oneX magazin 07.2016
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
IMMANUEL KANT<br />
guter Geigenspieler werden willst», so ist<br />
dies ein hypothetischer Imperativ.<br />
Exakt. Und weil Geige spielen zu können<br />
zwar schön und gut, aber nicht allgemein<br />
notwendig ist, kann es kein kategorischer<br />
Imperativ sein. Die Notwendigkeit, gut Geige<br />
spielen zu können, gilt nur bedingt. Und<br />
zwar unter der Bedingung, dass man es auch<br />
spielen möchte. Wenn die Notwendigkeit<br />
unter allen Umstanden gilt, also bedingungslos<br />
ist, so hat sie unbedingten, also<br />
kategorischen Charakter, wie schon der Name<br />
sagt.<br />
Und weil nur ein Imperativ kategorischen<br />
Charakter hat, verwenden Sie in Ihrer<br />
Formulierung das Wort Gesetz.<br />
Ja.<br />
Handle nur nach derjenigen Maxime,<br />
durch die du zugleich wollen kannst, dass<br />
sie zum allgemeinen Gesetz werde.<br />
Das ist die Formulierung aus meiner Grundlegungsschrift.<br />
In der «Kritik der praktischen<br />
Vernunft» habe ich dies dann präzisiert:<br />
«Handle so, dass die Maxime deines Willens<br />
jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen<br />
Gesetzgebung gelten könne».<br />
Jetzt gibt es aber Kritiker, die der Meinung<br />
sind, ihr kategorischer Imperativ sei<br />
streng, unerbittlich, zuweilen erbarmungslos.<br />
Er sei sozusagen ohne Herz.<br />
Ohne Herz? Um Himmels willen! Wollen Sie<br />
denn ein oberstes Prinzip für Sittlichkeit aus<br />
«Was würde passieren, wenn<br />
jeder seine eigene Herzensbildung<br />
zu Grunde legen würde?<br />
Das ergäbe einen Flickenteppich<br />
unterschiedlichen Prinzipien!»<br />
dem Herzen ableiten? Was glauben denn<br />
diese Kritiker, was passieren würde, wenn<br />
jeder seine eigene Herzensbildung zu Grunde<br />
legen würde? Der Hafenarbeiter, der Taxichauffeur,<br />
der Pfarrer oder der Atheist. Der<br />
Gemeindeschreiber oder der Grossrat. Das<br />
ergäbe ja einen Flickenteppich von unterschiedlichen<br />
Prinzipien. Grauenvoll! Ich<br />
wollte etwas Neues über Moral sagen. Das<br />
Neue ist ein Prinzip von Moralität, das losgelöst<br />
von jedem Eigennutzdenken für alle<br />
Menschen gültig ist. Das unabhängig von der<br />
jeweiligen Situation einen Anspruch auf Gültigkeit<br />
zu allen Zeiten erhebt.<br />
Jesus argumentierte im Evangelium ohne<br />
strenge Gesetzlichkeit, aber mit der Liebe.<br />
Selbst er muss mit unserem Ideal der vollkommenen<br />
Sittlichkeit verglichen werden.<br />
In einer Formulierung des kategorischen<br />
Imperativs habe ich den Mensch als Zweck<br />
an sich beschrieben. Sie lautet: Handle so,<br />
dass du die Menscheit sowohl in deiner Person<br />
als auch in der Person eines jeden anderen<br />
jederzeit sogleich als Zweck, niemals<br />
bloss als Mittel brauchest.<br />
Könnten Sie dies etwas ausführen?<br />
Es gibt viele materielle Zwecke, für die es<br />
Mittel braucht, um sie zu erreichen. Aber<br />
kein einziger materieller Zweck kann Zweck<br />
an sich sein.<br />
Aber es gibt doch auch private Zwecke. Zum<br />
Beispiel den Postboten, den<br />
ich als Mittel zum Zweck der<br />
Briefzustellung nutze.<br />
Natürlich! Alle vernünftigen<br />
Wesen unterstehen dem Gesetz,<br />
dass keiner einen anderen<br />
Menschen, zum Beispiel<br />
Ihren Postboten, bloss als<br />
Mittel, sondern jederzeit zugleich<br />
als Zweck an sich behandeln<br />
soll.<br />
Ist es das, was Sie unter einem «Reich der<br />
Zwecke» verstehen?<br />
Das Reich der Zwecke ist mein moralisches<br />
Ideal. Eine Gemeinschaft vernünftiger Menschen,<br />
wo keiner den Anderen als Mittel zum<br />
Zweck betrachtet. Der Mensch muss unter<br />
allen Umständen Selbstzweck bleiben. Darin<br />
besteht seine Würde.<br />
Abgeleitet von: Kant, Sophie und der kategorische<br />
Imperativ<br />
Das Kant-Denkmal in<br />
Königsberg (links),<br />
Kant mit Tischgenossen<br />
am Debatieren<br />
(unten)<br />
20 s’Positive 7/ 2016