Rundfunk in Stuttgart 1934 - Mediaculture online
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Autor: Lersch, Edgar.<br />
Titel: <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> <strong>1934</strong>- 1949.<br />
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Quelle: Süddeutscher <strong>Rundfunk</strong> (Hrsg.): Südfunk- Hefte, Heft 17. <strong>Stuttgart</strong> 1990.<br />
Verlag: Süddeutscher <strong>Rundfunk</strong>.<br />
Die Veröffentlichung erfolgt mir freundlicher Genehmigung des Autors.<br />
Vorwort<br />
Edgar Lersch<br />
<strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> <strong>1934</strong> - 1949<br />
In e<strong>in</strong>er <strong>Rundfunk</strong>anstalt s<strong>in</strong>d die Energien – gemäß dem gesetzlichen<br />
Auftrag – <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf das Programm ausgerichtet. Fragen der<br />
Aufbewahrung der Programmleistungen oder gar der Erhellung längst<br />
vergangener Zeitabschnitte s<strong>in</strong>d angesichts der täglichen Arbeit und Rout<strong>in</strong>e<br />
von eher nachgeordneter Bedeutung. Doch im steigenden Maße <strong>in</strong>teressiert<br />
sich die Öffentlichkeit für Hörfunk und Fernsehen, beschäftigen sich<br />
Historiker und Soziologen mit den Medien, denen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>sgeheime, wenn<br />
nicht sogar e<strong>in</strong>e unheimliche Macht und Verführung zugetraut wird.<br />
Folgerichtig hat auch der Süddeutsche <strong>Rundfunk</strong> e<strong>in</strong>en Teil der genannten<br />
Energien auf se<strong>in</strong>e eigene Vergangenheit gelenkt und beg<strong>in</strong>nt, se<strong>in</strong>e eigene<br />
Geschichte aufzuarbeiten. In der Reihe dieser gelben Südfunkhefte hat 1984<br />
Eberhard Klumpp als Nr. 9 "Das erste Jahrzehnt – Der Südfunk und se<strong>in</strong><br />
Programm 1924 bis 1933/34" geschildert. Der Leiter des Historischen Archivs<br />
im Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>, Edgar Lersch, schlägt nun e<strong>in</strong>e Brücke über zwölf<br />
Jahre "Reichssender <strong>Stuttgart</strong>", <strong>in</strong> denen das Programm immer stärker<br />
reduziert wurde, zu" Radio <strong>Stuttgart</strong>, e<strong>in</strong>em Sender der amerikanischen<br />
Militärregierung". Dieser Brückenschlag ist ke<strong>in</strong> Akt des Verdrängens, dazu<br />
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ist dieses Kapitel nationalsozialistischer Medienpolitik zu gut erforscht, wie<br />
Ansgar Diller 1980 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch" <strong>Rundfunk</strong>politik im Dritten Reich" <strong>in</strong> der<br />
von Hans Bausch herausgegebenen Reihe "<strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> Deutschland" belegt.<br />
Es ist vielmehr e<strong>in</strong> legitimer Bogen, denn personell und organisatorisch hat<br />
man auch <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> 1945 manche Fäden wieder aufgenommen, die 1933<br />
zerschnitten worden waren. Das Kapitel <strong>Rundfunk</strong>arbeit unter<br />
amerikanischer Hoheit und Kontrolle endet mit dem 22. Juli 1949, mit der<br />
Übergabe von "Radio <strong>Stuttgart</strong>" <strong>in</strong> deutsche Hände, wenige Wochen nach der<br />
Gründung des Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>s auf der Grundlage e<strong>in</strong>es Gesetzes<br />
des damaligen Landes Württemberg - Baden.<br />
Se<strong>in</strong>erzeit haben die letzten amerikanischen Kontrolloffiziere <strong>in</strong> der<br />
Neckarstraße 145 ihre Büros geschlossen. Ihre schriftlichen Unterlagen<br />
werden <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten aufbewahrt, <strong>in</strong> den Akten der "Radio<br />
Branch" des "Office of Military Government of the United States" (OMGUS).<br />
Diese Akten s<strong>in</strong>d mikroverfilmt und selbstredend ausgewertet worden. Von<br />
den Ablagen der deutschen Mitarbeiter s<strong>in</strong>d nur Splitterbestände auf uns<br />
gekommen, ziemlich vollständig ist jedoch die Programmüberlieferung <strong>in</strong><br />
Manuskripten und Sendelaufplänen, gelegentlich auch <strong>in</strong> Bandaufnahmen. Die<br />
Er<strong>in</strong>nerungen von e<strong>in</strong>igen Funkleuten der ersten Stunde haben zudem<br />
wertvolle H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen gebracht.<br />
Gleichwohl ist die Darstellung von <strong>Rundfunk</strong>geschichte und<br />
Programmentwicklungen, auch wenn es damals nur den Hörfunk und für<br />
diesen nur e<strong>in</strong> Programm gegeben hat, e<strong>in</strong> schwieriges Unterfangen, die<br />
Zeitspanne mag so kontrastreich gewesen se<strong>in</strong> wie die Nachkriegsjahre oder<br />
nicht. Wie bei e<strong>in</strong>er Theater - und Zeitungsgeschichte stellt sich das Problem,<br />
vielfältige Sendungen und Sendeleistungen – also Inhalte – zu komprimieren<br />
und <strong>in</strong> Worte zu fassen, e<strong>in</strong>en plausiblen Zusammenhang zwischen<br />
Programm und Organisation herzustellen, letzten Endes Personen und<br />
Persönlichkeiten zu bewerten. Angesichts solcher Schwierigkeiten ist es e<strong>in</strong><br />
2
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unbestreitbarer Gew<strong>in</strong>n, vieles auch optisch zeigen zu können. Wenn das hier<br />
mit etwa hundert Abbildungen<br />
*<br />
geschieht, so ist hervorzuheben, daß fast<br />
genau die Hälfte der Aufnahmen aus dem Nachlaß des Fotografen und<br />
Kameramanns Hans Vetter stammt, die nun hier erstmals der Öffentlichkeit<br />
zugänglich gemacht werden.<br />
Mart<strong>in</strong> Blümcke<br />
Sende- und Vortragsraum im Gebäude am Charlottenplatz, aufgenommen im<br />
Januar 1925<br />
* Um nicht zu e<strong>in</strong>er riesigen Dateigröße zu kommen, haben wir uns auf 13 Abbildungen<br />
beschränkt. [Anm. der Scanner<strong>in</strong>]<br />
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Abspielgeräte für Schallplatten <strong>in</strong> den Räumen der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG,<br />
Aufnahme von 1928<br />
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Der Reichssender <strong>Stuttgart</strong> und se<strong>in</strong> jähes Ende<br />
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Mit der Ansage "Hier ist Radio <strong>Stuttgart</strong>, e<strong>in</strong> Sender der amerikanischen<br />
Militärregierung" beendete Capta<strong>in</strong> Fred G. Taylor, amerikanischer<br />
<strong>Rundfunk</strong>offizier und zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Leiter von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>, am 3. Juni 1945 um 17.45 Uhr die fast zweimonatige Funkstille auf der<br />
Mittelwelle, 523 Meter. Dieser Tag eröffnete e<strong>in</strong> neues Kapitel der Geschichte des<br />
<strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong> Südwestdeutschland, der seit 1924 se<strong>in</strong>en zentralen Sitz <strong>in</strong><br />
<strong>Stuttgart</strong> gehabt hatte und der erst am 5. April 1945 mit der Zerstörung der<br />
Sendeanlagen <strong>in</strong> Mühlacker durch auf dem Rückzug bef<strong>in</strong>dliche deutsche<br />
Verbände verstummte.<br />
In den 21 Jahren, die seit der am 3. März 1924 erfolgten formellen Gründung der<br />
<strong>Stuttgart</strong>er Sendegesellschaft "Süddeutsche <strong>Rundfunk</strong> AG" (auch SÜRAG genannt)<br />
bzw. dem Programmbeg<strong>in</strong>n am 11. Mai 1924 vergangen waren, spiegelten sich <strong>in</strong><br />
der südwestdeutschen <strong>Rundfunk</strong>geschichte sowohl die allgeme<strong>in</strong>e politische<br />
Entwicklung als auch die Problemlagen des deutschen <strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong> der Weimarer<br />
Republik und <strong>in</strong> der Zeit des Nationalsozialismus. Zwischen 1924 und 1933<br />
zählte die SÜRAG, gemessen an den Hörerzahlen, zu den kle<strong>in</strong>en Gesellschaften,<br />
obwohl das Versorgungs- und Gebührene<strong>in</strong>zugsgebiet die damaligen Länder<br />
Baden, Württemberg und das zu Preußen gehörende Hohenzollern umfaßte.<br />
Wegen der <strong>in</strong> den ländlichen Regionen dieser Gebiete sich relativ langsam<br />
steigernden Hörerzahlen und des damit <strong>in</strong>sgesamt ger<strong>in</strong>gen<br />
Gebührenaufkommens war die <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>gesellschaft <strong>in</strong> ständiger<br />
F<strong>in</strong>anznot. Am Ende der Zwanziger Jahre ließ sich e<strong>in</strong> volles <strong>Rundfunk</strong>programm,<br />
das damals bereits 16 bis 18 Stunden erreichte, von der SÜRAG alle<strong>in</strong>e nicht mehr<br />
f<strong>in</strong>anzieren. Deshalb wurde 1929 e<strong>in</strong>e vorübergehende Programmgeme<strong>in</strong>schaft<br />
mit der Südwestdeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG <strong>in</strong> Frankfurt e<strong>in</strong>gegangen.<br />
Unter dem <strong>in</strong> künstlerischen Belangen und besonders <strong>in</strong> Theaterfragen versierten<br />
Vorstand der Gesellschaft, Dr. Alfred Bof<strong>in</strong>ger, setzte das Programm der SÜRAG<br />
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im Rahmen der begrenzten f<strong>in</strong>anziellen Möglichkeiten manche Glanzlichter:<br />
Eberhard Klumpp hat im "Südfunk- Heft" Nr. 9 die Programmentwicklung im<br />
e<strong>in</strong>zelnen dargestellt. Wie bei den anderen <strong>Rundfunk</strong>gesellschaften war die<br />
publizistische Funktion des Mediums neben der unterhaltenden und bildenden<br />
e<strong>in</strong>geengt. Auch <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> achtete e<strong>in</strong> politischer Überwachungsausschuß<br />
darauf, daß ke<strong>in</strong>e aktuellen, tagespolitischen Fragen im Programm erörtert<br />
wurden. Gelegentlich fielen die Entscheidungen <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> engherziger aus als<br />
beispielsweise <strong>in</strong> Frankfurt. Unüberhörbare Markenzeichen des <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Senders waren die schwäbischen Heimatsendungen sowie die K<strong>in</strong>derstunden <strong>in</strong><br />
schwäbischem Dialekt: Sie trugen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Württemberg zu e<strong>in</strong>er<br />
Verankerung des <strong>Rundfunk</strong>s im Bewußtse<strong>in</strong> der Bevölkerung wesentlich bei.<br />
Gerade <strong>in</strong> diesen Programmsparten waren schon damals Künstler tätig, die auch<br />
noch nach 1945 das Programm der <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>station mit prägen<br />
sollten 1 .<br />
Im Dritten Reich, also seit 1933, verlor das gleichgeschaltete Württemberg wie<br />
alle ehemaligen Länder des Reichs jeglichen E<strong>in</strong>fluß auf die nun als GmbH<br />
geführte <strong>Rundfunk</strong>gesellschaft. Die aus der Gründungszeit noch übrig<br />
gebliebenen wenigen Privataktionäre hatte bereits die sogenannte Papensche<br />
<strong>Rundfunk</strong>reform von 1932 endgültig verdrängt. Somit war der <strong>Rundfunk</strong> bereits<br />
vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten völlig verstaatlicht. Schließlich<br />
g<strong>in</strong>gen die Geschäftsanteile Württembergs am <strong>Stuttgart</strong>er Sender am 28. April<br />
<strong>1934</strong> an die Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) über. Damit war das ursprünglich<br />
föderal und dezentral angelegte <strong>Rundfunk</strong>system im Deutschen Reich nun<br />
endgültig <strong>in</strong> e<strong>in</strong> zentralistisches Organisationsgefüge gepreßt. Nachdem schon<br />
im Frühjahr 1933 bei der <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>gesellschaft zahlreiche Mitarbeiter<br />
aus der sogenannten "Systemzeit" entlassen worden waren – Intendant Alfred<br />
Bof<strong>in</strong>ger blieb dagegen als e<strong>in</strong>ziger der Vorstände der früheren<br />
<strong>Rundfunk</strong>gesellschaften im Amt, und dies formell bis 1945 - , gab es über die<br />
1 Sibylle Grube, <strong>Rundfunk</strong>politik <strong>in</strong> Baden und Württemberg 1924- 1933, Berl<strong>in</strong> 1976; Eberhard<br />
Klumpp, Das Erste Jahrzehnt. Der Südfunk und se<strong>in</strong> Programm 1924 bis 1933/34 (= Südfunk-<br />
Hefte 9), <strong>Stuttgart</strong> 1984.<br />
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RGG e<strong>in</strong>e direkte und enge Verb<strong>in</strong>dung zwischen dem "Reichsm<strong>in</strong>isterium für<br />
Volksaufklärung und Propaganda" von Joseph Goebbels und der nun<br />
"Reichssender <strong>Stuttgart</strong>" genannten <strong>Rundfunk</strong>station.<br />
Die Gleichschaltung und Vere<strong>in</strong>heitlichung des <strong>Rundfunk</strong>s im<br />
nationalsozialistischen Deutschland zog für die regionalen <strong>Rundfunk</strong>stationen<br />
zweierlei Konsequenzen nach sich: Erstens wurde die eigenständige<br />
Programmplanung und - produktion der Reichssender zunehmend e<strong>in</strong>geengt.<br />
Neben den zahlreichen Reichssendungen, denen sich alle Stationen<br />
anzuschließen hatten, gab es um die Jahreswende 1933/34 auch e<strong>in</strong>en bald<br />
gescheiterten Versuch, mit Hilfe von drei Sendergruppen das vielgestaltige Bild<br />
des <strong>Rundfunk</strong>s unter dem Vorwand von E<strong>in</strong>sparungen radikal zu vere<strong>in</strong>fachen. Es<br />
gab e<strong>in</strong>e Gruppe "West" mit <strong>Stuttgart</strong>, Frankfurt und Köln, die damit an bereits<br />
vorhandene Ansätze der Zusammenarbeit, anknüpfte, sowie die Gruppe "Nord"<br />
und "Südost". Doch diese Organisationsreform mußte schon nach wenigen<br />
Wochen wieder aufgegeben werden, da sich Proteste unterschiedlicher<br />
Interessengruppen und Betroffener gegen diese Maßnahme häuften. Auch hatte<br />
sich bald herausgestellt, daß das Konzept allzu schlecht durchdacht war.<br />
Zweitens griff das Propagandam<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> immer wieder direkt <strong>in</strong> die<br />
Programmgestaltung e<strong>in</strong> durch die Plazierung besonderer Übertragungen von<br />
Festlichkeiten, Führerreden und Aufmärschen, um so mit Hilfe des Radios e<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>heitliches "Wir- Gefühl" der Volksgenossen zu entwickeln.<br />
Neben den täglichen Sprachregelungen im Bereich der Nachrichtengebung<br />
versuchte das Propagandam<strong>in</strong>isterium auch durch die Vorgaben allgeme<strong>in</strong>er<br />
Grundsätze, die Programmgestaltung der Reichsrundfunkgesellschaft zu lenken,<br />
um die "Stimmung" <strong>in</strong> der Bevölkerung zu bee<strong>in</strong>flussen. Das Übermaß an<br />
Übertragungen von Parteiveranstaltungen und propagandistisch orientierten<br />
Wortsendungen im Jahr 1933 hatte allerd<strong>in</strong>gs Unmut bei den Hörern erzeugt. Die<br />
Zahl der propagandistischen Sendungen wurde daraufh<strong>in</strong> zurückgenommen.<br />
<strong>1934</strong>/35 herrschte dann e<strong>in</strong>e Tendenz vor, "nationalsozialistische<br />
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Kulturleistungen" mit e<strong>in</strong>em anspruchvollen Radioprogramm zu präsentieren.<br />
Doch mußte von 1935 an – angesichts von nicht verstummender Kritik – den<br />
Vorstellungen großer Teile der Hörerschaft und ihrem Wunsch nach Entspannung<br />
und Unterhaltung mehr Rechnung getragen werden. Dies schlug sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Erhöhung des Musikanteils im Programm der Reichssender auf etwa 60 Prozent<br />
im Jahr <strong>1934</strong> und auf etwa 70 Prozent im Jahr 1938 nieder. Als im Zweiten<br />
Weltkrieg, vor allem seit dem Herbst 1941 beim Stocken des Vormarsches <strong>in</strong><br />
Rußland, nicht mehr nur Wehrmachtsberichte mit Siegesmeldungen durch den<br />
<strong>Rundfunk</strong> zu verkünden waren, tat sich erneut das Spannungsverhältnis zwischen<br />
den Zielen massiver Propaganda und notwendiger "Stimmungsaufhellung" der<br />
Bevölkerung durch den <strong>Rundfunk</strong> auf: im September 1941 beispielsweise wurde<br />
ausdrücklich Weisung für e<strong>in</strong> aufgelockertes, unterhaltendes Abendprogramm<br />
gegeben. 2<br />
Schon seit Kriegsbeg<strong>in</strong>n war das sowieso bereits e<strong>in</strong>geschränkte Eigenprogramm<br />
der e<strong>in</strong>zelnen Reichssender weitgehend zugunsten des reichsweiten<br />
E<strong>in</strong>heitsprogramms noch weiter reduziert, bevor man im Juli 1940 dann endgültig<br />
e<strong>in</strong> über weite Strecken e<strong>in</strong>heitliches Reichsprogramm e<strong>in</strong>geführt hatte. Ger<strong>in</strong>ge<br />
regionale Programmanteile gab es lediglich noch vormittags im Landfunk, <strong>in</strong> der<br />
K<strong>in</strong>der- und Heimatstunde und – recht selten – auch noch im sogenannten<br />
Zeitfunk.<br />
Mitarbeiter des Reichssender <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> SA- und SS-Uniformen im Hof des<br />
<strong>Rundfunk</strong>gebäudes am Charlottenplatz.<br />
2 Ansgar Diller, <strong>Rundfunk</strong>politik im Dritten Reich (= <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> Deutschland, hrsg. von Hans<br />
Bausch, Bd. 2) München 1980 und Walter Kl<strong>in</strong>gler, Nationalsozialistische <strong>Rundfunk</strong>politik 1942-<br />
1945, Phil.Diss. Mannheim 1983.<br />
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Die kriegsbed<strong>in</strong>gte Konzentration des <strong>Rundfunk</strong>s führte dazu, daß ab Frühjahr<br />
1942 auch vermehrt Betriebsstätten stillgelegt wurden. Das <strong>Stuttgart</strong>er Funkhaus<br />
jedoch sollte beschränkt funktionsfähig bleiben, um im Falle von Luftangriffen<br />
und bei Ausfällen sonstiger Art für andere Stationen e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen zu können.<br />
Dennoch wurde im Dezember 1942 auch der Reichssender <strong>Stuttgart</strong> weitgehend<br />
stillgelegt, das Personal bis auf zwei Mann nach Frankfurt am Ma<strong>in</strong> abgeordnet.<br />
Bis zur Zerstörung der Studioe<strong>in</strong>richtungen und Büros des Reichssenders <strong>in</strong><br />
<strong>Stuttgart</strong>, der se<strong>in</strong>en Sitz im ehemaligen Waisenhaus an der Danziger Freiheit,<br />
dem heutigen Charlottenplatz hatte, bei den schweren Bombenangriffen am<br />
24./25. Juli 1944 blieb lediglich noch e<strong>in</strong> Produktionsstudio für Tanzmusik <strong>in</strong><br />
Betrieb. E<strong>in</strong> im März 1944 <strong>in</strong> Bad Mergentheim e<strong>in</strong>gerichtetes Behelfsstudio des<br />
Reichssenders war dagegen bis Kriegsende <strong>in</strong>takt.<br />
Von Bad Mergentheim aus erfolgte auch am 5. April 1945 um 23.00 Uhr die letzte<br />
Durchsage des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> mit dem H<strong>in</strong>weis, daß die Übertragungen<br />
nun e<strong>in</strong>gestellt würden. Man empfahl den Hörern, auf andere Frequenzen<br />
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umzuschalten. Der bis dah<strong>in</strong> noch funktionsfähige Großsender Mühlacker wurde<br />
am 6. April 1945 von e<strong>in</strong>er Wehrmachts- E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> die Luft gesprengt, weitere<br />
Zerstörungen wurden im und am Sendergebäude vorgenommen. Dies entsprach<br />
dem Führerbefehl vom 19.März 1945, "alle ( ... ) Nachrichtenanlagen ( ... )<br />
<strong>in</strong>nerhalb des Reichsgebiets, die sich der Fe<strong>in</strong>d zur Fortsetzung se<strong>in</strong>es Kampfes<br />
irgendwie sofort oder <strong>in</strong> absehbarer Zeit nutzbar machen kann", zu zerstören.<br />
Damit herrschte auf der für die Bevölkerung gewohnten Frequenz des <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Heimatsenders Funkstille.<br />
Das zerstörte Gebäude des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> am Charlottenplatz, Juli 1944<br />
Der Sender der amerikanischen Militärregierung<br />
Das <strong>Rundfunk</strong>konzept der amerikanischen Besatzungsmacht<br />
Am 8. April 1945, zwei Tage nach dem jähen Ende des Senders, traf e<strong>in</strong><br />
Vorauskommando der Amerikaner <strong>in</strong> Mühlacker e<strong>in</strong>, um das Gelände <strong>in</strong><br />
Augensche<strong>in</strong> zu nehmen. Diese Inspektion der Sendeanlagen <strong>in</strong> Mühlacker und<br />
andere bald e<strong>in</strong>setzende praktische Maßnahmen zur Wiederaufnahme des<br />
Programmbetriebs offenbarten das große Interesse der amerikanischen<br />
Besatzungsmacht an der Wiederherstellung des <strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong> Deutschland. Sie<br />
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wußten um die Rolle des <strong>Rundfunk</strong>s im Dritten Reich und um die großen<br />
Chancen, dieses Medium als Aufklärungsmittel und Ordnungsfaktor <strong>in</strong> den<br />
Nachkriegswirren e<strong>in</strong>zusetzen, zumal mit e<strong>in</strong>em baldigen Ersche<strong>in</strong>en von<br />
Zeitungen nicht zu rechnen war.<br />
Bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grade hatten sich die Besatzungsmächte auf die Aufgabe,<br />
den <strong>Rundfunk</strong> wieder e<strong>in</strong>zurichten, vorbereitet. Im Zuge der alliierten Beratungen<br />
über die Grundzüge der Besatzungspolitik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em besiegten Deutschland war<br />
e<strong>in</strong> Gesamtkonzept für die Kontrolle, wie auch für die künftige Stellung der<br />
Medien und damit des <strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gewandelten Deutschland entwickelt<br />
und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>ige grundlegende Vorschriften gefaßt worden. Dazu gehörte das Gesetz<br />
191 des Hauptquartiers der Alliierten Streitkräfte (SHAEF) vom 24. November<br />
1944, das zunächst alle Aktivitäten der Deutschen im Bereich des Buch- ,<br />
Zeitungs- und Zeitschriftenwesens, des Films und des <strong>Rundfunk</strong>s verbot. Der<br />
nationalsozialistische Propagandaapparat sollte völlig zerstört, vollkommen neue<br />
Medienorganisationen geschaffen werden. Wobei allerd<strong>in</strong>gs sofort mit dem<br />
Wiederaufbau begonnen werden mußte: Amerikaner und Engländer waren sich im<br />
klaren darüber, daß auch e<strong>in</strong> besetztes und se<strong>in</strong>er staatlichen Funktionen<br />
weitgehend beraubtes Land nicht ohne Elemente von Nachrichtenübermittlung<br />
und anderen Formen der Information und Massenkommunikation existieren<br />
könne.<br />
Für die Praxis des Besatzungsalltags <strong>in</strong> der amerikanischen Zone lagen dann<br />
wenige Tage nach Kriegsende, am 12. Mai 1945, das geheime "Manual for the<br />
Control of German Information Services", e<strong>in</strong>e "Information Control Regulation"<br />
und e<strong>in</strong>e "Information Control Instruction" als ergänzende Vorschriften für die<br />
Kontrolle und den Wiederaufbau im Bereich der Medien vor. Im "Manual for the<br />
Control of German Information Services" waren drei Etappen beim Wiederaufbau<br />
der <strong>Rundfunk</strong>e<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Deutschland, soweit sie die amerikanische Zone<br />
betrafen, festgelegt: Nach dem als "Phase l" bezeichneten Verbot aller<br />
publizistischen Aktivitäten auf deutscher Seite war daran gedacht, <strong>in</strong> der "Phase<br />
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II" mit Unterstützung geeigneten deutschen Personals unter amerikanischer<br />
Überwachung die Verbreitung von <strong>Rundfunk</strong>programmen aufzubauen. Sukzessive<br />
sollte die alltägliche <strong>Rundfunk</strong>arbeit <strong>in</strong> deutsche Hände übertragen werden. Nach<br />
e<strong>in</strong>iger Zeit war dann als "Phase III" e<strong>in</strong>e Übergabe des <strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong> deutsche<br />
Verantwortung vorgesehen. Der endgültige Rückzug der Amerikaner aus der<br />
letztentscheidenden Verantwortung für den <strong>Rundfunk</strong> sollte allerd<strong>in</strong>gs neue<br />
gesetzliche Grundlagen für das <strong>Rundfunk</strong>system zur Voraussetzung haben. So<br />
geschah es auch 3 .<br />
Insgesamt waren Engländer und Amerikaner besser auf e<strong>in</strong>e Wiederherstellung<br />
des <strong>Rundfunk</strong>s vorbereitet als die Franzosen. So waren die Verantwortlichen der<br />
französischen Armee bei den Operationen <strong>in</strong> der Umgebung von Mühlacker<br />
offensichtlich nicht über die Nähe dieses bedeutenden Senderstandorts<br />
<strong>in</strong>formiert. Auch der Vandalismus der französischen Soldaten unter den<br />
Beständen an Tonträgern im zerstörten <strong>Stuttgart</strong>er Funkhaus sowie die Mühe, die<br />
die Franzosen mit der E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es eigenen <strong>Rundfunk</strong>senders <strong>in</strong> ihrer<br />
Besatzungszone hatten, lassen erkennen, daß sie sich auf diesem Sektor weniger<br />
vorbereitet hatten. Dagegen war es den Amerikanern sehr wichtig, die noch<br />
vorhandene technische Infrastruktur des <strong>Rundfunk</strong>s möglichst unversehrt <strong>in</strong> die<br />
Hand zu bekommen und so bald wie möglich zur Verbreitung von Nachrichten<br />
und e<strong>in</strong>es <strong>Rundfunk</strong>programms zu nutzen.<br />
Am 14. Juni 1945 wurde das Alliierten Oberkommando (SHAEF) aufgelöst.<br />
Seitdem war für die Informationskontrolle <strong>in</strong> der amerikanischen Besatzungszone<br />
die <strong>in</strong> "Information Control Division" (ICD) umbenannte frühere "Psychological<br />
Warfare Division" verantwortlich, die dem Hauptquartier der US-Streitkräfte, also<br />
dem militärischen Befehlsstrang, bis zum Frühjahr 1946 unterstellt blieb. Erst zu<br />
diesem Zeitpunkt wurde die Informationskontrolle <strong>in</strong> die Organisationsstruktur<br />
der für den zivilen Bereich verantwortlichen Militärregierungen, bekannt unter<br />
dem Kürzel OMGUS (= Office of Military Governement of the United States),<br />
3 Hans Bausch, <strong>Rundfunk</strong>politik nach 1945, Erster Teil (= <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> Deutschland, Bd. 3),<br />
München 1980, S. 65 ff.<br />
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e<strong>in</strong>gefügt. Sie war nicht nur zuständig für die Überwachung von <strong>Rundfunk</strong> und<br />
Presse, sondern auch für die Kontrolle der Theater, des Films, des Kabaretts. Die<br />
Zentrale der ICD war bei der amerikanischen Militärregierung für Deutschland<br />
angesiedelt. Bei den Militärregierungen der e<strong>in</strong>zelnen Länder der amerikanischen<br />
Besatzungszone firmierten die <strong>Rundfunk</strong>- Detachments nach der Integration <strong>in</strong><br />
den Bereich der allgeme<strong>in</strong>en Besatzungsverwaltung um zur "Radio Branch"<br />
<strong>in</strong>nerhalb der ICD <strong>in</strong> Hessen, Bayern und auch <strong>in</strong> Württemberg- Baden. 1948<br />
wurde die ICD umbenannt <strong>in</strong> "Information Services Division" (ISD).<br />
Der Informationsfluß zwischen der amerikanischen Regierungszentrale <strong>in</strong><br />
Wash<strong>in</strong>gton, der ICD/ISD- Zentrale bei OMGUS für Deutschland, und den<br />
Abteilungen bei den e<strong>in</strong>zelnen Militärregierungen der Länder erwies sich<br />
<strong>in</strong>sgesamt als relativ schwach und langsam: Er war daher wenig effizient. Es gab<br />
offensichtlich auch wenig Austausch unter den für das Radio zuständigen<br />
Offizieren <strong>in</strong> München, Frankfurt, <strong>Stuttgart</strong> und Bremen 4 .<br />
Die amerikanische <strong>Rundfunk</strong>konzeption teilt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en verbietenden,<br />
verh<strong>in</strong>dernden und e<strong>in</strong>en erzieherisch- aufbauenden Teil, beide ergänzten sich<br />
jedoch <strong>in</strong> komplementärer Weise. Ziel strenger Überwachung des<br />
<strong>Rundfunk</strong>programms sollte e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>, die Verbreitung nationalsozialistischen<br />
Gedankenguts zu verh<strong>in</strong>dern, aber auch Kritik an den Besatzungsmächten<br />
abzuwehren. E<strong>in</strong>e Kontrollratsdirektive noch vom 12. Oktober 1946 untersagte<br />
alle Äußerungen, die:<br />
"a) dazu beitragen, nationalistische, pangermanistische, militaristische und<br />
faschistische oder antidemokratische Ideen zu verbreiten;<br />
b) Gerüchte zu verbreiten, die zum Ziele haben, die E<strong>in</strong>heit der Alliierten zu<br />
untergraben oder welche Mißtrauen oder Fe<strong>in</strong>dschaft des deutschen Volkes gegen<br />
e<strong>in</strong>e der Besatzungsmächte hervorrufen;<br />
4 Barbara Mettler, Demokratisierung und Kalter Krieg. Zur amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>politik <strong>in</strong><br />
Westdeutschland 1945- 1949 (= <strong>Rundfunk</strong>forschung, Bd. 2), Berl<strong>in</strong> 1975, S. 49ff.<br />
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c) Kritiken enthalten, weiche gegen Entscheidungen der Konferenzen der<br />
Alliierten Mächte bezüglich Deutschland oder gegen Entscheidungen des<br />
Kontrollrats gerichtet s<strong>in</strong>d;<br />
d) die Deutschen zur Auflehnung gegen demokratische Maßnahmen, die die<br />
Zonenbefehlshaber <strong>in</strong> ihren Zonen treffen, aufzureizen." 5<br />
Entsprechend diesen Bestimmungen war <strong>Rundfunk</strong>kontrolle also auch Teil der<br />
alliierten Besatzungspropaganda und alliierter Deutschlandpolitik. Aber es gab<br />
auch positive Demokratisierungsrichtl<strong>in</strong>ien, die der Verankerung allgeme<strong>in</strong>er<br />
Rechtspr<strong>in</strong>zipien im deutschen Bewußtse<strong>in</strong> dienen sollten. Aus den verschiedenen<br />
dazu verfaßten Dokumenten faßt die Historiker<strong>in</strong> Barbara Mettler diese<br />
Zielvorstellungen so zusammen:<br />
"Dem Feldzug gegen Nazismus und Militarismus entsprach die Forderung nach<br />
Toleranz und Pflichterfüllung gegenüber anderen Völkern ebenso wie die<br />
Betonung <strong>in</strong>dividueller Freiheiten und Rechte gegenüber dem Staat. Der<br />
Verurteilung von Nazismus und Rassismus entsprach auch weiterh<strong>in</strong> die<br />
Forderung nach rechtsstaatlichen Pr<strong>in</strong>zipien und dem Respekt nationaler, sozialer<br />
und ethnischer M<strong>in</strong>derheiten. So standen negative und positive Aspekte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Wechselverhältnis, wobei die positiven Aspekte dem entsprachen, was im S<strong>in</strong>ne<br />
e<strong>in</strong>es bürgerlich- liberalen Demokratieverständnisses am Nationalsozialismus als<br />
negativ beurteilt wurde" 6 . Diesen positiven Zielsetzungen dienten, wie im<br />
e<strong>in</strong>zelnen noch zu zeigen se<strong>in</strong> wird, verschiedene Sendereihen im<br />
Programmangebot der von den Militärregierungen kontrollierten Sender <strong>in</strong> der<br />
amerikanischen Besatzungszone.<br />
Als sich die machtpolitischen Interessen zwischen den alliierten Kriegsparteien <strong>in</strong><br />
West und Ost im Laufe des Jahres 1947 nicht mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />
Besatzungspolitik umsetzen ließen, wurde dies auch auf der Ebene der von den<br />
5 Mettler, Demokratisierung, S. 55.<br />
6 Mettler, Demokratisierung, S. 52, sowie ihre Ausführung zum ganzen angesprochenen<br />
Themenkomplex S. 51 ff.<br />
14
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Besatzungsmächten kontrollierten Medien spürbar. Als Reaktion auf die<br />
sowjetrussische Propaganda <strong>in</strong> den von ihnen bee<strong>in</strong>flußten Medien der<br />
sogenannten Ostzone erfolgte im Herbst 1947 e<strong>in</strong>e Umorientierung der<br />
amerikanischen Informationspolitik <strong>in</strong> ihrer Besatzungszone. Dem deutschen<br />
Publikum sollten <strong>in</strong> Presse und <strong>Rundfunk</strong> positive Vorstellungen von Demokratie<br />
vermittelt werden, die mit amerikanischen Idealen und Vorstellungen <strong>in</strong><br />
politischen Kernfragen übere<strong>in</strong>stimmten. Dazu gehörte z.B. die Ablehnung e<strong>in</strong>es<br />
sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Dabei konnte durchaus an<br />
antikommunistische Stimmungen und (Vor- ) Urteile <strong>in</strong> der deutschen<br />
Bevölkerung angeknüpft werden, was auch ganz bewußt getan wurde. Zu diesem<br />
Zeitpunkt war jedoch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>erseits verdeckte, andererseits massive<br />
Bee<strong>in</strong>flussung des Programms durch die Amerikaner nur noch sehr schwer<br />
denkbar, ohne gleichzeitig die sonst vertretene Auffassung von der<br />
Notwendigkeit freier Medien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er freien Gesellschaft zu desavouieren.<br />
Deshalb erfolgte diese Art von Propaganda <strong>in</strong> von den Amerikanern<br />
verantworteten und ausdrücklich als "Sendung der Militärregierung"<br />
gekennzeichneten Beiträgen bzw. mit der "Stimme Amerikas".<br />
Die praktische Umsetzung der Informationskontrolle hatte konkret <strong>in</strong> zweierlei<br />
H<strong>in</strong>sicht zu erfolgen: e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> Überwachung und Lenkung der täglichen<br />
Programmarbeit und zum anderen durch Schaffung e<strong>in</strong>es neuen<br />
<strong>Rundfunk</strong>systems. Dieses sollte die Garantie dafür geben, daß niemals mehr e<strong>in</strong><br />
staatlich- zentralistischer <strong>Rundfunk</strong>, wie vor allem <strong>in</strong> der nationalsozialistischen<br />
Periode geschehen, als Propaganda<strong>in</strong>strument mißbraucht werden könnte.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs waren die Vorstellungen darüber, mit welcher Organisationsform<br />
dieses Vorhaben zu erreichen sei, nicht sehr präzise. In e<strong>in</strong>er Direktive der<br />
"Psychological Warfare Division" vom 16. April 1945 hieß es, daß der neue<br />
<strong>Rundfunk</strong> von jeglichem Regierungse<strong>in</strong>fluß frei zu halten und dezentralisiert<br />
aufzubauen sei. Dieser Absicht trugen die Amerikaner <strong>in</strong> ihrem E<strong>in</strong>flußgebiet<br />
<strong>in</strong>sofern Rechnung, als sie – anders als Engländer und Franzosen – für ihr<br />
Besatzungsgebiet ke<strong>in</strong>e zentrale <strong>Rundfunk</strong>organisation vorsahen. Sie ordneten<br />
15
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den von ihnen gebildeten Ländern jeweils e<strong>in</strong>e <strong>Rundfunk</strong>anstalt zu, die –<br />
abgesehen von Bremen und dem e<strong>in</strong>e Sonderstellung besitzenden RIAS-Berl<strong>in</strong> –<br />
auf den Trümmern ehemaliger Reichssender errichtet wurden: <strong>in</strong> Frankfurt für<br />
Hessen, <strong>in</strong> München für Bayern und <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> für Württemberg- Baden, den<br />
beiden nördlichen Teilen der ehemaligen Länder Baden und Württemberg, die<br />
dem amerikanischen Besetzungsgebiet angehörten 7 .<br />
E<strong>in</strong>e völlig e<strong>in</strong>heitliche <strong>Rundfunk</strong>gesetzgebung für alle Länder der<br />
amerikanischen Besatzungszone, die bereits um die Jahreswende 1945/46<br />
vorbereitet wurde und eigentlich schon im Laufe des Jahres 1946 hätte<br />
abgeschlossen se<strong>in</strong> sollen, mißlang jedoch. Auf der Ebene der e<strong>in</strong>zelnen Länder<br />
zogen sich die jeweiligen Gesetzgebungsverfahren und die Übergabe <strong>in</strong> deutsche<br />
Hände unterschiedlich lange h<strong>in</strong>. Als letzte der <strong>Rundfunk</strong>stationen der<br />
amerikanischen Zone sollte Radio <strong>Stuttgart</strong> am 22. Juli 1949 aus der<br />
Verantwortung der Militärregierung entlassen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anstalt des öffentlichen<br />
Rechts – den Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> – umgewandelt werden.<br />
Vorbereitungen zum Sendebeg<strong>in</strong>n am 3. Juni 1945 <strong>in</strong> der<br />
Neckarstraße 145<br />
Wie berichtet, zerstörte am Freitagvormittag, den 6. April 1945, e<strong>in</strong> Wehrmachts-<br />
Kommando die Senderanlagen des 1930 errichteten Großsenders Mühlacker und<br />
sprengte den lange Zeit größten hölzernen Sendermast Europas. Bereits am 8.<br />
April, e<strong>in</strong>em Sonntag, betrat e<strong>in</strong>e Gruppe von Soldaten des "6781st District<br />
Information Control Command (DISCC)" der 7. US-Armee das Gelände <strong>in</strong><br />
Mühlacker. Teilnehmer dieses Kommandos unter Führung von Major Francis J.<br />
Biltz, e<strong>in</strong>em Ingenieur, war auch William Burke Miller, der spätere erste Chef von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong>. Die Amerikaner bedauerten sehr, daß es nicht gelungen war, den<br />
Sender Mühlacker wie den <strong>in</strong> Luxemburg unversehrt <strong>in</strong> die Hände zu bekommen.<br />
Die Gruppe besichtigte trotz der noch <strong>in</strong> der Nähe andauernden<br />
7 Bausch, <strong>Rundfunk</strong>politik nach 1945, S. 67 f.<br />
16
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Kampfhandlungen das Gelände und machte sich selbst e<strong>in</strong> Bild von den<br />
Zerstörungen, worüber sie e<strong>in</strong>en Bericht verfaßte.<br />
Die Soldaten fanden den Leiter des Senders, Herrmann Werner, sowie e<strong>in</strong>en<br />
Wachmann <strong>in</strong> den weitgehend unzerstörten Räumen des Sendergebäudes vor,<br />
darüber h<strong>in</strong>aus vier Frauen und elf K<strong>in</strong>der. Werner machte auf die Soldaten e<strong>in</strong>en<br />
völlig entnervten E<strong>in</strong>druck: die abziehenden Deutschen hatten ihn e<strong>in</strong>gesperrt,<br />
und wohl auch dadurch bed<strong>in</strong>gt befand er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em "hochnervösen Zustand".<br />
Er vermittelte so dem Kommando e<strong>in</strong>en – wie sich später herausstellte – völlig<br />
übertriebenen E<strong>in</strong>druck vom Grad der Zerstörungen. Er hatte auch geme<strong>in</strong>t, es<br />
bedürfe m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>es Jahres, um die Sendeanlagen wieder funktionsfähig zu<br />
machen. Im übrigen fehlte dem Kommando e<strong>in</strong> Dolmetscher, so daß die<br />
Verständigung offensichtlich schwierig war 8 .<br />
Über den Zustand der Sendeanlagen verfaßten die amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offiziere e<strong>in</strong>en detaillierten Bericht. Sie bezeichneten die Zerstörungen<br />
als hastig, aber auch durchaus systematisch durchgeführt. Völlig unbrauchbar<br />
waren die Röhren des Senders und die Isolatoren. Andere wichtige Teile dagegen<br />
wie der Hochspannungs- Gleichrichter wie auch die Wasserkühlung waren <strong>in</strong>takt<br />
geblieben, letztere aber angesichts der Funktionsunfähigkeit der örtlichen<br />
Wasserversorgung <strong>in</strong> Mühlacker erst e<strong>in</strong>mal nicht betriebsfähig. Gesprengt waren<br />
die vier Sendemasten. Während die Generatoren Schaden genommen hatten,<br />
funktionierte die Lichtanlage im Sendergebäude noch. Dieses Gebäude hatte<br />
sowohl die Sprengaktion wie die kriegerischen Handlungen <strong>in</strong> der Umgebung von<br />
Mühlacker unbeschadet überstanden, nur sämtliche Fensterscheiben waren zu<br />
Bruch gegangen 9 .<br />
8 Die im folgenden zitierten Akten der Informationskontrolle/"Radio Branch" bzw. "Radio Section"<br />
der amerikanischen Militärregierung <strong>in</strong> Württemberg- Baden werden abgekürzt wie folgt zitiert:<br />
OMGUS/WB – ICD/ISD, Datum des Schriftstücks, Signatur der Unterlagen zur Zeit der von den<br />
deutschen Archivverwaltungen vorgenommenen Verfilmungen der <strong>in</strong> den National Archivs,<br />
Modern Military Records Division, Suitland Record Center lagernden Akten. Hier: OMGUS/WB –<br />
ICD/ISD, 9. 4. 1945,12/85- 1/49 und 10. 4. 1945, 12/85- 1/51.<br />
9 OMGUS/WB – ICD/ISD, 17. 4. 1945, 12/85- 1/49; auch Bericht vom 20. 8. 1945, 12/85- 2/8<br />
17
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In den folgenden zwei Wochen erfolgte dann der endgültige Rückzug deutscher<br />
Truppen aus dem Großraum <strong>Stuttgart</strong>: Die Stadt Mühlacker wurde am 13. April<br />
1945 von französischen Truppen besetzt, <strong>Stuttgart</strong> am 21. April 1945. In dieser<br />
Zeit war die Grenze der künftigen Besatzungszonen zwischen Franzosen und<br />
Amerikanern umstritten. Erst Ende Juni/Anfang Juli kam e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igung zustande:<br />
Die Amerikaner rechneten offenbar fest damit, auf jeden Fall <strong>Stuttgart</strong> und die<br />
nördlichen Teile von Baden und Württemberg zu besetzen. Deshalb wurden unter<br />
ihrer Leitung die Wiederherstellungsarbeiten am Sender Mühlacker rasch <strong>in</strong> Gang<br />
gesetzt und auch während der Unsicherheit über die künftige Zugehörigkeit der<br />
Stadt <strong>Stuttgart</strong> vorangetrieben. Zurückhaltend war man aber mit dem Aufbau von<br />
Studioe<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>, solange nicht e<strong>in</strong>deutig feststand, ob und wann<br />
die Franzosen die ehemalige württembergische Landeshauptstadt verlassen<br />
würden.<br />
Während am Sender Mühlacker bereits am 13. April 1945 die Reparaturarbeiten<br />
begannen 10 , konnte das Gebäude des ehemaligen Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> am<br />
Charlottenplatz erst nach dem E<strong>in</strong>marsch der Franzosen von den Amerikanern <strong>in</strong><br />
Augensche<strong>in</strong> genommen werden. Am 23. April besichtigten die Ingenieure<br />
Lieutenant Frankl<strong>in</strong> und Lieutenant Bonvouloir – sie gehörten später e<strong>in</strong>ige<br />
Monate der "eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g section" von Radio <strong>Stuttgart</strong> an – die zerbombten<br />
Räumlichkeiten des Reichssenders im ehemaligen "Waisenhaus", dem heutigen<br />
Domizil des Deutschen Ausland- Instituts. Die Offiziere beschrieben das Gebäude<br />
als "slightly damaged", als leicht zerstört. Sie trafen dort Hermann Rehfeld an,<br />
e<strong>in</strong>en verme<strong>in</strong>tlichen Mitarbeiter der Musikabteilung des Reichssenders, der<br />
allerd<strong>in</strong>gs Verwaltungsangestellter gewesen war. Rehfeld erklärte ihnen, daß er<br />
