Grundschule aktuell 124
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Rundschau<br />
Aussagen des UN-Fachausschusses zur Überprüfung der Staatenberichte<br />
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention<br />
Staatenbericht und Aktionsplan<br />
der Bundesregierung Deutschlands<br />
zur Umsetzung der UN-<br />
BRK sollen nun tatsächlich bereits 2014<br />
(zunächst hieß es 2015) vom zuständigen<br />
UN-Fachausschuss in Genf geprüft<br />
werden.<br />
Anfang September 2013 wurde Österreich<br />
durch den Fachausschuss geprüft<br />
und äußerte anschließend positive und<br />
kritische Einschätzungen und Empfehlungen.<br />
Diese will ich hier auszugsweise<br />
skizzieren, weil sich Parallelen zu vielen<br />
Gegebenheiten, (Nicht-)Entwicklungen<br />
und Problemen in Deutschland finden<br />
und deshalb gewichtige Hinweise auch<br />
für uns in der BRD abgeleitet werden<br />
können.<br />
Bildung (Art. 24)<br />
●●<br />
Das Komitee registriert besorgt, dass<br />
die Anzahl von Kindern in Sonderschulen<br />
ansteigt, Fortschritte in Richtung<br />
inklusive Bildung stagnieren und unzureichende<br />
Anstrengungen unternommen<br />
werden, um inklusive Bildung zu<br />
unterstützen. (In verschiedenen Ländern<br />
der BRD sind politische Unentschlossenheit<br />
und finanzielle Einschränkungen<br />
bei inklusiven Maßnahmen<br />
sowie gesellschaftliche Widerstände<br />
alarmierend. Kürzlich veröffentlichte<br />
die Monitoringstelle Deutschlands<br />
ihre Kritik, dass sie die Inklusionsentwicklung<br />
in der BRD als »rückläufig«<br />
wahrnimmt!)<br />
●●<br />
Es gebe zu wenige AkademikerInnen<br />
mit Behinderung in Ö. Obwohl inzwischen<br />
die Gebärdensprache als Recht (!)<br />
von gehörlosen Menschen in der österreichischen<br />
Verfassung verankert ist<br />
(davon sind wir in Deutschland noch<br />
weit entfernt), gibt es noch kaum gehörlose<br />
/ hörbehinderte StudentInnen, nur<br />
3 bisher mit abgeschlossenem Studium.<br />
Dito mangele es an Lehrerausbildung<br />
für Lehrende mit Gebärdensprache<br />
bzw. für PädagogInnen mit Behinderungen.<br />
Es müssten größere Anstrengungen<br />
unternommen werden, dass<br />
Menschen mit Behinderungen an Universitäten<br />
und tertiären Bildungseinrichtungen<br />
studieren könnten.<br />
Allgemeine Grundsätze und<br />
Verpflichtungen (Art. 1 – 4)<br />
●●<br />
Das Komitee kritisiert, dass die deutsche<br />
Übersetzung der UN-BRK den<br />
Anspruch der Konvention nicht korrekt<br />
und eindeutig wiedergebe. »Inclusion«<br />
wird mit »Integration« und nur im Sinne<br />
»unabhängiger Lebensführung«<br />
übersetzt, was den Begriff nicht umfassend<br />
genug abbildet. (Genau dieses haben<br />
wir auch im Parallelbericht der<br />
BRK-Allianz kritisiert. Die falsche<br />
Übersetzung und Begriffsinterpretation<br />
verhindert, dass ein wirklicher Paradigmenwechsel<br />
im Bewusstsein stattfindet<br />
mit dem Ergebnis nur eingeschränkter<br />
inklusiver Entwicklungen.)<br />
●●<br />
Gesetze und Richtlinien gingen nicht<br />
von einem einheitlichen und gemeinsamen<br />
Konzept von Behinderung aus,<br />
was zu Problemen und Ungleichheiten<br />
im Umgang mit Menschen und Personengruppen<br />
mit Behinderungen (Rechte,<br />
Dienstleistungen) führt. Das föderale<br />
Regierungssystem Österreichs führe<br />
