> Trost, der zu208euch als zu Kindern redet, da er spricht:Mein Sohn, achte nicht gering <strong>die</strong>Züchtigung des Herrn, und verzage nicht,wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wender Herr lieb hat, <strong>den</strong> züchtiget er; erschlägt jedes Kind, das er aufnimmt. Haltetaus unter der Züchtigung; Gott verfährt miteuch, wie mit seinen Kindern; <strong>den</strong>n wo istein Kind, das der Vater nicht züchtiget?Es gibt zwei Arten des Trostes, welche sichein<strong>an</strong>der zu widersprechen scheinen, sichaber gegenseitig große Kraft verleihen, undbeide hat er hier <strong>an</strong>gebracht. Die eine findetstatt, wenn wir sagen, daß Jem<strong>an</strong>d vieleLei<strong>den</strong> erduldet habe; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Seele athmetin erquicklicher Ruhe auf, wenn sie vieleZeugen ihrer Lei<strong>den</strong> hat. In <strong>die</strong>ser Weise hater sich oben ausgesprochen, wo er sagte:„Erinnert euch aber der vorigen Tage,in welchen ihr nach euerer Erleuchtung einenschweren Kampf der Lei<strong>den</strong> best<strong>an</strong>det.“ 598Die <strong>an</strong>dere Art findet Anwendung, wenn wirsagen: Du hast nichts Besonderes gelitten;<strong>den</strong>n durch <strong>die</strong>se Worte wer<strong>den</strong> wir <strong>an</strong>geregtund gespornt, und schreiten muthiger allenLei<strong>den</strong> entgegen. Jene Weise zu trösten läßt<strong>die</strong> erschöpfte Seele ausruhen undaufathmen, <strong>die</strong>se aber führt <strong>die</strong> lässiggewor<strong>den</strong>e und niedergebeugte zur reuigenRückkehr und schlägt <strong>den</strong> Stolz nieder.Damit nun durch jenes Zeugniß in ihnen keinStolz erzeugt werde, siehe, was er thut: „Nochhabt ihr nicht bis auf’s Blut widerst<strong>an</strong><strong>den</strong> imKampfe wider <strong>die</strong> Sünde, und ihr habt vergessen<strong>den</strong> Trost“ ... Und er fügt nicht sogleich dasFolgende bei, sondern, nachdem er ihnen alleDiejenigen gezeigt, <strong>die</strong> bis auf’s Blutwiderst<strong>an</strong><strong>den</strong>, und darnach gesagt hatte, daß<strong>die</strong> Lei<strong>den</strong> eine Verherrlichung Christi seien,geht er rasch weiter. Dasselbe hat er auch<strong>den</strong> Korinthern in <strong>den</strong> Worten geschrieben:„Lasset euch von keiner Versuchungergreifen, als von einer menschlichen,“ 599 d. i.598 Hebr 10,32599 1 Kor 10,13


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>von einer leichten. Denn der Ged<strong>an</strong>ke, daßsie noch nicht bis zur Vollendungemporgestiegen, und <strong>die</strong> aus <strong>den</strong>gewonnenen Erfolgen gebildeteÜberzeugung sind g<strong>an</strong>z geeignet, <strong>die</strong> Seele<strong>an</strong>zuregen und aus der rechten Bahn zuerhalten. Er will aber damit Folgendes sagen:Ihr habt noch nicht <strong>den</strong> Tod ausgest<strong>an</strong><strong>den</strong>;euer Verlust erstreckt sich nur bis zumGelde, bis zur Ehre, bis zur Verb<strong>an</strong>nung;Christus aber hat für uns sein Blut vergossen,ihr jedoch nicht einmal für euch selber. Er hatbis zum Tode im Interesse der Wahrheitgestritten, für euch gekämpft; ihr aber seidnicht einmal bis zu toddrohen<strong>den</strong> Gefahrengekommen: „Und ihr habt vergessen <strong>den</strong>Trost,“ d. h. ihr habt <strong>die</strong> Hände sinken lassen,ihr seid träge gewor<strong>den</strong>: „Noch habt ihr nicht,“sagt er, „bis auf’s Blut widerst<strong>an</strong><strong>den</strong> im Kampfe gegen <strong>die</strong> Sünde.“ Hier zeigt ersowohl, daß <strong>die</strong> Sünde gewaltigeKraft<strong>an</strong>strengungen mache, als auch, daß sieWaffen habe; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Worte: „ihr habtwiderst<strong>an</strong><strong>den</strong>“ sind zu Denen gesprochen,welche feststehen. Der zu euch als zuKindern redet, da er spricht: „Mein Sohn,achte nicht gering <strong>die</strong> Züchtigung des Herrn,und verzage nicht, wenn du von ihm gestraftwirst.“ Er hat ihnen aus <strong>den</strong> Thatsachen Trostbereitet, zum Überflusse tröstet er sie auch inWorten durch <strong>die</strong>ses Zeugniß. „Und verzagenicht, wenn du von ihm gestraft wirst.“ Daskommt von Gott; und Dieß ist kein geringerTrost, da wir lernen, daß es Gottes Werk ist,wenn Solches geschieht, indem er es zuläßt.So sagt auch Paulus: „Um deßwillen habe ichdrei Mal <strong>den</strong> Herrn gebeten; er aber sprach: esgenügt dir meine Gnade, <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Kraft wird inder Schwachheit vollkommen,“ so daß Jener esist, der Solches zuläßt; „<strong>den</strong>n wen der Herr liebhat, <strong>den</strong> züchtiget er; er schlägt jedes Kind, das eraufnimmt.“ Du k<strong>an</strong>nst nicht behaupten, willer sagen, daß irgend ein Gerechter ohneTrübsal sei; <strong>den</strong>n mag es auch so scheinen,wir sind mit <strong>den</strong> Lei<strong>den</strong> <strong>an</strong>derer Menschen209nicht bek<strong>an</strong>nt; darum ist es nothwendig, daßjeder Gerechte durch Trübsal hindurchgehe.Denn es ist der Ausspruch Christi, daß derbreite und ebene Weg in’s Verderben, derenge und schmale aber zum Leben führt.Wenn m<strong>an</strong> daher auf <strong>die</strong>sem in’s Lebeneingehen, von <strong>an</strong>derswoher aber nicht dahingel<strong>an</strong>gen k<strong>an</strong>n, so sind auf dem schmalenAlle gew<strong>an</strong>delt, <strong>die</strong> das ewige Leben erhaltenhaben: „Haltet aus,“ sagt er, „unter derZüchtigung; Gott verfährt mit euch, wie mitseinen Kindern; <strong>den</strong>n wo ist ein Kind, das derVater nicht züchtiget?“ Wenn er züchtiget,geschieht es also zur Besserung, nicht zurStrafe, noch auch aus Rache oder um Übleszuzufügen. Siehe, was ihnen <strong>die</strong> Meinungbeibrachte, sie seien verlassen, daraus, sagter, sollten sie <strong>die</strong> Überzeugung gewinnen,daß sie nicht verlassen seien; wie wenn ersagte: Glaubt ihr, da ihr so viele Übelerduldet habt, daß euch Gott verlassen habeund er euch hasse? Wenn ihr keine Lei<strong>den</strong>hättet, d<strong>an</strong>n müßtet ihr <strong>die</strong>sen Argwohnhaben. Denn wenn er je<strong>den</strong> Sohn, <strong>den</strong> erliebt, züchtigt, so ist der, welcher ohneZüchtigung bleibt, wohl nicht sein Sohn.Wie, sagt m<strong>an</strong>, verhält es sich nun? Haben<strong>den</strong>n <strong>die</strong> Bösen keine Lei<strong>den</strong>? Freilich habensie solche; <strong>den</strong>n wie könnte es <strong>an</strong>ders sein?Aber er hat nicht gesagt: „Jeder, dergezüchtiget wird, ist ein Sohn,“ sondern„jeder Sohn wird gezüchtigt.“ Du wirst aberwohl nicht sagen können: „Der Gezüchtigtensind Viele, auch Böse, wie z. B. Mörder,Räuber, Betrüger, Gräberplünderer;“ <strong>den</strong>n<strong>die</strong>se büßen ihre eigenen Frevelthaten undwer<strong>den</strong> nicht wie Söhne gezüchtigt, sondernwer<strong>den</strong> wie Verbrecher gestraft, ihr aber wieSöhne. Siehst du, wie er von allen Seiten <strong>die</strong>Beweisgründe herholt: aus <strong>den</strong> Thatsachen,<strong>die</strong> in der Schrift erzählt wer<strong>den</strong>, aus <strong>den</strong>Worten derselben, aus <strong>den</strong> selbsteigenenBetrachtungen und aus <strong>den</strong> Beispielen, <strong>die</strong>im Leben vorkommen? Darnach wiederumvon der gemeinsamen Gewohnheit:


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>8. Wenn ihr ohne Züchtigung wäret, derenAlle theilhaftig gewor<strong>den</strong>, so waret ihrunechte Kinder und keine Söhne.II.Siehst du, daß m<strong>an</strong>, wie ich schon frühersagte, nicht Sohn sein k<strong>an</strong>n, ohne gezüchtigetzu wer<strong>den</strong>? Denn wie auch in <strong>den</strong> Familien<strong>die</strong> Väter <strong>die</strong> natürlichen Söhnevernachlässigen, wenn sie auch Nichts lernenund ohne Ruhm bleiben, in Betreff derrechtmäßigen Söhne aber fürchten, <strong>die</strong>selbenmöchten verkommen: so verhält es sich auchhier. Wenn es daher das Loos der natürlichenKinder ist, nicht gezüchtigt zu wer<strong>den</strong>, somuß m<strong>an</strong> sich ob der Züchtigung freuen, dasie ja ein Beweis der echten Abkunft ist. Wiegegen Söhne benimmt sich Gott gegen euch;deßhalb sagt Paulus: 9. Ferner, unsere leiblichen Väter hatten wirzu Züchtigern und erwiesen ihnenEhrfurcht: sollten wir nicht vielmehr demVater der Geister uns unterwerfen, damitwir leben?Er entnimmt <strong>die</strong> Ermunterung wieder <strong>den</strong>eigenen Lei<strong>den</strong>, von Dem, was sie selbsterduldeten. Denn wie er dort spricht:„Erinnert euch aber der vorigen Tage,“ 600 sosagt er auch hier: Gott benimmt sich gegeneuch wie gegen Söhne und zwar wie gegengeliebte Söhne, und ihr könnt euch wohlnicht <strong>die</strong> Worte erlauben: wir können Dasnicht ertragen. Wenn aber Jene gegen ihreleiblichen Väter Ehrfurcht empfin<strong>den</strong>, wiesolltet <strong>den</strong>n ihr keine Ehrfurcht haben vordem Vater, der im Himmel ist? wiewohlnicht allein hierin und in <strong>den</strong> Personen,sondern auch in der Ursache und in derSache der Unterschied zu suchen ist; <strong>den</strong>nnicht zu demselben Zwecke züchtigen Jeneund Dieser, weßhalb er hinzufügt: „Jenezüchtigen uns auf kurze Zeit nach ihremGutdünken,“ d.h. Jene lassen oft ihrerLei<strong>den</strong>schaft freies Spiel und haben nichtimmer, was heilsam ist, im Auge. Hier aberk<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> Das nicht sagen; <strong>den</strong>n nicht ausselbsteigenen Rücksichten h<strong>an</strong>delt er so,sondern nur um euret und eueres Nutzenswillen, Jene aber, damit ihr auch ihnenVortheile einbringt, oft aber auch ohneGrund. Hier aber findet sich Nichts der Art.Siehst du, daß auch <strong>die</strong>ses Trost gewährt?Denn am meisten schließen wir uns <strong>an</strong>Diejenigen <strong>an</strong>, von welchen wirwahrnehmen, daß sie nicht aus Eigennutzbefehlen oder aufmuntern, sondern ihreng<strong>an</strong>zen und vollen Eifer zu unserm Wohlethätig sein lassen; <strong>den</strong>n Das ist amSonnenlicht erprobte Liebe, und in WahrheitLiebe, wenn wir dem Freunde keinen Nutzenbringen und von ihm doch geliebt wer<strong>den</strong>.Denn wir wer<strong>den</strong> geliebt, nicht auf daß erempf<strong>an</strong>ge, sondern damit er geben könne. Erzüchtiget, er thut Alles, er bietet allenEifer auf, damit wir in <strong>den</strong> Besitz seinerGüter gel<strong>an</strong>gen: Jene züchtigten uns für kurzeZeit nach ihrem Gutdünken; <strong>die</strong>ser aber für Das,was nützlich ist, um seine Heiligung zu erl<strong>an</strong>gen.Was heißt Das: seine Heiligung? SeineReinheit, so daß wir seiner würdig wer<strong>den</strong>gemäße seiner Macht. Jener bemüht sich, aufdaß ihr empf<strong>an</strong>get, und thut Alles, um euchzu nützen, ihr aber wendet keinen Eifer <strong>an</strong>,um zu empf<strong>an</strong>gen: „Ich sprach,“ heißt es, „zudem Herrn: mein Gott bist du, <strong>den</strong>n meinerGüter bedarfst du nicht.“ 601 Ferner: „Unsereleiblichen Väter hatten wir zu Züchtigern, underwiesen ihnen Ehrfurcht: sollten wir nicht vielmehr dem Vater der Geister uns unterwerfen,damit wir leben?“ Dem Vater der Geister heißt:„Dem Vater der Gna<strong>den</strong>, oder der Gebete,oder der unkörperlichen Mächte.“ Wenn wirso sterben, d<strong>an</strong>n wer<strong>den</strong> wir leben. Schön hater gesagt: „Jene züchtigten uns für kurze Zeit600 Hebr 10,32210601 Ps 15,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nach ihrem Gutdünken;“ <strong>den</strong>n nicht immerfrommt uns Das, was uns gutdünkt. Dieseraber züchtigt uns zu unserm Heile.III.Die Züchtigung ist daher heilsam, <strong>die</strong>Züchtigung ist daher eine Theilnahme <strong>an</strong> derHeiligkeit, und zwar in hohem Grade; <strong>den</strong>nda sie <strong>die</strong> Trägheit und <strong>die</strong> böseBegierlichkeit, und <strong>die</strong> Liebe zu <strong>den</strong> Dingen<strong>die</strong>ser Welt vertreibt, und <strong>die</strong> Verwerfungder irdischen Güter und <strong>die</strong> Sammlung derSeele bewirkt, <strong>den</strong>n Solches thut <strong>die</strong> Trübsal,- erzeugt sie nun nicht Heiligkeit, zieht sienicht <strong>die</strong> Gnade des heiligen Geisteshernieder? Verweilen wir daher immer mitunsern Ged<strong>an</strong>ken bei <strong>den</strong> Gerechten undbetrachten wir, woher sie alle ihren Gl<strong>an</strong>zhaben, und vor Allen Abel und Noe. Habensie ihn nicht von der Trübsal? Denn es istnicht möglich, daß Derjenige, welcher in dergroßen Überzahl der Bösen alleindasteht, nicht bitter heimgesucht werde:„Denn Noe,“ heißt es, „war ein gerechter undvollkommener M<strong>an</strong>n in seinem Geschlechte;er w<strong>an</strong>delte mit Gott.“ 602 Denn betrachte nur,wenn wir jetzt, da wir Unzählige, sowohlVäter als Lehrer haben, deren Tugend wirnachahmen sollen, so bedrängt wer<strong>den</strong>: wasmag wohl Jener unter so Vielenausgest<strong>an</strong><strong>den</strong> haben? Soll ich nun sprechenvon jenem ungewöhnlichen undwunderbaren Segen? Soll ich re<strong>den</strong> vonAbraham und von Dem, was er zu ertragengehabt, von seinen häufigen Reisen, von demRaube seines Weibes, von seinen Gefahren,Kriegen und Versuchungen? Soll ich re<strong>den</strong>von Jakob und <strong>den</strong> Widerwärtigkeiten, <strong>die</strong> erdurchlitt, wie er von allen Seiten gedrängtwar, wie er vergeblich arbeitete und sich fürAndere quälte? Denn alle seine602 Gen 6,9211Versuchungen herzuzählen ist nichtnothwendig, zweck<strong>die</strong>nlich aber ist es, dasZeugniß <strong>an</strong>zuführen, welches er selbst inseiner Unterredung mit Pharao aussprach:„Die Tage meiner W<strong>an</strong>derschaft sind wenigeund böse und erreichen nicht <strong>die</strong> Tagemeiner Väter.“ 603 Oder soll ich von Josephsprechen? von Moses? von Josua? vonDavid? von Samuel? Von Elias? von D<strong>an</strong>iel?von allen Propheten? Aber du wirst fin<strong>den</strong>,daß Diese alle durch <strong>die</strong> Trübsale ihrenGl<strong>an</strong>z empf<strong>an</strong>gen haben. Nun sage mir,willst du aus der Behaglichkeit und aus demWohlleben Gl<strong>an</strong>z gewinnen? Das k<strong>an</strong>nst dunicht. Soll ich <strong>die</strong> Apostel <strong>an</strong>führen? Aberauch Diese haben Alle durch Elend<strong>über</strong>troffen. Warum aber sage ich Dieses?Christus selbst hat ja gesprochen: „In derWelt werdet ihr Bedrängniß haben.“ 604 Undwieder: „Ihr werdet weinen und wehklagen,aber <strong>die</strong> Welt wird sich freuen.“ 605 Und daßder Weg, der zum Leben führt, schmal un<strong>den</strong>ge ist, hat der Herr des Weges selbstgesagt.“ 606 Du aber suchst <strong>den</strong> breiten? IstDas nicht thöricht? Darum aber, weil du auf <strong>die</strong>sem <strong>an</strong>dern w<strong>an</strong>delst, wirst dunicht das Leben, sondern das Verderbenfin<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n du hast <strong>den</strong> gewählt, derdorthin führt. Willst du, daß ich von Denenspreche und sie dir vorführe, <strong>die</strong> imWohlleben schwelgten? Von <strong>den</strong> letztenwollen wir zu <strong>den</strong> ersten hinaufsteigen. DerReiche, der im Feuerofen brenne; <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>,welche für <strong>den</strong> Magen lebten, deren Gott derBauch war, <strong>die</strong> in der Wüste immer Ruhesuchten, - wodurch sind sie zu Grundegeg<strong>an</strong>gen? Wie auch <strong>die</strong> Zeitgenossen desNoe damals untergingen, als sie dasweichliche und ausgelassene Leben gewählthatten. Hat <strong>die</strong> Sodomiten nicht ihreSchlemmerei in’s Verderben geführt?603 Gen 47,9604 Joh 16,33605 Joh 16,20606 Mt 7,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>„Gesättiget,“ heißt es, „von des BrodesÜberfluß wur<strong>den</strong> sie <strong>über</strong>müthig.“ 607 Dieß istvon <strong>den</strong> Bewohnern Sodoma’s gesagt. Wennaber des Brodes Überfluß ein solchesUnglück herbeiführte, was sollen wir d<strong>an</strong>nwohl sagen von <strong>den</strong> <strong>an</strong>dern Leckerbissen?War Esau nicht unthätig? Wie waren Die,welche aus der Zahl der Söhne Gottes durch<strong>den</strong> Anblick der Weiber in <strong>den</strong> Abgrundstürzten? Wie Die, welche gegen Männer inWohllust entflammt waren? Haben nicht alleKönige der Hei<strong>den</strong>, der Babylonier undÄgyptier ein böses Ende genommen?Schmachten sie nicht in der Strafe? Sieht aber<strong>die</strong> Gegenwart, sage mir, nicht ebenso aus?Höre, was Christus spricht: „Die daweichliche Kleider tragen, sind in <strong>den</strong>Häusern der Könige,“ 608 <strong>die</strong> aber nicht aufsolche Weise sich klei<strong>den</strong>, sind im Himmel.Denn das weiche Kleid entnervt undschwächt auch eine ernste Seele und läßt<strong>die</strong>selbe verkommen, selbst wenn sie einenstarken und ausdauern<strong>den</strong> Körper besitzt;gar bald wird <strong>die</strong>ser durch eine solcheschwelgerische Lebensweise weich undhinfällig sein. Denn woher <strong>an</strong>ders, sage mir,glaubt ihr wohl, daß <strong>die</strong> so große Schwächeder Weiber stamme? Etwa von der Naturallein? Keineswegs, sondern auch von derErziehung und der Lebensweise. Denn <strong>die</strong>weichliche Erziehung, <strong>die</strong> Unthätigkeit, <strong>die</strong> Bäder, <strong>die</strong> Salben, <strong>die</strong>Menge wohlriechender Kräuter, <strong>die</strong> Zartheitder Bettdecken hat sie in <strong>die</strong>sen Zust<strong>an</strong>dgebracht. Und damit du Das einsehenmögest, so gib Acht, was ich sage: Wenn duaus einem Baumgarten in der Wüste, wo <strong>die</strong>dort stehen<strong>den</strong> Bäume von <strong>den</strong> Win<strong>den</strong>gepeitscht wer<strong>den</strong>, ein junges Stämmchengenommen, und selbes <strong>an</strong> einen naßfettenund schattigen Ort gesetzt hast; so wirst dudasselbe weit hinter jenen zurückfin<strong>den</strong>, von<strong>den</strong>en du es im Anf<strong>an</strong>ge weggenommen607 Ez 16,49608 Mt 11,8212hast. Daß Dieses wahr ist, erhellet daraus,daß <strong>die</strong> Weiber, welche auf dem L<strong>an</strong>deerzogen wer<strong>den</strong>, stärker sind als <strong>die</strong> Männerin <strong>den</strong> Städten; und jene brächten es fertig,viele solcher Städter zu Bo<strong>den</strong> zu werfen.Wird aber der Leib verweichlicht, so wird <strong>die</strong>Seele nothwendig mit in’s Elend gezogen;<strong>den</strong>n großentheils richtet sich auch ihreThätigkeit nach dem Zust<strong>an</strong>de des Körpers;<strong>den</strong>n auch in der Kr<strong>an</strong>kheit sind wir wegender Verweichlichung <strong>an</strong>ders, und <strong>an</strong>dersbefin<strong>den</strong> wir uns in gesundem Zust<strong>an</strong>de.Denn wie bei <strong>den</strong> Saiten, wenn <strong>die</strong> Töneweich und schwach und nicht gehöriggedehnt sind, auch <strong>die</strong> Kunstfertigkeitunterliegt, indem sie gezwungen wird, sichder Schwäche der Saiten zu fügen: so verhältes sich auch mit dem Leibe, und es erduldet<strong>die</strong> Seele von demselben viele Nachtheileund argen Zw<strong>an</strong>g; <strong>den</strong>n da er sorgfältigerPflege bedarf, so unterliegt sie einerempfindlichen Knechtschaft. Deßhalb, ichbitte euch, wollen wir ihn abhärten und ihnnicht kränklich machen. Nicht für <strong>die</strong>Männer allein, sondern auch für <strong>die</strong> Weiberspreche ich <strong>die</strong>se Worte. Denn warumarbeitest du unausgesetzt durch Üppigkeit<strong>an</strong> seiner Auflösung und machst, daß erverkümmert, o Weib? Warum verdirbst duseine Kraft durch Fett? Denn das Fett machtihn schwammig, nicht stark. Wenn du aberdavon abstehst und ein <strong>an</strong>deres Verhaltenbeobachtest, d<strong>an</strong>n wird sich auch, weil Stärkeund Wohlbefin<strong>den</strong> sich einstellen, <strong>die</strong>Schönheit des Körpers entwickeln; wenn duaber <strong>den</strong>selben mit unzähligen Kr<strong>an</strong>kheitenbedrängst, wirst du weder eine frischeHautfarbe haben, noch dich Wohlbefin<strong>den</strong>;<strong>den</strong>n du wirst immer trübsinnig sein. Ihr wisset aber, daß gerade so, wie einschönes Haus, welche <strong>die</strong> Luft mild <strong>an</strong>weht,hell glänzt, <strong>die</strong> Heiterkeit der Seele auf einschönes Antlitz wirkt, dasselbe aber, wennsie niedergeschlagen und traurig ist,häßlicher wird. Den Trübsinn bewirken