der letzte verbliebene von fünf Personen sei, die die Anlage betreuen sollten. Bei<br />
e<strong>in</strong>em Rundgang wurden 2 000 Industrieschallplatten – "commercial music"- ,<br />
etwa 25 Magnetophon- Spulen, e<strong>in</strong> Plattenspieler, e<strong>in</strong> Verstärker und rund 60<br />
Röhren gefunden. Das Material wurde sofort beschlagnahmt. Weitere<br />
Ausrüstungsgegenstände fanden sich – nach e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>weis von Rehfeld – <strong>in</strong><br />
10 OMGUS/WB – ICD/ISD, 20. 8. 1945, 12/85- 2/8.<br />
18
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e<strong>in</strong>em Luftschutzbunker: Es handelte sich vor allem um e<strong>in</strong>en Drahtfunksender<br />
und zugehörige Ausrüstungsgegenstände 11 .<br />
Das Interesse der Amerikaner an e<strong>in</strong>em schnellen Wiederaufbau der zerstörten<br />
<strong>Rundfunk</strong>e<strong>in</strong>richtungen belegt der Vorschlag des Chef- Ingenieurs Major Biltz, die<br />
seit der Abschaltung und Zerstörung des Senders Mühlacker "tote"<br />
Mittelwellenfrequenz 523 Meter bzw. 574 kHz des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong><br />
möglichst schnell wieder mit e<strong>in</strong>em Programm zu belegen. Angesichts der<br />
vorhandenen Zerstörungen werde die Reparatur e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Anspruch nehmen,<br />
deshalb sollte wenigstens <strong>Stuttgart</strong> und se<strong>in</strong> Umland mit e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>- Kilowatt-<br />
Sender versorgt werden, vermutete er doch, daß die Nazis <strong>in</strong> der letzten<br />
Durchsage das Auditorium auf andere Reichssender- Frequenzen verwiesen<br />
hätten und es immer schwerer werde, die Hörerschaft wieder "e<strong>in</strong>zufangen". Es<br />
müsse befürchtet werden, daß deren Des<strong>in</strong>tegration von Tag zu Tag wachse.<br />
Außerdem sei es nicht s<strong>in</strong>nvoll, daß man der Bevölkerung durch Ausrufer mit<br />
Glocken <strong>in</strong> den Städten und Dörfern – geme<strong>in</strong>t waren die damals <strong>in</strong> vielen Orten<br />
noch tätigen Büttel – die Proklamationen und Anordnungen der Militärregierung<br />
nahebr<strong>in</strong>gen müsse. Diese Ausrufer seien angesichts des Lärms der<br />
durchrollenden Panzer sowieso kaum zu verstehen, abgesehen davon, daß viele<br />
Leute ihre Häuser aus Furcht gar nicht verließen. Andererseits stünden die<br />
Radioapparate ungenutzt <strong>in</strong> den Wohnungen 12 . Allerd<strong>in</strong>gs wurde der Vorschlag<br />
von Biltz, e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Sender zu <strong>in</strong>stallieren, nicht realisiert, sondern mit<br />
Hochdruck an der Wiederherstellung der zerstörten Anlage des ehemaligen<br />
Großrundfunksenders Mühlacker gearbeitet.<br />
Bei den Arbeiten auf dem Sendergelände setzten amerikanische<br />
<strong>Rundfunk</strong>spezialisten – bald unter Mithilfe deutscher Techniker nicht nur den<br />
Sender wieder <strong>in</strong>stand, sie bauten auch mit Material der drei am besten<br />
erhaltenen Stahlmasten der ehemaligen Kurzwellenanlage e<strong>in</strong>e Behelfsantenne<br />
auf. Es waren Kabelverb<strong>in</strong>dungen zu legen, <strong>in</strong>sbesondere war das<br />
11 OMGUS/WB – ICD/ISD, 24. 4. 1945, 12/85- 1/50.<br />
12 OMGUS/WB – ICD/ISD, 11. 4. 1945, 12/85- 1/50.<br />
19
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<strong>Rundfunk</strong>spezialkabel von Mühlacker nach <strong>Stuttgart</strong> zu reparieren, das an vielen<br />
Stellen unterbrochen war. Bereits e<strong>in</strong>en Tag nach der Besetzung durch die<br />
französischen Truppen konnte die Verb<strong>in</strong>dung zwischen Mühlacker und der<br />
"Schaltstelle Mitte" im Königsbau <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> wieder hergestellt werden.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs bestand noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e große Schwierigkeit dar<strong>in</strong>, vom Königsbau<br />
e<strong>in</strong>e Kabelverb<strong>in</strong>dung zum künftigen Funkhaus <strong>in</strong> der Neckarstraße 145 zu<br />
schaffen. Angesichts der Zerstörungen <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> bedeutete dies, Leitungen um<br />
die halbe Stadt herum zu legen 13 .<br />
Für den Wiederaufbau der Anlagen versuchten die Amerikaner, aus den<br />
unterschiedlichsten Quellen Material zu beschaffen, das an allen Ecken und<br />
Enden fehlte. Am 7. und 8. Mai 1945 fuhr e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Kommando nach Bad<br />
Nauheim, um für den Sender sieben Röhren und Leitungskabel zu besorgen.<br />
Gleichfalls im Mai machten sich zwei Soldaten auf den Weg nach München und<br />
L<strong>in</strong>dau. Bei e<strong>in</strong>em Zwischenaufenthalt <strong>in</strong> Ulm wurde nur wenig Brauchbares<br />
gefunden. In L<strong>in</strong>dau nahmen sie technische Teile <strong>in</strong> Empfang, die die Franzosen<br />
e<strong>in</strong>em Trupp von Mitarbeitern des ehemaligen Reichssenders <strong>Stuttgart</strong><br />
abgenommen hatten, die sich <strong>in</strong>s Allgäu abgesetzt hatten. Bei München<br />
besichtigten die Soldaten den noch funktionstüchtigen Sender Isman<strong>in</strong>g und<br />
nahmen die Zusage der dortigen amerikanischen Mannschaft mit,<br />
Ausrüstungsgegenstände von e<strong>in</strong>em zweiten, derzeit nicht benötigten Sender zu<br />
erhalten. Da Radio München kurz vor der Aufnahme des Programmbetriebs stand,<br />
der am 12. Mai 1945 wie später <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mobilen<br />
Übertragungsstudio begann, konnten erste Erfahrungen aus der <strong>Rundfunk</strong>praxis<br />
von dort mitgenommen werden 14 . Ausgelagerte Apparaturen wurden schließlich<br />
13 "Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>" aus der Mappe: "E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Streifzug <strong>in</strong> Gebiete und Probleme des<br />
<strong>Rundfunk</strong>s. Den Mitgliedern des <strong>Rundfunk</strong>rats und des Verwaltungsrats des SDR anläßlich der<br />
Übergabe von Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> deutsche Hände" (22. 7. 1949), S. 1; He<strong>in</strong>z Eschwege, Vom<br />
Niedergang und Wiederaufstieg der Stadt <strong>Stuttgart</strong> (unpublizierte Er<strong>in</strong>nerungen, ca. 1962),<br />
SDR/Historisches Archiv (von hier: HA), S. 54 f.<br />
14 OMGUS/WB – ICD/ISD, 8. 5. 1945, 12/85- 1/49 und 17. 5. 1945, 12/85 - 1/50. Die Protokolle der<br />
Staff- Meet<strong>in</strong>gs enthalten mehrere Rapporte über Fahrten auch der Kontrolloffiziere zur<br />
Besorgung von technischem Gerät sowie von Autoreifen und ähnlichen Gebrauchsgütern,<br />
12/85- 2/1.<br />
20
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Die Arbeiten an den Senderanlagen <strong>in</strong> Mühlacker s<strong>in</strong>d allem Ansche<strong>in</strong> nach nicht<br />
von den französisch- amerikanischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die künftigen<br />
Grenzen der Besatzungszonen beh<strong>in</strong>dert worden. Auch wegen des Standorts<br />
e<strong>in</strong>es <strong>Stuttgart</strong>er Funkhauses machten die Franzosen ke<strong>in</strong>e grundsätzlichen<br />
Schwierigkeiten. Da die Amerikaner die zerstörten Räumlichkeiten des alten<br />
Reichssenders nicht übernehmen wollten, requirierten sie geme<strong>in</strong>sam mit den<br />
Franzosen am 25. Mai 1945 das kaum beschädigte Telegrafenbauamt der<br />
Reichspost <strong>in</strong> der Neckarstraße 145. Den Um- und Ausbau dieses bis dah<strong>in</strong> nicht<br />
für <strong>Rundfunk</strong>zwecke genutzten Gebäudes beabsichtigten die Amerikaner aber<br />
erst nach e<strong>in</strong>em Abzug der Franzosen aus <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> Angriff zu nehmen. Noch<br />
den ganzen Juni wurde über die künftigen Grenzen der Besatzungszonen auf<br />
höchster Ebene zwischen Wash<strong>in</strong>gton und Paris verhandelt 15 .<br />
Obwohl die Franzosen den Bezug des Funkhauses durch die Amerikaner nicht<br />
verh<strong>in</strong>dern konnten, unternahmen sie – wohl auf dem H<strong>in</strong>tergrund der<br />
ungeklärten Grenzen der künftigen Besatzungszonen – aber den Versuch, den<br />
Beg<strong>in</strong>n der Ausstrahlung e<strong>in</strong>es Radioprogramms aus <strong>Stuttgart</strong> h<strong>in</strong>auszuzögern,<br />
jedoch ohne Erfolg. Nachdem bereits am 22. Mai 1945 der "Sender 2" <strong>in</strong><br />
Mühlacker wieder betriebsbereit und die Stromzufuhr gewährleistet war, wurde<br />
am 3. Juni – an e<strong>in</strong>em Sonntag – der Senderbetrieb wieder aufgenommen. Der<br />
stärker zerstörte "Sender 1 " konnte erst am 25. August wieder betriebsfähig<br />
gemacht werden. Seit dem 28. November wurde über den "Sender 2" das<br />
Programm des <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>gerichteten amerikanischen Soldatensenders AFN<br />
ausgestrahlt, nachdem nunmehr der "Sender 1 " die Verbreitung des Programms<br />
von Radio <strong>Stuttgart</strong> übernommen hatte 16 .<br />
Abgesehen davon, daß sich die Amerikaner beim E<strong>in</strong>bau technischer<br />
Installationen <strong>in</strong> das als Funkhaus vorgesehene Telegrafenbauamt angesichts der<br />
15 OMGUS/WB – ICD/ISD, 20. 8. 1945, 12/85- 2/8 und Matthäus Eisenhofer, Me<strong>in</strong> Leben beim<br />
<strong>Rundfunk</strong>. Er<strong>in</strong>nerungen und Berichte, <strong>Stuttgart</strong> 1970, S.210.<br />
16 OMGUS/WB – ICD/ISD, 20.8.1945,12/85 - 2/8 und He<strong>in</strong>rich Brunswig, Zur Technikgeschichte: 50<br />
Jahre Großsender Mühlacker, <strong>in</strong>: Großsender Mühlacker. Zur Technik und <strong>Rundfunk</strong>geschichte (=<br />
Südfunk- Hefte 5), <strong>Stuttgart</strong> 1980, S. 50 f.<br />
21
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
ungeklärten Zonengrenzen bewußt zurückhielten, konnten freilich <strong>in</strong> so kurzer<br />
Zeit ke<strong>in</strong>e betriebsfertigen Studioe<strong>in</strong>richtungen erstellt werden. Deshalb wurde<br />
e<strong>in</strong>e mobile <strong>Rundfunk</strong>e<strong>in</strong>heit, also e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Lastkraftwagen<br />
e<strong>in</strong>gebautes Studio, <strong>in</strong> die Tore<strong>in</strong>fahrt der <strong>Stuttgart</strong>er Nekarstraße 145 gestellt.<br />
Von dort aus meldete sich dann am 3. Juni 1945 um 17.45 Uhr nach fast<br />
zweimonatiger Pause wieder e<strong>in</strong>e <strong>Rundfunk</strong>station, die mit dem Namen <strong>Stuttgart</strong><br />
verbunden war. Fred G. Taylor, der spätere Chef von Radio <strong>Stuttgart</strong>, sprach die<br />
erste Ansage: "Hier ist Radio <strong>Stuttgart</strong>, e<strong>in</strong> Sender der amerikanischen<br />
Militärregierung. Wir senden täglich von 11.30 bis 14.00 Uhr und von 18.30 bis<br />
22.00 Uhr auf der Wellenlänge 523 m".<br />
Anschließend verlas Fred G. Taylor e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Ansprache: "Heute ist der Beg<strong>in</strong>n<br />
e<strong>in</strong>er neuen und besseren Aufgabe dieser Radiostation. Zu lange hat sie als<br />
Stimme von Nazilügen und der Perfidie gedient. Zu oft präsentierte sie <strong>in</strong> der<br />
Vergangenheit nur e<strong>in</strong>e grobe Verzerrung der Wahrheit. Als Sender der<br />
Militärregierung wird Radio <strong>Stuttgart</strong> von heute an nichts als die Wahrheit<br />
br<strong>in</strong>gen. Es wird ungeschm<strong>in</strong>kt Tatsachen, Informationen und Instruktionen für<br />
die deutsche Bevölkerung senden. Wir wollen uns bemühen, den Franzosen,<br />
deren Herzen durch die Lügen der Nazis und durch Verräter, die bis vor kurzem<br />
noch den Sender kontrollierten, verletzt wurden, neue Hoffnungen zu br<strong>in</strong>gen,<br />
neuen Mut und neuen Glauben an e<strong>in</strong> neues, größeres Frankreich und an e<strong>in</strong>e<br />
neue Brüderlichkeit der Nationen. Den Hunderten und Tausenden von heimatlos<br />
gewordenen Ausländern <strong>in</strong> Deutschland will Radio <strong>Stuttgart</strong> e<strong>in</strong> Ratgeber und<br />
Freund se<strong>in</strong>. Es will versuchen, e<strong>in</strong> Band zwischen dem geliebten Heimatland und<br />
denen zu knüpfen, deren Dase<strong>in</strong> von den Nationalsozialisten zerrissen wurde.<br />
Während die Militärregierung daran arbeitet, ihre baldige Heimkehr zu<br />
bewerkstelligen, will Radio <strong>Stuttgart</strong> Nachrichten, Musik, Unterhaltung,<br />
Information und Belehrung br<strong>in</strong>gen und ihnen helfen, den Mut zu behalten, den<br />
sie sich bisher trotz der Nazi- Tyrannei immer noch bewahren konnten. Von heute<br />
an wird sich Radio <strong>Stuttgart</strong> bemühen, sich aller würdig zu erweisen, die se<strong>in</strong>e<br />
22
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Sendungen hören. Es wird versuchen, die Er<strong>in</strong>nerung an die Vergangenheit und<br />
die frühere unwürdige Rolle auszulöschen." 17<br />
Die Ansprache machte deutlich, daß die neue <strong>Rundfunk</strong>station nicht nur für die<br />
deutsche Bevölkerung, sondern auch für die zahlreichen Angehörigen anderer<br />
Nationen im Land als Nachrichtenbrücke dienen sollte, für die Menschen also, die<br />
sich durch Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft <strong>in</strong> den Grenzen des<br />
ehemaligen Deutschen Reiches aufhielten und ebenfalls e<strong>in</strong>er<br />
Nachrichtenversorgung bedurften.<br />
Im ersten Monat se<strong>in</strong>es Bestehens brachte Radio <strong>Stuttgart</strong> – von ganz wenigen<br />
Ausnahmen abgesehen – nur Sendungen des alliierten Militärsenders Luxemburg,<br />
der Anfang Juni 1945 se<strong>in</strong> Hauptprogramm von der englischen auf die deutsche<br />
Sprache umgestellt hatte. Es gab aber auch – wie angekündigt – Nachrichten und<br />
H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong> Englisch, Französisch, Russisch und Polnisch. Bis Anfang Juli<br />
erhielten die Radiohörer außer Weltnachrichten und ganz allgeme<strong>in</strong>en<br />
Anweisungen der Besatzungsmacht e<strong>in</strong>en weiteren Monat lang ke<strong>in</strong>e<br />
Informationen über die Zustände <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> und im Land. Die amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offiziere führten dies <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht auf die Franzosen zurück: Diese<br />
hätten ihr Des<strong>in</strong>teresse an der Weitergabe detaillierter Informationen aus dem<br />
Raum <strong>Stuttgart</strong> und se<strong>in</strong>er näheren und weiteren Umgebung sowie an<br />
Instruktionen für die deutsche Bevölkerung gezeigt. Bis zum 8. Juli 1945, dem<br />
Tag des Abzugs der Franzosen aus <strong>Stuttgart</strong>, hat es deshalb lediglich zwei<br />
Musikübertragungen und am 23. Juni e<strong>in</strong>e Reportage über den Besuch des<br />
Sultans von Marokko bei se<strong>in</strong>en zahlreich vertretenen Landsleuten <strong>in</strong> der<br />
französischen Armee gegeben, e<strong>in</strong>e Übertragung, die <strong>in</strong> Zusammenarbeit der<br />
Amerikaner mit der "Radio- Diffusion Francaise" durchgeführt worden ist. 18<br />
Den Franzosen war wohl bewußt, daß noch e<strong>in</strong>e ganze Zeit verstreichen würde,<br />
bis sie die Gebiete, die <strong>in</strong> ihrer Zone <strong>in</strong> Südwürttemberg ehemals zum<br />
17 OMGUS/WB- ICD/ISD, 3.6.1945,12/85- 1/50.Text der Ansprache <strong>in</strong> englischer Fassung,<br />
Übersetzung vom Verf.<br />
18 OMGUS/WI3 – ICD/ISD, 20. 8.1945,12/85 - 2/8.<br />
23
E<strong>in</strong>zugsbereich des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> gehörten, mit dem<br />
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<strong>Rundfunk</strong>programm e<strong>in</strong>es französischen Zonensenders würden versorgen<br />
können. Deshalb versuchten sie, bei dem sich etablierenden Sender der<br />
amerikanischen Militärregierung, d.h. bei Radio <strong>Stuttgart</strong>, "e<strong>in</strong>en Fuß <strong>in</strong> der Tür<br />
zu halten". Am 18./19. Juni 1945 fand auch e<strong>in</strong>e ausführliche Besprechung<br />
zwischen Lieutenant Leclercq aus L<strong>in</strong>dau, Capita<strong>in</strong>e Merland, Propagandaoffizier<br />
der französischen Militärmission <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>, und Angehörigen des<br />
amerikanischen Radio- Detachments statt. Der Vorschlag der Franzosen, e<strong>in</strong><br />
eigenes Büro im ehemaligen Gebäude des Reichssenders e<strong>in</strong>zurichten und dort<br />
eigenständig Sendungen zu produzieren, die über Radio <strong>Stuttgart</strong> ausgestrahlt<br />
werden sollten, wurde jedoch von den Amerikanern abgelehnt. E<strong>in</strong> anderer<br />
Vorschlag war, der französischen Militärregierung unter amerikanischer Aufsicht<br />
Sendezeit e<strong>in</strong>zuräumen. Widersprüchliche Aussagen legte der Chef von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> Capta<strong>in</strong> Miller <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Protokoll über die Auffassung der Franzosen zu<br />
den Fragen der Programmpräsentation nieder: E<strong>in</strong>erseits habe sich Merland dafür<br />
ausgesprochen, ke<strong>in</strong>e Propaganda sei die beste Propaganda. Er habe aber auch<br />
andererseits gesagt, man müsse den Deutschen e<strong>in</strong>e "verzuckerte Darbietung von<br />
Instruktionen, Informationen und Direktiven" geben. Man war sich schließlich<br />
e<strong>in</strong>ig, daß die Frage der Beteiligung der Franzosen am Programm und die<br />
E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es eigenen Büros <strong>in</strong> der <strong>Stuttgart</strong>er Neckarstraße 145 auf der<br />
Ebene der höheren militärischen Kommandostellen geklärt werden müsse 19 .<br />
Oberst William Dawson, der Militärgouverneur von Württemberg- Baden, sah sich<br />
wenig später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an die amerikanische Leitung von Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
veranlaßt, für die Beteiligung der Franzosen an Sendungen von Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
folgende Grundsätze aufzustellen:<br />
19 SDR/Historisches Archiv, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2353, Protokoll vom 20. 6.<br />
1945.<br />
24
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"1. Ich lehne es ab, daß Radio <strong>Stuttgart</strong> für französische politische Propaganda<br />
benutzt wird.<br />
2. Französischer <strong>Rundfunk</strong> über diese Station sollte sich beschränken:<br />
a) auf Ankündigungen der Militärregierung<br />
b) auf kurze Nachrichtenbeiträge im Stil von Radio Luxemburg<br />
c) Musik " 20 .<br />
Am 5. September 1945 zog dann e<strong>in</strong> französischer Verb<strong>in</strong>dungsoffizier <strong>in</strong> die<br />
Neckarstraße 145 e<strong>in</strong>. Er hat mit Sicherheit an der Gestaltung der "Nachrichten<br />
für den französisch besetzten Teil von Baden und Württemberg" mitgewirkt, die<br />
seit dem 25. Oktober 1945 im Rahmen der täglichen Informationssendung "Echo<br />
des Tages" ausgestrahlten wurden. Sie waren bis Anfang Februar 1946 im<br />
Programm. H<strong>in</strong> und wieder gab es auch kürzere Berichte aus Tüb<strong>in</strong>gen, der<br />
<strong>Stuttgart</strong> nahegelegenen württembergischen Universitätsstadt und nunmehrigen<br />
Landeshauptstadt von Württemberg- Hohenzollern. Helmut Jedele, nachmaliger<br />
erster Fernsehdirektor des Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>s, damals Student <strong>in</strong> Tüb<strong>in</strong>gen<br />
und <strong>Rundfunk</strong>beauftragter des Staatssekretariats, also der Landesregierung für<br />
Württemberg- Hohenzollern <strong>in</strong> der französischen Zone, brachte diese Berichte<br />
anläßlich von Wochenendbesuchen bei se<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong> Cannstatt zu Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>, wo sie erst vom französischen Verb<strong>in</strong>dungsoffizier und dann von den<br />
Amerikanern geprüft, genehmigt und danach gesendet wurden.<br />
Wie wenig kooperativ das Verhältnis zwischen Amerikanern und Franzosen <strong>in</strong><br />
<strong>Rundfunk</strong>fragen jedoch teilweise gewesen se<strong>in</strong> muß, erhellt sich auch daraus, daß<br />
es den Franzosen gelang, bei ihrem Abzug aus <strong>Stuttgart</strong> rund 2.000 Schallplatten<br />
aus den Beständen des ehemaligen Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> mitzunehmen.<br />
Jedenfalls begann sich mit dem 8. Juli 1945, dem Tag des Abzugs der Franzosen<br />
aus <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> das ihnen zugesprochene Besatzungsgebiet südlich der Autobahn<br />
Karlsruhe – <strong>Stuttgart</strong> – Ulm, "die Lage des <strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> radikal zu<br />
ändern" 21 . Noch am Nachmittag dieses Tages führten die Amerikaner neben den<br />
Übertragungen aus Luxemburg regelmäßige Sendungen aus <strong>Stuttgart</strong> e<strong>in</strong>, die<br />
allerd<strong>in</strong>gs zu diesem Zeitpunkt sehr kurz waren. Lediglich e<strong>in</strong>e Viertelstunde, von<br />
20 OMGUS/WB – ICD/ISD, 25. 7. 1945, 12/85- 2/4.<br />
21 Wie Anm. 18.<br />
25
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17.45 bis 18.00 Uhr, dauerte anfangs das "Programm der Militärregierung". Alle<br />
weiteren Sendungen kamen nach wie vor vom alliierten Militärsender Luxemburg.<br />
Am 8.Juli 1945 wurde das <strong>Stuttgart</strong>er Programm mit e<strong>in</strong>er kurzen Ansprache des<br />
amerikanischen Militärgouverneurs von Württemberg- Baden, Oberst William<br />
Dawson, eröffnet. Er formulierte hart und ohne Umschweife die Ziele der<br />
Militärregierung und deren Erwartungen an die deutsche Bevölkerung. Er<br />
<strong>in</strong>formierte weiterh<strong>in</strong> über die Aufteilung des Besatzungsgebiets zwischen<br />
Franzosen und Amerikanern sowie den künftigen Verlauf der Grenze zwischen<br />
amerikanischer und französischer Besatzungszone südlich der Autobahn<br />
Karlsruhe – <strong>Stuttgart</strong> – Ulm. Zuletzt wurde die deutsche Bevölkerung aufgefordert,<br />
täglich um 17.45 Uhr ihre Radioapparate e<strong>in</strong>zuschalten, um wichtige<br />
Informationen und Anweisungen der amerikanischen Militärregierung<br />
entgegenzunehmen 22 . Neben den Nachrichtenblättern der alliierten<br />
Militärverwaltungen war bis zum Ersche<strong>in</strong>en der ersten Zeitungen – die<br />
"<strong>Stuttgart</strong>er Zeitung" begann am 18. September mit e<strong>in</strong>er zweimal wöchentlich,<br />
lediglich vier Seiten umfassenden Ausgabe – der <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> der frühesten<br />
Nachkriegszeit das wichtigste Instrument, um lebensnotwendige Informationen<br />
zu verbreiten. Im übrigen g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> dieser Zeit aber auch darum, mit Hilfe<br />
regelmäßiger und vor allem glaubwürdiger Nachrichtendienste Gerüchte und<br />
Fehl<strong>in</strong>formationen e<strong>in</strong>zudämmen, die immer <strong>in</strong> Wellen um sich griffen.<br />
Am Abend des 8. Juli 1945 wurde auch erstmals e<strong>in</strong> S<strong>in</strong>foniekonzert aus dem<br />
Großen Haus der Württembergischen Staatstheater <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> übertragen.<br />
Direktübertragungen von Konzert- und Opernaufführungen aus dem<br />
unzerstörten Großen Haus bildeten bereits im August 1945 an Samstag- und<br />
Sonntagnachmittagen e<strong>in</strong>en festen Programmpunkt. Sonntags wurden dabei<br />
allerd<strong>in</strong>gs Aufzeichnungen der "Morgenfeiern" gesendet. Diese Veranstaltungen<br />
sowie Übertragungen aus München und Salzburg, nachdem die entsprechenden<br />
Leitungsverb<strong>in</strong>dungen wiederhergestellt worden waren, stellten bis <strong>in</strong> die erste<br />
22 SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk vom 8. 7. 1945.<br />
26
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Hälfte des Jahres 1947 h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en wichtigen, allerd<strong>in</strong>gs nach und nach<br />
abnehmenden Teil des Programms dar. Angesichts des großen Mangels an<br />
Tonträgern mit klassischer Musik – bed<strong>in</strong>gt durch die Kriegszerstörung und den<br />
Vandalismus der Besatzungstruppen, die die an sich reichen<br />
Schallplattenbestände von Produktionen der RRG, der<br />
Reichsrundfunkgesellschaft, stark dezimiert hatten – sowie <strong>in</strong>sgesamt wenig<br />
guter Voraussetzungen für Aufzeichnungen von Veranstaltungen, war die große<br />
Zahl der Direktsendungen unumgänglich.<br />
Inspizient Otto Ehstand mit Gong am Mikrophon<br />
Studio 1 im Funkhaus Neckarstraße 145, <strong>in</strong> Betrieb genommen im Dezember<br />
Die ersten Monate<br />
1945<br />
Bis zum Wiederersche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>er <strong>Rundfunk</strong>zeitschrift im Dezember 1945 und bis<br />
zum Beg<strong>in</strong>n von regelmäßigeren Programmh<strong>in</strong>weisen <strong>in</strong> der "<strong>Stuttgart</strong>er Zeitung"<br />
27
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f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den rundfunk<strong>in</strong>ternen Aufzeichnungen ke<strong>in</strong>e ganz exakten<br />
Angaben über die e<strong>in</strong>zelnen aus Luxemburg und <strong>Stuttgart</strong> kommenden<br />
Sendungen. Gesendet wurde anfangs montags bis samstags von 12.00 bis 14.00<br />
Uhr und von 18.00 bis 23.00 Uhr, sonntags durchgehend von 17.30 bis 23.00<br />
Uhr.<br />
E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck vom Programm im August 1945 gibt folgender Überblick mit<br />
bereits veränderten Anfangs- und Sendeschlußzeiten sowie der Verlegung des<br />
"Programms der Militärregierung" auf den späten Abend:<br />
täglich:<br />
11.27- 11.30 Beg<strong>in</strong>n der Sendezeit<br />
11.30- 11.45 Nachrichten <strong>in</strong> deutscher und<br />
englischer Sprache zum Nachschreiben<br />
11.45- 12.00 Mutter und K<strong>in</strong>d – K<strong>in</strong>derprogramm <strong>in</strong><br />
Deutsch 12.00- 12.15 Nachrichten und<br />
Kommentar <strong>in</strong> deutscher Sprache<br />
12.15- 12.30 Nachmittagsmusik<br />
12.30- 12.45 Nachrichten <strong>in</strong> englischer Sprache<br />
12.45- 13.00 Russisches Programm<br />
13.00- 13.15 Polnisches Programm<br />
13.15- 13.30 <strong>in</strong> Deutsch: "New York Press Review"<br />
von der "Stimme Amerikas" aus New<br />
York<br />
13.30- 14.00 Musikprogramm – deutsch nur Sonntag:<br />
17.30- 18.00 Kirchliches Programm, abwechselnd<br />
protestantisch und katholisch:<br />
Eigenprogramm aus <strong>Stuttgart</strong><br />
18.00- 18.15 Jugendprogramm <strong>in</strong> deutscher Sprache<br />
18.15- 19.00 Musikprogramm – deutsch<br />
19.00- 19.15 Nachrichten <strong>in</strong> englischer Sprache<br />
19.15- 19.30 Polnisches Programm<br />
19.30- 19.45 Nachrichtenprogramm <strong>in</strong> deutscher<br />
Sprache<br />
19.45- 20.00 Abendmusik<br />
28
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18.00- 18.15 Jugendprogramm <strong>in</strong> deutscher Sprache<br />
20.00- 20.30 Hauptprogramm <strong>in</strong> deutscher Sprache<br />
20.30- 21.00 Nachrichten und Kommentar <strong>in</strong><br />
deutscher Sprache<br />
21.00- 21.15 "Amerika ruft Europa": die "Stimme<br />
Amerikas" aus New York<br />
21.15- 21.30 Französisches Programm<br />
21.30- 22.00 Die Militärregierung spricht:<br />
Eigenprogramm aus <strong>Stuttgart</strong><br />
22.00- 23.00 S<strong>in</strong>foniekonzert (Sonntag: Orchester der<br />
Württembergischen Staatstheater;<br />
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag,<br />
Samstag: Musik großer Meister –<br />
Schallplatten; Mittwoch: Konzert,<br />
ausgeführt vom Münchner<br />
Philharmonischen Orchester)<br />
23.00- 23.15 Weltnachrichten <strong>in</strong> deutscher Sprache –<br />
Ende der Sendezeit 23<br />
Im Juli und August 1945 blieben das "Programm der Militärregierung", seit dem<br />
20. August auch "Echo des Tages" genannt, sowie die Gottesdienst- und die<br />
Konzertübertragungen die e<strong>in</strong>zigen <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> produzierten Programmteile. Das<br />
"Echo des Tages" änderte <strong>in</strong> den folgenden Monaten mehrfach se<strong>in</strong>en Sendeplatz:<br />
vom 22. Juli bis zum 30. September 1945 wurde es abends von 21.30 bis 22.00<br />
Uhr gesendet, dann aber auf 19.30 Uhr vorverlegt. Die Kritik des deutschen<br />
Programmberaters Dr. Fritz Eberhard an dem späten Sendeterm<strong>in</strong> und se<strong>in</strong><br />
H<strong>in</strong>weis, schon bei den Nazis sei die Zeit zwischen 19.30 und 20.00 Uhr die<br />
beste, d.h. die meistgehörte Sendezeit gewesen sei, mag zu dieser Vorverlegung<br />
beigetragen haben 24 .<br />
Weitere Sendungen wie die erwähnten Konzert- und Opernübertragungen wurden<br />
allmählich und vor allem am Wochenende <strong>in</strong> die <strong>Stuttgart</strong>er Programmfolge<br />
23 Hermann Vietzen, Chronik der Stadt <strong>Stuttgart</strong> 1945- 1948, (= Veröffentlichungen des Archivs<br />
der Stadt <strong>Stuttgart</strong>, Bd. 25), <strong>Stuttgart</strong> 1972, S. 520 f.<br />
24 Berichte an das Office of Strategic Service, hier: 8. 10. 1945, <strong>in</strong>: Nachlaß Eberhard, Institut für<br />
Zeitgeschichte, Bestand ED 117, Bd. 89. Zitiert abjetzt: Nachlaß Eberhard, lfZ – ED 117/jeweiliger<br />
Bd.<br />
29
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e<strong>in</strong>gebaut. Von Ende Juli 1945 an wurden auch regelmäßig Gottesdienste der<br />
verschiedenen religiösen Bekenntnisse übertragen. Dem g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Besprechung<br />
voraus, die am 12. Juli auf E<strong>in</strong>ladung des Leiters von Radio <strong>Stuttgart</strong>, Capta<strong>in</strong><br />
William Burke Miller, mit Vertretern der christlichen Kirchen stattfand. Diese<br />
Sendungen sollten allwöchentlich ausgestrahlt und h<strong>in</strong>sichtlich der<br />
Programmgestaltung von den Kirchen betreut werden. Die Amerikaner erwarteten<br />
e<strong>in</strong>e an der Gewissensfreiheit ausgerichtete religiöse Erbauung, die sich jeder<br />
politischen Tendenzen zu enthalten habe. Am 14. Juli trugen die Kirchenvertreter<br />
auch dem Militärgouverneur von Württemberg- Baden, Oberst William Dawson,<br />
ihre Vorstellungen und Wünsche vor. Dieser beauftragte se<strong>in</strong>erseits die Kirchen<br />
mit der "Durchführung von kirchlichen Radiosendungen". Vere<strong>in</strong>bart wurde, daß<br />
am Sonntag, dem 29. Juli 1945, diese Sendungen mit e<strong>in</strong>leitenden Worten des<br />
Militärgouverneurs und des evangelischen Landesbischofs von Württemberg, Dr.<br />
Theophil Wurm, aufgenommen werden sollten 25 .<br />
Da Oberst Dawson selbst Methodist war, legte er Wert auf e<strong>in</strong>e Beteiligung der<br />
Freikirchen an den Übertragungen der Feierstunden, die von den Kirchen<br />
gestaltetet wurden. Bis zum Juni 1947 hatten die Freikirchen deshalb auch<br />
regelmäßig e<strong>in</strong>en eigenen Programmplatz am Sonntagvormittag, auf den seit<br />
Dezember 1945 die Gottesdienste verlegt worden waren. Dieser frühe Beg<strong>in</strong>n von<br />
Übertragungen religiöser Feiern, der mit der Praxis der <strong>Rundfunk</strong>stationen<br />
anderer Besatzungsmächte übere<strong>in</strong>stimmt, darf nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen,<br />
daß die Amerikaner den Kirchen nur wenig Spielraum im Bereich religiöser<br />
<strong>Rundfunk</strong>programme e<strong>in</strong>zuräumen gedachten. Weder gestanden sie den<br />
Bekenntnissen im Vergleich zu den Franzosen und den Engländern besonders viel<br />
Sendezeit zu, noch beteiligten sie die Kirchen verantwortlich bei den religiösen<br />
Informationssendungen, die allerd<strong>in</strong>gs erst 1947 <strong>in</strong>s Programm kamen.<br />
Vermutlich wollten die Amerikaner unter ke<strong>in</strong>en Umständen zulassen, daß die<br />
beiden großen Kirchen diese Sendungen dom<strong>in</strong>ieren oder den <strong>Rundfunk</strong><br />
25 Astrid Czerny, Nationalsozialismus und Nachkriegzeit im Spiegel der evangelischen<br />
Morgenfeiern von Radio <strong>Stuttgart</strong> (1945- 1949), Magisterarbeit Tüb<strong>in</strong>gen 1988, S. 17 ff.<br />
30
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möglicherweise bei weltanschaulichen Fragen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Abhängigkeit br<strong>in</strong>gen<br />
könnten 26 .<br />
Die Nachkriegspremiere der volkstümlichen Unterhaltung fand schließlich am 19.<br />
August 1945 im Rahmen des "Programms der Militärregierung" statt: In e<strong>in</strong>er<br />
Zehnm<strong>in</strong>utensendung erzählte Willy Reichert die Geschichte vom "Karle Hank",<br />
e<strong>in</strong>em Rottenburger Orig<strong>in</strong>al. Dafür stand e<strong>in</strong>e Schallplattenaufnahme zur<br />
Verfügung. E<strong>in</strong>e Woche später gestaltete dann – dieses Mal "live" der schon bei<br />
der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG tätige Mundartkünstler Albert Hofele im "Echo<br />
des Tages" den zehnm<strong>in</strong>ütigen Programmteil "Aus der schwäbischen Heimat" mit<br />
Volksmusik und schwäbischen Anekdoten und Geschichten. Erhalten geblieben<br />
ist im übrigen e<strong>in</strong> Manuskript, das <strong>in</strong> englischer Übersetzung – der Titel der<br />
Sendung hieß dort "From the Swabian Homeland" – sowohl die Plaudereien von<br />
Albert Hofele wie e<strong>in</strong> Dialektgedicht von Sebastian Blau (d.i. Josef Eberle) "D'r<br />
Neckar" enthält; wegen se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>maligkeit ist dies e<strong>in</strong> rundfunkgeschichtliches<br />
Dokument von besonderem Rang 27 . Seit dem 17. November 1945 wurde dieser<br />
Teil des "Echo des Tages" auf den Samstagnachmittag zwischen 13.30 bis 14.00<br />
Uhr verlegt und zu e<strong>in</strong>er eigenen Sendereihe. Unter veränderten Titeln, z.B. als<br />
"Volksmusik mit Albert Hofele" oder "Mit Volksmusik <strong>in</strong>s Land h<strong>in</strong>aus" sollten<br />
diese Sendungen mit dem weith<strong>in</strong> bekannten und beliebten schwäbischen<br />
Humoristen noch über zwanzig Jahre im Programm des Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>s<br />
bleiben.<br />
Da sich im Historischen Archiv des SDR aus der frühen Besatzungszeit nur sehr<br />
unvollständige Unterlagen über den Programmablauf erhalten haben, muß man<br />
versuchen, über andere Quellen diese Lücke zu schließen. An Hand von<br />
Programmh<strong>in</strong>weisen der "<strong>Stuttgart</strong>er Zeitung" läßt sich – wenn auch nicht immer<br />
auf den Tag genau – das Anwachsen des eigenproduzierten Anteils von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> verfolgen. In den Zeitungsankündigungen wurde ausdrücklich auf die<br />
26 He<strong>in</strong>z Glässgen, Katholische Kirche und <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deuschland 1945-<br />
1962, Berl<strong>in</strong> 1983, S. 101 ff.<br />
27 SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk vom 26. 8. 1945.<br />
31
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"eigenen" Sendungen von Radio <strong>Stuttgart</strong> h<strong>in</strong>gewiesen, da das Publikum an<br />
Programmen aus dem engeren Lebensumfeld vermutlich großes Interesse hatte.<br />
E<strong>in</strong>e Notiz vom 20. Oktober 1945 verweist auf e<strong>in</strong>e Sendung wie "Leichte<br />
Konzertmusik" von 12.15 bis 12.45 Uhr und bereits auf den so beliebten<br />
"Schlagercocktail" zwischen 21.30 und 21.45 Uhr. Der Sonntagnachmittag wurde<br />
zu dieser Zeit schon fast vollständig mit eigenproduzierten Musiksendungen, mit<br />
religiösen Feierstunden, e<strong>in</strong>er halben Stunde "Dichtung und Musik" sowie den<br />
Übertragungen aus dem <strong>Stuttgart</strong>er Staatstheater bestritten.<br />
E<strong>in</strong>e Übersicht über das Programm von Radio <strong>Stuttgart</strong> vom 17. November 1945<br />
kündigt jetzt für jeden Tag von 18.45 bis 19.00 Uhr "Die Anschlagsäule" an. In<br />
dieser Sendung f<strong>in</strong>den die bis dah<strong>in</strong> im "Echo des Tages" verlesenen Mitteilungen<br />
aller Art ihren Platz. Am Samstag gibt es nun von 16.00 bis 16.30 Uhr "Musik der<br />
Theater", am Sonntagnachmittag zwei zusätzliche Wortsendungen "Aus Kunst und<br />
Wissenschaft" mit allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong>formierenden Berichten aus diesem Bereich –<br />
14.30 bis 14.45 Uhr – sowie "Aus neuem Geist" – 16.00 bis 16.15 Uhr – mit<br />
Gedichten und Aphorismen.<br />
H<strong>in</strong>gewiesen wurde <strong>in</strong> dieser Zeitungsnotiz auch auf Sondersendungen, so am<br />
Mittwoch, 21. November, auf "Wovon Menschen leben", e<strong>in</strong> Hörspiel nach e<strong>in</strong>er<br />
Erzählung von Leo Tolstoj, und e<strong>in</strong>en Tag später auf "Miles Standishs<br />
Brautwerbung", e<strong>in</strong> anderes Hörspiel nach e<strong>in</strong>em Gedicht von Henry Wadsworth<br />
Longfellow. Allerd<strong>in</strong>gs handelt es sich hierbei nicht – wie oft behauptet – um das<br />
erste von Radio <strong>Stuttgart</strong> gesendete Hörspiel: Vielmehr war bereits am 12.<br />
Oktober 1945 von 20.00 bis 20.30 Uhr das Hörspiel "Die Entdeckung Amerikas –<br />
Christoph Columbus" nach e<strong>in</strong>em Manuskript von Anna Haag übertragen<br />
worden 28 . Dieser Text der <strong>Stuttgart</strong>er Politiker<strong>in</strong> und Schriftsteller<strong>in</strong> stammte –<br />
wie der Stempel auf dem erhaltenen Manuskript belegt – noch aus der Zeit der<br />
Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG und war vermutlich Grundlage für e<strong>in</strong>e<br />
Hörspielproduktion <strong>in</strong> der Zeit vor 1933 gewesen, deren Datum wir nicht kennen.<br />
28 SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk vom 12.10.1945 sowie das Manuskript <strong>in</strong> der<br />
Hörspielregistratur (St. Nr. 11/183).<br />
32
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Man muß sich im Rückblick die Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen nach dem Kriege<br />
Hörspiele hergestellt und direkt ausgestrahlt wurden, verdeutlichen. Es stand ja<br />
als Studio und damit als Produktionsstätte lediglich der Wagen zur Verfügung,<br />
der <strong>in</strong> der Tore<strong>in</strong>fahrt der Neckarstraße 145 aufsgestellt war. E<strong>in</strong> Teil der<br />
Mitwirkenden mußte zwischendurch das "Studio" immer wieder möglichst leise<br />
verlassen, da nicht alle Platz im Wagen<strong>in</strong>neren fanden, und für den<br />
Harmonikaspieler mußte die Außentür eigens geöffnet werden, weil er sonst se<strong>in</strong><br />
Instrument nicht bedienen konnte 29 .<br />
Am 24. November 1945 wird für die Wochentage e<strong>in</strong> dreistündiges eigenes<br />
Abendprogramm angekündigt mit leichter Musik zwischen 18.00 und 19.00 Uhr,<br />
e<strong>in</strong>er Aktuellen Stunde" zwischen 19.00 und 20.00 Uhr, mit Nachrichten und den<br />
nun e<strong>in</strong>setzenden täglichen Berichten vom Nürnberger Prozeß von 20.20 bis<br />
20.30 Uhr. Nach der Übertragung der "Stimme Amerikas" stehen nun auf dem<br />
Programmzettel: "Neue Wege <strong>in</strong> der Tonkunst" (montags 21.15 Uhr), e<strong>in</strong><br />
S<strong>in</strong>foniekonzert (dienstags) und das Hörspiel (mittwochs). Der Samstag war<br />
<strong>in</strong>zwischen um e<strong>in</strong>en viertelstündigen Landfunk (18.30 bis 18.45 Uhr) sowie e<strong>in</strong><br />
Hörspiel erweitert, das aber im Januar 1946 auf den späten Sonntagnachmittag<br />
verlegt wird; dort ist es bis heute nach mehr als 40 Jahren immer noch plaziert.<br />
Diese Programmausweitungen waren notwendig geworden, weil am 11.<br />
November 1945 der alliierte Militärsender Luxemburg se<strong>in</strong> Programm e<strong>in</strong>gestellt<br />
hatte, <strong>Stuttgart</strong> also völlig auf die eigene Programmproduktionen angewiesen<br />
war. E<strong>in</strong> Monat schwieriger Improvisationen mußte danach noch überwunden<br />
werden. Noch bis zum 17. Dezember wurde aus dem Studiowagen gesendet,<br />
dann erst konnten die <strong>in</strong>zwischen im Telegrafenbauamt e<strong>in</strong>gerichteten drei<br />
Sendestudios und der Schaltraum ihrer Bestimmung übergeben werden. 30<br />
29 Eschwege, Vom Niedergang und Aufstieg, S. 76. Siehe auch die Hörfunksendung von Hans<br />
Sattler: "Wir blättern zurück: zehn Jahre Süddeutscher <strong>Rundfunk</strong>", 4. 6. 1955, S. 7, <strong>in</strong>: SDR/HA ,<br />
Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 3000.<br />
30 Zum Ende der Überspielungen aus Luxemburg: SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk, 11. 11.<br />
1945. Das genaue Datum der Eröffnung der neuen Studios ist notiert im Wochenbericht des<br />
Chef<strong>in</strong>genieurs Weldon Hogie vom 29.12.1945, <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische Dokumentation 1945-<br />
1986, Nr. 2358 (H). Zu den technischen Aufbauarbeiten im Funkhaus zusammenfassend: Vier<br />
33
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Von Dezember 1945 an wurde das Programmvolumen von Radio <strong>Stuttgart</strong> ständig<br />
erweitert, aber auch immer wieder Veränderungen vorgenommen. Sendungen<br />
entfielen, neue kamen h<strong>in</strong>zu, andere wurden verlegt oder änderten ihren Umfang.<br />
E<strong>in</strong> wichtiger E<strong>in</strong>schnitt war die E<strong>in</strong>führung des Frühprogramms am 7. April 1946.<br />
Sendebeg<strong>in</strong>n war jetzt bereits um 6.15 Uhr. Mit dem 12. August 1946 wurde<br />
neben anderen Veränderungen auch das "Echo des Tages" aufgegeben und durch<br />
die "Politische halbe Stunde von Radio <strong>Stuttgart</strong>" ersetzt, mit "Parteien sprechen"<br />
(montags), "Probleme der Gegenwart" (dienstags und donnerstags) sowie mit<br />
e<strong>in</strong>em Teil der vertrauten Kurzsendungen aus dem "Umerziehungs"- Programm an<br />
den anderen Wochentagen. Auch hatte man erkannt, daß zweimal abends zur<br />
