Das Internet im pädagogischen Diskurs - Mediaculture online
Das Internet im pädagogischen Diskurs - Mediaculture online
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Autor: Düx, Sascha.<br />
Titel: <strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>.<br />
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
Quelle: Sascha Düx: <strong>Internet</strong>, Gesellschaft und Pädagogik. Computernetze als<br />
Herausforderung für Jugendarbeit und Schule. München 2000. S. 179-281.<br />
Verlag: kopaed verlagsgmbh.<br />
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.<br />
Sascha Düx<br />
<strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
„Es ist für eine<br />
zukunftsweisende Pädagogik<br />
zu wenig, Prophylaxe und<br />
Didaktik zu betreiben. Wo die<br />
Emanzipation der<br />
Heranwachsenden <strong>im</strong><br />
Mittelpunkt steht, die<br />
Entwicklung ihrer Fähigkeit, die<br />
Welt zu begreifen und sozial<br />
verantwortlich mitzugestalten,<br />
da muß sich Erziehung mit<br />
einer neuen, vielschichtigen<br />
und allumfassenden<br />
Entwicklung in all ihrer<br />
Komplexität<br />
auseinandersetzen“<br />
(BERND SCHORB 1 )<br />
4.1. <strong>Internet</strong> als Risiko .................................................................................................................................................6<br />
4.1.1. Problematisierung von Netzinhalten ........................................................................................................7<br />
4.1.2. Problematisierung des <strong>Internet</strong> als Medium .........................................................................................25<br />
4.1.3. Problematisierung komplexer Auswirkungen des <strong>Internet</strong> ............................................................39<br />
4.2. <strong>Internet</strong> als Chance ............................................................................................................................................54<br />
4.2.1. <strong>Internet</strong> als didaktisches Medium ...........................................................................................................55<br />
4.2.2. Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong> .............................................................................................................73<br />
4.2.3. <strong>Internet</strong> in der Jugendarbeit ......................................................................................................................96<br />
1 SCHORB 1995b, S. 24f.<br />
1
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Spätestens Mitte der 90er Jahre scheint das <strong>Internet</strong> auch die Fachdiskurse der<br />
deutschsprachigen Pädagogik erreicht zu haben: 1995 - die Diskussion um Mult<strong>im</strong>edia<br />
und Lernen ist auf ihrem Höhepunkt 2 - findet auf Anregung des Bundesministeriums für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Fachtagung „Jugend auf der Datenautobahn“ in<br />
Bonn Statt 3 ; 1996 startet die Initiative ‘Schulen ans Netz’ des Bundesministeriums für<br />
Bildung und Forschung in Kooperation mit der Deutschen Telekom mit großer medialer<br />
Resonanz und dem Ziel, möglichst schnell 10.000 Schulen ans <strong>Internet</strong> anzuschließen 4 ;<br />
1997 erscheint mit FASCHINGS „<strong>Internet</strong> und Pädagogik“ die erste explizit dem Netz<br />
gewidmete deutschsprachige pädagogische Monographie und WOLFGANG SCHINDLER<br />
stellt in der ‘Deutschen Jugend’ fest, dass nach einzelnen Vorreitern von der ‘Basis’ nun<br />
auch die überregionalen Institutionen der Jugendarbeit zunehmend <strong>online</strong> gingen. 5<br />