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Kr<strong>an</strong>kheiten und Schmerzen, <strong>die</strong>Kr<strong>an</strong>kheiten aber entstammen der durchgroße Schlemmerei bewirkten Weichlichkeitdes Körpers. Darum fliehet auch schon aus<strong>die</strong>ser Rücksicht, wenn ihr mir Glaubenschenket, das Wohlleben. Aber dasWohlleben, sagt m<strong>an</strong>, bereite Vergnügen.Aber nicht so viele Freu<strong>den</strong> als Beschwer<strong>den</strong>.Übrigens reicht das Vergnügen nur bis zumGaumen, bis <strong>an</strong> <strong>die</strong> Zunge; <strong>den</strong>n sobald derTisch abgetragen oder <strong>die</strong> Speise verschlucktist, bist du Dem ähnlich, welcher nicht mit zuTische gesessen, oder du bist vielmehr nochschlimmer dar<strong>an</strong>, <strong>den</strong>n du trägst von d<strong>an</strong>nenDruck, Absp<strong>an</strong>nung, Kopfschmerz undtodtähnlichen Schlaf und Schlaflosigkeit, <strong>die</strong>von der Überfüllung und der Verdumpfungdes Geistes und dem Erbrechen herrührt,und tausend Mal hast du schon deinenMagen verflucht, während du deineUnmäßigkeit hättest verwünschen sollen.Wollen wir daher <strong>den</strong> Leib nicht fett machen,sondern hören, was Paulus spricht: „Pflegetder Sinnlichkeit nicht zur Erregung derLüste!“ 609 Denn wie Jem<strong>an</strong>d <strong>die</strong> Speisennehmen und sie in eine Kloake hineinwerfenwürde, so h<strong>an</strong>delt Der, welcher sie in <strong>den</strong>Magen hineinschafft, oder vielmehr nicht so,sondern viel schlimmer; <strong>den</strong>n dort beh<strong>an</strong>delter <strong>die</strong> Kloake so, ohne sich selbst ein Leid zubereiten; hier aber erzeugt er sich selbstunzählige Kr<strong>an</strong>kheiten. Denn Das nährt, wasder Genügsamkeit entspricht, was auchverdaut wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n; was aber <strong>über</strong>Bedürfniß genossen wird, nährt nicht nurnicht, sondern verursacht noch Scha<strong>den</strong>.Aber Niem<strong>an</strong>d sieht Dieß, weil m<strong>an</strong> von derverwerflichen Vergnügungssucht und demallgemeinen Vorurtheil irregeführt ist. Willstdu <strong>den</strong> Körper nähren? Entziehe ihm, was zuviel ist, und gib ihm, was zureichtund verdaut wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n. Beschwere ihnnicht, um ihm nicht <strong>den</strong> Unterg<strong>an</strong>g zubereiten. Die zureichende Speise nährt underfreut; <strong>den</strong>n Nichts vergnügt so, Nichtsmacht so gesund, Nichts schärft so <strong>die</strong>Sinneswerkzeuge, Nichts hält so Kr<strong>an</strong>kheitenferne, als <strong>die</strong> gut verdaute Speise. So verleihtalso <strong>die</strong> zureichende Speise Nahrung,Vergnügen und Gesundheit, <strong>die</strong> <strong>über</strong>mäßigeaber bewirkt Verderben, Widrigkeit undKr<strong>an</strong>kheit. Denn was der Hunger verursacht,Das bewirkt auch <strong>die</strong> Völlerei, ja noch vielschwerere Übel. Denn der Hunger führt <strong>den</strong>Menschen in wenigen Tagen von hinnen undbefreit ihn; Diese aber durch frißt <strong>den</strong> Leibund setzt ihn in Fäulniß, und nachl<strong>an</strong>gwieriger Kr<strong>an</strong>kheit <strong>über</strong>liefert sie ihndem schmerzvollsten Tode. Wir aber halten<strong>den</strong> Hunger für eine verwünschenswertheSache, der Völlerei aber, <strong>die</strong> drückender als<strong>die</strong>ser ist, rennen wir nach. Woher stammt<strong>die</strong>se Kr<strong>an</strong>kheit? Woher <strong>die</strong>ser Wahnsinn?Ich sage nicht, daß wir uns selbst quälen,sondern nur so viel Speise genießen sollen,daß daraus Vergnügen, und zwar wirklichesVergnügen entsteht, und was im St<strong>an</strong>de ist,<strong>den</strong> Leib zu nähren und ihn tüchtig undbrauchbar und stark und tauglich macht für<strong>die</strong> Thätigkeit der Seele. Wenn er durch <strong>die</strong>Schwelgerei leck gewor<strong>den</strong> ist undsozusagen selbst <strong>die</strong> Nägel und <strong>die</strong>verbin<strong>den</strong><strong>den</strong> Klammern aufgelöst sind, sok<strong>an</strong>n er <strong>die</strong> Säftefluth nicht mehr halten;<strong>den</strong>n <strong>die</strong>ser hineingedrungene Überfluß löst<strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen Körper auf und zerstört ihn:„Pfleget,“ heißt es, „der Sinnlichkeit nicht zurErregung der Lüste!“ 610 Und treffend hat ergesagt: „zur Erregung der Lüste;“ <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Schwelgerei liefert <strong>den</strong> Stoff für <strong>die</strong> bösenBegier<strong>den</strong>; und wäre der Schwelger dergrößte Weise, durch <strong>den</strong> Wein und <strong>die</strong>Speisen entzündet sich in ihm nothwendig<strong>die</strong> Lei<strong>den</strong>schaft; er muß ausschweifendwer<strong>den</strong>, und <strong>die</strong> Flamme der bösen Lust inihm auflodern. Daher kommen <strong>die</strong> Hurereien609 Röm 13,14213610 Röm 13,14


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>und <strong>die</strong> Ehebrüche. Denn ein hungeriger Magen k<strong>an</strong>n keine sinnlicheLiebe erzeugen, um so weniger aber, wenn erder Genügsamkeit ergeben ist; aus einemsolchen aber, der durch Üppigkeitausgelassen ist, stammen <strong>die</strong> bösenBegier<strong>den</strong>. Denn gleichwie der sehr feuchteErdbo<strong>den</strong> und der Mist, welcher naß wirdund viele Feuchtigkeit <strong>an</strong> sich zieht, Würmererzeugt, der Bo<strong>den</strong> aber, welcher von <strong>die</strong>serNässe frei ist, viele Früchte trägt, da er nichtvon <strong>die</strong>sem Übermaaß leidet, - <strong>den</strong>n wenn erauch nicht <strong>an</strong>gebaut wird, so trägt er Gras,wenn er aber bewirthschaftet wird, so trägter Frucht: so verhält es sich auch mit uns.Lassen wir also unser Fleisch nichtunbrauchbar und ohne Nutzen sein und unszum Scha<strong>den</strong> gereichen, sondern pfl<strong>an</strong>zenwir in demselben nützliche Früchte undfruchttragende Bäume, und tragen wir Sorge,daß sie nicht durch Üppigkeit zu Grundegehen; <strong>den</strong>n wenn sie faul gewor<strong>den</strong>,bringen auch sie statt der Früchte nurWürmer. So erzeugt auch <strong>die</strong> <strong>an</strong>geborneBegierlichkeit, wenn sie <strong>über</strong>mäßig vollsaftigwird, <strong>die</strong> böse, ja <strong>die</strong> allerverderblichste Lust.Dieses Übel wollen wir daher auf jeglicheWeise entfernen, damit wir der verheissenenGüter theilhaftig wer<strong>den</strong> können in ChristoJesu unserm Herrn u. s. w. Dreissigste Homilie.I.11 - 13. Jede Züchtigung aber scheint für <strong>die</strong>Gegenwart nicht zur Freude zu sein,sondern zur Trauer; in der Folge aber bringtsie Denen, welche durch sie geübt wur<strong>den</strong>,frie<strong>den</strong>reiche Früchte der Gerechtigkeit.Darum richtet wieder auf <strong>die</strong> erschlafftenHände und <strong>die</strong> w<strong>an</strong>ken<strong>den</strong> Kniee, undmachet gerade Tritte mit eueren Füßen,214damit nicht Jem<strong>an</strong>d hinke und abgleite,sondern vielmehr geheilt werde.Diejenigen, welche bittere Arzneieneinnehmen, haben Anf<strong>an</strong>gs eine gewisseAbneigung dagegen, d<strong>an</strong>n aber merken siederen Zuträglichkeit. Ähnlich verhält es sichmit der Tugend; und ebenso mit dem Laster:hier ist zuerst Wonne, d<strong>an</strong>n Trauer, dortzuerst Unbehagen, d<strong>an</strong>n Freude. Aber esbesteht keine volle Gleichheit; <strong>den</strong>n Das istwohl von ein<strong>an</strong>der verschie<strong>den</strong>, zuerst Leid,d<strong>an</strong>n Freude, und zuerst Freude,d<strong>an</strong>n Leid zu haben. Wie so? Hier verringert<strong>die</strong> Furcht vor der zukünftigen Trauer dasgegenwärtige Vergnügen, dort aber mildert<strong>die</strong> Hoffnung auf <strong>die</strong> dereinstige Freude <strong>die</strong>Heftigkeit des gegenwärtigen Schmerzes, sodaß in dem einen Falle niemals Vergnügen, indem <strong>an</strong>dern niemals Schmerz stattfindet.Allein nicht nur in <strong>die</strong>ser, sondern auch ineiner <strong>an</strong>dern Beziehung zeigt sich einUnterschied. Wie <strong>den</strong>n? Auch in Betreff derZeit besteht keine Gleichheit; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>geistigen Freu<strong>den</strong> sind nicht nur größer,sondern auch <strong>an</strong>dauernder. Von <strong>die</strong>semGesichtspunkte aus versucht nun Paulusseinem Troste Eing<strong>an</strong>g zu verschaffen, undstützt sich wieder auf das allgemeine Urtheil,dem Niem<strong>an</strong>d widerstehen, und <strong>die</strong>gemeinsame Stimme, mit der Niem<strong>an</strong>d inWiderstreit treten k<strong>an</strong>n. Denn wenn EinerEtwas sagt, wor<strong>über</strong> Alle einig sind, sostimmen Alle bei und Keiner widerspricht.Ihr trauert, sagt er; und Das ist der Vernunftgemäß; <strong>den</strong>n so ist <strong>die</strong> Zucht beschaffen, undeinen solchen Anf<strong>an</strong>g hat sie, weßhalb erauch also weiter fortfährt: „Jede Züchtigungaber scheint für <strong>die</strong> Gegenwart nicht zur Freudezu sein, sondern zur Trauer.“ Schön sagt er:„scheint ... nicht;“ <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Züchtigung istnicht zur Trauer, sondern scheint es nur zusein, und nicht <strong>die</strong>se, jene aber nicht, sondernjede: „Denn jede Züchtigung scheint nicht zurFreude, sondern zur Trauer zu sein,“ d. h.sowohl <strong>die</strong> menschliche, als auch <strong>die</strong>


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>geistige. Siehst du, daß er nach <strong>den</strong>gemeinsamen Begriffen <strong>den</strong> Kampf führt? Siescheint, sagt er, zur Trauer zu sein, so daß siees noch nicht wirklich ist; <strong>den</strong>n welcheTrauer erzeugt Freude? keine; so wie auchVergnügen keine Trauer bewirkt: „in derFolge aber bringt sie Denen, <strong>die</strong> durch sie geübtwur<strong>den</strong>, frie<strong>den</strong>reiche Früchte der Gerechtigkeit.“Er sagt nicht Frucht, sondern Früchte, um <strong>die</strong>große Menge <strong>an</strong>zuzeigen. „Denen, <strong>die</strong> durchsie geübt wur<strong>den</strong>.“ Was heißt Das: „Denen, <strong>die</strong>durch sie geübt wur<strong>den</strong>“? Die l<strong>an</strong>geZeit ausgeharrt und geduldet haben. Siehstdu, wie er sich auch eines treffen<strong>den</strong>Ausdruckes be<strong>die</strong>nt hat? Eine Übung also ist<strong>die</strong> Züchtigung, welche <strong>den</strong> Körper starkmacht, und un<strong>über</strong>windlich im Wettkampfeund unbesiegbar im Kriege. Ist daher jedeZucht also beschaffen, d<strong>an</strong>n wird auch <strong>die</strong>senicht <strong>an</strong>ders sein, so daß also herrliche Güterin Aussicht stehen, und ein süßes,frie<strong>den</strong>reiches Ende. Und dar<strong>über</strong> wunderedich nicht, daß sie, obgleich sie rauh ist, süßeFrüchte hat, da ja auch bei Bäumen <strong>die</strong> Rindefast ohne alle Eigenschaften und rauh ist, <strong>die</strong>Früchte aber süß sind. Dieß ist in derallgemeinen Erfahrung begründet. Wenndaher Solches in Aussicht steht, was trauertihr <strong>den</strong>n? Warum verfallet ihr, da ihrWiderwärtigkeiten erduldet habt, in Betreffder Güter in Erschlaffung? Die Bitterkeiten,<strong>die</strong> zu ertragen waren, habt ihr st<strong>an</strong>dhaftertragen; werdet daher auch hinsichtlich derVergeltung nicht fahrlässig: „Darum richtetwieder auf <strong>die</strong> erschlafften Hände und <strong>die</strong>w<strong>an</strong>ken<strong>den</strong> Kniee, und machet gerade Tritte miteueren Füßen, damit nicht Jem<strong>an</strong>d hinke undabgleite, sondern vielmehr geheilt werde.“ Erspricht zu ihnen wie zu Wettrennern undFaustkämpfern und Streitern. Siehst du, wieer sie bewaffnet, wie er sie emporhebt? Erspricht <strong>die</strong>se Worte in Bezug auf ihreGesinnungen. Machet, sagt er, gerade Tritte,d.h. keine unsicheren; <strong>den</strong>n wenn <strong>die</strong>Züchtigung aus der Liebe stammt, wenn sie215aus der Fürsorge ihr Entstehen hat, - wasPaulus aus Thatsachen, aus Worten und ausAllem beweist, - warum erschlaffet ihr <strong>den</strong>n?Denn so machen es Diejenigen, welcheverzweifeln und durch keine Hoffnung auf<strong>die</strong> zukünftigen Güter gestärkt wer<strong>den</strong>.Machet, sagt er, gerade Tritte, damit <strong>die</strong>Lahmheit nicht fortbestehe, sondern derfrühere Zust<strong>an</strong>d wieder eintrete; <strong>den</strong>n wermit einer Lähmung läuft, macht das Übelnoch ärger. Siehst du, daß <strong>die</strong> volle Heilungin unserer Macht liegt? 14. Strebet nach Frie<strong>den</strong> mit Allen und nachHeiligung, ohne welche Niem<strong>an</strong>d Gottschauen wird.Was er oben sagte: „indem wir nichtverlassen unsere Versammlung,“ 611 Dasdeutet er auch hier <strong>an</strong>. Denn Nichts trägt in<strong>den</strong> Versuchungen so sehr dazu bei, daß m<strong>an</strong>leicht besiegt und bezwungen wird, als wennm<strong>an</strong> getrennt dasteht. Und betrachte, wie?Trenne im Kriege <strong>die</strong> Schlachtreihe, und <strong>die</strong>Feinde wer<strong>den</strong> keine Anstrengung mehrnothwendig haben, sondern sie wer<strong>den</strong>Diejenigen, welche sie vereinzelt unddadurch zum Widerst<strong>an</strong>de weniger fähiggefun<strong>den</strong> haben, bin<strong>den</strong> und abführen.„Strebet nach Frie<strong>den</strong> mit Allen,“ sagt er. Alsoauch mit Denjenigen, welche Böses thun.Dieß sagt er auch <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>dern Stelle:„Wenn es möglich ist, so habet, so viel <strong>an</strong>euch liegt, Frie<strong>den</strong> mit allen Menschen.“ 612Deinestheils, sagt er, halte Frie<strong>den</strong> undverletze <strong>die</strong> Liebe nicht, und ertrage deineLei<strong>den</strong> mit Muth; <strong>den</strong>n in <strong>den</strong> Versuchungenist <strong>die</strong> Geduld eine gewaltige Waffe. Sostärkte auch Christus seine Jünger, indem erspricht: „Siehe, ich sende euch wie Schafemitten unter Wölfe. Seid daher klug wie <strong>die</strong>Schl<strong>an</strong>gen, und einfältig wie <strong>die</strong> Tauben.“ 613Was sagst du? Mitten unter Wölfen sind wir,und du befiehlst uns, wie Schafe und Tauben611 Hebr 10,25612 Röm 12,18613 Mt 10,16


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>zu sein? Allerdings, sagt er; <strong>den</strong>n Nichtsbeschämt Den, welcher uns Böses zufügt, so,als wenn wir <strong>die</strong> erlittenen Unbil<strong>den</strong>st<strong>an</strong>dhaft ertragen, und uns weder durchWorte noch durch H<strong>an</strong>dlungen rächen.Dadurch gewinnen wir selbst <strong>an</strong> Weisheit,und bereiten uns Lohn und jenem Nutzen.Aber Jener hat dir Schmach zugefügt? Duaber segne ihn. Erwäge, wie viele Vortheiledir daraus erwachsen: das Böse hast duvernichtet, dir selbst Lohn bereitet,Jenen beschämt, und es ist dir nichtsSchlimmes begegnet: „Strebet nach Frie<strong>den</strong> mitAllen und nach Heiligung!“ Was nennt erHeiligung? Die Mäßigung und <strong>die</strong> Ehrbarkeitim Ehest<strong>an</strong>de. Ist Jem<strong>an</strong>d unverehelicht, solebe er enthaltsam, oder heirathe; lebtJem<strong>an</strong>d im Ehest<strong>an</strong>de, so werde er keinEhebrecher, sondern lebe mit seinem eigenenWeibe; <strong>den</strong>n auch Das gehört zur Heiligung.Wie <strong>den</strong>n? Die Ehe ist nicht <strong>die</strong> Heiligung,sondern <strong>die</strong> Ehe bewahrt <strong>die</strong> Heiligung, <strong>die</strong>aus dem Glauben kommt, und schützt vordem Umg<strong>an</strong>g mit einer Hure. Denn <strong>die</strong> Eheist ehrenhaft, nicht heilig; <strong>die</strong> Ehe ist rein,aber sie verleiht nicht <strong>die</strong> Heiligung, sondernverhindert nur, daß <strong>die</strong> vom Glaubengegebene Heiligung nicht befleckt werde:„Ohne welche Niem<strong>an</strong>d Gott schauen wird.“Dasselbe sagt er auch im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong>Korinther: „Täuschet euch nicht. WederHurer, noch Götzen<strong>die</strong>ner, nachKnabenschänder, noch Geizige, noch Diebe,noch Säufer, noch Lästerer, noch Räuberwer<strong>den</strong> das Reich Gottes besitzen.“ 614 Dennwie k<strong>an</strong>n Der, welcher einer Hure Leibgewor<strong>den</strong> ist, Christi Leib sein?15. 16. Sehet zu, daß Keiner <strong>die</strong> GnadeGottes versäume, damit keine bittereWurzel aufwachse und hinderlich sei, unddadurch Viele verunreiniget wer<strong>den</strong>; daßnicht Jem<strong>an</strong>d ein Unzüchtiger oderVerächter des Heiligen sei:II.„Ermahnet euch selbst,“ sagt er, „ein<strong>an</strong>deralle Tage, so l<strong>an</strong>ge es noch heute heißt.“ 615 Wollet daher nicht Alles <strong>den</strong> Lehrern, nichtAlles <strong>den</strong> Führern aufbür<strong>den</strong>; auch ihr, sagter, könnet ein<strong>an</strong>der erbauen. Dieses sagt erauch im <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Thessalonicenser:„Erbauet Einer <strong>den</strong> Andern, so wie ihr auchthuet.“ 616 Und wieder: „Darum tröstetein<strong>an</strong>der!“ Dazu ermuntern auch wir jetzt.Mehr als wir aber könnt ihr, wenn ihr wollet,Gutes erweisen; <strong>den</strong>n ihr seid öfterbeisammen, und kennt <strong>die</strong> gegenseitigenVerhältnisse besser, und es sind euch auchunterein<strong>an</strong>der <strong>die</strong> verschie<strong>den</strong>en Schwächennicht fremd, und ihr könnt euch unterliebevoller Hilfeleistung unverholeneraussprechen. Das sind aber keineunbedeuten<strong>den</strong> Mittel der Belehrung,sondern vielmehr wichtige und geeigneteZugänge, und ihr seid daher besser als wir inder Lage, zu warnen und zu ermuntern. Undauch Dieß nicht allein, sondern ich stehe alsEiner da, ihr aber zählet viele und ihr allekönnt Lehrer sein. Darum wollet ja nicht, ichbitte euch, <strong>die</strong>se Gnade verabsäumen. EinJeder von euch hat eine Frau, hat einenFreund, hat einen Diener, hat einen Nachbar.Diesen verwarne er, Jenen muntere er auf.Denn wie, ist es nicht unpassend, zurerquicklichen Pflege gemeinschaftlicheMahlzeiten und Trinkgelage zu ver<strong>an</strong>stalten,und <strong>an</strong> einem bestimmten Tagezusammenzukommen, und was jedemEinzelnen fehlt, ihm gemeinschaftlich zuergänzen, mag m<strong>an</strong> z. B. einerLeichenbestattung beiwohnen, oder zu einemMahle gehen, oder irgend einem NächstenMithilfe leisten wollen: aber um in der614 1 Kor 6,9.10216615 Hebr 3,13616 1 Thess 5,11