besten Sendezeit zwischen 21.00 und 22.00 Uhr "Neue Wege <strong>in</strong> der Tonkunst" die<br />
Hörer überforderte und bereits im Juni andere Term<strong>in</strong>e für die Ausstrahlung<br />
zeitgenössischer Musik gesucht.<br />
Die Ausweitung des Programmumfangs, die mit Hilfe der Entwicklung des<br />
Programmschemas geschildert worden ist, läßt sich auch an konkreten Zahlen<br />
ablesen: Radio <strong>Stuttgart</strong> sendete von Juli bis November 1945 jeweils lediglich 48<br />
Stunden pro Woche. Im Dezember 1945 erhöhte sich das Angebot auf 58<br />
Stunden, im Januar 1946 auf 64 Stunden, im Februar 1946 auf 66 und im März<br />
1946 schon auf 75 Stunden Programm pro Woche. E<strong>in</strong>e noch deutlichere<br />
Ausweitung ergab sich mit den Änderungen und Programmerweiterungen im<br />
April 1946: nun wurden 103 Stunden wöchentlich ausgestrahlt 31 .<br />
Voraussetzung für die Programmausweitungen war neben der E<strong>in</strong>stellung von<br />
deutschem Personal zur Betreuung der Sendung der Ausbau der<br />
rundfunktechnischen Infrastruktur im ehemaligen Telegrafenbauamt. Im Juni<br />
1945 waren bereits e<strong>in</strong>e provisorische und im Juli e<strong>in</strong>e komplette Schallaufnahme<br />
mit Tonbandmasch<strong>in</strong>en, Plattenabspielapparaturen und Aufnahmemasch<strong>in</strong>en im<br />
neuen Funkhaus <strong>in</strong>stalliert worden. Aus heutiger Sicht kann man sich kaum<br />
Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 2- 4 und e<strong>in</strong> Vortrag des deutschen Chef<strong>in</strong>genieurs von Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
Alexander Berger am 17. 8. 1946 <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>, <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische Dokumentation 1945-<br />
1986, Nr. 2364 (1).<br />
31 OMGUS/WI3 – ICD/ISD, 9. 7. 1946, 12/85- 1/49<br />
34
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vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten dies verbunden war: Die Beschaffung<br />
e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Schraube konnte dabei zum großen Problem werden.<br />
Ober<strong>in</strong>genieur Rudolf Hartmann legte <strong>in</strong>sgesamt 25 000 km zurück, um das<br />
notwendige Material für den Auf- und Ausbau des Funkhauses aus den<br />
verschiedensten Orten der Westzonen zusammenzutragen. Vor allem vom Sitz<br />
des Ausweichfunkhauses <strong>in</strong> Bad Mergentheim, aus Bauernhäusern <strong>in</strong> Odenwald<br />
sowie aus der Gegend von Passau wurden ausgelagerte Restbestände des alten<br />
Funkhauses nach <strong>Stuttgart</strong> zurückgeholt. Während <strong>in</strong> den Senderäumen Maurer,<br />
Zimmerleute und Schre<strong>in</strong>er arbeiteten, bauten die Mitarbeiter der Abteilung<br />
Technik Verstärker- E<strong>in</strong>richtungen, Abspiel- Apparaturen für Schallplatten und<br />
Tonmischpulte <strong>in</strong> die Regiezellen e<strong>in</strong>; dabei waren alle<strong>in</strong> 30 Kilometer<br />
<strong>Rundfunk</strong>spezialkabel zu verlegen. Auch Überspielstätten wurden im Laufe des<br />
Jahres 1945 an mehreren Stellen <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> mit Leitungsverb<strong>in</strong>dungen zum<br />
Funkhaus e<strong>in</strong>gerichtet, so im Großen Haus der Württembergischen Staatstheater<br />
oder <strong>in</strong> der Markuskirche. Im November 1945 stand immerh<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong><br />
Übertragungswagen zur Verfügung, der erstmals Reportagen, etwa aus<br />
Sportstadien, ermöglichte. Dieser sehr behelfsmäßige Ü- Wagen war e<strong>in</strong> mit<br />
e<strong>in</strong>fachen Mitteln umgebautes Taxi, das von der öffentlichen Stromversorgung<br />
abhängig war. Mancher Aufnahmeterm<strong>in</strong> konnte wegen der zahlreichen<br />
Stromsperren nicht wahrgenommen werden.<br />
E<strong>in</strong> Meßdienst für die Überwachung der Hochfrequenztechnik wurde geschaffen,<br />
ebenso e<strong>in</strong> Werkstattdienst für Reparaturen und Batteriekontrolle. Neues Personal<br />
mußte angelernt werden. Auf der "Solitude" wurde – wie schon e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den<br />
Zwanziger Jahren – e<strong>in</strong>e Fernempfangsstelle e<strong>in</strong>gerichtet, mit deren Hilfe die<br />
Sendungen der "Stimme Amerikas" aus New York empfangen wurden, um sie<br />
dann über den Schaltraum des <strong>Stuttgart</strong>er Funkhauses an alle Sender der<br />
amerikanischen Besatzungszone weiterzugeben 32 .<br />
Trotz der nach dem Zweiten Weltkrieg existierenden Schattenwirtschaft, <strong>in</strong> der<br />
viele lebensnotwendige Güter, auch Baumaterial, eigentlich kaum legal durch<br />
32 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 2 ff.<br />
35
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Geldzahlungen erworben werden konnten, mußte e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung wie Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> ihre Investitionen und Aufwendungen und die Entlohnung der<br />
Mitarbeiter weitgehend mit dem gültigen Zahlungsmittel, mit der Reichsmark,<br />
abwickeln. Woher bezog nun Radio <strong>Stuttgart</strong> se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzmittel?<br />
Bei ihren Erkundungen kurz nach Kriegsende machten die amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offiziere auch drei Konten des ehemaligen Reichssenders <strong>Stuttgart</strong><br />
ausf<strong>in</strong>dig: e<strong>in</strong>es mit 74.000 RM bei der Dresdner Bank, e<strong>in</strong>es mit zwei Millionen<br />
Francs bei der Reichsbank und rund 50.000 RM bei e<strong>in</strong>er Bank <strong>in</strong> Bad<br />
Mergentheim, dem Ausweichstandort des Reichssenders. Mit diesem Geld wurden<br />
bis Oktober 1945 die wichtigsten Ausgaben von Radio <strong>Stuttgart</strong> bezahlt, nachdem<br />
die Amerikaner gegenüber den Behörden der Reichspost durchgesetzt hatten,<br />
diese Gelder für Zwecke der Station zu verwenden 33 .<br />
Als aber im Herbst 1945 die Zahl der Mitarbeiter auf über 100 angewachsen war,<br />
reichten die beschriebenen Geldmittel nicht mehr aus. So wurde die<br />
Oberpostdirektion <strong>Stuttgart</strong> gebeten, die Radio <strong>Stuttgart</strong> zustehenden Gelder aus<br />
Nordwürttemberg und Nordbaden zur Verfügung zu stellen. Die Reichspost zog<br />
nämlich über den Zusammenbruch h<strong>in</strong>aus die Gebühr von zwei Reichsmark je<br />
Monat für jeden Radioapparat e<strong>in</strong>. Nach der nicht immer ganz zuverlässigen<br />
Schilderung des ehemaligen Verwaltungsleiters der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG<br />
und des Reichssenders, Matthäus Eisenhofer, den die amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offiziere ohne Umschweife <strong>in</strong> gleicher Funktion wieder e<strong>in</strong>gestellt<br />
hatten, konnte <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> e<strong>in</strong>e Forderung mit der die Auszahlung dieser Gelder<br />
erhoben worden war, vermieden werden: der direkte E<strong>in</strong>griff der Postbürokratie <strong>in</strong><br />
die F<strong>in</strong>anzen des Senders. So bestand ke<strong>in</strong>e Abgabepflicht von<br />
Rechnungsunterlagen an die Oberpostdirektion <strong>Stuttgart</strong>, während dies <strong>in</strong><br />
Frankfurt und Baden- Baden der Fall war 34 .<br />
33 OMGUS/WB – ICD/ISD, 23. 7.1945,12/85 - 1/50 und Eisenhofer, Me<strong>in</strong> Leben, S. 216<br />
34 OMGUS/WI3 – ICD/ISD, 25.3.1946,12/85 - 1/48 und Eisenhofer, Me<strong>in</strong> Leben, S. 216 und 231 ff.<br />
36
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Nach Konsultationen auch auf der höheren Ebene der Militärregierungen wurde <strong>in</strong><br />
Württemberg- Baden und Hessen erst e<strong>in</strong>mal die alte Regelung der<br />
<strong>Rundfunk</strong>gebühren beibehalten: 55 Prozent für den Sender und 45 Prozent für<br />
die Post, e<strong>in</strong>e Aufteilung, die erst nach der Währungsreform zum 1. Juli 1948 auf<br />
75 Prozent zugunsten der Sender erhöht wurde 35 , nachdem <strong>in</strong>zwischen durch<br />
e<strong>in</strong>en Befehl des amerikanischen Militärgouverneurs die Frage des Verhältnisses<br />
von Post und <strong>Rundfunk</strong> gelöst worden war (Vgl. S. 169ff). Interessant ist<br />
jedenfalls, daß <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> im Zusammenhang mit den konkreten Problemen der<br />
Geldbeschaffung von den <strong>Rundfunk</strong>offizieren grundsätzliche Fragen des<br />
Gebührene<strong>in</strong>zugs und des Verhältnisses von Post und <strong>Rundfunk</strong> erörtert wurden.<br />
Morgengymnastik mit Lo Keifer 1947<br />
35 Bausch, <strong>Rundfunk</strong>politik nach 1945, S. 24 ff.<br />
37
Die amerikanischen Kontrolloffiziere und ihre Mission<br />
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Bevor deutsche Mitarbeiter <strong>in</strong> nennenswerter Zahl e<strong>in</strong>gestellt waren, mußten die<br />
Amerikaner sowohl adm<strong>in</strong>istrative wie programmliche Aufgaben bis <strong>in</strong> jedes<br />
Detail selbst erledigen. Deshalb begannen sie wie bei Radio Frankfurt und Radio<br />
München auch bei Radio <strong>Stuttgart</strong> mit e<strong>in</strong>er relativ großen Mannschaft, mit rund<br />
30 Personen. Doch von Anfang an war nicht daran gedacht, die Radiostation<br />
länger als unbed<strong>in</strong>gt notwendig <strong>in</strong> eigener Regie zu betreiben. Vielmehr wollten<br />
die Amerikaner möglichst bald e<strong>in</strong>en Sender, der im wesentlichen von deutschen<br />
Mitarbeitern betreute wurde. Sie wollten dann lediglich die E<strong>in</strong>haltung<br />
allgeme<strong>in</strong>er Grundsätze der Programmgestaltung überwachen bzw. im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>er Vorzensur kontrollieren. Besprechungsprotokolle der Offiziere aus den<br />
ersten Wochen ihrer Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> lassen erkennen, daß es e<strong>in</strong>ige<br />
Unsicherheiten über die nötigen Schritte im Zusammenhang mit<br />
Programmausweitungen und Personale<strong>in</strong>stellungen gab. Man merkte schon bald<br />
nach Aufnahme des Programmbetriebs, daß die amerikanische Mannschaft an die<br />
Grenzen ihrer personellen Möglichkeiten geriet. Nach Feststellung ihres Chefs,<br />
William Burke Miller, hatte sie lediglich "control capacity", also Kapazität für die<br />
Überwachung. Das machte die beschleunigte E<strong>in</strong>stellung deutscher Mitarbeiter<br />
erforderlich. 36<br />
Angesichts der lückenhaften Quellenüberlieferung auf deutscher wie auf<br />
amerikanischer Seite und angesichts auch der Fluktuation unter den Mitgliedern<br />
des "6871st DISCC Radio Detachment" der 7. US-Armee ist es nicht ganz leicht,<br />
sich e<strong>in</strong>en vollständigen Überblick über den Personalbestand der bei Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> tätigen <strong>Rundfunk</strong>offiziere zu verschaffen. Auch die Informationen über<br />
Geburtsdaten, soziale Herkunft, Ausbildungsgang und beruflichen H<strong>in</strong>tergrund<br />
der meisten <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>offiziere sowie ihr späterer Lebensweg s<strong>in</strong>d oft<br />
nur bruchstückhaft überliefert.<br />
36 OMGUS/WB – ICD/ISD, 11 . 7. 1945, 12/85 - 2/4.<br />
38
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Bis etwa Mitte 1946, als die Kommandos <strong>in</strong> den Funkhäusern der amerikanischen<br />
Zone entscheidend verkle<strong>in</strong>ert wurden kam, bestand die Mannschaft <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />
aus etwa zehn Offizieren oder Mitarbeitern ohne militärischen Rang, wie das<br />
Fehlen von Rangbezeichnungen <strong>in</strong> den Aufstellungen ausweist. Daneben führen<br />
Personalübersichten etwa 15 bis 20 Leute <strong>in</strong> untergeordneten Stellungen auf wie<br />
Büropersonal, Fahrer und vermutlich technisches Hilfspersonal. Im Sommer 1945<br />
werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht 33 Personen als Angehörige der amerikanischen<br />
Mannschaft bei Radio <strong>Stuttgart</strong> aufgezählt.<br />
Insgesamt bestanden <strong>in</strong> den ersten Monaten fünf Organisationsbereiche:<br />
1. Die Leitung mit dem "chief", von Juni bis zum 31. Dezember 1945 William<br />
Burke Miller.<br />
2. Die "personal section" war mit der E<strong>in</strong>stellung des deutschen Personals<br />
beauftragt: Ihr gehörten Capta<strong>in</strong> Fred G. Taylor als "executive officer" und Mr.<br />
Goodw<strong>in</strong> als "<strong>in</strong>telligence officer" an. Sie waren damit beauftragt, die neu<br />
e<strong>in</strong>zustellenden deutschen Mitarbeiter daraufh<strong>in</strong> zu überprüfen, <strong>in</strong>wieweit sie<br />
durch ihre Aktivitäten im Dritten Reich belastet und überhaupt für e<strong>in</strong>e<br />
Tätigkeit bei Radio <strong>Stuttgart</strong> tragbar waren. Der von vielen Mitarbeitern als ihr<br />
"clear<strong>in</strong>g officer" erwähnte Mr. Stevens gehörte nicht unmittelbar zum Stab von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> sondern zur Abteilung "Plans and Operations" <strong>in</strong> der<br />
amerikanischen Informationskontrolle.<br />
3. In den ersten Monaten war die "eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g section" unter Leitung von Major<br />
Francis J. Biltz beim Wiederaufbau des Senders Mühlacker und der technischen<br />
Ausstattung des neuen <strong>Stuttgart</strong>er Funkhauses von großer Bedeutung. Bereits<br />
Ende 1945 war Capta<strong>in</strong> Weldon Hogie Leiter dieser Sektion, die aber im<br />
zweiten Halbjahr 1946 nicht mehr erwähnt wird.<br />
4. Die "editorial section" unter Leitung von Lieutenant Teschner sowie Mr. Nicoll<br />
und Mr. Hieble als Mitarbeiter war verantwortlich für Programmaktivitäten und<br />
Programmkontrolle. Anfänglich war dieser Sektion noch e<strong>in</strong> eigener<br />
"<strong>in</strong>formation control censor" zugeordnet.<br />
5. Schließlich gab es e<strong>in</strong>e "adm<strong>in</strong>istrative section" unter Leitung von Capta<strong>in</strong><br />
McPolland.<br />
Dieses <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Zuständigkeiten heute nicht mehr ganz durchsichtige<br />
Organisationsgefüge ersche<strong>in</strong>t Mitte 1946 leicht verändert: Neben dem leitenden<br />
und dem technischen Offizier sowie e<strong>in</strong>em verantwortlichen Offizier für Fragen<br />
39
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der Programmgestaltung gab es noch e<strong>in</strong>en für die Produktion und das Hörspiel.<br />
Unter Leitung e<strong>in</strong>es weiteren Offiziers stand der Bereich "Manuskripte", der <strong>in</strong><br />
erster L<strong>in</strong>ie für die Programmkontrolle im Wortbereich zuständig war. Schließlich<br />
war noch e<strong>in</strong> Offizier vorhanden, der die Programmkontrolle im Musikbereich<br />
ausübte. Bis zur Verkle<strong>in</strong>erung des Kommandos war die Zusammenarbeit<br />
zwischen deutschen und amerikanischen Mitarbeitern so organisiert, daß für die<br />
wichtigsten Funktionsbereiche – festgefügte Organisationse<strong>in</strong>heiten und<br />
Zuständigkeiten existierten noch nicht – jedem amerikanischen Offizier e<strong>in</strong> –<br />
soweit bereits vorhanden verantwortlicher deutscher Mitarbeiter zur Seite gestellt<br />
war 37 .<br />
Insgesamt hatte Radio <strong>Stuttgart</strong> bis zur Übergabe <strong>in</strong> deutsche Hände im Sommer<br />
1949 drei amerikanische "Chiefs". Der erste Leiter der Station war William Burke<br />
Miller: Er blieb allerd<strong>in</strong>gs nur bis zum 31. Dezember 1945, um dann <strong>in</strong> die USA<br />
zurückzukehren, wo er e<strong>in</strong>e leitende Position <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>gesellschaft übernahm. Nur zwei Monate dauerte die Leitung von<br />
Capta<strong>in</strong> Philip L. Barbour. Er wollte nach Auskunft von Fred G. Taylor bereits im<br />
Frühjahr 1946 Dr. Fritz Eberhard, der seit Sommer 1945 bei Radio <strong>Stuttgart</strong> als<br />
Programmberater tätig war und später Intendant des Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>s<br />
wurde, zum deutschen Leiter ernennen. Wegen dieser, mit den vorgesetzten<br />
Stellen nicht abgestimmten Absicht wurde Barbour abgelöst. Die Zeit war noch<br />
nicht reif für e<strong>in</strong>e solche Übergabe <strong>in</strong> deutsche Verantwortung. Eberhard mußte<br />
wegen dieses Vorfalls – vermutlich auch wegen anderer Unstimmigkeiten mit den<br />
Amerikanern – im Juni 1946 vorerst die <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>station verlassen 38 .<br />
Capta<strong>in</strong> Fred G. Taylor war von Anfang an <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> dabei und vom Juni 1945<br />
bis zu se<strong>in</strong>er Ernennung zum "Chief of the Station" am 7. März 1946 zum<strong>in</strong>dest<br />
37 OMGUS/WI3 – ICD/ISD, History of ICD/ISD Württemberg- Baden 1946- 1947, ca. 1947, 12/97-<br />
1/1. Die im folgenden beschriebene E<strong>in</strong>teilung bef<strong>in</strong>det sich auf e<strong>in</strong>em Laufzettel ("rout<strong>in</strong>g slip")<br />
vom August 1945, OMGUS/WB – ICD/ISD, August 1945, 12/85 – 2/1. Die Angaben von Mitte<br />
1946 <strong>in</strong>: <strong>Stuttgart</strong>er Zeitung vom 4. 6. 1946.<br />
38 Matthäus Eisenhofer, Me<strong>in</strong> Leben S. 214 f. Die folgende Aufzählung der Kontrolloffiziere und die<br />
biographischen Angaben gehen zurück auf e<strong>in</strong>e Vorstellung (mit Foto) im "Radio- Spiegel", Nr.<br />
2/1946, S. 6f. Für e<strong>in</strong>ige der <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>offiziere stellt dieser Beitrag die e<strong>in</strong>zige etwas<br />
ausführlichere Informationsquelle ihres biographischen H<strong>in</strong>tergrundes dar.<br />
40
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teilweise für die Personale<strong>in</strong>stellungen verantwortlich. Danach vertrat er noch<br />
mehr als drei Jahre lang die amerikanischen Interessen während der Zeit des<br />
Übergangs von e<strong>in</strong>em Sender der Militärregierung zu e<strong>in</strong>er deutschen<br />
<strong>Rundfunk</strong>station. In der Er<strong>in</strong>nerung der damals bereits tätigen deutschen<br />
Mitarbeiter gilt er als der Exponent der amerikanischen Militärregierung bei Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>. Taylor stammte aus Salt Lake City und war praktizierender Mormone.<br />
Missionstätigkeit für diese Religionsgeme<strong>in</strong>schaft hatte ihn von 1930 bis 1933<br />
nach Deutschland geführt. Nach e<strong>in</strong>em Studium der Naturwissenschaften war er<br />
von 1936 bis zum E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Armee 1942 bei e<strong>in</strong>er <strong>Rundfunk</strong>station<br />
beschäftigt. Taylor, der se<strong>in</strong>e Aufgabe sehr ernst nahm und sie mit Engagement<br />
ausfüllte, wird von den damaligen deutschen Mitarbeitern als kooperativ,<br />
<strong>in</strong>sgesamt als wohlwollend und deutschfreundlich geschildert. Nach e<strong>in</strong>em<br />
Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau sei er allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Zeitlang<br />
sehr zurückhaltend gewesen. Se<strong>in</strong>e generell positive E<strong>in</strong>stellung drückte sich<br />
auch dar<strong>in</strong> aus, daß er die Gründung e<strong>in</strong>er Mitarbeitervertretung, e<strong>in</strong>es<br />
Betriebsrates, bei Radio <strong>Stuttgart</strong> gestattete.<br />
Fred G. Taylor war allerd<strong>in</strong>gs nicht die Persönlichkeit, die auf Grund ihrer<br />
<strong>in</strong>tellektuellen Statur und ihres Bildungsh<strong>in</strong>tergrunds der Programmarbeit von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> hätte besondere Impulse vermitteln können. In dieser H<strong>in</strong>sicht<br />
unterschied er sich wie andere leitende Offiziere bei Radio <strong>Stuttgart</strong> doch von<br />
e<strong>in</strong>igen amerikanischen Kontrolloffizieren anderer Sender, man denke an<br />
Persönlichkeiten wie Robert Lochner bei Radio Frankfurt oder auch Field Hor<strong>in</strong>e<br />
bei Radio München, ganz zu schweigen von der überragenden Figur des "chief<br />
controller" der Briten beim Nordwestdeutschen <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> Hamburg, Hugh<br />
Carleton Greene. Es ist auch festzuhalten, daß – abgesehen von e<strong>in</strong>er Ausnahme –<br />
bei Radio <strong>Stuttgart</strong> ke<strong>in</strong>e deutschen Emigranten tätig waren, während Hans<br />
Mayer, Stefan Herml<strong>in</strong> und Golo Mann <strong>in</strong> Frankfurt, als Deutsche <strong>in</strong><br />
amerikanischer Uniform dem Radioprogramm wichtige Anregungen und geistiges<br />
Profil vermittelten, also Anstöße gaben, die über die Planung von Sendungen zur<br />
Umerziehung und über die Ausübung von Zensur h<strong>in</strong>aus denn darauf<br />
41
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beschränkten sich die amerikanischen Offiziere <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>, wie noch zu zeigen<br />
se<strong>in</strong> wird – für das geistige Leben im Nachkriegsdeutschland von Bedeutung<br />
waren.<br />
In der Anfangsphase war neben dem "Chief of the Station" und dem<br />
Verwaltungsleiter der Chef<strong>in</strong>genieur, Capta<strong>in</strong> Weldon Hogie, als Nachfolger von<br />
Major Biltz bei den Aufbauarbeiten <strong>in</strong> Mühlacker und <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Figur. Hogie hatte Elektrotechnik studiert, war nach Abschluß se<strong>in</strong>es Studiums <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong> Signalkorps der amerikanischen Armee e<strong>in</strong>getreten und hatte bis Kriegsende<br />
<strong>in</strong> Europa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fahrenden Radio- E<strong>in</strong>heit gearbeitet.<br />
Über Capta<strong>in</strong> Teschner – vermutlich deutschstämmig oder Emigrant – liegen<br />
ke<strong>in</strong>e näheren Informationen vor. Er wird als "Deputy Chief" und damit als<br />
Stellvertreter des Stationleiters bezeichnet, dem – so e<strong>in</strong>e Notiz vom 20. Oktober<br />
1945 – die Organisation der "Educational, news and official programs"<br />
unterstand. Capta<strong>in</strong> Teschner hat die Station bereits im Frühjahr 1946 verlassen.<br />
Stuart L. Hannon wird <strong>in</strong> den Unterlagen als "Programmleiter" bezeichnet. 1914<br />
im Staate Wash<strong>in</strong>gton geboren, hatte er nach geisteswissenschaftlichen Studien<br />
die Absicht, Diplomat zu werden. Er entschied sich dann jedoch für die<br />
<strong>Rundfunk</strong>arbeit und trat im Oktober 1945 bei Radio <strong>Stuttgart</strong> se<strong>in</strong>en Dienst an. Er<br />
hat vermutlich Teschners Funktion übernommen. Ob und <strong>in</strong>wieweit er auf diesem<br />
Sektor entscheidenden E<strong>in</strong>fluß nehmen konnte, ist im Detail nicht bekannt, zumal<br />
se<strong>in</strong>e Deutschkenntnisse für die übliche Nachrichtenkontrolle als nicht<br />
ausreichend beschrieben werden. Nach se<strong>in</strong>em Ausscheiden bei Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
war er bis Anfang der fünfziger Jahre bei der amerikanischen Militärregierung für<br />
Württemberg- Baden <strong>in</strong> der Nachrichtenabteilung tätig.<br />
Hermann ("Kip") Chevalier wird <strong>in</strong> den Dokumenten des ersten Jahres als "script<br />
director" genannt, der alle Manuskripte zu überprüfen hatte. Er stammte aus New<br />
York und war – so nach e<strong>in</strong>em Portrait <strong>in</strong> der Programmzeitschrift von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>, dem "Radio- Spiegel" – von Beruf Lehrer. Er blieb bis zum Ende der<br />
42
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amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>kontrolle im Sommer 1949 zusammen mit Taylor <strong>in</strong><br />
<strong>Stuttgart</strong>. Den meisten der damaligen Mitarbeiter ist "Kip" Chevalier als der<br />
Begutachter von Manuskripten <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben, der das amerikanische<br />
Umerziehungskonzept mit Ause<strong>in</strong>andersetzungen um eher vordergründige<br />
Formulierungen umzusetzen suchte.<br />
Lieutenant Leonard E. Coplen, geboren 1918 im US-Staat Ma<strong>in</strong>e, studierter<br />
Musikwissenschaftler und Musiker und wie Chevalier offensichtlich High- School-<br />
Lehrer, war für die Kontrolle der musikalischen Programme zuständig. Inwieweit<br />
er auf das Programm e<strong>in</strong>wirkte, ist nicht bekannt. Im Laufe der zweiten<br />
Jahreshälfte 1946 ist er gleichfalls ausgeschieden.<br />
Als sehr schwierigen, aber fachlich sehr befähigten <strong>Rundfunk</strong>offizier ohne<br />
militärischen Rang, da ohne amerikanische Staatsbürgerschaft, – kennzeichnen<br />
alle damaligen deutschen Mitarbeiter Arthur Shaffer, e<strong>in</strong>en nach England<br />
emigrierten Ungarn jüdischer Abstammung. Er hatte starke künstlerische<br />
Interessen sowie auch größere Erfahrung im Film- , Theater- und<br />
<strong>Rundfunk</strong>bereich. Arthur Shaffer beteiligte sich <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong>tensiv an der<br />
Produktionsarbeit. Vor allem darf se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluß auf das Hörspiel nicht unterschätzt<br />
werden, wie vermutlich auch die ungewöhnliche Zahl von zwei Sendeterm<strong>in</strong>en pro<br />
Woche für diese anspruchsvolle Programmgattung auf ihn zurückgeht.<br />
Zusammen mit Kip Chevalier war er darüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> der Programmkontrolle<br />
tätig. Wegen se<strong>in</strong>er vielfältigen Kenntnisse und Fähigkeiten – "his exceptional<br />
abilities", wie sich Tayior e<strong>in</strong>mal ausdrückte 39 - , war se<strong>in</strong> Weggang im Frühjahr<br />
1947 sicher e<strong>in</strong> Verlust für Radio <strong>Stuttgart</strong>.<br />
1948/49 waren als Kontrolloffiziere Mr. Barjanski, Dr. Cecil Headrick und Miss<br />
Margarete Sweeder im Sender tätig, ohne daß über ihren Lebensweg sowie<br />
besondere Aspekte ihrer Arbeit bei Radio <strong>Stuttgart</strong> Näheres mitgeteilt werden<br />
könnte.<br />
39 OMGUS/WB- ICD/ISD, 7.1.1947,12/97 - 2/3; mündliche Mitteilung von Dr. Peter Kehm,<br />
Mitarbeiter bei Radio <strong>Stuttgart</strong>, später Hörfunk- Programmdirektor des SDR.<br />
43
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Warum zu Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong>sgesamt weniger bedeutende und im kulturellen<br />
Leben weniger e<strong>in</strong>flußreiche <strong>Rundfunk</strong>offiziere geschickt wurden, darüber kann<br />
man nur spekulieren. Es mag se<strong>in</strong>, daß die amerikanischen Offiziere e<strong>in</strong>en<br />
gewissen E<strong>in</strong>fluß auf die Wahl ihres E<strong>in</strong>satzortes nehmen konnten: Da mochte<br />
Frankfurt oder München attraktiver gewesen se<strong>in</strong> als <strong>Stuttgart</strong>. Für das<br />
<strong>in</strong>tellektuelle Profil und das kulturelle Niveau der Station ist dieser Umstand nicht<br />
ohne E<strong>in</strong>fluß für die Jahre des Besatzungsrundfunks gewesen, wie übrigens auch<br />
e<strong>in</strong>e vergleichbare Entwicklung bei der Rekrutierung deutschen Personals<br />
festzustellen ist.<br />
Im Januar 1946 wurden vom Chef der Information Control Division (ICD) <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
Maßnahmen angekündigt, um die amerikanischen Mannschaften <strong>in</strong> den<br />
<strong>Rundfunk</strong>stationen zu verkle<strong>in</strong>ern. Vom 30. Juni 1946 an – so war es geplant - ,<br />
sollte die "detaillierte Überwachung" aufgegeben und nur die E<strong>in</strong>haltung der<br />
vorgegebenen allgeme<strong>in</strong>en Ziele kontrolliert werden; die Verb<strong>in</strong>dung zu den<br />
deutschen Funktionsträgern <strong>in</strong> den <strong>Rundfunk</strong>station war dann nur noch über<br />
deutsche Intendanten abzuwickeln, die bis dah<strong>in</strong> zu ernennen waren 40 . Allerd<strong>in</strong>gs<br />
erhielt lediglich Radio Frankfurt bereits im Juni 1946 mit Eberhard Beckmann e<strong>in</strong>e<br />
deutsche Spitze. Bei Radio München und bei Radio <strong>Stuttgart</strong> mußte man sich noch<br />
länger gedulden: Der Münchener Intendant wurde erst im Dezember 1947, der<br />
<strong>Stuttgart</strong>er im Juni 1947 bestellt 41 .<br />
Das Ziel, das amerikanische Personal zu verr<strong>in</strong>gern, wurde – wie auch bei den<br />
anderen Stationen der US-Zone – tatsächlich rasch erreicht. Im August 1946 gab<br />
es nur noch vier Kontrolloffiziere <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>: Neben dem Stationschef war e<strong>in</strong>er<br />
für die generelle Programmplanung zuständig, e<strong>in</strong> weiterer für die<br />
Manuskriptzensur und e<strong>in</strong> vierter für die Produktion. Nach e<strong>in</strong>em Schreiben von<br />
Anfang 1947 dürfte es sich dabei noch um Fred C. Taylor, Stuart L. Hannon, "Kip"<br />
Chevalier und Arthur Shaffer gehandelt haben 42 . In der Folgezeit häuften sich<br />
allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> den verschiedenen E<strong>in</strong>gaben die Klagen der Offiziere wegen<br />
40 OMGUS/WB – ICS/ISD, 23. 1. 1946, 12/85- 2/3.<br />
41 Bausch, <strong>Rundfunk</strong>politik nach 1945, S. 158 f.<br />
44
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Arbeitsüberlastung und zu vieler Überstunden. Man bat immer wieder um<br />
Verstärkung, da der Dienstplan Arbeitszeiten zwischen 56 und 60 Stunden pro<br />
Woche auswies, wobei häufig noch Sonntagsdienste h<strong>in</strong>zukamen. Zu e<strong>in</strong>er<br />
Aufstockung des amerikanischen Personals ist es aber nicht mehr gekommen.<br />
Ersatz war auch kaum zu f<strong>in</strong>den, und angesichts der nicht ger<strong>in</strong>gen<br />
Anforderungen an die Qualifikation hätten zudem Gehälter gezahlt werden<br />
müssen, für die ke<strong>in</strong>e Stellen vorhanden waren. In aller Regel drängten auch die<br />
Besatzungsoffiziere nach Hause, und die US-Militärverwaltung war angesichts der<br />
hohen Kosten für die Besatzungstruppen sehr daran <strong>in</strong>teressiert, den<br />
Kontrollapparat eher zu verkle<strong>in</strong>ern, statt ihn wieder zu vergrößern.<br />
E<strong>in</strong>e Organisationsverfügung vom 10. November 1947 43 läßt schließlich erkennen,<br />
daß jetzt nur noch drei <strong>Rundfunk</strong>offiziere <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> Dienst taten: Taylor<br />
beaufsichtigte die am 14. September 1946 eröffnete Sendestelle Heidelberg, den<br />
technischen Bereich <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> und den Sender Mühlacker. "Kip" Chevalier war<br />
der Ansprechpartner für den deutschen Sendeleiter Dr. Peter Kehm und damit für<br />
alle Programmfragen zuständig. Mr. Barjansky stand den drei Abteilungsleitern<br />
im Verwaltungsbereich, Matthias Eisenhofer (F<strong>in</strong>anzen), Fritz Reifelsberger<br />
(Personal) und Rolf Enderl<strong>in</strong>g (Allgeme<strong>in</strong>e Verwaltung) vor. Neben den generellen<br />
Überwachungsaufgaben war nach wie vor die Vorzensur des Wortprogramms<br />
durchzuführen, die nach den Stellenbeschreibungen etwa 80 Prozent der<br />
Arbeitszeit der Offiziere <strong>in</strong> Anspruch nahm. Bei diesen drei, mit Miss Margarete<br />
Sweeder möglicherweise vier Kontrolloffizieren sollte es bis zur Übergabe von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> deutsche Hände bleiben, obwohl fünf Stellen vorgesehen<br />
waren 44 .<br />
42 OMGUS/WI3 – ICD/ISD, o. D. (Juli/August 1946),12/85 - 2/6 und 29. 3. 1947, 12/97- 2/3. Siehe<br />
auch das Rundschreiben Nr. 2 vom 20. 6. 1947, das im Verteiler Taylor, Hannon, Shaffer und<br />
Chevalier aufführt, <strong>in</strong>: SDR/HA, Verwaltungsdirektion (St. Nr. 40/9745). Zum folgenden vgl. die<br />
<strong>in</strong> OMGUS/WB – ICD/ISD, 12/85- 2/6 und 12/97 – 2/3 gesammelten Dokumente zu<br />
Arbeitsüberlastung, Überstundenfragen usw.<br />
43 SDR/Historisches Archiv (= HA), Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2353; das<br />
Rundschreiben Nr. 8 vom 8. 9. 1947 an die deutschen Mitarbeiter bestätigt diesen Personalstand<br />
bei den amerikanischen Kontrolloffizieren, <strong>in</strong>: SDR/HA, Verwaltungdirektion (St. Nr. 40/9745).<br />
44 OMGUS/WB – ICD/ISD, 6. 12. 1948, 12/85- 2/9.<br />
45
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Anfang Oktober 1947 versuchte Taylor auf e<strong>in</strong>e etwas durchsichtige Weise, e<strong>in</strong>e<br />
Personalaufstockung zu erreichen. Er verwies darauf, daß auf die<br />
<strong>Rundfunk</strong>propaganda des Ostens e<strong>in</strong>e schlagkräftigere Reaktion notwendig sei:<br />
"Mit der Verstärkung des Kalten Krieges wird jeden Tag die Wichtigkeit des<br />
gesprochenen Wortes im Kampf um das deutsche Bewußtse<strong>in</strong> immer deutlicher."<br />
Doch der Appell, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Zusammenhang die Umorientierung der<br />
amerikanischen Besatzungs- und damit Medienpolitik widerspiegelt, blieb ebenso<br />
ohne Erfolg wie spätere Bitten um Personalaufstockung 45 .<br />
Wie die allgeme<strong>in</strong>en Ziele der Radiokontrolle durch die <strong>Rundfunk</strong>offiziere vor Ort<br />
umgesetzt wurden, ist im e<strong>in</strong>zelnen nicht leicht zu belegen. Es liegen von den<br />
Amerikanern nur wenige programmatische Aussagen vor, die die <strong>in</strong>dividuelle<br />
Auslegung und Ausführung der allgeme<strong>in</strong> gehaltenen Vorschriften näher<br />
charakterisieren. Auch Mitteilungen und Anweisungen an die deutschen<br />
Mitarbeiter erfolgten wohl im wesentlichen mündlich; schriftliche Belege haben<br />
sich kaum erhalten, so daß wir hier weitgehend auf die Er<strong>in</strong>nerungen der<br />
Zeitgenossen angewiesen s<strong>in</strong>d.<br />
Gelegentlich haben sich aber die <strong>Rundfunk</strong>offiziere <strong>in</strong> Publikationsorganen über<br />
die Ziele ihrer Arbeit geäußert. So schrieb beispielsweise der zweite Chef von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong>, Capta<strong>in</strong> William Barbour, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag für die "<strong>Stuttgart</strong>er<br />
Zeitung" vom 31. Dezember 1945: "Zwei Programmpunkte liegen mir besonders<br />
am Herzen: education und understand<strong>in</strong>g. Education bedeutet bei uns alles, was<br />
beiträgt zur menschlichen Höherentwicklung und <strong>in</strong>neren Weiterentfaltung.<br />
Education und understand<strong>in</strong>g umfaßt alles, was e<strong>in</strong> besseres und tieferes Wissen<br />
der Menschen untere<strong>in</strong>ander fördert mit dem Ziel, e<strong>in</strong>er kommenden Generation<br />
den Weg zu zeigen zu e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong>schaftsleben <strong>in</strong> Frieden und Gerechtigkeit,<br />
das abhängig ist von jedem e<strong>in</strong>zelnen, se<strong>in</strong>en Verantwortungsgefühl und se<strong>in</strong>er<br />
<strong>in</strong>neren Anständigkeit. Wir wissen wohl, daß sich solche Ziele nicht erzw<strong>in</strong>gen<br />
lassen, schon gar nicht mit den Hammerschlägen der Propaganda. Wir wollen<br />
45 OMGUS/WB – ICD/ISD, 8. 10. 1947, 12/85- 2/6.<br />
46
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auch niemanden zw<strong>in</strong>gen. Wir wollen aber im Glauben an das Gute im Menschen<br />
ihm raten und helfen, um zu e<strong>in</strong>em solchen für e<strong>in</strong>e bessere Zukunft aller<br />
Nationen notwendigen Ziel zu kommen (...).<br />
Das Radio ist im Augenblick unter den schwierigen <strong>in</strong>nerdeutschen Verhältnissen<br />
e<strong>in</strong>e der wenigen Gelegenheiten, die Fenster zur Welt zu öffnen und frischen und<br />
heilsamen W<strong>in</strong>d neuer geistiger Ideen here<strong>in</strong>zulassen. Und selbst hier haben wir<br />
bei unseren Plänen mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil auch uns<br />
nur <strong>in</strong> beschränktem Maß Materialgrundlagen zur Verfügung stehen. Viele und<br />
gerade die bedeutendsten Bücher der Weltliteratur, deren Ideengut dem<br />
Nationalsozialismus gefährlich schien, wurden verbrannt, und die für die Festung<br />
Deutschland unbekannt gebliebenen Werke aus den letzten zwölf Jahren s<strong>in</strong>d im<br />
Augenblick noch nicht verfügbar. Die gleichen Schwierigkeiten ergeben sich bei<br />
der musikalischen Programmgestaltung. Auch hier wollen wir den Hörer bekannt<br />
machen mit der Weiterentwicklung, die sich <strong>in</strong> anderen Ländern und Kont<strong>in</strong>enten<br />
auf musikalischem Gebiet vollzogen hat. (...)<br />
Der wichtigste Gesichtspunkt ist hier für uns, unseren deutschen Mitarbeitern mit<br />
unseren Erfahrungen beratend zur Seite zu stehen. Mit Erfahrungen, die wir <strong>in</strong> all<br />
den Jahren e<strong>in</strong>er freien, der Kritik der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung ständig ausgesetzten<br />
weltoffenen Radioarbeit gesammelt haben. Auch hier liegt es uns fern, mit<br />
Propaganda und Zwang zu arbeiten. Wir schlagen vor, regen an und überlassen<br />
es dann unseren deutschen Mitarbeitern selbst, über die Qualität unserer<br />
Arbeitsmethode, die auf dem demokratischen Pr<strong>in</strong>zip des freien Wettbewerbs<br />
beruht, zu entscheiden" 46 .<br />
Betonte William Barbour hier das Ziel, nach der Blickverengung durch die<br />
nationalsozialistische Propaganda und durch Kommunikationskontrolle den<br />
geistigen Horizont der Deutschen wieder zu erweitern, so hob der amerikanische<br />
Programmchef Stuart L. Hannon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit der Programmzeitschrift<br />
"Radiospiegel" die kritische Aufgabe der Programmarbeit hervor:<br />
46 <strong>Stuttgart</strong>er Zeitung vom 31. 12. 1945.<br />
47
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"Der Arbeit e<strong>in</strong>es jeden amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>mannes wird <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der<br />
Wunsch zugrunde liegen, im deutschen Radio das Pr<strong>in</strong>zip der Redefreiheit<br />
wirksam werden zu lassen. Weiterh<strong>in</strong> wird er bestrebt se<strong>in</strong>, das Radio als<br />
Eigentum der Allgeme<strong>in</strong>heit zum Wohl dieser Allgeme<strong>in</strong>heit aufzubauen. Die<br />
Verwaltung darf nicht durch irgende<strong>in</strong>e Agentur, durch irgende<strong>in</strong>e wirtschaftliche<br />
Clique erfolgen, die bereit ist, das Ganze e<strong>in</strong>er staatlichen Kontrolle zu<br />
überantworten. Ich nehme an, die Deutschen s<strong>in</strong>d sich <strong>in</strong>zwischen klar darüber,<br />
<strong>in</strong> welchem Maß Verbrechen von e<strong>in</strong>em staatlich gelenkten <strong>Rundfunk</strong>system<br />
sowohl <strong>in</strong>spiriert als auch sanktioniert werden können. In den Vere<strong>in</strong>igten<br />
Staaten existieren heute ungefähr 1000 <strong>Rundfunk</strong>stationen, die alle <strong>in</strong> privaten<br />
Händen s<strong>in</strong>d. Sie haben vollkommene Freiheit an der Verwaltung ihrer Stadt, an<br />
der Regierung ihres Staates und der Nation Kritik zu üben. Es steht ihnen frei, auf<br />
jeden Mißbrauch des öffentlichen Vertrauens h<strong>in</strong>zuweisen, irgendwelche<br />
Unregelmäßigkeiten oder kle<strong>in</strong>liche Schikanen zu brandmarken, kurzum, die<br />
Aufmerksamkeit auf jeden Mißstand zu lenken, wie er leicht <strong>in</strong>nerhalb der<br />
komplizierten Strukturen unserer modernen Gesellschaft auftreten kann" 47 .<br />
Die Er<strong>in</strong>nerungen der damaligen deutschen Mitarbeiter lassen zum<strong>in</strong>dest für die<br />
erste Zeit auf e<strong>in</strong>en recht distanzierten Umgang der Besatzer mit den Deutschen<br />
schließen, auf e<strong>in</strong> Verhältnis, das weitgehend von Befehl und Gehorsam geprägt<br />
war. Man darf sicher nicht die Zustände im Hamburger Funkhaus idealisieren, von<br />
dort wird von e<strong>in</strong>er frühen kooperativen Zusammenarbeit zwischen englischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offizieren und deutschen Mitarbeitern berichtet. Zweifellos war das<br />
Klima <strong>in</strong> den Funkhäusern der amerikanischen Zone noch längere Zeit frostiger<br />
und zurückhaltender als <strong>in</strong> Hamburg 48 .<br />
Negativ wurde die Überwachung durch die Amerikaner natürlich vor allem bei der<br />
Vorzensur aller Manuskripte wirksam. E<strong>in</strong>e Verfügung bei Radio <strong>Stuttgart</strong> vom 20.<br />
Oktober 1945 forderte, alle Manuskripte seien vom "Chief of radio section"<br />
abzuzeichnen, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abwesenheit aber sei das e<strong>in</strong>stimmige Votum der<br />
wichtigsten Offiziere erforderlich. Am 12. Dezember 1945 gab "Kip" Chevalier die<br />
Anweisung, alle Manuskripte hätten am Abend des Tages vor der Sendung<br />
vorzuliegen 49 . Auch Musiklaufpläne wurden vom zuständigen Offizier daraufh<strong>in</strong><br />
überprüft, daß sie ke<strong>in</strong>e Marschmusik oder andere dem Geist der Umerziehung<br />
47 "Radio- Spiegel", Nr. 9/1946, S. 4 f.<br />
48 Zum Verhältnis von Briten und Deutschen im NWDR s. Michael Tracey, Das unerreichbare<br />
Vorbild. E<strong>in</strong> Versuch über Hugh Greene und die Neugründung des <strong>Rundfunk</strong>s <strong>in</strong><br />
Westdeutschland nach 1945 (= Annalen des Westdeutschen <strong>Rundfunk</strong>s, Bd. 5), Köln 1982;<br />
Wolfgang Jacobmeyer, Politischer Kommentar und <strong>Rundfunk</strong>politik. Zur Geschichte des<br />
Nordwestdeutschen <strong>Rundfunk</strong>s 1945- 1951, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 21, 1973,<br />
S.358- 387.<br />
48
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entgegenstehende Titel enthielten. Schließlich wurde auch der Produktionsablauf<br />
überwacht, um zu verh<strong>in</strong>dern, daß durch Eigenmächtigkeiten der Sprecher<br />
unerwünschte Aussagen über den Sender g<strong>in</strong>gen. Dieses lückenlose<br />
