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Grundschule aktuell 124

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Praxis: Rechtschreiben lernen<br />

Schreibungen lauttreu und vor allem<br />

sehr systematisch:<br />

●●<br />

ich und habe wurde beide Male in<br />

gleicher Weise geschrieben,<br />

●●<br />

vokalisches r in den Varianten r (zweimal)<br />

und er wird immer a geschrieben,<br />

●●<br />

ie wird in beiden Fällen i geschrieben,<br />

●●<br />

eu wird der Aussprache entsprechend<br />

oi geschrieben,<br />

●●<br />

in Computer wird der Aussprache<br />

entsprechend ein j eingefügt,<br />

●●<br />

die Groß-/Kleinschreibung ist einheitlich:<br />

Alle Buchstaben werden immer<br />

in der gleichen Weise geschrieben, d. h.<br />

alles groß bis auf das i (vielleicht, um<br />

den i-Punkt unterzubringen).<br />

Dieser Brief von David und auch die<br />

Mitteilung von Jakob dokumentieren<br />

den wesentlichen Aspekt von Schreiben<br />

– nämlich die Mitteilung. Wie alle<br />

von Kindern geschriebenen Texte gibt<br />

er Auskunft über den Schreibentwicklungsstand<br />

des Kindes und Hinweise<br />

für unsere Begleitung auf dem Weg zur<br />

Schrift. Auf Nachfrage von David »Wie<br />

schreibt man ›Liebe‹ …?« erhält er den<br />

Hinweis »Wenn du i lang hörst, wird<br />

es meistens so geschrieben: ie«. David<br />

schreibt daraufhin die Anrede »Liebe<br />

…« und überträgt diesen Hinweis auf<br />

»Iermhield« und »RiesieK«. Das kurz<br />

gesprochene i dehnt er. In Großantiqua<br />

geschrieben werden einige Buchstaben<br />

aus dem eigenen Namen oder den<br />

Vornamen seiner Familienmitglieder.<br />

Auffällig ist die richtige Schreibung<br />

von Füller: »Mich interessiert, warum<br />

du Füller so geschrieben hast?« David:<br />

»Das stand auf der Packung!« David<br />

hat sich bei der Verschriftung überwiegend<br />

am eigenen Hören orientiert und<br />

die »Nachschlagemöglichkeit Füllerpackung«<br />

genutzt.<br />

Jakobs und Davids Herangehensweise<br />

wird als lauttreues Schreiben, lautorientiertes<br />

Schreiben, alphabetisches<br />

Schreiben oder ähnlich bezeichnet. Dies<br />

gilt als Hauptprinzip beim Schreibenlernen.<br />

Den Lauten der Sprache werden<br />

Buchstaben zugeordnet. Von diesem<br />

Grundprinzip gibt es zwar zahllose Abweichungen,<br />

aber die Regelmäßigkeit<br />

ist hoch genug, um sie zur Grundlage<br />

des Schreibenlernens zu machen. Voraussetzung<br />

für das Verständnis der Verschriftungen<br />

und der Zuordnung der<br />

Verschriftungen zu einzelnen Entwicklungsstadien<br />

sind Grundkenntnisse<br />

über den Aufbau unserer Schriftsprache<br />

David (7,3 Jahre)<br />

und über Strategien beim Schriftspracherwerb.<br />

Schriftspracherwerb<br />

Liebe iermhield iCH<br />

Bedanke miCH Für<br />

den Füller icH HABe<br />

micH RiesieK geFREUT<br />

und du hAst dein<br />

FerSCHPReCHen<br />

gehAlTen iCH Finde<br />

den Füller Toll und<br />

du Bist AuCH Toll<br />

dein David<br />

Beim Erwerb der Schriftsprache schreiben<br />

die Kinder lautorientiert und z.T.<br />

verkürzt. Kinder, die z. B. man, kvalm,<br />

tomat oder sats schreiben, schreiben<br />

richtig – wenn sie in Schweden leben!<br />

Ihre vermeintlichen Fehler können<br />

auch als Lösungen bezeichnet werden.<br />

Ihre Schreibungen sind Schritte auf<br />

dem Weg zur Schrift und sollten nicht<br />

in erster Linie als Abweichung von der<br />

Norm betrachtet werden, sondern als<br />

lernspezifische Notwendigkeit.<br />

Die meisten Kinder schreiben am Anfang<br />

fast nur die Konsonanten, die Vokale<br />

werden weggelassen. Dies gibt die<br />

Wörter zwar lautmäßig nicht vollständig<br />

wieder, macht sie aber weitgehend<br />

rekonstruierbar, vor allem im Satzzusammenhang.<br />

Interessant ist, dass die<br />

Kinder dabei die historische Entwicklung<br />

der Alphabetschriften nachvollziehen.<br />

Die ersten bekannten Alphabetschriften<br />

(phönizisch, ägyptisch) waren<br />

sogenannte Segmentalschriften, d. h. es<br />

wurden nur die Konsonanten geschrieben.<br />

Der Übergang zu vollständigen Alphabetschriften<br />

vollzog sich erst später,<br />

z. B. in Griechenland. Eine mögliche<br />

Ursache für die Bevorzugung der Konsonanten<br />

kann in der unterschiedlichen<br />

Artikulationsart von Konsonanten und<br />

Vokalen gesehen werden. Das Sprechen<br />

von Konsonanten geht mit einer Engeoder<br />

Verschlussbildung einher, an der<br />

insbesondere Zunge oder Lippen beteiligt<br />

sind. Bei den Vokalen hingegen<br />

kann der Luftstrom den Mund ungehindert<br />

passieren. Daher ist das Sprechen<br />

eines Konsonanten aufwendiger und<br />

auffälliger als das Sprechen eines Vokals.<br />

Konsonanten sind gewissermaßen<br />

spürbarer als Vokale.<br />

Unabhängig von zahlreichen Unterschieden<br />

im Detail wird derzeit meist<br />

davon ausgegangen, dass drei Strategien<br />

beim Schriftspracherwerb eine große<br />

Rolle spielen – die logografische Strategie,<br />

die lautorientierte (oder alphabetische)<br />

Strategie und die orthografische<br />

(oder orthografisch/morphematische)<br />

Strategie:<br />

●●<br />

Logografische Strategie: Wörter werden<br />

als Ganzes gemerkt und geschrieben<br />

ohne Kenntnis der Laut-Grafem-<br />

Zuordnung. Die logografische Strategie<br />

kommt hauptsächlich bei ersten<br />

Schreibversuchen – meistens lange vor<br />

der Einschulung – vor.<br />

●●<br />

Lautorientierte Strategie (oder alphabetische<br />

Strategie): Wörter werden lautlich<br />

gegliedert und durch Zuordnung der<br />

entsprechenden Buchstaben bzw. Grafeme<br />

geschrieben. In frühen Phasen sind<br />

Rosemarie Köhler<br />

ist Grund-, Haupt- und Förderschullehrerin<br />

und seit 1978 im Schuldienst<br />

tätig. Zurzeit arbeitet sie als Fortbildungsbeauftragte<br />

am Kompetenzzentrum<br />

Lehrerfortbildung an der<br />

TU Braunschweig.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>124</strong> • November 2013<br />

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