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Tugend zu unterrichten, Nichts der Art zuunternehmen? Ja, ich bitte euch, Niem<strong>an</strong>dversäume Solches; <strong>den</strong>n großer Gotteslohnsteht in Aussicht. Und zu deinem besserenVerständnisse wisse, daß Derjenige, welchemfünf Talente 617 <strong>an</strong>vertraut wor<strong>den</strong> sind, derLehrer, welcher aber nur Eines erhalten hat,der Schüler ist. Wenn aber der Schülerspräche: Ich bin ein Schüler und laufe keine Gefahr, und nun das Wort, das er vonGott empf<strong>an</strong>gen hat und das Allen zugehört,bloß verbergen, und weder mahnen nochfreimüthig tadeln, noch eindringlichzusprechen, sondern das Wort in der Erdeversteckt halten würde, - <strong>den</strong>n Erde undAsche ist in Wahrheit ein Herz, welches <strong>die</strong>Gnade Gottes verbirgt, - und wenn er nunein solches Versäumniß aus Faulheit oder ausBosheit eintreten ließe, so würde ihn <strong>die</strong>Ausrede: Ich hatte nur ein Talent, nichtvertheidigen können. Ein Talent hattest du,und solltest daher wenigstens Eineshinzugewinnen und das Talent verdoppeln.Wenn du nur ein Einziges hinzugebrachthättest, so läge keine Schuld <strong>an</strong> dir; <strong>den</strong>n zuDem, welcher zwei gewonnen hatte, sprachder Herr nicht: warum hast du nicht fünfhinzugewonnen, sondern er erhielt Gleichesmit Dem, welcher fünf (gewonnene) vorlegte.Warum <strong>den</strong>n? Weil er so viel gew<strong>an</strong>n, als erbesaß. Und er wurde nicht darum, weil erweniger empfing, als Der, welchem fünfzugetheilt wor<strong>den</strong>, nachlässig, noch benutzteer <strong>die</strong> geringere Zahl, um träge zu wer<strong>den</strong>.Und du hattest nicht nöthig, auf Den zusehen, welcher zwei empfing, oder vielmehr,du hättest auf ihn hinschauen sollen, und wieer Den nachahmte, welcher fünf<strong>über</strong>kommen hatte, da er selbst nur zweierhielt, so hättest du Dem, welchem nur zweizu Theil wur<strong>den</strong>, nacheifern sollen. Dennwenn Den, welcher Reichthümer hat, undnicht davon mittheilt, Strafe trifft, wie k<strong>an</strong>n617 Mt 25217Derjenige, welcher wie nur immer zumGuten ermahnen könnte, und es verabsäumt,von der schwersten Strafe verschont bleiben?Dort wird der Leib genährt, hier <strong>die</strong> Seele;dort verhinderst du <strong>den</strong> zeitlichen, hier aber<strong>den</strong> ewigen Tod.III.Aber ich besitze, sagt m<strong>an</strong>, <strong>die</strong> Rednergabenicht. Da ist keine Rednergabe, keineBeredsamkeit nöthig. Siehst du einen Freund,welcher der Hurerei sich ergibt, so sage ihm:Was du treibst, ist eine schlimme Sache;schämst du dich nicht? mußt du nichterröthen? Sünde ist Solches. Aber weiß eretwa nicht selbst, daß er Böses thut? Freilichweiß er es, aber er läßt sich von der bösenLust hinreissen. Auch <strong>die</strong> Kr<strong>an</strong>kenwissen, daß ihnen kaltes Getränk schadet;aber <strong>den</strong>noch müssen Solche da sein, <strong>die</strong> siedavon abhalten; <strong>den</strong>n wer aufgeregt ist, istnicht im St<strong>an</strong>de, in der Kr<strong>an</strong>kheit sich selbstzu beherrschen. Jener bedarf also zu seinerGenesung deiner, der du gesund bist, undwenn er vielleicht auf deine Worte nicht hört,so beobachte ihn, w<strong>an</strong>n er fortgehen will,und halte ihn zurück, - vielleicht läßt er sichschamerfüllt zurückhalten. Aber was nütztDas, sagt m<strong>an</strong>, wenn er meinetwegen undweil er von mir zurückgehalten wird, soh<strong>an</strong>delt? Laß’ <strong>die</strong> spitzfindigen Re<strong>den</strong>, haltedu ihn einstweilen nur auf jede möglicheWeise von der bösen That ab; er werde dar<strong>an</strong>gewöhnt, jenes Bad nicht zu besuchen, undmag er nun durch dich oder wodurch immerverhindert wer<strong>den</strong>, - er wird daraus Nutzenziehen. Denn hast du ihn dar<strong>an</strong> gewöhnt,nicht hinzugehen, d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>nst du ihn,nachdem er sich ein wenig erholt hat,nehmen und ihn belehren, daß er Solcheswegen Gott und nicht eines Menschen wegenunterlassen müsse. Du darfst aber das g<strong>an</strong>zeWerk nicht auf Einmal in Ordnung bringen


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>wollen, sondern gemach und allmälig. - Undwenn du siehst, daß er sich dem Trunkeergibt, und Saufgelagen nachgeht, soverfahre auch dort auf gleiche Weise undbitte ihn wiederum, er möge, wenn er <strong>an</strong> dirirgend einen Fehlen bemerkt, auch dir helfenund dich bessern. Denn so wird er auch sichselbst zurechtweisen, wenn er sieht, daß auchdu einer Mahnung bedarfst, und nicht <strong>den</strong>Vollkommenen, noch <strong>den</strong> Lehrer spielst,sondern als Freund und Bruder hilfst. Sprichzu ihm: Ich war dir zum Vortheil, indem ichdich mahnte <strong>an</strong> Das, was dir frommt; nimmstdu nun <strong>an</strong> mir eine Untugend wahr, sosträube dich dagegen und sei mir zurBesserung behilflich. Siehst du, daß er zornig,daß er habsüchtig ist, so halte ihn durch dasB<strong>an</strong>d der belehren<strong>den</strong> Verwarnung zurück.Das ist Freundschaft. Wird so dem Brudervom Bruder geholfen, d<strong>an</strong>n ist er wie einefeste Stadt. 618 Denn Essen und Trinken macht<strong>die</strong> Freundschaft nicht aus, <strong>den</strong>n einesolche haben auch Räuber und Mörder;sondern wenn wir Freunde sein, wenn wir inWahrheit ein<strong>an</strong>der nützlich sein wollen, sosollen wir uns hiezu vereinigen; <strong>den</strong>n Dasführt uns zu einer heilbringen<strong>den</strong>Freundschaft, Das bewahrt uns vor demHöllenunterg<strong>an</strong>ge. Also weder Derjenige,welcher zurechtgewiesen wird, lasse sichaufbringen, - <strong>den</strong>n wir sind ja Menschen undhaben unsere Fehler, - noch erlaube sichDerjenige, welcher einen Verweis gibt, einenspöttischen und verletzen<strong>den</strong> Ton, und thuees nicht öffentlich, sondern unter vier Augenmit schonender Milde; <strong>den</strong>n Derjenige,welcher zurechtweist, muß mit großerFreundlichkeit vorgehen, um so derschnei<strong>den</strong><strong>den</strong> Rede gute Aufnahme zubereiten. Sehet ihr nicht, mit welch’freundlichem Benehmen <strong>die</strong> Ärzte, wenn siebrennen oder schnei<strong>den</strong>, ihre Kurvornehmen? Noch viel mehr müssen <strong>die</strong>Zurechtweisen<strong>den</strong> also h<strong>an</strong>deln; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Zurechtweisung schmerzt empfindlicher alsFeuer und Eisen und bewirkt Aufregung.Darum bieten auch <strong>die</strong> Ärzte alle Sorgfaltauf, um mit zarter Behutsamkeit undSchonung zu schnei<strong>den</strong>, und lassen mitunterdavon etwas ab, um dem Beh<strong>an</strong>delten eineWeile Erholung zu gönnen. Auf solche Weisesollen auch <strong>die</strong> Ermahnungen geschehen,damit <strong>die</strong> Betroffenen nicht gereiztzurückweichen. Wenn wir also auchgeschmäht und empfindlich getroffenwer<strong>den</strong> müssen, so wollen wir uns dagegennicht sträuben. Denn auch Jene, <strong>an</strong> welchengeschnitten wird, schelten gar arg gegenDiejenigen, welche das Messer <strong>an</strong>setzen; aberDiese achten nicht darauf, sondern haben nur<strong>die</strong> Genesung der Kr<strong>an</strong>ken im Auge. So sollauch hier Alles geschehen, damit <strong>die</strong>Zurechtweisung mit Nutzen geschehe, undm<strong>an</strong> soll Alles ertragen im Hinblick auf <strong>den</strong>Lohn, der vor Augen schwebt: „Einer,“ heißtes, „trage des Andern Last, und so werdet ihrdas Gesetz Christi erfüllen.“ 619 So alsokönnen wir bei Zurechtweisungen ingegenseitiger Ertragung derselben <strong>die</strong>Erbauung (des Leibes) Christi erfüllen. Unswerdet ihr auf <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong> Arbeit leichtmachen, indem ihr uns in Allem beistehetund <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d bietet, und Theilhaber undGenossen sowohl des gegenseitigen als deseigenen Heiles werdet. Harren wir also aus,und Einer trage des Andern Last undMahnung, damit wir <strong>die</strong> verheissenen Gütererl<strong>an</strong>gen in Christo Jesu unserm Herrn u. s.w. Einunddreissigste Homilie.I.618 Spr 18,19218619 Gal 6,2


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>14. Strebet nach Frie<strong>den</strong> mit Allen und nachHeiligung, ohne welche Niem<strong>an</strong>d Gottschauen wird.Das Christenthum hat zwar vieleKennzeichen, aber vor allen <strong>an</strong>dernbehaupten <strong>den</strong> ersten R<strong>an</strong>g <strong>die</strong> gegenseitigeLiebe und der Friede. Darum sagt auchChristus: „Meinen Frie<strong>den</strong> gebe ich euch.“ 620Und wieder: „Dar<strong>an</strong> wer<strong>den</strong> Alle erkennen,daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr euch liebhabet unterein<strong>an</strong>der.“ 621 Weßhalb auchPaulus schreibt: „Strebet nach Frie<strong>den</strong> mitAllen und nach Heiligung, ohne welche Niem<strong>an</strong>dGott schauen wird.“ 15. Habet Acht, daß Keiner <strong>die</strong> GnadeGottes versäume.Er sagt gleich, als machten sie in zahlreicherReisegesellschaft einen weiten Weg: sehet zu,daß ja Keiner zurückbleibe; <strong>den</strong>n ich suchenicht Das allein, daß ihr selbst kommet,sondern daß ihr auch auf <strong>die</strong> Andernschauet: „daß Keiner <strong>die</strong> Gnade Gottesversäume.“ Gnade Gottes nennt er <strong>die</strong>zukünftigen Güter, <strong>den</strong> Glauben <strong>an</strong> dasEv<strong>an</strong>gelium, <strong>den</strong> vollkommenen W<strong>an</strong>del;<strong>den</strong>n <strong>die</strong>se sind sämmtlich eine Frucht dergöttlichen Gnade. Wolle mir nun nicht sagen:Einer ist es, der zu Grunde geht. Auch umEines Willen ist Christus gestorben. Willst dunun für Den keine Sorge tragen, um dessenwillen Christus <strong>den</strong> Tod gelitten hat? HabetAcht, sagt er, d. h. forschet genau aus,untersuchet, bringet zu euerer Kenntniß, wiees gewöhnlich bei <strong>den</strong> Kr<strong>an</strong>ken geschieht,und prüfet in Allem: „Damit keine Wurzel derBitterkeit aufwachse und hinderlich sei.“ DieseStelle steht im Deuteronomium, 622 und es ist<strong>die</strong>ser bildliche Ausdruck von <strong>den</strong> Pfl<strong>an</strong>zenentlehnt: „Damit keine Wurzel der Bitterkeit“ ...,was er auch <strong>an</strong> einer <strong>an</strong>dern Stelle in <strong>den</strong>Worten sagt: „Wisset ihr nicht, daß ein wenig620 Joh 14,27621 Joh 13,35622 Dtn 29,18219Sauerteig <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zen Teig durchsäuert“? 623Nicht nur um deßwillen allein, sagt er, willich Dieß, sondern auch des Scha<strong>den</strong>s halber,der daraus entsteht, d. h. wenn auch einederartige Wurzel vorfindig ist, so laß’ siekein Gewächs hervortreiben, sondern rottesie aus, damit sie keine ihrer Naturentsprechen<strong>den</strong> Früchte trage, damit sienicht <strong>die</strong> <strong>an</strong>dern beflecke und verderbe:„Damit keine Wurzel der Bitterkeit aufwachseund hinderlich sei, und dadurch Vieleverunreinigt wer<strong>den</strong>.“ Und mit Recht hat er <strong>die</strong> Sünde „bitter“ gen<strong>an</strong>nt; <strong>den</strong>n Nichtsist in Wahrheit bitterer als <strong>die</strong> Sünde. Daswissen Diejenigen, welche nach vollbrachterThat durch Gewissensbisse große Bitterkeitausstehen; <strong>den</strong>n durch das Übermaaß ihrerBitterkeit bringt sie selbst <strong>den</strong> Verst<strong>an</strong>d inVerwirrung. So ist <strong>die</strong> Natur <strong>die</strong>ser Bitterkeitbeschaffen, - sie ist nichtswürdig. Undtreffend sagt er: „Wurzel der Bitterkeit;“ ersagt nicht: „bittere Wurzel“, sondern: „Wurzelder Bitterkeit;“ <strong>den</strong>n es ist möglich, daß einerbittern Wurzel süße Früchte entsprossen;aber <strong>die</strong> Wurzel der Bitterkeit, <strong>die</strong> da <strong>die</strong>Quelle und Grundlage ist, k<strong>an</strong>n nie undnimmer eine süße Frucht hervorbringen;<strong>den</strong>n da ist Alles bitter, Nichts süß, Alleswidrig, Alles un<strong>an</strong>genehm, Alles vollAbscheu und Eckel. „Und dadurch Vieleverunreinigt wer<strong>den</strong>,“ d.h. damit Dieß nichtgeschehe, stoßet <strong>die</strong> Ausschweifen<strong>den</strong> aus.16. Daß nicht Jem<strong>an</strong>d ein Unzüchtiger oderVerächter des Heiligen sei, wie Esau, derum eine einzige Speise seine Erstgeburtverkauft hat.Und wo war <strong>den</strong>n Esau ein Unzüchtiger? Ersagt hier nicht, daß Esau Unzucht getrieben,sondern <strong>die</strong>se Worte stehen im Gegensatzezu jenen: „strebet nach Heiligung;“ derAusdruck: „Verächter des Heiligen“ findet aberauf ihn seine Anwendung. Keiner sei also,wie Esau, ein Verächter des Heiligen, d. h. er623 1 Kor 5,6


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>sei kein Vollesser, kein Ausschweifling, keinWeltmensch, kein Verkäufer geistiger Güter:„der um eine einzige Speise seine Erstgeburtverkauft hat,“ d. h. der <strong>die</strong> ihm von Gottverliehene Ehre aus eigener Verkommenheitpreisgab, und eines unbedeuten<strong>den</strong> Vergnügenswegen <strong>die</strong> größte Ehre und <strong>den</strong> höchsten Ruhmverlor. Das bezieht sich auf Jene, deren Lebenhäßlich und unrein ist. Also nicht allein derUnzüchtige ist unrein, sondern auch derSchlemmer, der ein Knecht des Bauchesist; <strong>den</strong>n auch Dieser ist der Sklave einer <strong>an</strong>dernLust, und wird gezwungen zur Habsucht. zumRaube und zu unzählichen Sch<strong>an</strong>dthaten, - da erim Dienste jener Lei<strong>den</strong>schaft steht, - und stößtoft Lästerungen aus. Dieser hielt seine Erstgeburtfür werthlos, weßhalb er auch für sein zeitlichesWohlbehagen sorgte, und bis zum Verkaufe seinerErstgeburt gebracht wurde, so daß <strong>die</strong> Erstgeburtnunmehr uns und nicht <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> zugehört.Zugleich trägt auch noch zu ihrer Betrübniß <strong>die</strong>hier gegebene Andeutung bei, daß der Erste derLetzte, und der Zweite der Erste gewor<strong>den</strong>, undzwar Dieser der Erste durch seine Beharrlichkeit,Jener aber der Letzte durch seine Fahrlässigkeit.17. Denn ihr wisset, daß er auch nachher, alser <strong>den</strong> Segen erben wollte, verworfen wurde;<strong>den</strong>n Sinnesänderung (Buße) erl<strong>an</strong>gte ernicht, obwohl er sie mit Thränen suchte.II.Was ist Das? Verwirft er also <strong>die</strong> Buße?Keineswegs. Aber wie f<strong>an</strong>d er keine Buße? Dennwenn er sich selbst <strong>an</strong>klagte, wenn er tiefaufseufzte, warum f<strong>an</strong>d er <strong>den</strong>noch keine Buße?Weil Das nicht Werk der Buße (Sinnesänderung)war. Denn wie <strong>die</strong> Trauer des Kain nicht in derBuße ihren Grund hatte, was m<strong>an</strong> aus demTodtschlag ersieht: so waren auch hier <strong>die</strong> Wortenicht <strong>die</strong> Frucht der Reue, was aus demnachherigen Morde klar ist; <strong>den</strong>n dem Willennach hat auch er <strong>den</strong> Jakob getödtet; „<strong>den</strong>n eswer<strong>den</strong>,“ heißt es, „Tage der Trauer <strong>über</strong> meinen220Vater kommen, und meinen Bruder Jakob will icherwürgen.“ 624 Daher vermochten <strong>die</strong>Thränen es nicht, ihm Buße zu verleihen. Und ersagt nicht einfach Buße, sondern: „Obgleich er siemit Thränen suchte, f<strong>an</strong>d er <strong>die</strong> Buße nicht.“Warum <strong>den</strong>n? Weil er nicht auf <strong>die</strong> rechteWeise Buße that; <strong>den</strong>n so muß <strong>die</strong> Bußestattfin<strong>den</strong>; er aber hatte nicht ächte Buße.Warum hat er <strong>den</strong>n aber <strong>die</strong>se Wortegesprochen? Warum ermuntert er sie <strong>den</strong>nwieder, sie, <strong>die</strong> da träge und lahm, nachlässigund schlaff gewor<strong>den</strong>? Denn Das ist derAnf<strong>an</strong>g des Falles. Mir scheint er auf gewisseUnzüchtige unter ihnen <strong>an</strong>zuspielen, <strong>die</strong> eraber bis jetzt nicht tadeln wollte, und er stelltsich, als sei ihm <strong>die</strong> Sache unbek<strong>an</strong>nt, um siezu bessern. Denn um der Scham nicht zunahe zu treten, muß m<strong>an</strong> zuerst Unkenntnißvermuthen lassen, d<strong>an</strong>n aber, wenn keineBesserung erfolgt, auch Verweise ertheilen.So hat es auch Moses in Bezug auf Zambriund <strong>die</strong> Chasbithis gemacht. 625 „Denn ererl<strong>an</strong>gte,“ heißt es, „keine Buße.“ Er erl<strong>an</strong>gtekeine Buße, entweder weil <strong>die</strong> Sün<strong>den</strong> größerwaren, als <strong>die</strong> Buße, oder weil <strong>die</strong> Buße keinewürdige war. Es gibt also Sün<strong>den</strong>, welche <strong>die</strong>Buße <strong>über</strong>steigen. Er will aber Folgendessagen: Fallen wir ja nicht in unheilbaremSturze; <strong>den</strong>n so l<strong>an</strong>ge es nur bis zu einerLähmung gekommen, ist <strong>die</strong> Genesung leichtzu bewerkstelligen; wenn wir aber g<strong>an</strong>zdarniederliegen, was bleibt d<strong>an</strong>n noch übrig?So spricht er zu Denen, welche noch nichtgefallen sind, um sie durch Furcht zubefestigen, und sagt, daß für <strong>den</strong> Gefallenender Trost fehle; <strong>die</strong> Gefallenen aberermuntert er, um sie vor Verzweiflung zuschützen, auf <strong>die</strong> entgegengesetzte Weise,indem er sagt: „O meine Kindlein, für <strong>die</strong> ichabermal Geburtsschmerzen habe, bisChristus in euch gestaltet wird.“ 626 Undwieder: „Wenn ihr durch das Gesetz wollet624 Gen 27, 1 4625 Num 25626 Gal 4,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gerechtfertigt wer<strong>den</strong>, seid ihr der Gnadeentfallen.“ 627 Siehe, er bezeugt, daß sieentfallen seien; <strong>den</strong>n wenn Derjenige,welcher aufrecht steht, hört, daß derGefallene keine Verzeihung erl<strong>an</strong>ge, sowächst sein Eifer und er steht noch fester;wenn du aber bezüglich des Gefallenendasselbe Bemühen <strong>an</strong>wen<strong>den</strong> wolltest, sowird er doch nie aufstehen; <strong>den</strong>n auf welcheHoffnung hin sollte er eine Umw<strong>an</strong>dlungzeigen? Er sagt aber nicht allein, daß ergeweint, sondern auch, daß er gesucht habe.Er verwirft also nicht <strong>die</strong> Buße, da er spricht:„Buße erl<strong>an</strong>gte er nicht,“ sondern er sichert siehiedurch mehr vor dem Falle. Die also <strong>an</strong>keine Hölle glauben, sollen sich <strong>an</strong> Dieseserinnern; und <strong>die</strong> glauben, <strong>die</strong> Sünde werdeungestraft bleiben, Solches be<strong>den</strong>ken.Warum erl<strong>an</strong>gte Esau keine Buße? Weil er sienicht nach Gebühr geübt hat.III.Willst du eine vollkommene Buße sehen? Sohöre <strong>die</strong> Buße des Petrus nach seinerVerleugnung. Denn der Ev<strong>an</strong>gelist, der unsseine Geschichte erzählt, sagt: „Und er ginghinaus und weinte bitterlich.“ Darum wurdeihm auch <strong>die</strong> so große Sünde verziehen, weiler auf <strong>die</strong> rechte Weise Buße geth<strong>an</strong>. Unddoch war das Opfer noch nicht dargebracht,noch hatte <strong>die</strong> Darbringung nichtstattgefun<strong>den</strong>, noch war <strong>die</strong> Sünde nichthinweggenommen, sondern sie hatte nochihre Herrschaft und übte ihre Tyr<strong>an</strong>nei aus.Und damit du einsehest, daß <strong>die</strong>Verleugnung nicht aus innerlicherFahrlässigkeit stammte, sondern weil ihnGott in der Absicht verlassen hatte, um ihn<strong>über</strong> das Maaß menschlicher Kraft zubelehren, und vor Widerspruch gegen <strong>die</strong>Worte seines Meisters und vor627 Gal 5,4221Selbsterhebung <strong>über</strong> Andere zu bewahrenund ihn zu belehren, daß ohne Gott Nichtsmöglich sei, und daß, „wenn der Herr dasHaus nicht baut, Diejenigen vergebensarbeiten, <strong>die</strong> dar<strong>an</strong> bauen:“ 628 so höre, wieChristus, um ihn zu befestigen und in derDemuth zu begrün<strong>den</strong>, zu ihm allein gesprochen hat: „Simon, Simon, stehe, derSat<strong>an</strong> hat verl<strong>an</strong>gt, euch sieben zu dürfen wie<strong>den</strong> Waizen; ich habe aber für dich gebeten,daß dein Glaube nicht w<strong>an</strong>ke.“ 629 Denn da ersich bewußt war, daß er alle Andern in derLiebe zu Christus <strong>über</strong>treffe, so hatte erdarum wahrscheinlich hohe Ged<strong>an</strong>ken,weßhalb auch sein Fall und <strong>die</strong> Verleugnungseines Meisters zugelassen wur<strong>den</strong>, umdeßwillen er so bitterlich weinte, und wassonst noch nach seinen Thränen geschah,vollbrachte. Denn wie hat er nicht gewirkt?In zahllose Gefahren stürzte er hernach sichselbst, und in Allem zeigte er seinen Muthund <strong>die</strong> Entschlossenheit seiner Seele. Bußethat auch Judas, aber <strong>die</strong>selbe war schlecht,<strong>den</strong>n er erhenkte sich. Buße that, wie ichbemerkte, auch Esau, oder vielmehr, er thatgar keine Buße; <strong>den</strong>n seine Thränen warennicht <strong>die</strong> Frucht der Sinnesänderung,sondern der Heftigkeit und des Ärgers. Dießbeweist <strong>die</strong> spätere That. Buße wirkte derselige David, der da spricht: „Ich wasche jedeNacht mein Bett, und benetze mit meinenThränen mein Lager,“ 630 und <strong>die</strong>längstgeschehene Sünde beweinte er nach sovielen Jahren, so vielen Geschlechtern, alswenn sie erst jüngst vollbracht wor<strong>den</strong> wäre;<strong>den</strong>n der Büßer muß frei sein von Zorn undÄrger und zerknirscht wie ein Verurteilter,<strong>über</strong> <strong>den</strong> der Richterspruch erg<strong>an</strong>gen, undwie einer, der fürder keine Zuversicht hatund aus purer Barmherzigkeit Rettungfin<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n, und der sich gegen seinenWohlthäter rücksichtslos und und<strong>an</strong>kbar628 Ps 126,1629 Lk 22, 31630 Ps 6,7