Überwachungssystem existierte allerd<strong>in</strong>gs nicht bis zum Ende der<br />
amerikanischen Aufsicht über Radio <strong>Stuttgart</strong>. Spätestens seit der Bestellung<br />
e<strong>in</strong>es deutschen Intendanten und e<strong>in</strong>es deutschen Programmverantwortlichen,<br />
des Sendeleiters, im Juni 1947 lockerte sich die Kontrolle und konzentrierte sich<br />
auf Programme, die den Amerikanern besonders wichtig erschienen, wie die<br />
politische Berichterstattung und den Schulfunk.<br />
Inwieweit ganze Sendungen dem Rotstift der Kontrolloffiziere zum Opfer fielen,<br />
kann für Radio <strong>Stuttgart</strong> bisher nur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen belegt werden: Hans- Ulrich<br />
Reichert, damals Leiter des Zeitfunks, scheiterte bei Chevalier im Februar 1947<br />
mit der Glosse "Otto Normalverbraucher" über die 100. Zuteilungsperiode von<br />
Lebensmitteln auf Marken, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>ige kritische Anmerkungen zum Grad der<br />
Versorgung gemacht wurden. Nach e<strong>in</strong>er lautstarken Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />
dem Kontrolloffizier und dem Beharren auf diesem Beitrag verließ Reichert die<br />
Station.<br />
Zahlreich s<strong>in</strong>d die Manuskripte, <strong>in</strong> denen sich immer wieder Streichungen der<br />
Zensuroffiziere f<strong>in</strong>den, wobei die hier vorgestellte Auswahl eher zufälligen<br />
Charakter hat 50 . Sie betrafen z.B. 1945 im "Echo des Tages" Sätze, die e<strong>in</strong>en<br />
Mangel an Aufbruchstimmung verbreiten konnten wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht über die<br />
Polizeifachschule (18. September) oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kurzvortrag über "Preisaufsicht" :<br />
"Es würde uns allen der Schwung und die Arbeitskraft genommen werden, wenn<br />
wir die Überzeugung erlangen müßten, daß unsere Arbeit, die wir ja letzten<br />
Endes nur für Sie leisten, von Ihnen nicht verstanden würde..." (20. Oktober). In<br />
e<strong>in</strong>er Rede des Wirtschaftsm<strong>in</strong>isters von Württemberg- Baden, Josef Andre, s<strong>in</strong>d<br />
49 Notiz vom 20.10.1945 und Anweisung vom 12.12.1945, SDR/HA, Historische Dokumentation<br />
1945- 1986, Nr. 2353.<br />
50 Alle Nachweise unter dem angegebenen Datum <strong>in</strong> SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk. Die<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung Reichert- Chevalier lt. mündlicher Mitteilung von Hans- Ulrich- Reichert im<br />
Gespräch am 9. 8. 1989.<br />
49
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Worte bzw. Halbsätze gestrichen wie "Vaterlandsliebe" oder "die Wiedererrichtung<br />
e<strong>in</strong>es neuen Reichs". Sie s<strong>in</strong>d ersetzt durch "neue Regierung". Worte wie<br />
"Reichsgedanken" und "Reichsgebiet" s<strong>in</strong>d durch unverfänglichere<br />
Formulierungen ersetzt (9. Oktober).<br />
In e<strong>in</strong>er Rede von Andre ist e<strong>in</strong> ganzer Absatz entfallen: "Gegner ist das<br />
Slawentum mit se<strong>in</strong>em Materialismus als Gott, wo der E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong> der Masse<br />
ertränkt, alles verne<strong>in</strong>t wird (...) Die Gefahren, die unser Volk bedrohen, s<strong>in</strong>d so<br />
groß, daß wir unsere Notrufe an die ganze Welt richten müssen" (29. Juni 1946).<br />
Diese Streichung entsprach dem Verbot, Kritik an den Kriegsalliierten zu üben.<br />
Deswegen fiel wohl auch e<strong>in</strong> Satz im Wochenkommentar vom 6. Juli 1946 weg, <strong>in</strong><br />
dem kurz auf kritische Berichte von Berl<strong>in</strong>er Zeitungen über<br />
Enteignungsmaßnahmen gegen Kriegsverbrecher <strong>in</strong> der Sowjetzone e<strong>in</strong>gegangen<br />
wurde. Interessant ist auch die Tilgung des Schlußsatzes e<strong>in</strong>es Vortrags über das<br />
württembergische Sparkassenwesen: "Aus der Ges<strong>in</strong>nung heraus schafft der<br />
Mensch se<strong>in</strong>e Werke: So erwächst die Sparkasse aus der Wirtschaftsges<strong>in</strong>nung<br />
des Sozialismus" (5. Juli 1946). Aus e<strong>in</strong>em Gespräch zwischen zwei<br />
Sozialdemokraten <strong>in</strong> der Sendung "Parteien sprechen" über "Die Sozialdemokratie<br />
und der Nürnberger Prozeß" wurde e<strong>in</strong>e längere Passage entfernt, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong><br />
Gesprächspartner im Zusammenhang mit den Urteilen im Kriegsverbrecherprozeß<br />
grundsätzlich die Todesstrafe ablehnte.<br />
Insgesamt sche<strong>in</strong>en sich die E<strong>in</strong>griffe der amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>offiziere <strong>in</strong><br />
der Mehrzahl auf e<strong>in</strong>zelne Formulierungen, die Wahl e<strong>in</strong>zelner Begriffe bezogen<br />
zu haben. So wird von e<strong>in</strong>em Streit mit "Kip" Chevalier berichtet, der <strong>in</strong> den<br />
Meldungen des Radios den Begriff "Lokomotivführer" vermieden wissen wollte. Er<br />
mußte sich aber belehren lassen, daß e<strong>in</strong> "Lokomotiv<strong>in</strong>genieur" nun e<strong>in</strong>mal nicht<br />
dasselbe sei. Auch die kritische Nachfrage, warum der Sprecher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ansage<br />
nach e<strong>in</strong>em französischen Volkslied e<strong>in</strong> deutsches angekündigt hatte, belegt, wie<br />
kle<strong>in</strong>lich gelegentlich von den Zensuroffizieren vorgegangen wurde.<br />
50
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Mit der Änderung der politischen Großwetterlage wandelten sich auch die Opfer<br />
der Zensure<strong>in</strong>griffe: Angesichts der sich verstärkenden antikommunistischen<br />
E<strong>in</strong>stellung der Amerikaner hatten nun die deutschen Kommunisten<br />
Schwierigkeiten, sich frei über den Sender auszudrücken. So strich Chevalier dem<br />
kommunistischen Landtagsabgeordneten Albert Buchmann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Jahresrückblick 1947, gesendet am 2. Januar 1948, e<strong>in</strong>e Passage wie diese: "Die<br />
kapitalistische Ordnung hat Bankrott gemacht. Niemals <strong>in</strong> der Geschichte wurde<br />
das deutlicher als nach diesem Zweiten Weltkrieg. Auch die bizonale<br />
Wirtschaftspolitik hat schmählich versagt: ihre Wegbereiter selbst müssen heute<br />
unterstreichen, was die Kommunisten vor e<strong>in</strong>em Jahr vorausgesagt haben."<br />
Zugleich mußten Sätze mit Kritik an der Politik der Westmächte entfallen<br />
h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>er Weststaatsgründung sowie Sympathiebekundungen gegenüber<br />
der Sowjetunion. Auch dem kommunistischen Arbeitsm<strong>in</strong>ister von Württemberg-<br />
Baden, Rudolf Kohl, wurde <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede zum 1. Mai 1948 manches kritische<br />
Wort über den Kapitalismus und se<strong>in</strong>e Belege für Anzeichen e<strong>in</strong>er neuen<br />
"Kriegstreiberei" gestrichen, aber auch e<strong>in</strong>e Bemerkung wie diese: "Wir wollen<br />
ke<strong>in</strong> Anhängsel e<strong>in</strong>es Ostblocks und auch ke<strong>in</strong> Anhängsel e<strong>in</strong>es Westblocks se<strong>in</strong>".<br />
Die aufgeführten Beispiele belegen anschaulich, wie exakt gelegentlich die<br />
Anweisungen der Informationskontrolle umgesetzt wurden, daß sie aber auch der<br />
Zielsetzung e<strong>in</strong>es freien und unabhängigen Radios widersprachen. Die meist sehr<br />
jungen, mit Geschichte und Kultur des besetzten Landes nicht immer ausreichend<br />
vertrauten amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>offiziere haben nach allem, was zu erfahren<br />
ist – die Problematik gerade dieser kle<strong>in</strong>lichen Zensure<strong>in</strong>griffe nicht empfunden<br />
und wenig Sensibilität dafür entwickelt, daß mit Wortklaubereien wahrhaftig nicht<br />
e<strong>in</strong> ganzes Volk <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Denken und Fühlen verändert werden konnte. Sie<br />
haben gelegentlich auch ihre Macht ausgekostet, ohne daß dies allerd<strong>in</strong>gs als die<br />
grundsätzliche Haltung der Amerikaner im Umgang mit den Deutschen<br />
bezeichnet werden kann.<br />
51
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Im übrigen hatten die Amerikaner – wie schon <strong>in</strong> dem Zeitungsbeitrag von<br />
Capta<strong>in</strong> Barbour anklang – auch Vorstellungen darüber, wie durch das Radio den<br />
Deutschen die Ideen von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde näher<br />
gebracht werden könnten. Der allmähliche Wiederaufbau e<strong>in</strong>es vollständigen<br />
Programms und die Beschäftigung meist junger, wenig rundfunkerfahrener, aber<br />
politisch unbelasteter deutscher Mitarbeiter schufen die Möglichkeit, dieses<br />
Vorhaben ohne allzu große Widerstände zu realisieren.<br />
E<strong>in</strong>fache Aufnahmee<strong>in</strong>richtung, genannt "Tonbox", <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der provisorischen<br />
"Aufnahmestudios", hier vermutlich <strong>in</strong> der "Alten Krone" <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>-<br />
Untertürkheim.<br />
First of all: Reeducation – Umerziehung<br />
Nach den Improvisationen der ersten Monate wurde bis weit <strong>in</strong> das Jahr 1946<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> das Programmangebot von Radio <strong>Stuttgart</strong> strukturell wie <strong>in</strong>haltlich stark<br />
von den amerikanischen Kontrolloffizieren geprägt. Wie sie sich allerd<strong>in</strong>gs im<br />
e<strong>in</strong>zelnen Geltung verschafften, wie Planung und Durchführung mit den<br />
deutschen Mitarbeitern abgestimmt, möglicherweise h<strong>in</strong> und wieder auch gegen<br />
52
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deren Willen durchgesetzt wurden, darüber liegen kaum konkrete H<strong>in</strong>weise vor 51 .<br />
Es steht zu vermuten, daß aber zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Teil der Detailplanungen für die<br />
jeweils folgende Woche, aber auch grundsätzlichere Überlegungen zur Struktur<br />
des Programms und die E<strong>in</strong>führung neuer Sendungen im "Staff- Meet<strong>in</strong>g", d.h. <strong>in</strong><br />
der Versammlung der Kontrolloffiziere, an der auch e<strong>in</strong>ige deutsche Mitarbeiter<br />
teilnahmen, besprochen wurden. Allerd<strong>in</strong>gs schweigen sich die erhaltenen<br />
Protokolle dieser Zusammenkünfte gerade darüber weitgehend aus.<br />
Daß die Amerikaner bis <strong>in</strong>s e<strong>in</strong>zelne Sendungen und Programmfolge festlegten,<br />
erhellt beispielsweise die Kritik deutscher Programmberater am Osterprogramm<br />
1946. Diese fanden es im "Radiospiegel", der Programmzeitschrift für Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>, vor, ohne daß vorher darüber ausführlicher gesprochen worden wäre.<br />
Sie machten deshalb nachträglich darauf aufmerksam, daß die für diesen Tag<br />
vorgesehene Abfolge mit Tanzmusik, Schlagercocktail und Buntem Abend "völlig<br />
unmöglich" sei. Man gab zu bedenken, "daß bei e<strong>in</strong>er Durchführung des Radio-<br />
Programms wie bisher vorgesehen, die öffentliche Me<strong>in</strong>ung mit Recht darauf<br />
h<strong>in</strong>weisen könnte, daß nicht e<strong>in</strong>mal die Nationalsozialisten es gewagt haben, die<br />
alte Überlieferung stiller Tage (Karfreitag und Karsamstag) anzurühren.<br />
Darbietungen von Tanzmusik würden durchaus dem Ansehen der<br />
Besatzungsmacht schaden" 52 . E<strong>in</strong>iges deutet darauf h<strong>in</strong>, daß die Amerikaner diese<br />
Kritik ernst nahmen und auf Grund dieser H<strong>in</strong>weise das Programm änderten.<br />
Fremd kam deutschen Ohren nach den Jahren des von den Nationalsozialisten<br />
beherrschten <strong>Rundfunk</strong>s nicht nur der Inhalt vieler Beiträge vor. Die Akzeptanz<br />
des Programms hat damals wohl auch unter se<strong>in</strong>er äußeren Form gelitten, die<br />
nicht den deutschen Gewohnheiten entsprach. Am auffälligsten zeigt sich dies <strong>in</strong><br />
der Abfolge relativ kurzer Wort- und Musiksendungen, die meist nur e<strong>in</strong>e halbe,<br />
oft aber auch nur e<strong>in</strong>e Viertelstunde dauerten, so etwa am Sonntagnachmittag<br />
oder <strong>in</strong> der aktuellen "Wortleiste" am Abend der Werktage zwischen 18.00 und<br />
51 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 5. Dort e<strong>in</strong>e Kurzcharakteristik des Programms für 1945 bis 1947,<br />
"dessen Gestaltung und Planung ja ausschließlich <strong>in</strong> den Händen der U. S. Kontroll- Offiziere lag,<br />
und manche E<strong>in</strong>wirkung des amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>s zeigte (...)".<br />
52 Nachlaß Eberhard, IfZ – ED 117/ Bd. 57, 11. 4. 1946.<br />
53
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21.00 Uhr. Diese kle<strong>in</strong>teilige Programmzerstückelung war typisch amerikanisch<br />
und bisher <strong>in</strong> Deutschland nicht üblich.<br />
Ganz allgeme<strong>in</strong> waren die Sendungen <strong>in</strong> ihrem zeitlichen Ablauf bis <strong>in</strong>s Detail<br />
ausgetüftelt. Längere Sendepausen oder gar das Überziehen von Sendezeit<br />
wurden von den Amerikanern nicht geduldet bzw. streng geahndet. Auf die<br />
Absage der e<strong>in</strong>en Sendung hatte nach wenigen Sekunden das Zeitzeichen und die<br />
Ansage der nächsten Sendung zu folgen. Der amerikanische Programmchef Stuart<br />
L. Hannon verwies <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview des "Radiospiegel" im Frühjahr 1946 auf<br />
den "<strong>in</strong>teressanten Unterschied <strong>in</strong> der Wichtigkeit, die wir Amerikaner e<strong>in</strong>er<br />
präzis gestoppten Sendung beimessen. ( ... ) Bei dem präzisen Stoppen e<strong>in</strong>er<br />
Sendung handelt es sich nicht nur um e<strong>in</strong>e Frage der Diszipl<strong>in</strong> für den<br />
sachgemäßen Ablauf des Programms, sondern Fantasie und Initiative des Autors<br />
wie des Spielleiters werden dadurch angeregt" 53 . Die kurze Dauer der e<strong>in</strong>zelnen<br />
Sendungen wie auch das genaue E<strong>in</strong>halten der vorgegebenen Zeiten ist auf die<br />
Gewohnheiten im US-amerikanischen, privatwirtschaftlich organisierten Radio<br />
zurückzuführen, <strong>in</strong> dem kurze Sendeblöcke mit Werbee<strong>in</strong>blendungen verkauft<br />
wurden. Zudem war den Amerikanern sehr an e<strong>in</strong>er pünktlichen und nahtlosen<br />
E<strong>in</strong>passung der Kurzwellenübertragungen der "Stimme Amerikas" <strong>in</strong> das deutsche<br />
Programm gelegen.<br />
Das bereits erwähnte "Echo des Tages" bildete im übrigen die Keimzelle der<br />
Eigenproduktionen im Bereich der Wortprogramme von Radio <strong>Stuttgart</strong>. Zu den<br />
Meldungen und Nachrichten für <strong>Stuttgart</strong> und Umgebung traten 1945 allmählich<br />
immer häufiger kle<strong>in</strong>e Berichte, die sich mit vielen Aspekten des schwierigen<br />
Alltaglebens unmittelbar nach dem Krieg befaßten: Probleme der Preisaufsicht,<br />
Wiedereröffnung der Schulen und die Wiederaufnahme des Post- und<br />
Zahlungsverkehrs oder e<strong>in</strong> Gespräch mit dem Vertreter des Fußballverbandes<br />
usw. Interviews außerhalb des Funkhauses nicht so gesendet werden, wie sie<br />
geführt wurden, d.h. als Aufzeichnung bzw. dessen Zusammenschnitt, d.h. es<br />
53 "Radio- Spiegel", Nr. 9/1946, S. 4.<br />
54
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ke<strong>in</strong>e Übertragungsmöglichkeiten, geschweige denn tragbare kle<strong>in</strong>e<br />
Tonbandgeräte gab. Bei den Gesprächen der Mitarbeiter von Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
wurden diese schriftlich festgehalten bzw. neu formuliert, von den<br />
Kontrolloffizieren genehmigt und dann von Sprechern präsentiert. Im<br />
"Orig<strong>in</strong>alton" zu hören waren dagegen <strong>in</strong> zahlreichen Ansprachen die Offiziere<br />
der amerikanischen Besatzungsarmee, z.B. der Chef der Militärregierung und der<br />
<strong>Stuttgart</strong>er Stadtkommandant, der <strong>Stuttgart</strong>er Oberbürgermeister Arnulf Klett und<br />
verschiedene Landespolitiker sowie Angehörige der neuen Regierung von<br />
Württemberg- Baden, die am 24. September 1945 vereidigt wurde.<br />
Auch erste kle<strong>in</strong>e Berichte über Kulturereignisse und über Vorträge brachte das<br />
"Echo des Tages" bis etwa zur Jahreswende 1945/1946 54 . Neben diesen Berichten<br />
Meldungen, Ansprachen und enthielt das "Echo des Tages" auch viele Beiträge,<br />
die der sogenannten "Umerziehung" des deutschen Volkes dienten. Da wäre die<br />
<strong>in</strong> unregelmäßigen Abständen gesendete Folge "Der Lehrer <strong>in</strong> der neuen<br />
Volksschule" zu nennen mit Vorträgen über veränderte Erziehungsvorstellungen<br />
<strong>in</strong> Schule und Elternhaus sowie der fast täglich ersche<strong>in</strong>ende Kurzvortrag: "Die<br />
öffentliche Me<strong>in</strong>ung spricht". Diese Beiträge wurden so präsentiert, als ob sie vom<br />
Mann auf der Straße verfaßt worden seien; sie wirkten <strong>in</strong>sgesamt jedoch wenig<br />
glaubhaft und wie bestellt. Die Reihe be<strong>in</strong>haltete Selbstanklagen, Darstellungen<br />
der Folgen von eigenem oder fremdem schuldhaften Verhalten im Dritten Reich,<br />
aber auch Aufforderungen zur Gewissenserforschung, Begeisterung für den<br />
bevorstehenden Wiederaufbau und Passagen voller Zukunftsgläubigkeit. Es s<strong>in</strong>d<br />
alles <strong>in</strong> allem den heutigen Leser eher befremdende Texte wie beispielsweise der<br />
folgende: "Als vor e<strong>in</strong>igen Tagen Radio <strong>Stuttgart</strong> dazu überg<strong>in</strong>g, se<strong>in</strong>en Hörern<br />
das Wort zu erteilen, hat sich am klarsten der Unterschied gezeigt, der zwischen<br />
Auffassungen von gestern und heute besteht. Wobei ich zu den gestrigen<br />
Auffassungen nicht nur diejenigen rechne, die unter dem Naziregime zur<br />
54 SDR/HA Programmnachweise Hörfunk 1945. E<strong>in</strong>e ausführlichere Beschreibung mit allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht immer exakter Analyse der H<strong>in</strong>tergründe und Zusammenhänge bei Herwig John, Der<br />
<strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> Südwestdeutschland <strong>in</strong> der Zeit vor und nach dem Zusammenbruch des Jahres<br />
1945, <strong>in</strong>: Kriegsende 1945 und demokratischer Neubeg<strong>in</strong>n am Oberrhe<strong>in</strong> (= Oberrhe<strong>in</strong>ische<br />
Studien, hrsg. von Hansmart<strong>in</strong> Schwarzmaier, Bd. 5) Karlsruhe 1980, S. 153- 178, S. 162 ff.<br />
55
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allesverderbenden Anwendung kamen. Schon unter der dah<strong>in</strong>gegangen Republik<br />
Weimarer Prägung bestand die Demokratie <strong>in</strong> <strong>Rundfunk</strong>d<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> der Hauptsache<br />
aus dem Rotstift des Zensors. Ängstlich hat man sich gehütet, auch nur e<strong>in</strong> Wort<br />
über den Äther zu lassen, daß den maßgebenden Kräften nicht <strong>in</strong> den Kram<br />
paßte. ( ... ) Wie für vieles andere, so muß der positiv e<strong>in</strong>gestellte Teil des<br />
deutschen Volkes der Militärregierung se<strong>in</strong>en Dank aussprechen für diese<br />
praktische Demonstration dessen, was Demokratie wirklich ist" 55 .<br />
Neben diese ersten und sehr plakativen Versuche der "Umerziehung" traten mit<br />
Beg<strong>in</strong>n des Nürnberger Kriegsverbrecher- Prozesses im November 1945 die<br />
täglichen Übertragungen aus Nürnberg. Es muß offen bleiben, <strong>in</strong>wieweit diese<br />
Berichte bei der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Nationalsozialismus eher<br />
Widerstand und Ablehnung als Aufklärung und Zustimmung bewirkt haben. Die<br />
Schilderungen des Prozeßverlaufs waren vielfach ohne das notwendige<br />
E<strong>in</strong>fühlungsvermögen <strong>in</strong> das Empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es besiegten Volkes gestaltet, das im<br />
wesentlichen mit der Bewältigung se<strong>in</strong>es schwierigen Alltags beschäftigt war.<br />
E<strong>in</strong>er der deutschen Programmberater kritisierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Memorandum vom 8.<br />
Oktober 1945 die Machart des "Echo des Tages". Es werde zu viel offensichtliche<br />
Propaganda gemacht und auch die ausgewählten Bekanntmachungen<br />
<strong>in</strong>teressierten immer nur e<strong>in</strong>en bestimmten Personenkreis. Dadurch gehe viel Zeit<br />
für wirklich wichtige Mitteilungen und Ansprachen verloren. Er forderte die<br />
Amerikaner zu e<strong>in</strong>er Gestaltung der Sendung auf, die sich bei den Nachrichten<br />
und bei der politischen Kommentierung an deutschen Gewohnheiten orientiere 56 .<br />
Im ersten Halbjahr 1946 blieb das "Echo des Tages" die aktuelle Wortsendung, <strong>in</strong><br />
der Kommentare, politische Berichte, aktuelle, auch nicht- politische<br />
Informationen aus Stadt und Land, Ansprachen von Militärs und Politikern ihren<br />
Platz hatten. Die Gestaltung der Sendereihe litt allerd<strong>in</strong>gs darunter, daß erst Ende<br />
1945 e<strong>in</strong> behelfsmäßiger Übertragungswagen, e<strong>in</strong> umgebautes Taxi, das<br />
abhängig war von der Stromversorgung durch das öffentliche Netz, zur<br />
55 Programmnachweise Hörfunk vom 7. 8. 1945.<br />
56 Nachlaß Eberhard, 12 – ED 117/ Bd. 89 sowie Programmvorschläge vom 23. 10. 1945, ebd. Bd.<br />
57.<br />
56
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Verfügung stand, daß also aktuelle Reportagen nach wie vor kaum möglich<br />
waren. Dies bedeutete, daß das "Echo des Tages" sich weitgehend, wenn auch<br />
nicht ausschließlich, auf <strong>Stuttgart</strong> beschränken mußte, wenn Gesprächspartner im<br />
Orig<strong>in</strong>alton über den Sender gehen sollten, denn sie konnten ja zur Aufnahme <strong>in</strong>s<br />
Funkhaus kommen. Interviews mit Personen aus dem weiteren Umland oder gar<br />
aus Nordbaden, für dessen <strong>Rundfunk</strong>versorgung Radio <strong>Stuttgart</strong> ja auch<br />
zuständig war, mußten weiterh<strong>in</strong> von Sprechern verlesen werden 57 .<br />
Im ersten Halbjahr 1946 machte sich <strong>in</strong> zahlreichen Sondersendungen e<strong>in</strong><br />
bestimmender amerikanischer E<strong>in</strong>fluß bemerkbar. Sie hatten e<strong>in</strong>erseits spezifisch<br />
amerikanische Gedenktage zum Gegenstand wie George Wash<strong>in</strong>gtons Geburtstag<br />
am 22. Februar, den ersten Todestag des amerikanischen Präsidenten Theodore<br />
Roosevelt am 12. April, den "Panamerika- Tag" zwei Tage später. Es gab e<strong>in</strong>e<br />
Sendung über die Geschichte der amerikanische Flagge (16. Juni), zum Jahrestag<br />
der amerikanischen Unabhängigkeit (4. Juli), zum Jahrestag der amerikanischen<br />
Verfassung (11. Juli). Andererseits er<strong>in</strong>nerten solche Sondersendungen an<br />
besondere Ereignisse des Zweiten Weltkrieges wie die Gedenkstunde "Vor e<strong>in</strong>em<br />
Jahr" (8. Mai, Kapitulation), "Heute vor zwei Jahren" (Beg<strong>in</strong>n der alliierten Invasion<br />
<strong>in</strong> der Normandie, 6. Juni), drei Sendungen zum ersten Jahrestag der Kapitulation<br />
Japans (13., 14. und 15. August) sowie e<strong>in</strong>e Gedenksendung für die Opfer der<br />
Zweiten Weltkrieges (l. September), um die wichtigsten zu nennen. Es fällt auf,<br />
daß unter stärkerer deutscher Programmverantwortung <strong>in</strong> den kommenden<br />
Jahren dieser Gedenktage nicht mehr so häufig und ausführlich gedacht wurde 58 .<br />
Mehreren Vermerken und Aufzeichnungen der amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offiziere 59 ist zu entnehmen, daß die im Folgenden näher skizzierten<br />
Sendereihen ganz bewußt e<strong>in</strong>en Beitrag zur Umerziehung des deutschen Volkes<br />
leisten sollten. Andere Sendungen und Sendereihen s<strong>in</strong>d nach Titel und Inhalt<br />
57 Programmkritik v. Bruch 16. 4. 1946, Nachlaß Eberhard, IfZ- ED 1 17/Bd. 57.<br />
58 Manuskripte der erwähnten Sendungen <strong>in</strong> SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk unter dem<br />
jeweils angegebenen Datum.<br />
59 OMGUS/WB – ICD/ISD, 2. 4. 1946, 12/85- 2/6; Memorandum v. Bruch, 16. 4. 1946, Nachlaß<br />
Eberhard, IfZ – ED 117/Bd. 57; auch "Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 5 f.<br />
57
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unverfänglicher, sie können aber nach Aussagen der Amerikaner gleichfalls<br />
diesem Programmtypus zugerechnet werden 60 .<br />
"Menschen, von denen man spricht", hieß e<strong>in</strong>e Reihe mit Kurzbiographien von<br />
Dezember 1945 bis Ende November 1946. Die viertelstündigen Sendungen<br />
stellten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Politik, Wirtschaft und<br />
Kultur vor allem des Auslandes vor. Es gab auch e<strong>in</strong>ige Sendungen über Personen<br />
aus der deutschen Geschichte bzw. der deutschen Gegenwart, die als mögliche<br />
Vorbilder für e<strong>in</strong>en politischen wie moralischen Wiederaufbau <strong>in</strong> Deutschland<br />
gelten konnten: Friedrich List, Karl Jaspers, Landesbischof Theophil Wurm sowie<br />
die im Dezember 1946 neu ernannten deutschen Kard<strong>in</strong>äle Josef Fr<strong>in</strong>gs, Clemens<br />
Graf von Galen und Conrad Graf von Preys<strong>in</strong>g. Auch Albert Schweitzer wie der<br />
CDU- Politiker Jakob Kaiser wurden porträtiert 61 .<br />
"Blick <strong>in</strong> die Welt" zählte bei den Amerikanern gleichfalls zu den "programs of an<br />
<strong>in</strong>ternational nature", e<strong>in</strong>e Sendereihe, die erst 1949 aus dem Programm<br />
genommen wurde. Sie sollte die deutschen Hörer mit den Entwicklungen auf den<br />
Gebieten von Literatur, bildender Kunst, Musik und Theater sowohl <strong>in</strong>nerhalb wie<br />
außerhalb Deutschlands bekannt machen. Berichtet wurde aber auch – und nicht<br />
immer völlig abseits der aktuellen Tagespolitik über Vorgänge und Tendenzen <strong>in</strong><br />
den Ländern Europas und anderer Erdteile, etwa über die <strong>in</strong>nenpolitische<br />
Situation <strong>in</strong> Frankreich, die Moskauer Außenm<strong>in</strong>isterkonferenz im Oktober 1947,<br />
die Ause<strong>in</strong>andersetzungen um Triest oder die Grundzüge der amerikanischen<br />
Außenpolitik.<br />
60 Sendemanuskripte <strong>in</strong>: SDR/HA Programmnachweise Hörfunk.<br />
61 Manuskripte dieser Sendereihe auch <strong>in</strong>: SDR/HA St. Nr. 10/2963.<br />
58
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"Viele Völker, e<strong>in</strong>e Welt" war e<strong>in</strong>e Sendereihe, deren Titel schon für sich spricht.<br />
Sie begann im August 1946 und endete mit Veränderungen <strong>in</strong> der<br />
Programmstruktur, die Anfang 1947 vorgenommen wurden. Die Reihe <strong>in</strong>formierte<br />
<strong>in</strong> teilweise e<strong>in</strong>stündigen Sendungen über Länder der verschiedensten Kont<strong>in</strong>ente<br />
– so auch über Ch<strong>in</strong>a und Südamerika - , brachte aber auch Musiksendungen mit<br />
Folklore e<strong>in</strong>zelner Länder oder Ländergruppen.<br />
"Aus neuem Geist", von Dezember 1945 bis Ende Oktober 1946 im Programm,<br />
war der Versuch, die Hörer mit neuer Lyrik des In- und Auslandes vertraut zu<br />
machen. Erkennbar ist bei e<strong>in</strong>er Durchsicht der erhaltenen Manuskripte, daß <strong>in</strong><br />
der Tat deutsche Lyrik des 20. Jahrhunderts bis 1933 sowie auch fremdsprachige<br />
Lyrik aus den Dreißiger und Vierziger Jahren den bedeutendsten Platz e<strong>in</strong>nahm.<br />
"Aus neuem Geist" wurde mit dem ausdrücklichen H<strong>in</strong>weis, die Phase des<br />
Vertrautmachens mit neuerer Poesie sei beendet, ab 3. November 1946 <strong>in</strong> die<br />
"Morgengabe" auch "Bes<strong>in</strong>nlicher Morgen" genannt – umgewandelt. Diese<br />
Sendung enthielt erheblich weniger moderne Lyrik und griff stärker auf das<br />
literarische Erbe zurück. Verbunden waren die Lyrikvorträge nun mit klassischer<br />
Musik. E<strong>in</strong> vergleichbares Programmangebot hatte es auch schon im <strong>Rundfunk</strong><br />
des Dritten Reichs gegeben. Anzumerken bleibt, daß e<strong>in</strong>e direkte Traditionsl<strong>in</strong>ie<br />
von dieser Sendung zu den bis heute <strong>in</strong> SDR 2 sonntagvormittags ausgestrahlten<br />
"Stimmen der Meister" zu ziehen ist.<br />
"Fragen, die alle angehen" – im Programm bis 27. Oktober 1946 gehörte zu den<br />
von den Amerikanern e<strong>in</strong>geführten und stark favorisierten "round-<br />
table"- Gesprächen. Sie sollten verdeutlichen, daß zu verschiedenen Problemen<br />
unterschiedliche Me<strong>in</strong>ungen existieren, diese Ansichten im sachlichen Gespräch<br />
mite<strong>in</strong>ander ausgetauscht und im Dialog auch Lösungsvorschläge und<br />
Kompromisse gefunden werden können. Die <strong>Stuttgart</strong>er Journalist<strong>in</strong> Clara Menck<br />
schrieb erläuternd zu diesen Gesprächen: "Wichtig ist dabei nicht das Resultat<br />
sondern die Teilnahme des Hörers an der Entstehung e<strong>in</strong>es Gedankenganges, am<br />
Für und Wider, nicht das, was ihm vorgesetzt wird, sondern was er selber dazu<br />
59
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sagt und denkt"... 62 . Schon seit dem Dezember 1945 wurde diese Diskussion<br />
jeden Sonntagvormittag ausgestrahlt und am Mittwochabend im Rahmen des<br />
"Echo des Tages" wiederholt. Teilnehmer an diesen Runden waren vielfach<br />
Vertreter der jüngeren Generation aber auch prom<strong>in</strong>entere Persönlichkeiten wie<br />
Elly Heuß- Knapp, die Professoren Stadelmann und Herd<strong>in</strong>g aus Tüb<strong>in</strong>gen oder<br />
der Schriftsteller Albrecht Goes; oftmals auch Studenten, so der nachmalige<br />
Intendant des SDR Hans Bausch als aktives Mitglied der Tüb<strong>in</strong>ger<br />
Studentenvertretung oder der heute <strong>in</strong> Frankfurt lehrende Politologe Ir<strong>in</strong>g<br />
Fetscher.<br />
Die Themenstellung orientierte sich erstaunlicherweise eher an den Interessen<br />
und Lebensfragen der akademischen Jugend, was Programmberater Fritz<br />
Eberhard zu e<strong>in</strong>igen kritischen Anmerkungen veranlaßte 63 . Es handelte sich dabei<br />
vielfach um ethisch- moralische Fragen mit philosophischem H<strong>in</strong>tergrund oder<br />
um aktuelle Probleme an den Universitäten : "Was wir von der Universität<br />
erwarten" (6. März 1946),"Probleme der studentischen Auslese" (31. März), "Wer<br />
darf studieren?" (24. April), "Fühlen wir uns von der älteren Generation<br />
verstanden?" (14. April), "Was s<strong>in</strong>d für mich unveräußerliche Menschenrechte?"<br />
(19. Mai), "Ist Toleranz e<strong>in</strong>e Schwäche oder e<strong>in</strong>e Tugend?" (16. Juni). An dieser<br />
Sendereihe wurde auch bemängelt, ohne straffere Leitung gleite die Diskussion<br />
allzu oft <strong>in</strong>s Beliebige ab 64 . Fritz Eberhard teilte e<strong>in</strong>mal im Rahmen se<strong>in</strong>er<br />
Programmbeobachtungen mit: Wenn ihm gegenüber e<strong>in</strong>e Sendung wirklich scharf<br />
kritisiert werde, dann handele es sich meist um "Fragen, die alle angehen".<br />
Abgelöst wurde diese Reihe übrigens durch "Radio <strong>Stuttgart</strong>s Forum", e<strong>in</strong>e<br />
öffentliche Diskussion mit breiter Themenpalette. Darauf ist später noch<br />
e<strong>in</strong>zugehen.<br />
62 Clara Menck, Der neue deutsche <strong>Rundfunk</strong>. Radio <strong>Stuttgart</strong> geht eigene Wege, <strong>in</strong>: <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Rundschau, 4/1946, S. 10.<br />
63 Programmkritik am 1. 4. 1946 : "<strong>in</strong>nerhalb von fünf Wochen e<strong>in</strong> drittes Mal<br />
Universitätsprobleme, wo die Sendung sowieso zu akademisch empfunden wird", Nachlaß<br />
Eberhard, IfZ ED 117/Bd. 57.<br />
64 Sendenachweise mit Ansage, Angabe des Themas und Vorstellung der Teilnehmer (aber meist<br />
ohne e<strong>in</strong> der freien Diskussion nachgeschriebenes Manuskript) <strong>in</strong> SDR/HA, Programmnachweise<br />
Hörfunk. Siehe auch die Programmkritik von Dr. Fritz Eberhard vom 18. 3. 1946, wie Anm. 63.<br />
60
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"Parteien diskutieren", im Programm von Dezember 1945 bis Juni 1947, hieß e<strong>in</strong>e<br />
Diskussionsrunde mit Parteienvertretern, die jeden Freitagabend <strong>in</strong> der Zeit von<br />
19.00 bis 19.30 Uhr gesendet wurde. Beteiligt waren CDU, SPD, FDP/DVP und<br />
auch die KPD. Gegenstand der Diskussionen waren aktuelle politische<br />
Tagesfragen, vielfach vorgegeben durch Höreranfragen: Entnazifizierung,<br />
Kriegsgefangenenprobleme, Kriegsopfer, Wohnungsnot – mehrfach Thema der<br />
Aussprache - , Betriebsrätegesetz, das politische Interesse der Jugend, die Urteile<br />
im Nürnberger Prozeß, die Ergebnisse der verschiedenen demokratischen<br />
Kommunal- und Landtagswahlen und vieles andere mehr. In diesen Diskussionen<br />
wurden den Hörern die unterschiedlichen Me<strong>in</strong>ungen verschiedener politischer<br />
Gruppierungen vorgeführt, <strong>in</strong>dem Vertreter aller vier Parteien die Möglichkeit<br />
hatten, ihren Standpunkt zu bestimmten Fragen ausführlich darzulegen.<br />
Auch das Musikprogramm, und hier <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie das Angebot an sogenannter<br />
"ernster Musik", stand im ersten Jahr von Radio <strong>Stuttgart</strong> stark unter dem<br />
Anspruch der Umerziehung. Schon <strong>in</strong> der zweiten Nummer des "Radiospiegel"<br />
wurde der <strong>in</strong>ternationale Charakter der Musik hervorgehoben und gegen<br />
Exklusivansprüche e<strong>in</strong>zelner Nationen abgegrenzt: "Musik spricht zu allen: je<br />
erhabener sie ist, um so mehr gehört sie der ganzen Menschheit und nicht nur<br />
dem Volke, aus dem sie gekommen ist. ( ... ) E<strong>in</strong>e billige Weisheit ist, daß die<br />
Musik die Völker verb<strong>in</strong>det, daß sie sich verknüpft über den Erdball – aber e<strong>in</strong>e<br />
Weisheit, die immer wieder erlebt werden muß." Deshalb solle – so Stationschef<br />
Fred G. Taylor 1946 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rückblick – <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht die Musik als<br />
universale Sprache vermittelt werden. Es müsse selbstverständliche Praxis se<strong>in</strong>,<br />
daß das Werk e<strong>in</strong>es russischen Komponisten, dem das Libretto e<strong>in</strong>es<br />
französischen Autors zugrundeliege, von e<strong>in</strong>em deutschen Orchester und<br />
Dirigenten <strong>in</strong>terpretiert werde 65 .<br />
In dieser Phase der Programmarbeit von Radio <strong>Stuttgart</strong> ist e<strong>in</strong> auffallend starkes<br />
Engagement für moderne Musik feststellbar: Die wöchentlich ausgestrahlten<br />
e<strong>in</strong>stündigen Sendungen "Neue Wege <strong>in</strong> der Tonkunst" – montags 21.00 Uhr –<br />
65 "Radio- Spiegel", 2/1946, S. 2 und OMGUS/WB – ICD/ISD, 9. 7. 1946, 12/85- 1/49.<br />
61
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und im "Studiokonzert" – donnerstags zur gleichen Zeit – sollten Musik vorstellen,<br />
die <strong>in</strong> den dreißiger und <strong>in</strong> der ersten Hälfte der vierziger Jahre <strong>in</strong> Deutschland<br />
nicht gehört werden konnte, zwei Sendeplätze zu sehr guter Sendezeit mit vielen<br />
potentiellen Hörern; die Reihe "Studiokonzert" brachte Aufnahmen aus<br />
öffentlichen Veranstaltungen, für die <strong>in</strong> der Programmzeitschrift eifrig geworben<br />
wurde. Der Übereifer der <strong>Rundfunk</strong>offiziere schadete aber offenbar dem<br />
gutgeme<strong>in</strong>ten Anliegen. So me<strong>in</strong>te der über jeden Verdacht erhabene Fritz<br />
Eberhard: "E<strong>in</strong>e Stunde atonaler Musik sche<strong>in</strong>t mir zu viel. Wenn man Verständnis<br />
für neue Wege <strong>in</strong> der Tonkunst erziehen will, darf man erstens nicht bereits<br />
durch den Titel e<strong>in</strong>en weiten Kreis von Hörern abschrecken und darf zweitens<br />
nicht durch e<strong>in</strong> zu viel ermüden" 66 . Oder wie Clara Menck schrieb: "Naturgemäß<br />
kommt hier neben positivem Neuen auch Problematisches zum Vortrag, und<br />
ebenso natürlich steht der deutsche Hörer manchen Äußerungen moderner Musik<br />
verständnislos gegenüber " 67 . Bereits im Juni 1946 wurde das Angebot an<br />
moderner Musik auf die Hälfte der ursprünglichen Sendezeit verkürzt und auf<br />
den Freitagnachmittag verlegt.<br />
"Stimme der Freiheit <strong>in</strong> der Musik" war e<strong>in</strong>e Reihe, die nach etwa halbjährigem<br />
Bestehen im Juli 1946 wieder aus dem Programm genommen wurde. Sie brachte<br />
Ausschnitte aus Musikwerken wie die "Eroica" und die Oper "Fidelio" von<br />
Beethoven, die von den Zielen und Idealen der Französischen Revolution beflügelt<br />
waren, aber auch Liedgut aus den verschiedenen europäischen Ländern, deren<br />
Texte Bezug zu Revolutionen und Befreiungsaktionen hatten wie z. B. polnische,<br />
russische und rumänische Lieder.<br />
In den verschiedenen Berichten amerikanischer Provenienz werden als<br />
Sendungen, die dem "Reeducation"- Gedanken verpflichtet s<strong>in</strong>d, auch "Perlen der<br />
Literatur" und "Neue Bücher" erwähnt. Neben der Rezitation <strong>in</strong> Deutschland noch<br />
unbekannter Literatur des Auslandes hatten die Besprechungen anfangs e<strong>in</strong>en<br />
stärkeren Akzent auf fremdsprachiger Literatur. Die lösten sich dann aber von<br />
66 Programmkritik Dr. Fritz Eberhard vom 1. 4. 1946, wie Anm. 63.<br />
67 Wie Anm. 62.<br />
62
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dem allzu deutlichen Bestreben, die Hörer weitgehend nur mit bisher unbekannt<br />
Gebliebenem vertraut zu machen 68 .<br />
Auch beim Hörspiel waren zahlreiche Produktionen vom Geist der Umerziehung<br />
geprägt. Wie schon erwähnt, sah seit Dezember 1945 der Programmplan<br />
wöchentlich zwei Hörspiele vor, jeweils sonntags am späten Nachmittag und<br />
mittwochs um 21.00 Uhr, e<strong>in</strong> Rhythmus übrigens, der sich bis zur Übergabe des<br />
Senders <strong>in</strong> deutsche Hände nicht ändern sollte. Für die Produktion dieser Stücke<br />
stand Radio <strong>Stuttgart</strong> e<strong>in</strong> fester Stamm von Schauspielern aus dem<br />
Württembergischen Staatstheater zur Verfügung, so daß der <strong>in</strong> den<br />
Programmankündigungen angeführte H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong> "Schauspielerensemble" von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> nicht ohne Berechtigung war. Sonntags wurde jeweils e<strong>in</strong> zum<br />
Hörspiel umgearbeitetes Drama, mittwochs e<strong>in</strong>e dramatisierte Novelle gesendet.<br />
Orig<strong>in</strong>alhörspiele, wie sie bereits Ende der Zwanziger Anfang der Dreißiger Jahre<br />
bekannte Autoren für den <strong>Rundfunk</strong> geschrieben hatten, gab es noch nicht, und<br />
auf die alten Manuskripte wurde nicht zurückgegriffen.<br />
Auf welchem Wege das Hörspiel se<strong>in</strong>en Beitrag zur "Umerziehung" leistete, läßt<br />
am besten e<strong>in</strong> Blick auf das Repertoire erkennen. Immerh<strong>in</strong> gab es neben der<br />
Ansicht, die Hörspiele sollten Ausdruck ihrer Zeit se<strong>in</strong> und das gegenwärtige<br />
<strong>in</strong>ternationale Theater widerspiegeln, auch negative Vorschriften. Ende März<br />
1946 wurde von der Informationskontrolle <strong>in</strong> Württemberg- Baden verfügt, nicht<br />
erwünscht seien im Hörspielprogramm unter anderem "M<strong>in</strong>na von Barnhelm",<br />
"Emilia Galotti", "Egmont" – mit der Begründung: "Die Erzählung der spanischen<br />
Besetzung der Niederlande ist schwerlich tragbar" – aber auch die "Weber" von<br />
Gerhart Hauptmann wegen der Nähe des Autors zu den Nazis 69 .<br />
Programmatisch teilte der "Radiospiegel" <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ersten Nummer im Januar<br />
1946 die Absicht mit, daß "neben den Werken der Weltliteratur ( ... ) vor allem<br />
solche Werke den Hörern nahegebracht werden, die entweder <strong>in</strong> den letzten zwölf<br />
68 OMGUS/WB – ICD/ISD, 9. 7. 1946, 12/85- 1/49.<br />
69 OMGUS/WB – ICD/ISD, 29. 3. 1946,12/85 - 2/3.<br />
63
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Jahren <strong>in</strong> Deutschland nicht mehr dargestellt werden durften oder die bisher <strong>in</strong><br />
Deutschland gänzlich unbekannt geblieben waren, vor allem Werke der<br />
ausländischen Literatur" 70 . Zu ersten Kategorie gehörend kündigte der Artikel<br />
Hans J. Rehfischs "Wer we<strong>in</strong>t um Juckenack" an, bei der zweiten Kategorie wurde<br />
auf die zu erwartende Sendung des Hörspiels von Vachel L<strong>in</strong>dsay verwiesen: "Abe<br />
L<strong>in</strong>coln <strong>in</strong> Ill<strong>in</strong>ois", e<strong>in</strong> Stück, das <strong>in</strong> den USA mit größtem Erfolg aufgeführt<br />
worden sei.<br />
Wenn man das weitgehende Aufführungsverbot von Stücken nichtdeutscher<br />
Autoren auf deutschen Bühnen vor allem während der Kriegszeit berücksichtigt,<br />
dann s<strong>in</strong>d die Theaterstücke von G. B. Shaw oder die Dramatisierungen von<br />
Novellen russischer Schriftsteller – hier vor allem des 19. Jahrhunderts, aber auch<br />
der Novelle "Malva" von Maxim Gorkij – sowie zweier Werke von Oscar Wilde<br />
durchaus als Teil e<strong>in</strong>er bewußten Öffnung h<strong>in</strong> zur ausländischen Literatur zu<br />
sehen. Auch die Hörspieladaptionen von zwei Bühnenstücken Arthur Schnitzlers<br />
können als Teil dieser Öffnung verstanden werden, denn zwischen 1933 und<br />
1945 ist Schnitzler <strong>in</strong> Deutschland faktisch nicht mehr aufgeführt worden.<br />
Gleiches gilt für "Mitjas Heimkehr" des Kommunisten Max Burghardt, der vor<br />
1933 <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> beim Theater und auch bei der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG<br />
