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38 CHANCE BERUF<br />
ARBEITSPLATZORIENTIERTE ALPHABETISIERUNG<br />
Liebesgrüße aus dem Hafen<br />
Fast jeder Zehnte in Deutschland kann nicht oder nicht richtig lesen <strong>und</strong> schreiben. Deshalb investiert das B<strong>und</strong>esministerium<br />
für Bildung <strong>und</strong> Forschung in den kommenden zehn Jahren bis zu 180 Millionen Euro, um das Land zu<br />
alphabetisieren.<br />
Uwe Boldt arbeitet seit 18 Jahren im Hamburger Hafen.<br />
Die Schule hat er nach der 9. Klasse verlassen. Rech nen,<br />
Sport <strong>und</strong> Werken fielen ihm leicht, nur mit dem Schreiben<br />
hatte er immer Probleme. „In meinem Zeugnis stand:<br />
‚versetzt aus pädagogischen Gründen‘ “, erinnert er sich.<br />
Im Klassenraum saß er in der letzten Reihe, dort, wo er<br />
nicht weiter auffiel. Ein Abschlusszeugnis besitzt er nicht.<br />
Trotzdem hat er nach der Schule eine <strong>Aus</strong>bildung zum<br />
Hafenfacharbeiter absolviert. Boldt liebt seine Arbeit –<br />
aber ohne richtig lesen <strong>und</strong> schreiben zu können, kam<br />
er beruflich nicht voran.<br />
Uwe Boldt ist funktionaler Analphabet, einer von 7,5 Mil -<br />
lionen in Deutschland. Ein Umstand, den das B<strong>und</strong>esministerium<br />
für Bildung <strong>und</strong> Forschung (BMBF) seit<br />
Jahren mit einer Vielzahl von Initiativen bekämpft.<br />
Allein seit 2012 engagierte sich der B<strong>und</strong> mit insgesamt<br />
20 Millionen Euro für die Alphabetisierung am Arbeitsplatz.<br />
Dabei förderte das Ministerium etwa Selbstlern-<br />
Kurse, die auf Smartphones funktionieren, zum Beispiel<br />
über die Lernplattform www.ich-will-deutsch-lernen.de<br />
des Deutschen Volkshochschul-Verbands e. V. (DVV).<br />
Die Hemmschwelle für Betroffene soll dabei so niedrig<br />
wie möglich sein. Auch wurden Angebote wie „ABCami<br />
– Alphabetisierung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>bildung in der Moschee“<br />
ausgebaut. Vor allem aber hat die Initiative Unternehmen<br />
motiviert, Lesen <strong>und</strong> Schreiben stärker als bislang in die<br />
betriebliche <strong>Weiterbildung</strong> einzubauen.<br />
Denn der Großteil der Menschen, die wie Boldt kaum<br />
lesen <strong>und</strong> nicht schreiben können, sind Erwachsene –<br />
Analphabeten, die seit Jahren mit diesem Manko leben.<br />
60 Prozent der Betroffenen haben Jobs, meist sind es<br />
Ungelernte in Industrie, Bau, Gastronomie oder Gebäudereinigung.<br />
Nicht lesen zu können ist in vielen Betrieben<br />
kein Tabu: Man arrangiert sich, die Kollegen helfen,<br />
füllen Formulare aus, bei Putzkräften markieren sie die<br />
Reinigungsmittel mit verschiedenen Farben. Ein eingeübtes<br />
Miteinander, so dass ein Großteil der Analphabeten<br />
gar keine Notwendigkeit sieht, vielleicht doch noch<br />
lesen <strong>und</strong> schreiben zu lernen.<br />
Genau das aber macht es so schwierig, diese Menschen<br />
abseits des Schulsystems zu erreichen. B<strong>und</strong>esbildungsministerin<br />
Prof. Dr. Johanna Wanka hat deshalb im<br />
September 2015 die Nationale Dekade für Alphabetisierung<br />
in Deutschland ausgerufen <strong>und</strong> dabei verkündet,<br />
dass das BMBF in den kommenden zehn Jahren bis zu<br />
180 Millionen Euro investiert, um gegen Analphabetismus<br />
vorzugehen. Im Rahmen dieser Initiative werden<br />
B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Länder gemeinsam eine breite Informationskampagne<br />
durchführen, die für das Thema sensibilisiert,<br />
sowie ihre Beratungs- <strong>und</strong> Lernangebote weiter ausbauen.<br />
Uwe Boldt hat es mühsam geschafft, lesen <strong>und</strong> schreiben<br />
zu lernen. Weil er sich auf Kollegen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e<br />
verlassen konnte, die ihn in den vergangenen Jahren<br />
immer wieder ermuntert haben, die Kurse an der<br />
Volkshochschule zu besuchen <strong>und</strong> weiter zu lernen.<br />
Heute sitzt er in schwindelerregender Höhe <strong>und</strong> hievt<br />
mit seinem Kran schwere Frachten durch den Hafen.<br />
Vom Hafenarbeiter zum ausgebildeten Kran- <strong>und</strong> Containerbrückenfahrer<br />
– ohne den Analphabetismus zu<br />
besiegen, wäre er nicht so weit gekommen. „Ich liebe<br />
meine Arbeit, ich wollte beruflich aufsteigen“, erzählt<br />
er. Kürzlich hat er sogar eine Qualifizierung zum Gefahrengütertransporter<br />
absolviert. Und das Beste ist:<br />
Seiner Frau schickt er inzwischen sogar Liebesbriefe.<br />
Daten <strong>und</strong> Fakten<br />
Förderzeitraum<br />
August 2012 – September 2015;<br />
September 2015 – September 2025<br />
Fördervolumen<br />
ca. 20 Millionen Euro insgesamt;<br />
ca. 180 Millionen Euro insgesamt<br />
Website<br />
Kontakt<br />
www.alphab<strong>und</strong>.de<br />
alphadekade@bibb.de<br />
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