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>benommen, und nun geächtet und höchststrafwürdig dasteht. Wenn er solcheBetrachtungen <strong>an</strong>stellt, wird er nicht zornig,nicht unwillig sein, sondern er wird trauern,er wird weinen, er wird aufstöhnen und Tagund Nacht Thränen vergießen. Der Büßerdarf seine Sünde niemals der Vergessenheit<strong>an</strong>heimgeben, sondern er muß Gott <strong>an</strong>flehen,derselben nicht zu ge<strong>den</strong>ken, er selbst darf<strong>die</strong>selbe nicht vergessen; <strong>den</strong>n wennwir derselben einge<strong>den</strong>k bleiben, wird Gottsie vergessen. Über uns selbst also wollen wir<strong>die</strong> Strafe verhängen, wollen unsere eigenenAnkläger sein; auf <strong>die</strong>se Weise versöhnenwir <strong>den</strong> Richter; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Sünde, so m<strong>an</strong>bek<strong>an</strong>nt hat, wird geringer, <strong>die</strong> nichtbek<strong>an</strong>nte aber schlimmer. Kommt nämlichzur Sünde Schamlosigkeit und Verblendunghinzu, so wird sie niemals stille stehen; <strong>den</strong>nwie k<strong>an</strong>n sich Jem<strong>an</strong>d vor dem Rückfall in<strong>die</strong>selben Sün<strong>den</strong> hüten, der vorher nicht zurErkenntniß seiner Fehler gekommen ist?Wollen wir daher, ich bitte euch, unsereSün<strong>den</strong> nicht leugnen, noch schamloswer<strong>den</strong>, damit wir nicht auch wider Willender Strafe verfallen. Kain hörte von Gott:„Wo ist dein Bruder Abel?“ 631 und er<strong>an</strong>twortete: „ich weiß es nicht; bin <strong>den</strong>n ichder Hüter meines Bruders?“ Siehst du, wieDieß <strong>die</strong> Sünde erschwert hat? Aber seinVater machte es nicht so, sondern wie? Als er<strong>die</strong> Worte gehört hatte: „Adam, wo bist du?“sprach er: „Ich habe deine Stimme im Gartengehört und mich gefürchtet, weil ich nacktbin, und habe mich verborgen.“ 632 Ein großesGut ist es, seine Sün<strong>den</strong> zu erkennen, undderselben ohne Unterlaß zu ge<strong>den</strong>ken.Nichts heilt so das Vergehen, wie <strong>die</strong>unausgesetzte Erinnerung <strong>an</strong> dasselbe, undNichts macht <strong>den</strong> Menschen so säumig inBezug auf das Laster. Ich weiß, daß dasGewissen zurückbebt, und sich nicht geißelnlassen will durch <strong>die</strong> Erinnerung <strong>an</strong> <strong>die</strong>beg<strong>an</strong>genen Fehler; allein rasch erfasse <strong>die</strong>Seele und zäume sie! Denn wie ein trotzigesRoß widerstrebt sie, und will sich nichtdavon <strong>über</strong>zeugen, daß sie gesündiget hat:Das aber ist g<strong>an</strong>z sat<strong>an</strong>isch. Wir aber wollenihr <strong>die</strong> Überzeugung beibringen, daß sieSünde beg<strong>an</strong>gen, damit sie Buße wirke, undnach vollbrachter Buße von <strong>den</strong> Strafenbefreit werde. Denn, sage mir, wie k<strong>an</strong>nst duvermeinen, Verzeihung deiner Sün<strong>den</strong> zufin<strong>den</strong>, da du sie noch nicht bek<strong>an</strong>nt hast?Gewiß ist Jener (der seine Sün<strong>den</strong>bekennt) in seinem Sün<strong>den</strong>elend derErbarmung und Gnade würdig; wie aberk<strong>an</strong>nst du, der du es noch nicht zurSelbsterkenntniß deiner Sün<strong>den</strong> gebrachthast, auf Barmherzigkeit rechnen, da du beideinen Gebrechen eine solche Schamlosigkeit<strong>an</strong> <strong>den</strong> Tag legst? Überzeugen wir daher unsselbst, daß wir gesündiget haben; sprechenwir Dieß nicht bloß mit der Zunge, sondernauch im Geiste. Wir wollen uns selbst nichtallein Sünder heissen, sondern unsereVergehen auch <strong>über</strong><strong>den</strong>ken und ein jedesnach seiner Art aufzählen. Ich sage dir nicht,daß du dich öffentlich bloßstellen und vor<strong>den</strong> <strong>an</strong>dern Menschen <strong>an</strong>schuldigen sollst,sondern ich gebe dir <strong>den</strong> Rath, demPropheten zu folgen, der da spricht:„Offenbare dem Herrn deinen Weg!“ 633 VorGott lege <strong>die</strong>ses Bekenntniß ab, dem Richteroffenbare deine Sün<strong>den</strong>, wenn auch nicht mitder Zunge, so doch in deinen Ged<strong>an</strong>ken, undso vertraue, daß du Barmherzigkeit fin<strong>den</strong>werdest. Wenn du deine Sün<strong>den</strong> ohneUnterlaß im Gedächtnisse bewahrst, wirst duniemals gegen <strong>den</strong> Nächsten rachsüchtigsein. Das behaupte ich aber nicht, wenn dunur <strong>die</strong> Überzeugung hast 634 , daß du einSünder bist; <strong>den</strong>n Dieß ist nicht im St<strong>an</strong>de,<strong>die</strong> Seele auf solche Weise zu demüthigen,wie <strong>die</strong> für sich und nach ihrer Arterforschten Sün<strong>den</strong> selbst Das vermögen.631 Gen 4,9632 Gen 3,9.10222633 Ps 36,5634 nämlich nur im Allgemeinen


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Wenn du <strong>die</strong>se immer im An<strong>den</strong>ken behältst,wirst du keine Racheged<strong>an</strong>ken haben, wirstkeinen Zorn in deinem Herzen, keineSchmährede in deinem Munde, keinen Stolzin deinem Geiste dul<strong>den</strong>, und dich nichtwieder in <strong>die</strong>selben Fehler hineinstürzen,aber im Guten größern Eifer zeigen.IV.Siehst du, wie viele Vortheile aus derErinnerung <strong>an</strong> unsere Sün<strong>den</strong> entspringen?Wir wollen daher <strong>die</strong>selben in unsern Geistehineinschreiben. Ich weiß, daß unsere Seeleeine so bittere Erinnerung nicht lei<strong>den</strong> mag;allein wir wollen sie zwingen und ihrGewalt <strong>an</strong>thun. Es ist besser, daß sie jetztdurch Gewissensbisse, als nach <strong>die</strong>ser Zeitdurch Strafe gezüchtiget werde. Wenn dudich jetzt derselben erinnerst, und sie ohneUnterlaß vor Gott hinträgst und ihretwegenGebete verrichtest, d<strong>an</strong>n wirst du <strong>die</strong>selbengar bald vertilgen. Wenn du aber jetzt<strong>die</strong>selben vergäßest, so würdest du dichdereinst ihrer auch wider Willen erinnern,wenn sie vor dem g<strong>an</strong>zen Erdkreise und inGegenwart Aller, auch im Beisein deinerFreunde, und deiner Feinde und der Engelbek<strong>an</strong>nt gemacht wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n nicht alleinzu David sagte er: „Was du heimlich geth<strong>an</strong>hast, werde ich vor <strong>den</strong> Augen von g<strong>an</strong>zIsrael kund thun,“ 635 sondern auch uns gelten<strong>die</strong>se Worte. Du hast, will er sagen, <strong>die</strong>Menschen gefürchtet, und dich mehr vorihnen, als vor Gott geschämt. Daß Gott deinZeuge war, hat dir wenig Kummer gemacht,wohl aber hast du dich vor <strong>den</strong> Menschengescheut, <strong>den</strong>n „<strong>die</strong> Augen des Menschen,“heißt es, „sind ihre Furcht.“ Darum wirst duauch vor eben Diesen deine Strafeempf<strong>an</strong>gen, <strong>den</strong>n ich werde dich <strong>über</strong>führen,indem ich deine Sün<strong>den</strong> vor Aller Augen635 2 Kön 12,12223enthülle. Denn daß Dieses wahr ist, und daß<strong>an</strong> jenem Tage unser Aller Sün<strong>den</strong> offenbarwer<strong>den</strong>, wenn wir <strong>die</strong>selben nicht jetzt durchstetes Erinnern dar<strong>an</strong> tilgen, schließe daraus,daß <strong>die</strong> Grausamkeit und UnmenschlichkeitDerjenigen, <strong>die</strong> jetzt keine Barmherzigkeitgeübt haben, öffentlich kundgeth<strong>an</strong> wird:„Ich war hungerig,“ heißt es, „und ihr habtmich nicht gespeist.“ 636 W<strong>an</strong>n wird Diesesgesagt? Etwa in einem Winkel? An einemheimlichen Orte? Keineswegs, sondernw<strong>an</strong>n? W<strong>an</strong>n der Menschensohn in seinerHerrlichkeit gekommen und alle Völkerversammelt und <strong>die</strong>se und jene von ein<strong>an</strong>dergeschie<strong>den</strong> haben wird, wer<strong>den</strong> Alle, <strong>die</strong> zuseiner Rechten und zu seiner Linken stehen,<strong>die</strong> Worte vernehmen: „Ich binhungrig gewesen, und ihr habt mich nichtgespeist.“ Betrachte auch wieder jene fünfJungfrauen, welche im Beisein Aller hörenwer<strong>den</strong>: „Ich kenne euch nicht.“ Denn <strong>die</strong>Bezeichnung fünf und fünf deutet nichtsowohl <strong>die</strong> Fünfzahl, als vielmehr alle bösenund grausamen und unmenschlichenJungfrauen und solche <strong>an</strong>, <strong>die</strong> das Gegentheilsind. So hörte auch Der, welcher das eineTalent vergraben hatte, in Gegenwart Aller,auch Derer, welche fünf und welche zweigewonnen hatten, <strong>die</strong> Worte: „Du böser undfauler Knecht.“ 637 Nicht nur durch Worte,sondern auch durch Thaten wird er sie d<strong>an</strong>n<strong>über</strong>führen, wie auch der Ev<strong>an</strong>gelist sagt:„Sie wer<strong>den</strong> sehen, wen sie durchbohrthaben.“ 638 Denn Alle, <strong>die</strong> Sünder und <strong>die</strong>Gerechten, wer<strong>den</strong> zugleich auferstehen, undAllen zusammen wird er als Richtererscheinen. Betrachte nun das Loos Derer,welche in Niedergeschlagenheit undSchmerz dem Feuer <strong>über</strong>liefert wer<strong>den</strong>,während <strong>die</strong> Andern <strong>die</strong> Krone empf<strong>an</strong>gen:„Kommet,“ heißt es, „ihr Gesegneten meinesVaters, besitzet das Reich, welches seit636 Mt 25,42637 Mt 25,26638 Joh 19,37


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Grundlegung der Welt euch bereitet ist.“ 639Und wieder: „Weichet von mir, ihrVerfluchten, in das ewige Feuer, welchesdem Teufel und seinen Engeln bereitet ist.“ 640Wollen wir doch <strong>die</strong>se Worte nicht soobenhin <strong>an</strong>hören, sondern sie vor unsernAugen niederschreiben und uns vorstellen,als sei er selbst jetzt gegenwärtig und spreche<strong>die</strong>se Worte, und als wür<strong>den</strong> wir in jenesFeuer gestürzt. Wie wird uns da zu Muthesein? Welchen Trost wer<strong>den</strong> wir haben? Wiewird es uns sein, da wir in zwei Hälftengetheilt wer<strong>den</strong>? Wie auch, wenn uns <strong>die</strong>Anklage des Raubes trifft? WelcheEntschuldigung, welchen auch nurscheinbaren Grund wer<strong>den</strong> wir vorbringenkönnen? Keinen; sondern wir wer<strong>den</strong>gebun<strong>den</strong>, niedergebeugt zu jenemGlutofenschlunde, zu jenem Feuerstrome, in<strong>die</strong> Finsterniß, zu <strong>den</strong> ewigen Strafengeschleppt wer<strong>den</strong> müssen, und wir wer<strong>den</strong>Niem<strong>an</strong><strong>den</strong>, uns zu befreien, <strong>an</strong>flehenkönnen; <strong>den</strong>n es ist nicht möglich, heißt es,von hier dorthin zu gel<strong>an</strong>gen; 641 <strong>den</strong>nzwischen uns und euch befindet sich einegroßem Kluft, und auch Denen, <strong>die</strong>hin<strong>über</strong>gehen und <strong>die</strong> H<strong>an</strong>d darreichenwollen, ist es nicht vergönnt, sondern derBr<strong>an</strong>d dauert ewig und Niem<strong>an</strong>d leistetHilfe, weder Vater noch Mutter, noch werimmer, und hätte er auch große Zuversichtbei Gott; „<strong>den</strong>n ein Bruder,“ heißt es, „erlösetja nicht, oder wird ein Mensch erlösen?“ 642Da m<strong>an</strong> nun nach der Barmherzigkeit Gottes- auf Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> <strong>die</strong> Hoffnung des Heilssetzen k<strong>an</strong>n, als auf sich selbst: so wollen wir,ich bitte euch, Alles thun, damit unser Lebenrein und unser W<strong>an</strong>del vollkommen sei, undwollen von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> uns in Nichtsbeflecken. Haftet uns aber Schmutz <strong>an</strong>, sowollen wir, nachdem Dieß stattgefun<strong>den</strong>,639 Mt 25,34640 Mt 25,41641 Lk 16,26642 Ps 48,8224nicht schlafen, sondern ununterbrochenbeflissen sein, <strong>den</strong> Sün<strong>den</strong>unrath durchBuße, durch Thränen, durch Gebete, durchAlmosen wegzuwaschen. Wie aber, heißt es,wenn ich Nichts habe, um Almosen zuspen<strong>den</strong>? So arm du auch sein magst, sobesitzest du doch einen Trunk kaltenWassers; mag deine Armuth noch so großsein, du hast doch zwei kleine Geldstücke(Pfennige); 643 du hast zwei Füße, um <strong>die</strong>Kr<strong>an</strong>ken zu besuchen, um in’s Gefängniß zugehen; du hast ein Obdach, um Fremde zubeherbergen. Denn für Den, welcher keineBarmherzigkeit übt, gibt es durchaus keineVerzeihung. Diese Worte sprechen wirbeständig zu euch, um durch <strong>die</strong> oftmaligeWiederholung, wenn auch nur einigen Erfolgzu erzielen; wir sprechen sie nicht so sehr imInteresse Derer, welche Wohltaten erhalten, als vielmehr zu euerem Besten;<strong>den</strong>n Jenen gebet ihr zeitliche Sachen, ihrempf<strong>an</strong>get aber himmlische Güter, deren wiralle theilhaftig wer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong>Gnade und Menschenfreundlichkeit unseresHerrn Jesus Christus, dem mit dem Vaterund dem heiligen Geiste sei Ruhm, Macht,Ehre und Anbetung jetzt und alle Zeit undvon Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Zweiunddreissigste Homilie.I.18. - 24. Denn ihr seid nicht hingetreten zueinem Berge, <strong>den</strong> m<strong>an</strong> betasten k<strong>an</strong>n, zubrennendem Feuer, zu Wettergewölk, zuFinsterniß, zu Sturm, zu Posaunenschall, zuWortgetön, welches, <strong>die</strong> da hörten, sichverbaten, damit das Wort nicht weiter <strong>an</strong> siegerichtet würde: <strong>den</strong>n sie ertrugen nicht <strong>die</strong>Verordnung: „selbst wenn ein Thier <strong>den</strong>Berg berührt, so soll es gesteiniget wer<strong>den</strong>:“643 vgl. Mk 12,42


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>ja, so furchtbar war <strong>die</strong> Erscheinung, daßMoses sprach: „Ich bin erschreckt undzittere;“ sondern ihr seid hinzugetretenzum Berge Sion, zur Stadt des lebendigenGottes, zum himmlischen Jerusalem, zu derMenge vieler taufend Engel, zur Gemeindeder Erstgebornen, welche in <strong>den</strong> Himmelnaufgezeichnet sind, zu Gott, dem RichterAller, zu <strong>den</strong> Geistern der vollendetenGerechten, und zu Jesus, dem Mittler desneuen Bundes, und zu dem Bluteder Reinigung, welches besser redet, alsAbel.Bewunderungswürdig war dasAllerheiligste, das sich im Tempel bef<strong>an</strong>d;schauerlich war auch Das, was auf demBerge Sinai wahrgenommen wurde: DasFeuer, das Dunkel, <strong>die</strong> Finsterniß, der Sturm.„Denn es redete,“ heißt es, „der Herr aufdem Berge aus der Mitte des Feuers, und derWolke und der Dunkelheit.“ 644 Das NeueTestament wurde aber ohne Alles der Artverliehen; es wurde von Christus in einfacherRede gegeben. Betrachte, wie er, was dortgeschah, in Vergleich zieht und ihm mitRecht <strong>die</strong> letztere Stelle <strong>an</strong>weist. Dennnachdem er sie durch unzähligeBeweisgründe <strong>über</strong>zeugt, und <strong>den</strong>Unterschied zwischen bei<strong>den</strong> Testamentengezeigt hatte, und nachdem zuletzt jenesverworfen wor<strong>den</strong>, so greift er auch, wasdort stattgefun<strong>den</strong>, ohne Schwierigkeit <strong>an</strong>.Und was sagt er? Denn ihr seid nichthinzugetreten zu einem Berge, <strong>den</strong> m<strong>an</strong> betastenk<strong>an</strong>n, zu brennendem Feuer, zu Wettergewölk, zuFinsterniß, zu Sturm, zu Posaunenschall, zuWortgetön, welches, <strong>die</strong> da hörten, sich verbaten,damit das Wort nicht weiter <strong>an</strong> sie gerichtetwürde: <strong>den</strong>n sie ertrugen nicht <strong>die</strong> Verordnung:„Wenn auch nur ein Thier <strong>den</strong> Berg berührt, sosoll es gesteiniget wer<strong>den</strong>.“ Furchtbar, sagt er,sind <strong>die</strong>se Dinge, und so schauerlich, daß dasGehör Solches nicht ertragen k<strong>an</strong>n, und keinThier es wagt, hinaufzugehen. Aber <strong>an</strong>dererArt ist, was darauf folgte. Denn was ist derSinai im Vergleich mit dem Himmel? Was istbetastbares Feuer gegen <strong>den</strong> un<strong>an</strong>tastbarenGott? Denn unser Gott, heißt es, ist einverzehrend Feuer. Daß aber Dasjenige,was auf dem Berge geschah, entsetzlich war,erhellet aus Dem, was sie sagten: „Rede dumit uns; der Herr aber rede nicht mit uns, wirmöchten sonst sterben.“ 645 „Denn sie ertrugenes nicht,“ heißt es, „was befohlen ward: „Wennauch ein Thier <strong>den</strong> Berg berührt, so soll esgesteiniget wer<strong>den</strong>:“ ja, so furchtbar war <strong>die</strong>Erscheinung, daß Moses sprach: „Ich binerschreckt und zittere.“ Wie k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> sichdar<strong>über</strong> wundern, daß das Volk, wie erzähltwird, sich in solchem Zust<strong>an</strong>de bef<strong>an</strong>d, daauch er selbst, der da in <strong>die</strong> Dunkelheit, woGott sich bef<strong>an</strong>d, hineingeg<strong>an</strong>gen war, sagt:„Ich hin erschreckt und zittere?“ Sondern ihr seidhinzugetreten zum Berge Sion, zur Stadt deslebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem,zu der Menge vieler tausend Engel, zur Gemeindeder Erstgebornen, welche in <strong>den</strong> Himmelnaufgezeichnet sind, zu Gott, dem Richter Aller,zu <strong>den</strong> Geistern der vollendeten Gerechten, undzu Jesus, dem Mittler des Neuen Bundes, und zudem Blute der Reinigung, welches besser redet,als Abel.“ Siehst du, wie groß er <strong>den</strong>Unterschied zwischen dem Alten und NeuenTestament dargestellt hat? Statt des irdischenJerusalem wird das himmlische gegeben:„<strong>den</strong>n ihr seid hingetreten zur Stadt deslebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem“,und statt Moses ist hier Jesus: „und zu Jesus,“heißt es, „dem Mittler des Neuen Bundes; undstatt des Volkes alle Engel: zu der Menge vielertausend Engel, sagt er. Welche abernennt er Erstgeborne in <strong>den</strong> Worten: zurGemeinde der Erstgebornen? Alle Chöre derGläubigen. Er heißt sie aber auch Geister dervollendeten Gerechten. Seid daher nichtmißmuthig; <strong>den</strong>n mit Diesen werdet ihr644 Ex 19; Dtn 5,22225645 Ex 20,19