tätig gewesen war. Deutsche Exilliteratur war im übrigen nicht vertreten. 1946<br />
wurden auch mehrere Adaptionen nach Dramen von Shakespeare im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>es Zyklus, klassische deutsche Stücke und auch e<strong>in</strong>ige unterhaltende<br />
Hörspiele gesendet, so nach Vorlagen von Curt Goetz. Diese Spezies war<br />
allerd<strong>in</strong>gs im Jahr 1946 noch relativ selten, was sich im darauffolgenden Jahr<br />
dann aber ändern sollte. Bei den fremdsprachigen Vorlagen hatten die englischen<br />
– ke<strong>in</strong>eswegs die amerikanischen – e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Übergewicht. Orig<strong>in</strong>alhörspiele<br />
waren selten, zu den frühen Beispielen gehört "Wolfgang Amadeus Siebenhaar",<br />
verfaßt vom Mitarbeiter der literarischen Abteilung von Radio <strong>Stuttgart</strong>, Hans<br />
Sattler, der auch Bearbeiter vieler Hörspiele war 71 .<br />
70 "Radio- Spiegel", Nr. 1/1946, S. 18 f.<br />
71 E<strong>in</strong>e detaillierte Analyse des Hörspielangebots der unmittelbaren Nachkriegszeit bei für Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> fehlt und ist e<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gendes Desiderat. Als erster gelungener Versuch ist das<br />
Sendemanuskript: Sybille Bolik/Ekkehart Skoruppa, Hörspiel nach der Stunde Null. E<strong>in</strong>e Radio-<br />
64
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Die konkreten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen sahen so aus: Hans Sattler brachte jeweils<br />
e<strong>in</strong>en Tag vor der Produktion das Manuskript <strong>in</strong>s Funkhaus, wo es dann <strong>in</strong> aller<br />
Regel <strong>in</strong> der Nacht vor der Sendung produziert wurde. Diese Zeit wurde gewählt,<br />
weil die Schauspieler erst nach den Aufführungen im Theater verfügbar waren<br />
und zu dieser Zeit die Aufnahmegeräte zur Aufzeichnung des Hörspiels zur<br />
Verfügung standen, da sie <strong>in</strong> diesen Stunden nicht für Produktionen der aktuellen<br />
Abteilung benötigt wurden. Bei diesem Arbeiten "von der Hand <strong>in</strong> Mund" war<br />
natürlich nicht an die Entwicklung e<strong>in</strong>es systematischen Spielplans zu denken.<br />
Im Jahr 1946 gab es im Hörspiel noch ke<strong>in</strong>e direkte Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem<br />
Kriegsgeschehen und den Vorgängen im Dritten Reich. Gegen Ende 1946 wurde<br />
als als e<strong>in</strong>es der wenigen für den <strong>Rundfunk</strong> geschriebenen Hörspiele e<strong>in</strong><br />
Manuskript von Hermann Roßmann produziert und 22. November gesendet. Es<br />
trug den bezeichnenden Titel "Der Ritt nach Osten" und bezog sich auf den<br />
Rußlandfeldzug Napoleons. Dieses Hörspiel thematisiert enttäuschtes Vertrauen<br />
der Soldaten und den Verrat der Mächtigen. Es ist durchaus – sieht man e<strong>in</strong>mal<br />
vom zeitüblichen Pathos ab – e<strong>in</strong>e sicher nicht zureichende, weil soldatischen<br />
Gehorsam nicht <strong>in</strong>fragestellende, jedoch e<strong>in</strong>drucksvolle Problematisierung des<br />
Führerkultes im Dritten Reich. Das erste bedeutendere Hörspiel mit<br />
Gegenwartsbezug war dann e<strong>in</strong>e Übernahme vom NWDR, Wolfgang Borcherts<br />
"Draußen vor der Tür", das von Radio <strong>Stuttgart</strong> am 16. November 1947 gesendet<br />
wurde.<br />
Über die Resonanz des von Radio <strong>Stuttgart</strong> ausgestrahlten Programms bei den<br />
Hörern liegen ke<strong>in</strong>e repräsentativen Erkenntnisse vor. Aber schon die deutschen<br />
Berater haben die weitgehend von den amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>offizieren<br />
bestimmten Programm<strong>in</strong>halte oft heftig kritisiert. So me<strong>in</strong>te der schon mehrfach<br />
zitierte Fritz Eberhard zu der Sendung "Feuer von Hellas", gesendet am 29. April<br />
1946: Der Epilog der Sendung, "der an Lidice und Dachau und hunderte von<br />
Leichen <strong>in</strong> griechischen Städten" – als Folge der deutschen Invasion – "er<strong>in</strong>nerte,<br />
Revue über die Anfänge des Hörspiels bei Radio <strong>Stuttgart</strong>, 28. 7. 1989, (Produktions- Nummer<br />
des Bandes: KW 91821) anzusehen.<br />
65
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war e<strong>in</strong> propagandistischer Mißbrauch der griechischen Kultur. ( ... ) Es kann<br />
nicht genug betont werden, wie sehr e<strong>in</strong>e solche Sendung von Radio <strong>Stuttgart</strong> die<br />
gesamte Arbeit an Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> ihrer Wirkung stört" (Hervorhebung von<br />
Eberhard) 72 . Der andere der Programmberater der ersten Stunde, Mart<strong>in</strong> vom<br />
Bruch, äußerte am 11. April 1946: "Man muß sich vergegenwärtigen, daß der<br />
deutsche Hörer zur Zeit besonders kritisch e<strong>in</strong>gestellt ist und er annimmt, daß<br />
man ihm se<strong>in</strong>e ganze Tradition zerschlagen möchte. Ich höre diese falsche<br />
Me<strong>in</strong>ung aus vielen Kreisen. So versteht es sich, daß der deutsche Hörer alles,<br />
was mit dem Wort neu e<strong>in</strong>geleitet wird, besonders skeptisch e<strong>in</strong>gestellt ist (sic).<br />
( ... ) jedenfalls sollte man das Wort neu dem deutschen Hörer nicht vorsagen, um<br />
nicht gleich auf e<strong>in</strong>e Abneigung zu stoßen. 73<br />
In die gleiche Richtung zielen auch die im "Radiospiegel" wiedergegebenen<br />
Hörerbriefe, die gleichfalls e<strong>in</strong>e durchweg kritische E<strong>in</strong>stellung der Hörer zum<br />
frühen Programm von Radio <strong>Stuttgart</strong> widerspiegeln. E<strong>in</strong>ige der Briefe machen <strong>in</strong><br />
überraschender Genauigkeit deutlich, daß manche Hörer die kle<strong>in</strong>teilige<br />
Programmstruktur, erst recht jedoch das Konzept der Belehrung und Erziehung,<br />
durchschaut haben und sich dagegen wenden: "Warum wird jede Viertelstunde<br />
e<strong>in</strong>e neues Programm gesendet?" fragt e<strong>in</strong> Hörer, der sich ganz besonders für die<br />
Zeit nach dem abendlichen Nachrichtendienst e<strong>in</strong>e durchgehende unterhaltende<br />
Sendestrecke wünscht. E<strong>in</strong> anderer beklagt die vielen Wortsendungen am<br />
Sonntag: "Wenn jemand die ganze Woche gearbeitet habe, so hat er doch<br />
wenigstens am Sonntag e<strong>in</strong> Recht auf leichte Musik". Die<br />
Programmverantwortlichen hätten "mehr e<strong>in</strong>e Anlage zum Schulmeister als zum<br />
<strong>Rundfunk</strong> ( ... ) immer Belehrung, immer Kunst, immer Forum usw., es ist wirklich<br />
verheerend, was Sie ihren Hörern zumuten." Oder: "Das Programm von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> ist so trocken! ( ... ) Der Hörer muß erzogen werden. Wir sollen erzogen<br />
werden zu zu neuer Musik, zu politischem Denken, zu Erkenntnissen über<br />
Amerika, zu e<strong>in</strong>er festen Me<strong>in</strong>ung über den Expressionismus <strong>in</strong> der Malerei, zu<br />
72 Programmkritik vom 29. 4. 1946, Nachlaß Eberhard, 12 – ED 11 7/Bd. 57.<br />
73 Programmkritik vom 11. 4. 1946, Nachlaß Eberhard, IfZ – ED 117/Bd. 57<br />
66
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demokratischen Anschauungen, zu e<strong>in</strong>er Stellungnahme zum Nürnberger Prozeß<br />
– und noch zu viel mehr. Dies alles ist am zweckmäßigsten abends zwischen 8<br />
und 10 Uhr, wenn wir müde zuhause am Lautsprecher sitzen und uns e<strong>in</strong> bißchen<br />
gehen lassen wollen."<br />
So ersche<strong>in</strong>t die allseitige Beliebtheit des "Schlagercocktails", der vielen Hörern<br />
nicht lange genug dauerte, kaum verwunderlich angesichts e<strong>in</strong>es<br />
Abendprogramms, das für die Mehrheit der Hörer viel zu anspruchsvoll war.<br />
Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß auch die Plaudereien von Paul Land im<br />
"Schlagercocktail" durchaus kritisiert wurden. Zudem wünschte man ausdrücklich<br />
und nachdrücklich "deutsche Tanz- und Volksmusik statt Jazz und<br />
Negerrhythmen". Gefordert wurde aber auch kultureller S<strong>in</strong>nzusammenhang,<br />
dieser aber "frei von Gedanken zum Alltag", wie sie Fritz Ermarth <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Sendung "Zum Feierabend" se<strong>in</strong>en Hörern mit auf den Weg zu geben versuchte:<br />
"Lesen Sie uns schöne Gedichte und Sprüche oder auch kurze Prosastücke vor<br />
und verb<strong>in</strong>den Sie diese mit Musikstücken, die dem Gehörten stimmlich und<br />
zeitlich nahestehen" 74 .<br />
Auch die Deutschen machen Programm<br />
Die deutschen Mitarbeiter der ersten Stunde<br />
Auch e<strong>in</strong> Radioprogramm, das stark von amerikanischen Vorstellungen über die<br />
Umerziehung geprägt war, konnte nicht ohne deutsche Mitarbeiter vorbereitet,<br />
produziert und ausgestrahlt werden. Alle<strong>in</strong> der wachsende zeitliche Umfang des<br />
Programms erforderte spätestens ab November/Dezember 1945, also seit dem<br />
Ende der Übernahmen aus Luxemburg, e<strong>in</strong>e größere Anzahl von Autoren,<br />
Redakteuren und Produzenten, also Regisseuren und Spielleitern, und vor allem<br />
Sprechern, ganz abgesehen von den Technikern und den Diensten der<br />
Sekretär<strong>in</strong>nen und Fahrer. Das den Amerikanern <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> zur Verfügung<br />
74 Zusammenstellung der Zitate nach Beiträgen im "Radio- Spiegel" Nr. 18/1946, S. 12 und Nr.<br />
20/1946, S. 2.<br />
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stehende Personalreservoir und ihre E<strong>in</strong>stellungspolitik blieben natürlich nicht<br />
ohne Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der <strong>Rundfunk</strong>station, sowohl <strong>in</strong><br />
der Zeit der strengen Besatzungskontrolle als auch später unter deutscher<br />
Verantwortung.<br />
Die ersten deutschen Angestellten von Radio <strong>Stuttgart</strong> waren die bereits im April<br />
1945 zur Mithilfe beim Wiederaufbau des Senders Mühlacker herangezogenen<br />
Techniker, ursprünglich Mitarbeiter der Reichspost, die den Sender gebaut und<br />
bis zum Kriegsende betreut hatten. Bis August 1945 wurden dann weitere 80<br />
Mitarbeiter e<strong>in</strong>gestellt, von denen rund 40 <strong>in</strong> Mühlacker tätig waren. Insgesamt<br />
waren am 1. August 1945 bei Radio <strong>Stuttgart</strong> 108 Personen beschäftigt 75 .<br />
Als wichtige deutsche Mitarbeiter außerhalb des technischen Bereichs, die bereits<br />
im Sommer 1945 bei Radio <strong>Stuttgart</strong> tätig waren, s<strong>in</strong>d vor allem He<strong>in</strong>z Eschwege,<br />
Josef Eberle und Fritz Eberhard zu nennen. Alle drei waren vermutlich dem<br />
"Intelligence Service" als erklärte Gegner des Nationalsozialismus bekannt, so daß<br />
sie von Anfang an als politisch unbelastete deutsche Vertraute und<br />
Informationsträger den amerikanischen Kontrolloffizieren zur Seite stehen<br />
konnten. Gerade <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>, wo im Gegensatz beispielweise zu Frankfurt ke<strong>in</strong>e<br />
mit den deutschen und <strong>in</strong>sbesondere mit den lokalen Verhältnissen näher<br />
vertraute Emigranten <strong>in</strong> amerikanischer Uniform beim <strong>Rundfunk</strong>kommando<br />
Dienst taten, waren Josef Eberle und He<strong>in</strong>z Eschwege unentbehrliche<br />
Gewährsleute der ersten Stunde.<br />
Am ausführlichsten hat He<strong>in</strong>z Eschwege <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Lebenser<strong>in</strong>nerungen über se<strong>in</strong>e<br />
Tätigkeit bei Radio <strong>Stuttgart</strong> berichtet. He<strong>in</strong>z Eschwege (1903- 1987) war Sänger<br />
und Lautenspieler, später Stimmbildner von Beruf. Bereits vor 1933 war er im<br />
Programm der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG aufgetreten. Er stand der politischen<br />
L<strong>in</strong>ken nahe und war mit dem Schriftsteller Friedrich Wolf <strong>in</strong> dessen <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Zeit gegen Ende der Weimarer Republik bekannt. In den letzten Kriegstagen hatte<br />
75 OMGUS/WB – ICD/ISD, 20. 8. 1945, 12/85- 2/8 sowie Notiz: Entwicklung des Personalstandes<br />
beim Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> vom 1. August 1949, <strong>in</strong> SDR/HA Verwaltungsdirektion (St. Nr.<br />
40/9761).<br />
68
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Eschwege engen Kontakt mit der Gruppe um den späteren Oberbürgermeister Dr.<br />
Arnulf Klett, der ihn 1944 bei e<strong>in</strong>em Verfahren wegen e<strong>in</strong>es<br />
"<strong>Rundfunk</strong>vergehens", wegen des Abhörens von Fe<strong>in</strong>dsendern, vor der Bestrafung<br />
retten konnte. Es war auch Arnulf Klett, der He<strong>in</strong>z Eschwege am 28. April 1945<br />
ermächtigte, "die Verb<strong>in</strong>dung zu den aufbauwilligen Kräften von <strong>Rundfunk</strong> und<br />
Theater herzustellen und mir die Unterlagen für e<strong>in</strong>e restlose Säuberung dieser<br />
Stellen von Elementen der NSDAP und ähnlicher Verbände zu liefern" 76 .<br />
Ende Mai 1945, nachdem für die Württembergischen Staatstheater e<strong>in</strong> vorläufiger<br />
Intendant gefunden war, zog sich Eschwege vom Theater zurück und begann<br />
noch unter französischer Hoheit se<strong>in</strong>e Tätigkeit für den <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
zugigen, da fensterscheibenlosen Büro im zerstörten Waisenhaus, dem<br />
ehemaligen Sitz des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong>. Die Amerikaner übernahmen He<strong>in</strong>z<br />
Eschwege am 1. Juli 1945 als "Referenten für Talentsuche"; dadurch hatte er e<strong>in</strong>e<br />
Zeitlang e<strong>in</strong>e wichtige Schaltstelle für die ersten Personale<strong>in</strong>stellungen bei Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong>ne. H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong> den amerikanischen Akten belegen immer wieder<br />
Eschweges Bemühungen, Mitarbeiter mit besonderen Fachkenntnissen e<strong>in</strong>stellen<br />
zu helfen 77 . Trotz se<strong>in</strong>er ablehnenden Haltung gegenüber dem NS-Regime war<br />
Eschwege der Me<strong>in</strong>ung, gewisse Formen von Mitläufertum und eher formeller<br />
Mitgliedschaft <strong>in</strong> NS-Gliederungen sollten ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>derungsgrund se<strong>in</strong>, wieder<br />
beim <strong>Rundfunk</strong> tätig zu werden. Nach se<strong>in</strong>en eigenen Schilderungen hat er<br />
versucht, der angestrebten streng formalistischen E<strong>in</strong>stellung der Amerikaner <strong>in</strong><br />
Entnazifizierungsfragen entgegenzuwirken, zumal auch für bestimmte<br />
Positionen, etwa bei den Sprechern, kaum unbelastete Fachkräfte zu bekommen<br />
waren, die den von den Amerikanern aufgestellten Kriterien völlig entsprochen<br />
hätten. Jedenfalls konnte nach e<strong>in</strong>igem H<strong>in</strong> und Her e<strong>in</strong> Teil der Sprecher aus der<br />
Zeit des Reichssenders wieder e<strong>in</strong>gestellt werden, e<strong>in</strong>e unabd<strong>in</strong>gbare<br />
Voraussetzung für die Produktion e<strong>in</strong>es <strong>Rundfunk</strong>programms 78 .<br />
76 Eschwege, Vom Niedergang und Wiederaufstieg, Anlage Nr. 3.<br />
77 H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong> den Staff- Meet<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> OMGUS/WB – ICD/ISD, 12/85- 2/1.<br />
78 Eschwege, Vom Niedergang, S. 71 f.<br />
69
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Josef Eberle (1901 - 1986) hatte zwischen 1927 und 1933 die Vortragsabteilung<br />
der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG geleitet. Als entschiedener Gegner der<br />
Nationalsozialisten gehörte er zu den ersten Mitarbeitern, die 1933 entlassen<br />
wurden. Von 1936 bis 1941 war er Angestellter des amerikanischen Konsulats <strong>in</strong><br />
<strong>Stuttgart</strong>. Doch nicht nur die damals erworbenen bzw. vertieften sprachlichen<br />
Kenntnisse werden für se<strong>in</strong>e Beschäftigung beim Radio- <strong>Stuttgart</strong>- Detachement<br />
wichtig gewesen se<strong>in</strong>. Josef Eberle war <strong>in</strong> den ersten Wochen für die Amerikaner<br />
als Übersetzer und als Programmberater tätig. Verdienste erwarb er sich speziell<br />
bei der E<strong>in</strong>führung der ersten schwäbischen Heimatsendung. Wie Eschwege<br />
berichtet, hat sich Eberle <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rolle als Übersetzer nicht wohl gefühlt; den<br />
"Schreibersgsell" wolle er nicht länger spielen 79 , soll er gesagt haben. Er verließ<br />
bald Radio <strong>Stuttgart</strong> und nahm das Angebot der Amerikaner an, e<strong>in</strong>er der drei<br />
Lizenzträger der "<strong>Stuttgart</strong>er Zeitung" zu werden. Es gibt aber Belege dafür, daß<br />
er <strong>in</strong> beratender Funktion weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> Fragen des <strong>Rundfunk</strong>s den Amerikanern<br />
zur Verfügung stand; auch auf Fotos von Betriebsfeiern bei Radio <strong>Stuttgart</strong> aus<br />
dem Jahre 1946 ist er noch abgebildet.<br />
Im Juni 1945 begann auch Dr. Fritz Eberhard se<strong>in</strong>e früheste Tätigkeitsperiode bei<br />
der Radiostation, der er dann von 1949 bis 1958 als erster von den deutschen<br />
Aufsichtsgremien gewählter Intendant vorstehen sollte. Fritz Eberhard (1896<br />
- 1982) – eigentlich Hellmut v. Rauschenplat – hatte Wirtschaftswissenschaften<br />
studiert und war <strong>in</strong> den Zwanziger Jahren als Pädagoge und Journalist tätig<br />
gewesen. Nach illegaler Parteiarbeit für die SPD aus dieser Zeit stammt der<br />
Deckname "Fritz Eberhard" – emigrierte er 1938 nach Großbritannien. Fritz<br />
Eberhard kehrte sofort nach Kriegsende zurück und ließ sich <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> nieder.<br />
Von den Amerikanern wurde er als Programmberater e<strong>in</strong>gestellt, obwohl er bis<br />
dah<strong>in</strong> kaum praktische <strong>Rundfunk</strong>erfahrung vorweisen konnte. Wie wichtig er den<br />
Amerikanern war, belegt im Dezember 1945 die Begründung für e<strong>in</strong>en eigenen<br />
Telefonanschluß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Privatwohnung , da "se<strong>in</strong>e Dienste sehr oft <strong>in</strong> aller<br />
79 Ebd., S. 69.<br />
70
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Kürze beansprucht werden" 80 . Die <strong>in</strong> den überlieferten Gutachten und<br />
Stellungnahmen enthaltenen Kritiken und Empfehlungen Fritz Eberhards wurden<br />
von den Amerikanern offenbar sehr ernst genommen, denn <strong>in</strong> ihrer Folge können<br />
jeweils Änderungen im Programm registriert werden. Als im November 1945 die<br />
ersten weltpolitischen Wochenkommentare im "Echo des Tages" am<br />
Samstagabend gesendet wurden, war Fritz Eberhard ihr Autor. Auch diese<br />
Kommentarreihe hatte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Memorandum als notwendige Ergänzung für<br />
das Programm gefordert 81 .<br />
Warum Fritz Eberhard im Juni 1946 überraschend bei Radio <strong>Stuttgart</strong> ausscheiden<br />
mußte, ist bis heute nicht völlig geklärt. Es gibt Indizien dafür, daß er gleich<br />
anderen, an Jahren schon älteren Mitarbeitern der ersten Stunde, die ihre Lebens-<br />
und Berufserfahrungen noch <strong>in</strong> der Weimarer Zeit erworben hatten, größere<br />
Schwierigkeiten hatte, den Anweisungen und Wünschen der amerikanischen<br />
<strong>Rundfunk</strong>offiziere ohne weiteres Folge zu leisten. Geschadet hat ihm sicherlich<br />
auch die erwähnte, ungesetzliche Ernennung zum Intendanten durch Capta<strong>in</strong><br />
Barbour Anfang 1946. Fred G. Taylor bestätigte vor e<strong>in</strong>iger Zeit noch e<strong>in</strong>mal, daß<br />
danach weder Barbour noch Eberhard beim Sender zu halten waren. Fritz<br />
Eberhard beklagte sich im Frühjahr 1946 bei Eschwege über se<strong>in</strong>e Isolation; im<br />
Juni 1946 verließ er von e<strong>in</strong>em Tag auf den anderen se<strong>in</strong>e Arbeitsstelle. Se<strong>in</strong><br />
Nachfolger als politischer Kommentator wurde Fritz Ermarth 82 .<br />
E<strong>in</strong>e noch kürzere Episode <strong>in</strong> der Frühgeschichte von Radio <strong>Stuttgart</strong> stellt die<br />
Tätigkeit des <strong>Rundfunk</strong>pioniers Alfred Braun (1888- 1978) dar. In der Weimarer<br />
Zeit war er bei der "Funkstunde" <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> als Ansager, Reporter und Regisseur<br />
tätig gewesen. Vor allem durch se<strong>in</strong>e Live- Reportagen von bedeutenden<br />
Zeitereignissen – wie dem Begräbnis Gustav Stresemanns – bekannt geworden,<br />
hatte er im Dritten Reich den <strong>Rundfunk</strong> verlassen müssen. Bei Kriegsende befand<br />
80 OMGUS/WB – ICD/ISD, 4. 12. 1945, 12/85- 1/50.<br />
81 Manuskripte <strong>in</strong>: SDR/HA Programmnachweise Hörfunk.<br />
82 Taylor bestätigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an den Verf. vom 21. 4. 1986 die auch von Dr. Peter Kehm<br />
vermuteten H<strong>in</strong>tergründe des Ausscheidens von Eberhard. Siehe auch Eschwege, Vom<br />
Niedergang und Wiederaufstieg, S. 95.<br />
71
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
sich Alfred Braun zufällig <strong>in</strong> Süddeutschland; er bot sich den Amerikanern als<br />
Mitarbeiter an und wurde e<strong>in</strong>gestellt. Von Anfang August bis <strong>in</strong> den Spätherbst<br />
1945 fungierte Alfred Braun <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie als Ansager, Sprecher und Regisseur.<br />
Bald gab es Unstimmigkeiten mit den Amerikanern, vor allem zwischen ihm und<br />
Arthur Shaffer, dem künstlerisch ambitioniertesten unter den <strong>Rundfunk</strong>offizieren,<br />
und Braun verließ Radio <strong>Stuttgart</strong> wieder 83 .<br />
Näher e<strong>in</strong>zugehen ist bereits an dieser Stelle auch auf den späteren ersten<br />
Intendanten von Radio <strong>Stuttgart</strong>, Dr. Fritz Ermarth (1909 – 1948). Auch er, der zu<br />
den früh e<strong>in</strong>gestellten Mitarbeitern von Radio <strong>Stuttgart</strong> gehört, die bald leitende<br />
Positionen e<strong>in</strong>nehmen, war noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts<br />
geboren worden. Ermarth stammte aus Karlsruhe, wo se<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>e bekannte<br />
Schauspieler<strong>in</strong> am dortigen Staatstheater gewesen war. Nach dem Studium der<br />
Volkswirtschaft und der Rechtswissenschaft verbrachte Fritz Ermarth das Jahr<br />
1931 als Austauschstudent <strong>in</strong> den USA, <strong>in</strong> die er nach se<strong>in</strong>er Entlassung aus dem<br />
Staatsdienst 1933 emigrierte. Er übte e<strong>in</strong>e Lehrtätigkeit <strong>in</strong> Oklahoma aus und war<br />
später Referent im amerikanischen Bundesdienst. Im Herbst 1945 kehrte er nach<br />
Deutschland zurück und übernahm im Juni 1946 die Aufgabe e<strong>in</strong>es politischen<br />
Kommentators bei Radio <strong>Stuttgart</strong>. Am 13. Juni 1947 ernannte die amerikanische<br />
Militärregierung Fritz Ermarth zum ersten deutschen Intendanten von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>. Als se<strong>in</strong>e Personalvorschläge für den weiteren Ausbau der Station nicht<br />
genehmigt wurden – es g<strong>in</strong>g ihm <strong>in</strong>sbesondere um die Ernennung e<strong>in</strong>es im<br />
Dritten Reich bekannten Publizisten zum Leiter des im September 1946<br />
eröffneten badischen Studios Heidelberg - , trat er am 7. November 1947 als<br />
Intendant zurück, schied ganz aus den Diensten von Radio <strong>Stuttgart</strong> aus und<br />
wechselte <strong>in</strong>s Wirtschaftsm<strong>in</strong>isterium des Landes Württemberg- Baden. Se<strong>in</strong><br />
Freitod am 27. Juli 1948 hatte persönliche Gründe und stand <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>erlei<br />
Zusammenhang mit se<strong>in</strong>em Weggang von Radio <strong>Stuttgart</strong> 84 .<br />
83 E<strong>in</strong> Lebenslauf Alfred Brauns, von ihm selbst verfaßt, <strong>in</strong>: OMGUS/WB – ICD/ ISD, ohne Datum,<br />
12/85- 2/4. Siehe auch Eschwege, Vom Niedergang, S.77.<br />
84 Dank für die Ernennung mit Schreiben von Ermarth OMGUS/WB – ICD/ISD, 15. 6. 1947, 12/97-<br />
2/3. Siehe auch "Funkkurier", Nr. 22/1947 vom 13. 6. 1947. E<strong>in</strong>e Begründung für se<strong>in</strong>en<br />
Rücktritt liefert die Agenturmeldung vom 8. 11. 1947 <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische Dokumentation<br />
1945- 1986, Nr. 2352 (3, 1). Die re<strong>in</strong> privaten H<strong>in</strong>tergründe bestätigten Dr. Peter Kehm und Frau<br />
72
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Am Lebensweg der genannten Persönlichkeiten und an ihrer Tätigkeit bei Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> s<strong>in</strong>d zwei Aspekte besonders bemerkenswert. Erstens gehörte niemand<br />
von ihnen, wie dies teilweise bei anderen <strong>Rundfunk</strong>stationen der<br />
Besatzungsmächte der Fall war, der extremen L<strong>in</strong>ken an oder sympathisierte mit<br />
ihr. Politische Turbulenzen im Zusammenhang mit der Veränderung des Ost-<br />
Westklimas, die beim NWDR und bei Radio Frankfurt wenigstens zum Teil zu den<br />
Entlassungen von Kommunisten und bei Radio München von engagierten<br />
L<strong>in</strong>ksliberalen führten, waren deshalb <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> nicht zu verzeichnen. Zweitens<br />
ist von ihnen ke<strong>in</strong>er auf die Dauer bei Radio <strong>Stuttgart</strong> geblieben, bis Ende 1947<br />
waren alle wieder ausgeschieden. Die Motive für den Weggang bzw. die<br />
Entlassung dieser Mitarbeiter, die vornehmlich Führungspositionen <strong>in</strong>nehatten,<br />
sche<strong>in</strong>en nach allem, was wir wissen, eher im Atmosphärischen gelegen zu<br />
haben. Das Klima beim <strong>Stuttgart</strong>er Sender <strong>in</strong> der Neckarstraße war offenbar so<br />
beschaffen, daß lebenserfahrene, selbständigere Persönlichkeiten es vorzogen,<br />
sich wegen der Reibungen mit den amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>offizieren wieder<br />
zurückzuziehen, oder sie wurden von den Amerikanern selbst wieder aus der<br />
<strong>Rundfunk</strong>station verdrängt. Dabei muß mit Blick auf Fritz Ermarths Ausscheiden<br />
festgehalten werden, daß se<strong>in</strong>e Personalvorstellungen ke<strong>in</strong>esfalls von den<br />
Amerikanern akzeptiert werden konnten. Er hatte Unmögliches verlangt, sich<br />
nicht durchsetzen können und daraus die Konsequenzen gezogen.<br />
Als Maxime für die Personale<strong>in</strong>stellungen stellte Fred G. Taylor im Juni 1946 <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Rechenschaftsbericht zum e<strong>in</strong>jährigen Bestehen der Station fest:<br />
Angesichts der Tatsache, daß die Fachleute des Reichsrundfunks zum<strong>in</strong>dest<br />
nom<strong>in</strong>ell <strong>in</strong> der Partei gewesen seien, habe es große Schwierigkeiten bereitet, den<br />
Anteil der Parteimitglieder bei Radio <strong>Stuttgart</strong> möglichst ger<strong>in</strong>g zu halten.<br />
Immerh<strong>in</strong> sei es gelungen, deren Zahl unter zehn Prozent zu halten. Alle<br />
Bewerber seien vom amerikanischen Geheimdienst streng durchleuchtet worden.<br />
Taylor nannte als Auswahlkriterien – vermutlich etwas naiv – auch die Bereitschaft<br />
der Bewerber, von den Ideen und Idealen des Nationalsozialismus abzulassen,<br />
Ingeborg Klaiber, Mitarbeiter<strong>in</strong> bei Radio <strong>Stuttgart</strong> 1945- 1947 im Gespräch mit dem Verfasser.<br />
73
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sich nicht von Standes- und Bildungsdünkeln leiten zu lassen und demokratische<br />
Pr<strong>in</strong>zipien für die <strong>Rundfunk</strong>arbeit so zu akzeptieren, wie sie von der<br />
amerikanischen Informationskontrolle <strong>in</strong>terpretiert würden 85 . Immerh<strong>in</strong> kann<br />
konstatiert werden: Von den e<strong>in</strong>stigen festangestellten Mitarbeitern aus der<br />
Reichssenderzeit ist es fast niemandem gelungen, wieder e<strong>in</strong>e Dauerstellung bei<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> zu erlangen.<br />
So gehörte es zur Richtschnur der Personalrekrutierung durch das<br />
<strong>Rundfunk</strong>kommando, vorzugsweise junge Leute e<strong>in</strong>zustellen. E<strong>in</strong> großer Teil von<br />
ihnen, etwa der nachmalige Programmdirektor Dr. Peter Kehm (geb. 1920), Hans-<br />
Ulrich Reichert (geb. 1921), Oswald Hirschfeld (geb. 1917), Albrecht Baehr (geb.<br />
1917), Rudolf Fest (geb. 1924), um nur e<strong>in</strong>ige zu nennen, nahm 1946 den Dienst<br />
bei Radio <strong>Stuttgart</strong> auf und verbrachte e<strong>in</strong> ganzes Arbeitsleben beim späteren<br />
Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>. Auch der Filmregisseur Alfred Vohrer (1918- 1986), von<br />
1946 bis 1948 Spielleiter und Hörspielregisseur, oder Helmut Jedele (geb. 1920),<br />
Fernsehbeauftragter bzw. erster Fernsehdirektor des SDR und später Chef der<br />
BAVARIA- Ateliergesellschaft, damals e<strong>in</strong> häufig beschäftigter freier Mitarbeiter,<br />
s<strong>in</strong>d zu diesem Personenkreis zu zählen. E<strong>in</strong>ige andere gleichen Alters,<br />
<strong>in</strong>sbesondere auch Mitglieder der politischen Redaktion, schieden – z.T. nach<br />
<strong>in</strong>ternen Ause<strong>in</strong>andersetzungen – schon zu Beg<strong>in</strong>n der Fünfziger Jahre wieder<br />
aus. Es fällt jedenfalls auf, daß gerade bei Radio <strong>Stuttgart</strong> viele junge Mitarbeiter,<br />
oft ohne journalistische Praxis und erst recht ohne Kenntnis von den besonderen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen der <strong>Rundfunk</strong>arbeit, tätig waren; das war bei anderen<br />
Radiostationen im besetzten Deutschland <strong>in</strong> dem Maße nicht der Fall. Die<br />
Auswirkungen waren vielfältig. Für das Hörspiel hatte dies bei Radio <strong>Stuttgart</strong> z.B.<br />
nach Auskunft von Peter Kehm die Folge, daß alle<strong>in</strong> schon von der Hörer<strong>in</strong>nerung<br />
her der Anschluß an das Hörspielschaffen des Weimarer <strong>Rundfunk</strong>s<br />
verlorengegangen war. Da auch entsprechende Literatur aus jener Zeit <strong>in</strong> den<br />
ersten Nachkriegsjahren kaum zu beschaffen war, orientierten sich manche<br />
Realisationen von Hörspielen eher an den "Hörerlebnissen" von Produktionen des<br />
85 Eschwege, Vom Niedergang, S. 75. Taylors Bemerkungen <strong>in</strong> OMGUS/WB – ICD/ISD, 9. 7. 1946,<br />
12/85- 1/49.<br />
74
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Reichsrundfunks und dem "Soundtrack" von Spielfilmen der Dreißiger und<br />
Vierziger Jahre.<br />
Neben den genannten Mitarbeitern f<strong>in</strong>den wir auch noch e<strong>in</strong>ige wenige "alte"<br />
<strong>Rundfunk</strong>mitarbeiter, die bei Radio <strong>Stuttgart</strong> wieder Fuß fassen konnten, wie Hans<br />
Sattler (1901- 1959), der als Mitarbeiter von Friedrich Bischoff schon bei der<br />
Schlesischen Funkstunde vor 1933 gewesen war, seit 1945 bei Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
tätig und von 1948 bis 1953 Leiter der Abteilung "Kulturelles Wort", dann wieder<br />
freier Autor, oder Fritz Ludwig Schneider (1901 - 1977), im Dritten Reich freier<br />
Mitarbeiter beim Reichssender <strong>Stuttgart</strong> und später Leiter der Abteilung<br />
Unterhaltung. Beide waren erfahrene Praktiker, Hans Sattler als rout<strong>in</strong>ierter<br />
Bearbeiter mit e<strong>in</strong>em zeitweise nahezu wöchentlichen "Ausstoß" an<br />
Hörspieladaptionen. Fritz Ludwig Schneider, als Autor niveauvoller und<br />
funkgerechter Unterhaltungssendungen für Radio <strong>Stuttgart</strong> bekannt geworden,<br />
wurde noch im Kriegsgefangenenlager als dr<strong>in</strong>gend benötigter "writer" von den<br />
amerikanischen Kontrolloffizieren angefordert. Auch <strong>in</strong> anderen Fragen des<br />
<strong>Rundfunk</strong>s war er sehr versiert und beschlagen und dem jungen Sendeleiter Peter<br />
Kehm seit 1947 e<strong>in</strong> wichtiger Ratgeber. Auch die langjährige Oberspielleiter<strong>in</strong><br />
von Radio <strong>Stuttgart</strong> bzw. des SDR und Regisseur<strong>in</strong> unzähliger<br />
Hörspielproduktionen, Cläre Schimmel (1902 - 1986), die <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bei den ersten<br />
Fernsehproduktionen der Reichsrundfunkgesellschaft dabei gewesen war, ist<br />
dieser Gruppe der verdienten "Rout<strong>in</strong>iers" zuzurechnen.<br />
Nach dem Ausscheiden von Eberle, Eberhard und Ermarth fehlte es Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> längere Zeit <strong>in</strong> der Leitung wie im Programm an profilierten<br />
Persönlichkeiten <strong>in</strong> der Leitung wie auch im Programm, die der Station e<strong>in</strong><br />
deutlicheres Profil hätten vermitteln können, sei es im Bereich der politischen<br />
Information und Kommentierung oder auch im Kulturprogramm. Auf diesen<br />
Feldern blieb <strong>Stuttgart</strong> zusammen mit Radio München eher Mittelmaß, während<br />
vor allem <strong>in</strong> Hamburg das Zusammenspiel des "Chief Controllers" Hugh Carleton<br />
Greene mit der "Crew" um Axel Eggebrecht, Ernst Schnabel und Peter von Zahn<br />
75
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Markste<strong>in</strong>e für den <strong>Rundfunk</strong>journalismus der Nachkriegszeit setzte, zum<strong>in</strong>dest<br />
im Bereich der aktuellen Berichterstattung, des Hörspiels und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen<br />
Form rundfunkspezifischer Berichterstattung über gesellschaftliche und kulturelle<br />
H<strong>in</strong>tergründe des Zeitgeschehens: dem Feature. Doch muß die besondere<br />
Hamburger Konstellation – sie galt letztlich auch nur für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Redaktion –<br />
als e<strong>in</strong> Ausnahmefall angesehen werden, der auf besonders glückliche Umstände<br />
zurückzuführen ist. Immerh<strong>in</strong>, auch <strong>in</strong> Frankfurt arbeitete bei Intendant Eberhard<br />
Beckmann seit 1948 unter amerikanischer Oberhoheit mit Alfred Andersch e<strong>in</strong><br />
Redakteur, der seit diesem Jahr mit se<strong>in</strong>em "Abendstudio" den Hörfunk am<br />
kulturellen Disput der Nachkriegszeit beteiligte. In <strong>Stuttgart</strong> gewann der<br />
Süddeutsche <strong>Rundfunk</strong> erst <strong>in</strong> den fünfziger Jahren unter dem starken<br />
Engagement se<strong>in</strong>es ersten gewählten Intendanten Fritz Eberhard Anschluß an<br />
jene e<strong>in</strong>zigartige Entwicklung, <strong>in</strong> der der Nachkriegshörfunk mit den Hörspiel-<br />
und Nachtprogrammen das literarische Leben und den <strong>in</strong>tellektuellen Diskurs<br />
weitgehend bestimmte.<br />
Personeller und organisatorischer Aufbau bei Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
Im Sommer 1946 befand sich Radio <strong>Stuttgart</strong> noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er organisatorisch wenig<br />
durchstrukturierten Verfassung. Als Fritz Ermarth als neuer politischer<br />
Kommentator bei der Station im Juli 1946 se<strong>in</strong>en Dienst <strong>in</strong> der Neckarstraße<br />
antrat, wurde e<strong>in</strong> "Political Affairs Department" geschaffen, das von ihm geleitet<br />
wurde. Doch <strong>in</strong>nerhalb dieses "Departments" waren die Aufgaben nicht streng<br />
verteilt. Die Redakteure griffen neue Themen auf und schufen neue Sendereihen:<br />
Wer geschickt war, hatte damit für sich e<strong>in</strong> eigenes "Ressort" geschaffen, ohne<br />
daß dies <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Organisationsschemas und e<strong>in</strong>es Dienstplans exakt<br />
fixiert worden wäre. Das entsprach der Praxis auch bei anderen Radiostationen im<br />
besetzten Nachkriegsdeutschland. Neben der politischen Abteilung wurde auch<br />
die Gründung e<strong>in</strong>es "Department of Human Relations" gemeldet mit Kontakten<br />
76
zum Arbeitsamt, zur Wirtschaft, zum Roten Kreuz und kulturellen<br />
Organisationen 86 .<br />
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Auch bei den anderen Aufgabenfeldern blieb die organisatorische Gliederung<br />
nach wie vor weitgehend offen und ungefügt. So fehlten im Bereich von<br />
Musikredaktion und - produktion noch klare Zuständigkeitsbereiche. Dennoch<br />
gab es zu diesem Zeitpunkt bereits wieder e<strong>in</strong> Orchester mit rund 40 Musikern.<br />
He<strong>in</strong>z Eschwege war es gelungen, die Amerikaner von der Vorstellung<br />
abzubr<strong>in</strong>gen, lediglich e<strong>in</strong>en Klangkörper von 15 bis 17 Mitgliedern mit Aufgaben<br />
<strong>in</strong> allen Musiksparten zu etablieren. Diese Absicht hatte Hans Rosbaud (1895-<br />
1962), der an e<strong>in</strong>er Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong>teressiert war und detaillierte Pläne für<br />
die Arbeit der Klangkörper und e<strong>in</strong>er Musikabteilung entworfen hatte, wieder<br />
vertrieben. Immerh<strong>in</strong> konnte das Probespiel der zu verpflichtenden Musiker am<br />
13./14. Oktober 1945 durchgeführt werden und die ersten regulären<br />
Orchesterproben bereits mit dem 1. Dezember beg<strong>in</strong>nen. Leiter des Orchesters<br />
wurde Rolf Unkel, nachdem Josef Dünnwald wegen der Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit<br />
den Amerikanern um die Stärke des Orchesters entnervt aufgegeben hatte. Mitte<br />
1946 hatte das Orchester 42 Mitglieder, doch wurde es nach und nach<br />
vergrößert, so daß es 1949 bereits 72 Musiker zählte 87 .<br />
Insgesamt waren Anfang Juli 1946 bei Radio <strong>Stuttgart</strong> an den beiden Dienstorten<br />
<strong>Stuttgart</strong> und Mühlacker 324 Mitarbeiter tätig, davon rund 90 <strong>in</strong> der Verwaltung,<br />
90 <strong>in</strong> den Bereichen von Programm und Produktion, 42 als Mitglieder des<br />
Orchesters und 64 Techniker. Beim Sender <strong>in</strong> Mühlacker waren sieben Mitarbeiter<br />
<strong>in</strong> der dortigen Verwaltung und weitere 23 Techniker beschäftigt 88 .<br />
86 OMGUS/WB, 12/85- 2/1.<br />
87 Eschwege, Vom Niedergang und Wiederaufstieg, S. 83 ff. Dort als Anlage 91 das Konzept von<br />
Rosbaud.<br />
88 OMGUS/WB – ICD/ISD, 9.7.1946,12/85 - 1/49. E<strong>in</strong>e ausführliche Personal statistik auch <strong>in</strong> der<br />
"Notiz betr. Entwicklung des Personalstandes beim Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>" vom 1. 8.1949, <strong>in</strong>:<br />
SDR/HA, Verwaltungsdirektion (St. Nr. 40/9761).<br />
77
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Wichtige personelle und organisatorische Veränderungen vollzogen sich erst im<br />
Juni 1947, also relativ spät, gemessen an den ursprünglichen Zeitplänen der<br />
Amerikaner. Außer der Berufung von Dr. Fritz Ermarth zum ersten deutschen<br />
Intendanten wurden am 13. Juni 1947 auch andere wichtige Positionen des<br />
<strong>Stuttgart</strong>er Senders deutschen Mitarbeitern übertragen und ihre<br />
Verantwortungsbereiche gegenüber dem früheren Zustand klarer def<strong>in</strong>iert: Dr.<br />
Peter Kehm wurde zum Sendeleiter und damit praktisch zum Programmdirektor<br />
ernannt und Cläre Schimmel zur Oberspielleiter<strong>in</strong>. Sie war damit für den ganzen<br />
Bereich der Programmproduktion verantwortlich. Zum Pressechef wurde Dr.<br />
Mart<strong>in</strong> vom Bruch bestellt, der schon seit August 1945 <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Funktionen bei Radio <strong>Stuttgart</strong> beschäftigt war 89 .<br />
Neben diesen ersten Festlegungen im Leitungsbereich differenzierten und<br />
konsolidierten sich auch auf den nachgeordneten Ebenen die<br />
Organisationsstrukturen: Es gab nun e<strong>in</strong>e Gliederung der redaktionellen<br />
Verantwortungsbereiche nach "Aktuellem Wort" – Nachrichten, politische<br />
Kommentare, Zeitfunk – und "Künstlerischem Wort" 90 . Weiterh<strong>in</strong> entstand noch im<br />
selben Jahr die Unterhaltungsabteilung, <strong>in</strong> der Albert Hofele und Fritz Ludwig<br />
Schneider tätig waren; am 8. September 1947 wurde Schneider zum<br />
verantwortlichen Leiter der Redaktion ernannt 91 . Die Abteilung "Aktuelles Wort"<br />
erhielt allerd<strong>in</strong>gs erst am 15. April 1948 mit Re<strong>in</strong>hold Eckhardt ihren ersten<br />
Chefredakteur, der jedoch bereits am 25. Januar 1949 nach e<strong>in</strong>er<br />
Umstrukturierung der Abteilung von Hans Küffner abgelöst wurde. Ihr<br />
zugeordnet war die Sportredaktion – sie arbeitete seit September 1945 – mit Gerd<br />
Krämer als Chef und Ra<strong>in</strong>er Günzler als Mitarbeiter 92 .<br />
89 Funkkurier, Nr. 22/1947, 13. 6. 1947, E<strong>in</strong>e Liste mit verantwortlichen deutschen Mitarbeitern<br />
zwischen Juni und November 1947: OMGUS/WB – ICD/ISD, o. D., 12/85 – 2/6.<br />
90 Dazu verschiedene Dokumente aus dem Jahr 1947 <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische Dokumentation<br />
1945- 1986, Nr. 2353.<br />
91 Rundschreiben Taylors vom 8. 9. 1947, SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr.<br />
2353.<br />
92 SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2353 sowie Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S.<br />
14.<br />
78
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Auch die Musikabteilung wurde 1947 e<strong>in</strong>gerichtet 93 . Als ihr Leiter fungierte <strong>in</strong><br />
dieser Zeit der neue Dirigent des S<strong>in</strong>fonieorchesters, Dr. Karl Koslik. In e<strong>in</strong>em<br />
Memorandum vom 27. November 1947 bat er darum, daß "die Gesamtdisposition<br />
des musikalischen Programms <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Hand gelegt wird, so daß e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der<br />
Programmgestaltung auf längere Sicht e<strong>in</strong>e klare Gliederung und große L<strong>in</strong>ie<br />
erreicht wird, andererseits die Pläne e<strong>in</strong>zelner Sparten aufe<strong>in</strong>ander abgestimmt,<br />
Überschneidungen und Wiederholungen vermieden werden können." Neben<br />
