Medien- und Massenkommunikation: Begriffe und Modelle
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Autor: Kübler, Hans-Dieter.<br />
Titel: <strong>Medien</strong>- <strong>und</strong> <strong>Massenkommunikation</strong>: <strong>Begriffe</strong> <strong>und</strong> <strong>Modelle</strong>.<br />
http://www.mediaculture-online.de<br />
Quelle: Hans-Dieter Kübler: Kommunikation <strong>und</strong> <strong>Medien</strong>. Eine Einführung. Münster 2003.<br />
S. 91-129.<br />
Verlag: LIT Verlag.<br />
Die Veröffentlichung erfolgt mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung des Autors <strong>und</strong> des Verlags.<br />
Hans-Dieter Kübler<br />
<strong>Medien</strong>- <strong>und</strong> <strong>Massenkommunikation</strong>:<br />
<strong>Begriffe</strong> <strong>und</strong> <strong>Modelle</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Digitale Revolution <strong>und</strong> “Informationsgesellschaft”.......................................................2<br />
2. Ein kurzer Abriss der <strong>Medien</strong>geschichte.......................................................................5<br />
3. ‘Neue <strong>Medien</strong>’ – neue Schlagwörter...........................................................................14<br />
4. Diverse <strong>Medien</strong>begriffe...............................................................................................17<br />
4.1. Der universale <strong>Medien</strong>begriff...............................................................................17<br />
4.2. Der elementare <strong>Medien</strong>begriff.............................................................................19<br />
4.3. Der technische (oder technologische) <strong>Medien</strong>begriff..........................................20<br />
4.4. Der kommunikations- <strong>und</strong> organisationssoziologische <strong>Medien</strong>begriff................22<br />
4.5. Der kommunikativ-funktionale <strong>Medien</strong>begriff......................................................23<br />
4.6. Der systemische <strong>Medien</strong>begriff...........................................................................24<br />
5. Ende der <strong>Massenkommunikation</strong>?..............................................................................25<br />
6. Typen medialer Kommunikation..................................................................................29<br />
7. Von der Öffentlichkeit zur ‘audience polarization’?.....................................................32<br />
8. Definitionen <strong>und</strong> Dimensionen von <strong>Massenkommunikation</strong>.......................................37<br />
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8.1. Das bewährte Modell der <strong>Massenkommunikation</strong> Gerhard Maletzkes...............37<br />
8.2. Eine Weiterentwicklung: das “Modell elektronisch mediatisierter<br />
Gemeinschaftskommunikation”...................................................................................40<br />
8.3. Eine aktuelle Definition für mediale Kommunikation...........................................42<br />
9. Objektivität, Universalität, Aktualität, Periodizität: Wie angemessen sind heute noch<br />
die klassischen publizistischen Kriterien?.......................................................................45<br />
1. Digitale Revolution <strong>und</strong> “Informationsgesellschaft”<br />
Industriegesellschaften wie die unsrige – so wird in zahlreichen Diagnosen <strong>und</strong><br />
Zukunftsentwürfen immer wieder betont – befinden sich in einem gravierenden Umbruch,<br />
wandeln sich – nach derzeit gängigen Schlagwörtern – in “<strong>Medien</strong>”-, “Informations-”<br />
<strong>und</strong>/oder “Wissensgesellschaften”: Dabei bleibt meist unentschieden, ob diese<br />
Entwicklung – im Sinne eines historischen Evolutionsmodell – als generelle Optimierung<br />
<strong>und</strong> Steigerung, also als Fortschritt zu werten ist oder ob es sich um eine offene<br />
Transformation mit Chancen, aber auch Risiken <strong>und</strong> Nachteilen, zumindest für bestimmte<br />
Regionen in der Welt <strong>und</strong> für bestimmte soziale Gruppen handelt. Hervorgerufen werde<br />
dieser Wandel durch die immensen Potenziale der Informations- <strong>und</strong><br />
Kommunikationstechnologien, die am Ende des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts zu Schlüsselindustrien<br />
avancieren, nicht nur Information, Kommunikation <strong>und</strong> Verkehr gründlich umwälzen,<br />
sondern selbst zu mächtigen Faktoren für Produktion <strong>und</strong> Wertschöpfung werden. Schon<br />
scheint die Informations- <strong>und</strong> Kommunikationsbranche die bislang führende<br />
Automobilindustrie im Umsatz überr<strong>und</strong>et zu haben, <strong>und</strong> immer mehr Menschen arbeiten<br />
in den so genannten tertiären bzw. quartären Sektoren der hochentwickelten<br />
Volkswirtschaften, in Dienstleistungs-, <strong>Medien</strong>- <strong>und</strong> Informationsbranchen (Bell 1985;<br />
Steinbicker 2001; Castells 2001; 2002; 2003).<br />
Von den westlichen Industrienationen aus werden Information, Kommunikation, Verkehr<br />
<strong>und</strong> Wissensproduktion, Innovation <strong>und</strong> <strong>Medien</strong> weltweit organisiert <strong>und</strong> betrieben, eben<br />
globalisiert, so dass sich die Visionen des kanadischen <strong>Medien</strong>philosophen Marshall<br />
McLuhan (1911 -1980), die Menschen lebten künftig in einem “globalen Dorf”, zumindest<br />
technisch einlösen. Dass sich diese Dorfgemeinschaft in ihrer sozialen Konstellation <strong>und</strong><br />
in ihrem praktischen Handeln angesichts drückender, sich ständig verschärfender<br />
Ungleichheiten <strong>und</strong> Benachteiligungen, angesichts offenbar unabwendbarer Krisen <strong>und</strong><br />
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Konflikte, angesichts aggressiver werdender f<strong>und</strong>amentalistischer Strömungen <strong>und</strong> sogar<br />
militanten Widerstands gegen die hegemoniale amerikanisch-europäische, ‘weiße’<br />
Lebensweise kaum verwirklichen dürfte <strong>und</strong> die relevanten Zonen eher heterogenen,<br />
anonymen <strong>und</strong> risikoreichen ‘cities’ gleichen, scheint dem – zumindest verbalen – Ideal<br />
des digitalen Dorfes keinen Abbruch zu tun (Huntington 1996).<br />
Zentraler technischer Antrieb dieses Wandels ist zum einen die Digitalisierung, d. h. die<br />
rasche <strong>und</strong> letztlich totale Umwandlung aller Informations- <strong>und</strong> Kommunikationsprozesse<br />
in computertaugliche Codes <strong>und</strong> Formate, zum anderen die globale Vernetzung via<br />
Satelliten <strong>und</strong> Internet, womit die um den Globus zirkulierenden Daten blitzschnell<br />
verbreitet, gespeichert <strong>und</strong> bearbeitet werden. Räumliche Entfernungen werden<br />
tendenziell aufgehoben, <strong>und</strong> auch zeitliche Verzögerungen schrumpfen auf Bruchteile, die<br />
“Transportmetapher” (Meckel 2001, 26) habe ausgedient; der utopische Traum, dass jede<br />
(r) mit jeder (m) auf dieser Welt verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> in Kontakt treten kann, dass<br />
Informationen unbegrenzt verfügbar <strong>und</strong> mindestens symbolischer Austausch unbegrenzt<br />
<strong>und</strong> mit nur minimalen Kosten jederzeit <strong>und</strong> überall hin möglich sind, könnte wahr werden.<br />
Die bislang noch getrennten, sich aber über den digitalen Modus angleichenden<br />
Techniken der Mikroelektronik, der Telekommunikation, der Netzwerke <strong>und</strong> des<br />
R<strong>und</strong>funks konvergieren zu Multimedia – wie das Schlagwort dafür heißt –, ohne dass<br />
deren künftige materielle <strong>und</strong> mediale Optionen alle schon erkennbar sind. Möglich wird<br />
jedenfalls die Aufhebung der Einseitigkeit, wie sie für die etablierte <strong>Massenkommunikation</strong><br />
vom Sender zum Empfänger charakteristisch ist, möglich wird also Interaktivität, die<br />
ähnlich wie bei der personalen Kommunikation jeden Teilnehmer technisch<br />
gleichberechtigt kommunizieren lässt. Möglich wird auch die vielfältige Kombination aller<br />
denkbaren Zeichensysteme, also von Schriften, Grafiken, Tönen, statischen <strong>und</strong><br />
bewegten Bildern, <strong>und</strong> deren je individuelle Komposition in so genannten Hybridmodi <strong>und</strong><br />
-medien, so dass professionell produzierte Programme nur noch Optionen darstellen, die<br />
auf Bedarf abgerufen, aber auch jeweils verändert werden können.<br />
Dadurch dürften sich ebenso überkommene Besitz- <strong>und</strong> Produktionsstrukturen in der<br />
<strong>Medien</strong>branche allmählich verändern: Ältere Produktionsformen wie traditionelle<br />
Buchverlage <strong>und</strong> -handlungen mögen an Umsatz <strong>und</strong> kulturellem Gewicht verlieren, da<br />
Gedrucktes verdrängt <strong>und</strong> schriftliche Informationen über elektronische Netze angeboten<br />
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bzw. kommuniziert werden. Auch der professionelle Journalismus wandelt sich, löst sich<br />
zumindest in vielerlei Facetten auf, so dass angestammte Ressorts <strong>und</strong> Redaktionen<br />
erodieren (Weischenberg u. a. 1994; Altmeppen u. a. 2000). Mit ihnen konkurrieren<br />
Konzepte <strong>und</strong> Produktionen elektronischer Software, <strong>und</strong> zwar sowohl als fixierte<br />
Programme wie auch als in den Netzen flottierende Anwendungs- <strong>und</strong><br />
Navigationssoftware, um die immensen Datenmassen zu handhaben <strong>und</strong> aufzuspüren.<br />
Auch sämtliche Formen informatorischer Dienstleistung bis hin zu Public Relations <strong>und</strong><br />
Werbung verzeichnen Verschiebungen in ihren Formaten <strong>und</strong> wechselnde<br />
Wachstumsraten. Schließlich nehmen Optionen zu, ganze Wirklichkeitsbereiche<br />
multimedial zu reproduzieren, zu simulieren bzw. zu virtualisieren, so dass sie nicht mehr<br />
unmittelbar erfahren werden müssen, <strong>und</strong> elektronische Vergegenwärtigungen oder<br />
Entwürfe von ihnen vielfach faszinierender, womöglich sogar echter erscheinen als die<br />
realen Vorlagen. In unzähligen Computerspielen werden diese virtuellen Welten<br />
(“cyberspaces”) paradigmatisch vervollkommnet, aber auch in der Industrie, im Design,<br />
der Architektur, dem Städtebau, in der Kosmetik (bis hin zum Friseur), der Medizin <strong>und</strong> in<br />
Konsumbereichen (wie Möbel, Schneidereien etc.) werden sie zunehmend eingesetzt.<br />
In abstrakten Termini gesprochen, multiplizieren, vernetzen <strong>und</strong> durchdringen sich die<br />
<strong>Medien</strong>, ihre Funktionsweisen werden vielfältiger <strong>und</strong> hybrid auf digitaler Basis, sie<br />
reichen in alle gesellschaftlichen <strong>und</strong> alltäglichen Bereiche hinein, verändern <strong>und</strong>/oder<br />
übernehmen Aufgaben <strong>und</strong> Tätigkeiten. Diese werden immer weniger direkt, materiell <strong>und</strong><br />
zwischen Menschen erledigt, sondern mediatisiert durch technische Lösungen <strong>und</strong><br />
medialisiert durch elektronische Repräsentationen, <strong>und</strong> unter den obwaltenden<br />
ökonomischen Konstellationen werden damit sowohl diese Tätigkeiten rationalisiert,<br />
beschleunigt <strong>und</strong> intensiviert, als auch neue Produkte erzeugt <strong>und</strong> neue Märkte<br />
erschlossen werden. Die Programme bzw. die Software dafür werden zugleich universell<br />
wie individuell, sie sind jeweils flexibel zu modellieren <strong>und</strong> zu handhaben, damit passende<br />
Lösungen möglich werden. Dass bei solch einschneidendem Wandel die kuranten<br />
<strong>Begriffe</strong> nicht mehr allgemein <strong>und</strong> überzeugend auf Dauer festgeschrieben werden<br />
können bzw. jeweils neue erprobt oder ältere mit neuen Inhalten ventiliert werden,<br />
versteht sich. Dadurch verlieren auch bislang anerkannte Fachtermini <strong>und</strong> <strong>Modelle</strong> an<br />
Gültigkeit <strong>und</strong> Relevanz, so dass manche von ihnen nur noch unter Vorbehalt <strong>und</strong> nicht<br />
mehr mit uneingeschränkter Nachhaltigkeit anzusehen sind. Schon ein Reflex darauf ist,<br />
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dass sich nicht mehr unbeirrt von “<strong>Massenkommunikation</strong>” sprechen lässt, sondern<br />
inzwischen breitere <strong>und</strong> weniger belastetere <strong>Begriffe</strong> wie “<strong>Medien</strong>kommunikation” oder<br />
“mediale Kommunikation” vorgezogen werden (Krotz 1995; Kübler 2000a).<br />
2. Ein kurzer Abriss der <strong>Medien</strong>geschichte<br />
Bei soviel Zukunftsgewandtheit <strong>und</strong> auch -unsicherheit empfiehlt es sich, sich knapp<br />
mediengeschichtlicher Marksteine zu versichern, um sowohl relevante Veränderungen<br />
erkennen zu können als auch historische Kontinuitäten festzuhalten <strong>und</strong> aus beiden<br />
Perspektiven theoretische wie begriffliche Orientierungen zu gewinnen. Denn<br />
“paradoxerweise bleibt die Vergangenheit das nützlichste analytische Werkzeug für die<br />
Bewältigung eines konstanten Wandels” (Hobsbawm 2001, 35). Rückblickend werden<br />
inzwischen mindestens drei große Phasen der <strong>Medien</strong>geschichte angesetzt, die<br />
insgesamt die immense Beschleunigung, Verdichtung <strong>und</strong> Vervielfältigung der<br />
<strong>Medien</strong>entwicklung erkennen lassen:<br />
Mit der Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts beginnt die erste<br />
Phase der <strong>Medien</strong>geschichte (sofern der <strong>Medien</strong>griff eine technische Komponente<br />
berücksichtigt <strong>und</strong> nicht universell verstanden wird). Gutenbergs Erfindungen bewirken die<br />
Mechanisierung der Schriftproduktion durch die Herstellung, den Guss wieder<br />
verwendbarer, “beweglicher” Lettern, der Druckerschwärze sowie der Verwirklichung in<br />
der Setzerei; sie setzt aber auch die Produktion neuen Trägermaterials, des Papiers,<br />
voraus, beschleunigt die mechanische Vervielfältigung durch die Druckerpresse <strong>und</strong> lässt<br />
erste professionelle <strong>Medien</strong>produzenten (Drucker, Setzer, Binder, Verleger) entstehen.<br />
Ihre Genialität liegt also weniger in einer technischen Erfindung als in der Kombination<br />
<strong>und</strong> zweckorientierten Ausrichtung verschiedener Techniken, die teilweise schon bekannt<br />
sind, um das Ziel <strong>und</strong> den Bedarf einer rekursiven Reproduktionsweise, der<br />
Mechanisierung <strong>und</strong> Verbreitung der Schrift, zu erfüllen. Außerdem begünstigt sie die<br />
weitere Herausbildung spezieller, allmählich anerkannter Wort- <strong>und</strong> Schriftproduzenten,<br />
der Autoren <strong>und</strong> Journalisten. Ferner etablieren sich vielfältige Distributionswege<br />
(Messen, Buchverkauf, Kolporteure) <strong>und</strong> textliche Diversifizierungsformen der zunächst<br />
aufwendig herzustellenden Druckmedien (Buch <strong>und</strong> seine Gattungen, Flugblatt, Kalender,<br />
Heft, Zeitung, Zeitschrift etc.).<br />
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Entlang den Verkehrswegen entstehen vergleichsweise rasch weitere Druckereien,<br />
gewissermaßen werden sie die ersten Nachrichtenstationen. Auf Messen – etwa in<br />
Frankfurt/M. später in Leipzig – werden die Drucke fassweise feilgeboten, Kolporteure<br />
tragen sie im Bauchladen durch die Lande, die `aktuellen', rasch verderblichen<br />
Geschichten werden als Flugblatt, Spruchbild, Heft, Kalender <strong>und</strong> andere Gebrauchstexte<br />
verhökert <strong>und</strong> dem leseunk<strong>und</strong>igen Publikum vorgelesen. Aus ihnen entwickeln sich<br />
allmählich die periodischen Druckmedien, in der ersten Dekade des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
ersten Zeitungen (dokumentiert ab 1609 in Wolfenbüttel (Aviso) <strong>und</strong> in Straßburg<br />
(Relation), ab 1650 die Einkommenden Zeitungen als erste Tageszeitung in Leipzig).<br />
Etwa 60 bis 70 Zeitungen gibt es im deutschsprachigen Raum, mit einer geschätzten<br />
Gesamtauflage von 20.000 bis 30.000 Exemplaren pro Erscheinungsintervall <strong>und</strong> einer<br />
hochgerechneten Leserschaft von 200.000 bis 300.000 Menschen. Zeitschriften, gelehrte<br />
wie populäre, kommen vorzugsweise im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert hinzu <strong>und</strong> verkörpern Ansporn<br />
<strong>und</strong> Geist der Aufklärung, den Aufbruch der Wissenschaften wie die Herausbildung des<br />
Bürgertums als nunmehr selbstbewusste, tonangebende Klasse. Verbreitung <strong>und</strong><br />
Rezeption befördern Qualifizierungen (allmähliche Verbreitung der Lesefähigkeit,<br />
Bildungsanstrengungen) <strong>und</strong> Profilierung des Publikums sowie einzelner Gruppen in ihm<br />
wie der Frauen, der ‘niederen Stände’ <strong>und</strong> der Jugend; sie regen auch zu neuen<br />
Gesellungsformen, in den Lesegesellschaften <strong>und</strong> bürgerlichen Salons, an (Hunziker<br />
1988, 5; Wilke 2000a).<br />
Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts lässt sich die zweite Phase der <strong>Medien</strong>entwicklung markieren;<br />
es beginnt die Phase der Massenmedien: zunächst mit der Rationalisierung der<br />
Produktion von Druckmedien durch Schnell- (seit 1811) <strong>und</strong> Rotationspresse (seit 1848)<br />
<strong>und</strong> der automatischen Zeilensetzmaschine Ottmar Mergenthalers (1854-1899), der<br />
Linotype, seit 1883. Es folgen erstmals ‘neue <strong>Medien</strong>’, die weitere Kommunikationsformen<br />
ermöglichen <strong>und</strong> die vorhandenen diversifizieren: Die Fotografie erlaubt seit Ende der<br />
1830er Jahre die mechanische Reproduktion von Wirklichkeit in Bildern, bald nach Beginn<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts lassen sie sich auch im massenhaften Druck reproduzieren, <strong>und</strong> es<br />
entstehen Pressefotografie <strong>und</strong> Fotojournalismus (“Illustrierte”). Die Telegrafie (durch<br />
Samuel Morse seit 1840) beschleunigt <strong>und</strong> verdichtet seit Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