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>zusammen sein. Was besagen <strong>die</strong> Worte: undzu dem Blute der Reinigung, welches besser redetals Abel? Hat <strong>den</strong>n das Blut Abel’s geredet?Allerdings; wie aber, höre Paulus sagen:„Durch <strong>den</strong> Glauben brachte Abel Gott einbesseres Opfer als Kain dar, und erhieltdadurch das Zeugniß, gerecht zu sein, undmittelst desselben redet der Verstorbene jetztnoch.“ 646 Und wieder spricht Gott: „Das Blutdeines Bruders schreit zu mir von derErde.“ 647 Entweder sind nun <strong>die</strong>se Worte in<strong>die</strong>sem Sinne zu verstehen, oder in dem, daßer auch jetzt noch gerühmt wird. G<strong>an</strong>z<strong>an</strong>ders aber ist das Blut Christi; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>seshat Alle gereinigt, und entsendet eineglänzendere und ausgezeichnetere Stimmeund besitzt auch ein größeres Zeugniß, das inThaten begründet ist.25. - 29. Sehet zu, daß ihr <strong>den</strong> Re<strong>den</strong><strong>den</strong>nicht abweiset; <strong>den</strong>n wenn Jene nichtentkommen sind, welche Den abwiesen,der auf Er<strong>den</strong> sprach: wie viel weniger wir,wenn wir uns von Dem abwen<strong>den</strong>, der vomHimmel zu uns redet. Seine Stimmeerschütterte damals <strong>die</strong> Erde; jetzt aberlauten <strong>die</strong> Worte der Verheissung: Nocheinmal, und ich will nicht allein <strong>die</strong> Erde,sondern auch <strong>den</strong> Himmel erschüttern. Mit<strong>den</strong> Worten: noch einmal, zeigt er <strong>an</strong> <strong>die</strong>Umw<strong>an</strong>dlung des W<strong>an</strong>delbaren alsGeschaffenen, damit das Unw<strong>an</strong>delbarebleibe. Da wir nun ein unw<strong>an</strong>delbaresReich empf<strong>an</strong>gen, so lasset uns festhalten<strong>an</strong> der Gnade, durch <strong>die</strong> wir Gott <strong>die</strong>nenund ihm gefallen wollen mit Furcht undEhrerbietung, <strong>den</strong>n unser Gott ist einverzehrendes Feuer.Furchtbar war Jenes, aber vielbewunderungswürdiger und glänzender istDieses; <strong>den</strong>n hier ist weder Finsterniß, nochDunkelheit, noch Sturm, wie es dort der Fallwar, zu fin<strong>den</strong>. Und warum wurde Gottdamals im Feuer gesehen? Mir scheint erdurch jene Dinge <strong>die</strong> Dunkelheit des AltenTestamentes, sowie <strong>den</strong> Schatten und <strong>die</strong>Verhüllung des Gesetzes <strong>an</strong>zudeuten, d<strong>an</strong>naber auch noch zeigen zu wollen, daß derGesetzgeber furchtbar sein und <strong>die</strong>Übertreter züchtigen müsse.II.Was bedeutet aber der Posaunenschall? MitRecht wurde er vernommen, wie wenn einKönig <strong>an</strong>wesend wäre. Dasselbe wird auchbei der zweiten Erscheinung geschehen;<strong>den</strong>n „es wird <strong>die</strong> Posaune erschallen, undwir alle wer<strong>den</strong> auferstehen,“ 648 so daß durchGottes Macht <strong>die</strong> Auferstehung stattfin<strong>den</strong>wird. Der Posaunenschall aber soll nichtsAnderes als Dieses <strong>an</strong>zeigen, daß Alleauferstehen müssen. Aber damals waren jeneDinge, nämlich <strong>die</strong> Erscheinungen und <strong>die</strong>Stimmen wahrnehmbar; nachher aber warAlles geistig und unsichtbar. Der AusdruckFeuer besagt, daß Gott Feuer sei, <strong>den</strong>n unserGott, heißt es, ist ein verzehrendes Feuer. DieDunkelheit aber und <strong>die</strong> Finsterniß und derRauch ver<strong>an</strong>schaulichen wieder dasSchauerliche der Sache: So sagt auch Isaias:„Und das Haus wurde voll Rauch.“ 649Was bedeutet aber der Sturm? DasMenschengeschlecht lag in sinnlicheFahrlässigkeit versunken da; hiedurch mußtees wieder aufgerichtet wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n Keinerwar so faul, daß er nicht geistigemporgehoben wurde, als <strong>die</strong>se Ereignisseeintraten und <strong>die</strong> Gesetze gegeben wur<strong>den</strong>.Moses sprach, Gott aber <strong>an</strong>twortete mitvernehmbarer Stimme; <strong>den</strong>n Gottes Stimmemußte gehört wer<strong>den</strong>. Da er nämlich durchMoses das Gesetz geben wollte, mußte er ihnauch glaubwürdig machen. Sie sahen ihnnicht der Dunkelheit wegen, und hörten ihnnicht wegen seiner schwachen Stimme. Was646 Hebr 11, 4647 Gen 4,10226648 1 Kor 15,52649 Is 6,4


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>geschieht nun? Gott <strong>an</strong>twortet vernehmbar,indem er zum Volke spricht und dasselbe <strong>die</strong>Gesetze hören läßt. Jedoch schauen wir aufdas Gesagte zurück: „Denn ihr seid nichthingetreten zu einem Berge, <strong>den</strong> m<strong>an</strong> betastenk<strong>an</strong>n, zu brennendem Feuer, zu Wettergewölk, zuFinsterniß, zu Sturm, zu Posaunenschall, zuWortgetön, welches, <strong>die</strong> da hörten, sich verbaten,damit das Wort nicht weiter <strong>an</strong> sie gerichtetwürde.“ Sie selbst also waren <strong>die</strong> Ursache,daß Gott ihnen im Fleische erschien. Wassagten aber sie? Moses rede mit uns, heißt es,und nicht der Herr spreche zu uns. Diejenigen,welche Vergleiche <strong>an</strong>stellen, erheben Jenesgar sehr, um d<strong>an</strong>n zu zeigen, daß Diesesnoch viel größer sei. Ich aber halte auch Jenesfür bewunderungswürdig (<strong>den</strong>n GottesWerke fin<strong>den</strong> wir da und <strong>die</strong> Offenbarungseiner Macht); aber auch von <strong>die</strong>semGesichtspunkte aus weise ich nach, daßDasjenige, was wir haben, ausgezeichneterund bewunderungswürdiger ist. Denn inzweifacher Beziehung sind unsereBesitzthümer groß, da sie nämlich glänzendund vorzüglicher sind, und weil der Zug<strong>an</strong>gzu ihnen mehr geöffnet ist. Dasselbe sagt erauch in seinem <strong>Brief</strong>e <strong>an</strong> <strong>die</strong> Korinther: „Undwir alle schauen mit enthülltemAngesichte, wie in einem Spiegel, <strong>die</strong>Herrlichkeit des Herrn,“ 650 und nicht wieMoses, der sein Angesicht verhüllte. Jene,will er sagen, sind Dessen nicht gewürdigetwor<strong>den</strong>, was wir empf<strong>an</strong>gen haben. Dennwessen wur<strong>den</strong> sie gewürdiget? Sie sahen<strong>die</strong> Finsterniß, das Dunkel und hörten <strong>die</strong>Stimme. Aber auch du hast <strong>die</strong> Stimmegehört, jedoch nicht im Dunkel, sondern imFleische, und nicht in Furcht und Schrecken,sondern du st<strong>an</strong>dest da und sprachst mitdem Mittler. Sonst aber zeigt er auch, was <strong>an</strong>ihm nicht gesehen wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n, durch dasDunkel <strong>an</strong>: „Und Dunkel,“ heißt es, „warunter seinen Füßen.“ 651 Damals war auchMoses erschreckt, jetzt aber Niem<strong>an</strong>d;damals st<strong>an</strong>d das Volk unten, wir aberbefin<strong>den</strong> uns nicht unten, sondern höher alsder Himmel, wie Söhne in der Nähe Gottes,aber nicht wie Moses. Dort war <strong>die</strong> Wüste,hier <strong>die</strong> Stadt und <strong>die</strong> festliche Schaarunzähliger Engel. Hier zeigt er statt desDunkels und der Finsterniß und des SturmesFreude und Heiterkeit: „Zur Gemeinde derErstgebornen, welche in <strong>den</strong> Himmelnaufgezeichnet sind, zu Gott, dem Richter Aller.“Jene sind nicht hingekommen, sondernst<strong>an</strong><strong>den</strong> von ferne, auch Moses; ihr aber seidhingetreten. Hier flößt er ihnen Furcht eindurch <strong>die</strong> Worte: zu Gott, dem Richter Aller.Also nicht allein <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> und <strong>die</strong>Gläubigen, sondern auch <strong>über</strong> <strong>den</strong> g<strong>an</strong>zenErdkreis wird er als Richter dasitzen. Zu <strong>den</strong>Geistern der vollendeten Gerechten. So nennt er<strong>die</strong> Seelen der Frommen. Und zu Jesus, demMittler des Neuen Bundes, und zu dem Blute derReinigung, welches besser redet als Abel. Wennaber das Blut redet, so lebt noch vielmehrDerjenige, welcher geschlachtet wurde. Hörejedoch, was er spricht: „Und der Geistselbst,“ heißt es, „begehrt für uns mitunaussprechlichen Seufzern.“ 652 Wie sprichter? Wenn er in eine reine Seele kommt, sorichtet er <strong>die</strong>selbe auf und bewirkt, daß siespricht. Sehet zu, daß ihr <strong>den</strong> Re<strong>den</strong><strong>den</strong> nichtabweiset, d. i. widerstrebet ihm nicht. Dennwenn Jene nicht entkommen sind, welche Denabwiesen, der auf Er<strong>den</strong> sprach. Wen meint er<strong>den</strong>n? Nach meiner Ansicht <strong>den</strong> Moses. Ersagt aber Dieses: Wenn Diejenigen, welcheDen abwiesen, der auf Er<strong>den</strong> das Gesetz gab,nicht entkommen sind; wie wer<strong>den</strong> wir Denabweisen, welcher das Gesetz vom Himmelbringt? Hier sagt er nicht, daß Jener einAnderer sei; er spricht nicht von zweiverschie<strong>den</strong>en Personen, bewahre! sonderndaß er furchtbar erscheine, wenn er vomHimmel seine Stimme sendet; derselbe ist650 2 Kor 3, 18651 Ps 17,10227652 Röm 8,26


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Dieser und Jener, nur ist Dieser furchtbar. Ergibt keine Verschie<strong>den</strong>heit der Personen,sondern nur der Gesetzes<strong>über</strong>gabe <strong>an</strong>.Woraus erhellt Das? Aus <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong>Worten: Denn wenn Jene nicht entkommen sind,welche Den abwiesen, der auf Er<strong>den</strong> sprach; wieviel weniger wir, wenn wir uns von Demabwen<strong>den</strong>, der vom Himmel zu uns redet? Wieist es also? Ist nun Dieser von Jenemverschie<strong>den</strong>? Wie sagt er <strong>den</strong>n: Seine Stimmeerschütterte damals <strong>die</strong> Erde? Denn <strong>die</strong> StimmeDessen, welcher damals das Gesetz gab, hat<strong>die</strong> Erde erschüttert. Jetzt aber lauten <strong>die</strong>Worte der Verheissung: Noch einmal, und ichwill nicht allein <strong>die</strong> Erde, sondern auch <strong>den</strong>Himmel erschüttern. Durch <strong>die</strong> Worte: nocheinmal zeigt er <strong>die</strong> Umw<strong>an</strong>dlung desW<strong>an</strong>delbaren als Geschaffenen <strong>an</strong>. Es wird alsoAlles untergehen und von oben zum Bessernumgew<strong>an</strong>delt wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n Dasdeutet er in <strong>die</strong>sen Worten hier <strong>an</strong>. Wasbetrübst du dich nun, da du in einer Welt,<strong>die</strong> nicht bleibt, von Lei<strong>den</strong> getroffen wirst;Trübsale hast in einer Welt, welche kurznachher vor<strong>über</strong>gehen wird? Würde in einerspätern Zeit in der Welt Ruhe gefun<strong>den</strong>,d<strong>an</strong>n mußte sich allerdings Jener betrüben,welcher nach dem Ende schaut. Damit, heißtes, das Unw<strong>an</strong>delbare bleibe. Was ist dasUnw<strong>an</strong>delbare? Das Zukünftige.III.Dafür wollen wir also Alles thun, um Solcheszu erl<strong>an</strong>gen, um jener Güter theilhaftig zuwer<strong>den</strong>. Ja, ich bitte und flehe, für <strong>die</strong>senZweck wollen wir uns beeifern. Niem<strong>an</strong>dbaut in einer Stadt, welche demZusammensturze entgegengeht. Nun sagemir, ich bitte dich, wenn Jem<strong>an</strong>d dir <strong>die</strong>Mittheilung machte, daß <strong>die</strong>se Stadt binnenJahresfrist ein Schutthaufen sein, jene abernie und nimmer ein solches Loos habenwerde: würdest du nun in der ein Haus228aufführen, welche dem Unterg<strong>an</strong>ge geweihtist? Daher sage ich auch jetzt: schlagen wirnicht in <strong>die</strong>ser Welt eine Wohnstätte auf;<strong>den</strong>n sie wird gar bald zusammenstürzenund Alles geht zu Grunde. Was sage ich aber:sie wird zusammenstürzen? Noch vor<strong>die</strong>sem Sturze wer<strong>den</strong> wir unser Ende fin<strong>den</strong>und Bitteres empfin<strong>den</strong>, und aus Allemheraustreten. Warum bauen wir auf S<strong>an</strong>d?Auf <strong>den</strong> Felsen sollen wir bauen; <strong>den</strong>nwelche Angriffe auch immer da stattfin<strong>den</strong>mögen, - jenes Haus wird unzerstörbardastehen, und Nichts wird im St<strong>an</strong>de sein, eszu erstürmen, und jener Ort wird allenlistigen Angriffen unzugänglich bleiben, derhiesige aber steht allen Anfällen geöffnet da;<strong>den</strong>n auch Erdbeben und Feuersbrünste undAngriffe von Seite der Feinde rauben uns<strong>die</strong>ses (Haus) auch noch während unseresBebens, oft aber gehen wir mit demselben zuGrunde. Stände es aber auch fest, so rafft unsentweder eine Kr<strong>an</strong>kheit bald weg, oder läßt,falls wir am Leben bleiben, nicht zu, daß wirdavon einen wahren Genuß haben; <strong>den</strong>n wasist dort für ein Vergnügen, wo sichKr<strong>an</strong>kheiten, Ränke, Neid undNachstellungen fin<strong>den</strong>? Oder wenn unsNichts der Art belästigt, so sind wirbetrübt und unwillig, weil wir m<strong>an</strong>chmalkeine Kinder haben, <strong>den</strong>en wir unsereHäuser und alles Andere <strong>über</strong>geben können,und quälen unendlich, weil wir für Anderearbeiten. Oft aber geht unsere Erbschaft auchauf unsere Feinde <strong>über</strong>, und nicht allein nachunserm Tode, sondern auch zu unsernLebzeiten. Was ist nun schmerzlicher, als sichfür seine Feinde zu plagen, und, damit <strong>die</strong>sein behaglicher Ruhe leben, sich selbst Sün<strong>den</strong>aufzula<strong>den</strong>? Derartige Beispiele k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> in<strong>den</strong> Städten viele wahrnehmen; aber ichschweige, um Diejenigen, welche beraubtwor<strong>den</strong> sind, nicht zu betrüben, da ichM<strong>an</strong>che namentlich <strong>an</strong>führen und vieleMittheilungen machen und euch zahlreicheHäuser zeigen könnte, <strong>die</strong> Solche zu Herren


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>erhielten, welche Feinde Derer waren, <strong>die</strong>sich um <strong>die</strong>selben geplagt haben. Aber nichtallein <strong>die</strong> Häuser, sondern auch <strong>die</strong> Dienerund das g<strong>an</strong>ze Vermögen ist m<strong>an</strong>chmal auf<strong>die</strong> Feinde <strong>über</strong>geg<strong>an</strong>gen. Im Himmel aberist davon Nichts zu fürchten, daß nämlichdem Hingeschie<strong>den</strong>en ein Feind folgt unddas Erbe in Besitz nimmt; <strong>den</strong>n dort ist keinTod und keine Verfeindung; dort sind nur<strong>die</strong> Zelte der Heiligen; unter <strong>den</strong> Heiligenaber herrscht nur Frohlocken, Freude undFrohsinn, <strong>den</strong>n „m<strong>an</strong> singt“, heißt es, „mitJubel ... in <strong>den</strong> Hütten der Gerechten.“ 653Ewig sind sie, sie haben kein Ende; siestürzen im Verlaufe der Zeit nichtzusammen, und wechseln nicht ihre Besitzer,sondern sie stehen da im ewigen Neugl<strong>an</strong>z,und Das mit Recht; <strong>den</strong>n dort verfällt Nichtsder Abnutzung oder dem Unterg<strong>an</strong>ge,sondern dort ist Alles unsterblich undunverwüstlich. Für <strong>die</strong>ses Haus also wollenwir unsere Gelder verwen<strong>den</strong>: wir brauchenweder Meister noch Arbeiter; <strong>die</strong> Hände derArmen bauen solche Häuser; <strong>die</strong> Lahmen,<strong>die</strong> Blin<strong>den</strong>, <strong>die</strong> Verstümmelten bauen jeneWohnungen. Und wundere dich nicht, da sie uns ja auch das Himmelreichvermitteln und uns Zuversicht bei Gottgeben. Denn <strong>die</strong> Barmherzigkeit ist eineausgezeichnete Kunst, und eine BeschirmerinDerer, welche sie üben; <strong>den</strong>n sie ist bei Gottbeliebt und steht ihm nahe und ersteht leichtGnade, wofür sie will, falls nur dabei keinUnrecht geschieht; Unrecht aber geschieht,wenn wir sie vom Raube üben. Wenn sie alsorein ist, verleiht sie Denen, welche sieaufwärts sen<strong>den</strong>, große Zuversicht. So großist ihre Kraft, daß sie selbst für <strong>die</strong> Verirrtenund für <strong>die</strong> Sünder Bitten einlegt. Sie sprengt<strong>die</strong> Fessel, löst <strong>die</strong> Finsterniß, löscht dasFeuer, tödtet <strong>den</strong> Wurm, verb<strong>an</strong>nt dasZähneknirschen; ihr öffnen sich mit großerSicherheit <strong>die</strong> Himmelspforten. Und wie653 Ps 117,15229keiner der aufgestellten Thorwächter, wenn<strong>die</strong> Königin eintritt, es wagt, sie zu fragen,wer sie sei und woher sie komme, sondernAlle <strong>die</strong>selbe empf<strong>an</strong>gen; so verhalt es sichauch in Bezug auf <strong>die</strong> Barmherzigkeit. Dennsie ist in Wahrheit eine Königin, welche <strong>die</strong>Menschen Gott ähnlich macht, <strong>den</strong>n: „seidbarmherzig,“ heißt es, „wie euer himmlischerVater, barmherzig ist.“ 654 Sie ist schnell undleicht und hat gol<strong>den</strong>e Flügel und einen Flug,welcher <strong>die</strong> Engel gar sehr erfreut: „Ihrgleichet,“ heißt es, „Taubenflügeln, <strong>die</strong> mitSilber <strong>über</strong>zogen sind, deren hinterer Rückenin blaßgelbem Golde schimmert; 655 <strong>den</strong>n wieeine gol<strong>den</strong>e und lebendige Taube, derenAussehen s<strong>an</strong>ft, deren Auge mild ist, fliegtsie. Nichts ist schöner, als <strong>die</strong>ses Auge. Schönist auch der Pfau, aber im Vergleiche mitjener ist er eine Dole; so schön undbewunderungswürdig ist <strong>die</strong>ser Vogel.Unaufhörlich schaut er aufwärts und eingroßer göttlicher Ruhm umgibt ihn. EineJungfrau ist er mit gol<strong>den</strong>en Flügeln,wohlgeschmückt, mit glänzendem undmildem Antlitze; leicht und geschwind ist erund steht beim Throne des Königs.Wenn wir im Gerichte stehen, fliegt er raschherbei und erscheint, um uns vor der Strafezu schützen, indem er seine Flügel um unsbreitet. Diese (Barmherzigkeit) will Gottlieber als Opfer. Oft ist von ihr <strong>die</strong> Rede; soliebt Gott sie: „Die Wittwe und <strong>den</strong> Waisenund <strong>den</strong> Armen,“ heißt es, „nimmt er auf.“ 656Nach ihr will Gott gen<strong>an</strong>nt wer<strong>den</strong>: „DerHerr ist gnädig und barmherzig,“ sagtDavid, „l<strong>an</strong>gmüthig und von großerErbarmung und wahrhaft.“ 657 Und wiederein Anderer: „Die Barmherzigkeit Gotteserstreckt sich <strong>über</strong> <strong>die</strong> g<strong>an</strong>ze Erde.“ 658 Sie hatdas Menschengeschlecht gerettet; <strong>den</strong>n hättesich Gott unser nicht erbarmet. so wäre Alles654 Lk 6,36655 Ps 67,14656 Ps 145,9657 Ps 102,8658 vgl. Ps 56,11