e<strong>in</strong>em Programmdisponenten und e<strong>in</strong>em Tonmeister nannte er e<strong>in</strong>en Redakteur<br />
für den Bereich Kammermusik als vordr<strong>in</strong>glich. Er selbst wollte sich auf die<br />
Betreuung des Orchesters beschränken, die verantwortliche Leitung der<br />
Programmabteilung wie bei den Sendern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und Baden- Baden e<strong>in</strong>em<br />
weiteren Mitarbeiter anvertrauen. Schließlich wurde dann folgende Lösung<br />
gefunden: Mit Hans Müller- Kray (1908- 1969) kam am 15. August 1948 e<strong>in</strong><br />
verantwortlicher Leiter der Musikabteilung und Nachfolger von Koslik <strong>in</strong>s Haus,<br />
der e<strong>in</strong>erseits selbst Dirigent war und das Orchester betreute, immer wieder<br />
hervorragende Solisten und Gastdirigenten verpflichtete, andererseits hatte er<br />
aber auch die Programmgestaltung im Blick. Mit He<strong>in</strong>rich Burkardt, e<strong>in</strong>em der<br />
Senioren der deutschen <strong>Rundfunk</strong>arbeit, stand Hans Müller- Kray e<strong>in</strong> kundiger<br />
musikalischer Programmleiter zur Seite 94 .<br />
Nachdem Dr. Fritz Ermarth am 7. November 1947 als Intendant zurückgetreten<br />
und als Mitarbeiter von Radio <strong>Stuttgart</strong> ausgeschieden war, wurde nach mehr als<br />
halbjähriger Vakanz am 22. Juli 1948 die deutsche Leitung von Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
Erich Rossmann übertragen, dem Generalsekretär des Süddeutschen Länderrats,<br />
e<strong>in</strong>er Versammlung der Regierungen aller Länder <strong>in</strong> der amerikanischen<br />
Besatzungszone. Er trat se<strong>in</strong> Amt allerd<strong>in</strong>gs erst am 1. Oktober 1948 an und war<br />
dann auch noch längere Zeit wegen Krankheit abwesend. Erich Rossmann führte<br />
die Amtsgeschäfte der <strong>Rundfunk</strong>station, die allmählich immer unabhängiger von<br />
93 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 12.<br />
94 Notiz an Mr. Taylor, Mr. Chevalier und Dr. Kehm vom 27. 11. 1947, <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische<br />
Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2353. Zur Berufung von Müller- Kray siehe verschiedene<br />
Unterlagen <strong>in</strong> SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2354 (1, 2- 1).<br />
79
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amerikanischem E<strong>in</strong>fluß arbeitete, bis zum 31. August 1949. Am 1. September<br />
übernahm Dr. Fritz Eberhard das Amt des Intendanten des Süddeutschen<br />
<strong>Rundfunk</strong>s, <strong>in</strong> das ihn die neu formierten deutschen Aufsichtsgremien gewählt<br />
hatten.<br />
Erich Rossmann (1884 – 1950), SPD-Funktionär und seit 1905 für Parteiblätter<br />
journalistisch tätig, hatte <strong>in</strong> der Weimarer Zeit als Landesvorsitzender der SPD <strong>in</strong><br />
Württemberg amtiert und war württembergischer Landtags- und<br />
Reichstagsabgeordneter gewesen. Während der NS-Zeit hatte er unter<br />
Repressalien zu leiden. Nach dem Krieg wurde er zum Generalsekretär des<br />
Süddeutschen Länderrats ernannt. Erich Rossmann hatte sich nicht zum Amt des<br />
Intendanten von Radio <strong>Stuttgart</strong> gedrängt. Bald wurde er auch <strong>in</strong> der Presse<br />
attackiert, weil er e<strong>in</strong>ige wenige Mitarbeiter se<strong>in</strong>er vorherigen, mittlerweile<br />
aufgelösten Dienststelle mit zu Radio <strong>Stuttgart</strong> brachte, was ihm den Vorwurf der<br />
unsachgemäßen Stellenvermehrung e<strong>in</strong>trug. Auch nach <strong>in</strong>nen war se<strong>in</strong>e Stellung<br />
nicht gefestigt: Wegen häufiger Abwesenheit bed<strong>in</strong>gt durch se<strong>in</strong>en schlechten<br />
Gesundheitszustand konnte er sich gegen Intrigen und Attacken nicht immer<br />
ausreichend zur Wehr setzen. Die lange Vakanz nach Ermarths Rücktritt,<br />
Rossmanns schwierige persönliche Situation und se<strong>in</strong>e mangelnde<br />
Programmerfahrung hatten sicher gleichfalls Anteil daran, daß Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
zwar e<strong>in</strong> funktionierender <strong>Rundfunk</strong>sender war, jedoch im Vergleich zu anderen<br />
<strong>Rundfunk</strong>stationen der Westzonen – wie oben schon e<strong>in</strong>mal festgestellt – e<strong>in</strong><br />
besonders ausgeprägtes Profil im Programmangebot vermissen ließ.<br />
Verwaltungserfahrung bewies Erich Rossmann jedoch dadurch, daß er die<br />
organisatorische Gliederung und Führungsstruktur des <strong>Stuttgart</strong>er Senders weiter<br />
ausbaute und vervollständigte. Am 1. Januar 1949 ernannte er den erst<br />
28jährigen Sendeleiter Dr. Peter Kehm zum Programmdirektor und<br />
stellvertretenden Intendanten, am 25. Januar den Zeitungsjournalisten Hans<br />
Küffner zum Chefredakteur und Leiter der Abteilung Politik und Zeitgeschehen.<br />
Friedrich Müller (geb. 1906), mit Rossmann vom Länderrat zu Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
80
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übergewechselt, war bereits am 1. September 1948 zum Verwaltungsleiter von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> bestimmt worden, am 1. Januar 1949 wurde er zum<br />
Verwaltungsdirektor bestellt. Seit Juni 1948 war Rechtsanwalt Herbert Falck <strong>in</strong><br />
Rechtsangelegenheiten für Radio <strong>Stuttgart</strong> tätig. Am 1. März 1949 trat noch unter<br />
amerikanischer Oberleitung der spätere langjährige Justitiar des Süddeutschen<br />
<strong>Rundfunk</strong>s, Karl Neufischer, se<strong>in</strong>en Dienst bei Radio <strong>Stuttgart</strong> an. Adm<strong>in</strong>istrative<br />
Fähigkeiten bewies Erich Rossmann auch dadurch, daß er bereits für 1948 e<strong>in</strong>en<br />
ordentlichen Haushaltsplan aufstellen ließ. Damit lebte Radio <strong>Stuttgart</strong> als e<strong>in</strong>e<br />
der ersten <strong>Rundfunk</strong>stationen <strong>in</strong> der Nachkriegszeit f<strong>in</strong>anziell nicht mehr nur von<br />
der Hand <strong>in</strong> den Mund, sondern E<strong>in</strong>nahmen und Ausgaben wurden genau<br />
veranschlagt 95 .<br />
Kurz vor der Übergabe der <strong>Rundfunk</strong>station <strong>in</strong> deutsche Hände hatte sich auch<br />
die <strong>in</strong>nere Verfassung von Radio <strong>Stuttgart</strong> weiter stabilisiert, was an e<strong>in</strong>er<br />
klareren Gliederung der Organisationsstruktur abgelesen werden kann: Neben<br />
der Intendanz gab es jetzt die "Gruppe Sendung" (Programmdirektion) mit den<br />
Abteilungen Politik und Zeitgeschehen, Kulturelles Wort, Künstlerisches Wort<br />
(Hörspiel und Literatur), Unterhaltung, Musik, Produktion sowie e<strong>in</strong>igen kle<strong>in</strong>eren<br />
Referaten wie Schallarchiv und Bibliothek. Die Technik teilte sich auf <strong>in</strong> drei<br />
zentrale Bereiche: technische Betriebsaufsicht und Schallaufnahme,<br />
Betriebsüberwachung (Meßtechnik) sowie e<strong>in</strong>e Konstruktions- und<br />
Hochfrequenzabteilung, die sich dem Aufbau der UKW- Technik widmete. Als<br />
selbständiger Bereich wurde der Sender Mühlacker im Organisationsplan geführt.<br />
Für Rechnungswesen und Hilfsdienste waren mehrere Abteilungen unter dem<br />
Verwaltungsdirektor zuständig. Als Außenstellen gab es bereits neben dem<br />
Sender Mühlacker die beiden badischen Sendestellen Heidelberg und Karlsruhe<br />
(s. u. S. 123). Im übrigen belegen schon die Mitarbeiterzahlen von Radio <strong>Stuttgart</strong><br />
die stete Vergrößerung der Station und ihre organisatorische Konsolidierung:<br />
95 Zur Ernennung von Müller und se<strong>in</strong>er Aufgabe, "die Aufstellung e<strong>in</strong>es Haushaltsplans zu<br />
vollziehen" siehe Rundschreiben Nr. 1 des Intendanten Rossmann vom 1. 9. 1948, <strong>in</strong>: SDR/HA,<br />
Verwaltungsdirektion (St. Nr. 40/9745) Siehe auch Pressekonferenz des Intendanten am 20. 6.<br />
1949, Protokoll, <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 5050 sowie<br />
"Mannheimer Morgen" vom 7. 6. 1949. Zur Ernennung des Justitiars Schreiben vom 1. 3. 1949<br />
<strong>in</strong>: SDR/HA, Verwaltungsdirektion (St. Nr. 40/9761).<br />
81
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Anfang Dezember 1948 hatte Radio <strong>Stuttgart</strong> 635 Mitarbeiter, bei Übergabe <strong>in</strong><br />
deutsche Hände schließlich 660; e<strong>in</strong>e Verdoppelung gegenüber der Zahl <strong>in</strong> der<br />
Zeit des nationalsozialistischen Reichssenders 96 .<br />
Die Fertigstellung der ersten Studios im Herbst 1945 war für die Gruppe der<br />
Ingenieure um Alexander Berger, nur der Anfang ihrer vielfältigen Tätigkeit. Es<br />
mußten sogleich viele technische Unzulänglichkeiten des ersten Bauabschnitts<br />
behoben und für E<strong>in</strong>richtungen, die bisher nur behelfsmäßig arbeiteten,<br />
dauerhafte Lösungen gefunden werden. Auch die Übertragungswagen konnten<br />
nicht e<strong>in</strong>fach gekauft, sondern mußten eigens gebaut werden, <strong>in</strong> der Zeit<br />
allgeme<strong>in</strong>en Mangels an Material e<strong>in</strong> schwieriges Unterfangen. Der erste Ü-<br />
Wagen wurde im Herbst 1946 <strong>in</strong> Dienst gestellt und war – wie der Behelfs-<br />
Übertragungswagen noch von der öffentlichen Stromversorgung abhängig. Der<br />
zweite, wesentlich größere Ü- Wagen wurde erst im April 1948 fertig: Er führte <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Anhänger die eigene Stromversorgung mit. Zuvor hatte e<strong>in</strong> damals ja gar<br />
nicht so seltener Netzausfall gelegentlich am Aufnahmeort bewirkt, daß<br />
Aufnahme- und Übertragungsterm<strong>in</strong>e nach entsprechend aufwendigen<br />
Vorbereitungen platzten. E<strong>in</strong> dritter Ü- Wagen wurde zur Zeit der Übergabe von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> deutsche Hände noch gebaut, konnte aber bald danach <strong>in</strong><br />
Betrieb genommen werden 97 .<br />
Neben dem E<strong>in</strong>bau der technischen Installationen im Sommer 1946 <strong>in</strong> Heidelberg<br />
und im W<strong>in</strong>ter 1947/48 <strong>in</strong> Karlsruhe – den beiden badischen Außenstellen von<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong>, über deren E<strong>in</strong>richtung im folgenden Kapitel ausführlicher zu<br />
berichten ist wurden bis Juni 1947 im <strong>Stuttgart</strong>er Funkhaus zwei weitere<br />
Aufnahme- bzw. Senderäume fertiggestellt: e<strong>in</strong>er für Aufzeichnungen von<br />
Kammermusik und e<strong>in</strong>er für Hörspielproduktionen mit entsprechenden<br />
E<strong>in</strong>richtungen zur Veränderung der Akustik; vor allem die Holzwalzen an den<br />
Wänden verliehen dem Studio den Charakter e<strong>in</strong>er Säulenhalle. Drei weitere<br />
96 Abteilungsverzeichnis von Radio <strong>Stuttgart</strong> vom 15. 4. 1949, Nachlaß Eberhard, IfZ – ED 11 7/Bd.<br />
57.<br />
97 Verschiedene Schreiben und Notizen <strong>in</strong> SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr.<br />
2358 (H).<br />
82
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Schallaufnahmen wurden darüber h<strong>in</strong>aus bis Mitte 1949 im Funkhaus<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. Außerhalb des Sendergebäudes <strong>in</strong> der Neckarstraße fand man 1947<br />
im Saal des Gasthauses "Krone" <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>- Untertürkheim e<strong>in</strong>en halbwegs<br />
brauchbaren Aufnahme- und Sendesaal für das große Orchester, das vorher <strong>in</strong><br />
mehreren sehr unzulänglichen Räumen, darunter dem Foyer des K<strong>in</strong>os<br />
"Hollywood", geprobt und öffentliche Aufführungen veranstaltet hatte. Mit der<br />
"Krone" waren auch die Voraussetzungen für Orig<strong>in</strong>alübertragungen von<br />
S<strong>in</strong>foniekonzerten und Opern geschaffen, die bis dah<strong>in</strong> im wesentlichen <strong>in</strong><br />
Direktsendungen aus dem Württembergischen Staatstheater bestanden 98 .<br />
Alle diese Investitionen wie auch die laufenden Programmkosten mußten von der<br />
<strong>Rundfunk</strong>station mit den 55 Prozent der <strong>Rundfunk</strong>gebühren von zwei Mark pro<br />
Gerät im Monat bestritten werden, die Radio <strong>Stuttgart</strong> bis zur Währungsreform<br />
zustanden. Danach erhöhte sich der Anteil auf 75 Prozent und am 1. März 1949<br />
auf 80,7 Prozent. Dieser Anteil galt rückwirkend seit dem 20. Juni 1948, seit der<br />
Währungsreform, so daß die Post noch für acht Monate den Differenzbetrag an<br />
Radio <strong>Stuttgart</strong> erstatten mußte.<br />
Um die F<strong>in</strong>anzsituation von Radio <strong>Stuttgart</strong> richtig beurteilen zu können, muß<br />
man berücksichtigen, daß durch die Grenzziehung der Besatzungszonen e<strong>in</strong> Teil<br />
der früheren E<strong>in</strong>nahmen entfallen war, weil der südliche Teil Württembergs und<br />
damit früheres Gebührene<strong>in</strong>zugsgebiet des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> nun zur<br />
französischen Zone gehörte. Zwar verdoppelte sich be<strong>in</strong>ahe die Zahl der<br />
angemeldeten Apparate von 1945/46 mit 346000 auf 594893 am 1. Mai 1949,<br />
doch blieb man damit immer noch erheblich unter der Zahl von ca. 1,1 Millionen<br />
gebührenpflichtiger Empfänger im Gebiet des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong> zu Beg<strong>in</strong>n<br />
der Vierziger Jahre auf dem Höhepunkt der <strong>Rundfunk</strong>dichte. Radio <strong>Stuttgart</strong> war<br />
damit <strong>in</strong> den Westzonen nach Bremen die <strong>Rundfunk</strong>station mit den ger<strong>in</strong>gsten<br />
<strong>Rundfunk</strong>teilnehmern. Im Vergleich dazu hatte am 1. Mai 1949 der<br />
Nordwestdeutsche <strong>Rundfunk</strong> (NWDR) 3,7 Millionen, der Bayerische <strong>Rundfunk</strong> (BR)<br />
98 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 7 f.<br />
83
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1,4 Millionen zahlende Teilnehmer 99 . Der Sendeleiter von Radio <strong>Stuttgart</strong>, Dr.<br />
Peter Kehm, hat 1948 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Memorandum die Auswirkungen der<br />
F<strong>in</strong>anzprobleme auf den Programmetat und damit auch auf die Höhe von<br />
Honorare, die Radio <strong>Stuttgart</strong> im Vergleich zu den anderen <strong>Rundfunk</strong>stationen zu<br />
zahlen <strong>in</strong> der Lage war, ausführlich beschrieben 100 .<br />
Auch diese f<strong>in</strong>anziellen Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen müssen berücksichtigt werden,<br />
wenn man die Programmqualität von Radio <strong>Stuttgart</strong> zu beurteilen versucht.<br />
Quantitativ gesehen lagen schon 1948 alle Sender ungefähr gleichauf mit e<strong>in</strong>em<br />
Angebot von ca. 16 bis 18 Stunden pro Tag. Aber es gab große Unterschiede bei<br />
den Mitteln, die für Honorare zur Verfügung standen. Radio <strong>Stuttgart</strong> mußte hier<br />
bescheidener se<strong>in</strong>: Das wirkte sich nicht nur auf die Möglichkeiten aus, neue<br />
Sendereihen zu planen und zu f<strong>in</strong>anzieren oder neue Sendeformen mit<br />
aufwendiger Technik auszuprobieren, auch Autoren von Rang waren spätestens<br />
nach der Währungsreform unter diesen Umständen sehr viel schwerer zu<br />
bekommen, da sie bei anderen Sendern mehr verdienen konnten.<br />
Sendestellen Heidelberg und Karlsruhe<br />
Schon zur Zeit der Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> AG und des Reichssenders <strong>Stuttgart</strong><br />
hatte der nordbadische Bereich – von e<strong>in</strong>er kurzen Episode 1933/34 abgesehen –<br />
zum Versorgungsgebiet der <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>gesellschaft gehört. Die ersten<br />
15 Jahre, also vom Programmbeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> im Mai 1924 bis zur<br />
weitgehenden Zentralisierung des <strong>Rundfunk</strong>programms bei Kriegsanfang 1939,<br />
waren angefüllt mit Klagen der badischen Region über e<strong>in</strong>e mangelnde<br />
Repräsentanz im <strong>Stuttgart</strong>er Programm, obwohl 1925/26 Besprechungsstellen <strong>in</strong><br />
Freiburg, Mannheim und Karlsruhe e<strong>in</strong>gerichtet worden waren.<br />
99 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, ebd.<br />
100 Memorandum vom 13. 1. 1948 <strong>in</strong> SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2357<br />
(H).<br />
84
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Da Baden und Württemberg durch die Grenze von amerikanischer und<br />
französischer Besatzungszone <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e nördliche und e<strong>in</strong>e südliche Hälfte<br />
zerschnitten worden waren, gehörte der nordbadische Raum wieder zum<br />
Sendegebiet der <strong>Stuttgart</strong>er <strong>Rundfunk</strong>station. Schon Ende 1945 unternahmen<br />
badische Politiker und Repräsentanten des öffentlichen Lebens erste Anläufe,<br />
ihren Landesteil im Programm von Radio <strong>Stuttgart</strong> angemessen vertreten zu<br />
sehen. Sie versuchten <strong>in</strong>sbesondere, die früher vorhandenen Nebenstellen wieder<br />
zu reaktivieren. Da Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsmonaten, wie schon<br />
erwähnt, zwangsläufig als <strong>Stuttgart</strong>er Lokalsender fungierte, hatten sich die Hörer<br />
aus Baden an die Verantwortlichen gewandt und darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dies könne<br />
nicht so bleiben und die neue <strong>Rundfunk</strong>station könne sich nicht auf Württemberg<br />
alle<strong>in</strong> beschränken.<br />
Bereits um die Jahreswende 1945/46 fanden erste Gespräche statt; Mart<strong>in</strong> vom<br />
Bruch fuhr auf E<strong>in</strong>ladung des Kulturreferenten für das "Land Baden", He<strong>in</strong>rich<br />
Köhler- Helfferich, – gewisse Zuständigkeiten <strong>in</strong> der Verwaltung waren <strong>in</strong> der<br />
Anfangsphase den alten Landesteilen noch verblieben – nach Heidelberg. Die<br />
Herren der Stadtverwaltung zeigten sich erfreut, daß des öfteren badische<br />
Persönlichkeiten im Programm "Echo des Tages" berücksichtigt worden seien, und<br />
man erörterte, wie <strong>in</strong> Zukunft die Region wieder stärker <strong>in</strong> die <strong>Rundfunk</strong>arbeit<br />
e<strong>in</strong>bezogen werden könne. Es bestand bald E<strong>in</strong>igkeit darüber, e<strong>in</strong>e badische<br />
Sendestelle sollte nicht <strong>in</strong> den stark zerstörten Städten Karlsruhe und Mannheim,<br />
sondern angesichts günstiger Voraussetzungen <strong>in</strong> Heidelberg errichtet werden.<br />
Die Stadt Heidelberg wollte auch e<strong>in</strong> Haus dafür bereitstellen. H<strong>in</strong>gewiesen wurde<br />
auch darauf, das Postfernkabel 17a zwischen Heidelberg und <strong>Stuttgart</strong> sei <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em Kern "pup<strong>in</strong>isiert", d.h. mit speziellen E<strong>in</strong>richtungen zur Verbesserung der<br />
Übertragungsqualität versehen, und daher für musikalische Übertragungen<br />
geeignet. Außerdem könne vermutet werden, daß es <strong>in</strong> badischen<br />
Postdienststellen noch brauchbares technisches Gerät gebe 101 .<br />
101 SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2363 (3), o. D.<br />
85
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Nachdem mehrere ehemalige studentische Verb<strong>in</strong>dungshäuser nicht als neue<br />
<strong>Rundfunk</strong>dependance <strong>in</strong> Baden <strong>in</strong> Betracht kamen, schlug die badische<br />
Landesverwaltung das Hotel "Pr<strong>in</strong>z Max" als Sitz der Sendestelle vor, obwohl die<br />
Heidelberger Kammerspiele bereits mit Umbauarbeiten <strong>in</strong> dem ziemlich<br />
verwahrlosten Gebäude begonnen hatten. Da die Bühne <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzielle<br />
Schwierigkeiten geraten war, konnte das Haus für die geplante badische<br />
Sendestelle übernommen werden. Es war nicht leicht, die von der amerikanischen<br />
Armee okkupierten Leitungen zwischen <strong>Stuttgart</strong> und Heidelberg für<br />
<strong>Rundfunk</strong>zwecke frei zu bekommen. Ebenso war es nicht e<strong>in</strong>fach, im technischen<br />
Bereich, der <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong> und Mühlacker stark <strong>in</strong> den Wiederaufbau e<strong>in</strong>gebunden<br />
war, Material und Personal für den E<strong>in</strong>bau der dr<strong>in</strong>gendsten funktechnischen<br />
Installationen abzuzweigen. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Studio zum Übertragen von Wort- und<br />
Schallplattensendungen war zum 14. September 1946 im dritten Stock des<br />
Gebäudes fertiggestellt; aber um den qualitativen Standard der <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Produktionen zu erreichen, sollte erst am 29. September mit den Überspielungen<br />
begonnen werden. Das erste Heidelberger Studio verfügte anfangs über<br />
E<strong>in</strong>richtungen, die nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em Funkbastler zur Ehre gereicht hätten.<br />
Außer e<strong>in</strong>em Mikrofon, e<strong>in</strong>igen Schaltern, zwei Schallplattenspielern, e<strong>in</strong>em<br />
Verstärker, zwei Trommeln Kabel, e<strong>in</strong>er Kiste Ersatzmaterial und e<strong>in</strong> paar Decken,<br />
um die Wände akustisch herzurichten, "war zunächst nichts da als der gute Wille".<br />
Die ersten Mitarbeiter – e<strong>in</strong> Techniker, e<strong>in</strong> Sprecher, e<strong>in</strong>e Telefonist<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e<br />
Kassierer<strong>in</strong> – stellten aus ihrem persönlichen Besitz Büromöbel und sogar e<strong>in</strong>en<br />
Flügel zur Verfügung 102 .<br />
An der mit musikalischen Beiträgen umrahmten feierlichen Eröffnung der<br />
badischen Sendestelle <strong>in</strong> Heidelberg am 14. September 1946 nahm auch der<br />
amerikanische Militärgouverneur von Württemberg- Baden, Oberst Dawson, teil. In<br />
se<strong>in</strong>er Ansprache verwies der stellvertretende M<strong>in</strong>isterpräsident und wichtigster<br />
Vertreter Badens <strong>in</strong> der Regierung des Landes Württemberg- Baden, He<strong>in</strong>rich<br />
Köhler, auf die ambivalente Funktion des <strong>Rundfunk</strong>s als Propaganda<strong>in</strong>strument<br />
102 Aus e<strong>in</strong>er undatierten (1946 ?) "Geschichte der Sendestelle Heidelberg", SDR/HA, Historische<br />
Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2363 (3).<br />
86
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und als Kulturvermittler und Repräsentant der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung. Der Leiter<br />
von Radio <strong>Stuttgart</strong>, Fred G. Taylor, machte noch e<strong>in</strong>mal deutlich, daß bei dieser<br />
Station bisher nur der württembergische Landesteil habe zu Wort kommen<br />
können, was sich nun durch die Eröffnung der badischen Sendestelle ändern<br />
werde. Nach diesem Festakt fand im Heidelberger Stadttheater e<strong>in</strong> bunter<br />
Nachmittag statt, für den wegen großer Nachfrage Karten sogar am schwarzen<br />
Markt gehandelt wurden. Nach Operettenmusik und Chansons kamen auch<br />
pfälzische Heimatkünstler auf die Bühne, Conferencier war allerd<strong>in</strong>gs der<br />
Schwabe Albert Hofele. Sogar schwungvoller Jazz wurde von e<strong>in</strong>er Tanzkapelle<br />
geboten, die dafür sorgte, "daß Rhythmus und Bewegung <strong>in</strong> die Zuschauermenge<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebracht wurden" 103 .<br />
In den ersten knapp drei Monaten ihres Bestehens leitete He<strong>in</strong>rich Köhler-<br />
Helffrich, der auch Intendant der Städtischen Bühnen Heidelbergs war, die<br />
Sendestelle nebenamtlich. Doch schon bald wurde diese Übergangslösung durch<br />
die Ernennung von Gerhard Schäke, Mitarbeiter für literarische Programme <strong>in</strong><br />
<strong>Stuttgart</strong>, zum Sendestellenleiter aufgegeben. Bei der konkreten Programmarbeit,<br />
bei der Heidelberg bis zur Eröffnung e<strong>in</strong>er weiteren Sendestelle <strong>in</strong> Karlsruhe den<br />
ganzen nordbadischen Raum zu betreuen hatte, spielten regionale Belange eher<br />
e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Das seit dem 13. September 1946 anfänglich nur<br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Woche ausgestrahlte "Echo aus Baden" – seit dem 1. Februar 1948<br />
dann täglich mittags um 13.00 Uhr e<strong>in</strong>e Viertelstunde – wurde natürlich <strong>in</strong><br />
Heidelberg zusammengestellt. Daneben konnten jetzt auch regional bezogene<br />
Beiträge für die verschiedenen aktuellen Sendeplätze von Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong><br />
Heidelberg hergestellt, nach <strong>Stuttgart</strong> überspielt und problemlos e<strong>in</strong>gesetzt<br />
werden.<br />
Neue Sendereihen, die die Sendestelle Heidelberg redaktionell betreute und<br />
produzierte, wurden erst aufgenommen, als neben dem vorhandenen<br />
Aufnahmeraum Übertragung musikalischer Darbietungen im Dezember 1946 e<strong>in</strong><br />
103 Siehe die <strong>in</strong> der vorhergehenden Anm. genannte "Geschichte der Sendestelle Heidelberg" sowie<br />
die <strong>in</strong> SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2363 (3) verwahrten Reden der<br />
Eröffnungsfeier.<br />
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zweiter Studioraum zur Verfügung stand. "Aus der Weltliteratur", "Für den<br />
Bücherfreund", "Die Universitätsstunde" – <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von Professoren der<br />
Universität Heidelberg gestaltet - , diese Reihen kamen danach aus Heidelberg.<br />
Auch die Redaktion und Produktion der Sendereihe: Aus Kunst und Wissenschaft"<br />
wurden von <strong>Stuttgart</strong> dorth<strong>in</strong> verlegt. Noch weitere Sendungen – so seit dem 29.<br />
September 1946 die unterhaltende Musikstunde "Morgenstund' hat Gold im<br />
Mund" und solche mit ernster Musik – wurden <strong>in</strong> Heidelberg produziert und für<br />
das Programm von Radio <strong>Stuttgart</strong> bereitgestellt.<br />
E<strong>in</strong>es muß festgehalten werden: E<strong>in</strong>em großen Teil der <strong>in</strong> Heidelberg<br />
produzierten Wort- und Musiksendungen fehlte <strong>in</strong>haltlich der regionale Bezug.<br />
Das entsprach dem damaligem Verständnis der Aufgaben von Sende- bzw.<br />
Außenstellen: Sie sollten den Orchestern, Künstlern und Wissenschaftlern e<strong>in</strong>er<br />
Region, e<strong>in</strong>es Landesteils die Mitwirkung im Programm ermöglichen. Andererseits<br />
wurde zweifellos die "Durchdr<strong>in</strong>gung" der Region für die aktuelle<br />
Berichterstattung durch die Außenstellen wesentlich erleichtert. Die Verbreitung<br />
von Heimatsendungen, gar noch mundartlich gefärbten, sah man h<strong>in</strong>gegen als<br />
eher zweitrangig an. Diese E<strong>in</strong>schätzung entsprach allerd<strong>in</strong>gs nicht immer den<br />
Bedürfnissen des Publikums. E<strong>in</strong> Beitrag des "Funkkurier" – e<strong>in</strong>es Pressedienstes<br />
von Radio <strong>Stuttgart</strong> mit Programm<strong>in</strong>formationen und anderen die Öffentlichkeit<br />
<strong>in</strong>teressierenden Mitteilungen aus dem Innenleben des Funkhauses - , dieser<br />
Artikel vom 27. August 1947 glaubte Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht<br />
rechtfertigen zu müssen: "Der Vorwurf, daß die Sendestelle Heidelberg noch nicht<br />
so 'badisch' wie Radio <strong>Stuttgart</strong> 'schwäbisch' sei, wird durch Sendungen wie 'Aus<br />
der badischen Heimat' und 'Echo aus Baden' entkräftet" 104 .<br />
Der lange harte W<strong>in</strong>ter 1946/47 verh<strong>in</strong>derte, manche Vorhaben zu verwirklichen<br />
und auch die Zahl der Beiträge der Sendestelle zu vermehren. Die unmittelbaren<br />
Auswirkungen der außergewöhnlichen Kältewelle erschwerten die<br />
Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen beträchtlich: So mußte vor jeder Sendung die Tastatur des<br />
Flügels mit elektrischen Heizöfen angestrahlt werden. Im Frühjahr 1947 begann<br />
104 "Funkkurier", Nr. 27/1947, 27. 8. 1947.<br />
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man dann <strong>in</strong> Heidelberg die schon seit dem Sommer 1946 fertigen Umbaupläne<br />
Stück für Stück zu realisieren. Der alte, verwahrloste Bürgersaal im Hotel "Pr<strong>in</strong>z<br />
Max" wurde umgebaut; er bekam neue Innenwände, e<strong>in</strong> neues Dach und diente<br />
später als Sendesaal. Die ganze <strong>in</strong>nere Struktur des Gebäudes wurde<br />
entsprechend den neuen Bedürfnissen umgestaltet: Nach und nach konnte neues<br />
oder besseres technisches Gerät sowie e<strong>in</strong> Übertragungswagen beschafft werden.<br />
Schon bald nach der Übergabe von Radio <strong>Stuttgart</strong> am 22. Juli 1949 <strong>in</strong> deutsche<br />
Hände wurde am 25. September 1949 die völlig umgebaute Sendestelle feierlich<br />
eröffnet und <strong>in</strong> Sendestelle Heidelberg- Mannheim unbenannt 105 .<br />
Angestoßen durch e<strong>in</strong>e Aufforderung von Radio <strong>Stuttgart</strong>, die Karlsruher<br />
Stadtverwaltung solle "sich des <strong>Rundfunk</strong>s zu bedienen", gab Hermann Veit, der<br />
Oberbürgermeister der Stadt und spätere F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister des neugeschaffenen<br />
Bundeslandes Baden- Württemberg, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief vom 18. Dezember 1945 die<br />
Anregung, <strong>in</strong> Karlsruhe wieder e<strong>in</strong>e Besprechungsstelle zu errichten, wie sie<br />
schon zwischen 1926 und 1939 bestanden hatte: "Die Räume <strong>in</strong> der ehemaligen<br />
Hofküche (d. i. der Sitz der Besprechungsstelle) an der Ritterstraße s<strong>in</strong>d leider<br />
zerstört. Ich werde aber alles tun, um Ersatz zu schaffen." Veit wies darauf h<strong>in</strong>,<br />
daß es nicht nur um die Übertragung repräsentativer Anlässe gehe. Vielmehr<br />
habe der <strong>Rundfunk</strong> habe <strong>in</strong> den Zwanziger und Dreißiger Jahren "<strong>in</strong>'s volle<br />
Menschenleben h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gegriffen" und könne dies auch <strong>in</strong> Zukunft tun. Damit<br />
drückte er den Wunsch nach verstärkter regionaler Information im<br />
Radioprogramm aus. Wenn sich die <strong>Stuttgart</strong>er Station dieser Aufgabe nicht<br />
unterziehen wolle, so könnte der <strong>in</strong> Baden zu errichtende Sender – geme<strong>in</strong>t war<br />
der im Aufbau bef<strong>in</strong>dliche Südwestfunk, die zentrale Sendeanstalt für die<br />
französische Zone – die Vertretung dieser Belange an sich ziehen. E<strong>in</strong>e taktisch<br />
nicht ungeschickte Drohung.<br />
Oberbürgermeister Hermann Veit hob des weiteren das <strong>in</strong>zwischen bereits wieder<br />
rege kulturelle Leben <strong>in</strong> Karlsruhe und den Aufbruch vielfältiger Aktivitäten im<br />
105 Bericht über die Umbauarbeiten <strong>in</strong> dem aus Anlaß der Eröffnung der neuen Studios der<br />
Sendestelle Heidelberg am 23.9.2949 herausgegebenen Prospekt, <strong>in</strong>: SDR/HA, Historische<br />
Dokumentation 1945- 1949, Nr. 2363 (3).<br />
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Umfeld der Kirchen und bei der Jugendarbeit hervor: "Schon e<strong>in</strong> Gang durch die<br />
Straßen der Stadt und vor allem e<strong>in</strong> Blick auf die Plakatsäulen zeigt bei<br />
unverkennbarer Bescheidenheit und Armut der Verhältnisse e<strong>in</strong>en erfreulichen<br />
Querschnitt durch die überall sichtbaren, strebend sich bemühenden Kräfte.<br />
Infolge des Nichtbestehens e<strong>in</strong>er Tageszeitung fehlt es sehr an e<strong>in</strong>em geeigneten<br />
Sprachrohr für die vielfältige Aufbauarbeit. E<strong>in</strong> Besprechungsraum des <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Senders könnte diese Lücke <strong>in</strong> willkommener Weise ausfüllen" 106 .<br />
Kurze Zeit mußten sich die Karlsruher noch mit der Berichterstattung im "Echo<br />
des Tages" begnügen. Am 29. Dezember 1945 gab es erstmals "Nachrichten aus<br />
Karlsruhe"; am 3. Januar 1946 wurde e<strong>in</strong>e Ansprache des Oberbürgermeisters<br />
Veit ausgestrahlt, am 19. Februar e<strong>in</strong> Bericht über die Eröffnung der Technischen<br />
Hochschule, am 26. April e<strong>in</strong>en Beitrag über den gerade e<strong>in</strong>gesetzten<br />
Rechnungshof des Landes Württemberg- Baden <strong>in</strong> der ehemaligen badischen<br />
Landeshauptstadt. Die Zeitfunksendung "Echo der Zeit" brachte seit August 1946<br />
weitere Informationen und Berichte aus Karlsruhe, und e<strong>in</strong>en Monat danach gab<br />
das "Echo aus Baden" regelmäßig von Ereignissen <strong>in</strong> Baden und damit auch aus<br />
Karlsruhe Kenntnis, aber immer noch vermittelt durch die badische Sendestelle<br />
Heidelberg 107 .<br />
Der Nachrichtenfluß <strong>in</strong> Richtung <strong>Stuttgart</strong> wurde gesichert durch e<strong>in</strong>e<br />
"Interessen- bzw. Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Karlsruher <strong>Rundfunk</strong>hörer", deren Leitung<br />
beim städtischen Nachrichtenamt lag. Die damit verbundene Hoffnung, daß<br />
möglichst rasch e<strong>in</strong>e Sendestelle <strong>in</strong> Karlsruhe gegründet würde, konnte aber<br />
1946 noch nicht <strong>in</strong> Erfüllung gehen, da sich alle Überlegungen und Investitionen<br />
auf Heidelberg konzentrierten. Zudem waren <strong>in</strong> Karlsruhe auch ke<strong>in</strong>e geeigneten<br />
Räumlichkeiten zu f<strong>in</strong>den. Die gelegentlichen Aufnahmen <strong>in</strong> dieser Stadt stellten<br />
aber die Karlsruher nicht zufrieden 108 .<br />
106 SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 85, Nr. 2363 (2).<br />
107 SDR/HA Programmnachweise Hörfunk unter den angegebenen Daten.<br />
108 So e<strong>in</strong> Rückblick auf die Nachkriegszeit <strong>in</strong> den Badischen Neuesten Nachrichten vom 14. 5.<br />
1957.<br />
90
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Es mag auch an den besonderen Verb<strong>in</strong>dungen des neuen Intendanten von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> Fritz Ermarth gelegen haben, der ja aus der badischen Residenzstadt<br />
stammte, daß sich im Sommer 1947 die Überlegungen konkretisierten, <strong>in</strong><br />
Karlsruhe e<strong>in</strong>e Sendestelle zu eröffnen. In He<strong>in</strong>rich Wiedemann, verheiratet mit<br />
der Tochter des letzten badischen Staatspräsidenten, fand sich e<strong>in</strong> Karlsruher<br />
Journalist, dem im Herbst 1947 die Aufgabe übertragen werden konnte, e<strong>in</strong>e<br />
kle<strong>in</strong>e Sendestelle aufzubauen. Im Gartenhaus des zerstörten Palais Bürkl<strong>in</strong> an<br />
der Kriegsstraße wurden Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, die<br />
verhältnismäßig rasch auszubauen waren. Am 14. März 1948 109 konnte nach<br />
e<strong>in</strong>er Feierstunde die Sendestelle Karlsruhe ihren Betrieb aufnehmen, nachdem<br />
bereits zehn Tage zuvor die erste Sendung nach dem Kriege aus diesem Studio<br />
dem Programm von Radio <strong>Stuttgart</strong> beigesteuert worden war. Die vielfach<br />
erwähnte Verwendung des ehemaligen Badezimmers im Gartenhaus – ohne<br />
Badewanne jedoch – als Regieraum verdeutlicht jedoch, unter welch<br />
bescheidenen, improvisierten Bed<strong>in</strong>gungen der <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit<br />
auskommen mußte.<br />
So rasch die Verantwortlichen von Radio <strong>Stuttgart</strong> auch mit der Errichtung der<br />
badischen Sendestellen auf die Probleme reagierten, die im übrigen schon <strong>in</strong> der<br />
Zeit zwischen den beiden Weltkriegen vorhanden waren, zufrieden war man dort<br />
offensichtlich nicht, wie sich wiederholende kritische Presseäußerungen <strong>in</strong> Baden<br />
und Rechtfertigungen aus <strong>Stuttgart</strong> belegen. Zwar betrug der Anteil der<br />
Sendestellen am Gesamtprogramm zwischen zehn und zwölf Prozent, waren<br />
sogar manche "Morgenstunden" aus Heidelberg Sendungen <strong>in</strong> Kurpfälzisch, zwar<br />
gab es immerh<strong>in</strong> zehn Sendungen "Aus der badischen Heimat" pro Jahr- doch im<br />
Vergleich zu den über 40 Sendungen pro Jahr "Aus der schwäbischen Heimat"<br />
ersche<strong>in</strong>t dies allerd<strong>in</strong>gs wenig. He<strong>in</strong>rich Wiedemann hat darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß<br />
gerade im Bereich der Dialektsendungen ke<strong>in</strong> "badischer Albert Hofele" da<br />
gewesen sei, e<strong>in</strong>mal ganz abgesehen vom Fehlen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Mundart <strong>in</strong><br />
109 SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2363 (2) mit mehreren Dokumenten zur<br />
Übergabefeier.<br />
91
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Baden. Andererseits hat Wiedemann selbst mit se<strong>in</strong>en literarisch- kulturellen<br />
Sendungen allgeme<strong>in</strong>en Charakters nur bed<strong>in</strong>gt die Möglichkeiten e<strong>in</strong>es<br />
volkstümlichen Tons und e<strong>in</strong>er Identifikation für die breite Masse der Hörer<br />
geboten 110 .<br />
Der <strong>Rundfunk</strong>kritiker E. K. Fischer charakterisierte 1949 knapp und zutreffend <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Besprechung des Programms von Radio <strong>Stuttgart</strong> die Beiträge der badischen<br />
Sendestellen: "Die Nebensender (d. h. Sendestellen) könnten wertvolle<br />
Hilfestellung leisten, statt ihre Sendezeiten mit akademischen Vorträgen,<br />
mäßigen Mundartpoetastereien und neutralem Musikprogramm zu füllen" 111 . Aus<br />
heutiger Sicht ersche<strong>in</strong>t die Aufgabe der Regionalstudios weder von Seiten der<br />
Verantwortlichen im <strong>Rundfunk</strong> noch vor allem von Seiten der regionalen<br />
Interessenvertreter immer ausreichend bedacht worden se<strong>in</strong>. Sie hatten den<br />
hohen Prestigewert des <strong>Rundfunk</strong>s im Auge: Je häufiger die Region, die Stadt <strong>in</strong><br />
den Nachrichten oder sonst <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form von Mitwirkung im <strong>Rundfunk</strong><br />
genannt wurde, desto besser war dies. An publizistische und<br />
programmkonzeptionelle Überlegungen wurde dabei offensichtlich wenig<br />
gedacht. Andererseits erlaubten es damals vor allem die f<strong>in</strong>anziellen<br />
Möglichkeiten nicht, e<strong>in</strong>e technische Infrastruktur und Personal zur Verfügung zu<br />
stellen, um damit e<strong>in</strong> umfangreicheres und eigenständigeres Programm <strong>in</strong> den<br />
Außenstellen zu produzieren nach dem Motto: aus der Region und für die Region.<br />
Die ausreichende Betreuung des nordbadischen Sendegebiets sollte dem<br />
künftigen Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> noch manche Probleme und Schwierigkeiten<br />
bereiten.<br />
Seit 1947 e<strong>in</strong> Vollprogramm<br />
Vom Herbst 1946 bis zum Sommer 1947 wurden zahlreiche Sendungen<br />
e<strong>in</strong>gestellt, die die Amerikaner besonders favorisiert hatten oder von ihrer<br />
110 Gespräch mit dem ehemaligen Studioleiter <strong>in</strong> Karlsruhe He<strong>in</strong>rich Wiedemann am 25. 11. 1976,<br />
<strong>in</strong>: SDR/HA, Historische Dokumentation 1945- 1986, Nr. 2363 (2).<br />
111 <strong>Stuttgart</strong>er Nachrichten vom 28. 4. 1949.<br />
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"Reeducation"- Konzeption <strong>in</strong>spiriert waren. Damit bekam das Programmschema<br />
von Radio <strong>Stuttgart</strong> e<strong>in</strong> neues, wenn auch nicht völlig verändertes Gesicht. Der<br />
zeitliche Umfang der Ausstrahlungen dehnte sich dabei nur noch ger<strong>in</strong>gfügig<br />
aus. Im Januar 1947 lag der Sendebeg<strong>in</strong>n um 6.00 Uhr, Programmschluß waren<br />
jeden Tag um Mitternacht. Zu dieser Zeit gab es noch an den Vormittagen der<br />
Werktage je e<strong>in</strong>e Stunde Sendepause, nachmittags dauerte sie zwei Stunden. Da<br />
nach Abschluß der Kriegsverbrecherprozesse die Kommentare aus Nürnberg<br />
entfallen waren, konnte die Mittagsstrecke übersichtlicher gestaltet werden. Das<br />
Programm am Spätnachmittag und am frühen Abend brachte an den Werktagen<br />
e<strong>in</strong>e mehr oder weniger täglich wiederkehrende Folge gleichartiger Sendungen.<br />
Wie beim Früh- und Mittagsprogramm entsprach dies e<strong>in</strong>em Grundsatz der<br />
Programmgestaltung: dem Hörer e<strong>in</strong> hohes Maß an Sicherheit beim Wiederf<strong>in</strong>den<br />
von gleichen und ähnlichen Sendungen zur selben Tageszeit zu ermöglichen. Was<br />
heute im Zeitalter des "Nebenbeihörens" e<strong>in</strong> unverzichtbarer Bestandteil der<br />
Programmgestaltung ist, wurde so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, da Programmzeitschriften rar<br />
waren, e<strong>in</strong> wichtiges Element der Orientierung der Hörer, "se<strong>in</strong>e" Sendungen<br />
täglich zur gewohnten Zeit e<strong>in</strong>schalten und wiederf<strong>in</strong>den zu können.<br />
Lediglich die Gestaltung des Abends nach 20.00 Uhr bot <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e weniger<br />
übersichtliche Struktur, auch wenn man versuchte, vor allem werktags e<strong>in</strong>en<br />
gleichbleibenden Rhythmus <strong>in</strong> der Zeitaufteilung e<strong>in</strong>zuhalten. Da auch abends die<br />
"Kommentare aus Nürnberg" entfielen und der halbstündige "Schlagercocktail"<br />
e<strong>in</strong>gestellt wurde, konnten nur zwischen 20.00 und 22.00 Uhr längere<br />
Programmstrecken e<strong>in</strong>geplant werden. Dabei gab es an Werktagen jeweils e<strong>in</strong>en<br />
Wechsel zwischen Wort und Musik oder zwischen "ernster" und populärer Musik.<br />
Mittwochs blieb der alte Platz des Hörspiels um 21.00 Uhr erhalten, voraus<br />
g<strong>in</strong>gen "Opernklänge" und um 22.00 Uhr begann das Studiokonzert mit<br />
zeitgenössischer Musik; so bot der Mittwochabend dem unterhaltungsbedürftigen<br />