Nachrichtenübermittlung <strong>und</strong> erzeugt die Vorstellung wie den Anspruch von Aktualität <strong>und</strong><br />
den weltumspannenden Informationsaustausch. Ein Markt für Nachrichten formiert sich<br />
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allmählich, den sich Nachrichtenagenturen wie Reuters (England), Havas (Frankreich)<br />
<strong>und</strong> das Wolff’sche Telegrafenbüro (Deutschland) um 1870 oligopolistisch aufteilen <strong>und</strong><br />
so erstmals Konturen globaler Nachrichtenkartelle erkennen lassen (Wilke/Rosenberger<br />
1991; Wilke 1993; 2000b; Prokop 2001, 198ff).<br />
Insgesamt werden in den ersten beiden Phasen der <strong>Medien</strong>geschichte Daten bzw.<br />
Informationen analog codiert, d. h. sie werden für den Transport, die Speicherung<br />
<strong>und</strong>/oder für die Präsentation von einem materiellen Zustand in einen anderen verwandelt.<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts werden die fotografischen Bilder beweglich, der Film entsteht<br />
<strong>und</strong> bewirkt als bald attraktives, unterhaltsames Massenmedium eine spezielle, sich rasch<br />
monopolisierende Industrie, zunächst in New York, später in Hollywood (Ebd., 240ff).<br />
Zusammen mit der sich rasant entwickelnden <strong>und</strong> sich beschleunigenden<br />
Zeitungsproduktion formieren sich in Deutschland die ersten <strong>Medien</strong>konzerne (z. B.<br />
Hugenberg, Ullstein, Scherl u. a.), die Märkte <strong>und</strong> Köpfe zu beherrschen trachten. Die<br />
Telegrafie wird (ab 1897 durch Guglielmo Marconi) drahtlos <strong>und</strong> wandelt sich Anfang der<br />
20er Jahre zum ersten elektromagnetischen Programmmedium, dem Hörfunk. Seit den<br />
1870er Jahren (durch Johann Philipp Reis, 1861, <strong>und</strong> Alexander Graham Bell, 1876)<br />
lassen sich Laute <strong>und</strong> Geräusche elektrisch über Leitungen transportieren, das Telefon<br />
wird das erste, sich schnell verbreitende technische Transportmittel für direkte, personale<br />
Kommunikation – wobei allerdings seine spezielle Nutzung nicht gleich feststeht, sondern<br />
sich erst allmählich herausschält (Flichy 1994, 137ff).<br />
Neben den technischen Innovationen wird der private Konsum immer wichtiger.<br />
Endgeräte kommen in die Haushalte, sie dienen der Verbreitung (Emission), Speicherung<br />
wie der adressatenorientierten Gestaltung medialer Botschaften. Der durch die<br />
nationalsozialistische Propagandapolitik forcierte <strong>und</strong> billig verbreitete “Volksempfänger”<br />
wird zu einem solchen Massenartikel, so dass sich innerhalb von fünf Jahren, von 1934<br />
bis 1939, die Teilnehmerzahlen von fünf auf zehn Millionen verdoppeln. Die <strong>Medien</strong> bzw.<br />
ihre privaten Endpunkte veralltäglichen sich, sie konstituieren <strong>und</strong> popularisieren den<br />
Prozess der <strong>Massenkommunikation</strong> insofern, als über sie die öffentlichen,<br />
professionellen, eben journalistischen Mitteilungen empfangen werden, die den<br />
Rezipienten über das alltägliche Kommunikationsverhalten hinaus keine zusätzlichen<br />
Fähigkeiten abverlangen (Hunziker 1988, 6). Die wachsende Werbung wird zum<br />
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Katalysator zwischen <strong>Medien</strong>industrie, -inhalten <strong>und</strong> Konsum. Die Produktion der Geräte<br />
industrialisiert sich zunehmend <strong>und</strong> benötigt entsprechend Investitionskapital: Nach dem<br />
Walzenphonographen (1877) von Thomas A. Edison (1847-1931) <strong>und</strong> der Schellackplatte<br />
(1897) entwickelt sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
Tonaufzeichnung auf Schallplatte zum ersten populären Musikmarkt, der allerdings erst<br />
mit der Langspielplatte (1947) zur ansprechenden Qualität <strong>und</strong> erforderlichen Kapazität<br />
gelangt.<br />
Ebenfalls in den letzten Dekaden des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts werden die ersten privat nutzbaren<br />
Fotokameras zur Marktreife entwickelt: 1888 die Kodak-Boxkamera, 1895 die Pocket<br />
Kodak Kamera, sie geht als erste in Massenserie; danach folgt die 8-mmFilmkamera (ca.<br />
1926). Für den Audiosektor werden das Tonbandgerät (ca. 1935), der<br />
Tonkassettenrecorder (ca. 1963) verfügbar; sie haben mit C(ompact)D(isc)Recorder (seit<br />
1981) <strong>und</strong> D(igital)A(udio)T(ape) (seit 1986) ihre digitale Weiterentwicklung erfahren.<br />
Davor noch verbreitet sich seit den frühen 50er Jahren das Fernsehen. Seit 1967 wird es<br />
farbig, <strong>und</strong> seit Mitte der 80er Jahre lässt es nicht mehr nur über terrestrische<br />
Frequenzen, sondern auch über Kabel <strong>und</strong> Satellit verbreiten. Dadurch erhöht <strong>und</strong><br />
internationalisiert sich sein Kanalangebot erheblich; in Deutschland wird es zudem<br />
privatisiert, so dass die nach 1945 von den Alliierten Siegermächten eingeführte Struktur<br />
des öffentlich-rechtlichen R<strong>und</strong>funks zum “dualen System” transformiert. In dieser Struktur<br />
konkurriert der öffentlich-rechtliche R<strong>und</strong>funk, der nach gr<strong>und</strong>legenden Urteilen des<br />
B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts für die “Gr<strong>und</strong>versorgung” unverzichtbar verantwortlich ist<br />
<strong>und</strong> sich vornehmlich aus Gebühren aller R<strong>und</strong>funkteilnehmer trägt, mit<br />
privatkommerziellen Anbietern, die einen weniger anspruchsvollen <strong>und</strong> umfassenden<br />
Programmauftrag zu erfüllen haben <strong>und</strong> sich ausschließlich aus Werbeeinnahmen<br />
finanzieren. Auch für das Fernsehen steht in der ersten Dekade des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
digitale Übertragung an, die seit 1996 technisch möglich ist. Seit März 2003 wird seine<br />
Einführung zunächst in Berlin, dann auch anderswo erprobt. Bis 2010 soll es<br />
flächendeckend eingeführt sein. Seine private Reproduktion bewerkstelligen Videotape<br />
bzw. Videokassette, Videorecorder (seit ca. 1967) <strong>und</strong> Videokamera (seit ca. 1978), die<br />
ebenfalls vor ihrer digitalen Transformation – etwa durch die DVD (digital versatile disc) –<br />
stehen.<br />
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Die dritte Phase der <strong>Medien</strong>geschichte lässt sich etwa ab den 1940er Jahren ansetzen:<br />
Aus dem jahrh<strong>und</strong>ertealten Streben der Menschen, mechanisch rechnen, Daten <strong>und</strong><br />
Zahlen speichern zu können, entwickeln Pioniergeister wie Alan M. Turing (1912-1954) ab<br />
1936 <strong>und</strong> Konrad Zuse (1910-1995) ab 1937 die ersten Universalrechner bzw.<br />
Relaiscomputer. 1945 wird mit ENIAC der erste Röhrencomputer gebaut, Mitte der 50er<br />
Jahre entstehen integrierte Schaltkreise in Halbleitertechnik, ab Ende der 60er Jahre<br />
Teleprocessing <strong>und</strong> Mikroprozessoren. Mit den 70er Jahren beginnt die Revolution des<br />
Personal Computers durch Microsoft (ab 1975) <strong>und</strong> Apple (ab 1976), in den 80er Jahren<br />
werden die Kapazitäten bis hin zum 486er PC enorm gesteigert. Mit I(ntegrated)S(ervices)<br />
D(igital)N(etwork) steht ab 1985 erstmals ein Leitungsnetz zur Verfügung. In den 90er<br />
Jahre lösen Pentium-Prozessoren die hergebrachten Chip-Rechner ab, <strong>und</strong> mit dem<br />
Internet steht nun einem ständig wachsenden Publikum ein weltweiter Daten-Highway zur<br />
Verfügung. Vernetzte Computer lösen zunehmend den solitären PC mit Festplatte <strong>und</strong><br />
Disketten ab.<br />
Die technische Entwicklung des Internet beginnt Ende der 60er Jahre – <strong>und</strong> zwar wie bei<br />
den meisten <strong>Medien</strong> im militärischen Kontext (Kühler 1986; Eurich 1991). Die atomare<br />
Aufrüstung der beiden Supermächte, ihr Wettlauf im Weltall sowie die wachsende<br />
Notwendigkeit eines weltumfassenden Information- <strong>und</strong> Kommandonetzes lassen das<br />
Pentagon, das amerikanische Verteidigungsministerium, nach einer neuartigen<br />
Vernetzung suchen, die weitgehend vor feindlichen Angriffen schützt <strong>und</strong> auch noch nach<br />
dem befürchteten atomaren Erstschlag funktionieren würde. Es vergibt dafür an seine<br />
1958 eigens dafür gegründete Unterbehörde – genannt “DAPRA” (Defence Advanced<br />
Research Project Agency) – einen Projektauftrag, die daraufhin bis 1969 das APRANET<br />
entwickelt. Ende 1969 wird Telnet (Telecommunication Network), der erste Vorläufer von<br />
Online-<strong>Medien</strong>, installiert. Es arbeitet erstmals nach dem neuartigen Client-Service-<br />
Prinzip, wonach jeder Rechner jeden anderen als Terminal benutzen kann. Mit dem<br />
Anfang Juli 1972 entwickelten Programm FTP (File Transfer Protocol) ist es vollends<br />
erreicht, dass zwei Rechner quasi miteinander kooperieren können, ohne dass der eine<br />
zum Terminal des anderen degradiert wird. Damit steht weltweit eine völlig dezentrale,<br />
beliebig kombinierbare Vernetzung zur Verfügung, die zudem die Daten nur<br />
portionsweise, gewissermaßen in kleinen Paketen, übermittelt: das Internet – als<br />
Sammelbegriff für die nun wachsenden diversen Dienste. Ihre Ausschaltung hätte nicht<br />
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mehr durch zentrale Schläge bewerkstelligt werden können. Doch die inzwischen<br />
eingetretene politische Entspannung mit der Beendigung des Kalten Krieges reduziert die<br />
militärischen Bedarfe <strong>und</strong> ermöglicht zivile Nutzungen. Schon 1971 bedienen sich mehr<br />
als dreißig US-amerikanische Universitäten des APRANET für ihre<br />
Kommunikationszwecke.<br />
Der Durchbruch als privates Online-Medium kommt, als über dieses Netz ebenfalls<br />
Anfang der 70er Jahre elektronische Post (E-Mail) verschickt werden kann. Ab 1983 wird<br />
mit TCP (Transmission Control Programm) die einheitliche Adressierung der Rechner, das<br />
erste “echte Netzvernetzungsprotokoll”, möglich (Winter 2000, 284ff). Ebenfalls im Jahr<br />
1983 gibt das Pentagon das Internet vollends für die zivile Nutzung frei, überall entstehen<br />
lokale Netze, <strong>und</strong> auch erste kommerzielle Nutzungen werden erprobt. Der gewaltige<br />
Boom verlangt immer weitere Standardisierungen, mit der Einführung des Domain-Name-<br />
Systems <strong>und</strong> dem eigenen Internet-Protokoll (IP), das mit TCP verkoppelt wird, eröffnen<br />
sich ab 1984 weitere Nutzungsmöglichkeiten von E-Mail <strong>und</strong> Usenet, über das<br />
Nachrichten getauscht werden können. Sprunghaft steigt nun die Zahl der Hosts – das<br />
sind Rechner mit zentralen Dienstleistungen für alle Netzteilnehmer bzw. für das Netz:<br />
1984 sind es noch um die 1000, 1992 bereits ca. 772.000, die in ca. 17.000 Domains in<br />
4526 Netzwerken aus 42 Ländern in das Internet integriert sind (Ebd., 287). Doch ihre<br />
ausschließliche textbasierte Nutzung ist bis dahin vornehmlich eine Sache für Experten<br />
<strong>und</strong> Freaks, die sich mit den jeweils erforderlichen Befehlssystemen auskennen. Ab 1992<br />
ändert sich diese Beschränkung gr<strong>und</strong>sätzlich: Das World-Wide-Web (WWW) oder der<br />
WWW-Browser machen das Internet benutzerfre<strong>und</strong>lich, <strong>und</strong> diese Instrumente stehen<br />
deswegen heute – zumindest im alltäglichen Verständnis – als Synonym für alle Dienste<br />
des Internet. Die Entwicklung des WWW wird im europäischen Kernforschungszentrum<br />
(CERN) in der Schweiz von einem Forscherteam unter der Leitung von Tim Berners-Lee<br />
vollbracht, das sein Ziel, Computerdaten den Nutzer leichter zugänglich zu machen, mit<br />
dem seit längerem bekannten Konzept nichtlinearer Hyper-Texte verwirklicht. Dafür<br />
müssen zusätzlich zu TCP/IP ein Hyper Text Transfer Protocol (HTTP), eine neue<br />
Seitenbeschreibungssprache Hyper Text Markup Language (HTML) sowie eine neue, auf<br />
dem IP aufbauende Adressierung, ein Universal Resource Locater (URL), entwickelt<br />
werden. Mit ihnen wird eine nichtlineare, individuell optionale Strukturierung von Daten<br />
möglich, die mit einer URL hinterlegt werden <strong>und</strong> mittels Mausklick anzusteuern <strong>und</strong> zu<br />
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laden sind. Außerdem lassen sich Verweise oder “Links” individuell nutzen: 1992 wird<br />
deshalb zum Startjahr der breiten <strong>und</strong> individuellen Internet-Nutzung weltweit, nicht zuletzt<br />
weil in diesem Jahr mit der Gründung der Internet Society (ISOC) eine globale Instanz zur<br />
verantwortliche Koordinierung <strong>und</strong> Standardisierung tätig werden kann. Sie hat aber<br />
keinerlei Eigentums- oder Interventionsbefugnis.<br />
1993 konstruiert der 22jährige Student Mark Andreessen den WWW Browser, X-Mosaic,<br />
später Netscape genannt. Über seine benutzerfre<strong>und</strong>liche Bedienungsoberflächen<br />
können nun auch Bildinformationen aus dem Internet abgerufen werden. Seine Nutzung<br />
wird neben E-Mail von den damals schon über zehn Millionen Teilnehmern am häufigsten<br />
wahrgenommen, denn Internet ist nun nicht mehr das Medium für Experten, sondern<br />
verbreitet sich rasant in Beruf <strong>und</strong> Alltag. 1994 überr<strong>und</strong>en die kommerziellen Hosts<br />
(.com) die Zahl der wissenschaftlichen (.edu), <strong>und</strong> ihre Gruppe wächst seither am<br />
schnellsten, so dass die Hosts inzwischen einige zig Millionen zählen. Ebenso haben<br />
WWW-Sites alle anderen Netzdokumente an Zahl <strong>und</strong> Umfang um das Vielfache<br />
überr<strong>und</strong>et, so dass das WWW heute als das größte “Massen”-Medium weltweit gelten<br />
kann. Im Jahr 2001 sollen weltweit r<strong>und</strong> 400 Mio. Menschen über einen Internet-Zugang<br />
verfügt haben, allerdings vorwiegend in westlichen <strong>und</strong> westlich orientierten Ländern.<br />
Längst ist Netscape nicht mehr der einzige Web-Browser. Sein heftigster Konkurrent ist<br />
seit Ende 1997 der Explorer, den der PC-Monopolist Microsoft technisch verspätet, aber<br />
marktwirksam ins Rennen schickte. Daneben existieren noch etliche kleinere, die ihre<br />
spezielle Leistungsfähigkeit haben. Immens sind die Erwartungen, grandios die<br />
Prognosen, die dem so genannten E-Business, bald als “new economy” gefeiert, mit<br />
diesen universellen, zugleich beliebig spezifizier- <strong>und</strong> individualisierbaren Online-<br />
Kommunikations- <strong>und</strong> Interaktionsnetzen zugeschrieben werden: Eine gänzlich neue,<br />
eben nicht mehr materielle, sondern auf immateriellen Datentransfer <strong>und</strong><br />
Informationsaustausch beruhende Infrastruktur – <strong>und</strong> dies zudem weltweit – wird<br />
annonciert, die Wirtschaft, Handel, Politik, Alltag, Konsum <strong>und</strong> Freizeit gr<strong>und</strong>legend<br />
umkrempelt.<br />
Am auffälligsten ist dieser Boom inzwischen bei der mobilen Telefonie – vulgo: Handy –<br />
ersichtlich. Nach technischen Vorläufern seit den 50er Jahren schafft den Durchbruch das<br />
digitale zellulare Netz (GSM = Groupe Spécial Mobile, ein Zusammenschluss von<br />
11
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Telekommunikationsfirmen aus 26 europäischen Ländern) seit Ende der 80er Jahre in<br />
fast 200 Ländern zugleich: 1992 gehen die beiden Konkurrenten D 1 (Telekom) <strong>und</strong> D 2<br />
(Mannesmann) auf den Markt. Die Zuwachsraten explodieren in wenigen Jahren, so dass<br />
inzwischen bei etwa 40 Mio Teilnehmern eine Sättigung erreicht sein dürfte. Mit dem<br />
neuen Kapazitätsstandard UMTS (Universal Mobile Telecommunications System), deren<br />
Lizenzen die Anbieter in Deutschland für fast 50 Milliarden € vom Staat ersteigern<br />
müssen, sucht die Branche die Integration von Computer, Internet, Video <strong>und</strong> Telefonie,<br />
mindestens auf dem handlichen Display zu erzielen.<br />
Inzwischen haben etliche dieser Visionen konjunkturelle Dämpfer erlitten; die “new<br />
economy” gilt als gescheitert oder hat sich als zwar nützlicher, aber nicht substituierender<br />
Faktor der Wirtschaft erwiesen, den die “old economy” zur weiteren Expansion,<br />
Fusionierung <strong>und</strong> Effizienzsteigerung integriert. Mit Daten <strong>und</strong> Werbung allein lässt sich<br />
wohl auf Dauer keine eigenständige, immense Wertschöpfung betreiben, wie viele<br />
Internet-Anbieter – nicht zuletzt die ‘online’ gegangenen <strong>Medien</strong>betreiber selbst –<br />
erfahren müssen. Gleichwohl sind WWW <strong>und</strong> Internet aus dem gewerblichen wie privaten<br />
Alltag nicht mehr wegzudenken <strong>und</strong> werden ihre technischen wie kommunikativen<br />
Weiterentwicklungen gewärtigen, wenn auch nicht mehr in der Rasanz <strong>und</strong> den<br />
gigantischen Ausmaßen, wie ihnen vor wenigen Jahren noch prognostiziert wurde<br />
(Kubicek 1998; Münker/Roesler 1997; 2002).<br />
Aus medientechnischer Sicht besteht weitgehend Einigkeit, dass mit Gutenbergs<br />
Drucktechnik <strong>und</strong> den daraus folgenden Veränderungen für Schrift, Kommunikation <strong>und</strong><br />
Kultur die erste Kommunikationsrevolution erfolgt ist, über deren strukturellen<br />
Auswirkungen seither unentwegt räsoniert wird, nicht zuletzt aus heutiger Sicht, mit Blick<br />
auf die anstehenden Transformationen: nicht nur hinsichtlich der Entstehung des<br />
modernen Literaturmarktes, der Entwicklung der Printmedien <strong>und</strong> der Verbreitung der<br />
Lesefähigkeit, sondern auch <strong>und</strong> vor allem hinsichtlich der Herausbildung der<br />
Wissenschaften, von Tradition <strong>und</strong> der Kultur – etwa der Renaissance der Antike –, der<br />
Formierung des Bürgertums <strong>und</strong> seiner politischen Forderungen nach Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />
Demokratie sowie der Entwicklung individuellen Bildung bis hin zu Fähigkeiten der<br />
sequenziellen Wahrnehmung <strong>und</strong> des logischen Denkens.<br />
12
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Ob man die Phase ab Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, in der<br />
sich die modernen Massenmedien – also Massenzeitung, Kinofilm, Hörfunk <strong>und</strong><br />
Fernsehen – formieren <strong>und</strong> – zusammen mit dem Modell der Massengesellschaft – das<br />
