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oneX magazin 07.2016

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IMMANUEL KANT<br />

guter Geigenspieler werden willst», so ist<br />

dies ein hypothetischer Imperativ.<br />

Exakt. Und weil Geige spielen zu können<br />

zwar schön und gut, aber nicht allgemein<br />

notwendig ist, kann es kein kategorischer<br />

Imperativ sein. Die Notwendigkeit, gut Geige<br />

spielen zu können, gilt nur bedingt. Und<br />

zwar unter der Bedingung, dass man es auch<br />

spielen möchte. Wenn die Notwendigkeit<br />

unter allen Umstanden gilt, also bedingungslos<br />

ist, so hat sie unbedingten, also<br />

kategorischen Charakter, wie schon der Name<br />

sagt.<br />

Und weil nur ein Imperativ kategorischen<br />

Charakter hat, verwenden Sie in Ihrer<br />

Formulierung das Wort Gesetz.<br />

Ja.<br />

Handle nur nach derjenigen Maxime,<br />

durch die du zugleich wollen kannst, dass<br />

sie zum allgemeinen Gesetz werde.<br />

Das ist die Formulierung aus meiner Grundlegungsschrift.<br />

In der «Kritik der praktischen<br />

Vernunft» habe ich dies dann präzisiert:<br />

«Handle so, dass die Maxime deines Willens<br />

jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen<br />

Gesetzgebung gelten könne».<br />

Jetzt gibt es aber Kritiker, die der Meinung<br />

sind, ihr kategorischer Imperativ sei<br />

streng, unerbittlich, zuweilen erbarmungslos.<br />

Er sei sozusagen ohne Herz.<br />

Ohne Herz? Um Himmels willen! Wollen Sie<br />

denn ein oberstes Prinzip für Sittlichkeit aus<br />

«Was würde passieren, wenn<br />

jeder seine eigene Herzensbildung<br />

zu Grunde legen würde?<br />

Das ergäbe einen Flickenteppich<br />

unterschiedlichen Prinzipien!»<br />

dem Herzen ableiten? Was glauben denn<br />

diese Kritiker, was passieren würde, wenn<br />

jeder seine eigene Herzensbildung zu Grunde<br />

legen würde? Der Hafenarbeiter, der Taxichauffeur,<br />

der Pfarrer oder der Atheist. Der<br />

Gemeindeschreiber oder der Grossrat. Das<br />

ergäbe ja einen Flickenteppich von unterschiedlichen<br />

Prinzipien. Grauenvoll! Ich<br />

wollte etwas Neues über Moral sagen. Das<br />

Neue ist ein Prinzip von Moralität, das losgelöst<br />

von jedem Eigennutzdenken für alle<br />

Menschen gültig ist. Das unabhängig von der<br />

jeweiligen Situation einen Anspruch auf Gültigkeit<br />

zu allen Zeiten erhebt.<br />

Jesus argumentierte im Evangelium ohne<br />

strenge Gesetzlichkeit, aber mit der Liebe.<br />

Selbst er muss mit unserem Ideal der vollkommenen<br />

Sittlichkeit verglichen werden.<br />

In einer Formulierung des kategorischen<br />

Imperativs habe ich den Mensch als Zweck<br />

an sich beschrieben. Sie lautet: Handle so,<br />

dass du die Menscheit sowohl in deiner Person<br />

als auch in der Person eines jeden anderen<br />

jederzeit sogleich als Zweck, niemals<br />

bloss als Mittel brauchest.<br />

Könnten Sie dies etwas ausführen?<br />

Es gibt viele materielle Zwecke, für die es<br />

Mittel braucht, um sie zu erreichen. Aber<br />

kein einziger materieller Zweck kann Zweck<br />

an sich sein.<br />

Aber es gibt doch auch private Zwecke. Zum<br />

Beispiel den Postboten, den<br />

ich als Mittel zum Zweck der<br />

Briefzustellung nutze.<br />

Natürlich! Alle vernünftigen<br />

Wesen unterstehen dem Gesetz,<br />

dass keiner einen anderen<br />

Menschen, zum Beispiel<br />

Ihren Postboten, bloss als<br />

Mittel, sondern jederzeit zugleich<br />

als Zweck an sich behandeln<br />

soll.<br />

Ist es das, was Sie unter einem «Reich der<br />

Zwecke» verstehen?<br />

Das Reich der Zwecke ist mein moralisches<br />

Ideal. Eine Gemeinschaft vernünftiger Menschen,<br />

wo keiner den Anderen als Mittel zum<br />

Zweck betrachtet. Der Mensch muss unter<br />

allen Umständen Selbstzweck bleiben. Darin<br />

besteht seine Würde.<br />

Abgeleitet von: Kant, Sophie und der kategorische<br />

Imperativ<br />

Das Kant-Denkmal in<br />

Königsberg (links),<br />

Kant mit Tischgenossen<br />

am Debatieren<br />

(unten)<br />

20 s’Positive 7/ 2016

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