zur Zersplitterung der politischen Zuständigkeiten;<br />
die Länder definieren Inklusion,<br />
Standards und die Umsetzung<br />
der BRK unterschiedlich. (Erleben wir<br />
das in der BRD nicht ganz genau so ?!)<br />
●●<br />
Das Komitee empfiehlt daher die<br />
Entwicklung eines übergreifenden gesetzlichen<br />
Rahmens und entsprechender<br />
Richtlinien der Behindertenpolitik.<br />
(Das könnte schon eine Empfehlung für<br />
die BRD sein!)<br />
Frauen mit Behinderungen (Art. 6),<br />
Arbeit und Beschäftigung (Art. 27)<br />
●●<br />
Die Gleichberechtigung von Frauen<br />
mit Behinderungen sei nicht sichergestellt,<br />
d. h. Frauen mit Behinderungen<br />
sind faktisch mehrfachen Arten der Diskriminierung<br />
ausgesetzt. Es fehlen eine<br />
spezifische Interessenvertretung sowie<br />
Unterstützungsstrukturen für alle Mädchen<br />
und Frauen mit Behinderungen.<br />
●●<br />
Kritik wird geübt an nach wie vor unzureichenden<br />
Förderprogrammen, um<br />
Menschen mit Behinderungen im offenen<br />
Arbeitsmarkt zu beschäftigen sowie an<br />
weiterhin bestehenden geschlechtsspezifischen<br />
Unterschieden bei Beschäftigung<br />
und Bezahlung. (Die Mehrheit der<br />
Arbeitgeber in Ö. bevorzuge noch, eine<br />
Strafe zu zahlen statt die gesetzliche Quotenanforderung<br />
für die Beschäftigung von<br />
Menschen mit Behinderungen – Behinderteneinstellungsgesetz<br />
– zu erfüllen.)<br />
Barrierefreiheit (Art. 9)<br />
●●<br />
Pläne und Bemühungen zur Überwindung<br />
jeglicher Barrierefreiheit seien<br />
unzureichend. Jegliche Barrierefreiheit<br />
(nicht nur bauliche Situationen betreffend)<br />
be- oder verhindert echte Teilhabe.<br />
Speziell erwähnt wird die Möglichkeit,<br />
dass alle Menschen mit Behinderung<br />
einen vollkommen barrierefreien<br />
Zugang zu Wahlorten und Wahlkabinen<br />
haben und alle Wahlinformationen<br />
in barrierefreien Formaten verfügbar<br />
sind. (Ist uns dieses in der BRD in diesem<br />
großen Wahljahr2013 gelungen ??)<br />
Freiheit und Sicherheit<br />
der Person (Art. 14 – 16)<br />
●●<br />
Das Komitee äußert sich besorgt und<br />
kritisch, dass bzw. wenn Menschen gegen<br />
ihren Willen in psychologische oder<br />
psychiatrische Institutionen eingewiesen<br />
und dort festgehalten werden, sie ggf.<br />
»fixierenden« Praktiken unterzogen<br />
werden. (Das Komitee gebraucht hier<br />
sogar Begriffe wie »Folter, grausame,<br />
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung<br />
…«!)<br />
●●<br />
Besorgnis wird geäußert über anhaltende<br />
Berichte von Ausbeutung, Gewalt<br />
oder Missbrauch von Menschen mit Behinderungen.<br />
Bewusstseinsbildung (Art. 8)<br />
●●<br />
Es werden zu wenige bewusstseinsbildende<br />
Kampagnen durchgeführt, um<br />
Vorurteilen und veralteten Stereotypen<br />
von Menschen mit Behinderungen entgegenzuwirken,<br />
was Diskriminierungen<br />
perpetuiert. Der Paradigmenwechsel im<br />
Sinne des Menschenrechts-Ansatzes (im<br />
Gegensatz zum bisherigen »Wohltätigkeitsmodell«)<br />
müsse durch z. B. spezifische<br />
Programme und Initiativen mehr<br />
befördert werden. (Wo erleben wir in<br />
Deutschland entsprechende staatliche<br />
Kampagnen oder Programme seitens<br />
der politisch Verantwortlichen?)<br />
Ulla Widmer-Rockstroh<br />
40 GS <strong>aktuell</strong> <strong>124</strong> • November 2013