Phänomen der <strong>Massenkommunikation</strong>, also der technischen, einseitigen, diffusen<br />
Verbreitung professioneller <strong>Medien</strong>produkte an ein “disperses” Massenpublikum,<br />
konstituieren, als zweite Kommunikationsrevolution, aufwerten oder eben nur als<br />
technische Weiterentwicklung, mithin als Elektrifizierung, Kombination sowie<br />
optoelektrische Integration von Texten, Tönen <strong>und</strong> Bildern registrieren will, wird<br />
unterschiedlich beurteilt. Jedenfalls prägt die <strong>Massenkommunikation</strong> die moderne<br />
Gesellschaft, Kultur <strong>und</strong> Kunst nachhaltig, erzeugt Standarisierung, transnationale<br />
Uniformität wie neue Ausdrucksformen, lässt die parlamentarische zur <strong>Medien</strong>demokratie<br />
mutieren, katapultiert die <strong>Medien</strong>industrie mit an die Spitze ökonomischer Wertschöpfung,<br />
bringt eine Vielzahl von <strong>Medien</strong>berufen hervor <strong>und</strong> expandiert Werbung zum<br />
omnipräsenten Ferment für Konsum, aber auch für viele anderen Lebensbereiche, vom<br />
Sport bis hin zur Kunst.<br />
Mit der Entwicklung der Mikroelektronik, Telekommunikation <strong>und</strong> weltweiten Vernetzung<br />
ist die dritte Kommunikationsrevolution voll im Gang. Technisch löst sie die analoge<br />
Übertragung durch die digitale ab, die unbegrenzte Speicherung <strong>und</strong> Übertragung,<br />
egalitäre Konversion in alle Formate <strong>und</strong> beliebige Multimedialität, Interaktivität <strong>und</strong><br />
permanenten Rollentausch, Echtzeit <strong>und</strong> Virtualität ermöglicht.<br />
Kommunikationssoziologisch hebt sich die überkommene Dualität von interpersonaler <strong>und</strong><br />
<strong>Massenkommunikation</strong> auf, das Massenpublikum segmentiert nicht nur in spezielle<br />
Zielgruppen, am PC <strong>und</strong> Internet individualisiert es sich in einzelne User, die ebenso via<br />
E-Mail, Homepages, Chatrooms <strong>und</strong> Newsgroups kommunizieren wie sie weiterhin<br />
professionelle Produkte rezipieren; als MUDs (Multi User Dungeos) beteiligen sie sich an<br />
(Rollen)Spielen <strong>und</strong> virtuellen Welten.<br />
Immer kleiner, flexibler, leistungsfähigen <strong>und</strong> billiger werden die elektronischen Geräte,<br />
bis sie letztlich in andere Geräte integriert oder gar in menschliche Körperteile implantiert<br />
werden: Vom gigantischen Zentralcomputer führt die Entwicklung durch ständig<br />
steigenden Kapazitätszuwachs, gleichzeitige Verkleinerung der Hardware, enorme<br />
Komplexitätssteigerung der Software, durch Preis- <strong>und</strong> Kostenreduzierung zum isolierten<br />
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PC, dann zu den digitalen Netzen <strong>und</strong> endlich zur möglichst vollständigen, automatisierten<br />
(“intelligenten”) Schnittstelle bzw. Integration aller Informations- <strong>und</strong><br />
Kommunikationsaufgaben durch Multimedia, worin nicht nur PC <strong>und</strong> <strong>Medien</strong> konvergent<br />
einbezogen, sondern womit künftig auch weitere ‘informative’ bzw. wissensbasierte<br />
Dienstleistungen bewerkstelligt werden, wie es der Gründer von Microsoft, Bill Gates (u. a.<br />
1995; 1997), in seinen eigenem Haus, mehr noch in seinen Visionen antizipiert.<br />
Immer rasanter vollziehen sich auch Innovationen <strong>und</strong> Verbreitungen: Brauchte es noch<br />
38 Jahre, bis 50 Mio. Menschen ein Radio-Apparat hatten, 13 Jahre, bis sie über ein<br />
Fernsehgerät verfügten, so dauerte es nur noch drei Jahre, bis es 50 Mio. Internet-Nutzer<br />
gab. Dennoch existieren die meisten <strong>Medien</strong> aller drei Phasen nebeneinander <strong>und</strong><br />
werden genutzt. Mit jedem neuen technischen Schub haben sich funktionale<br />
Differenzierungen insbesondere in der Nutzung <strong>und</strong> entsprechend in den Formen <strong>und</strong><br />
Inhalten ergeben, aber keines der substanziellen <strong>Medien</strong> ist gänzlich verschw<strong>und</strong>en.<br />
Deshalb sieht die Kommunikationswissenschaft für den <strong>Medien</strong>wandel die von dem<br />
Historiker Wolfgang Riepl (1913) als so genanntes “Gr<strong>und</strong>gesetz der Entwicklung des<br />
Nachrichtenwesens” der Antike früh formulierte Erkenntnis bestätigt, wonach ein neues<br />
Medium ein altes nicht gänzlich verdrängt, sondern sich jeweils neue komplementäre<br />
Funktionen <strong>und</strong> Nutzungsweisen ergeben (Lerg 1981; Kiefer 1989; Berg/Kiefer 1996, 19;<br />
Kiefer 1998, 90; Peiser 1998, 159). Allerdings ist diese These nicht unbedingt auf ein<br />
spezielles Medium bezogen (Faulstich 2002b, 159f), weshalb etliche ihrer technischen<br />
Formate, die zeitbedingt sind, von leistungsfähigeren, robusteren, flexibleren <strong>und</strong><br />
billigeren abgelöst werden: Tonwalze, Schellackplatte, Tonband, Videoband, Lochkarte<br />
<strong>und</strong> Lochstreifen gibt es nicht mehr oder kaum noch. Langspielplatte, Mikrofilm,<br />
Mikrofiche oder 5,25-Zoll-Disketten sind schon fast abgelöst, auch der Film als Kunststoff-<br />
<strong>und</strong> Zelluoidstreifen in Kamera <strong>und</strong> Projektor ist von der digitalen Aufzeichnung bedroht,<br />
ebenso dürfte es bald der Videokassette ergehen (Flichy 1994; Gabriel 1997; Hiebel 1997;<br />
Faßler/Halbach 1998; Hiebel u. a. 1998).<br />
3. ‘Neue <strong>Medien</strong>’ – neue Schlagwörter<br />
Angesichts dieser medientechnischen Vielfalt, des Tempos <strong>und</strong> der Offenheit ihrer<br />
Entwicklung versteht man Kommunikation immer weniger als personalen Austausch,<br />
unmittelbar zwischen Personen <strong>und</strong> ohne technische Hilfsmittel, sondern vornehmlich<br />
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medial, <strong>und</strong> betont oder beklagt die anhaltende Mediatisierung (Mittelbarkeit) oder<br />
Medialisierung aller Lebensbereiche. In den öffentlichen Diskussionen <strong>und</strong> Darstellungen<br />
überbieten sich folglich ständig modische Schlagwörter, die meist wenig analytische<br />
Substanz haben <strong>und</strong> nicht selten wieder verschwinden: Lauteten sie in den achtziger<br />
Jahren noch ‘neue <strong>Medien</strong>’ – gemeint waren damals die neuen Übertragungswege für<br />
Hörfunk <strong>und</strong> Fernsehen, nämlich Kabel <strong>und</strong> Satellit, die freilich zu jenen neuen<br />
Organisationsformen <strong>und</strong> Besitzverteilungen, zur dualen R<strong>und</strong>funkstruktur in Deutschland,<br />
führten –, so sind spätestens seit den 90er Jahren sämtliche elektronischen<br />
Komponenten im Gespräch: zunächst der Personal Computer (PC) <strong>und</strong> neue opto-<br />
elektronische Speicherträger wie CD, CD-ROMs, mitunter auch schon CD-Videos oder –<br />
heute – DVDs (digital versatile disc), inzwischen sind alle digitalen Formen technisch<br />
denkbar oder schon erprobt: für die Fotografie <strong>und</strong> für Video, künftig auch für Hörfunk<br />
(digital audio broadcasting [DAB]) <strong>und</strong> fürs Fernsehen (digital video broadcasting [DVBI).<br />
Hinzu kommen digitale, weltweite <strong>und</strong> dezentrale Übertragungswege mittels Kabel,<br />
Satelliten oder auch Funkstrecken, die sich in Etiketten wie Vernetzung, Online, E-Mail,<br />
Internet, Multimedia niederschlagen <strong>und</strong> Transformationen bewirken oder/<strong>und</strong><br />
befürchteten lassen. Sie beeindrucken oder irritieren durch Schlagwörter wie<br />
Globalisierung der Kommunikation, Datenautobahn (“information highways”), Interaktivität,<br />
vernetztes Denken, virtuelle Welten, Cyberspace, “global village”, die gleichwohl ständig<br />
mit wechselnden Bedeutungen gefüllt werden <strong>und</strong> in den öffentlichen Konjunkturen auf-<br />
<strong>und</strong> absteigen. Letztlich wollen sie – ob spektakulär oder gelassen – anzeigen, dass sich<br />
in den Kommunikations- <strong>und</strong> Verkehrsformen zugleich Gr<strong>und</strong>legendes wie Radikales<br />
ändert <strong>und</strong> sich dadurch die Gesellschaft neu formiert. Wie man diese Veränderungen<br />
bewertet, hängt letztlich von der Position <strong>und</strong> der Einschätzung ab, die man zur Technik<br />
<strong>und</strong> zum sozialen Wandel einnimmt.<br />
Sucht man terminologischen Halt, erweist sich wohl der Begriff des Mediums immer noch<br />
als der gr<strong>und</strong>legendste, mindestens markanteste: Mit ihm wurde bislang die personale,<br />
direkte Kommunikation von der <strong>Massenkommunikation</strong> kategorial getrennt. Gleichzeitig<br />
wurde die Phase seit dem Aufkommen der Massenmedien von der Epoche des<br />
Buchdrucks davor geschieden <strong>und</strong> als die der <strong>Massenkommunikation</strong> bezeichnet, die<br />
primär von den einseitigen Verteilmedien bestimmt wurde <strong>und</strong> wird. Allerdings wird diese<br />
15
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duale Abgrenzung längst nicht von allen geteilt, wie in den Kap. 6.5 <strong>und</strong> 6.7 skizziert wird.<br />
Gerade jene jüngsten Entwicklungen animieren dazu, universelle, überzeitliche, jedenfalls<br />
technikferne <strong>Medien</strong>begriffe zu kreieren <strong>und</strong> durchzusetzen bzw. Kultur- oder gar<br />
Weltgeschichte vorzugsweise als <strong>Medien</strong>geschichte begreifen zu wollen.<br />
Mit dem Computer, der Digitalisierung <strong>und</strong> Vernetzung geht die begriffliche Dualität der<br />
beiden Kommunikationsformen zumindest insofern zu Ende, als die neuen<br />
<strong>Medien</strong>technologien personale <strong>und</strong> mediale Kommunikation auf neue <strong>und</strong> vielfältige<br />
Weise miteinander verknüpfen, letztlich verschmelzen. Diese Tendenz verfolgten zuerst<br />
das Telefon <strong>und</strong> seine Erweiterungen durch Bildschirmtext als zweiseitig, interaktiv<br />
nutzbare Vermittlungsmedien. Die sich nun verbreitenden Online-<strong>Medien</strong>, vor allem<br />
Internet, vervielfältigen <strong>und</strong> vervollkommnen sie.<br />
Ob Internet ein Massenmedium ist oder zu einem wird, ist letztlich wiederum<br />
Definitionssache. Von seiner explodierenden Nutzung, mittlerweile auch von mancher<br />
publizistischen Wirkung her (etwa nach der Verbreitung des Reports von Kenneth W.<br />
Starr 1998 anlässlich der Lewinsky-Affäre von US-Präsident Bill Clinton) lässt es sich als<br />
Massenmedium ansehen <strong>und</strong> wird auch so bereits bezeichnet (Kübler 2000c). Aber es<br />
hält mehr Optionen als die klassischen Verteilmedien parat, da es auch andere, nicht<br />
publizistische Leistungen <strong>und</strong> Dienste integriert <strong>und</strong> damit kommunikative Vermittlungen<br />
ermöglicht. Seine Nutzungsbreite reicht von der Herstellung privater Kontakte mittels E-<br />
Mail, der Einrichtung spezieller Kommunikationskreise, sogenannter Intranets, meist für<br />
gewerbliche Zwecke, der Inanspruchnahme durch mehr oder weniger geschlossene<br />
Foren <strong>und</strong> Newsgroups, bis hin zur Realisierung nichtpublizistischer Dienste wie Online-<br />
Banking, Online-Shopping, Online-Ordering etc., in die jedoch zunehmend Werbung als<br />
öffentliches Element eingelagert ist. Diese Dienste begründen zivilrechtliche, nicht<br />
medienrechtliche Beziehungen unter den Teilnehmern, <strong>und</strong> viele überkommene<br />
Rechtsfragen wie der Schutz der Verbraucher <strong>und</strong> die Urheberschaft für geistige Produkte<br />
sind noch nicht befriedigend geklärt, zumal nicht mit der erforderlichen internationalen<br />
Geltung. Deshalb suchen Gesetzgeber <strong>und</strong> Juristen nach passenden Regeln <strong>und</strong><br />
Vereinbarungen (ARD/ZDF-Arbeitsgruppe 1997, 29ff; vgl. die jeweils aktuellen<br />
Staatsverträge über R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> <strong>Medien</strong>dienste, zuletzt 1. Juli 2002, sowie<br />
Informations- <strong>und</strong> Kommunikationsdienste-Gesetz vom 22. Juli 1997, vgl. Telemediarecht<br />
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2002); für die Europäische Union strebt die EUKommission eher wirtschaftspolitische,<br />
sprich: deregulierende Fassungen an, die alle <strong>Medien</strong> eher als Wirtschafts- denn als<br />
Kulturgüter sehen. Damit ergeben sich nicht unerhebliche Divergenzen zwischen<br />
nationalen <strong>und</strong> europäischen Regelungen (Meckel/Kriener 1996; Dörr 2002).<br />
4. Diverse <strong>Medien</strong>begriffe<br />
Wie bereits ausgeführt, sind Definitionen <strong>und</strong> Qualitäten der <strong>Medien</strong>begriffe recht<br />
vielfältig, von Extremen, Reichweiten <strong>und</strong> Widersprüchen gekennzeichnet, beeinflusst<br />
vom Verständnis von Kommunikation <strong>und</strong> Wirklichkeit, wie sie ihrerseits solche<br />
Auffassungen prägen (Leschke 2003, 12ff). Über die bereits genannten Typen hinaus<br />
seien hier folgende <strong>Medien</strong>begriffe paradigmatisch aufgeführt. Sie lassen sich –<br />
erwartungsgemäß (Faulstich 2002b, 20) – nicht ganz trennscharf voneinander abgrenzen,<br />
sind teils unabhängig voneinander, teils konkurrieren sie miteinander; aber sie lassen sich<br />
auch nicht mit einem Federstrich vereinheitlichen oder in einer vorgeblich alles<br />
umfassenden Definition normativ unterbringen (Ebd., 26).<br />
4.1. Der universale <strong>Medien</strong>begriff<br />
Die universelle Bedeutung von <strong>Medien</strong> ist bereits umrissen worden; sie findet sich sowohl<br />
in sprachlich-linguistischen, allgemein philosophischen, aber auch transzendentalen-<br />
esoterischen Kontexten. Für die medientheoretische Diskussion stieß der kanadische<br />
<strong>Medien</strong>philosoph Marshall McLuhan in den 60er Jahren mit seinen weltweit verbreiteten<br />
Bestsellern heftige Debatten mit säkularen Ausmaßen an; aber sein <strong>Medien</strong>begriff als<br />
“Erweiterung des Menschen”, womit er auf anthropologische Sichtweisen auf das<br />
“Mängelwesen Mensch” (A. Gehlen) angespielte, setzte sich weit weniger durch,<br />
wenngleich inzwischen seine Thesen wieder aufgegriffen wurden <strong>und</strong> sogar eine<br />
fortgeführte “Tradition des McLuhanismus” konstatiert werden kann (Balten u. a. 1997;<br />
Ludes 1997, 77ff; Kloock/Spahr 2000, 39ff).<br />
In den philosophischen <strong>und</strong> kulturgeschichtlichen Diskursen tauchen solch universelle<br />
<strong>Medien</strong>begriffe immer wieder auf, wenn ihre Begründungen <strong>und</strong> Erklärungen aus<br />
vielfältigen Quellen genährt werden. Je stärker sich <strong>Medien</strong>wissenschaft als<br />
eigenständige Disziplin zu konturieren versucht, um so ausführlicher <strong>und</strong> genauer suchen<br />
ihre Vertreter in früheren philosophisch <strong>und</strong> kulturgeschichtlich geprägten Diskursen<br />
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medientheoretisches Denken zu rekonstruieren (Bohn u. a. 1988; Großklaus 1997;<br />
Faulstich 2002b, 69ff; Leschke 2003). So hat etwa der Mannheimer<br />
<strong>Medien</strong>wissenschaftler Jochen Hörisch als universale Kulturgeschichte eine dreiteilige<br />
“Poesie” der Religion, des Geldes <strong>und</strong> der <strong>Medien</strong> entworfen (1992, 1998, 1999) <strong>und</strong><br />
entwickelt darin – ` ontosemiologisch”, d. h. zugleich seins- wie zeichenbezogen –<br />
zentrale Tendenzen abendländischer Kultur- <strong>und</strong> Weltentwicklung: Als universelles<br />
Paradigma gilt ihm die äußere Form der Scheibe, die der Hostie, der Münze wie der CD<br />
(ROM) zu eigen sei, ihre jeweilige historische Vorherrschaft indiziere jeweils kulturelle wie<br />
kultische Gewichtungen. Die <strong>Medien</strong>historiker Wulf R. Halbach <strong>und</strong> Manfred Faßler (1998)<br />
unterscheiden zwischen <strong>Medien</strong>, die<br />
a) als Vermittlung einer unerfahrbaren, göttlichen <strong>und</strong> religiös gefassten ‘Außenwelt’ nach<br />
‘Innen’ dienen<br />
b) als Vermittlung zwischen ‘Wirklichkeit’ <strong>und</strong> ‘Schein’, Wahrheit <strong>und</strong> Trug gelten<br />
c) als kulturell abhängiger Teil sozialer Selbstbeschreibung benutzt werden <strong>und</strong><br />
d) als autonome Systeme der scheinhaften Realitätserzeugung auftreten; darunter fallen<br />
die so genannten Massenmedien wie Zeitung, Film, Radio <strong>und</strong> Fernsehen<br />
(Halbach/Faßler 1998, 35; Hickethier 2002, 172).<br />
Auf W. Faulstichs (2002b) universelle <strong>Medien</strong>- bzw. Menschheitsgeschichte <strong>und</strong><br />
dementsprechend auf seinen weiten <strong>Medien</strong>begriff, der vom schlichten “Mensch-Medium”<br />
bis zu komplexen systemtheoretischen Kategorien wie Kanal, Organisation, Leistung <strong>und</strong><br />
gesellschaftliche Dominanz alles einzuschließen vorgibt, ist bereits<br />
hingewiesen worden (Kap. 5.4). Auch sämtliche poststrukturalistische Wirklichkeits.<br />
konzepte oder oben als “kulturwissenschaftlich” bezeichnete <strong>Medien</strong>theorien rekur' rieren<br />
auf wie immer gefasste universelle <strong>Medien</strong>begriffe: Für den tschechischen<br />
<strong>Medien</strong>theoretiker Vilém Flusser (1920- 1991) sind <strong>Medien</strong> unterschiedslos technische<br />
Apparate, der Telegraf <strong>und</strong> der Fotoapparat ebenso wie gegenwärtig die digitalen<br />
Systeme; sie haben jeweils weitreichende kulturelle Folgen, ja zeitigen neue<br />
gesellschaftliche Formationen, nunmehr: die “telematische” Gesellschaft, die Flusser als<br />
völlig vernetzte <strong>und</strong> dialogische, aber nun zur eigentlich menschlichen hochlobt (Rosner<br />
2000). Auch der französische Architekt <strong>und</strong> Kulturkritiker Paul Virilio (geb. 1932) sieht mit<br />
den “elektromagnetischen Übertragungsmedien” eine “völlig neue ‘Weltordnung’” (Klook<br />
2002, 136) entstehen, aber eine, die die Menschen ihrer Räumlichkeit beraubt, ihnen<br />
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Nähe <strong>und</strong> reale Präsenz blockiert. Verschaltet <strong>und</strong> enträumlicht , leben sie in “atopischen<br />
Tele-Gemeinschaften” oder in einer “teleoptischen Meta-Polis”, ausgeliefert den<br />
Dynamiken <strong>und</strong> Formierungen der <strong>Medien</strong> (Ebd., 152ff). Hingegen sieht der Berliner<br />