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>zu Grunde geg<strong>an</strong>gen; sie hat uns, da wirFeinde waren, Versöhnung gebracht; sie hatunzähliges Gute gewirkt; sie hat <strong>den</strong> SohnGottes bewogen, sich selbst zu entäussernund Knecht zu wer<strong>den</strong>. Ihr wollen wirnachstreben, Geliebte; <strong>den</strong>n durch sie sindwir gerettet wor<strong>den</strong>; sie wollen wir lieben; siedem Reichthume vorziehen, und ohneReichthum wollen wir eine barmherzigeSeele haben. Nichts kennzeichnet so <strong>den</strong>Christen, wie <strong>die</strong> Barmherzigkeit; Nichtsauch findet solche Bewunderung, sowohl bei<strong>den</strong> Ungläubigen, als auch bei Allen, alswenn wir barmherzig sind. Denn oft habenauch wir <strong>die</strong>ses Erbarmen nothwendig, undje<strong>den</strong> Tag sprechen wir zu Gott: „Nachdeiner großen Barmherzigkeit erbarme dichunser.“ 659 Machen wir zuerst <strong>den</strong> Anf<strong>an</strong>g;oder vielmehr, wir beginnen nicht zuerst,<strong>den</strong>n er hat seine Barmherzigkeit gegen unsschon gezeigt. Aber, Geliebte, wollen wirwenigst seine Nachfolger sein. Denn wenn<strong>die</strong> Menschen mit einem Barmherzigen, undhätte er auch unzählige Sün<strong>den</strong> beg<strong>an</strong>gen,Erbarmen haben, um so viel mehr wird esGott haben. Höre, was der Prophet spricht:„Ich aber bin,“ heißt es, „wie ein fruchtbarerÖlbaum im Hause Gottes.“ 660 Wer<strong>den</strong> wir so, wie ein Ölbaum. Von allen Seitendrängen uns <strong>die</strong> Aufforderungen; <strong>den</strong>n esgenügt nicht, wie ein Ölbaum, sondern wieein fruchtbarer Ölbaum zu sein. Denn es gibtSolche, <strong>die</strong> barmherzig sind, aber weniggeben, entweder im g<strong>an</strong>zen Jahr einmal, oderin jeder Woche, oder wenn sie sich zufälligöffentlich zeigen. Diese sind zwar Ölbäume,aber nicht fruchtbare, sondern dürre. Dennweil sie zwar Erbarmen üben, sind sieÖlbäume; weil sie aber nicht freigebigspen<strong>den</strong>, sind sie keine fruchtbarenÖlbäume; wir aber wollen fruchtbarewer<strong>den</strong>. Und was ich schon oft gesagt habe,Das sage ich auch jetzt: Nicht nach demMaaße der Gabe wird <strong>die</strong> Größe derBarmherzigkeit berechnet, sondern nach demWillen des Gebers. Ihr kennet <strong>die</strong> Geschichtevon der Wittwe; <strong>den</strong>n es ist gut, <strong>die</strong>sesBeispiel immerfort <strong>an</strong>zuführen, damit derArme nicht <strong>an</strong> sich selbst verzweifle, da ersieht, wie Diese zwei kleine Geldstückehinlegt. Einige brachten auch Haare zumTempelbau, und <strong>die</strong>se wur<strong>den</strong> nichtverschmäht. Aber hatten Solche, <strong>die</strong> imBesitze von Gold waren, Haare gebracht, sowaren sie fluchwürdig gewesen; wie aberJene <strong>die</strong>se brachten, weil sie nichts Andereshatten, waren sie <strong>an</strong>genehm. Darum empfingauch Kain Vorwürfe, nicht weil er Geringesopferte, sondern weil er das Schlechteste vonDem, was er hatte, darbrachte: „Verfluchtsei,“ heißt es, „der (in seiner Herde) einMännlein hat und Gott ein M<strong>an</strong>gelhaftesdarbringt.“ 661 Er spricht nicht <strong>über</strong>haupt,sondern sagt: wer eines hat und es schont.Wenn daher Jem<strong>an</strong>d keines hat, ist er von derAnklage frei, oder vielmehr, er empfängtseinen Lohn. Denn was ist geringer, als zweikleine Geldstücke? Was unbedeutender, alsHaare? Was von minderm Werthe, als einkleines Maaß Waizenmehl? Und <strong>den</strong>nochwur<strong>den</strong> <strong>die</strong>se <strong>den</strong> Kälbern und dem Goldegleichgeschätzt: „Denn nach Dem, was Einerhat, nicht nach Dem, was er nicht hat, ist erwohlgefällig,“ 662 und: „Nach Dem, was deineH<strong>an</strong>d hat, tue Gutes!“ sagt er. Darum,ich bitte euch, wollen wir unser Vermögenfreudig unter <strong>die</strong> Armen vertheilen. Wenn esauch in Wenigem besteht, wir wer<strong>den</strong> <strong>den</strong>gleichen Lohn mit Denen erhalten, <strong>die</strong> mehrhingeben, ja <strong>die</strong> mehr als unzählige Talenteopfern. Thun wir Das, so erl<strong>an</strong>gen wir <strong>die</strong>unaussprechlichen Schätze Gottes, wenn wires nicht allein hören, sondern auchvollbringen; wenn wir es nicht allein loben,sondern auch durch Werke zeigen. Mögenwir alle <strong>die</strong>ser Schätze theilhaftig wer<strong>den</strong>659 Ps 24,7660 Ps 51,10230661 Mal 1,14662 2 Kor 8,12


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Dreiundreissigste Homilie.I.28. 29. Da wir nun ein unw<strong>an</strong>delbares Reichempf<strong>an</strong>gen, so lasset uns festhalten <strong>an</strong> derGnade, durch <strong>die</strong> wir Gott <strong>die</strong>nen und ihmgefallen wollen mit Furcht undEhrerbietung; <strong>den</strong>n unser Gott ist einverzehrendes Feuer.Wie er <strong>an</strong>derwärts zu unserm Troste in <strong>den</strong>Widerwärtigkeiten des gegenwärtigenLebens sagt: „Denn das Sichtbare ist seitlich,das Unsichtbare ist ewig,“ 663 so macht er esauch hier und spricht: Lasset uns festhalten <strong>an</strong>der Gnade, d. h. lasset uns Gott d<strong>an</strong>ken, lassetuns feststehen. Denn wir dürfen in <strong>den</strong>Begegnissen der Gegenwart nicht nur nichtverzagen, sondern wir sollen Gottauch wegen der Zukunft <strong>den</strong> größten D<strong>an</strong>kwissen: Durch <strong>die</strong> wir Gott <strong>die</strong>nen und ihmgefallen wollen, d. h. so <strong>die</strong>nt m<strong>an</strong> Gott aufeine wohlgefällige Weise, wenn m<strong>an</strong> ihm inAllem d<strong>an</strong>kt: „Thut Alles,“ heißt es, „ohneMurren und Be<strong>den</strong>klichkeit.“ 664 Denn wasJem<strong>an</strong>d mit Murren thut, thut er vergebens,und er verliert <strong>den</strong> Lohn, wie <strong>die</strong> Israeliten;<strong>den</strong>n ihr wisset, welche Strafe <strong>die</strong>se ihresMurrens wegen getroffen hat. Darum sagt er:Murret nicht! Das heißt also Gott nichtwohlgefällig <strong>die</strong>nen, wenn m<strong>an</strong> ihm nicht inAllem, sowohl in <strong>den</strong> Versuchungen, alsauch in der Ruhe D<strong>an</strong>k sagt. Mit Furcht undEhrerbietung, d. h. wir sollen weder etwasKeckes, noch etwas Unverschämtes sprechen,sondern wir sollen uns zusammennehmen,um geschämig zu sein; <strong>den</strong>n Das besagen <strong>die</strong>Worte: mit Furcht und Ehrerbietung.Kap. III.1. 2. Die Bruderliebe bleibe unter euch, und<strong>die</strong> Gastfreundschaft vergesset nicht; <strong>den</strong>ndurch <strong>die</strong>se haben Einige, ohne es zuwissen, Engel beherbergt.Betrachte, wie er ihnen befiehlt, dasBestehende zu bewahren, und nichtsAnderes beifügt; <strong>den</strong>n er sagt nicht:gewinnet, sondern bewahret <strong>die</strong> Bruderliebe.Und wiederum sagt er nicht: werdetgastfreundlich, als wenn sie es nicht waren,sondern: Die Gastfreundschaft vergesset nicht;<strong>den</strong>n Das k<strong>an</strong>n leicht durch <strong>die</strong> Trübsale geschehen. D<strong>an</strong>n fügt er Das bei,was geeignet war, sie noch mehr dafür zugewinnen, indem er spricht: Ohne es zuwissen, haben Einige Engel beherbergt. Siehstdu, wie hoch <strong>die</strong> Ehre, wie groß der Gewinnwar? Was heißt Das: ohne es zu wissen? Ohnesie zu kennen haben sie <strong>die</strong>selben beherbergt.Darum wurde auch dem Abraham so großerLohn zu Theil, weil er <strong>die</strong>selben, ohne sie alsEngel zu kennen, beherbergte; <strong>den</strong>n hätte ersie erk<strong>an</strong>nt, so wäre es nicht zu verwundern.Einige behaupten, daß er hier auch auf Lot<strong>an</strong>spiele.3. 4. 5. Ge<strong>den</strong>ket der Gef<strong>an</strong>genen wieMitgef<strong>an</strong>gene, und der Mühseligen wieselbst noch im Körper Befindliche. Ehrbarsei <strong>die</strong> Ehe in Allem und das Ehebettunbefleckt; <strong>den</strong>n <strong>die</strong> Unzüchtigen undEhebrecher wird Gott richten. Euer W<strong>an</strong>delsei ohne Geiz; seid zufrie<strong>den</strong> mit Dem, wasihr jetzt habet.Betrachte, wie sehr er sich in Betreff derEnthaltsamkeit ausspricht: „Nach Frie<strong>den</strong>,“sagt er, „strebet und nach Heiligung.“ 665Und: „Niem<strong>an</strong>d sei ein Unzüchtiger oderVerächter des Heiligen.“ 666 Und jetzt wieder:663 2 Kor 4,18664 Phil 2,14231665 Hebr 12,14666 Hebr 12,16


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Die Unzüchtigen und Ehebrecher wird Gottrichten. Überall steht aber nach dem Verbote<strong>die</strong> Strafe; wie aber, das wolle hierbetrachten: Den Worten: Strebet nach Frie<strong>den</strong>mit Allen und nach Heiligung, fügte er bei: ohnewelche Niem<strong>an</strong>d Gott schauen wird; hier aber:Denn <strong>die</strong> Unzüchtigen und Ehebrecher wird Gottrichten. Und nachdem er gesagt: Ehrbar sei <strong>die</strong>Ehe in Allem und das Ehebett unbefleckt, undwieder <strong>die</strong> Strafe beigefügt hatte, zeigt er,daß er das Folgende mit Recht hingesetzthabe. Denn wenn <strong>die</strong> Ehe erlaubt ist,wird der Unzüchtige mit Recht gestraft, wirdder Ehebrecher mit Recht gezüchtigt. Hierrüstet er sich gegen <strong>die</strong> Häretiker. Er sagtnicht wiederum: Keiner sei ein Unzüchtiger,sondern, nachdem er es einmal gesagt, stellter es wie eine allgemeine Mahnung hin, undnicht, als ob er zu ihnen spräche. Euer W<strong>an</strong>delsei ohne Geiz; seid zufrie<strong>den</strong> mit Dem, was ihrjetzt habet: Er sagt nicht: besitzet Nichts,sondern: euer W<strong>an</strong>del sei ohne Geiz, d. h. derSinn sei frei, der Verst<strong>an</strong>d bekunde Weisheit.Das wird aber der Fall sein, wenn wir keinenÜberfluß suchen, sondern nur dasNothwendige besitzen. Denn auch oben hater gesagt: und ihr ertruget mit Freu<strong>den</strong> <strong>den</strong>Raub euerer Güter. 667 Diese Worte ermunternsie, daß sie nicht geizig sein sollen: Seidzufrie<strong>den</strong> mit Dem, was ihr habet. Sod<strong>an</strong>n findetsich, damit sie nicht ermü<strong>den</strong>, auch hierTrost: Denn er selbst hat gesagt: Ich will dichnicht verlassen und nicht versäumen,6. So daß wir mit Vertrauen sagen können:der Herr ist mein Helfer, ich fürchte nicht,was ein Mensch mir thun k<strong>an</strong>n.Siehe wiederum Trost in <strong>den</strong> Versuchungen.7. Ge<strong>den</strong>ket euerer Vorsteher!Dieß wollte er schon oben sagen, weßhalb er<strong>die</strong> Worte: Strebet nach Frie<strong>den</strong> mit Allengebrauchte. Dazu hat er auch <strong>die</strong>Thessalonicenser 668 ermahnt, daß sie<strong>die</strong>selben in <strong>den</strong> höchsten Ehren halten667 Hebr 10,34668 1 Thess 5,13232sollten: Ge<strong>den</strong>ket, sagt er, euerer Vorsteher,welche euch das Wort Gottes verkündethaben; sehet auf <strong>den</strong> Ausg<strong>an</strong>g ihres W<strong>an</strong>dels undfolget ihrem Glauben nach. WelcheÜbereinstimmung findet sich hier? Die beste;<strong>den</strong>n er sagt: betrachtet ihren W<strong>an</strong>del, d. h.ihr Leben, und ahmet ihren Glauben nach,<strong>den</strong>n von einem reinen Leben kommt derGlaube. Oder er versteht unter Glauben <strong>die</strong>St<strong>an</strong>dhaftigkeit. Wie <strong>den</strong>n? Er zeigt nämlich,daß Diejenigen, welche <strong>an</strong> <strong>die</strong> zukünftigenDinge fest glauben, sich musterhaft betragen.Denn sie wür<strong>den</strong> keinen reinenLebensw<strong>an</strong>del führen, wenn sie in Bezug auf<strong>die</strong> zukünftigen Dinge Be<strong>den</strong>ken trügen,weßhalb er auch hier für Dasselbe sorgt.8. 9. Jesus Christus ist derselbe gestern undheute und in Ewigkeit. Lasset euch nichtverführen durch allerlei fremde Lehren;<strong>den</strong>n das Beste ist, das Herz mit der Gnadezu stärken, nicht durch Speisen, welcheDenen, <strong>die</strong> darauf hielten, Nichts nützten.II.Hier versteht er unter gestern <strong>die</strong> g<strong>an</strong>zeverg<strong>an</strong>gene Zeit, unter heute <strong>die</strong> Gegenwart,unter Ewigkeit eine Dauer, <strong>die</strong> keineGränzen und kein Ende hat. Was er abersagt, ist Dieses: Ihr habt einen Hohenpriestergehört, aber keinen, welcher aufhört, <strong>den</strong>n erist ewig. Vielleicht aber hat er, als wennEinige sagten: nicht der Christus, welcher amKreuze starb, ist der erwartete, sondern eswird ein <strong>an</strong>derer kommen, <strong>die</strong> Wortegebraucht: ist derselbe gestern und heute und inEwigkeit. Dadurch zeigt er <strong>an</strong>, daß derselbe,welcher gekommen ist, auch kommen wird,und daß eben <strong>die</strong>ser vorher war, und ist undin Ewigkeit sein wird. Da <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> auchjetzt sagen, daß ein <strong>an</strong>derer kommen werde,so wer<strong>den</strong> sie, <strong>die</strong> sich dessen, der da ist,beraubt haben, auf <strong>den</strong> Antichrist fallen:Durch allerlei fremde Lehren, sagt er, lasset euch


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nicht verführen. Er will, daß sie nichtdurch fremde, ja nicht einmal durch allerleiLehren hin und her getrieben wer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>ner weiß, daß <strong>die</strong> Betroffenen auf bei<strong>den</strong>Wegen zu Grunde gehen. Denn das Beste ist,das Herz mit der Gnade zu stärken, nicht durchSpeisen, welche Denen, <strong>die</strong> darauf hielten, Nichtsnützten. Hier spielt er leise auf Diejenigen <strong>an</strong>,welche <strong>die</strong> Beobachtung der Speiseneinführen; <strong>den</strong>n durch <strong>den</strong> Glauben ist Allesrein; also bedarf es des Glaubens, nicht derSpeisen.10. Wir haben einen Opferaltar, wovonDiejenigen nicht essen dürfen, <strong>die</strong> demZelte <strong>die</strong>nen.Nicht wie Das, was <strong>die</strong> Ju<strong>den</strong> haben, ist waswir besitzen, so daß nicht einmal demHohenpriester das Recht zusteht, dar<strong>an</strong> Theilzu nehmen. Nachdem er nun gesagt hatte:lasset <strong>die</strong> Beobachtung, und so <strong>die</strong> eigeneSache umzuwerfen schien, nimmt er wiedereine <strong>an</strong>dere Wendung; <strong>den</strong>n haben nichtauch wir, sagt er, <strong>die</strong> Beobachtung? Wohlhaben wir <strong>die</strong> Beobachtung, und zwar <strong>die</strong>sorgsamste, so daß wir nicht einmal <strong>den</strong>(jüdischen) Priestern Antheil gewähren.11. 12. Denn <strong>die</strong> Körper der Tiere, derenBlut für <strong>die</strong> Sünde durch <strong>den</strong>Hohenpriester in’s Heiligthum getragenwird, wer<strong>den</strong> außerhalb des Lagersverbr<strong>an</strong>nt. Darum hat auch Jesus, damit erdurch sein Blut das Volk heiligte, draussenvor dem Thore gelitten.Siehst du das glänzende Vorbild? Ausserhalbdes Lagers, sagt er, und ausserhalb des Thores.Weil nun Dasjenige, was der Sünde wegengeopfert wurde, ein Vorbild war undausserhalb des Lagers als Br<strong>an</strong>dopferdargebracht wurde; so litt entsprechend auchChristus, der ein Opfer für unsere Sün<strong>den</strong>gewor<strong>den</strong>, draussen vor dem Thore. Darummüssen auch wir Den, welcher unsertwegengelitten hat, nachahmen, und ausserhalb derWelt, oder vielmehr ausserhalb der Dinge233<strong>die</strong>ser Welt sein. Darum fügt er auch, Dieß<strong>an</strong>zudeuten, hinzu:13. Lasset uns nun hinausgehen zu ihmausserhalb des Lagers und seine Schmachtragen,d. h. lasset uns Dasselbe dul<strong>den</strong> und seineLei<strong>den</strong>sgenossen wer<strong>den</strong>. Wie einVerurtheilter wurde er draussen <strong>an</strong>’s Kreuzgeschlagen; darum wollen auch wir uns nichtschämen, uns ausserhalb der Welt zu stellen;<strong>den</strong>n Dieß hat er <strong>an</strong>gedeutet durch <strong>die</strong>Worte: ausserhalb des Lagers, draussen vor demThore.14. 15. Denn wir haben, sagt er, hier keinebleibende Stätte, sondern suchen <strong>die</strong>zukünftige. Durch ihn also lasset uns Gottallezeit darbringen das Opfer des Lobes,das ist <strong>die</strong> Frucht der Lippen, welche seinenNamen bekennen.Durch ihn, sagt er, wie durch einenHohenpriester, was <strong>die</strong> Menschheit <strong>an</strong>geht.Welche seinen Namen bekennen, als ob er sagte:wenn wir ihn bekennen müssen, wollen wirnichts Lästerliches, nichts Verwegenes, nichtsFreches, nichts Kühnes, nichts Anmaßendessprechen, sondern Alles mit Scham undEhrerbietung thun und re<strong>den</strong>. Dieß sagt ernicht ohne besondern Zweck, sondern weil erwußte, daß sie in Bedrängniß lebten. In <strong>den</strong>Trübsalen aber verliert <strong>die</strong> Seele <strong>die</strong>Hoffnung und Scham. Wir aber, sagt er,wollen Solches nicht thun. Siehe, er sprichthier wieder wie oben: „indem wir nichtverlassen unsere Versammlung.“ 669Auf <strong>die</strong>se Weise wer<strong>den</strong> wir Alles mit Schamvollbringen; <strong>den</strong>n oft unterlassen wir auchvieles Böse aus Furcht vor <strong>den</strong> Menschen.16. Aber wohlzuthun und mitzutheilenvergesset nicht.III.669 Hebr 10,25