Teil der Hörerschaft erst nach den Spätnachrichten um 23.00 Uhr die Möglichkeit<br />
der Entspannung mit leichter Musik.<br />
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Der Programmablauf von Radio <strong>Stuttgart</strong> stand am Samstagnachmittag seit dem<br />
23. November 1946 im Zeichen des "Bunten Nachmittag", der wechselweise von<br />
e<strong>in</strong>er der fünf <strong>Rundfunk</strong>anstalten der amerikanischen Besatzungszone –<br />
München, Frankfurt, Bremen, RIAS-Berl<strong>in</strong> und <strong>Stuttgart</strong> – als öffentliche<br />
Veranstaltung durchgeführt und bei Radio <strong>Stuttgart</strong> jeweils von 16.00 bis 17.45<br />
Uhr ausgestrahlt wurde. Am Sonntagmorgen kam seit dem 10. November 1946<br />
neben die Gottesdienste, den "Bes<strong>in</strong>nlichen Morgen" – e<strong>in</strong>mal monatlich auch als<br />
"Kunstkalender" mit den Gedenktagen des Monats gestaltet – und das<br />
Morgenkonzert die "Universitätsstunde" der von der badischen Sendestelle<br />
Heidelberg betreute wissenschaftliche Vortrag, neu <strong>in</strong>s Programm.<br />
Im Juli 1947 und am 1. Februar 1948 änderte sich das Programmschema<br />
erheblich: es gab zeitliche Umstellungen und Verschiebungen, Sendereihen<br />
wurden e<strong>in</strong>gestellt, neue kamen h<strong>in</strong>zu, ohne daß sich aber die Grundstruktur<br />
geändert hätte. Im Sommer 1947 wurde mit der Kabarettsendung "Allerlei <strong>in</strong> Wort<br />
und Ton" – montags von 20.00 bis 21.00 Uhr abwechselnd mit der "<strong>Stuttgart</strong>er<br />
Wellenschaukel" e<strong>in</strong>e neue unterhaltende Sendereihe e<strong>in</strong>geführt. "Allerlei <strong>in</strong> Wort<br />
und Ton" wurde übrigens bekannter unter dem Namen "Amtsschimmelsendung",<br />
da <strong>in</strong> ihr Erfahrungen der Bevölkerung mit der Bürokratie <strong>in</strong> der<br />
zwangsverwalteten Mangelwirtschaft aufs Korn genommen wurden. H<strong>in</strong> und<br />
wieder gab es nach e<strong>in</strong>er Sendung auch Probleme mit staatlichen und städtischen<br />
Ämtern: sie waren solche Kritik nicht gewohnt und nutzten jede Gelegenheit,<br />
nicht genau recherchierte Beiträge als grundlose Verdächtigung der Behörden zu<br />
brandmarken.<br />
Seit dem 31. Oktober 1947 gab freitags um 22.00 Uhr Dieter Zimmerle e<strong>in</strong>e<br />
Viertelstunde lang unter dem Titel "Ke<strong>in</strong>e Angst vor Jazz" erstmals e<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Musikgattung, die der Mehrheit der Hörer kaum vertraut war<br />
und von ihr <strong>in</strong>sgesamt auch wenig geschätzt wurde. Schon im Sendetitel suchte<br />
man also, etwas von der Ablehnung aufzufangen, die durch die<br />
Nationalsozialisten propagiert und betrieben worden war. Im Februar 1948 wurde<br />
94
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die Jazzsendung ausgesetzt, dann jedoch seit dem 14. Mai 1948 unter dem Titel<br />
Für den Jazzfreund" oder "Meister des Jazz" freitags, später donnerstags, um<br />
23.30 Uhr fortgeführt. Im Programm am Sonntagvormittag trat am 11. Januar<br />
1948 e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige wichtige Änderung <strong>in</strong> Kraft: der Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Sendung mit<br />
Nachrichten und Berichten aus den Kirchen und Religionsgeme<strong>in</strong>schaften. "Aus<br />
der Welt des Glaubens" stellte e<strong>in</strong> im Vergleich zu anderen Sendern spät<br />
h<strong>in</strong>zukommendes Angebot für die religiös <strong>in</strong>teressierte Zuhörerschaft dar.<br />
E<strong>in</strong> Jahr später, im Januar 1949, hatte sich die Programmstruktur an den<br />
Werktagen nicht wesentlich geändert, mit Ausnahme e<strong>in</strong>er täglichen kirchlichen<br />
Morgenfeier von fünfzehn M<strong>in</strong>uten Dauer um 7.00 Uhr, wobei sich evangelische<br />
und katholische Geistliche abwechselten. Freitags hatten auch die Freikirchen<br />
wieder Zugang zu den Mikrofonen, nachdem ihnen der sonntägliche Term<strong>in</strong><br />
genommen worden war. Der Stundenrhythmus im Abendprogramm blieb mit<br />
kle<strong>in</strong>en Ausnahmen bestehen: Die amerikanische Militärregierung beanspruchte<br />
montags um 20.30 Uhr e<strong>in</strong>e halbe Stunde und donnerstags e<strong>in</strong>e Viertelstunde<br />
Zeit für von ihr gestaltete Sendungen.<br />
Ansonsten sah die Programmfolge zwischen 20.00 und 22.00 Uhr, <strong>in</strong> denen die<br />
Hörerzahl sehr groß war, so aus:<br />
montags: Volkstümliche Weisen<br />
dienstags: S<strong>in</strong>foniekonzert<br />
mittwochs: das auf 20.00 Uhr vorverlegte Hörspiel<br />
donnerstags: schon seit 1948 die beliebte Serie <strong>in</strong><br />
schwäbischer Mundart "Familie<br />
Staudenmeier" von Wolf Schmidt<br />
freitags: e<strong>in</strong> zweistündiges Opernkonzert<br />
95
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Die Gliederung des Programms zwischen 22.00 und 24.00 Uhr gestaltete sich<br />
Anfang 1949 unübersichtlicher als früher. In diesen beiden Stunden vor<br />
Mitternacht, <strong>in</strong> der die große Zahl der Hörer bereits zu Bett gegangen war 112 , trug<br />
man mehr und mehr Interessen von M<strong>in</strong>derheiten Rechnung, ohne daß mit diesen<br />
Sendungen der Zorn der breiten Mehrheit der Hörer erregt wurde:<br />
– montags folgte nach e<strong>in</strong>em Bericht zum Zeitgeschehen "Musik aus alten<br />
Tagen" um 23.00 Uhr "Unsere Nachtsendung", erste Schritte <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es<br />
anspruchsvollen literarischessayistischen Nachtprogramms,<br />
– dienstags wurden nach e<strong>in</strong>er Tanzmusik Werke zeitgenössischer (vielfach<br />
<strong>Stuttgart</strong>er) Komponisten aufgeführt,<br />
– mittwochs folgte nach "Das schöne Lied" e<strong>in</strong> viertelstündiger "Schachfunk",<br />
nach "Volkstümlicher Musik" zwischen 22.30 und 23.30 Uhr gab es bis<br />
Mitternacht noch e<strong>in</strong>e weitere "Nachtsendung" für literarisch <strong>in</strong>teressierte<br />
Hörer,<br />
– donnerstags nach Unterhaltungsmusik und "Kurzgeschichte" (22.45 Uhr)<br />
stellte Radio <strong>Stuttgart</strong> um 23.00 Uhr "Zeitgenössische Musik" und <strong>in</strong> der<br />
letzten halben Stunde vor Mitternacht "Meister des Jazz" vor,<br />
– freitags nach Tanzmusik zwischen 22.00 und 23.00 Uhr gab es "Musik unserer<br />
Zeit" mit zeitgenössischen Werken ernster wie auch unterhaltender Musik.<br />
Das Programmschema am Samstag präsentierte sich seit längerem mehr oder<br />
weniger unverändert. Seit März 1949 kam am frühen Nachmittag e<strong>in</strong>e neue<br />
Sendefolge <strong>in</strong>s Programm, die ungewöhnlich erfolgreich werden sollte: Gerhart<br />
Hermann Mostars Gerichtsreportagen unter dem Titel "Im Namen des Gesetzes".<br />
Auch das Sonntagsprogramm blieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Grundzügen gleich: die literarisch-<br />
musikalische Sendung "Bes<strong>in</strong>nlicher Morgen" firmierte jetzt anspruchsvoller als<br />
"Literarische Sendung". Den Abend zwischen 20.00 und 22.00 Uhr füllten im<br />
Gegensatz zu früher Wiedergaben aus Oper und Konzert. Erst nach e<strong>in</strong>er<br />
Dichterlesung hieß es dann "Unterhaltung vor Mitternacht".<br />
Als Fazit der Beschreibung und Analyse des Programmschemas von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> kann festgehalten werden:<br />
112 Nutzungskurve im "Radio- Spiegel" Nr. 15/1947, S. 4<br />
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1. Die Programmstruktur, das Grundraster des Angebots, war <strong>in</strong> ständiger<br />
Veränderung. Dabei s<strong>in</strong>d Anlässe und Ursachen für die Verschiebungen meist<br />
nicht genau bekannt. Man muß dabei aber berücksichtigen, daß viele<br />
Veränderungen und Verschiebungen eher zufallsbed<strong>in</strong>gt und dadurch<br />
verursacht s<strong>in</strong>d, neue Sendereihen <strong>in</strong> dem zeitlich <strong>in</strong> etwa vorgegebenen<br />
Rahmen zwischen 6.00 und 24.00 Uhr unterzubr<strong>in</strong>gen. Es fällt auf, daß die<br />
Veränderungen mit fortschreitender Ablösung von der<br />
Umerziehungskonzeption der Amerikaner nicht mehr so e<strong>in</strong>schneidend waren;<br />
das Grundmuster der Programmstruktur blieb bestehen, es gab eher<br />
Korrekturen im Detail.<br />
2. Vor allem an den Werktagen und dort zu den Hauptsendezeiten wurde<br />
versucht, möglichst täglich e<strong>in</strong> gleiches Programmangebot zu liefern. Dies<br />
wurde umso schwerer, als mehr und mehr Zielgruppen und<br />
M<strong>in</strong>derheiten<strong>in</strong>teressen "bedient" werden sollten und sich damit auch das<br />
Angebot an verschiedenen Sendereihen weiter differenzieren mußte. Es<br />
blieben vor allem Unsicherheiten <strong>in</strong> der Programmplanung des Abends, d.h. <strong>in</strong><br />
der Zeit von 20.00 bis 24.00 Uhr, wo trotz versuchter Ansätze e<strong>in</strong>er<br />
durchgehenden Strukturierung an allen Wochentagen die unterschiedlichen<br />
Ansprüche von Kultur und Unterhaltung, gelegentlich auch der politischen<br />
Information – wie die Plazierung der Sendungen der amerikanischen<br />
Militärregierung seit 1947/48 belegt – e<strong>in</strong>e eher unübersichtliche<br />
Programmgestaltung bewirken. Ansonsten war das Raster am Morgen und am<br />
Mittag der Werktage gleich bzw. sehr ähnlich strukturiert.<br />
3. Nach der Konsolidierung des Programmrahmens blieben e<strong>in</strong>ige Schwerpunkte<br />
im Programmangebot ohne Veränderungen: Die musikalischen Sendungen am<br />
frühen Morgen waren entsprechend den hohen Hörerzahlen zu dieser<br />
Tageszeit – und die Trends der Nutzungskurven waren den Programmplanern<br />
damals bereits vertraut 112 – unterhaltenden Charakters. Von 1946 bis 1949<br />
f<strong>in</strong>det sich im Morgenprogramm nicht e<strong>in</strong>e Sendung mit klassischer Musik. In<br />
diesem Falle trug der Hörfunk – ihm stand damals ja nur e<strong>in</strong>e<br />
"Programmschiene" auf der Mittelwelle zur Verfügung, auf der alle<br />
unterschiedlichen Hörerbedürfnisse berücksichtigt werden mußten – den<br />
Ansprüchen der Mehrheit Rechnung. Anspruchsvollere Musiksendungen waren<br />
dagegen am späteren Vormittag und frühen und mittleren Nachmittag plaziert.<br />
Die Zeit vor 18.00 Uhr – wenn viele Hörer nach Hause kamen – und vor dem<br />
Beg<strong>in</strong>n der aktuellen und <strong>in</strong>formierenden Sendungen bis 20.00 Uhr wurde –<br />
allerd<strong>in</strong>gs nicht konsequent gleichfalls mit unterhaltender Musik belegt. Auch<br />
die Zwischenmusiken der "Informationsleiste" an den Werktagen zwischen<br />
18.00 und 20.00 Uhr waren im Lauf der Jahre, wenn auch nicht durchgängig,<br />
so doch eher von "leichtem" Charakter.<br />
4. Wie bereits erwähnt, schwankte die Gestaltung des Abendprogramms<br />
zwischen dem Kulturanspruch e<strong>in</strong>es Programmauftrags, der damals noch nicht<br />
gesetzlich fixiert, aber unausgesprochen selbstverständlich war, und dem<br />
Unterhaltungsbedürfnis des Publikums. Ständige Veränderungen des<br />
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Programmschemas für die Abendstunden zwischen 20.00 und 22.00 Uhr<br />
lassen die tastenden Versuche erkennen, e<strong>in</strong>e den vielfältigen Wünschen und<br />
Bedürfnissen angemessene Mischung bzw. Reihenfolge zu f<strong>in</strong>den. Auch <strong>in</strong> der<br />
späten Zeit zwischen 22.00 und 24.00 Uhr war und blieb das<br />
Programmangebot <strong>in</strong> verschieden langen und <strong>in</strong>haltlich unterschiedlich<br />
ausgerichteten Sendungen "diversifiziert", bewußt gestreut. Die zahlreichen<br />
Änderungen wiederum belegen das Bemühen, e<strong>in</strong>en Ausgleich angesichts der<br />
Erwartungen des Publikums zu f<strong>in</strong>den. Anstelle e<strong>in</strong>er Leiste mit unterhaltender<br />
Musik nach 22.00 Uhr traten 1948 zahlreiche M<strong>in</strong>derheitensendungen wie<br />
literarisches Nachtprogramm, Schachfunk, zeitgenössische Musik, Jazz. Erst<br />
zum Wochenende wurde mit Tanzmusik und sonstigen eher leichten<br />
Musikgenres e<strong>in</strong> entspannender Tagesausklang geboten.<br />
Der <strong>Rundfunk</strong>kritiker E. K. Fischer bemerkte 1949 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht über Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong>, bei e<strong>in</strong>er Gesamtbeurteilung gebe nicht das E<strong>in</strong>zelprogramm den<br />
Ausschlag sondern die Sendefolge als Ganzes: "Die Koord<strong>in</strong>ation der<br />
verschiedenen Programmtypen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em elastischen Tages- , Wochen- und<br />
Monatsplan ist die Hauptaufgabe der Programmleitung. Radio <strong>Stuttgart</strong> wird<br />
dieser Aufgabe – auch nach Me<strong>in</strong>ung der Hörerschaft nicht voll gerecht.<br />
Häufungen schwerer oder auch leichter Sendungen an e<strong>in</strong>em Tag oder gar Abend<br />
und Zerstückelung der Sendezeiten zugunsten e<strong>in</strong>zelner Referate und auf Kosten<br />
der dr<strong>in</strong>gend nötigen größeren Programme<strong>in</strong>heiten s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Seltenheit." 113<br />
Fischer sprach damit das Bestreben an, das Programmangebot übersichtlich zu<br />
gestalten, wobei man zugleich versuchte, vielen Interessen gerecht zu werden.<br />
Inwieweit se<strong>in</strong>e kritische Feststellung gerechtfertigt ist, ließe sich nur bei e<strong>in</strong>em<br />
großflächigen Vergleich der Programmstrukturen mehrerer <strong>Rundfunk</strong>stationen <strong>in</strong><br />
diesen Jahren beurteilen.<br />
113 <strong>Stuttgart</strong>er Zeitung vom 28. 4. 1949.<br />
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Geme<strong>in</strong>sames Anhören des Schulfunks <strong>in</strong> der Bismarck- Schule <strong>in</strong> <strong>Stuttgart</strong>-<br />
Feuerbach, 1947<br />
Programmangebot und Hörerresonanz<br />
Der manchmal nur <strong>in</strong> groben Zügen nachgezeichnete Programmrahmen und<br />
se<strong>in</strong>e Veränderungen zwischen dem Jahresende 1945 und dem Sommer 1949 hat<br />
<strong>in</strong>sgesamt auch e<strong>in</strong>e gewisse Vorstellung von den Programm<strong>in</strong>halten vermittelt.<br />
Versucht man die Plazierung der Sendungen über den Tag h<strong>in</strong> zu <strong>in</strong>terpretieren,<br />
so ergibt sich, daß auch der Nachkriegsrundfunk <strong>in</strong> beträchtlichem Umfang den<br />
Unterhaltungs- und Entspannungsbedürfnissen se<strong>in</strong>es Publikums entgegenkam.<br />
Inwieweit Angebot und Nachfrage mite<strong>in</strong>ander korrespondierten, kann später an<br />
e<strong>in</strong>er der ersten Umfragen belegt werden, die 1948/49 von Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong><br />
Auftrag gegeben wurde, um die Wünsche se<strong>in</strong>er Hörer besser kennenzulernen.<br />
Verschiedene zeitgenössische statistische Obersichten, deren<br />
Zuordnungskriterien und Berechnungsweisen sicher überprüfenswert wären,<br />
geben e<strong>in</strong>ige <strong>in</strong>teressante H<strong>in</strong>weise auf die re<strong>in</strong> quantitativen Anteile der<br />
e<strong>in</strong>zelnen Programmsparten. Dabei zeigt es sich, daß zwischen 1946 und 1949<br />
zwar e<strong>in</strong>ige Verschiebungen festzustellen s<strong>in</strong>d, daß aber <strong>in</strong>sgesamt die<br />
Relationen der großen Programmbereiche relativ stabil blieben.<br />
99
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Dem zeitlichen Umfang nach hatte die Musik auch <strong>in</strong> den Jahren nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg wieder den größten Anteil am Programm. E<strong>in</strong>e im Juni 1946 im<br />
"Radiospiegel" publizierte Programmstatistik wies folgende <strong>in</strong>teressante Werte<br />
aus: musikalische Sendungen <strong>in</strong>sgesamt 52,8 Prozent, das Wortprogramm 47,2<br />
Prozent. In den Jahren bis 1949 verschob sich die Wort- Musik- Relation auch<br />
schon e<strong>in</strong>mal: für den Januar 1947 wird diese mit 49 Prozent Musik und 51<br />
Prozent Wort angegeben, ohne daß diese Veränderungen damals <strong>in</strong>terpretiert<br />
wurden bzw. heute ohne weiteres erklärt werden können. Im ersten Halbjahr<br />
1949 betrug das Verhältnis 54 Prozent Musik und 46 Prozent Wort 114 .<br />
Bezogen auf das gesamte Programmangebot wurde 1946 folgende Aufteilung<br />
errechnet: Unterhaltungsmusik 31,2 Prozent zuzüglich Tanzmusik mit 3,5<br />
Prozent, also e<strong>in</strong> gutes Drittel. Der Anteil der klassischen Musik betrug 13,5<br />
Prozent zuzüglich 1,32 Prozent zeitgenössische ernste Musik. "Bunte Stunden"<br />
mit e<strong>in</strong>em beträchtlichen Anteil an Unterhaltungsmusik erreichten 3,1 Prozent.<br />
Für das erste Halbjahr 1949 werden folgende Werte angeführt: Von den 54<br />
Prozent Musikanteil gehen alle<strong>in</strong> 39 Prozent an die Unterhaltungsmusik:<br />
"Tanzmusik, Schallplattenplaudereien, Bunten Abende, kabarettistische<br />
Programme usw." Das entspricht <strong>in</strong> etwa den 38 Prozent aus dem Jahr 1946,<br />
wenn man dort die betreffenden Werte zusammenzählt.<br />
Dem <strong>in</strong> Sommer 1946 errechneten Anteil an sogenannter "Ernster Musik" mit<br />
rund 14,5 Prozent stehen 1949 15 Prozent gegenüber; e<strong>in</strong>geschlossen s<strong>in</strong>d dabei<br />
"Opern- und Operettenaufführungen und Opernkonzerte, ...<br />
Symphoniekonzerte, ... Kammer- und Solistenmusik ..., Kirchen- und<br />
Chormusik": es s<strong>in</strong>d also ke<strong>in</strong>e wesentlichen Änderungen zu verzeichnen.<br />
114 "Radio- Spiegel", Nr. 12/1946, S. 20. S. auch "Funkkurier", Nr. 39/1948, 23. 2. 1948 mit e<strong>in</strong>er<br />
weiteren Statistik unter der Überschrift: "Über 1000 Sendungen im Monat". Sie spiegelt <strong>in</strong> ihren<br />
Grundzügen das vertraute Bild wieder: 57,9 Prozent der Sendungen stammen aus dem Bereich<br />
der Musik, davon 34,3 Prozent Unterhaltungsmusik: das signalisiert e<strong>in</strong>en gestiegenen Anteil<br />
von klassischer bzw. sogenannter E-Musik. Der Anteil der Wortprogramme beträgt demnach ca.<br />
42,1 Prozent, <strong>in</strong>nerhalb deren die Nachrichten weiterh<strong>in</strong> mit 10 Prozent den größten Anteil<br />
haben. Der Beitrag der Sendestelle Heidelberg zum Programm macht 8,44 Prozent aus.<br />
Übernahmen von anderen Sendern s<strong>in</strong>d mit 14,2 Prozent am Gesamtvolumen der<br />
Programmleistung von Radio <strong>Stuttgart</strong> beteiligt.<br />
100
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Die Wortsendungen gliederten sich nach der Übersicht von 1946 so auf:<br />
Nachrichten 10,3 Prozent<br />
Vorträge über Kultur und Wissenschaft 2,2 Prozent<br />
Probleme des Alltags <strong>in</strong> Deutschland 7,6 Prozent<br />
belehrende und erzieherische<br />
Programme (educational programs, <strong>in</strong><br />
erster L<strong>in</strong>ie also Schulfunk)<br />
2,2 Prozent<br />
Hörspiele 3,08 Prozent<br />
Frauen- , K<strong>in</strong>der- und<br />
Jugendprogramme<br />
5,9 Prozent<br />
lokale Sendungen 0,88 Prozent<br />
Kirchensendungen (Gottesdienste) 0,88 Prozent<br />
Sport rund 2 Prozent<br />
Stimme Amerikas 7,5 Prozent (!)<br />
Suchmeldungen 3,5 Prozent.<br />
Die damals noch ausgestrahlten polnischen Programme ergaben e<strong>in</strong>en Anteil von<br />
1,1 Prozent und "Gedenkstunden" – es handelt sich hierbei um die auf S. 81f<br />
erwähnten Gedenksendungen an Jahrestagen des Weltkriegsgeschehens – von<br />
0,66 Prozent.<br />
Wenn auch auf Grund unterschiedlicher Zuordnungskriterien im Bereich des<br />
Worts e<strong>in</strong> direkter Vergleich zwischen den Werten von 1946 und 1949 nicht<br />
möglich ist, so lassen sich doch <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> oder anderen Fall e<strong>in</strong>ige signifikante<br />
Änderungen ausmachen: Vor allem der Anteil der "Stimme Amerikas" ist auf 3<br />
Prozent zurückgegangen:<br />
Nachrichten, Kommentare, Sendungen<br />
der Militärregierung<br />
17 Prozent<br />
literarische Sendungen etwa 10 Prozent<br />
Schulfunk, Jugendfunk und K<strong>in</strong>derfunk<br />
haben zusammen e<strong>in</strong>en Anteil von<br />
6 Prozent<br />
Sport, Zeitfunk und Kirchenfunk je 2 Prozent<br />
Frauenfunk und Landfunk je 1 Prozent<br />
101
Nachrichten, Kommentare, Sendungen<br />
der Militärregierung<br />
17 Prozent<br />
Suchdienste immer noch 5 Prozent<br />
Stimme Amerikas 3 Prozent<br />
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Das Programmangebot von Radio <strong>Stuttgart</strong> mit se<strong>in</strong>er Spannbreite von hohen<br />
kulturellen Ansprüchen bis h<strong>in</strong> zu wenig anspruchsvoller Unterhaltung mußte<br />
zwischen 1945 und 1949, solange nur e<strong>in</strong>e "Programmschiene" zur Verfügung<br />
stand, zu dauernden Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit den Hörern führen, die sich zu<br />
bestimmten Sendezeiten nicht entsprechend "bedient" fühlten. E<strong>in</strong><br />
Alternativangebot bestand allenfalls bei e<strong>in</strong>er anderen <strong>Rundfunk</strong>station, deren<br />
Ausstrahlung aber auf Grund der technischen Bed<strong>in</strong>gungen der Mittelwelle<br />
tagsüber nicht immer gut empfangen und nachts durch e<strong>in</strong>strahlende Sender<br />
gestört werden konnte.<br />
In der Programmzeitschrift "Radiospiegel" und <strong>in</strong> Eigenpublikationen von Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> wurde immer wieder auf das besondere Problem der<br />
Programmgestaltung im <strong>Rundfunk</strong> h<strong>in</strong>gewiesen und um Verständnis dafür<br />
geworben, daß nun e<strong>in</strong>mal gleichzeitig nicht alle Ansprüche und Bedürfnisse<br />
befriedigt werden könnten. Der Abdruck von Hörerbriefen im "Radiospiegel" sollte<br />
dieses Dilemma dem Publikum drastisch belegen. So schrieb e<strong>in</strong> Herr L. K.:<br />
"Sonnabendnachmittag: Statt der schaffenden Bevölkerung e<strong>in</strong>en lustigen<br />
Nachmittag zu übertragen, br<strong>in</strong>gt Radio <strong>Stuttgart</strong> Opern! – Ich spreche im S<strong>in</strong>n all<br />
derer, die bittersten Hunger leiden und die ganze Woche wie Pferde arbeiten<br />
müssen". Ganz gegenteilig die Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es anderen Hörers: "Für die Freunde<br />
der klassischen Musik bietet Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> der Tat sehr wenig. Den ganzen<br />
Tag ist nur Jazz zu hören ( ... ). Me<strong>in</strong>es Erachtens wäre e<strong>in</strong> S<strong>in</strong>foniekonzert <strong>in</strong> den<br />
Abendstunden von 8 bis 10 Uhr eher am Platze als langweilige schräge<br />
Rhythmen. Muß über Trümmern getanzt werden?" Der Abdruck e<strong>in</strong>es<br />
Hörervotums, das die Abgewogenheit des Programmangebots bekräftigte, leitete<br />
über <strong>in</strong> die Frage "Und welcher Me<strong>in</strong>ung s<strong>in</strong>d Sie?" 115<br />
115 "Radio- Spiegel", Nr. 15/1947, S. 12.<br />
102
E<strong>in</strong>e im W<strong>in</strong>ter 1948/49 von Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> Auftrag gegebene<br />
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me<strong>in</strong>ungswissenschaftliche Umfrage 116 gab über die Hörerbriefe h<strong>in</strong>aus, die<br />
regelmäßig gesammelt und ausgewertet wurden, präzisere E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die<br />
Wünsche und Präferenzen der Hörer. Die Umfrage brachte Ergebnisse, die auch<br />
durch die zahlreicheren Hörerbefragungen der fünfziger Jahre bestätigt wurden.<br />
Das Fazit lautete: "Die meisten Programmvorschläge gehen im großen und<br />
ganzen dah<strong>in</strong>, <strong>in</strong> den Abendstunden anstelle von Wortsendungen<br />
Unterhaltungsmusik zu br<strong>in</strong>gen."<br />
62 Prozent aller Befragten äußerten, regelmäßig – das s<strong>in</strong>d alle<strong>in</strong> 43 Prozent –<br />
oder gelegentlich – noch e<strong>in</strong>mal 19 Prozent – Radio zu hören. Von ihnen nennen<br />
99 Prozent Radio <strong>Stuttgart</strong> als den hauptsächlich gehörten Sender. 64 Prozent<br />
halten das Programm für "sehr gut" oder "gut". 79 Prozent der regelmäßigen<br />
Hörer schalten "Unsere Volksmusik mit Albert Hofele" e<strong>in</strong>, 74 Prozent die ersten<br />
Abendnachrichten am Werktag, 66 Prozent am Sonntagnachmittag die "Musik zur<br />
Kaffeestunde", 59 Prozent die Sendung "Aus unserer Heimat". Aus der Zahl der<br />
regelmäßig Hörenden schätzen 66 Prozent "Unsere Volksmusik" am meisten und<br />
24 Prozent "Meister des Jazz" am wenigsten: E<strong>in</strong> deutliches Signal für die<br />
Musikpräferenzen der Mehrzahl der Hörer aber auch für das Nachwirken der<br />
Diffamierung des Jazz, mit der die Nationalsozialisten diesen Musikstil überzogen<br />
hatten. Immerh<strong>in</strong> erklärten 77 Prozent, sie würden wenigstens gelegentlich<br />
Hörspiele e<strong>in</strong>stellen, und 68 Prozent gaben die Auskunft, daß sie sich noch<br />
nebenbei mit etwas anderem beschäftigten, wenn sie Radio hörten.<br />
Die Ergebnisse von Detailbefragungen nach der Beliebtheit e<strong>in</strong>zelner<br />
Programmsparten oder Sendereihen boten manchen <strong>in</strong>teressanten Aufschluß.<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Me<strong>in</strong>ungsforscher getrennt nach dem<br />
regelmäßigen Hören e<strong>in</strong>er Sendereihe und nach ihrer Beurteilung durch den Hörer<br />
fragten ("am meisten geschätzt"). Zu berücksichtigen ist ferner, daß es sich bei<br />
den angegebenen Werten letztlich nicht um exakte Zahlen sondern lediglich um<br />
Trends handeln kann. Bei den aktuellen Sendungen waren die Abendnachrichten<br />
116 "Was sagt der Hörer von Radio <strong>Stuttgart</strong>?", <strong>in</strong>: Nachlaß Eberhard, IfZ – ED 11 7/Bd. 58.<br />
103
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
um 19.45 Uhr am beliebtesten sowie e<strong>in</strong>ige andere <strong>in</strong>formierende Sendungen.<br />
Viel gehört wurde, vermutlich weil günstig plaziert, die "Stimme Amerikas"; diese<br />
Sendungen waren aber <strong>in</strong>sgesamt wenig beliebt. Daß bestimmte<br />
"Zielgruppensendungen" ger<strong>in</strong>ger gefragt waren, lag <strong>in</strong> der Natur der Sache.<br />
Aufschlußreich für die Stimmung <strong>in</strong> der Nachkriegszeit: Die Sendereihe "Prozesse<br />
der Zeit", die die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der nationalsozialistischen Epoche<br />
weiterführen sollte, wurde zwar von 13 Prozent der Hörerschaft e<strong>in</strong>geschaltet; sie<br />
wurde aber nur von 6 Prozent am meisten, jedoch von 21 Prozent am wenigsten<br />
geschätzt. Das ist e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>uswert, der nur noch von der Jazz- Musik übertroffen<br />
wird.<br />
Unter den kulturellen Wortsendungen ragte "Aus unserer Heimat" mit 59 Prozent<br />
regelmäßiger "E<strong>in</strong>schaltquote" – dieser Begriff kann <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
nur analog verwandt werden – und 37 Prozent voller Zustimmung heraus, gefolgt<br />
von den religiösen Sendungen. Am unteren Ende der Beliebtheitsskala rangierten<br />
die anspruchsvollen Kultursendungen wie die "Stunde der Dichtung" (7 Prozent),<br />
"Der Zeitschriftenleser" (5 Prozent), "Kunst dieser Zeit "(4 Prozent) und "Unsere<br />
Nachtsendung" (3 Prozent).<br />
Zum Hörspiel wurde im speziellen festgestellt: "Unterhaltung und Zerstreuung für<br />
Theater und K<strong>in</strong>o, weil lehrreich und aktuell; weil sie fesselnd, aufregend,<br />
lebendig s<strong>in</strong>d – darum machen sich 65 Prozent der Hörer <strong>in</strong> Württemberg- Baden<br />
etwas aus Hörspielen. Das Viertel, daß sich nichts aus Hörspielen macht, ist<br />
anderer Me<strong>in</strong>ung. Abgesehen von denen, die sich grundsätzlich nichts aus<br />
Hörspielen machen, erklären sie, die Hörspiele seien oft zu anstrengend, sie<br />
seien meist schlecht oder langweilig; sie seien ke<strong>in</strong> Ersatz für Theater oder K<strong>in</strong>o,<br />
der optische E<strong>in</strong>druck fehle."<br />
Die Bewertung des Musikprogramms ergab hohe Hörerzahlen und volle<br />
Zustimmung für leichte und volkstümliche Musik, auch für die s<strong>in</strong>fonische Musik<br />
(rund 30 Prozent) noch relativ hohe E<strong>in</strong>schaltquoten. Dies war aber verbunden<br />
mit e<strong>in</strong>er überraschend starken Ablehnungsquote von 20 Prozent. Mit 12 Prozent<br />
104
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Anteil regelmäßiger Hörer aber 22 Prozent Ablehnung, d.h. am wenigsten<br />
geschätzt, hatte die Kammermusik e<strong>in</strong>en noch schwereren Stand. Mit 8 Prozent<br />
regelmäßigem E<strong>in</strong>schalten aber 24 Prozent Ablehnung ("am wenigsten geschätzt")<br />
bildete der Jazz das "Schlußlicht". Hohe E<strong>in</strong>schaltquoten und auch entsprechende<br />
Zustimmung ("am meisten geschätzt") können dagegen alle<br />
Unterhaltungssendungen vorweisen.<br />
H<strong>in</strong>ter diesen aufschlußreichen statistischen Zahlen über die Nutzung und<br />
Bewertung des Programmangebots von Radio <strong>Stuttgart</strong> kommt natürlich das<br />
täglich und stündlich gesendete Programm <strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelheiten nicht so<br />
recht zum Vorsche<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e detaillierte und umfassendere Kenntnis dieses<br />
Angebots gäbe Aufschluß darüber, <strong>in</strong>wieweit das Radioprogramm e<strong>in</strong> Spiegel der<br />
Zeitströmungen war; besonders nachdem die amerikanischen<br />
Umerziehungsabsichten an E<strong>in</strong>fluß verloren hatten und der pädagogische<br />
Anstrich, der von e<strong>in</strong>er gewissen Willkür getragen war, nicht mehr so prägend<br />
wirken konnte. Aber auch die deutschen Programmverantwortlichen ließen sich<br />
bei der Planung und Präsentation im Detail nicht nur von den Wünschen ihrer<br />
Zuhörer leiten. Sie hatten gewisse Vorstellungen von dem, was über das Radio <strong>in</strong><br />
den kommunikativen Umlauf zu setzen sei und somit vielleicht nicht ohne E<strong>in</strong>fluß<br />
auf die Zeitgenossen bleiben sollte. Andererseits waren auch ihre Entscheidungen<br />
von kaum bewußten Vorlieben und der "Auslieferung an den Zeitgeist" geprägt,<br />
weiterh<strong>in</strong> von Programmkonventionen des damals seit fast 25 Jahren<br />
bestehenden Mediums; aber es galt auch, die technischen und f<strong>in</strong>anziellen<br />
Möglichkeiten zu bedenken, die nicht nur die Inhalte bestimmten sondern auch<br />
die Form und die Machart, <strong>in</strong> der diese dem Publikum vermittelt wurden.<br />
Angesichts des Fehlens genauer und spezifischer Programmanalysen können hier<br />
nur e<strong>in</strong>ige eher oberflächliche E<strong>in</strong>drücke beschrieben werden.<br />
Es wäre z. B. sehr <strong>in</strong>teressant, Tendenzen und Schwerpunkte bei der<br />
Ausstrahlung sogenannter ernster Musik zu untersuchen. Welche Anteile hatten<br />
die verschiedenen Epochen der Musikgeschichte bei den Konzert- und<br />
105
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Opernübertragungen? Was verbarg sich h<strong>in</strong>ter dem angesprochenen Engagement<br />
für "Neue Wege <strong>in</strong> der Tonkunst"? Welche Trends prägten die leichte Musik?<br />
Welche Spielarten herrschten vor, welche Traditionen aus der Unterhaltungsmusik<br />
vor 1945 lebten fort, welchen Stellenwert hatten ausländische, d. h. <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />
amerikanische Arrangements und Produktionen? Zwar erzählen die damaligen<br />
Mitarbeiter immer von den großen "OWI- Platten", den Schallplatten des "Office of<br />
War Information" der Amerikaner. Was jedoch an amerikanischer Musik wirklich<br />
<strong>in</strong>s Programm e<strong>in</strong>geströmt ist, das kann nur anhand statistischer Analysen der<br />
erhaltenen Sendelaufpläne beantwortet werden.<br />
Auf ke<strong>in</strong>en Fall darf bei e<strong>in</strong>er Interpretation solcher Analysen vergessen werden,<br />
daß für die Gestaltung des E-Musik- Programms wie für die Sendungen mit<br />
Unterhaltungsmusik neben dem Musikgeschmack der verantwortlichen deutschen<br />
Redakteure und der amerikanischen Kontrolloffiziere entscheidend war, welche<br />
Schallaufzeichnungen zur Verfügung standen und was an geeigneten Konzert-<br />
und Opernaufführungen sich zur Übertragung anbot. Der schon mehrfach zitierte<br />
Bericht, der aus Anlaß der Übergabe von Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> deutsche Hände<br />
verfaßt wurde, wies <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf den hohen Verlust an<br />
Schallplatten und Bandmaterial aus der Unterhaltungsmusik h<strong>in</strong>. Deshalb wurde<br />
neben dem S<strong>in</strong>fonieorchester auch e<strong>in</strong> Unterhaltungsorchester gegründet, um mit<br />
dessen Hilfe den Bestand an Schallaufzeichnungen im Bereich der<br />
Unterhaltungsmusik wieder aufzufüllen. Ergänzend stellte der Autor des<br />
Rückblicks fest: "Erschwerend <strong>in</strong> dieser Situation wirkte sich aus, daß nach dem<br />
Kriege <strong>in</strong> Deutschland so gut wie ke<strong>in</strong> neues Schaffen auf dem Gebiet der<br />
Unterhaltungsmusik existierte. Es wurden deshalb, soweit es die beschränkten<br />
Mittel erlaubten, auch Aufträge für neue Kompositionen und Arrangements<br />
vergeben: ebenso galt e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Preisausschreiben der Förderung neuer<br />
Unterhaltungsmusik 117 .<br />
Nach der Musik hatten die aktuell <strong>in</strong>formierenden und politischen Sendungen den<br />
größten Anteil am Programm. In diesem Bereich gab es e<strong>in</strong>en allmählichen<br />
117 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 17.<br />
106
Wandel der Konzeption. Aus den Elementen, die durch die<br />
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
"Umerziehungs"- Vorstellungen Amerikaner <strong>in</strong>s Programm geflossenen waren,<br />
wurden <strong>in</strong> modifizierter Weise Bestandteile e<strong>in</strong>es politisch engagierten, den<br />
Bedürfnissen e<strong>in</strong>er offenen demokratischen Gesellschaft angemessenen<br />
Programms 118 . Hier besaßen die Deutschen ja praktisch kaum eigene<br />
Erfahrungen: In der Weimarer Republik war dem <strong>Rundfunk</strong> politische Neutralität<br />
verordnet worden, im Dritten Reich wurde er als Sprachrohr der<br />
nationalsozialistischen Propaganda mißbraucht. Me<strong>in</strong>ungspluralismus und se<strong>in</strong>e<br />
Umsetzung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Rundfunk</strong>programm mußten erst noch e<strong>in</strong>geübt werden.<br />
Wandlungen unterlag dabei die aktive, negativ bestimmte Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit dem Nationalsozialismus. Nach dem Ende der Übertragungen vom<br />
Nürnberger Prozeß gab es weiterh<strong>in</strong> Berichterstattung über nachfolgende<br />
Kriegsverbrecherprozesse und spektakuläre Spruchkammerverfahren gegen<br />
prom<strong>in</strong>ente Sympathisanten und Helfer des NS-Systems. Größeres Aufsehen<br />
erregten dabei das Spruchkammerverfahren gegen den ehemaligen<br />
Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht und die Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen<br />
dem M<strong>in</strong>isterpräsidenten Dr. Re<strong>in</strong>hold Maier und dem Kommissar für die<br />
politische Säuberung <strong>in</strong> Württemberg- Baden Franz Karl Maier. Dieser hatte unter<br />
H<strong>in</strong>weis auf die Zustimmung Re<strong>in</strong>hold Maiers als Reichstagsabgeordneter 1933<br />
zum Ermächtigungsgesetz den jetzigen M<strong>in</strong>isterpräsidenten als "belastet"<br />
e<strong>in</strong>stufen wollen. Beide Verfahren mit allen Kontroversen, die die Öffentlichkeit<br />
aufwühlten, wurden von Radio <strong>Stuttgart</strong> mit ausführlichen Sendungen begleitet.<br />
Die Möglichkeiten der Auslandsberichterstattung – e<strong>in</strong>em weiteren wichtigen<br />
Anliegen der Amerikaner – blieben noch längere Zeit sehr e<strong>in</strong>geengt. Auch die<br />
Mitarbeiter von Radio <strong>Stuttgart</strong> unterlagen der generellen E<strong>in</strong>schränkung,<br />
Auslandsreisen zu unternehmen. Zudem war vor Mitte 1947 e<strong>in</strong>e<br />
Berichterstattung durch deutsche Korrespondenten im Ausland gar nicht erlaubt:<br />
Kontakte zu Journalisten "draußen", auch zu Emigranten, trugen aber dazu bei,<br />
Beiträge von Vertretern vor Ort zu erhalten. Radio <strong>Stuttgart</strong> entsandte erstmals im<br />
118 Mettler, Demokratisierung, S. 99.<br />
107
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Februar 1949 e<strong>in</strong>en Berichterstatter zu e<strong>in</strong>er Tagung der Europaunion nach<br />
Brüssel und im Mai desselben Jahres zur Außenm<strong>in</strong>isterkonferenz nach Paris. Im<br />
Vergleich zur heutigen Praxis ist zu berücksichtigen, daß die<br />
Korrespondentenberichte weder per Telefon durchgegeben noch mit Orig<strong>in</strong>alton-<br />
Aufnahmen versehen werden konnten. Dazu wären kle<strong>in</strong>e tragbare<br />
Aufnahmegeräte notwendig gewesen, die es damals noch gar nicht gab. Die<br />
Beiträge wurden <strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong> schriftlicher Form per Post oder Fernschreiber<br />
übermittelt und im Funkhaus dann von e<strong>in</strong>em Sprecher verlesen 119 .<br />
Ähnlichen Beschränkungen unterlag teilweise auch die Berichterstattung aus<br />
Deutschland, selbst wenn hier direkte Überspielungen auf Grund des<br />
wiederhergestellten Leitungsnetzes möglich waren. Ständige Korrespondenten<br />
von Radio <strong>Stuttgart</strong> etwa <strong>in</strong> Frankfurt, dem Sitz der sogenannten Bi- Zonen-<br />
Verwaltung und des Wirtschaftsrats für die amerikanische und britische<br />
Besatzungszone mit Vorformen der späteren bundesrepublikanischen<br />
Institutionen, oder <strong>in</strong> Bonn, am Sitz des seit 1. September 1948 tagenden<br />
"Parlamentarischen Rates", gab es noch nicht. Bei Ereignissen von nationaler<br />
Tragweite reiste e<strong>in</strong> Mitarbeiter der politischen Redaktion an, so etwa zu den<br />
M<strong>in</strong>isterpräsidenten- Konferenzen <strong>in</strong> München (1947) und Koblenz (1948) oder<br />
zur Eröffnungssitzung des Parlamentarischen Rats <strong>in</strong> Bonn am 1. September<br />
1948.<br />
Dem gewünschten Me<strong>in</strong>ungspluralismus wurde mit verschiedenen Sendeformen<br />
Rechnung getragen. Da gab es z.B. "Radio <strong>Stuttgart</strong>s Forum", das <strong>in</strong> öffentlicher<br />
Diskussion auf dem Podium unterschiedliche Probleme des politischen,<br />
gesellschaftlichen und kulturellen Lebens behandelte. Das Themenspektrum war<br />
erheblich breiter als das der akademisch geprägten Aussprachen unter dem Titel<br />
"Fragen, die alle angehen". Vom Herbst 1946 bis Mai 1947 wurde fast jede Woche<br />
die Aufzeichnung e<strong>in</strong>es "Forums" ausgestrahlt, das auch außerhalb <strong>Stuttgart</strong>s<br />
veranstaltet wurde. Diese Sendungen sollten e<strong>in</strong> Beispiel für praktizierte,<br />
demokratische Me<strong>in</strong>ungsvielfalt <strong>in</strong> der öffentlichen Ause<strong>in</strong>andersetzung um e<strong>in</strong><br />
119 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 14<br />
108
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kontroverses Thema se<strong>in</strong>. Behandelt wurden Fragen der künftigen Staatsform, der<br />
Wirtschaftsverfassung – "Planwirtschaft oder freie Wirtschaftsführung?" - , der<br />
Stellung der Frau <strong>in</strong> der Gesellschaft, Probleme des Abtreibungsparagraphen 218<br />
StGB, des Berufsbeamtentums und auch der künftigen <strong>Rundfunk</strong>verfassung. Die<br />
Zuhörer im Saal waren zu Me<strong>in</strong>ungsäußerungen aufgefordert, und da brach sich<br />
gelegentlich des Volkes Stimme Bahn, wie die e<strong>in</strong>zige erhaltene Tonaufnahme<br />
e<strong>in</strong>es solchen "Forums" hörbar und deutlich belegt 120 .<br />
Es ist bezeichnend, daß dieses "Forum", das amerikanischen Traditionen<br />
verpflichtet war, im Oktober 1947 durch die Sendereihe "Gespräche am runden<br />
Tisch" ersetzt wurde. Sie fand im Studio und nicht mehr vor e<strong>in</strong>er größeren<br />
Zuhörerschaft statt. Zur ersten Sendung hieß es e<strong>in</strong>leitend: "Die Gespräche von<br />
Fachleuten über aktuelle Fragen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />
Lebens sollen ( ... ) e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> Planungen und Absichten der verschiedenen<br />
Staats- und Stadtämter sowie der wirtschaftlichen und kulturellen Organisationen<br />
vermitteln." Aus e<strong>in</strong>em Diskussionsforum mit unterschiedlichen Standpunkten,<br />
das jedoch nicht immer der Gefahr entgangen war, daß demagogische, aber auch<br />
wichtigtuerische Redebeiträge des Publikums se<strong>in</strong>e Intentionen verfälschte, aus<br />
diesem Forum war e<strong>in</strong>e Expertenrunde geworden, die – das lassen auch die Titel<br />
zahlreicher Sendungen erkennen – nicht frei war von dem, was heute als<br />
"Verlautbarungsjournalismus" charakterisiert wird 121 .<br />
Mit wohl vergleichbarer Absicht wurde 1947 die Diskussionsrunde "Parteien<br />
diskutieren" e<strong>in</strong>gestellt und durch die Sendereihe "Parteien sprechen" ersetzt, <strong>in</strong><br />
der nur noch der Standpunkt e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Partei vertreten war und dem Hörer<br />
nicht mehr die direkte kontroverse Diskussion vermittelt wurde. Teil der<br />
Präsentation demokratischer Me<strong>in</strong>ungsvielfalt, die vornehmlich <strong>in</strong> den<br />
Diskussionssendungen ihren Ausdruck fand, waren auch die zahlreichen<br />
Übertragungen von Landtagsdebatten und die Landtagsberichte, die ja nicht nur<br />
120 SDR/HA, Programmnachweise Hörfunk, Ansagen mit dem Thema des Forums und den Namen<br />
der diskutierenden Teilnehmer. Siehe auch Funkkurier, Nr. 3/1947 vom 28. 1. 1947.<br />
121 SDR/HA Programmnachweise Hörfunk vom 28. 10. 1947<br />
109