Kulturwissenschaftler Friedrich A. Kittler (geb. 1943) <strong>Medien</strong> eher funktional, als Mittel, die<br />
in historisch unterschiedlicher Potenzialität “Speichern, Übertragen <strong>und</strong> Verarbeiten von<br />
Information leisten” (Spahr 2002, 167), dadurch aber die Entsubjektivierung des<br />
Menschen vorantreiben <strong>und</strong> diverse Wirklichkeiten ausdifferenzieren. Erst mit dem<br />
Computer kulminiert diese Tendenz, er ist das eigentliche “Maschinensubjekt”, der sich<br />
gegenüber dem Menschen verselbständigt (Ebd., 200f).<br />
Auch in kunstbezogen Debatten <strong>und</strong> Analysen spielt der universale <strong>Medien</strong>begriff eine<br />
ständig wachsende Rolle, seit etwa ab den 60er Jahren Videokunst entstand <strong>und</strong> sich als<br />
neue Option anbietet, Wirklichkeit <strong>und</strong> ihre künstlerische Wahrnehmung zu visualisieren,<br />
sie aber auch in frei flottierenden, ‘virtuellen’ Bildern zu simulieren oder zu imaginieren<br />
(Pörksen 1997; Pias u. a. 1999; Baumann/Schwender 2000; Haustein 2003). Inzwischen<br />
gelten sie als paradigmatische Repräsentanzen inter- oder transkultureller Art, die hybrid,<br />
d. h. unendlich vielfältig kombiniert <strong>und</strong> fusioniert, global <strong>und</strong> enträumlicht, virtuell <strong>und</strong><br />
abstrakt weltweite <strong>Medien</strong>kunst (nicht zuletzt im Sinne der Visionen McLuhans)<br />
konstruieren, sie auch unentwegt transformieren <strong>und</strong> transzendieren. Dabei deutet der<br />
Begriff der <strong>Medien</strong>kunst abermals auf terminologische Unsicherheit hin; denn ein Medium<br />
braucht Kunst für ihre Veranschaulichung immer, seit Menschen ihre ersten Eindrücke auf<br />
Stein oder Holz festgehalten haben; wenn nun <strong>Medien</strong>kunst prototypisch für die<br />
Technisierung, Medialisierung <strong>und</strong> Digitalisierung der gegenwärtigen Kunst sein soll, will<br />
diese Begriffschöpfung auf das (vermeintlich) Neue <strong>und</strong> Andersartige dieser Kunst<br />
hinweisen, ohne sich allerdings hinreichend der Tradition <strong>und</strong> Kontinuität zu versichern.<br />
4.2. Der elementare <strong>Medien</strong>begriff<br />
Bleibt der <strong>Medien</strong>begriff explizit oder mindestens nachvollziehbar auf symbolische<br />
Dimensionen, zumal auf menschliche Konstrukte kommunikativer Interaktionen in der<br />
Wirklichkeit begrenzt, lässt er sich als elementar kennzeichnen (wobei viele Entwürfe<br />
heute in der Nachfolge McLuhans diesen Unterschied nicht erkennen oder wahrhaben<br />
wollen). Der elementare <strong>Medien</strong>begriff wurzelt zum einen in der Zeichentheorie, also in<br />
der gr<strong>und</strong>legenden Definition des Zeichens als einer willkürlichen, nur konventionell<br />
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festgelegten Relation zwischen Ausdruck <strong>und</strong> Inhalt, zwischen Bezeichnendem <strong>und</strong><br />
Bezeichnetem <strong>und</strong> in den Modalitäten seiner Verwendung (Pragmatik). Zum anderen<br />
rekurriert dieser Begriff auf die generelle Sprach- <strong>und</strong> Kommunikationsfähigkeit des<br />
Menschen, wodurch er sich als Lebewesen von allen anderen unterscheidet, also auf die<br />
Sprach- <strong>und</strong> Kommunikationskompetenz, wie sie Wilhelm von Humboldt, nach ihm Noam<br />
Chomsky <strong>und</strong> Jürgen Habermas als theoretischen Begriff formuliert haben (siehe Kap.<br />
2.7). Danach sind alle Entäußerungen oder Manifestationen von Geistigem medial, weil<br />
sie mittels eines Zeichensystems artikuliert <strong>und</strong> damit materialisiert werden. Das<br />
essenziellste Zeichensystem des Menschen ist die Sprache, aber auch Gestik, Mimik,<br />
Laute, Töne <strong>und</strong> Bilder gelten – ungeachtet ihrer technischen Formierungen – als <strong>Medien</strong>.<br />
Solche Sichtweisen werden heute wieder betont, wenn darüber geforscht <strong>und</strong><br />
experimentiert wird, ob <strong>und</strong> wie menschliche Fähigkeiten der Kognition <strong>und</strong> Artikulation<br />
von Computern imitiert <strong>und</strong> übernommen werden können, etwa die elektronische<br />
Erkennung von Sprachen, die automatische Übersetzung von einer Sprache in die andere<br />
oder gar die automatischen Ausführungen von Tätigkeiten, wie es in den Konzepten der<br />
Künstlichen Intelligenz angestrebt wird. Aus ihnen resultiert auch die etwas nachlässige<br />
oder euphemistische Rede von der Dialogfähigkeit des Computers, weil seine<br />
Zeichenerkennung <strong>und</strong> -verarbeitung mit der des Menschen gleichgesetzt wird (Dreyfus<br />
1985; Michie/Johnston 1985; Vulner 2000)<br />
4.3. Der technische (oder technologische) <strong>Medien</strong>begriff<br />
In der eigentlichen <strong>Medien</strong>geschichte (Hiebel u. a. 1999; Wilke 2000a) nimmt der<br />
technische <strong>Medien</strong>begriff seinen Ausgang bei Gutenbergs Druckerpresse, also bei der<br />
mechanischen Vervielfältigung von Sprache <strong>und</strong> Schrift, universalhistorisch könnte er<br />
auch bei besagter Erfindung der Schrift angesetzt werden. Vorrangig sind mit ihm die<br />
material-technischen Zeichenträger bzw. Mittler als <strong>Medien</strong> gemeint, freilich sowohl die<br />
Trägermaterialien wie die Vervielfältigungsfaktoren, wodurch immer wieder<br />
Überschneidungen wie Verwechselungen auftreten: also das Papier ebenso wie die<br />
Drucklettern, der Zelluloidstreifen <strong>und</strong> der Projektor für den Film, die elektromagnetischen<br />
Wellen, später das Breitbandkabel <strong>und</strong> die Satellitenschüssel für Hörfunk <strong>und</strong> Fernsehen<br />
wie die Empfangsgeräte, die Radio- <strong>und</strong> Fernsehapparate ebenso wie die Speicher- <strong>und</strong><br />
Verteilformen, also Videoband <strong>und</strong> -kassette, das Tonband <strong>und</strong> Schallplatte bzw. CD,<br />
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beim Computer: die Festplatte, Diskette, die CD-ROM wie ISDN <strong>und</strong> Netze für die Online-<br />
Optionen. “Multimedia” annonciert die Verschmelzung von Computertechnik<br />
(Mikroelektronik), Telekommunikation <strong>und</strong> Netztechnologie, wobei aus Sicht des<br />
Rezipienten noch nicht entschieden ist, ob künftig der Fernsehapparat mit Tastatur <strong>und</strong><br />
Online-Anschluss das zentrale Medium (oder Terminal) <strong>und</strong> damit eher die<br />
Unterhaltungsofferten im Vordergr<strong>und</strong> stehen oder der PC, der dann hochauflösende<br />
Bilder, Hifi- <strong>und</strong> Stereo-Qualität für Töne <strong>und</strong> Sprache haben muss, aber eher der<br />
Informationsrecherche <strong>und</strong> -vermittlung dient, oder ob die beiden Systeme zwar technisch<br />
miteinander integriert werden können, aber funktional getrennt bleiben.<br />
Der moderne technische <strong>Medien</strong>begriff, der dann mit theoretischer – etwa<br />
funktionalistischer oder systemtheoretischer – Unterfütterung auch zum technologischen<br />
erweitert werden kann, rekurriert auf die nachrichtentechnischen Entwicklungen, wie sie<br />
C.E. Shannon <strong>und</strong> W. Weaver mit ihrer Mathematischen Theorie von Kommunikation<br />
(1949; 1976) initiiert haben. Sie konzentrieren sich bekanntlich auf Material, Form <strong>und</strong><br />
Qualität der Übertragung, des Transfers, versuchen zum einen deren Eigenschaften zu<br />
messen <strong>und</strong> zu optimieren, zum anderen jeweils neue Formen, Materien <strong>und</strong> Systeme für<br />
den Informationsaustausch zu entwickeln: von der drahtgestützten zur drahtlosen, der<br />
satelliten- zur netzbasierten <strong>und</strong> derzeit wieder zur “wireless” Übertragung. Dabei sind<br />
neben technischen ökonomische <strong>und</strong> nicht zuletzt sicherheitsspezifische Aspekte von<br />
Bedeutung, wie die Entwicklung des Internet von einem militärischen, dezentralisierten<br />
Informationssystem im Kalten Krieg, über seine kollektive, gemeinwirtschaftliche Nutzung<br />
als Campus- <strong>und</strong> Wissenschaftsnetz in den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren bis hin zum<br />
kommerzialisierten Endverbraucher-Service mittels des World Wide Web (WWW) seit den<br />
80er Jahren exemplifiziert. Entsprechend wird heute zwischen Hardware <strong>und</strong> Software,<br />
also zwischen Technik <strong>und</strong> Programm unterschieden, unterteilt in Betriebssysteme <strong>und</strong><br />
Anwendungsprogramme, wobei letztere inzwischen noch einen großen Bereich des so<br />
genannten “content” einschließen. Der technische <strong>Medien</strong>begriff bezieht sich dabei auf<br />
die Hardware, von der Software sind es allenfalls noch die Betriebssysteme, weil diese<br />
Einfluss auf die Anwendungsprogramme nehmen, nicht nur in technischer Hinsicht,<br />
sondern auch als Bedingungen <strong>und</strong> Strategien des Marktes.<br />
21
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Wenn universelle <strong>Medien</strong>theorien in der Nachfolge McLuhans vornehmlich aus<br />
technischer Sicht argumentieren, mithin gewissermaßen einer technischen Determination<br />
von Kultur <strong>und</strong> Wirklichkeit das Wort reden, in warnender oder euphemistischer Weise,<br />
wie es etliche bekanntlich tun, implizieren sie stets auch eine technologische<br />
Präjudizierung von <strong>Medien</strong>. Natürlich lässt sich bei den modernen <strong>Medien</strong>systemen eine<br />
solche Implikation nie ganz ausschließen, sie wäre angesichts einer anhaltenden<br />
Technisierung von Lebenswelt <strong>und</strong> Alltag sogar irreführend; es kommt allerdings darauf<br />
an, wie die Gewichte verteilt sind <strong>und</strong> wie Folgen <strong>und</strong> Wirkungen verursacht gesehen<br />
werden.<br />
4.4. Der kommunikations- <strong>und</strong> organisationssoziologische <strong>Medien</strong>begriff<br />
Wiederum seit Gutenberg verlangen <strong>und</strong> bewirken die jeweils neuen Technologien<br />
spezielle betriebliche Organisations- <strong>und</strong> Arbeitsformen, Berufe <strong>und</strong> Tätigkeiten:<br />
Papiermühlen, Setzereien <strong>und</strong> Druckereien entstehen, Verleger, Drucker, Kolporteure <strong>und</strong><br />
Buchhändler vertreiben die Drucke auf den Messen. Verlage <strong>und</strong> Grossisten im heutigen<br />
Verständnis gründen sich erst später, seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. Zeitungen <strong>und</strong><br />
Zeitschriften erfordern ebenfalls Druckereien, Verlage, Distributionssysteme, ermutigen<br />
die Gründung von Lesegesellschaften, -kabinetten <strong>und</strong> -zirkeln, Kinofilme verlangen neue<br />
Abspielstätten, zunächst einfache Läden, dann – mit bürgerlichem Prestige – prachtvolle<br />
Kinos, befördern Konzerne, mächtige Produktions- <strong>und</strong> Verleihformen, Auswahl- <strong>und</strong><br />
Promotionsstrategien von Schauspielern, Hollywoods “Starsystem” zum Beispiel, <strong>und</strong><br />
Hörfunk <strong>und</strong> Fernsehen erwirken Sendeanstalten in verschiedenen Rechts- <strong>und</strong><br />
Eigentumsformen: privatwirtschaftliche, öffentlichrechtliche <strong>und</strong> staatliche (Wilke 2000a;<br />
Prokop 2001).<br />
Unter den Anforderungen moderner <strong>Medien</strong>technologien <strong>und</strong> hoher Kapitalinvestitionen<br />
haben sich inzwischen intermediale Konzerne gebildet, die sämtliche medialen<br />
Verbreitungsformen in ihren Betrieben oder in ihren Besitzstrukturen vereinen <strong>und</strong> “cross<br />
ownerships” formieren. Sie vermarkten Stoffe <strong>und</strong> Stars multi- oder transmedial <strong>und</strong><br />
steuern jeweils ihre Vermarktungskampagnen weltweit. Etliche Konzerne sind nicht<br />
ausschließlich in der <strong>Medien</strong>branche angesiedelt, sondern stammen aus der Energie-,<br />
Elektronik-, Bau-, Versorgungs- <strong>und</strong> Nahrungsmittelbranche. Mittlerweile vereinnahmen<br />
sie von den Filmstudios in Hollywood bis zu den Telefonleitungen <strong>und</strong> Computernetzen,<br />
22
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von der Papierherstellung <strong>und</strong> CD-Fabrikation bis hin zu den Buchclubs <strong>und</strong> Live-<br />
Konzerten ihrer Popstars, von der Werbebranche bis hin zur Freizeitindustrie <strong>und</strong><br />
Tourismusbranche alles: Microsoft, AOL Time Warner Inc., Walt Disney Co., Viacom Inc.,<br />
News Corporation Ltd., Murdoch, Vivendi <strong>und</strong> die Bertelsmann AG rechnen zu diesen<br />
“Global Players”, die inzwischen den Kommunikationsmarkt der Welt beherrschen (Schulz<br />
1997a; Hachmeister/Rager 1997, 2002; Johns 1998).<br />
4.5. Der kommunikativ-funktionale <strong>Medien</strong>begriff<br />
Jede Kommunikation – auch die mediale – realisiert kommunikative Funktionen. Mithin<br />
lässt sich auch jedes Medium in dieser kommunikativen Funktionalität beschreiben, bzw.<br />
es lassen sich ihm kommunikative Funktionen attestieren. Sie werden dabei mit den<br />
verschiedenen Komponenten der <strong>Medien</strong> verknüpft – mit den Apparaten ebenso wie mit<br />
den geistigen Produkten, mit den elementaren Zeichendimensionen wie mit den<br />
gesellschaftlichen Organisationsformen – <strong>und</strong> wandeln sich im Laufe der Geschichte.<br />
Außerdem haben sich in der Kulturgeschichte <strong>und</strong> in der sozialen Gegenwart bestimmte<br />
Kommunikationsfunktionen herausgebildet bzw. werden von den <strong>Medien</strong> wahrgenommen<br />
oder ihnen zugeschrieben, die bei modernen Gesellschaften längst zum soziokulturellen<br />
Gefüge <strong>und</strong> Bewusstsein gehören: etwa die Konstitution, mindestens die Präsentation von<br />
Öffentlichkeit, die Integration heterogener Gruppen <strong>und</strong> Interessen, Information, Kritik <strong>und</strong><br />
Kontrolle als Faktoren demokratischer Willensbildung, die Anregung von<br />
Bildungsprozessen, die Versorgung mit Unterhaltung <strong>und</strong> Amüsement, die Verbreitung<br />
von Werbung etc.<br />
Ferner werden einzelnen <strong>Medien</strong> besondere kulturelle, ästhetische Optionen attestiert:<br />
Dem Fotoapparat schreibt man zu, dass er Ausschnitte von Realität auf dem Negativ<br />
ablichtet, festhält <strong>und</strong> damit materialisiert. Spätestens seit Walter Benjamins (1963;<br />
Kloock/Spahr 2000, Off) Ausführungen über die dadurch bewirkte Reproduzierbarkeit von<br />
Kunst gelten Singularität <strong>und</strong> Aura des Kunstwerks als aufgekündigt. Aber vermutet wird<br />
auch, dass diese <strong>Medien</strong>technik ein neues Sehen bewirkt hat (Monaco 2002; Schnell<br />
2000). Den Film mit seinen bewegten Bildern rühmt man wegen seiner speziellen<br />
Sprache, also wegen seines expressiven <strong>und</strong> ästhetischen Vermögens. Das Fernsehen<br />
universalisiert gewissermaßen die audiovisuelle Reproduktion von Wirklichkeit <strong>und</strong><br />
banalisiert sie zugleich, da es keinen Lebensbereich mehr vor der elektronischen<br />
23
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Repräsentation verschont. Das Internet kann als Hybridmedium sämtliche kommunikative<br />
Funktionen vereinnahmen, hat sich bislang eher als Informations- <strong>und</strong> Austauschmedium<br />
durchgesetzt, aber löst zugleich traditionelle Formen mündlicher Kommunikation ab <strong>und</strong><br />
erweitert sie. Die Kernfunktionen der Massenmedien, etwa die von Zeitung, Radio <strong>und</strong><br />
Fernsehen, hinsichtlich aktueller Information <strong>und</strong> populärer Unterhaltung könnte es<br />
technisch auch usurpieren, hat sie jedoch in der breiten Nutzung noch kaum angetastet<br />
<strong>und</strong> wird sie wohl auch nicht in absehbarer Zeit. Gleichwohl gilt der Trend, dass <strong>Medien</strong><br />
immer mehr <strong>und</strong> komplexere kommunikative Funktionen übernehmen, so dass sich immer<br />
schwerer trennen lässt, welche Eigenschafts- <strong>und</strong> Funktionszuschreibungen für das<br />
jeweilige Medium vorrangig sind. Letztlich entscheiden darüber die unterschiedlichen <strong>und</strong><br />
mit der Entwicklung auch wechselnden Nutzungsgewohnheiten.<br />
4.6. Der systemische <strong>Medien</strong>begriff<br />
Einen theoretischer Ausweg aus diesem real verursachten, aber theoretisch zugespitzten<br />
Definitionswirrwarr sehen viele zeitgenössische Betrachtungen nur noch darin, den<br />
<strong>Medien</strong>begriff so auszudehnen, wie überhaupt menschliche Erkenntnis reicht (<strong>und</strong> sie<br />
nähern sich damit dem eingangs aufgeführten universalen <strong>Medien</strong>begriff an): Die einen<br />
argumentieren von einer medien- <strong>und</strong> technikkritischen Haltung aus – der Semiotiker <strong>und</strong><br />
Kulturkritiker Umberto Eco (1986) nennt sie die “Apokalyptiker” –, <strong>und</strong> sie sehen die<br />
Wirklichkeit weitgehend oder schon gänzlich mediatisiert, die “virtuelle Realität” mithin<br />
schon als realer an als die wirkliche. Eingangs sind sie als “kulturwissenschaftliche<br />
<strong>Medien</strong>theorien” bereits skizziert (Kloock/Spahr 2000; Engell u. a. 1999) oder als<br />
unwissenschaftliche “Pseudotheorien” abgewertet worden (Faulstich 2002b, 26ff). Die<br />
anderen verbreiten eher Technik- <strong>und</strong> <strong>Medien</strong>euphorie <strong>und</strong> prophezeien deren<br />
ungeahnten Potenziale, mit denen sich die natürlichen Begrenztheiten des Menschen<br />
überwinden lassen <strong>und</strong> die Individuen selbst Teile von <strong>Medien</strong>systemen werden.<br />
So prangert etwa der <strong>Medien</strong>designer Nobert Bolz (1995) bedenkenlos den historisch<br />
mühsam errungenen “Humanismus” als zentrales Hemmnis für die erforderliche<br />
Modernisierung an <strong>und</strong> fordert für die Zukunft ein “antihumanistisches Menschenbild”,<br />
ohne dass er hinreichend expliziert, was er darunter versteht, auch ohne dass er erst<br />
recht gründlich bedenkt, was ein solches Postulat in einer durchaus nicht humanen Welt<br />
anrichten könnte. Umgekehrt verdächtigt der Dortm<strong>und</strong>er Kommunikationswissenschaftler<br />
24
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Claus Eurich (1998) die öffentliche Diskussion, sie erhebe die <strong>Medien</strong> zum universalen,<br />