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Dieß sagte damals Paulus; jetzt aber sage iches, und nicht allein zu <strong>den</strong> <strong>an</strong>wesen<strong>den</strong>Brüdern spreche ich <strong>die</strong>se Worte, sondernauch zu Denen, welche nicht zugegen sind.Niem<strong>an</strong>d hat euch euere Güter geraubt;wenn m<strong>an</strong> euch aber auch beraubt hat, soerweiset mit Dem, was euch noch gebliebenist, Gastfreundschaft. Denn welcheEntschuldigung wer<strong>den</strong> wir wohl haben, daDiese auch nach dem Raube ihrer Gütersolche Worte hören? Und siehe, hier sagt er:aber wohlzuthun vergesset nicht, da er obengesagt hatte: <strong>die</strong> Gastfreundschaft vergessetnicht; er will aber nicht Verschie<strong>den</strong>es<strong>an</strong>deuten, sondern hat nur für <strong>die</strong>selbe Sacheeine <strong>an</strong>dere Bezeichnung gebracht. Und ersagt nicht: <strong>die</strong> Gastaufnahme, sondern: <strong>die</strong>Gastfreundschaft vergesset nicht, d. h. nehmet<strong>die</strong> Frem<strong>den</strong> nicht bloß auf, sondern liebetsie auch. Und er spricht nicht von derzukünftigen und hinterlegten Vergeltung,um sie nicht wieder in Trägheit versinken zulassen, sondern von dem schon zugetheiltenLohne. Denn er fügt bei: <strong>den</strong>n durch <strong>die</strong>sehaben Einige, ohne es zu wissen, Engelbeherbergt. Allein wir wollen auf das obenGesagte zurückschauen. Ehrbar sei <strong>die</strong> Ehe inAllem, und das Ehebett unbefleckt. Wie ist <strong>die</strong>Ehe ehrbar? Weil sie <strong>den</strong> Gläubigen in derKeuschheit schirmt. Hier deutet er auch auf<strong>die</strong> Ju<strong>den</strong>, weil sie das Ehebett für verabscheuungswürdig hielten. Und wer,heißt es, vom Ehebette kommt, ist unrein. Odu unverständiger und thörichter Jude! Dasist nicht häßlich, was in Folge der natürlichenEinrichtung geschieht, sondern was aus demWillen stammt. Denn wenn <strong>die</strong> Eheehrenhaft und rein ist, warum glaubst dud<strong>an</strong>n durch sie befleckt zu wer<strong>den</strong>? EuerW<strong>an</strong>del, sagt er, sei ohne Geiz. Weil Viele,nachdem sie ihr Vermögen erschöpft haben,unter dem Vorw<strong>an</strong>de des Almosens dasselbewieder gewinnen wollen, deßhalb sagt er:euer W<strong>an</strong>del sei ohne Geiz, d. h. nur dasErforderliche und Nothwendige werde234gesucht. Wie ist es aber, wenn wir nichteinmal Dieses besitzen? Das geschieht nicht,nein, Das k<strong>an</strong>n nicht eintreten; <strong>den</strong>n er selbst,der nicht lügt, hat gesprochen: Ich will dichnicht verlassen und nicht versäumen, so daß wirmit Vertrauen sprechen: „Der Herr ist meinHelfer, ich will nicht fürchten, was mir auchthun mag ein Mensch,“ 670 - als wenn er sagte:Das Versprechen hast du von ihm, darumhabe weiter kein Be<strong>den</strong>ken; er selbst hat <strong>die</strong>Verheissung gegeben, zweifle also nicht. DieWorte aber: Ich will dich nicht verlassen,spricht er nicht nur in Bezug auf das Geld,sondern auch hinsichtlich alles Andern: DerHerr ist mein Helfer, ich will nicht fürchten wasmir auch thun mag ein Mensch. Und mit Rechthat er zur Besiegelung seines Wortes <strong>die</strong>seStelle des Propheten <strong>an</strong>geführt, um sieentschlossener zu machen und vorErmüdung zu bewahren. So wollen <strong>den</strong>nauch wir in allen Versuchungen sprechenund <strong>die</strong> menschlichen Dinge verlachen; <strong>den</strong>nso l<strong>an</strong>ge Gott uns geneigt ist, wird unsNiem<strong>an</strong>d <strong>über</strong>win<strong>den</strong>. Denn wie wir, wennJener unser Feind ist, und besaßen wir <strong>die</strong>Freundschaft Aller, keinen Nutzen davonhaben; so widerfährt uns auch, falls wir seine Freundschaft besitzen, undwür<strong>den</strong> auch Alle uns <strong>an</strong>fein<strong>den</strong>, keinScha<strong>den</strong>. Darum sagt er: „Ich will nichtfürchten, was mir auch thun mag einMensch. - „Ge<strong>den</strong>ket euerer Vorsteher,welche euch das Wort Gottes verkündethaben.“ 671 Auch hier, glaube ich, spricht erhinsichtlich der Hilfe; <strong>den</strong>n Das liegt in <strong>den</strong>Worten: welche euch das Wort Gottes verkündethaben; sehet auf <strong>den</strong> Ausg<strong>an</strong>g ihres W<strong>an</strong>dels undfolget ihrem Glauben nach. Was heißt Das:sehet? Verweilet stets dabei, erforschet beieuch selbst, erwäget, suchet sorgfältig, prüfetnach Gefallen. Schön sagt er: <strong>den</strong> Ausg<strong>an</strong>gihres W<strong>an</strong>dels, d.h. ihr Verhalten bis zum670 Ps 117,6671 Chrysostomus kommt hier auf V. 7-12 <strong>die</strong>ses Kapitels noch einmalzurück.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Ende, weil ihr Lebensw<strong>an</strong>del einen gutenAbschluß hatte. - Jesus Christus ist derselbegestern und heute und in Ewigkeit. Was er abersagt, ist Dieses: Glaubet ja nicht, daß erdamals Wunder gewirkt habe, jetzt aberkeine mehr wirke; <strong>den</strong>n er ist derselbegeblieben, und weil er derselbe ist, gibt esauch keine Zeit, wo er nicht Dasselbe wirkenk<strong>an</strong>n. Vielleicht hat er in Rücksicht auf Das<strong>die</strong> Worte gesprochen: Ge<strong>den</strong>ket euererVorsteher. Lasset euch nicht verführen durchallerlei fremde Lehren. Fremde Lehren, d. i.solche, <strong>die</strong> abweichen von jenen, welche ihrvon uns gehört habt; allerlei, m<strong>an</strong>nigfache;<strong>den</strong>n solche haben nichts Festes, sondernsind verschie<strong>den</strong>tlich, am meisten aber inBetreff des Unterschiedes der Speisen.Darum fügt er, Dieses berücksichtigend, bei:Denn das Beste ist, das Herz mit der Gnade zustärken, nicht durch Speisen. Diese sindverschie<strong>den</strong>, <strong>die</strong>se sind fremd. Hier greift ersie <strong>an</strong> hinsichtlich der genauen Beobachtungder Speisen; <strong>den</strong>n er zeigt, daß sie von <strong>die</strong>serauf einen <strong>an</strong>dern Unterricht verfallenund hievon auf allerlei fremde Lehrengekommen seien. Und siehe, er wagt es nicht,Dieß offen zu sagen, sondern er spricht sichfast räthselhaft aus. Denn in <strong>den</strong> Worten:Lasset euch nicht verführen durch allerlei fremdeLehren, und: <strong>den</strong>n das Beste ist, das Herz mit derGnade zu stärken, nicht durch Speisen - sprichter beiläufig Dasselbe aus, was Christus sagt:„Nicht was zum Munde eingeht,verunreinigt <strong>den</strong> Menschen, sondern waszum Munde ausgeht,“ 672 und er zeigt, daßdas G<strong>an</strong>ze der Glaube ist. Hat <strong>die</strong>ser unsFestigkeit verliehen, so befindet sich dasHerz in Sicherheit. Der Glaube gibt alsoGewißheit, <strong>die</strong> Verst<strong>an</strong>desberechnungen abermachen schw<strong>an</strong>kend, so daß also der Glaubedas Gegentheil von <strong>die</strong>sen ist. - Welche Denen,<strong>die</strong> darauf hielten, Nichts nützten. Sage mir,welchen Nutzen bringt <strong>die</strong> genaue672 Mt 15,11235Beobachtung? Schadet sie nicht vielmehr?Bringt sie einen solchen Menschen nichtunter <strong>die</strong> Sünde? Soll eine genaueBeobachtung stattfin<strong>den</strong>, so geschehe siedort, wo sie Nutzen verleiht. Die rechteBeobachtung besteht in der Entfernung desBösen, in der Geradheit des Herzens, in derLiebe zu Gott, im achten Glauben: WelcheDenen, <strong>die</strong> darauf hielten, sagt er, nicht nützten,d. i. <strong>die</strong> beständig dar<strong>über</strong> wachten. Es gibtnur eine Beobachtung, nämlich <strong>die</strong>Enthaltung von der Sünde. Denn was nütztes, sich von <strong>den</strong> Speisen zu enthalten, daEinige so verrucht sind, daß sie <strong>an</strong> <strong>den</strong>Opfern nicht theilnehmen können. So hat sieNichts gerettet, obgleich sie in derBeobachtung großen Eifer entwickelten,sondern weil sie keinen Glauben besaßen,hatten sie auch so keinen Nutzen. Darnachnimmt er das Opfer vom Vorbilde weg undführt <strong>die</strong> Rede auf das Urbild, indem er sagt:Denn <strong>die</strong> Körper der Thiere, deren Blut für <strong>die</strong>Sünde durch <strong>den</strong> Hohenpriester in’sHeiligthum getragen wird, wer<strong>den</strong> ausserhalb desLagers verbr<strong>an</strong>nt. Darum hat auch Jesus, damiter durch sein Blut das Volk heiligte, draussen vordem Thore gelitten. So war Jenes ein Vorbildvon Diesem, und so hat Christus Alles erfüllt,indem er draussen litt. Hier zeigt er auch,daß er freiwillig litt; <strong>den</strong>n er zeigt, daß Jenesnicht ohne Bedeutung, sondern ein Vorbildwar, und daß selbst <strong>die</strong> Erlösung nichtausserhalb des Lei<strong>den</strong>s stattf<strong>an</strong>d; aber dasBlut wurde in <strong>den</strong> Himmel getragen.IV.Du siehst also, daß wir theilhaftig wur<strong>den</strong>des Blutes, das in’s Heiligthum, ja in’s wahreHeiligthum getragen wurde; theilhaftig desOpfers, wovon nur der Hohenpriester genoß.Wir sind also Theilhaber <strong>an</strong> der Wahrheit.Wenn wir daher nicht <strong>an</strong> der Schmach,sondern <strong>an</strong> der Heiligung Antheil nehmen,


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>so ist <strong>die</strong> Schmach <strong>die</strong> Ursache derHeiligung; <strong>den</strong>n wie er, so haben auch wirSchmach erduldet. Wenn wir alsohinausgeg<strong>an</strong>gen sein wer<strong>den</strong>, sind wir seineGenossen. Was besagen also <strong>die</strong> Worte: Lassetuns hinausgehen zu ihm? Seien wirTheilnehmer <strong>an</strong> seinen Lei<strong>den</strong>, tragen wirseine Schmach; <strong>den</strong>n nicht ohne Grund hat erausserhalb des Thores gelitten, sondern damitauch wir sein Kreuz nehmen, und ausserhalbder Welt verweilen und daselbst zuverbleiben uns beeifern sollen. Wie also Jenerwie ein Verurtheilter Schmach erfuhr, soauch wir. - Durch ihn lasset uns Gott das Opferdarbringen. Welches Opfer meint er? Er selbsthat <strong>die</strong> Erklärung in <strong>den</strong> Worten gegeben:Die Frucht der Lippen, welche seinen Namenbekennen, d.h. Bitten, Lobgesänge,D<strong>an</strong>ksagung; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>se sind <strong>die</strong> Frucht derLippen. Jene opferten Schafe, Kälber undgaben sie dem Priester; wir aber wollenNichts von Diesem, sondern D<strong>an</strong>ksagungzum Opfer bringen, und in Allem, soweit esgeschehen k<strong>an</strong>n, <strong>die</strong> Nachahmung Christi;Dieß sollen unsere Lippen hervorbringen. -Aber wohlzuthun und mitzutheilenvergesset nicht; <strong>den</strong>n solche Opfer gefallen Gott.Übergeben wir ihm, sagt er, ein solchesOpfer, damit er es vor <strong>den</strong> Vater bringe; <strong>den</strong>n<strong>an</strong>ders wird es nicht dargebracht, als nurdurch <strong>den</strong> Sohn, oder vielmehr durch einzerknirschtes Herz. Dieß alles aber hat erwegen der Schwäche der Zuhörer auf <strong>die</strong>seWeise ausgesprochen, indem es offenbar <strong>die</strong>Gnade des Sohnes ist; <strong>den</strong>n wo wäre sonst<strong>die</strong> gleiche Ehre? „Damit Alle“, heißt es, „<strong>den</strong>Sohn ehren, wie sie <strong>den</strong> Vater ehren.“ 673Wenn, da der Vater Ehre empfängt, der Sohnnicht mitgeehrt wird, wo ist da <strong>die</strong> gleicheEhre? Da nun <strong>die</strong> Frucht der Lippen, welcheseinen Namen bekennen, darin besteht, daßwir ihm für Alles, auch für Das, was er füruns gelitten hat, D<strong>an</strong>k wissen; - so wollen wir673 Joh 5,23236Alles, sei es nun Armuth, Kr<strong>an</strong>kheit oder wasimmer, mit freudigem Gemüthe ertragen;<strong>den</strong>n er weiß allein, was uns zuträglich ist:„Um was wir beten sollen,“ heißt es, „wiesich’s gebührt, wissen wir nicht.“ 674 Wennwir nun nicht einmal wissen, um was wirbeten sollen, falls wir nicht <strong>den</strong> heiligen Geistempf<strong>an</strong>gen haben: wie sollten wir nunerkennen, was uns wahrhaft frommt?Bemühen wir uns daher, für Alles D<strong>an</strong>kdarzubringen, und wir wer<strong>den</strong> mit muthigerEntschlossenheit Alles, was uns zustößt,ertragen. Seien wir nun in Armuth, seien wirin Kr<strong>an</strong>kheit, wir wer<strong>den</strong> d<strong>an</strong>ksagen; mögenwir verleumdet wer<strong>den</strong>, wir wer<strong>den</strong>d<strong>an</strong>ksagen; mögen wir Lei<strong>den</strong> erdul<strong>den</strong>, wirwer<strong>den</strong> d<strong>an</strong>ksagen; <strong>den</strong>n Das bringt uns Gottnahe, und wir haben alsd<strong>an</strong>n Gott zumSchuldner. Wenn wir aber im Glücke leben,d<strong>an</strong>n sind wir Gottes Schuldner und ihmverpflichtet, und oft gereicht uns Dieß zumGerichte, Jenes aber zur Tilgung unsererSün<strong>den</strong>. Jenes erwirkt uns Barmherzigkeitund Schonung, Dieses aber flößt kühnenStolz ein, führt zu sinnlicherErschlaffung und erzeugt hochfahrendeGed<strong>an</strong>ken in Betreff der eigenen Person, undschwächt unsere Kraft. Darum sagt auch derProphet: „Gut ist es mir, daß ich gedemüthigtwurde, damit ich lerne deine Satzungen.“ 675Da Ezechias Glück genoß und von seinenÜbeln befreit wor<strong>den</strong> war, da erhob sich seinHerz stolz in <strong>die</strong> Höhe; als ihn aber eineKr<strong>an</strong>kheit befiel, gew<strong>an</strong>n er Demuth undnäherte sich Gott. „Wenn er,“ heißt es, „<strong>den</strong>Tod unter sie schickte, so suchten sie ihn undkehrten um, und kamen frühzeitig zuihm.“ 676 Und wieder: „Aber der Lieblingward fett und schlug aus, er verließ Gott,seinen Schöpfer;“ 677 <strong>den</strong>n der Herr wird imGerichte erk<strong>an</strong>nt. Ein großes Gut ist <strong>die</strong>674 Röm 8,26675 Ps 118,71676 Ps 77,34677 Dtn 32,15


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Trübsal. Eng ist der Weg; <strong>die</strong> Trübsal drängtuns auf demselben vor<strong>an</strong>, so daß, wer nichtheimgesucht wird, auf demselben nichtw<strong>an</strong>deln k<strong>an</strong>n. Denn wer auf dem schmalenWege sich selbst Beschwerde bereitet, der istes auch, welcher Ruhe genießt; wer sich aberin behaglicher Ruhe gefällt, wird nichtdahingel<strong>an</strong>gen, und von der Trübsal so zusagen eingekeilt. Höre, wie Paulus <strong>die</strong>senschmalen Weg betreten hat: „Ich züchtigemeinen Leib,“ sagt er, „und bringe ihn in <strong>die</strong>Dienstbarkeit.“ 678 Er züchtigte seinen Leib,um auf demselben (Wege) w<strong>an</strong>deln zukönnen; darum brachte er auch in allenTrübsalen Gott unaufhörlich seineD<strong>an</strong>ksagung dar. Hast du Geldverlustgehabt? Das verschaffte dir eine großeErleichterung. Hast du deinen Ruhmverloren? Das ist eine zweite Erleichterung.Bist du verleumdet wor<strong>den</strong>? F<strong>an</strong>d DasGlauben, was m<strong>an</strong> gegen dich aussagte, underk<strong>an</strong>ntest du dich dessen für unschuldig?Freue dich und frohlocke; „<strong>den</strong>n selig,“ heißtes, „seid ihr, wenn euch <strong>die</strong> Menschenschmähen und verfolgen, und alles Böse mitUnwahrheit wider euch re<strong>den</strong> ummeinetwillen. Freuet euch und frohlocket,<strong>den</strong>n euer Lohn ist groß im Himmel.“ 679 Was wunderst du dich, wenn duBetrübniß hast, und von <strong>den</strong> Versuchungenbefreit wer<strong>den</strong> willst? Paulus wollte davonerlöst wer<strong>den</strong> und rief oft zum Herrn, aber erf<strong>an</strong>d keine Erhörung; das Wörtchen dreimalbedeutet so viel wie oft: „Um deßwillen,“sagt er, „habe ich dreimal <strong>den</strong> Herrn gebeten,daß er von mir weiche. Er aber sprach zumir: es genügt dir meine Gnade; <strong>den</strong>n <strong>die</strong>Kraft wird in der Schwachheitvollkommen.“ 680 Schwachheit nennt er hier<strong>die</strong> Trübsale. Was geschah nun? Nachdem er<strong>die</strong>se Worte gehört, ertrug er Alles mitd<strong>an</strong>kbarem Gemüthe, und spricht: „Darumhabe ich Wohlgefallen <strong>an</strong> meinenSchwachheiten“ 681 , d. h. ich habe Gefallen <strong>an</strong><strong>den</strong> Trübsalen und ruhe darin aus. Für Alleswollen wir also D<strong>an</strong>k sagen, sowohl für Ruheals für Bedrängniß; wir wollen nicht murren,wollen nicht und<strong>an</strong>kbar sein. Sprich auch du:„Nackt bin ich aus dem Schooße meinerMutter gekommen, nackt werde ich auchwieder hinschei<strong>den</strong>.“ 682 Du bist nicht imRuhme von dorther gekommen, suche auchkeinen Ruhm. Nackt, nicht nur in Bezug aufReichthümer, sondern auch in Bezug aufEhre und Ruhm bist du in <strong>die</strong>ses Lebeneingetreten. Erwäge, wie vieler Übel Quelleoft Reichthümer waren, oder vielmehr, wasChristus spricht: „Es ist leichter,“ sagt er,„daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe,als daß ein Reicher in das Himmelreicheingehe.“ 683 Siehst du, wie vieler GüterHinderniß der Reichthum ist; und du willstreich wer<strong>den</strong>? und du freust dich nicht, daßdu in Armuth lebst und das Hemmnißvernichtet ist? So schmal ist der Weg, derzum Himmelreich führt, und so breit derReichthum und so voll Schwulst und Dunst!Darum heißt es auch: „Verkaufe, was duhast“ 684 , damit jener Weg dich aufnehme.Warum hast du Verl<strong>an</strong>gen nach Geld?Darum hat dir Gott dasselbe entzogen, umdich von der Knechtschaft zu befreien, wie jaauch <strong>die</strong> rechtmäßigen Väter, wennihr Sohn von irgend einer Buhlerin verführtwor<strong>den</strong> ist und sie durch wiederholteMahnungen <strong>den</strong>selben nicht bestimmenkönnen, von ihr abzulassen, <strong>die</strong> Buhlerin<strong>über</strong> <strong>die</strong> Gränze schaffen. So verhält es sichauch mit dem Überflusse <strong>an</strong> Reichthümern.Indem also der Herr für uns Sorge trägt, unduns von dem Scha<strong>den</strong>, der von dorther unsdroht, befreien will, entzieht er uns <strong>die</strong>Glücksgüter. Wähnen wir daher nicht, daß678 1 Kor 9,27679 Mt 5,11.12680 2 Kor 12,8.9237681 2 Kor 12 10 ,682 Job 1,21683 Mt 19,24684 Mt 19,21


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong><strong>die</strong> Armuth ein Übel sei; <strong>die</strong> Sünde allein istein Übel; <strong>den</strong>n der Reichthum ist <strong>an</strong> sich keinGut; ein solches ist nur das WohlgefallenGottes. Die Armuth wollen wir deßhalbsuchen, ihr wollen wir nachstreben. Auf<strong>die</strong>se Weise wer<strong>den</strong> wir <strong>den</strong> Himmelerl<strong>an</strong>gen und in <strong>den</strong> Besitz der himmlischenGüter kommen, deren wir alle theilhaftigwer<strong>den</strong> mögen durch <strong>die</strong> Gnade undMenschenfreundlichkeit unseres Herrn JesusChristus, welchem mit dem Vater und demheiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehrejetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen. Vierunddreissigste Homilie.I.17. Gehorchet eueren Vorstehern und seidihnen unterth<strong>an</strong>; <strong>den</strong>n sie wachen für euereSeelen als Solche, <strong>die</strong> Rechenschaft gebenwer<strong>den</strong>, damit sie Dieß mit Freude thunund nicht mit Seufzen; <strong>den</strong>n Das würdeeuch keinen Nutzen bringen.Zwar <strong>über</strong>all ist der M<strong>an</strong>gel eines Vorst<strong>an</strong>desein Übel und <strong>die</strong> Quelle vieler Mißstände,und der Anf<strong>an</strong>g der Unordnung undVerwirrung, g<strong>an</strong>z besonders aber ist <strong>die</strong>serZust<strong>an</strong>d in der Kirche um so gefährlicher, alsihre Herrschaft eine größere und erhabenereBedeutung hat. Denn gleichwie der Chor,wenn du ihn seines Führers beraubst, sichnicht mehr im Tonschritt und in Ordnungbefin<strong>den</strong> und <strong>die</strong> Truppen, wenn du demKriegsheere <strong>den</strong> Feldherrn entziehst, nicht inReih’ und Glied verbleiben; und wenn dudem Schiffe <strong>den</strong> Steuerm<strong>an</strong>n wegnimmst,das Fahrzeug zum Versinken bringst: so<strong>über</strong>lieferst du auch, wenn du <strong>die</strong> Herdehirtenlos machst, Alles der Unordnung unddem Verderben. Ein Übel ist nun zwar derM<strong>an</strong>gel eines Vorst<strong>an</strong>des und <strong>die</strong>238Grundlage der Verwirrung; ein nichtgeringeres Übel ist aber auch derUngehorsam der Untergebenen; <strong>den</strong>n da trittnun wieder Dasselbe ein. Denn ein Volk,welches seinem Vorsteher nicht gehorcht, istdem ähnlich, das keinen hat, vielleicht nochschlimmer; <strong>den</strong>n letzteres k<strong>an</strong>n nochVerzeihung seiner Unordnung fin<strong>den</strong>, jenesaber nicht, sondern es empfängt Strafe. Abervielleicht wendet da Jem<strong>an</strong>d ein, es gebenoch ein drittes Übel, wenn nämlich derVorsteher böse ist. Auch ich weiß es, daßDieß kein geringes Übel, sondern noch vielschlimmer ist, als wenn gar kein Vorsteherda wäre; <strong>den</strong>n es ist besser von keinem, alsvon einem solchen, der böse ist, geführt zuwer<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n wer ohne Führer geht, bleibtzuweilen unversehrt, m<strong>an</strong>chmal kommt aucher in Gefahr; wer aber einem bösen Führerfolgt, läuft g<strong>an</strong>z und gar Gefahr, <strong>den</strong>n er gehtdem Verderben entgegen. Wie sagt nunPaulus: Gehorchet eueren Vorstehern und seidihnen unterth<strong>an</strong>? Nachdem er obengesprochen: Sehet auf <strong>den</strong> Ausg<strong>an</strong>g ihresW<strong>an</strong>dels und folget ihrem Glauben nach, sagt ernun: Gehorchet eueren Vorstehern und seid ihnenunterth<strong>an</strong>. Wie verhält es sich nun? Sollen wirihm keinen Gehorsam leisten, wenn er böseist? In welchem Sinne nennst du ihn böse?Wenn du ihn des Glaubens wegen alsoheissest, so fliehe ihn und weiche zurück,nicht nur wenn er ein Mensch ist, sondernauch, wenn er ein Engel vom Himmel wäre;wenn du ihn aber seines W<strong>an</strong>dels wegen alsonennest, so kümmere dich nicht um fremdeAngelegenheiten. Und <strong>die</strong>se Vorschrift gebeich nicht aus mir, sondern aus der heiligenSchrift; <strong>den</strong>n höre, was Christus sagt: „Aufdem Stuhle des Moses sitzen <strong>die</strong>Schriftgelehrten und Pharisäer.“ 685 Nachdemer vorher m<strong>an</strong>ches gar Schlimme inBetreff ihrer gesprochen, sagt er: Auf demStuhle des Moses sitzen <strong>die</strong> Schriftgelehrten und685 Mt 23,2.3


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Pharisäer. Darum haltet und thut Alles, was sieeuch sagen; nach ihren Werken aber sollet ihrnicht thun. Sie haben, will er sagen, <strong>die</strong>Würde, aber ihr W<strong>an</strong>del ist lasterhaft. Alleinnicht auf ihren Lebensw<strong>an</strong>del, sondern aufihre Worte gebet Acht; <strong>den</strong>n ihrer Sittenwegen k<strong>an</strong>n wohl Niem<strong>an</strong>d Scha<strong>den</strong> lei<strong>den</strong>.Warum? Weil <strong>die</strong>se Allen bek<strong>an</strong>nt sind, undKeiner, wenn er auch noch so lasterhaft wäre,jemals das Böse lehren wird. Bezüglich desGlaubens aber ist <strong>die</strong> Sache nicht Allen soklar, und wird der Böse ohne Scheu (seineIrrthümer) lehren. Sind ja auch <strong>die</strong> Worte:„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtetwerdet,“ 686 nicht in Betreff des Glaubens,sondern des W<strong>an</strong>dels gesprochen, was ausdem Folgen<strong>den</strong> ersichtlich ist: „Was siehst duaber <strong>den</strong> Splitter in dem Auge deinesBruders, und <strong>den</strong> Balken in deinem Augesiehst du nicht?“ 687 Darum haltet und thutAlles, was sie euch sagen, (das Thun aberbezieht sich auf <strong>die</strong> Werke, nicht auf <strong>den</strong>Glauben), nach ihren Werken aber sollet ihrnicht thun. Siehst du, daß nicht von <strong>den</strong>Glaubenslehren <strong>die</strong> Rede ist, sondern vomW<strong>an</strong>del und <strong>den</strong> Werken? Aber Paulus hatsie zuerst unterrichtet, und d<strong>an</strong>n sagt er:Gehorchet eueren Vorstehern und seid ihnenunterth<strong>an</strong>; <strong>den</strong>n sie wachen für euere Seelen alsSolche, <strong>die</strong> Rechenschaft geben wer<strong>den</strong>. Abernicht allein <strong>die</strong> Untergebenen, sondern auch<strong>die</strong> Vorsteher sollen es hören, daß, sowie <strong>die</strong>Untergebenen gehorchen müssen, so derVorsteher <strong>die</strong> Pflicht der Wachsamkeit undder Nüchternheit habe. Was sagst du?Erwacht; sein eigen Haupt steht in Gefahr; erverfällt der Strafe wegen deinerSün<strong>den</strong>; durch dich schmachtet er in sogroßer Furcht, - und du willst nachlässig,eigensinnig, dummstolz und ungehorsamsein? Darum setzt er <strong>die</strong> Worte bei: damit sieDieß mit Freude thun und nicht mit Seufzen;<strong>den</strong>n Das würde euch keinen Nutzen bringen.Siehst du, daß der Obere, der verachtet wird,sich nicht zu rächen braucht. sondern daß <strong>die</strong>größte Rache im Weinen und Seufzen liegt?Und natürlich; <strong>den</strong>n auch der Arzt, welchervom Kr<strong>an</strong>ken verächtlich beh<strong>an</strong>delt wird,soll sich nicht rächen, sondern weinen undaufseufzen; so daß, wenn der Obere seufzt,sich Gott <strong>an</strong> dir rächt. Denn wenn wir durchSeufzen <strong>über</strong> unsere Sün<strong>den</strong> Gott für unsgewinnen, wird Dieß nicht noch mehr derFall sein, wenn wir <strong>über</strong> <strong>die</strong> Verwegenheitund Verachtung Anderer seufzen? Siehst du,daß Gott ihn nicht kühn auftreten läßt? Siehstdu, welch’ tiefe Weisheit Das ist? Seufzenmuß, wer verachtet, wer mit Füßen getreten,wer <strong>an</strong>gespuckt wird. Hege ja keine dreisteZuversicht, daß er sich <strong>an</strong> dir nicht räche;<strong>den</strong>n das Seufzen ist schlimmer als jeglicheRache. Denn wenn sein Seufzen Nichtsausrichtet, so ruft er <strong>den</strong> Herrn. Und wie beider Widerspenstigkeit eines Knaben, der aufseinen Lehrer und Erzieher nicht hört,Jem<strong>an</strong>d gerufen wird, welcher schärfer aufihn losgeht, - so verhält es sich auch hier. Ha,welche Gefahr! Was soll m<strong>an</strong> wohl zu <strong>den</strong>Elen<strong>den</strong> sagen, welche sich selbst in einensolchen Abgrund von Strafen stürzen? ÜberAlle, sowohl Weiber als Männer und Kinder,deren Oberer du bist, mußt du Rechenschaftgeben. Einem solchen Feuer unterlegst dudein Haupt. Es wundert mich, wenn nochirgend ein Vorsteher 688 gerettet wer<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n,da ich bei einer solchen Drohung und dergegenwärtigen Verkommenheit dochnoch M<strong>an</strong>che herbeilaufen und sich selbst ineine solche Wucht der Verwaltunghineinstürzen sehe. Denn wenn Diejenigen,welche dem Zw<strong>an</strong>ge nachgaben, keineEntschuldigung und keine Verzeihungfin<strong>den</strong>, falls sie ihr Amt schlecht verwaltenund nachlässig sind, - wie ja auch Aaron sichder Nöthigung fügte und in Gefahr kam, undMoses wieder Gefahr lief, obgleich er <strong>den</strong>686 Mt 7,1687 Mt 7,3239688 Chrysostomus redet hier vorzugsweise von <strong>den</strong> Kirchenvorstehern, d.h.<strong>den</strong> Bischöfen, Aebten u.s.w.