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e<strong>in</strong>en engeren Kontakt der Bevölkerung zur Volksvertretung herstellten, sondern<br />
auch die Möglichkeit boten, mittels verschiedener Debattenbeiträge<br />
unterschiedliche politische Standpunkte zu erfahren. Der besonderen Pflege des<br />
demokratischen Gedankens – ausdrücklich auch unter E<strong>in</strong>beziehung der<br />
deutschen Traditionen, wie Vorträge von Theodor Heuss und Carlo Schmid<br />
belegen – widmete sich die Sendung "Volk und Staat" unter Leitung und eigener<br />
Beteiligung von Fritz Ermarth.<br />
Auch die Kommentare gehörten zur Demonstration unterschiedlicher Me<strong>in</strong>ungen<br />
als dem Lebenselement der Demokratie: Hier zeichnete sich Radio <strong>Stuttgart</strong> aber<br />
nicht durch e<strong>in</strong>e besondere Vielfalt aus. Lange Zeit gab es nur den samstäglichen<br />
politischen "Wochenkommentar", auch "Politischer Wochenbericht" genannt.<br />
Ansonsten wurde der Me<strong>in</strong>ungskommentar beim <strong>Stuttgart</strong>er Sender lange Zeit<br />
nicht gepflegt. Erst vom April 1948 an sprachen vornehmlich He<strong>in</strong>z Frentzel<br />
sowie e<strong>in</strong>ige andere Redakteure und Mitarbeiter e<strong>in</strong>en täglichen Kurzkommentar.<br />
Der aus der sowjetischen Besatzungszone geflohene Frentzel, e<strong>in</strong> früheres SED-<br />
Mitglied, stieß nicht nur wegen se<strong>in</strong>er nun <strong>in</strong>s Fe<strong>in</strong>dbild der amerikanischen<br />
Besatzungsmacht passenden, scharf antikommunistischen Kommentare auf<br />
Kritik; er war auch völlig überfordert, fast täglich zu Ereignissen <strong>in</strong> Deutschland<br />
oder <strong>in</strong> der übrigen Welt angemessene <strong>in</strong>terpretierende und wertende<br />
Anmerkungen zu formulieren. Von Mai 1948 wurde daneben zweimal<br />
wöchentlich der RIAS-Kommentar von Alfred Boerner, e<strong>in</strong>em Mitarbeiter der US-<br />
Informationskontrolle, auch über Radio <strong>Stuttgart</strong> ausgestrahlt. In se<strong>in</strong>en<br />
Aussagen, die den Interessen der amerikanischen Außenpolitik untergeordnet<br />
waren, konnten diese Kommentare nicht unbed<strong>in</strong>gt als e<strong>in</strong> Muster für freien<br />
<strong>Rundfunk</strong>journalismus gelten 122 .<br />
Entsprechend den damaligen Vorstellungen und Begriffen spielte sich die aktuelle<br />
"unpolitische" Information im "Zeitfunk" ab. Er berichtete über Entwicklungen und<br />
Ereignisse auf allen Gebieten. E<strong>in</strong>e auf das gesamte Sendegebiet bezogene,<br />
122 <strong>Stuttgart</strong>er Zeitung vom 10. 11. 1948: "Wir können die Kommentare Herrn Frentzels schon<br />
lange nicht mehr hören"; siehe auch Rhe<strong>in</strong>- Neckar- Zeitung vom 2. 8.1948; Mettler<br />
Demokratisierung, S. 76 über die Kommentare von Alfred Boerner.<br />
110
flächendeckende Erkundung und Aufnahmetätigkeit war für diese<br />
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
Programmsparte noch lange deshalb schwierig, da nur – und dies auch erst seit<br />
dem Herbst 1946 – e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Übertragungswagen zur Verfügung stand, der<br />
zudem häufig für Sportübertragungen benötigt wurde. Der Zeitfunk mußte sich<br />
daher länger und stärker als beabsichtigt noch auf Studioaufnahmen<br />
beschränken. Nachdem 1948 e<strong>in</strong> zweiter Studiowagen <strong>in</strong> Betrieb genommen<br />
worden war, erweiterten sich der Aktionsradius der Zeitfunkreporter und damit<br />
die Möglichkeiten aktueller Berichterstattung 123 . Trotz der Abhängigkeit von<br />
langen "Strippen" vom Ort des Geschehens zum Übertragungswagen und bei<br />
Live- Reportagen vom Leitungsnetz der Post zum Ü- Wagen war auch bei Radio<br />
<strong>Stuttgart</strong> der Zeitfunk die Sendeform mit lebendigen, spontanen Äußerungen der<br />
Bevölkerung und Reportagen über das Alltagsleben <strong>in</strong> der Nachkriegszeit. Leider<br />
haben sich nicht allzu viele Aufnahmen davon erhalten. Das sonstige<br />
Wortprogramm, vor allem im kulturellen Sektor, muß <strong>in</strong>sgesamt als wenig<br />
<strong>in</strong>novativ beurteilt werden. Daß es <strong>in</strong> der formalen Gestaltung durchweg von<br />
Vortrag und Rezitation und kaum e<strong>in</strong>mal von freier spontaner Rede, ungeplantem<br />
Gespräch und offener Diskussion bestimmt war – das galt im übrigen auch für<br />
weite Bereiche des politischen bzw. aktuellen Programms - , ist aus den<br />
Programmtraditionen <strong>in</strong> Deutschland verständlich. Hier haben sich für die<br />
meisten Sendeplätze erst im Laufe der fünfziger, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen sogar erst <strong>in</strong> den<br />
sechziger Jahren gewichtige Veränderungen vollzogen.<br />
123 Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>, S. 14.<br />
111
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Der Ü- Wagen von Radio <strong>Stuttgart</strong> im Donautal auf dem Weg zu e<strong>in</strong>er Reportage<br />
über das Kloster Beuron, 1947<br />
Der Zeitfunk unterwegs: e<strong>in</strong> Techniker an den Reglern im Ü- Wagen "Theophil"<br />
Beim kulturellen Wort wurde damals zwischen dem literarischen Programm – im<br />
wesentlichen Dichterlesungen - , dem künstlerischen Wort – vor allem dem<br />
Hörspiel – und dem wissenschaftlich- kulturellen Vortragswesen unterschieden.<br />
Zum literarischen Programm stellte der Bericht über "Vier Jahre Radio <strong>Stuttgart</strong>"<br />
fest, das Bestreben der verantwortlichen Mitarbeiter gelte der "Vermittlung<br />
dichterischer Ewigkeitswerte wie der Vermittlung zeitgenössischen Schaffens".<br />
Schon e<strong>in</strong>e flüchtige, auf exakte Analyse und quantitative Auswertung<br />
verzichtende Durchsicht erhellt, daß der Schwerpunkt nicht auf der<br />
Gegenwartsliteratur lag. Die Reihen "Dichter lesen aus ihrem Werk" bzw. die<br />
"Stunde der Dichtung" orientierten sich <strong>in</strong>sgesamt an Bewährtem, setzten aber<br />
auch e<strong>in</strong>ige neue Akzente bei der Vorstellung der Literatur des Auslandes. Die<br />
nach der Währungsreform im Programm plazierte Sendung "Kunst dieser Zeit",<br />
seit dem 20. Oktober 1948 "Unsere Nachtsendung", machte mehrfach mit der<br />
"Stimme der Jungen" bekannt, etwa mit Gedichten und Prosa von He<strong>in</strong>z Friedrich,<br />
Rolf Thies, Wolfgang Borchert, Wolf- Dietrich Schnurre sowie mit dem "Lied der<br />
112
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Emigration". Es gab aber auch Sendungen mit dem Titel "Was aber blieb uns?", <strong>in</strong><br />
denen Werke von Autoren wie Bruno Frank, Franz Werfel, Hans Egon Holthusen<br />
und Werner Bergengruen, also Angehörigen der "<strong>in</strong>neren Emigration", den Hörern<br />
vorgestellt wurden.<br />
Die Sendeformen beschränkten sich auf Lesungen, oft auch von den Autoren<br />
selbst, und konventionelle Literaturkritik im Stil e<strong>in</strong>er verlesenen<br />
Zeitungsrezension. Interviews und freie Gespräche mit den Autoren und Literaten<br />
gab es kaum. Literarische Essays oder das eigens für den <strong>Rundfunk</strong> geschriebene<br />
sogenannte "Feature" unter anderem über kulturhistorische und sonstige, die<br />
geistige Situation der Zeit beleuchtende Themen gab es bei Radio <strong>Stuttgart</strong> nicht.<br />
Diese Themen wurden – wenn überhaupt – im wesentlichen noch vom klassischen<br />
Vortragswesen abgedeckt, vor allem <strong>in</strong> der "Universitätsstunde" am<br />
Sonntagvormittag. Zeitkritische Betrachtungen und kulturkritische Polemiken, wie<br />
sie die zahlreichen neugegründeten Zeitschriften füllten, die die Währungsreform<br />
vielfach jedoch nicht überlebten, hatten bei Radio <strong>Stuttgart</strong> ke<strong>in</strong>en orig<strong>in</strong>ären<br />
Platz. Bezeichnend dafür ist auch der Umstand, daß der rührige Leiter der im<br />
März 1948 eröffneten Sendestelle Karlsruhe, He<strong>in</strong>rich Wiedemann, offensichtlich<br />
dieses Manko empfand und e<strong>in</strong>e Sendereihe mit dem Titel "Der Zeitschriftenleser"<br />
<strong>in</strong>s Leben rief; <strong>in</strong> ihr wurde diese Seite des kulturellen Lebens gespiegelt, ohne<br />
daß sich Radio <strong>Stuttgart</strong> daran mit wesentlichen eigenen Beiträgen beteiligt hätte.<br />
E<strong>in</strong> thematisches Novum stellte übrigens e<strong>in</strong>e naturwissenschaftliche Sendereihe<br />
unter der Leitung von Dr. Karl Reger dar, die <strong>in</strong> Form von Reportagen und<br />
Erläuterungen "Wege der naturwissenschaftlichen Forschung" aufzeigte 124 .<br />
Auch e<strong>in</strong> Blick auf das Hörspielprogramm von Radio <strong>Stuttgart</strong> belegt die Tendenz<br />
der Programmarbeit im kulturellen Bereich, mit <strong>in</strong>sgesamt eher konventionellen<br />
Mitteln radiophone "Gebrauchsware" zu produzieren. Das lag nicht zuletzt daran,<br />
daß die <strong>Stuttgart</strong>er Hörspielredaktion – wie übrigens die meisten Redaktionen der<br />
anderen Stationen – abgeschnitten war von den kulturellen und radiospezifischen<br />
Traditionen der Weimarer Zeit. Was das <strong>in</strong>sgesamt noch rare literarische Leben<br />
124 Ebd. S. 15 f.<br />
113
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ang<strong>in</strong>g, so muß man berücksichtigen, daß zudem <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong> der Nachkriegszeit<br />
nicht im Zentrum der Kultur- Aktivitäten stand. Verb<strong>in</strong>dungen über die Grenzen<br />
der Besatzungszonen h<strong>in</strong>weg blieben nach wie vor schwierig. Auch das<br />
erschwerte die Möglichkeiten, speziell für den Hörfunk geschriebene dramatische<br />
Texte aus der ohneh<strong>in</strong> noch spärlichen literarischen Produktion zu beschaffen.<br />
H<strong>in</strong> und wieder wurden deshalb Orig<strong>in</strong>alhörspiele von anderen Sendern<br />
übernommen.<br />
Beim literarischen Hörspiel von Radio <strong>Stuttgart</strong> standen bis 1949 die Adaptionen<br />
aus Schauspiel und Novellenprosa im Vordergrund entsprechend der<br />
Ankündigung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht für die amerikanischen <strong>Rundfunk</strong>offiziere, daß<br />
man <strong>in</strong> den Bemühungen fortfahren werde, "den Hörern die bedeutendsten Werke<br />
der klassischen sowie der neueren und neuesten Bühnenliteratur des In- und<br />
Auslandes <strong>in</strong> Funkbearbeitung" vermitteln werde. Besondere Schwerpunkte s<strong>in</strong>d<br />
bei der Auswahl der Vorlagen über die Jahre h<strong>in</strong>weg nicht auszumachen.<br />
Orig<strong>in</strong>alhörspiele blieben jedoch die Ausnahme. Der Vergleich zwischen Wolfgang<br />
Borcherts "Draußen vor der Tür" und der Behandlung e<strong>in</strong>es ähnlichen Themas <strong>in</strong><br />
Hans Sattlers, des Radio <strong>Stuttgart</strong> eng verbundenen Autoren und Dramaturgen,<br />
Hörspiel "Der Weg aus dem Dunkeln" (1948), offenbart den Unterschied zwischen<br />
literarischem Niveau, das damals im Hörspiel selten erreicht wurde, und<br />
radiophoner "Gebrauchsware", die an die Grenze der Trivialität streift.<br />
Gerechterweise muß betont werden: Das Hörspiel dieser Zeit darf kaum mit dem<br />
Anspruch, e<strong>in</strong>e eigenständige Kunstform zu se<strong>in</strong>, beurteilt werden; es war<br />
vielmehr oft e<strong>in</strong> um den Anteil der optischen Anschauung verr<strong>in</strong>gerter Theater-<br />
und K<strong>in</strong>oersatz. Seit 1947 ist diese Funktion deutlich erkennbar an dem größer<br />
werdenden Anteil unterhaltender Hörspiele: Komödien, Liebes- und<br />
Krim<strong>in</strong>algeschichten machten nun fast die Hälfte des Angebots aus. E<strong>in</strong> Beleg für<br />
den Theater- und K<strong>in</strong>oersatz ist auch die Tatsache, daß das Hörspiel der späten<br />
vierziger Jahre sich anhört wie die Tonspur e<strong>in</strong>es Ufa- Films. Wie stark das Vorbild<br />
des Films <strong>in</strong>sbesondere für die unterhaltenden Hörspielbeiträge prägend gewesen<br />
114
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ist, das zeigt auch die reichliche Verwendung von Musik, die aus diesen UFA-<br />
Filmen vertraut ist 125 .<br />
Der heutige Beobachter sieht eher die zeitbed<strong>in</strong>gten Beschränkungen des<br />
Programms der <strong>Rundfunk</strong>sender <strong>in</strong> der Nachkriegszeit; doch jenseits der<br />
experimentierfreudigen NWDR-Redaktion "talks and feature" <strong>in</strong> Hamburg wurde<br />
überall "mit Wasser gekocht". Wie im e<strong>in</strong>zelnen unterschiedliche<br />
Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen zu verschiedenen Ergebnissen führten, das müßte <strong>in</strong><br />
Bezug auf Radio <strong>Stuttgart</strong> im Vergleich zu den anderen Sendern der westlichen<br />
Besatzungszonen noch im Detail untersucht werden.<br />
<strong>Rundfunk</strong>politik zwischen Weimar und Wash<strong>in</strong>gton<br />
Der Streit um die <strong>Rundfunk</strong>gesetzgebung<br />
Sprachrohr e<strong>in</strong>es neuen Denkens, Ausdruck demokratischer Me<strong>in</strong>ungsvielfalt zu<br />
se<strong>in</strong>, das war das Anliegen der meisten Mitarbeiter der Sender <strong>in</strong> den westlichen<br />
Zonen und damit auch von Radio <strong>Stuttgart</strong>. Über die dauerhafte Sicherung dieses<br />
Anliegens wurde zwischen den deutschen Politikern und den Besatzungsmächten<br />
heftig gerungen, weil abweichende Vorstellungen nur schwer mite<strong>in</strong>ander<br />
vere<strong>in</strong>bar waren. In <strong>Stuttgart</strong> sollten diese Ause<strong>in</strong>andersetzungen besonders<br />
lange dauern.<br />
Schwierigster Punkt <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung war dabei die Frage, welchen<br />
E<strong>in</strong>fluß der Staat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er künftigen <strong>Rundfunk</strong>organisation haben sollte. Anfangs<br />
erschwerten zusätzlich die amerikanischen Sachverständigen selbst die<br />
Konsensf<strong>in</strong>dung: Die OMGUS-Zentrale <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> konnte sich durchaus e<strong>in</strong>e<br />
Beteiligung der Landesregierungen am <strong>Rundfunk</strong> vorstellen, während die<br />
Militärregierung von Württemberg- Baden dies strikt ablehnte. Der Generalnenner,<br />
ausführlicher Bolik/Skoruppa, Hörspiel nach der Stunde Null, Sendemanuskript vom 28. 7. 1989.<br />
115
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den E<strong>in</strong>fluß der Exekutive, der parlamentarischen Institutionen und der Parteien<br />
zugunsten e<strong>in</strong>es unabhängigen <strong>Rundfunk</strong>s zurückzudrängen, setzte sich dann<br />
aber im Laufe e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternen Klärungsprozesses durch. Trotz mancher<br />
Schwierigkeiten gelang es, e<strong>in</strong>e gewisse E<strong>in</strong>heitlichkeit <strong>in</strong> der<br />
<strong>Rundfunk</strong>gesetzgebung der Länder <strong>in</strong> der amerikanischen Zone zu erreichen. Sie<br />
unterschied sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Punkten deutlich vom Statut für den<br />
Nordwestdeutschen <strong>Rundfunk</strong>, das ja maßgeblich von britischen Vorstellungen<br />
geprägt war. So zeichnen sich bis <strong>in</strong> die Gegenwart die <strong>Rundfunk</strong>gesetze der<br />
Länder <strong>in</strong> der ehemaligen amerikanischen Zone dadurch aus, daß der<br />
Regierungs- und Parteiene<strong>in</strong>fluß <strong>in</strong> den Aufsichtsgremien weitgehend<br />
zurückgedrängt ist. Darüber h<strong>in</strong>aus f<strong>in</strong>den sich klare Regelungen, die verh<strong>in</strong>dern<br />
sollen, daß über die F<strong>in</strong>anzkontrolle und über die Verwaltung von möglichen<br />
Überschüssen aus den Gebührene<strong>in</strong>nahmen <strong>in</strong>direkt E<strong>in</strong>fluß durch die staatliche<br />
Exekutive oder die Parlamente ausgeübt wird 126 .<br />
In den anfänglichen Diskussionen mit den deutschen Vertretern taten sich die<br />
Amerikaner sehr schwer, weil sie klarere Vorstellungen davon hatten, was sie<br />
nicht wollten, den Deutschen aber auch nicht ihr privatwirtschaftliches<br />
<strong>Rundfunk</strong>system aufzuzw<strong>in</strong>gen beabsichtigten. Von dieser Seite waren daher zu<br />
Beg<strong>in</strong>n der Gespräche wenig konstruktive Vorschläge zu erwarten. Deshalb war es<br />
für die deutschen Vertreter um so e<strong>in</strong>facher, <strong>in</strong> den Verhandlungen mit den<br />
Amerikanern mit großer Beharrlichkeit an den Organisationsmodellen der<br />
Weimarer Zeit festzuhalten. Schließlich waren die Regierungen der Länder wieder<br />
durch demokratische Wahlen legitimiert, ihre Vertreter als engagierte Verfechter<br />
demokratischer Ideen ausgewiesen: Da konnte doch gegen den maßgeblichen<br />
E<strong>in</strong>fluß der Exekutive – sei es auf Grund der gesellschaftsrechtlichen<br />
Konstruktionen und/oder weitgehender staatlicher Kontrollbefugnisse bei den<br />
<strong>Rundfunk</strong>gesellschaften – nichts e<strong>in</strong>zuwenden se<strong>in</strong>. Dieses Festhalten an<br />
126 Die folgende Darstellung beruht auf der unveröffentlichten Diplomarbeit von Horst Scholtissek,<br />
Die Entstehungsgeschichte des Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>s. Vom Zonenrundfunk <strong>in</strong> Württemberg-<br />
Baden zur öffentlich- rechtlichen <strong>Rundfunk</strong>anstalt, Regensburg 1974. Sie ist auf der Basis der<br />
Akten zur <strong>Rundfunk</strong>gesetzgebung erstellt, die das Staatsm<strong>in</strong>isterium Württemberg- Baden<br />
anlegte. Sie bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong>zwischen im Hauptstaatsarchiv <strong>Stuttgart</strong>. Siehe auch Bausch,<br />
<strong>Rundfunk</strong>politik nach 1945, S. 93 ff.<br />
116
http:/ /www.mediaculture- onl<strong>in</strong>e.de<br />
überkommenen Organisationsmodellen hatte e<strong>in</strong>erseits damit zu tun, daß man<br />
ke<strong>in</strong> juristisches Vorbild e<strong>in</strong>er funktionierenden öffentlichen E<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong><br />
weitgehender Selbstverwaltung zur Hand hatte. Andererseits saßen Vorstellungen<br />
über den <strong>Rundfunk</strong> als Verlautbarungsorgan der Exekutive sowie die Furcht vor<br />
e<strong>in</strong>em wirklich unabhängigen, regierungskritischen Medium mit e<strong>in</strong>em viel<br />
höheren "Wirkungsgrad", als man ihn der Presse unterstellte, so tief, daß man mit<br />
aller Macht die schon <strong>in</strong> der Weimarer Zeit vorhandenen E<strong>in</strong>flußmöglichkeiten<br />
behaupten wollte. So war es nur konsequent, wenn die Diskussion, die schon im<br />
Herbst 1945 geführt wurde, <strong>in</strong>nerhalb der Regierung von Württemberg- Baden<br />
über die künftige Form des <strong>Rundfunk</strong>s um die Organisationsmodelle der<br />
Weimarer Zeit kreiste, die so auch <strong>in</strong> ersten Gesetzentwürfen ihren Niederschlag<br />
fand. Diese wurden später von deutscher Seite <strong>in</strong> die Beratungen des<br />
Süddeutschen Länderrats e<strong>in</strong>gebracht: Danach sollte der der Staat die<br />
Geschäftsanteile der neuen <strong>Rundfunk</strong>gesellschaften besitzen und auch<br />
weitgehend die Mitglieder der aufsichtsführenden Gremien bestimmen.<br />
E<strong>in</strong> Erbe aus der Weimarer Zeit war auch das Mitspracherecht der Post beim<br />
<strong>Rundfunk</strong>; dagegen hatte man von Seiten der deutschen Politiker wenig<br />
e<strong>in</strong>zuwenden. Damals konzessionierte die Reichspost die Sendeerlaubnis wie<br />
auch den <strong>Rundfunk</strong>empfang, betreute den technischen Betrieb vom Studio bis zu<br />
den Sendeanlagen. Als Konzessionsbehörde stand ihr auch das gesamte<br />
Gebührenaufkommen zu. Aus den E<strong>in</strong>nahmen hatte sie recht willkürlich e<strong>in</strong>en<br />
Teil an die Programmgesellschaften abgeführt, andere Teile der<br />
<strong>Rundfunk</strong>e<strong>in</strong>nahmen aber dazu benutzt, um Defizite im allgeme<strong>in</strong>en Posthaushalt<br />
zu decken. Dies war auch der Grund dafür, weshalb der Beauftragte für<br />
<strong>Rundfunk</strong>fragen bei der Regierung von Württemberg- Baden, Joseph Vögele, e<strong>in</strong>e<br />
Lösung bevorzugte, die das gesamte Gebührenaufkommen den<br />
<strong>Rundfunk</strong>gesellschaften zusprach. Die Post sollte aus diesen E<strong>in</strong>nahmen für<br />
technische Dienste und den Gebührene<strong>in</strong>zug e<strong>in</strong> Entgelt erhalten. Damit sollte<br />
unterbunden werden, daß die Post – wie <strong>in</strong> den Jahren der Weimarer Republik<br />
geschehen – die Gebühren für andere Zwecke verwandte. Daß sich e<strong>in</strong>e solche<br />
117
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Entwicklung schon wieder anbahnte, zeigte Anfang 1946 die Forderung des<br />
Postm<strong>in</strong>isteriums von Württemberg- Baden, die <strong>Rundfunk</strong>gebühren zu erhöhen,<br />
um so die Defizite im Posthaushalt des Landes decken zu können.<br />
Immerh<strong>in</strong> gelang es auf der Ebene des Länderrates, e<strong>in</strong>en Konsens zwischen den<br />
Regierungsvertretern der Länder <strong>in</strong> der amerikanischen Zone zu erreichen. Die<br />
Post sollte sich auf den Kabel- und Entstörungsdienst beschränken, und der<br />
Gebührene<strong>in</strong>zug sei gegen entsprechendes Entgelt als Dienstleistung der Post für<br />
den <strong>Rundfunk</strong> zu betrachten. Lediglich <strong>in</strong> der Frage, wer die Sendeanlagen<br />
besitzen und betreiben sollte, blieb man une<strong>in</strong>s. Gegen diesen Beschluß vom 6.<br />
August 1946 machte die Deutsche Post sogleich mobil: Sie schickte ihre<br />
Mitarbeiter mit Protestversammlungen und Petitionen vor, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e<br />
Aufrechterhaltung der alten Regelungen gefordert wurde.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus versuchte die Post, auch mit juristischen Argumenten ihren<br />
umfassenden E<strong>in</strong>fluß auf das <strong>Rundfunk</strong>system aufrechtzuerhalten. Sie stützte<br />
sich dabei <strong>in</strong>sbesondere auf das Fernmeldeanlagengesetz von 1928, das von den<br />
Alliierten formell nicht außer Kraft gesetzt war. Anders als der Süddeutsche<br />
Länderrat zeigte sich im Laufe des Jahres 1947 der Wirtschaftsrat des Vere<strong>in</strong>igten<br />
Wirtschaftsgebietes der amerikanischen und britischen Zone (der sogenannten<br />
Bizone) aufgeschlossen gegenüber den Vorstellungen der Postbürokratie. Dieser<br />
Wirtschaftsrat beschloß am 20. November 1947, im Interesse der<br />
Rechtskont<strong>in</strong>uität bedürften sämtliche Änderungen der Besitzrechte und der<br />
Verwaltungsangelegenheiten des <strong>Rundfunk</strong>s der Zustimmung dieses Gremiums.<br />
Das Ergebnis e<strong>in</strong>er derartigen Abstimmung wäre vor allem im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
alten Rechte der Post nicht zweifelhaft gewesen.<br />
Dieser Beschluß des Wirtschaftsrats wurde tags darauf vom Militärgouverneur der<br />
amerikanischen Zone, General Lucius D. Clay, wegen Unzuständigkeit kassiert.<br />
Damit waren für die amerikanische Zone die mehr als e<strong>in</strong> Jahr andauernden<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Beteiligung der Post am neuen <strong>Rundfunk</strong> e<strong>in</strong> für<br />
allemal entschieden, und es blieb bei den Feststellungen des<br />
118
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Länderratsbeschlusses, die Aufgaben der Post auf den Gebührene<strong>in</strong>zug im<br />
Auftrag der Landesregierungen sowie auf die Bereitstellung von Kabeln und e<strong>in</strong>es<br />
Entstörungsdienstes zu beschränken. Die Vermögenswerte der Post an den<br />
derzeit von der ICD, also der für Medien und Kultur zuständigen Abteilung der<br />
amerikanischen Militärregierung, <strong>in</strong> Frankfurt, München, Bremen und <strong>Stuttgart</strong><br />
betriebenen <strong>Rundfunk</strong>sendern sollte den Landesregierungen übertragen werden.<br />
Diese hatten das Vermögen treuhänderisch zu verwalten und <strong>in</strong> die künftige<br />
<strong>Rundfunk</strong>organisation e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Die betreffenden Vermögenswerte der<br />
Reichspost wurden nach diesem Beschluß im Frühjahr 1949 durch alliiertes<br />
Gesetz entschädigungslos enteignet und den neugegründeten <strong>Rundfunk</strong>anstalten<br />
übertragen.<br />
E<strong>in</strong> zweiter Befehl vom 21. November 1947 durch den stellvertretenden<br />
Militärgouverneur General George P. Hays bestimmte als Term<strong>in</strong>, an dem die<br />
<strong>Rundfunk</strong>gesetzgebung der Länder abgeschlossen se<strong>in</strong> müsse, den 15. März<br />
1948. Er zeigte sich e<strong>in</strong>verstanden mit den bis zum Herbst 1947 erkennbaren<br />
Vorschlägen für die Zusammensetzung von Kontrollgremien unter der<br />
Voraussetzung, daß "diese Vertretung Gruppen umfaßt, die e<strong>in</strong>e wirkliche<br />
Vertretung der gesamten Geme<strong>in</strong>schaft des Volkes darstellen. Durch die<br />
Zusammensetzung der Aufsichts- und Betriebsstellen muß verh<strong>in</strong>dert werden,<br />
daß e<strong>in</strong>e durch Zusammenschluß staatlicher, politischer, religiöser oder<br />
wirtschaftlicher Interessen die Oberhand gew<strong>in</strong>nt". Klare Anweisungen,<br />
entsprechende Formulierungen h<strong>in</strong>sichtlich der Rechtsnatur der <strong>Rundfunk</strong>gebühr<br />
zu f<strong>in</strong>den – sie dürfe nicht als Genehmigungsgebühr zum Betrieb von<br />
Fernmeldeanlagen bezeichnet werden – und die Forderung, den Bereich der<br />
F<strong>in</strong>anzkontrolle e<strong>in</strong>deutig zu regeln, zeigten den Deutschen, daß die Amerikaner<br />
<strong>in</strong>zwischen präzisere Vorstellungen gewonnen hatten, wie das künftige<br />
<strong>Rundfunk</strong>system zu gestalten sei.<br />
119
Von Radio <strong>Stuttgart</strong> zum Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong><br />
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Diese Vorgaben waren für den Landtag von Württemberg- Baden <strong>in</strong>sofern noch<br />
von Bedeutung, als das <strong>Rundfunk</strong>gesetz, das der Landtag am 18. Juni 1947<br />
beschlossen hatte, bereits am 16. Juli von der amerikanischen Militärregierung<br />
zurückgewiesen worden war. Der weitgehend noch von Joseph Vögele, dem<br />
maßgeblichen <strong>Rundfunk</strong>fachmann der württembergischen Regierung während der<br />
Weimarer Republik, <strong>in</strong>spirierte Entwurf bzw. das Gesetz sahen e<strong>in</strong>e "Gesellschaft<br />
mit beschränkter Haftung" im hundertprozentigen staatlichen Besitz vor. Die<br />
Gesellschaft sollte von e<strong>in</strong>em <strong>Rundfunk</strong>rat, e<strong>in</strong>em politischen Ausschuß und<br />
e<strong>in</strong>em Aufsichtsrat kontrolliert werden. Regierungsvertreter hatten dort jeweils<br />
nur e<strong>in</strong>e beratende Funktion, und auf e<strong>in</strong>en Vertreter des Staates im Aufsichtsrat<br />
wollte man gegebenenfalls sogar verzichten. Als Mitglieder des <strong>Rundfunk</strong>rats<br />
sollten unabhängige, "nur die Öffentlichkeit" vertretende Persönlichkeiten teils<br />
von Organisationen berufen, teils auf Vorschlag des "Ständigen Ausschusses"<br />
vom Landtag gewählt werden. Am zweckmäßigsten hielt man aber e<strong>in</strong>e Berufung<br />
durch die Regierung, die dafür dem Landtag verantwortlich se<strong>in</strong> sollte.<br />
Erstmals enthielt dieses Gesetz auch die zehn Leitsätze, die amerikanische ICD-<br />
Offiziere als "Entwurf zu e<strong>in</strong>er Erklärung Über die <strong>Rundfunk</strong>freiheit <strong>in</strong><br />
Deutschland" am 14. Mai 1946 verabschiedet hatten. Es wurde erwartet, daß sie<br />
jedem künftigen <strong>Rundfunk</strong>gesetz vorangestellt würden oder sogar <strong>in</strong> die<br />
Landesverfassungen E<strong>in</strong>gang fänden. In diesen Leitsätzen waren Grundsätze<br />
festgelegt z.B. für angemessene und gleiche Sendezeit für religiöse Bekenntnisse,<br />
für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wie auch für die Parteien. Auch der Grundsatz,<br />
Nachricht und Kommentar zu trennen, und das Gebot, Gefühle von<br />
Andersdenkenden nicht zu verletzen, wurden bekräftigt. Die <strong>in</strong> Ziffer 8 geregelte<br />
Sicherung der Kritik an der Regierung und den Behörden wurde im Gesetz des<br />
Landtags von Württemberg- Baden so abgewandelt, daß der Regierung e<strong>in</strong><br />
Rechtfertigungsrecht e<strong>in</strong>geräumt wurde 127 .<br />
127 Bausch, <strong>Rundfunk</strong>politik nach 1945, S. 72 ff.<br />
120
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Ihre Ablehnung des <strong>Rundfunk</strong>gesetzes für den <strong>Stuttgart</strong>er Sender begründete die<br />
amerikanische Militärregierung folgendermaßen: Der Regierung komme noch<br />
immer e<strong>in</strong>e beherrschende Stellung zu, vor allem durch den Besitz des<br />
Gesellschaftskapitals. Dieses Problem sollte entweder durch nicht<br />
stimmberechtigte Anteile des Gesellschaftskapitals oder durch die Verwendung<br />
der Rechtsfigur "Körperschaft des öffentlichen Rechts" beseitigt werden. Denkbar<br />
sei auch e<strong>in</strong>e Stiftung. Damit bewegte sich die juristische und politische<br />
Diskussion weg von der privatrechtlichen Konstruktion e<strong>in</strong>er GmbH <strong>in</strong> die<br />
Richtung e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung des öffentlichen Rechts. Doch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Rechtsgutachten konnte nachgewiesen werden, daß nach deutschem Recht für<br />
Körperschaften des öffentlichen Rechts staatliche Weisungsbefugnis und<br />
Zwangsetatisierung möglich seien. Diese E<strong>in</strong>griffsmöglichkeiten waren aber<br />
genau das Gegenteil dessen, was die Amerikaner anstrebten.<br />
Der am 2. Oktober 1947 gewählte Radioausschuß des Landtags von<br />
Württemberg- Baden konnte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Arbeit, was die Verflechtung von<br />
<strong>Rundfunk</strong> und Post ang<strong>in</strong>g, schon auf den Clay- Befehl stützen; über diesen<br />
Problembereich gab es nun nichts mehr zu diskutieren und zu verhandeln. E<strong>in</strong><br />
am 16. Februar 1948 von Joseph Vögele der Regierung und dem Landtag<br />
vorgelegter Entwurf g<strong>in</strong>g jetzt schon von der Rechtsform e<strong>in</strong>er "Körperschaft des<br />
öffentlichen Rechts" aus und sah als Organe Geschäftsleitung, <strong>Rundfunk</strong>rat und<br />
Verwaltungsrat vor. Nachdem im Verlauf der weiteren Gespräche mit der<br />
Militärregierung statt der "Körperschaft" die "Anstalt des öffentlichen Rechts" als<br />
die geeignetste Rechtsform erkannt und außerdem bestimmt worden war, die<br />
Überschüsse aus den Gebührene<strong>in</strong>nahmen seien nur für Zwecke des <strong>Rundfunk</strong>s<br />
zu verwenden, konnte nach relativ kurzer Beratung durch das Parlament im<br />
Sommer das <strong>Rundfunk</strong>gesetz am 8. August 1948 verabschiedet und am 30.<br />
September im Gesetzblatt des Landes Württemberg- Baden verkündet werden.<br />
Die wesentlichen Bestimmungen neben den "zehn Geboten" der Programmarbeit<br />
waren: Der Intendant wird vom Verwaltungsrat und <strong>Rundfunk</strong>rat geme<strong>in</strong>sam<br />
121
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bestellt. Sechs Mitglieder des Verwaltungsrats s<strong>in</strong>d vom <strong>Rundfunk</strong>rat, fünf weitere<br />
vom Landtag für zwei Jahre zu wählen; <strong>in</strong> diesem Punkt änderte der Landtag den<br />
Entwurf leicht ab. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats gehört dem <strong>Rundfunk</strong>rat<br />
Kraft Amtes an; die übrigen vierzehn Mitglieder dieses Gremiums s<strong>in</strong>d auf<br />
Vorschlag verschiedener Organisationen für vier Jahre vom Landtag zu berufen;<br />
sie sollen mit Ausnahme des Verwaltungsratsvorsitzenden – dem Landtag nicht<br />
angehören dürfen. Weitere Vertreter kultureller Organisationen könnten auf<br />
Vorschlag des Intendanten oder des Verwaltungsrats <strong>in</strong> den <strong>Rundfunk</strong>rat<br />
aufgenommen werden, die Höchstgrenze soll bei zwanzig Mitgliedern liegen. Mit<br />
beratender Stimme ist e<strong>in</strong> Vertreter der Landesregierung an allen Sitzungen des<br />
<strong>Rundfunk</strong>rats zu beteiligen.<br />
In den Debatten des <strong>Stuttgart</strong>er Landtags machten die Abgeordneten ihrer<br />
Verärgerung über die unnachgiebige Haltung der Amerikaner bei der<br />
Verwendung der Überschüsse oder auch bei der Beteiligung der Post am<br />
<strong>Rundfunk</strong> Luft: Es fiel das böse Wort, daß irgendwann auch Deutschland wie<br />
"jedem Negerstaat ( ... ) die Freiheit der Selbstbestimmung gegeben werde." Dann<br />
habe man endlich wieder Gelegenheit, e<strong>in</strong> <strong>Rundfunk</strong>gesetz nach eigenen<br />
Vorstellungen zu entwickeln.<br />
Obwohl im Laufe der Beratungen im Landtag strittige Fragen immer wieder mit<br />
der Militärregierung abgestimmt worden waren, fand auch dieses Gesetz bei den<br />
Amerikanern ke<strong>in</strong>e Zustimmung. Es gab E<strong>in</strong>wände bei der Zusammensetzung des<br />
<strong>Rundfunk</strong>rates, dessen Mitgliedsorganisationen genauer bestimmt werden<br />
müßten. Im übrigen sollten diese Organisationen selbst die Persönlichkeiten, die<br />
sie entsenden wollten, bestimmen und nicht der Landtag. Zudem sollten weitere<br />
Standesorganisationen und Berufsverbände, also beispielsweise die der Musiker,<br />
Schriftsteller und Journalisten, vertreten se<strong>in</strong>. Es wurde die klare Festlegung<br />
verlangt, daß die sechs vom <strong>Rundfunk</strong>rat zu wählenden Mitglieder des<br />
Verwaltungsrates weder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Abhängigkeitsverhältnis zu Staat und<br />
Regierung, noch zum <strong>Rundfunk</strong> stünden. Fünf Vertreter des Landtags im<br />
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Verwaltungsrat waren den Amerikanern wiederum zuviel; ihre Zahl sollte<br />
reduziert werden. Regierung und Landtag durften jetzt allerd<strong>in</strong>gs im <strong>Rundfunk</strong>rat<br />
vertreten se<strong>in</strong>; <strong>in</strong> Hessen und Bayern hatten die dortigen Militärregierungen<br />
vergleichbare Regelungen passieren lassen.<br />
Der Radioausschuß des <strong>Stuttgart</strong>er Landtags mußte nun erneut reaktiviert<br />
werden. Nur widerwillig erfüllten im Frühjahr 1949 die Abgeordneten die<br />
Auflagen der amerikanischen Militärregierung. Im wesentlichen wurden Größe<br />
und Zusammensetzung der Gremien geändert: Der <strong>Rundfunk</strong>rat wuchs – um<br />
e<strong>in</strong>ige Organisationen erweitert – auf 30 Mitglieder an; fünf waren vom Landtag<br />
zu wählen und konnten auch Abgeordnete se<strong>in</strong>. Da man der Landesregierung<br />
e<strong>in</strong>e beratende Mitgliedschaft auf Druck der Amerikaner nicht zugestehen durfte,<br />
hielt diese es unter ihrer Würde, durch e<strong>in</strong>en Sitz mit Stimmrecht den<br />
verschiedenen Berufsverbänden und Interessenorganisationen gleichgestellt zu<br />
se<strong>in</strong>: Die Regierung des Landes Württemberg- Baden verzichtete völlig auf ihre<br />
Mitgliedschaft. So kommt es, daß bis heute der Süddeutsche <strong>Rundfunk</strong> die<br />
e<strong>in</strong>zige Anstalt <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland ohne Regierungsvertreter <strong>in</strong><br />
den Gremien ist. Die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsrats wurde auf sieben<br />
reduziert, fünf davon waren vom <strong>Rundfunk</strong>rat, zwei vom Landtag auf zwei Jahre<br />
zu wählen. Um wenigstens <strong>in</strong>direkt an möglichen E<strong>in</strong>nahmeüberschüssen aus den<br />
<strong>Rundfunk</strong>gebühren teilhaben zu können, wurde der Anstalt des öffentlichen<br />
Rechts die Geme<strong>in</strong>nützigkeit nicht zuerkannt. Das bedeutete wenigstens die<br />
Steuerpflichtigkeit ihrer E<strong>in</strong>nahmen. Die Vorlage wurde <strong>in</strong> allen drei Lesungen am<br />
31. März 1949 beraten und verabschiedet und sechs Tage später als Gesetz Nr.<br />
1039 von der Landesregierung ausgefertigt. Es trat am Tag se<strong>in</strong>er Verkündung im<br />
Regierungsblatt Nr. 10/1949 am 12. Mai 1949 <strong>in</strong> Kraft.<br />
Damit waren die Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e Übergabe von Radio <strong>Stuttgart</strong> <strong>in</strong><br />
deutsche Verantwortung geschaffen, damit war das rechtliche Fundament für den<br />
Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong> gelegt. Allerd<strong>in</strong>gs bildete der <strong>Stuttgart</strong>er Sender damit<br />
das Schlußlicht <strong>in</strong> der Reihe der <strong>Rundfunk</strong>anstalten der amerikanische Zone: Die<br />
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Gesetzesvorlagen waren <strong>in</strong> Hessen und Bayern bereits im Herbst 1948<br />
verabschiedet worden, Radio Frankfurt am 28. Januar 1949 als Hessischer<br />
<strong>Rundfunk</strong> und Radio München am 25. Januar 1949 als Bayerischer <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong><br />
deutsche Hände übergeben worden; Radio Bremen folgte am 5. April dieses<br />
Jahres.<br />
Nach dem Erlaß von drei Ausführungsverordnungen, die unter anderem die<br />
Wahlprozeduren für die Gremien bestimmten, konstituierten sich die vom Gesetz<br />
bestimmten Aufsichtsorgane des künftigen Süddeutschen <strong>Rundfunk</strong>s. Der<br />
Vorsitzende des Verwaltungsrats, Josef Ers<strong>in</strong>g, und der Vorsitzende des<br />
<strong>Rundfunk</strong>rats, Dr. Valent<strong>in</strong> Gaa, nahmen <strong>in</strong> dieser Eigenschaft bereits am 22. Juli<br />
1949 an der feierlichen E<strong>in</strong>holung der amerikanischen Flagge auf dem Dach des<br />
Funkhauses <strong>in</strong> der Neckarstraße 145 und an der Übergabezeremonie im Großen<br />
Haus der Württembergischen Staatstheater teil. Während der Feierstunde wurde<br />
dem noch amtierenden, von den Amerikanern ernannten Intendanten Erich<br />
Rossmann durch den Direktor der Militärregierung für Württemberg- Baden,<br />
Charles P. Gross, wie bereits <strong>in</strong> Frankfurt, München und Bremen die<br />
Lizenzurkunde überreicht: Damit war der eigentliche Übergabeakt vollzogen.<br />
Während die amerikanischen Redner auf den Zusammenhang zwischen ihren<br />
Vorstellungen vom <strong>Rundfunk</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er freien und demokratischen Gesellschaft<br />
und den im Radio- Gesetz gefundenen Bestimmungen abhoben, während<br />
Intendant Rossmann nachdenkenswerte Worte über die Erziehungsaufgabe des<br />
<strong>Rundfunk</strong>s fand, belegte der M<strong>in</strong>isterpräsident des Landes Württemberg- Baden,<br />
Dr. Re<strong>in</strong>hold Maier, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ansprache mit der im eigenen, <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht<br />
unnachahmlichen Diktion noch e<strong>in</strong>mal das Unverständnis der deutschen<br />
Nachkriegspolitiker dafür, daß e<strong>in</strong> wirklich unabhängiger <strong>Rundfunk</strong><br />
Rechtskonstruktionen und Organisationsstrukturen bedürfe, die von<br />
überkommenen Modellen abwichen. Se<strong>in</strong>er Feststellung, daß die "Radiostation im<br />
Grunde niemand gehöre und daß niemand e<strong>in</strong>e Verantwortung" trage, fügte er die<br />
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Frage h<strong>in</strong>zu: "Wir s<strong>in</strong>d im übrigen begierig, zu welchem künftigen 'Jemand' der<br />
heutige ansche<strong>in</strong>ende ,Niemand' sich entwickeln wird" 128 .<br />
Die <strong>in</strong> diesen Worten mitschw<strong>in</strong>gende Skepsis sollte sich als unberechtigt<br />
erweisen. Das nach zähem R<strong>in</strong>gen gefundene Organisationskonzept bewährte<br />
sich und schuf nicht nur im deutschen Südwesten funktions- und leistungsfähige<br />
<strong>Rundfunk</strong>anstalten, die ihren Beitrag zum Aufbau e<strong>in</strong>es demokratischen<br />
Geme<strong>in</strong>wesens leisteten. In se<strong>in</strong>em Urteil zu <strong>Rundfunk</strong>fragen, im sogenannten<br />
ersten Fernsehurteil vom 28. Februar 1961, machte sich das<br />
Bundesverfassungsgericht <strong>in</strong> Karlsruhe die Grundgedanken der alliierten<br />
<strong>Rundfunk</strong>konzeption zu eigen, <strong>in</strong>dem es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Auslegung des Artikels 5 des<br />
Grundgesetzes zur Presse- und <strong>Rundfunk</strong>freiheit feststellte: Auch wenn nicht<br />
gefordert sei, "daß Veranstalter von <strong>Rundfunk</strong>sendungen nur Anstalten des<br />
öffentlichen Rechts se<strong>in</strong> könnten", so verlange jedoch das Gebot der Sicherung<br />
der Freiheit des <strong>Rundfunk</strong>s, "daß dieses moderne Instrument der<br />
Me<strong>in</strong>ungsbildung weder dem Staat noch e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Gruppe<br />
ausgeliefert wird. Art. 5 GG h<strong>in</strong>dert nicht, daß auch Vertreter des Staates <strong>in</strong> den<br />
Organen des "neutralisierten" Trägers der Veranstaltungen e<strong>in</strong> angemessener<br />
Anteil e<strong>in</strong>geräumt wird. Dagegen schließt Art. 5 GG aus, daß der Staat unmittelbar<br />
oder mittelbar e<strong>in</strong>e Anstalt oder Gesellschaft beherrscht " 129 .<br />
Das Werk e<strong>in</strong>schließlich aller se<strong>in</strong>er Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist<br />
ohne Zustimmung des Rechte<strong>in</strong>habers unzulässig und strafbar. Das gilt<br />
128 Die Reden s<strong>in</strong>d abgedruckt <strong>in</strong>: <strong>Rundfunk</strong> und Fernsehen, Folge 3/4, 1949, S.29- 42.<br />
129 Helmut G. Bauer u.a. (Hrsg.), Die Neuen Medien. Recht, Bd. 2, 21. Rechtsprechung, "1.<br />
Fernsehurteil", S. 39.<br />
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<strong>in</strong>sbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und<br />
die Speicherung und Verarbeitung <strong>in</strong> elektronischen Systemen.<br />
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