übermächtigen Mythos <strong>und</strong> schreibe ihnen “quasireligiöse” Bedeutungen zu.<br />
Besonders die soziologische Systemtheorie rekurriert in abstrakter Hinsicht auf einen<br />
systemischen <strong>Medien</strong>begriff, wie er von dem Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann<br />
(1927-1998) paradigmatisch entwickelt wurde (Luhmann 1996). Die Systemtheorie<br />
begreift Gesellschaft als autoreferenzielles (d. h. als auf sich selbst bezügliches <strong>und</strong> sich<br />
selbst erzeugendes) System, das als “Letztelement” auf Kommunikation beruht. Mit ihr<br />
grenzt sich jedes System vom anderen ab, so dass sich bestimmen lässt, was zu einem<br />
System gehört <strong>und</strong> was zu dessen Umwelt. Außerdem stiftet Kommunikation Sinn <strong>und</strong><br />
sinnhafte Grenzen <strong>und</strong> reduziert wie erhält innerhalb des Systems Komplexität. Dadurch<br />
ist ein System fähig, seine Identität auszubilden <strong>und</strong> sich als System im Verhältnis zu<br />
seiner Umwelt zu definieren (Görke/Kohring 1996, 16f; Schmidt 1994, 592ff).<br />
Den Begriff des Massenmediums im engeren Sinn fasst die Systemtheorie eher<br />
instrumentell, nämlich als technisches Verbreitungsmittel, das “keine Interaktion unter<br />
Anwesenden zwischen Sender <strong>und</strong> Empfänger” zulässt (Luhmann 1996, 5;<br />
Görke/Kohring, 1996, 18). Massenmedien verkörpern ein eigenes System, dessen Code<br />
als zeitliche Dimension definiert wird <strong>und</strong> sich – entsprechend dem systemtheoretischen<br />
Informationsbegriff – aus der Differenz von Information <strong>und</strong> Nichtinformation ergibt. Dieser<br />
nicht sehr explizite, letztlich kryptisch bleibende <strong>Medien</strong>begriff ist von systemtheoretisch<br />
orientierten Kommunikationswissenschaftlern (wie U. Saxer, M. Rühl, K. Merten,<br />
B.Blöbaum [1994] <strong>und</strong> S.J. Schmidt) aufgegriffen <strong>und</strong> unterschiedlich weiterentwickelt<br />
worden, so dass inzwischen ebenfalls nicht mehr von einem konsistenten systemischen<br />
<strong>Medien</strong>begriff ausgegangen werden kann (vgl. Donges/Meier 2001). Diese Varianten sind<br />
bereits angesprochen worden oder werden gegebenenfalls im weiteren Verlauf dieses<br />
Buches vorgestellt.<br />
5. Ende der <strong>Massenkommunikation</strong>?<br />
In Umbruchzeiten bestehen gemeinhin alte <strong>und</strong> neue Strukturen nebeneinander, so dass<br />
eingeführte <strong>und</strong> aktuelle, womöglich kaum überdauernde <strong>Begriffe</strong> miteinander<br />
konkurrieren. Dabei gelingt es kaum, sie jeweils voneinander exakt zu trennen bzw. zu<br />
entscheiden, welcher Begriff sich jeweils wie durchsetzt <strong>und</strong> welcher nicht. So wurde<br />
25
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schon wiederholt prognostiziert, dass die inzwischen klassischen Massenmedien abgelöst<br />
würden <strong>und</strong> zumindest theoretisch überholt seien.<br />
Trotzdem erfreuen sie sich in ihren überkommenen wie auch in ihren jüngsten Formen<br />
noch erheblicher, kaum eingeschränkter Resonanz: Radio <strong>und</strong> insbesondere Fernsehen<br />
haben mit der Erweiterung ihrer Übertragungskapazitäten durch Kabel <strong>und</strong> Satellit sogar<br />
eine enorme Expansion <strong>und</strong> quantitative Vervielfältigung erfahren, so dass sie jetzt –<br />
zumindest hinsichtlich der Nachfrage durch das Publikum – mehr als jemals zuvor<br />
Massenmedien sind. So erreicht etwa der Marktführer RTL in Deutschland mit einem<br />
durchschnittlichen Marktanteil von r<strong>und</strong> 20 Prozent in Spitzenzeiten fünf bis sechs<br />
Millionen Zuschauer, manche besonders populären Unterhaltungssendungen wie Rate-,<br />
Quiz- <strong>und</strong> Starshows sowie große Sportübertragungen fesseln sogar über 16 Millionen an<br />
den Bildschirm – Publikumszahlen, die denen in den 60er Jahren nicht nachstehen, als<br />
die beiden öffentlich-rechtlichen Programme mit ihren “Straßenfegern”, den berühmten<br />
Kriminalreihen wie das Halstuch oder Stahlnetz, noch Reichweiten um die 80 Prozent<br />
erzielten. Wenn spektakuläre Ereignisse, sogenannte “media events” wie die<br />
Fußballweltmeisterschaft oder die Begräbniszeremonie für die englische Prinzessin Diana<br />
über den Bildschirm flimmern, schlägt das Fernsehen weltweit gut zweih<strong>und</strong>ert Milliarden<br />
Zuschauer in seinen Bann (Hickethier 1998; Klinger u. a. 1998; Burkart 2002, 362ff; Imhof<br />
u. a. 2002).<br />
Dennoch wird schon länger das Ende der Ära der <strong>Massenkommunikation</strong> angekündigt:<br />
“There never was such a mass society before and probably will never be once again”,<br />
konstatiert der amerikanische Kommunikationsforscher Ithiel de Sola Pool bereits zu<br />
Beginn der 80er Jahre (1983, 259 zit. nach Maletzke 1987, 247), <strong>und</strong> andere stimmen ihm<br />
zu (Burkhart/Hömberg 1997, 79 u. 87; Jarren/Donges 1997; 2002). Gemeint ist damit<br />
zweierlei: Zum einen habe sich die Massengesellschaft als soziale Basis der<br />
<strong>Medien</strong>nutzung verabschiedet, zumindest löse sie sich zusehends auf; zum andern<br />
ermöglicht gerade die erwähnte Vervielfältigung <strong>und</strong> Spezialisierung der elektronischen<br />
<strong>Medien</strong> die Diversifizierung <strong>und</strong> Segmentierung des Publikums, so dass ein<br />
Massenpublikum wie früher kaum mehr erreicht werden könne.<br />
Sicherlich ist der Begriff des Massenmediums an das Konzept der Massengesellschaft<br />
geb<strong>und</strong>en, das zu Beginn dieses Jahrh<strong>und</strong>erts entsteht. Mit der Industrialisierung,<br />
26
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Urbanisierung, Verelendung der unteren sozialen Schichten sowie der Erosion personaler<br />
Strukturen <strong>und</strong> traditioneller Wertorientierungen löst sich die herkömmliche<br />
Gesellschaftsordnung offensichtlich auf, die auf formellen, verwandtschaftlichen<br />
Bindungen <strong>und</strong> normativen, organischen Beziehungen geruht hat. An ihre Stelle treten<br />
situative, indifferente soziale Konstellationen, die sich entsprechend unterschiedlicher<br />
Gegebenheiten <strong>und</strong> Zwecke bilden: über Arbeit, Wohnung, Bildung, Freizeit, funktionale<br />
Organisationen, Situationen des Alltags <strong>und</strong> altersspezifische Interessen. Sie erzeugen<br />
aber keine überdauernden, ganzheitlichen <strong>und</strong> emotionalen Bindungen mehr. Auch die<br />
Massenmedien rechnen zu diesen Faktoren. Insbesondere besetzen sie – so die<br />
Annahme – das durch die Bindungslosigkeit entstandene emotionale wie wertbezogene<br />
Vakuum <strong>und</strong> können so die Menschen, die sich wie Atome abstoßen <strong>und</strong> anziehen, also<br />
‘atomistisch leben’, nachhaltig steuern oder manipulieren: Wie subkutane Injektionen<br />
(“hypodenmic needles”) stoßen die <strong>Medien</strong>botschaften angeblich in das Unterbewusste<br />
der Rezipienten vor, Treibriemen (“transmission belts”) gleich umschlingen sie sie mit<br />
ihren Verlockungen – <strong>und</strong> was dergleichen mehr an verbalen Anleihen aus<br />
Naturwissenschaften <strong>und</strong> Technik bemüht wurde (Naschold 1969).<br />
Unterstützung erfahren diese Sichtweisen von der konservativen Gesellschafts- <strong>und</strong><br />
Kulturkritik. Spätestens seit Gustave Le Bons (1841 – 1931) Psychologie der Massen<br />
(1895) ist “Masse” zum Synonym für attavistische Instinkthaftigkeit <strong>und</strong> irrationale<br />
Beeinflussbarkeit, für den Verlust von Individualität <strong>und</strong> Mitte geworden. Der Soziologe<br />
Ferdinand Tönnies (1855 -1936) formuliert 1887 mit der Trennung von Gesellschaft <strong>und</strong><br />
Gemeinschaft ein prägendes Paradigma der Gesellschaftstheorie <strong>und</strong> -politik. Er wertet<br />
die (Massen)Gesellschaft als rationale Lebensführung (mit “Kürwillen”, eine der Willkür<br />
nachempf<strong>und</strong>ene Wortschöpfung) ab, da sie sich zum Ideal der durch innere, seelische<br />
Verb<strong>und</strong>enheit der Mitglieder (dem “Wesenwillen”) prinzipiell zusammengehaltenen<br />
Gemeinschaft “wie ein künstliches Gerät oder eine Maschine [verhalte], welche zu<br />
bestimmten Zwecken angefertigt wird, zu den Organsystemen <strong>und</strong> einzelnen Organen<br />
eines tierischen Leibes” (Tönnies 1935, 125, zit. nach Kunczik 1979 2 , 18).<br />
Es gehört wohl zu den verhängnisvollsten, mindestens mitzuverantwortenden Folgen<br />
solchen wissenschaftlichen Denkens, dass sich die Nationalsozialisten seiner mentaler<br />
Gr<strong>und</strong>lagen bedienten, beliebige theoretische Versatzstücke herausgriffen <strong>und</strong> mit ihnen<br />
27
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das perfideste Regime des Massenterrors <strong>und</strong> die grausamste, perfekteste Maschinerie<br />
der physischen Massenvernichtung rechtfertigten (siehe Rammstedt 1986): Gerade jene<br />
Massenpsychologie, die a priori die Schlechtigkeit der Masse postuliert <strong>und</strong> zugleich nach<br />
der Herrschaft ruft, die diese im Zaum hält, warnen die Soziologischen Exkurse (Institut<br />
für Sozialforschung 1956, 74), die in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Frankfurter<br />
Institut für Sozialforschung unter der Leitung von Max Horkheimer (1895 -1973) <strong>und</strong><br />
Theodor W. Adorno (1903 – 1969) entstehen, wird selbst ein Mittel der Verführung. So<br />
lesen sich Hitlers Deklamationen über die Masse <strong>und</strong> ihre Beeinflussung wie eine billige<br />
Kopie Le Bons. Massenpsychologische Gemeinplätze verdecken jene die Massen<br />
manipulierende Demagogie, in deren Dienst sie selbst stehen.<br />
In den USA ist der Begriff ‘mass’ nicht derart tiefgründig <strong>und</strong> ideologisch besetzt,<br />
wenngleich die europäische Diskussion, vor allem aber die aufkommenden totalitären<br />
Bewegungen Besorgnis erregen. Eher wird ‘Masse’ funktionalistisch gesehen als relativer<br />
Indikator für jenen Grad der erreichten Industrialisierung <strong>und</strong> Urbanisierung, für die<br />
fortschreitende soziale Nivellierung <strong>und</strong> Erosion, aber auch als Ausdruck für die als<br />
unumkehrbar erachtete Isolierung des Individuums aus den überkommenen Strukturen<br />
wie Verwandtschaft, Tradition, Religion oder ständischer Position. Zunehmend – so die<br />
verbreitete Diagnose – vereinzeln die Individuen, leben isolierten Atomen ähnlich in<br />
wechselseitiger Anonymität, als “einsame Masse” <strong>und</strong> sind Einflüssen, zumal gezielt von<br />
außen ansetzenden wie den <strong>Medien</strong> schutzlos ausgeliefert (Riesman 1958).<br />
In die deutsche Sprache wird der Begriff ‘<strong>Massenkommunikation</strong>’ in den 60er Jahren<br />
durch die schlichte Übernahme des angloamerikanischen ‘mass communication’<br />
eingeführt – <strong>und</strong> die ideologischen Implikationen des mitteleuropäischen Masse-Begriffs<br />
bleiben wohl anfangs unbedacht. Seither debattiert man über seine missverständliche<br />
Semantik <strong>und</strong> hat auch schon für seine Abschaffung plädiert (Merten 1977, 145; Merten<br />
1986, 111). Aber seine internationale Gebräuchlichkeit lässt ihn überleben – bis er nun<br />
wohl von dem unverfänglichen, aber auch breiteren der <strong>Medien</strong> oder der medialen<br />
Kommunikation abgelöst wird, weil die realen Entwicklungen – wie skizziert – dahin<br />
tendieren.<br />
Falsch sei von Anfang an gewesen, kritisierte der amerikanische Soziologe Herbert<br />
Blumer (1966, 30, zit. nach Kunczik 1979 2 , 18f), der Massengesellschaft zu unterstellen,<br />
28
http://www.mediaculture-online.de<br />
“dass [sie] nicht Lebensordnung, sondern Auflösung einer Lebensordnung bedeutet”.<br />
Immerhin erkennen viele Zeitgenossen die Massengesellschaft als unausweichliche<br />
Durchgangsphase zur modernen, demokratisch organisierten Industriegesellschaft. Dabei<br />
haben empirische Indikatoren die vielfach apostrophierte Vermassung <strong>und</strong> Vereinzelung<br />
der Menschen nicht so zwingend <strong>und</strong> umfassend nachgewiesen, wie es die theoretischen<br />
Entwürfe <strong>und</strong> kritischen Sichtweisen behauptet haben. Vielmehr macht man bald<br />
neuartige, funktional bedingte soziale Strukturierungen in den vermeintlich amorphen<br />
sozialen Gebilden aus, die soziale Gruppe wird quasi ‘wiederentdeckt’, korrekter: als unter<br />
anderen Bedingungen entstandene Primärformation der modernen Gesellschaft erkannt –<br />
übrigens nicht zuletzt durch Erhebungen von Kommunikationsforschern, allen voran Paul<br />
F. Lazarsfeld (1901-1976) <strong>und</strong> seinen Mitarbeitern im Präsidentschaftswahlkampf von<br />
1940 (Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1969; Langenbucher 1990). Allmählich verstummt die<br />
Rede von der Massengesellschaft, mindestens relativieren sich die pessimistischen<br />
Untertöne. In Deutschland geschieht dies erst in den 60er Jahren, nachdem in der<br />
Nachkriegszeit trotz der ideologisch-propagandistischen Perversion des Massenbegriffs<br />
durch die Nationalsozialisten erneut Vereinzelung, Entfremdung, “Vermassung”, “Verlust<br />
der Mitte” <strong>und</strong> Anonymität beschworen worden sind.<br />
In der <strong>Medien</strong>forschung entspricht der Theorie der Massengesellschaft die These von der<br />
allmächtigen Wirkungs- <strong>und</strong> Manipulationsmacht der Massenmedien, die sich allerdings<br />
bis heute – trotz der Verabschiedung von der Massengesellschaft – in allerlei Versionen<br />
hält. Diese Prämisse unterstellt (nach wie vor), dass die ständig einflussreicher<br />
werdenden (Massen)<strong>Medien</strong> auf die Individuen fast ungehindert einwirken können, da<br />
ihnen andere Orientierungen <strong>und</strong> Wertungen, die etwa als schützende Hüllen oder gar als<br />
Gegenkräfte fungieren könnten, fehlen. Erst als die neuen funktionalen Gliederungen <strong>und</strong><br />
Netzwerke in der Gesellschaft entdeckt werden <strong>und</strong> man zugleich erkannt hat, dass auch<br />
die Kommunikation über <strong>Medien</strong> mehrstufige Prozesse der Verbreitung durchläuft <strong>und</strong><br />
etwa sogenannte Meinungsführer (opinion leaders) oder Experten bei der Resonanz <strong>und</strong><br />
Akzeptanz von Neuigkeiten Einfluss haben oder soziale Netzwerke bestehen, über die<br />
sich die <strong>Medien</strong>botschaften vielfältig verbreiten, aufladen <strong>und</strong> bewerten, relativiert sich die<br />
Annahme über die Wirkungsmacht der <strong>Medien</strong>. In den 60er Jahren verkehrt sie sich sogar<br />
in ihr Gegenteil: nämlich in die Annahme von der weitgehenden Ohnmacht der <strong>Medien</strong>.<br />
Bis heute lassen sich manche Kontroversen auf diese gr<strong>und</strong>sätzliche, unterschiedliche<br />
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Einschätzung der Wirkungsmacht von <strong>Medien</strong> zurückführen (Naschold 1969, 78ff; Schenk<br />
1978, 16ff; 1987; 2002b, 24ff)<br />
6. Typen medialer Kommunikation<br />
Versteht man Kommunikation – gleich ob unmittelbar oder medial vermittelt – als<br />
Obergriff, verkörpert <strong>Massenkommunikation</strong> eine Teilmenge oder spezielle Form von ihr,<br />
wie verbreitet, beherrschend <strong>und</strong> attraktiv sie inzwischen auch ist. Daneben bzw. ihr in der<br />
Geschichte vorgängig <strong>und</strong> anthropologisch gr<strong>und</strong>legend existiert die personale,<br />
unmittelbare oder face-to-face-Kommunikation, die ja gleichwohl – angesichts der<br />
beschriebenen, verschiedenen <strong>Medien</strong>begriffe – vermittelt sein kann. Demnach müssen<br />
unterscheidende Kriterien gef<strong>und</strong>en werden, <strong>und</strong> unzählige Definitionen <strong>und</strong><br />
Abhandlungen sind dafür vorgelegt worden. Sie können hier nicht alle rekapituliert<br />
werden, <strong>und</strong> sie brauchen es auch nicht mehr in extenso, da sich infolge der skizzierten<br />
Entwicklungen die Grenzen <strong>und</strong> Spezifikationen zwischen den beiden paradigmatischen<br />
Formen von Kommunikation zusehends verwischen.<br />
Pragmatisch läßt sich aber weiterhin unterscheiden zwischen<br />
– den klassischen, öffentlichen, professionell produzierten Massenmedien, die sich nach<br />
wie vor einseitig, an ein breites, nicht eindeutig identifiziertes, “disperses” Publikum<br />
(s.u. Kap. 6.8.1) wenden <strong>und</strong> auch als so genannte Verteil- <strong>und</strong> Programm-<strong>Medien</strong><br />
bezeichnet werden,<br />
– <strong>und</strong> den individuell, online, also ausschließlich digital nutzbaren, interaktiven <strong>Medien</strong>,<br />
über die sowohl einzelne Partner, also im Dialog, miteinander kommunizieren (z. B. E-<br />
Mail, News- <strong>und</strong> Chat Groups), als sich auch über Server <strong>und</strong> Datenbanken spezielle<br />
Dienstleistungen (z. B. Online-Banking, Online-Shopping) <strong>und</strong> Informationen abrufen<br />
lassen.<br />
– Gewissermaßen zwischen diesen beiden Typen sind sämtliche Speichermedien<br />
anzusiedeln, die ursprünglich analog funktionierten, heute aber digitale mediale<br />
Konversionen ermöglichen, so dass alle Produkte der klassischen Massenmedien fotoelektronisch<br />
verfügbar sind: also vornehmlich CD, CD-ROM, CD-Video <strong>und</strong> DVD.<br />
All diese Formen werden heute analytisch unscharf zu Multimedia zusammengefasst,<br />
wobei ausschließlich digitale, also computerbasierte Formate gemeint sind, die zugleich<br />
interaktiv, vernetzt <strong>und</strong> damit hybrid sind. Dass der Begriff all diese Komponenten nicht<br />
unbedingt zu fassen vermag, kümmert dabei wenig. Denn – prinzipiell <strong>und</strong><br />
zeichentheoretisch betrachtet – ist schon der Film multimedial, nämlich kombiniert aus<br />
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(Film)Bildern, Texten, Geräuschen <strong>und</strong> Musik, auch wenn seine Zeichen noch analog <strong>und</strong><br />
materialisiert gespeichert sind. Deshalb kann er seine Bilder <strong>und</strong> Töne nur in festen<br />
Sequenzen veranschaulichen <strong>und</strong> nicht – wie die digitalen Versionen – in potenziell<br />