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Ruf wiederholt ausgeschlagen hatte, undSaul, der mit Widerstreben eine <strong>an</strong>dereHerrschaft <strong>über</strong>kommen hatte, entging derGefahr nicht, weil er seiner Pflicht untreugewor<strong>den</strong>: - um wie viel mehr wird das beiJenen der Fall sein, <strong>die</strong> sich hinzudrängenund sich selbst hineinstürzen? Wer Das thut,macht sich noch weit eher jeglicherVerzeihung verlustig. Denn beben muß m<strong>an</strong>und zittern, sowohl des Gewissens, als auchder furchtbaren Last der Verwaltung wegen;welche aber einmal her<strong>an</strong>gezogen wer<strong>den</strong>,dürfen sich nicht entziehen, noch dürfenDiejenigen, welche nicht gezwungen wer<strong>den</strong>,<strong>die</strong> Last sich selber aufla<strong>den</strong>, sondern sollensogar im Hinblicke auf <strong>die</strong> Würde und Bürdefliehen; festgehalten aber gebietet <strong>die</strong> Pflichtwiederum, sich geduldig zu fügen. Nichtsgeschehe ohne Mäßigung, Alles nachGebühr. K<strong>an</strong>nst du <strong>den</strong> Ruf vorher ahnen, soweiche zurück, indem du <strong>die</strong> Überzeugungvon deiner Unwürdigkeit zu gewinnensuchest; wirst du aber wieder ergriffen, soerweise dich fügsam und zeige in jederHinsicht eine edle Gesinnung.18. Betet, sagt er, für uns; wir vertrauenwohl, ein gutes Gewissen zuhaben, indemwir bei Allen einen guten W<strong>an</strong>del führenwollen.II.Du siehst, daß er <strong>die</strong>se Worte gleichsam alsVertheidigung <strong>an</strong> Solche schreibt, <strong>die</strong> gegenihn mißgestimmt sind, <strong>die</strong> ihn nicht lei<strong>den</strong>mögen und ihn wie einen Abtrünnigenbetrachten, und <strong>die</strong> es nicht <strong>über</strong> sich bringenkönnen, auch nur seinen Namen zu hören.Weil er nun von seinem Gegnern Dasverl<strong>an</strong>gt, was alle Anderen von ihren Freun<strong>den</strong> wünschen, darum setzt er hier<strong>die</strong>se Worte: wir vertrauen wohl ein gutesGewissen zu haben. Wolle gegen mich nicht alsKläger auftreten; unser Gewissen, sagt er,240klagt uns in Nichts <strong>an</strong>, und wir sind unsnicht bewußt, euch Nachstellungen bereitetzu haben: Denn wir vertrauen, sagt er, ein gutesGewissen zu haben, indem wir bei Allen einenguten W<strong>an</strong>del führen wollen. Also nicht alleinbei <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>, sondern auch bei euch.Nichts haben wir mit Betrug, Nichts mitHeuchelei geth<strong>an</strong>; <strong>den</strong>n wahrscheinlich warer auf <strong>die</strong>se Weise verleumdet wor<strong>den</strong>. Daßer aber <strong>die</strong>se Beschuldigung erfuhr, sagtJakobus in <strong>den</strong> Worten: „Sie haben aber,“heißt es, „von dir gehört, daß du <strong>den</strong> Abfall(vom Gesetze) lehrest.“ 689 Nicht als euerGegner, sagt er, noch als euer Feind schreibeich Dieses, sondern als euer Freund. UndDieß erhellet aus dem Folgen<strong>den</strong>.19. Aber ich bitte euch um so mehr, Dieseszu thun, damit ich euch um so eherwiedergegeben werde.Eine solche Bitte bekundet eine große Liebegegen sie. Nicht einfach, sagt er, sondern mitallem Eifer, damit ich bald zu euch komme.Daß er sich beeilte zu ihnen zu kommen undsie ersuchte, für ihn zu beten, beweist, daß ersich Nichts bewußt war. Nachdem er siedaher zuerst <strong>an</strong>gesprochen hatte, für ihn zubeten, so fleht er selbst auch für sie um allesGute.20. Der Gott des Frie<strong>den</strong>s aber ...sagt er; <strong>die</strong>se Worte spricht er, weil sie untersich zwistig waren. Wenn daher Gott einGott des Frie<strong>den</strong>s ist, so lasset auch keineZwietracht herrschen zwischen euch unduns. Der heraufgeführt hat aus der Erde <strong>den</strong>Hirten der Schafe. Dieß bezieht sich auf <strong>die</strong>Auferstehung. Den großen, - ein <strong>an</strong>dererZusatz. Hier bekräftigt er ihnen wieder bis zuEnde <strong>die</strong> Lehre von der Auferstehung. Durchdas Blut des ewigen Bundes, unsern Herrn JesumChristum.21. Der vollende euch zu jedem gutenWerke, damit ihr seinen Willen thuet; erwirke in euch, was vor ihm wohlgefällig ist.689 Apg 21,21


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>Wieder bezeugt er Großes für sie; <strong>den</strong>n wasvollendet wird, hat einen Anf<strong>an</strong>g und wirdd<strong>an</strong>n ausgeführt. Und er betet für sie, worausm<strong>an</strong> seine sehnsuchtsvolle Liebe ersieht. Undsiehe, in seinen <strong>an</strong>dern <strong>Brief</strong>en betet er zuAnf<strong>an</strong>g, hier aber am Schlusse: Er wirke ineuch, was ihm wohlgefällig ist durch JesumChristum, welchem <strong>die</strong> Ehre sei von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen.22. Ich bitte euch aber, Brüder, nehmet <strong>die</strong>ßWort des Trostes gut auf; <strong>den</strong>n ich habeeuch kurz geschrieben.Siehst du, daß er <strong>an</strong> sie, wie sonst <strong>an</strong>Niem<strong>an</strong><strong>den</strong> geschrieben hat? Denn ich habeeuch, sagt er, nur kurz geschrieben, d.h. ich bineuch nicht durch ein weitschweifigesSchreiben lästig gefallen. Ich glaube, daß siegegen Timotheus nicht so arg abgeneigtwaren, weßhalb er ihn auch zum Vorstehereinsetzte.23. Wisset, daß unser Bruder Timotheus freigelassen ist; mit ihm will ich, wenner bald eintrifft, euch sehen.Freigelassen, sagt er; von wo? Ich glaube, daßer in <strong>den</strong> Kerker geworfen, oder, wenn Dasnicht der Fall ist, daß er von Athen entlassenwar; <strong>den</strong>n auch Das findet sich in derApostelgeschichte.24. 25. Grüßet alle euere Vorsteher und alleHeiligen! Es grüßen euch <strong>die</strong> Brüder ausItalien. Die Gnade sei mit euch Allen.Siehst du, wie er zeigt, daß <strong>die</strong> Tugendweder g<strong>an</strong>z von Gott, noch auch allein vonuns gewirkt wird; <strong>den</strong>n durch <strong>die</strong> Worte: Dervollende euch zu jedem guten Werke, und durchdas Folgende macht er Das klar, wie wenn ersagte: Die Tugend habt ihr zwar, <strong>die</strong>Vollendung aber fehlt euch noch. Da er abersagt: durch <strong>die</strong> That und gute Worte, zeigt er,daß sie einen guten Lebensw<strong>an</strong>del führenund <strong>an</strong> <strong>den</strong> Glaubenslehren festhaltenmüßten. Schön hat er auch <strong>die</strong> Wortebeigefügt: er wirke in euch, was vor ihmwohlgefällig ist. Vor ihm, sagt er; <strong>den</strong>n Das ist<strong>die</strong> höchste Tugend, wenn m<strong>an</strong> thut, was vor241Gott wohlgefällig ist, sowie auch der Prophetsagt: „Nach der Reinheit meiner Hände vorseinen Augen.“ 690 Da er ihnen so Vielesgeschrieben hatte, sagt er, es sei wenig,indem er es mit Dem, was er schreibenwollte, vergleicht, wie er auch <strong>an</strong> einer<strong>an</strong>dern Stelle sagt: „Wie ich euch kurzgeschrieben habe; woraus ihr, wenn ihr esleset, erkennen könnet meine Einsicht in dasGeheimniß Christi.“ 691 Betrachte aberseine Weisheit. Er sagt nicht, ich bitte euch,nehmet <strong>die</strong>ses Wort der Ermahnung gut auf,sondern: <strong>die</strong>ses Wort des Trostes, d.h. desZuspruches, der Aufmunterung. Es brauchtNiem<strong>an</strong>d, sagt er, durch zu große Wortfüllezu ermü<strong>den</strong>. Wie aber? Lag darin auch derGrund ihrer Abneigung gegen ihn? MitNichten, sondern er wollte es ihnen nicht klarzeigen und sagen, daß sie kleinmüthig seien;<strong>den</strong>n Solchen ist es eigen, daß sie eine l<strong>an</strong>geRede nicht ertragen. Wisset, daß unser BruderTimotheus freigelassen ist; mit ihm will ich, wenner bald eintrifft, euch sehen. Dieß war geeignet,sie zu versöhnlicher Milde zu stimmen, wenner sich bereit erklärte, mit seinem Schüler zuihnen zu kommen. Grüßet alle euere Vorsteherund alle Heiligen. Betrachte, wie er sie ehrte,da er nicht <strong>an</strong> Jene, sondern <strong>an</strong> sie schrieb. Esgrüßen euch <strong>die</strong> Brüder aus Italien. Die Gnade seimit euch Allen. Amen. Das, was Allengemeinsam war, sagt er zuletzt. Wie aber ist<strong>die</strong> Gnade mit uns? Wenn wir der Wohlthatnicht ungebührlich begegnen, wenn wir unsgegen das Geschenk nicht fahrlässigbenehmen. Und was ist <strong>die</strong> Gnade? DieNachlassung der Sün<strong>den</strong>, <strong>die</strong> Reinigung,<strong>den</strong>n <strong>die</strong>se ist mit uns. Denn wer wird, willer sagen, wenn er der Gnade Schmachzufügt, sie bewahren und <strong>die</strong>selbe nichtverlieren? Du hast z. B. Verzeihung deinerSün<strong>den</strong> gefun<strong>den</strong>. Wie wird nun <strong>die</strong> Gnade,d. i. das Wohlgefallen oder <strong>die</strong> Wirksamkeitdes heiligen Geistes mit dir sein, wenn du sie690 Ps 17,25691 Eph 3,3.4


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>nicht durch gute Werke <strong>an</strong> dich ziehst? Denndas stete Verbleiben der Gnade des heiligenGeistes in uns ist <strong>die</strong> Quelle aller Güter; <strong>den</strong>nsie führt uns zu allen hin, sowie sie uns auch,wenn sie sich von uns entfernt, demVerderben und der Verlassenheit <strong>über</strong>liefert.III.Wollen wir <strong>die</strong>selbe nie von unshinwegdrängen; <strong>den</strong>n <strong>an</strong> uns ist es gelegen,ob sie bleibt, oder ob sie sich entfernt. Jenesgeschieht, wenn wir Himmlisches <strong>den</strong>ken,Dieses, wenn wir Irdisches sinnen: „DenGeist der Wahrheit,“ heißt es, „<strong>den</strong> <strong>die</strong> Weltnicht empf<strong>an</strong>gen k<strong>an</strong>n, und <strong>den</strong> sie nichtsieht.“ 692 Welt nennt er ein böses undsch<strong>an</strong>dvolles Leben. Siehst du, daß eineweltliche Seele jenen nicht haben k<strong>an</strong>n? Wirmüssen daher großen Fleiß <strong>an</strong>wen<strong>den</strong>, umihn bei uns zu behalten, auf daß er alleunsere Angelegenheiten besorge, und inSicherheit und Frie<strong>den</strong> bringe. Denn wie einSchiff, das mit günstigem Winde segelt,weder aufgehalten wer<strong>den</strong> noch versinkenk<strong>an</strong>n, so l<strong>an</strong>ge es sich eines günstigen und<strong>an</strong>dauern<strong>den</strong> Windes erfreut, sondern auchnach der Rückkehr wegen des glücklichenGelingens sowohl <strong>den</strong> Seeleuten, als auch<strong>den</strong> Schiffsreisen<strong>den</strong> großen Ruhm bringt,und Jene ausruhen und <strong>an</strong> <strong>den</strong> Rudern sichnicht abquälen läßt, Diese aber vor jeglicherFurcht befreit und ihnen durch seinen Laufdas süßeste Schauspiel darbietet: so schwebtauch <strong>die</strong> Seele, <strong>die</strong> durch <strong>den</strong> heiligen Geistbefestiget ist, hoch <strong>über</strong> <strong>den</strong> Wogen <strong>die</strong>sesWeltlebens; <strong>den</strong> Weg aber, der zum Himmelführt, durcheilt sie rascher, als jenes Schiff,da sie nicht vom Winde getragen wird,sondern Segel besitzt, welche vom heiligenGeiste geschwellt und rein sind, und alleWeichlichkeit und Verkommenheit ausunserm Geiste hinauswirft. Denn wie derWind, welcher in ein schlaffes Segel fällt,Nichts auszurichten vermag; so will auch derheilige Geist in einer entnervten Seele nichtbleiben, sondern es wird große Anstrengungund vieler Eifer erfordert. Daher muß unserGeist entflammt sein, und Regsamkeit undKraft allerseits unsere Werke beseelen. Wennwir z. B. beten, soll Dieß mit großer Inbrunstgeschehen, indem wir <strong>die</strong> Seele zum Himmelemporstreben lassen, nicht <strong>an</strong> Stricken,sondern durch einen Gluteifer. Undwieder, wenn wir Barmherzigkeit üben, istEifer nothwendig, damit <strong>die</strong> Bedachtnahmefür’s Haus und <strong>die</strong> Rücksichten auf <strong>die</strong>Kinder, und <strong>die</strong> Sorge für <strong>die</strong> Frau und <strong>die</strong>hinzugekommene Furcht vor der Armuth <strong>die</strong>Segel nicht der Schwellung berauben. Dennwenn wir in der Hoffnung auf <strong>die</strong>zukünftigen Dinge allenthalben <strong>die</strong>seRegsamkeit zeigen, d<strong>an</strong>n wird ihr (der Seele)auf eine ausgezeichnete Weise <strong>die</strong>Wirksamkeit des heiligen Geistes zu Theil;von jenen hinfälligen und armseligen Dingenaber befällt sie Nichts und sollte ihr auchzugesetzt wer<strong>den</strong>, sie k<strong>an</strong>n keinen Scha<strong>den</strong>empf<strong>an</strong>gen, <strong>an</strong> ihrer Festigkeit prallt Alles abund fällt zurückgeschlagen zu Bo<strong>den</strong>. Wirmüssen daher große Rührigkeit zeigen; <strong>den</strong>nauch wir durchschiffen ein großes und weitesMeer, welches voll ist von vielenSeeungeheuern und Klippen, und uns vieleStürme gebiert, und mitten aus heiterer Luftdas schwerste Gewitter hervorbringt. Wirmüssen daher, wenn wir mit Leichtigkeitund ohne Gefahr hinschiffen wollen, unsereSegel sp<strong>an</strong>nen, d. h. unsern Willen; <strong>den</strong>n Dasist für uns hinreichend, da ja auch Abraham,als er sein Vertrauen auf Gott richtete undeinen vollkommenen Willen zeigte, nichtsAnderes mehr bedürfte, sondern: „er glaubteGott, und Das wurde ihm zur Gerechtigkeit692 Joh 14,17242


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>gerechnet.“ 693 Der Glaube aber kommt auseinem ächten Willen. Er opferte seinen Sohn,und obgleich er ihn nicht schlachtete, sobekam er doch <strong>den</strong> Lohn, als hätte er ihnwirklich geschlachtet, und er empfing <strong>die</strong>Vergeltung für das Werk, das nichtausgeführt wurde. Es seien daher unsereSegel rein und neu und nicht alt; „<strong>den</strong>n wasveraltet ist und hinfällig wird, ist seinemEnde nahe“; 694 auch nicht durchlöchert,damit sie <strong>den</strong> Wind fassen können; „<strong>den</strong>nder sinnliche (natürliche) Mensch,“ heißt es,„nimmt Das nicht auf, was vom Geistekommt.“ 695 Denn wie <strong>die</strong>Spinnengewebe <strong>die</strong> Strömung des Windesnicht aufnehmen, so wird auch eine weltlicheSeele oder ein sinnlicher Mensch <strong>die</strong> Gnadedes heiligen Geistes aufzunehmen nimmervermögen. Denn unsere Ged<strong>an</strong>kenunterschei<strong>den</strong> sich nicht von jenen Geweben,indem wohl dem Scheine nachAngemessenheit da ist, aber jegliche Kraftfehlt. Allein mit uns wird es, falls wirnüchternen Geistes sind, nicht also bestelltsein, sondern, was sich immer ereignet, er(der Christ) erträgt Alles und ist <strong>über</strong> Alleserhaben, und kräftiger, als jeglicher Sturm.Mögen <strong>den</strong> geistigen Menschen auchunzählige Übel befallen, er wird von keinem<strong>über</strong>wältiget wer<strong>den</strong>. Und was sage ich? Laß’da kommen Armuth, Kr<strong>an</strong>kheit, Schmach,Beschimpfung, Spott, Schläge und jeglicheArt von Strafe, jegliche Art von Hohn undVorwürfen und Verunglimpfungen, - geradeals stände er fern von der Erde und als wäreer frei von <strong>den</strong> Lei<strong>den</strong> des Körpers, wird erAlles verlachen. Und daß <strong>die</strong>se Worte keinhohles Gerede sind, so glaube ich, daß m<strong>an</strong>auch jetzt noch Solche fin<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n, und zwarunter Denen, welche sich <strong>die</strong> Einsamkeitauserwählt haben. Aber dar<strong>über</strong>, heißt es,darf m<strong>an</strong> sich nicht verwundern. Nun ichbehaupte, daß m<strong>an</strong> auch in <strong>den</strong> Städten, wasm<strong>an</strong> nicht erwarten sollte, solche Männerfin<strong>den</strong> k<strong>an</strong>n. Wenn du aber willst, k<strong>an</strong>n ichdir Einige aus der Verg<strong>an</strong>genheit nennen.Und um Das einzusehen, <strong>den</strong>ke <strong>an</strong> Paulus.Welche Widerwärtigkeiten hat er nichterduldet? Was hat er nicht ausgest<strong>an</strong><strong>den</strong>?Aber Alles ertrug er mit st<strong>an</strong>dhaftem Muthe.Diesen wollen auch wir nachahmen; <strong>den</strong>n sokönnen auch wir vor Gott wohlgefälligwer<strong>den</strong> und mit reichem Gewinne in <strong>die</strong>stillfriedlichen Häfen gel<strong>an</strong>gen. Halten wirdaher unsern Sinn stets zum Himmelgerichtet; halten wir <strong>an</strong> jener Sehnsucht fest;umgeben wir uns mit dem Feuer des(heiligen) Geistes; umgürten wir uns mit<strong>die</strong>ser Flamme. Niem<strong>an</strong>d, der eine Flammebei sich trägt, fürchtet Jene, <strong>die</strong> ihmbegegnen, sei es ein Thier oder ein Mensch,oder zahllose Schlingen; so l<strong>an</strong>ge er Feuerhat, geht Alles bei Seite, weicht Alles zurück.Unausstehlich ist <strong>die</strong> Flamme,unerträglich das Feuer; Alles verzehrt es. Mit<strong>die</strong>sem Feuer wollen wir uns umgeben undVerherrlichung emporsen<strong>den</strong> unserm HerrnJesus Christus, welchem mit dem Vater unddem heiligen Geiste sei Ruhm, Macht undEhre jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zuEwigkeit. Amen.693 Gen 15,6694 Hebr 8,13695 1 Kor 2,14243


<strong>Hl</strong>. <strong>Joh<strong>an</strong>nes</strong> <strong>Chrysostomos</strong>, <strong>Homilien</strong> <strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>Hebräer</strong>244

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