beliebiger Folge <strong>und</strong> Kombination. Auch können analoge Speichermedien keine meta-<br />
kommunikativen Optionen anbieten, mit denen die Zeichencorpora vielfältig erschlossen,<br />
verknüpft <strong>und</strong> über “Links” verb<strong>und</strong>en werden. Solch kommunikative Mehrwert-<br />
Funktionen, die der Nutzer (“user”) mit geeigneter Software durchführen kann,<br />
ermöglichen besagte interaktive Komponenten. Als Hyper-Kapazitäten – als Hypertexte<br />
oder gar Hybridmedien – eröffnen sie vielfältige, fast individualisierte<br />
Nutzungsmöglichkeiten, die jeden User nicht mehr als abhängigen Rezipienten, sondern<br />
als selbstbestimmenden Kommunikator erscheinen lassen; mindestens die einschlägige<br />
Werbung feiert ihn so, <strong>und</strong> gewiss sind künftig dafür noch weitere technische<br />
Innovationen zu erwarten (Berghaus 1994; Gabriel 1997; Münker/Roesler 1997; 2002).<br />
Vermutlich werden daher künftig noch andere Bezeichnungen als Multimedia auftauchen,<br />
um sowohl die sich noch erhöhende Vielfalt von <strong>Medien</strong> als auch mögliche funktionale<br />
Differenzierungen <strong>und</strong> Novitäten begrifflich zu fassen.<br />
Medial bzw. mittelbar wird durch sie auf verschiedene Weise (ursprüngliche)<br />
Kommunikation, d. h. das unmittelbare Gegenüber <strong>und</strong> die gemeinsame<br />
Kommunikationssituation zwischen den Kommunzierenden, wie sie bei der personalen<br />
Kommunikation besteht, aufgehoben: Gemeinsamer Raum, identische Zeit, unmittelbarer<br />
sinnlicher Kontakt <strong>und</strong> soziales Vis-à-Vis als Kriterien für die Kommunikationssituation<br />
bestehen nicht mehr, sondern werden durch technische Transmissionen oder auch<br />
Suggestionen ersetzt. Jeweils unterschiedlich sind die kommunikativen Funktionen <strong>und</strong><br />
Folgen:<br />
– In der fixierten textlichen Kommunikation leistet allein die schriftliche, gedruckte<br />
Sprache die medialen Übermittlungen; entsprechend ausführlich, abgewogen, präzise,<br />
korrekt <strong>und</strong> verbindlich bis hin zu vielfältigen Red<strong>und</strong>anzen muss sie gepflegt werden;<br />
zusätzliche prosodische <strong>und</strong> nonverbale Kommunikationsformen wie Tempo,<br />
Intonation, Akzent, Mimik, Gestik etc. kann sie nicht transportieren.<br />
– Bei der interaktiven textlichen Kommunikation mittels Online-Vernetzungen machen<br />
sich Formen mündlicher, umgangssprachlicher Kommunikation bemerkbar, wie sie<br />
früher nur in recht persönlichen <strong>und</strong>/oder alltäglichen Notizen üblich waren, so dass<br />
man bereits von einer neuen, elektronisch gestützten Mündlichkeit spricht, die bei E-<br />
Mail, in Chat- <strong>und</strong> News-Groups gepflegt wird; sie integriert auch mehr <strong>und</strong> mehr<br />
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illustrative Komponenten, etwa verfügbare Symbole <strong>und</strong> Piktogramme, in die<br />
elektronischen Texte.<br />
– Mündliche Kommunikation von unterschiedlichen Orten aus, aber bei identischer Zeit<br />
wie am Telefon einerseits, im Hörfunk andererseits, übermittelt alle zusätzlichen<br />
akustischen Kommunikationselemente, spart jedoch die visuellen aus. Daher sind<br />
rückversichernde, rekursive oder meta-kommunikative Red<strong>und</strong>anzen integriert.<br />
Außerdem muss diese Kommunikationsform auf das Hörverständnis <strong>und</strong> das kognitive<br />
Behaltensvermögen im Kurzzeitgedächtnis des Menschen Rücksicht nehmen, so dass<br />
sich spezielle Sprachformen herausgebildet haben: Nähern sie sich beim Telefon stark<br />
der mündlichen Kommunikation – allerdings mit jenen rekursiven Elementen – an, ist<br />
die Radiosprache hingegen anfangs recht steif, fast normiert gewesen. Inzwischen<br />
pflegen die Moderatoren im Radio ebenfalls einen recht legeren Umgangston, der aber<br />
im Gegensatz zum Telefon kein dialogisches Gegenüber hat <strong>und</strong> daher häufig<br />
deplatziert wirkt.<br />
– Kommen bei diesen Formen Bilder hinzu, werden sie also zu Bildtelefon <strong>und</strong><br />
Fernsehen, lassen sich auch Mimik <strong>und</strong> Gestik übertragen. Beim Bildtelefon dürfte sich<br />
die Übertragung auf die jeweils gerade agierenden Partner konzentrieren, so dass sich<br />
der Eindruck einer quasi personalen Situation einstellt, die nur noch der sinnlichen<br />
Vielfalt der primären Kommunikation entbehrt <strong>und</strong> die Begrenztheiten der technischen<br />
Übermittlung zu gewärtigen hat. Fernsehen bleibt hingegen an “disperse” Publika<br />
gerichtet, ohne Rückkoppelungen, trotz aller suggestiven Bemühungen um scheinbare<br />
Beteiligung, die heute üblich sind. Bilder, Texte <strong>und</strong> Geräusche können sich dabei<br />
unterschiedlich zueinander verhalten: Sie können sich ergänzen <strong>und</strong> wechselseitig<br />
stützen, sie können sich widersprechen oder gänzlich unverb<strong>und</strong>en sein. Dann kann<br />
sich eine Text-Bild-Schere öffnen, die die Rezipienten individuell überwinden müssen<br />
(Wember 1976; Winterhoff-Spurk 2001, 155ff; Burkhart 2002, 355ff).<br />
– Erst das Hybridmedium Internet überwindet solche technischen <strong>und</strong> medialen<br />
Begrenzungen, allerdings eher virtuell oder in der Imagination des User. Denn auch<br />
der bleibt materiell isoliert vor Bildschirm <strong>und</strong> Tastatur. Seine quasidialogischen<br />
Optionen schafft er sich letztlich in seiner Phantasie selbst, der Rechner bietet ihm<br />
dafür nur Daten <strong>und</strong> Zeichen, die der User mit “real life”, also mit leibhaftigen<br />
Menschen, sinnlichen Vorstellungen <strong>und</strong> emotionalen Anrührungen füllen muss (Turkle<br />
1986; 1999).<br />
Alle <strong>Medien</strong>, seien sie massenkommunikativ oder digital-interaktiv, rekurrieren auf<br />
Zeichen, Daten <strong>und</strong> Informationen, entweder in gespeicherter oder aktualiter erzeugten<br />
Form. Sie haben mithin getrennte Raum- <strong>und</strong> Zeitkonstellationen, sie basieren auf<br />
Programme, deren Produktion <strong>und</strong> Rezeption separiert sind, auch wenn bei den<br />
interaktiven Formen die User selbst wieder zu Produzenten werden können <strong>und</strong> die<br />
abgerufenen Programme bzw. Informationen weiter gestalten können. Just diese<br />
Trennung haben frühe <strong>Medien</strong>theoretiker wie Bertolt Brecht (1932) <strong>und</strong> Hans Magnus<br />
Enzensberger (1970) schon an den traditionellen <strong>Medien</strong>, Hörfunk <strong>und</strong> Fernsehen<br />
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kritisiert <strong>und</strong> deren Überwindung gefordert, so dass der Sprung zu den interaktiv-digitalen<br />
<strong>Medien</strong> heute zwar technisch enorm ist, sich aber theoretisch nicht so prinzipiell darstellt,<br />
wie es vielfach postuliert wird (Kühler 2002c).<br />
7. Von der Öffentlichkeit zur ‘audience polarization’?<br />
Will man den Demokratisierungsgrad einer Gesellschaft ermessen, ist dafür ein wichtiger<br />
Indikator, wie öffentlich, d. h. wie zugänglich <strong>und</strong> beeinflussbar die gesellschaftliche<br />
Kommunikation ist, also: welchen Umfang <strong>und</strong> welche Partizipationschancen das<br />
Publikum besitzt – oder noch anders formuliert: wer aus einer Population zum Publikum<br />
zählt <strong>und</strong> wie es sich sozial zusammensetzt. Beispielsweise hatten in der antiken Polis,<br />
dem Ideal direkter Demokratie, höchstens zehn Prozent der männlichen Bewohner die<br />
vollen politischen Rechte.<br />
Öffentlichkeit nimmt daher seit der Durchsetzung der bürgerlichen, modernen<br />
Demokratie einen bedeutenden ideengeschichtlichen <strong>und</strong> verfassungsrechtlichen Rang<br />
ein (siehe auch Kap. 5.3.1). Als kämpferische Losung richtet sie sich gegen die feudale<br />
Arkanpolitik <strong>und</strong> wird so zum Hebel wie zum Ziel bürgerlicher Emanzipation.<br />
Institutionalisiert wird sie einerseits im demokratischen Parlament, in den publizistischen<br />
<strong>Medien</strong> realisiert sie sich andererseits zugleich als öffentlicher Diskurs wie als Geschäft,<br />
zwischen öffentlichem Auftrag <strong>und</strong> Markt. Dadurch verliert Öffentlichkeit allmählich ihre<br />
politische Brisanz <strong>und</strong> wandelt sich zur diffusen Publizität, letztlich auch zur ebenso<br />
professionellen wie kommerziellen Inszenierung öffentlichen Geschehens: Die<br />
hergebrachte Opposition von privat <strong>und</strong> öffentlich schwindet zusehends, Intimität wird –<br />
zumal bei prominenten Personen – als besonders pikant für die Öffentlichkeit<br />
herausgestellt. `Öffentliche Meinung' als der empirische Durchschnitt von<br />
Einzelmeinungen wird von der kommerziellen Demoskopie unentwegt erhoben, damit<br />
künstlich konstruiert <strong>und</strong> als Legitimation für diese oder jene politische Entscheidung<br />
herangezogen (Habermas 1969; 1990; Sennett 1986; Neidhardt 1994).<br />
Moderne, repräsentative Demokratie beruht auf der politischen Informiertheit,<br />
Willensbildung <strong>und</strong> Beteiligung ihrer Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger; sie wird mithin erst durch<br />
Massenmedien <strong>und</strong> deren breiten Rezeption möglich, da sie gewissermaßen zwischen<br />
politischem System <strong>und</strong> Gesellschaft vermitteln. <strong>Medien</strong> stiften, organisieren, aber formen<br />
33
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auch die öffentliche Reflexion, Diskussion <strong>und</strong> Kontrolle einer Gesellschaft. Daher werden<br />
in den staatlichen Verfassungen die Meinungsfreiheit des Einzelnen <strong>und</strong> die<br />
Pressefreiheit als institutionelle Gewähr gleichermaßen garantiert, die eine ist jeweils der<br />
Maßstab für die andere. Mit den digitalen <strong>Medien</strong> verwischen sich wiederum öffentliche<br />
<strong>und</strong> private Kommunikation, nicht nur in faktischer Konkretion, sondern auch in rechtlicher<br />
Hinsicht, weshalb überkommene <strong>und</strong> bewährte Regularien überdacht <strong>und</strong> modifiziert<br />
werden müssen. Ob die hergebrachte <strong>Medien</strong>freiheit eben auch als gesellschaftliche,<br />
allgemeinpolitische Verantwortung der einschlägigen Profession <strong>und</strong> Branche, der<br />
Journalisten wie der Verlage, hinreichend integer <strong>und</strong> funktionstüchtig überleben wird,<br />
scheint vielen fraglich. Bemühungen, dafür Qualitätsmaßstäbe <strong>und</strong> nicht zuletzt ethische<br />
Orientierungen als professionelle Selbstverpflichtungen aufzurichten, nehmen daher zu<br />
<strong>und</strong> drängen auf die Einhaltung, mit welchem Erfolg, wird sich zeigen müssen (W<strong>und</strong>en<br />
1993; 1996)<br />
Aus prinzipieller, verfassungspolitischer Perspektive nehmen die Massenmedien die<br />
Funktionen der Information, der Meinungsbildung, der Kritik <strong>und</strong> Kontrolle gewissermaßen<br />
als verfassungsrechtlich geschützte öffentliche Aufgaben wahr, weshalb den <strong>Medien</strong><br />
mitunter im Rahmen der anerkannten Gewaltenteilung gewissermaßen die Funktion einer<br />
vierten Gewalt im Staat attestiert wird (Bergsdorf 1980; Branahl 1996; 2002, 17ff;<br />
Kunczik/Zipfel 2001, 84ff). Dabei handelt es sich allerdings eher um eine metaphorische<br />
Übertragung, da die <strong>Medien</strong> ja nicht den gleichen verfassungsrechtlichen Rang wie die<br />
drei gr<strong>und</strong>legenden Gewalten, die Legislative, Exekutive <strong>und</strong> Judikative, haben; immerhin<br />
soll diese Analogie betonen, dass freie, nicht staatlich kontrollierte <strong>und</strong> genügend<br />
konkurrenzierende <strong>Medien</strong> wesentliche, für die Demokratie unverzichtbare Funktionen<br />
wahrnehmen. Außerdem sollen die <strong>Medien</strong> eine Gesellschaft sozial <strong>und</strong> politisch<br />
integrieren, um ihren Zusammenhalt zu sichern <strong>und</strong> ihre Mitglieder politisch zu<br />
sozialisieren (Holtz-Bacha 1997, 15). Welchen Anteil die <strong>Medien</strong> an der politischen<br />
Sozialisation des Einzelnen tatsächlich haben, wird zwar vielfach postuliert, aber exakt zu<br />
ermitteln ist er kaum (Bonfadelli 1981; Saxer 1988; Schorb u. a.1991). Tatsächlich richten<br />
sie ihre Nachrichten <strong>und</strong> Beiträge vornehmlich an die politisch aktiven Bürgerinnen <strong>und</strong><br />
Bürger, sofern sie sich nicht gänzlich an den politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Eliten<br />
orientieren.<br />
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Vielfach befürchtet wird inzwischen, dass die bereits skizzierte, anhaltende Diversifikation<br />
der <strong>Medien</strong> <strong>und</strong> deren diagnostizierter Verfall als Massenmedien die integrierenden<br />
Funktionen untergraben <strong>und</strong> damit die Demokratie schwächen: Wenn sich das Publikum<br />
weiter “verstreue” (Hasebrink 1994; Höflich 1995; Klaus 1997), sich in Teilöffentlichkeiten<br />
oder gar unzählige Interessenten- <strong>und</strong> Nutzergruppen fragmentiere, die nur noch von<br />
Spezialmedien erreicht <strong>und</strong> bedient werden, könnten wichtige politische Debatten nicht<br />
mehr über die <strong>Medien</strong> geführt werden, weil ein Großteil des Publikums die bedeutenden<br />
Themen überhaupt nicht mehr mitbekomme. Daher drohe soziale Desintegration oder die<br />
“balkanization of community” (Holtz-Bacha 1997, 21).<br />
Bedenkt man indes, dass sich Lesefähigkeit <strong>und</strong> populäre Zeitungsproduktion erst in der<br />
zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts hinlänglich verbreiten, Radio <strong>und</strong> Fernsehen<br />
Produkte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts sind, dann dauern <strong>Massenkommunikation</strong> <strong>und</strong><br />
repräsentative Demokratie – Phasen der Diktatur müssen subtrahiert werden – etwa 150<br />
Jahre. Sie mögen sich aus der Sicht der <strong>Massenkommunikation</strong>sforschung nun ihrem<br />
Ende zuneigen oder werden sich zumindest nachhaltig verändern. Dass dabei<br />
vornehmlich die westliche, amerikanisch-europäische Entwicklung betrachtet wird <strong>und</strong><br />
nicht der restliche Großteil der Welt, darauf kann hier nur am Rande hingewiesen werden.<br />
Außerdem sehen Optimisten mit den digitalen <strong>Medien</strong>, vor allem mit dem Internet, eine<br />
neue Phase direkter Demokratie heraufziehen, zumindest die neuerliche Transformation<br />
der repräsentativen Demokratie, da sich nun womöglich die für viele fremd gewordene<br />
repräsentative Mitwirkung in eine digitale Polis wandle, die (elektronisch) unmittelbare<br />
Partizipation <strong>und</strong> ständigen Dialog ermögliche. Potenziell können die digitalen Online-<br />
Vernetzungen das Publikum vollständig in ‘Echtzeit’ erzeugen, <strong>und</strong> es mit mehr direkten<br />
interaktiven Optionen ausstatten als jemals zuvor, selbst wenn dieses Publikum nur<br />
virtuell bestünde, weil es individualisiert bleibt. So schwärmte der ehemalige<br />
amerikanische Vizepräsident Al Gore bereits 1994 von einem neuen “Athenischen<br />
Zeitalter”, nun als “globale Informationsstruktur” (Holtz-Bacha 1997). Das repräsentative<br />
Parlament werde “virtuell” oder könne sogar durch periodische Plebiszite abgelöst<br />
werden, sofern alle Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger online verb<strong>und</strong>en sind. Die öffentliche Sphäre<br />
demokratisiere sich, wie sich ebenso gesellschaftliche Gruppen <strong>und</strong> Vereinigungen<br />
35
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revitalisieren, da sich ihre Mitglieder umstandslos in politische Willensbildungs- <strong>und</strong><br />
Entscheidungsprozesse einschalten könnten (Zittel 1997; Leggewie/Maar 1998).<br />
Andere Prognostiker halten die Visionen von der digitalen Demokratisierung für<br />
ideologisches Wunschdenken, denn aus ihrer Sicht verlange die<br />
“Informationsgesellschaft” nicht weniger, sondern mehr staatliche Autorität, um die<br />
heraufziehenden sozialen Verwerfungen <strong>und</strong> internationalen Risiken zu meistern, um der<br />
befürchteten Erosion der Gesellschaft <strong>und</strong> der fortschreitenden Relativierung der Normen<br />
zu begegnen. Je mehr Information zur Verfügung stehe, umso mehr Orientierungswissen<br />
<strong>und</strong> Moral seien erforderlich, <strong>und</strong> deren Direktiven <strong>und</strong> Begründungen könnten nur<br />
staatliche Instanzen allgemein verbindlich bereitstellen <strong>und</strong> vor allem durchsetzen (Metze-<br />
Mangold 1997, 112f; Münker/Roesler 1997).<br />
Offensichtlich ist diese Diskussion mit jener über das Ende der <strong>Massenkommunikation</strong><br />
noch nicht genügend verknüpft; diese Diskrepanz belegt erneut die gegenwärtigen<br />
strukturellen Umbrüche wie Inkonsistenzen heutiger Debatten. Es sind mithin mindestens<br />
zwei konträre <strong>Modelle</strong>, die in ihren Visionen über die Entwicklung von Staat <strong>und</strong><br />
Gesellschaft miteinander konkurrieren. Aber beide dürften prinzipiell daran kranken, dass<br />
sie ihre Prognosen relativ eindimensional aus technologischen Tendenzen ableiten <strong>und</strong><br />
andere womöglich nicht weniger relevante, aber nicht allein technologiebedingte Faktoren<br />
unterschätzen. Um deren Bedeutung zu erkennen, genügt schon ein Blick in öffentliche<br />
Diskurse <strong>und</strong> publizierte Prognosen, die nicht primär die <strong>Medien</strong> ins Blickfeld nehmen: Zu<br />
denken ist etwa an die anhaltenden demographischen Verschiebungen, die die<br />
hochentwickelten Industrienationen immer älter werden lassen, wohingegen die ärmeren<br />
Staaten enormen Bevölkerungsüberschuss verzeichnen; ferner an die sich mit der<br />
Globalisierung verschärfende Arbeitsteilung, an die ungleiche Verteilung von Wohlstand<br />
<strong>und</strong> die wachsende Unterprivilegierung auf der Welt, an die Umweltproblematik, an<br />
vornehmlich wirtschaftswissenschaftliche Diskussionen über die Veränderungen der<br />
Erwerbsarbeit <strong>und</strong> das wirtschaftliche Handeln unter technischem, ökonomischem <strong>und</strong><br />
globalisiertem Wandel, aber auch an die Erstarkung f<strong>und</strong>amentalistischer Strömungen,<br />
kultureller Autonomiebestrebungen <strong>und</strong> separatistischer Bewegungen sowie an vielfältige<br />
Veränderungen in den sozialen Mikrokosmen wie in den Familien <strong>und</strong> Gruppen, die als<br />
wachsende Individualisierung, Pluralisierung, aber auch als bedenkliche Erosion tradierter<br />
36
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F<strong>und</strong>amente <strong>und</strong> Normen analysiert werden. All diese Tendenzen <strong>und</strong> Faktoren mögen<br />
'irgendwie' miteinander zusammenhängen, doch der jeweilige disziplinäre Blickwinkel<br />
entscheidet darüber, welche Zusammenhänge wie gesehen werden (Friedrichs 1997;<br />
Martin/Schumann 1997; Beck 1997, Jarren/Donges 1997; 2002).<br />
8. Definitionen <strong>und</strong> Dimensionen von <strong>Massenkommunikation</strong><br />
8.1. Das bewährte Modell der <strong>Massenkommunikation</strong> Gerhard Maletzkes<br />
In seinem Pionierwerk Psychologie der <strong>Massenkommunikation</strong> von 1963 arbeitete<br />
Gerhard Maletzke, seinerzeit wissenschaftlicher Referent am Hamburger Hans-Bredow-<br />
Institut für <strong>Medien</strong>forschung, den damaligen Stand der empirischen Forschung unter<br />
psychologischer Perspektive auf <strong>und</strong> definierte <strong>Massenkommunikation</strong> allgemein so:<br />
Unter <strong>Massenkommunikation</strong> verstehen wir jene Form der Kommunikation, bei der<br />
Aussagen<br />
öffentlich also ohne begrenzte <strong>und</strong> personell<br />
definierte Empfängerschaft<br />
durch technische Verbreitungsmittel <strong>Medien</strong><br />
indirekt also bei räumlicher oder zeitlicher oder<br />
raumzeitlicher Distanz zwischen den<br />
Kommunikationspartnern<br />
<strong>und</strong> einseitig also ohne Rollenwechsel zwischen<br />
Aussagendem <strong>und</strong> Aufnehmendem<br />
an ein disperses Publikum vermittelt<br />
werden<br />
(Maletzke 1963, 32).<br />
(s.u.)<br />
Dispers sei das Publikum der <strong>Massenkommunikation</strong> deshalb, weil es sich nur von Fall zu<br />
Fall durch gemeinsame Zuwendung an einen gemeinsamen Gegenstand, nämlich die<br />
publizistische Aussage, bilde <strong>und</strong> daher kein überdauerndes soziales Gebilde sei. Die<br />
<strong>Medien</strong> erzeugen gewissermaßen dieses Publikum, auch wenn es sich inzwischen<br />
vielfach festgefügt habe, z. B. als Abonnenten, oder sich – bei den elektronischen <strong>Medien</strong><br />
– regel- bzw. gewohnheitsmäßig formiere. Seine Mitglieder seien als Individuen räumlich<br />
getrennt, oder sie treffen sich in relativ kleinen, an einem Ort versammelte Gruppen (z. B.<br />
Familien, Fre<strong>und</strong>eskreise oder Peer groups von Jugendlichen, Kinopublikum).<br />
37
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Äußerlich lasse sich das disperse Publikum durch folgende Kriterien charakterisieren:<br />
durch<br />
– die große Anzahl seiner Mitglieder<br />
– ihre gegenseitige Anonymität<br />
– ihre soziale Inhomogenität, also durch ihre vielfältigen Lebensstandards <strong>und</strong> -stile, ihre<br />
Interessen, Meinungen <strong>und</strong> Einstellungen, Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnisweisen<br />
– die Unorganisiertheit <strong>und</strong> Unstrukturiertheit, so dass keine Spezialisierung von Rollen,<br />
“keine [gemeinsamen] Sitte <strong>und</strong> Tradition, keine Verhaltensregeln <strong>und</strong> Riten <strong>und</strong> keine<br />
Institutionen” (Maletzke 1963, 32) ersichtlich sind.<br />
Diese Definition fand Eingang in viele Lehrbücher <strong>und</strong> wurde hierzulande ein Paradigma<br />
für die moderne <strong>Medien</strong>forschung, auch wenn manche Kritik an ihr geäußert <strong>und</strong> manche<br />
Erweiterung <strong>und</strong> Modifikation vorgenommen wurden. Maletzke veranschaulicht sie auch<br />
grafisch als “Feldschema”. Ein solches Modell zeichnet sich gemäß der allgemeinen Feld-<br />
Theorie des Sozialpsychologen Kurt Lewin (1890-1947) dadurch aus, dass es eine<br />
ganzheitliche Struktur von Phänomenen innerhalb eines sozialen Systems abzubilden<br />
sucht (1951). Diesen Ansatz übertrug Maletzke auf die <strong>Massenkommunikation</strong>, denn “[ihr]<br />
Beziehungsfeld [ ... ] ist zu verstehen als ein kompliziertes dynamisches System von<br />
Dependenzen <strong>und</strong> Interdependenzen der beteiligten Faktoren” (Maletzke 1963, 37).<br />
Abb. 1: Schema des Feldes der <strong>Massenkommunikation</strong> von Gerhard Maletzke, (1963, 41;<br />
1981, 14)<br />
In späteren Veröffentlichungen (u. a. 1976, 14f; 1981, 15) erläutert Maletzke das<br />
Feldschema so: Das Schema versucht, folgende Sachverhalte darzustellen:<br />
38
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– Der Kommunikator (K) produziert die Aussage durch Stoffwahl <strong>und</strong> Gestaltung. Seine<br />
Arbeit wird mitbestimmt durch seine Persönlichkeit, seine allgemeinen sozialen<br />
Beziehungen (u. a. persönliche direkte Kommunikation), durch Einflüsse aus der<br />
Öffentlichkeit <strong>und</strong> durch die Tatsache, dass der Kommunikator meist in einem<br />
Produktionsteam arbeitet, das wiederum einer Institution eingefügt ist. Außerdem muss<br />
der Kommunikator die Erfordernisse seines Mediums <strong>und</strong> des 'Programms' kennen<br />
<strong>und</strong> berücksichtigen, <strong>und</strong> schließlich formt er sich von seinem Publikum ein Bild, das<br />
seine Arbeit <strong>und</strong> damit die Aussage <strong>und</strong> damit endlich auch die Wirkungen wesentlich<br />
mitbestimmt.<br />
– Die Aussage (A) wird durch das Medium (M) zum Rezipienten geleitet. Sie muss dabei<br />
den technischen <strong>und</strong> dramaturgischen Besonderheiten des jeweiligen Mediums<br />
angepasst werden. Der Rezipient (R) wählt aus dem Angebot bestimmte Aussagen<br />
aus <strong>und</strong> rezipiert sie. Der Akt des Auswählens, das Erleben der Aussage <strong>und</strong> die<br />
daraus resultierenden Wirkungen hängen ab von der Persönlichkeit des Rezipienten,<br />
von seinen sozialen Beziehungen, von den wahrnehmungs- <strong>und</strong><br />
verhaltenspsychologischen Eigenarten des Mediums auf der Empfangerseite, von dem<br />
Bild, das sich der Rezipient von der Kommunikatorseite formt <strong>und</strong> von dem mehr oder<br />
weniger klaren Bewusstsein, Glied eines dispersen Publikums zu sein. Schließlich<br />
deutet der obere Pfeil im Feldschema an, dass trotz der Einseitigkeit der<br />
<strong>Massenkommunikation</strong> ein ‘Feedback’ zustande kommt.<br />
Die genannten relevanten Faktoren der <strong>Massenkommunikation</strong> werden folgendermaßen<br />
charakterisiert:<br />
– Kommunikator (K): Kommunikator im Rahmen der <strong>Massenkommunikation</strong> ist jede<br />
Person oder Personengruppe (... j, die an der Produktion von öffentlichen, für die<br />
Verbreitung durch ein Massenmedium bestimmten Aussagen beteiligt ist, sei es<br />
schöpferisch, gestaltend oder kontrollierend.<br />
– Aussage (A): Als Aussage bezeichnen wir symbolhafte Objektivationen oder<br />
Bedeutungsinhalte, die Menschen (als Kommunikatoren) herstellen <strong>und</strong> gestalten, so<br />
dass sie bei anderen Menschen (als Rezipienten) psychische Prozesse verursachen,<br />
anregen oder modifizieren können, <strong>und</strong> zwar Prozesse, die in einem sinnvollen<br />
Zusammenhang mit der Bedeutung des Ausgesagten stehen.<br />
– Medium (M): Als <strong>Medien</strong> der <strong>Massenkommunikation</strong> bezeichnen wir die technischen<br />
Instrumente oder Apparaturen, mit denen Aussagen öffentlich, indirekt <strong>und</strong> einseitig<br />
einem dispersen Publikum vermittelt werden.<br />
– Rezipient (R): Rezipient im Prozess der <strong>Massenkommunikation</strong> ist jede Person, die<br />
eine durch ein Massenmedium vermittelte Aussage soweit ‘entschlüsselt’, dass der<br />
Sinn der Aussage dieser Person – zum mindesten in groben Zügen – zugänglich wird.<br />
Außer auf Lewin rekurriert Maletzke für dieses Feldschema <strong>und</strong> der Beschreibung seiner<br />
Faktoren noch auf andere amerikanische Vorbilder, etwa auf die berühmte “Lasswell-<br />
Formel” (s. u Kap. 7). Deren funktionalistischen Prämissen behält er offensichtlich bei, bis<br />
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hin zur Annahme einer Balance zwischen Kommunikator <strong>und</strong> Rezipient. Damit lässt<br />
dieses Modell weitgehend ausser Acht, dass sich im Zeitalter professioneller,<br />
hochorganisierter, machtpolitisch verstrickter <strong>und</strong> vor allem ökonomisch – sprich: auf<br />
Profitmaximierung – ausgerichteter <strong>Medien</strong>kommunikation die Gewichte zum Nachteil des<br />
Publikums verlagert haben, dass es mithin erhebliche Beeinflussungsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />
wohl auch Abhängigkeiten gibt; sie werden durch das Modell egalisiert <strong>und</strong> damit<br />
eskamotiert. Auch bei den Strukturen <strong>und</strong> Mechanismen der Produktion, also bei den<br />
Kommunikatoren, sind heutzutage mächtige (Inter)Dependenzen – etwa von der Werbung<br />
– <strong>und</strong> Verflechtungen in besagten weltweit operierenden <strong>und</strong> viele Branchen<br />
einvernehmende Konzerne zu verzeichnen, so dass auch hierfür die Abbildungen des<br />
Modells zu simpel <strong>und</strong> einschichtig erscheinen. Immerhin sind zur selben Zeit, als<br />
Maletzkes Buch erschien, die Thesen <strong>und</strong> Analysen der Vertreter der Frankfurter Schule,<br />
also von Max Horkheimer <strong>und</strong> Theodor W. Adorno, zur “Kulturindustrie” diskutiert worden.<br />
Sie diagnostizierten kein egalitäres Verhältnis zwischen <strong>Medien</strong> <strong>und</strong> Publikum, sondern<br />
eher massive Abhängigkeiten der Rezipienten, einschließlich drastischer<br />
Bewusstseinsmanipulationen (Horkheimer/Adorno 1944; 1969; Adorno 1967: Kausch<br />
1988). An solchen analytischen Diskrepanzen zwischen theoretischen Entwürfen <strong>und</strong><br />
empirischen Bef<strong>und</strong>en krankte die <strong>Medien</strong>forschung lange, wenn sie es nicht bis heute tut<br />
(vgl. etwa Prokop 2001, 2002).<br />
Allerdings gerät letztlich jedes Modell an Grenzen der Darstellbarkeit, vor allem<br />
hinsichtlich der angemessenen Repräsentation gesellschaftlicher Wirklichkeit bzw. realer<br />
Komplexität <strong>und</strong> insbesondere hinsichtlich der Abbildung dynamischer <strong>und</strong> informeller<br />
Interdependenzen. Immerhin würdigte kürzlich, anlässlich des 75. Geburtstags Maletzkes,<br />
die gegenwärtige <strong>Medien</strong>wissenschaft seinen Ansatz <strong>und</strong> sein Modell nicht nur insoweit,<br />
dass sie “Schule” gemacht <strong>und</strong> “<strong>Medien</strong>wissenschaft <strong>und</strong> <strong>Medien</strong>praxis” weithin geprägt<br />
haben, vielmehr auch deshalb, weil sie noch immer genügend heuristisches Potenzial<br />
bergen, um die Gr<strong>und</strong>frage: “Was heißt heute noch <strong>Massenkommunikation</strong>?” nicht nur<br />
erneut, sondern auch systematischer zu diskutieren, als dies “weit verstreute<br />
Einzelstudien” <strong>und</strong> Erkenntnisse gemeinhin vermögen (Fünfgeld/Mast 1997, 11).<br />
40
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8.2. Eine Weiterentwicklung: das “Modell elektronisch mediatisierter<br />
Gemeinschaftskommunikation”<br />
Ein aktuelle Weiterentwicklung des Feldschemas Maletzkes legen Roland Burkhart <strong>und</strong><br />
Walter Hömberg (1997) vor <strong>und</strong> nennen es “Modell elektronisch mediatisierter<br />
Gemeinschaftskommunikation”. Mit ihm wollen sie einerseits zeigen, dass das<br />
Feldschema “auch unter geänderten <strong>Medien</strong>bedingungen zum Weiterdenken anregt” <strong>und</strong><br />
seine “heuristische Qualität” behält. Zum anderen soll das veränderte Modell den<br />
eingetretenen Veränderungen Rechnung tragen, die Digitalisierung <strong>und</strong> Vernetzung<br />
erwirken, wozu besonders die tendenzielle Einebnung der “Unterschiede zwischen<br />
Kommunikator- <strong>und</strong> Rezipientenrolle” gerechnet wird. Allerdings müsse berücksichtigt<br />
werden, dass die Technik nicht zwangsläufig alle funktionalen <strong>und</strong> sozialstrukturellen<br />
Spezifizierungen aufhebt, sondern diese ebenso sehr, wenn nicht nachhaltiger durch<br />
ökonomische, organisatorische <strong>und</strong> strukturelle Konditionen bestimmt seien <strong>und</strong><br />
womöglich trotz der rasanten technologischen Transformation überdauern. Auch in der<br />
gesellschaftlichen, öffentlichen Kommunikation dürften Arbeitsteilung <strong>und</strong><br />
Professionalisierung, Verteilprogramme <strong>und</strong> Vermittlungsoptionen weiterhin bestehen, die<br />
mit den als offen gedachten <strong>Begriffe</strong>n “Beteiligte” (B) <strong>und</strong> “organisiert Beteiligte” (OB)<br />
umschrieben sind (siehe Abb. 2).<br />
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Abb. 2: Modell elektronisch mediatisierter Gemeinschaftskommunikation (Burkhart/Hömberg<br />
1997, 84)<br />
Auch für dieses Modell lässt sich fragen, ob die strukturellen, zumal ökonomischen<br />
Konditionen, in denen die Beteiligten operieren <strong>und</strong> produzieren, genügend ausgearbeitet<br />
<strong>und</strong> vor allem gewichtet sind. Denn die anhaltende Kommerzialisierung medialer<br />
Kommunikation – etwa die immer evidentere Dominanz der Werbung, die weit in die<br />
digitalen, interaktiven <strong>Medien</strong> hinein reicht – wird kaum berücksichtigt. Somit gaukelt auch<br />
dieses Modell nach wie vor freie Entscheidungsmöglichkeiten für das Individuum in allen<br />
gesellschaftlichen Bereichen vor <strong>und</strong> begreift es als autonom kommunzierendes. Dabei<br />
wird gerade unter der wachsenden Informations- <strong>und</strong> <strong>Medien</strong>fülle immer offenk<strong>und</strong>iger,<br />
dass Auswahl <strong>und</strong> Tendenz der <strong>Medien</strong>inhalte kaum mehr den hehren Zielen der<br />
Informationsfreiheit, nicht einmal dem vielgelobten freien Spiel des Marktes folgen,<br />
sondern dass sie vornehmlich den Maximen der Kostenminimierung, der Eindämmung<br />
des Akzeptanzrisikos, dem Mainstream <strong>und</strong> dem Profit gehorchen, die von immer<br />
wenigeren, aber ständig größer werdenden Kommunikationskonzernen diktiert werden.<br />
8.3. Eine aktuelle Definition für mediale Kommunikation<br />
Bleibt man in den (formalen, deskriptiven) Kategorien Maletzkes, ohne die Kritik über<br />
ihren Realitätsgehalt hinreichend umsetzen zu können, könnte eine zeitgemäße Fassung,<br />
die die allmähliche Aufweichung der <strong>Massenkommunikation</strong> <strong>und</strong> die Mutationen zur<br />
medialen Kommunikation aufgreift, wie folgt formuliert werden:<br />
Unter medialer Kommunikation verstehen wir die (sich mehr <strong>und</strong> mehr verbreitende) Form<br />
der Kommunikation, bei der<br />
Zeichen also Texte, Grafiken, Töne, Bilder<br />
privat oder öffentlich in allen denkbaren Graden <strong>und</strong> Versionen<br />
durch technische Verbreitungsmittel <strong>Medien</strong> im weitesten Sinne<br />
analog oder digital <strong>und</strong> vernetzt also ohne oder mit Unterstützung<br />
elektronischer Datenverarbeitung<br />
[Computer] <strong>und</strong> Netzsystemen<br />
anonym, verschlüsselt oder explizit<br />
simultan oder zeitversetzt bei räumlicher<br />
Distanz ein- oder wechselseitig<br />
an einzelne, mehrere oder viele<br />
(Adressaten/Zielgruppen) vermittelt werden.<br />
42<br />
also ohne oder mit Rollenwechsel der<br />
Kommunizierenden, wobei letzterer auch<br />
als Interaktivität bezeichnet wird
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Diese Definition versucht den jüngsten Entwicklungen der <strong>Medien</strong> <strong>und</strong> der medialen<br />
Kommunikation Rechnung zu tragen. Angesichts der einhergehenden Transformationen<br />
kann sie nicht mehr so eindeutig <strong>und</strong> dipodisch zwischen personaler <strong>und</strong><br />
<strong>Massenkommunikation</strong> trennen, wie es Maletzke in den 60er Jahren vermochte (siehe<br />
auch Berghaus 1994; Höflich 1995):<br />
Der Begriff der “Aussage” war vermutlich schon immer zu eng <strong>und</strong> missverständlich, denn<br />
darunter müssen auch Unterhaltung, Service oder Werbung subsumiert werden, die man<br />
gemeinhin nicht als “Aussage” versteht. Jedenfalls hört er sich altertümlich an. “Zeichen”,<br />
der Gr<strong>und</strong>begriff der Semiotik, ist neutraler <strong>und</strong> umfasst alle Typen kommunikativ-<br />
medialer Inhalte, auch die, die nicht vorrangig intentional <strong>und</strong> mit einer Botschaft versehen<br />
sind, sowie auch die, die nicht professionell, also im System der institutionalisierten<br />
<strong>Massenkommunikation</strong>, sondern von Amateuren, etwa privaten Videoproduzenten <strong>und</strong><br />
Internet-Usern, produziert werden. Allerdings muss der Zeichenbegriff jeweils spezifiziert<br />
<strong>und</strong> konkretisiert werden. Landläufig wird dafür auch der Begriff der Information benutzt –<br />
selten indes mit jenen Relativierungen, die in den Kap. 2.4 <strong>und</strong> 8.2 ausgeführt sind.<br />
Ebenso kann nicht mehr eindeutig zwischen Öffentlichkeit <strong>und</strong> Privatheit geschieden<br />
werden, wie bereits apostrophiert wurde (siehe Kap. 5.3.1). In den modernen<br />
<strong>Medien</strong>gesellschaften vermischen sich Privates <strong>und</strong> Öffentliches unentwegt, ja es gehört<br />
wohl zu ihren Mechanismen von Herrschafts- <strong>und</strong> Loyalitätssicherung, zu den Strategien<br />
von Aufmerksamkeitsweckung <strong>und</strong> Personalisierung, dass mit vielfältigen Graden <strong>und</strong><br />
Formen von Öffentlichkeit <strong>und</strong> Privatheit gespielt, gewissermaßen das Privat-Intime<br />
veröffentlicht, vielfach allerdings auch nur scheinbar, <strong>und</strong> das Öffentliche als Privates<br />
vergeheimnist <strong>und</strong> sensationslüstern camoufliert wird.<br />
Die elektronischen Online-<strong>Medien</strong> vereinen ohnehin zunehmend private <strong>und</strong> öffentliche<br />
Kommunikation: Das erste Medium war der so genannte Bildschirmtext (seit 1983 in<br />
Deutschland), eine Verbindung von Telefon <strong>und</strong> Fernsehen. Für ihn musste erstmals ein<br />
Gesetz formuliert werden, das privatrechtliche wie öffentlich-rechtliche Optionen verband.<br />
Als “Datex J”(seit 1992) ist der ehemalige Bildschirmtext in das Online-Angebot der<br />
Telekom “T Online” integriert worden. Inzwischen offerieren alle Vernetzungen sowohl<br />
privatrechtliche Dienstleistungen wie öffentliche Kommunikationsformen. Im Internet sind<br />
sämtliche Optionen, bisher weitgehend kostenlos, möglich, so dass es am<br />
43
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offensichtlichsten die anhaltende Transformation <strong>und</strong> Fusion von Kommunikation<br />
markiert. Zugleich kennt es aber auch Abschottungen, die mindestens formal Privatheit<br />
signalisieren (auch wenn sie technisch überwindbar sind): Die diversen News- <strong>und</strong><br />
Chatting-Groups machen sich durch Zugangsschwellen <strong>und</strong> Accounts begrenzt exklusiv;<br />
Intranets schließen sich noch massiver ab <strong>und</strong> vernetzen nur bekannte Adressen, etwa<br />
als interne Firmenkommunikation.<br />
Noch sind einige Übertragungswege analog, wie etwa bei den klassischen<br />
Massenmedien. Manche haben bereits beide Varianten wie etwa die gedruckte <strong>und</strong> die<br />
Online-Zeitung. Hörfunk <strong>und</strong> Fernsehen stehen unmittelbar vor ihrer Digitalisierung (ab<br />
2003); ihre Verwirklichung ist kein technisches Problem mehr, sondern vorrangig ein<br />
marktstrategisches. Aber die Besitz- <strong>und</strong> Machtverhältnisse auf den Märkten des digitalen<br />
R<strong>und</strong>funks sind mächtig umkämpft; sie sind weder zwischen den öffentlich-rechtlichen<br />
<strong>und</strong> den privaten Betreibern noch unter den privaten selbst hinreichend geklärt, wie der in<br />
den 90er Jahren ausgetragene Kampf zwischen den <strong>Medien</strong>konzernen Bertelsmann <strong>und</strong><br />
Kirch <strong>und</strong> der Zusammenbuch des Kirch-Imperiums zu Beginn des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
exemplifizieren.<br />
Wie Zeichen <strong>und</strong> Daten übertragen <strong>und</strong> verbreitet werden, hängt von ihrer Funktion <strong>und</strong><br />
Publizierbarkeit, also von den entsprechenden Intentionen ihrer Urheber, ab. Insofern<br />
finden sich wiederum alle Varianten, von der Geheimhaltung <strong>und</strong>/oder Vertraulichkeit bis<br />
hin zur uneingeschränkten Zugänglichkeit <strong>und</strong> Publizität. Allerdings können ihre Urheber<br />
sie nur noch begrenzt sichern <strong>und</strong> entsprechend kategorisieren. Denn elektronische<br />
Daten sind tendenziell dechiffrierbar, so dass sich die Grade von Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />
Zugänglichkeit für die Nutzung <strong>und</strong> aus Sicht der Technik möglicherweise anders<br />
darstellen als für die Urheber <strong>und</strong> Verbreiter. Um ihre Interessen kümmert sich das seit<br />
Juli 2003 verschärfte Urheberrecht in der B<strong>und</strong>esrepublik (Branahl 2002, 199ff). Doch es<br />
ist nur eine nationale Vorsorge, keine internationale; <strong>und</strong> außerdem sind rechtliche<br />
Schranken noch lange keine technische, d. h., für entsprechend versierte Interessenten<br />
sind sie letztlich überwindbar.<br />
Elektronische Daten sind allerorts (nahezu) gleichzeitig mit ihrer Schöpfung <strong>und</strong> Eingabe<br />
verfügbar, so dass nicht nur der Zeitverzug innerhalb der Produktion, der durch diverse<br />
Phasen der Materialisierung <strong>und</strong> Gestaltung – etwa beim Druck – verursacht wird, wegfällt<br />
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oder zumindest enorm reduziert wird: Letztlich fallen Produktion <strong>und</strong> Rezeption<br />
zusammen, was mit dem Begriff der “Echtzeit” (Virilio 1996; Kloock 2000, 161ff)<br />
gekennzeichnet wird; beim Internet können sie – wie im personalen Dialog – ständig<br />
wechseln. Vor allem das charakteristischste Kriterium der <strong>Massenkommunikation</strong>, die<br />
Einseitigkeit des Kommunikationstransfers, wird mehr <strong>und</strong> mehr aufgehoben –<br />
entsprechend erodiert die Dualität von personaler <strong>und</strong> <strong>Massenkommunikation</strong>. Als<br />
Unterscheidung kann nur dienen, ob allein die natürlichen Kommunikationsmittel des<br />
Menschen, also Sprache, Gestik, Mimik, verwendet werden oder ob ein technisches<br />
Medium zum Einsatz kommt. Bei den technischen <strong>Medien</strong> lassen sich der Grad ihrer<br />
Institutionalisierung <strong>und</strong> der ihrer Professionalisierung spezifizieren, die man auch als<br />
Grad der Gesellschaftlichkeit fassen kann. So dürften sich weiterhin die klassischen<br />
Massenmedien von der Internet-Nutzung unterscheiden lassen, jedoch kaum mehr durch<br />
ihren Grad der Publizität <strong>und</strong> Verbreitung. Denn auch das laienhafteste Produkt kann mit<br />
Internet weltweit verbreitet werden <strong>und</strong> damit verfügbar sein. Ob es allerdings in der Flut<br />
der Daten <strong>und</strong> Informationen beachtet oder gar rezipiert wird, ist eine ganz andere Frage.<br />
Wenn schon der “Verfall” der bürgerlichen Öffentlichkeit das (ehedem als Ideal<br />
apostrophierte) Publikum erodieren <strong>und</strong> zu zufälligen Adressaten <strong>und</strong> Zielgruppen für<br />
diverse Offerten <strong>und</strong> Dienstleistungen diff<strong>und</strong>ieren lässt (Habermas 1969, 1990), dann<br />
beschleunigen <strong>und</strong> forcieren die elektronischen <strong>Medien</strong> diese Umwandlung erheblich, so<br />
dass alle Varianten von Gruppierungen vorkommen. Nur noch bei wenigen entsprechend<br />
publizistisch <strong>und</strong> öffentlichkeitswirksam aufbereiteten Ereignissen (“Events”) dürften sich<br />
Publika im herkömmlichen Sinne konstituieren <strong>und</strong> etwa vor dem Fernsehapparat – vor<br />
dem bis dato am weitesten reichenden Massenmedium – versammeln, um danach<br />
ebenso schnell wieder zu verfallen <strong>und</strong> sich in anderen Formationen zu finden. Auch<br />
wenn Maletzke das Publikum schon als “dispers” charakterisierte, hielt er dennoch am<br />
Begriff des Publikums fest. Für den isolierten Internet-User, aber auch für die Special<br />
Interest-Group einer Zeitschrift, für die von einem Sendebereich eines Hörfunkprogramms<br />
in den anderen gelangenden Autofahrer sowie für die häufig hin <strong>und</strong> her zappenden<br />
Fernsehrezipienten dürfte der historisch <strong>und</strong> normativ belegte Terminus des Publikums<br />
auf Dauer wohl kaum mehr passen. Aber ein angemessenerer <strong>und</strong> vor allem geläufigerer<br />
ist bislang nicht gef<strong>und</strong>en (Burkhart 2002, 355ff).<br />
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9. Objektivität, Universalität, Aktualität, Periodizität: Wie angemessen<br />
sind heute noch die klassischen publizistischen Kriterien?<br />
Wie sich <strong>Massenkommunikation</strong> nicht nur formal, sondern auch prinzipiell, zumindest in<br />
als funktional gedachten Normen definieren lässt, daran versucht sich die traditionelle<br />
Publizistikwissenschaft seit jeher auf vielfache Weise (Dovifat 1931; 1976). Eine der<br />
Bemühungen war, inhaltliche wie zeitliche Dimensionen der Massenmedien zu<br />
postulieren, <strong>und</strong> zwar sowohl im Hinblick auf die Repräsentation von Wirklichkeit als auch<br />
im Hinblick auf ihre Erscheinungsweise als Kriterium für die Dichte <strong>und</strong> Wiederholbarkeit<br />
von Realitätsrepräsentation. Die höchste Norm dürfte nach wie vor die der Objektivität<br />
sein, die man gemeinhin den Nachrichten attestiert. Sie beanspruchen sowohl die<br />
Produzenten in ihrem professionellen Selbstverständnis, als sie auch die Rezipienten als<br />
Maßstab für die Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Relevanz der Nachrichten erwarten (Donsbach<br />
1991; Kunczik/Zipfel 2001, 276ff). Im erkenntnistheoretischen Sinn können Nachrichten<br />
jedoch keine Objektivität beanspruchen. Die moderne Nachrichtenforschung hat viele<br />
zweckdienliche <strong>und</strong> pragmatische Bezugsgrößen für Nachrichten aufgezeigt, die sich aus<br />
der Produktion <strong>und</strong> den professionellen Standards der Nachrichtenproduzenten ergeben<br />
(Wilke 1984). Im täglichen Produktionsgeschäft wird daher der gleichwohl<br />
aufrechterhaltene Anspruch nach Objektivität als möglichst große Sachlichkeit (gegenüber<br />
dem Sujet), Neutralität (gegenüber einer subjektiven Sicht), Relevanz (als Kriterium für die<br />
Wichtigkeit) <strong>und</strong> Vollständigkeit (als Kriterium für die angestrebte <strong>und</strong> erreichte<br />
Umfänglichkeit der Berichterstattung, der sogenannten Nachrichtenlage) übersetzt (Kühler<br />
1979; Wilke 1984; Schütte 1994; Brosius 1995; Hagen 1995).<br />
Nur noch für den seriösen Journalismus dürften auch die anderen Kriterien, nämlich<br />
Universalität (als inhaltliche Reichweite <strong>und</strong> thematische Umfänglichkeit), Aktualität (als<br />
Kriterium für die Zeitspanne zwischen Ereignis <strong>und</strong> Berichterstattung) <strong>und</strong> Periodizität (als<br />
Kriterium für die Erscheinungsweise <strong>und</strong> damit für die Dichte <strong>und</strong> Wiederholbarkeit von<br />
Wirklichkeitsrepräsentation) zutreffen, die dennoch von der Publizistikwissenschaft als<br />
wesentliche Charakteristika für Massenmedien mit erheblicher Energie <strong>und</strong> Akribie zu<br />
definieren versucht worden sind (Merten 1973; Bentele/Ruoff 1982; Bentele/Rühl 1993).<br />
Angesichts der ständig wachsenden Informationsflut kann wohl kein Medium heute mehr<br />
für sich das inhaltliche Ideal der Universalität beanspruchen. Es stammt vornehmlich aus<br />
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früheren Vorstellungen, wie sie seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert mit den enzyklopädischen<br />
Versuchen, das anerkannte Weltwissen zu erfassen <strong>und</strong> zu strukturieren, tradiert <strong>und</strong><br />
dann in die moderne Zeitung <strong>und</strong> Zeitschrift herangetragen wurden, die als<br />
Repräsentanten <strong>und</strong> Verbreiter der jeweils aktuellen, mindestens zeitgenössisch<br />
anerkannten Version dieses Weltwissens fungierten. Doch mit der anhaltenden<br />
Wissensexplosion lassen sich kaum mehr Grenzen für das anerkannte Wissen<br />
konturieren, allein schon Gewichtungen dürften schwer fallen, wie das Internet permanent<br />
veranschaulicht. Allein begrenzte ‘Universalitäten’ sind noch – wenn auch mit Vorbehalten<br />
– vorstellbar, deren Selektion <strong>und</strong> Abgrenzung freilich stets auf dem Prüfstand stehen, oft<br />
aber auch euphemistisch – zu Werbezwecken – behauptet werden. Bei der Zeitung kann<br />
es sich höchstens noch um eine tägliche (oder wöchentliche) Ad-hoc-Universalität<br />
handeln, deren Zustandekommen <strong>und</strong> Gewichtung ähnlich wie bei der Forschung zu den<br />
Nachrichtenfaktoren (Staab 1990; Schütte 1994; Kunczik/Zipfel 2001, 245ff) überprüft<br />
werden müsste; die Zeitschrift als publizistisches Abbild eines auch nur annähernd<br />
universalen Kosmos ist ausgestorben – oder sie gaukelt sie als surrogative Welt der<br />
Shows <strong>und</strong> Stars, der Sensationen <strong>und</strong> highlights vor. Insofern ist der seriöse Anspruch<br />
nach Universalität obsolet geworden; er ist beliebig, unüberprüfbar, lässt sich aber<br />
unentwegt suggerieren.<br />
Pragmatisch lässt er sich nur noch aufrechterhalten, wenn eine bestimmte, selbstgestellte<br />
thematische Reichweite implizit akzeptiert wird. So zeigt beispielsweise die empirische<br />
Nachrichten(wert)forschung, dass Selektion bei der anhaltenden Nachrichtenflut nicht nur<br />
unausweichlich ist, – schätzungsweise maximal 10 Prozent der weltweit verbreiteten<br />
Nachrichten werden jeweils publiziert –, sondern auch, dass sie recht eigenwilligen, wenig<br />
explizierten Kriterien gehorcht (Staab 1990; Schütte 1994; Kunczik/Zipfel 2001, 245ff). Sie<br />
ergeben sich sowohl aus den Konditionen <strong>und</strong> Prozessen des Nachrichtenmarktes, den<br />
Prämissen <strong>und</strong> Strukturen des Mediums – beim Fernsehen anders als beim Radio – als<br />
auch aus der beruflichen Sozialisation <strong>und</strong> der eingeschliffenen Usancen der<br />
Nachrichtenproduzenten, etwa aus dem berühmten journalistischen Gespür <strong>und</strong> dem<br />
Selbstverständnis als Chronist, mithin aus Markt, <strong>Medien</strong> <strong>und</strong> professioneller Mentalität.<br />
Aktualität ist mit der technologischen Entwicklung ständig kurzfristiger geworden: “Live”<br />
avancierte zum attraktivsten Prädikat der elektronischen <strong>Medien</strong>, weshalb es inzwischen<br />
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ständig beschworen wird, auch wenn es sich insgeheim um eine kontrollierte<br />
Aufzeichnung handelt. Heute wird es sogar von der ‘Echtzeit’ übertrumpft, also von der<br />
Gleichzeitigkeit von Ereignis <strong>und</strong> Berichterstattung sowie von der Simultaneität medialer<br />
Reproduktion in diversen (multimedialen) Kanälen (Virilio 1992, 1996; Hörisch 1993;<br />
Kloock/Spahr 2000, 133ff). Daneben ist eine Aktualität zweiten oder auch posterioren<br />
Grades – vornehmlich für die Druckmedien – erf<strong>und</strong>en worden, da die Rasanz der<br />
Produktion die Berichterstattung in den elektronischen <strong>Medien</strong> sehr verkürzt <strong>und</strong> ihr<br />
vielfach Hintergr<strong>und</strong> wie Einordnung zum Opfer fallen. So arbeiten vor allem<br />
ausführlichere <strong>und</strong> auch wertende Formen des Journalismus – etwa in Magazinen,<br />
Berichten <strong>und</strong> Reportagen – Hintergründe aktueller Ereignisse auf, avisieren <strong>und</strong><br />
beurteilen Entwicklungen <strong>und</strong> Tendenzen <strong>und</strong> erschließen Zusammenhänge. Bei<br />
investigativen Vorgehensweisen des Journalismus, bei denen unbekannte Tatsachen<br />
oder geheim gehaltene Machenschaften enthüllt <strong>und</strong> damit der öffentlichen Diskussion<br />
zugänglich gemacht werden (Ludwig 2002), schaffen die <strong>Medien</strong> selbst Aktualität, da ihre<br />
Redaktionen bestimmen, wann <strong>und</strong> wie sie ihre Recherchen <strong>und</strong> Enthüllungen<br />
veröffentlichen wollen. Die Publikation wird dabei zum Ereignis <strong>und</strong> kann dann ihrerseits<br />
publizistische Reaktionen <strong>und</strong> Weiterungen auslösen. Vor allem die wöchentlichen<br />
Magazine – wie SPIEGEL, STERN <strong>und</strong> FOCUS – sehen in solch einer publizistischen<br />
Aktualität ihre öffentliche Aufgaben, <strong>und</strong> sie leben auch publizistisch wie ökonomisch von<br />
ihr.<br />
Allerdings sind die Übergänge zur so genannten “Pseudo-Aktualität” fließend, deren sich<br />
besonders populäre <strong>Medien</strong> mit denen von ihnen initiierten oder gar inszenierten<br />
Ereignissen (“Events”) <strong>und</strong> “News” unaufhörlich befleißigen. Denn auch besagte<br />
Magazine bauschen oft Pseudo-Ereignisse, Vermutungen <strong>und</strong> Verdächtigungen<br />
unverhältnismäßig auf <strong>und</strong> produzieren “Schein-Enthüllungen”, wenn nicht gar<br />
Falschmeldungen (“Enten”). Denn alle <strong>Medien</strong> müssen <strong>und</strong> wollen in der heute<br />
verschärften Konkurrenz <strong>und</strong> Vielzahl Aufmerksamkeit erzeugen, am besten eine, die sie<br />
selbst lancieren <strong>und</strong> bestimmen, sie setzen sich mithin selbst als Aktualität <strong>und</strong> Nachricht<br />
<strong>und</strong> betonen die bereits weit gediehene Selbstreferentialität bzw. Eigenrealität des<br />
<strong>Medien</strong>systems. Immer weniger fungiert es nämlich als öffentlicher Mittler zwischen<br />
sozialer Wirklichkeit <strong>und</strong> Publikum, vielmehr agiert es oft genug als besagte eigene<br />
Realität, die sich dem Publikum als vermeintlich bedeutend <strong>und</strong> attraktiv aufdrängt.<br />
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Die Periodizität, die regelmäßige Erscheinungsweise, wie sie die Printmedien seit dem<br />
17. Jahrh<strong>und</strong>ert allmählich herausbildeten, haben die elektronischen Massenmedien bis<br />
zur sek<strong>und</strong>engenauen Perfektion hypertrophiert, so dass sowohl feste Zeitrhythmen<br />
entstanden sind, die sich in den Alltag des Publikums eingraviert haben, als sich auch<br />
dadurch weitgehend stabile Publika formieren (Neverla 1992). Diese werden inzwischen<br />
von den “Formatkonzepten” in Radio <strong>und</strong> Fernsehen weiter perfektioniert: Bestimmte<br />
Publikumsgruppen bekommen gewissermaßen im fixen Zeitkorsett all ihre Nutzerwünsche<br />
befriedigt <strong>und</strong> sollen möglichst selten ihr bevorzugtes Medium bzw. Programm verlassen.<br />
Unter dem Diktat der Werbung, die ebenfalls solch fixe Zielgruppen-Bindung verlangt,<br />
werden Serien <strong>und</strong> andere Sendungen sogar im täglichen Rhythmus wie die so<br />
genannten “Daily(Soap)s” angeboten. Programme sind inzwischen starr fixiert, ihre<br />
Änderungen bedürfen jeweils gesicherter Entscheidungen, die vorrangig nach den<br />
Kriterien von Marketing, Resonanz <strong>und</strong> Akzeptanz getroffen werden <strong>und</strong> die oft genug<br />
definitive Folgen haben, oder sie erfolgen – im besseren Fall – infolge außergewöhnlicher<br />
Ereignisse. Denn mit den Sendeplätzen sind zugleich erwünschte oder schon einmal<br />
erkämpfte Reichweiten <strong>und</strong> Marktanteile kalkuliert. Werden diese von den Sendungen<br />
oder ihren Protagonisten nicht erreicht, werden sie umstandslos ausgewechselt. Das<br />
äußere Format bleibt, nur die Figuren <strong>und</strong> Inhalte werden modifiziert. So firmiert<br />
Periodizität immer weniger als ein publizistisches Kriterium denn als ein Marktkalkül.<br />
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />
Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig <strong>und</strong> strafbar. Das gilt insbesondere für<br />
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen <strong>und</strong> die Speicherung <strong>und</strong><br />
Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />
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