Nachdem <strong>im</strong> bisherigen Verlauf der Argumentation die Beobachtungsbereiche <strong>Internet</strong><br />
und Gesellschaft aufeinander bezogen wurden - in Kapitel 3 schon mit ersten<br />
Perspektiven auf Schule und Jugendarbeit -, soll nun untersucht werden, ob und inwieweit<br />
die aufgezeigte gesellschaftsverändernde Dynamik des <strong>Internet</strong> seitens der Pädagogik<br />
als Herausforderung wahr- und angenommen wird. Dabei werden die Fragen<br />
aufgeworfen, wie sich erstens die pädagogische Reflexion mit dem <strong>Internet</strong><br />
auseinandersetzt und inwiefern dabei der gesellschaftlicher Kontext (also die oben als<br />
Radikalisierung reflexiver Modernisierung beschriebenen Entwicklungen) einbezogen<br />
werden (Kapitel 4), und wie zweitens in der <strong>pädagogischen</strong> Praxis - untersucht an<br />
exemplarisch ausgewählten <strong>Internet</strong>angeboten aus dem Bereich der Jugendarbeit - mit<br />
2 vgl. etwa die Beiträge in ISSING/KLIMSA 1995; richtungsweisend für den didaktischen Einsatz des<br />
<strong>Internet</strong> hierin vor allem der Beitrag von DÖRING (1995) - ‘Mult<strong>im</strong>edia’ wurde seinerzeit <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> (und wird <strong>im</strong>mer noch, vgl. z.B. MEISTER/SANDER 1999) als Oberbegriff für<br />
Offline-Mult<strong>im</strong>ediaanwendungen (also etwa Lernprogramme auf CDROM mit audiovisuellen Anteilen) und<br />
<strong>Internet</strong> verwendet (und das, obwohl viele <strong>Internet</strong>dienste - Newsgroups, IRC, textbasierte MUDs, Nur-<br />
Text-E-Mails [<strong>im</strong> Gegensatz zu html-Mail] - nicht <strong>im</strong> engeren Sinne mult<strong>im</strong>edial sind)<br />
3 vgl. die Tagungsdokumentation SCHELL/SCHORB/PALME 1995<br />
4 vgl. DRABE/GARBE 1997<br />
5 SCHINDLER 1997, S. 423 sowie FASCHING 1997; freilich handelt es sich bei FASCHINGS Buch - wie<br />
auch bei dieser Arbeit - ‘nur’ um eine Diplomarbeit, die sich außerdem vorwiegend auf eine Diskussion<br />
der technischen Struktur und des didaktischen Potentials des <strong>Internet</strong> beschränkt<br />
2
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<strong>Internet</strong> umgegangen wird (Kapitel 5). Der Akzent liegt dabei auf qualitativen Aspekten;<br />
die Frage, welche Relevanz das Thema <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> gegenwärtigen <strong>pädagogischen</strong><br />
<strong>Diskurs</strong> insgesamt hat bzw. wie verbreitet internetbezogene (Öffentlichkeits-)<br />
Arbeitsformen in der Jugendarbeit oder gar der <strong>pädagogischen</strong> Praxis insgesamt derzeit<br />
sind, kann <strong>im</strong> Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich bearbeitet werden.<br />
„Der klassische Begriff von ‘Erziehung’ setzt mindestens dreierlei voraus, ein Ziel, einen<br />
Weg und ein Defizit“ 6 , stellt JÜRGEN OELKERS in seiner ‘kritischen Dogmengeschichte’<br />
der Reformpädagogik fest. Wir wollen diese Unterscheidung von Defizit, Ziel und Weg in<br />
unsere Beobachtung internetbezogener pädagogischer <strong>Diskurs</strong>e einführen, zumal die<br />
Wurzeln der modernen Medienpädagogik in den Reformbewegungen der<br />
Jahrhundertwende zu suchen sind, speziell <strong>im</strong> Rahmen der <strong>pädagogischen</strong> Bewegung<br />
der ‘Kinoreformer’: <strong>Das</strong> Medium Film wurde hier, wie SCHORB aufzeigt, in der Spannung<br />
von einerseits Gefährdung (Defizit: „verbildende“ und „sittlich gefährdende“<br />
Filmvorführungen in hygienisch mangelhaften Kinos) und andererseits Belehrung und<br />
Unterhaltung (Ziel: „bessere und edlere Ausnutzung des Kinematographen“, Weg: u.a.<br />
Einfluss pädagogischer Kreise auf die Medienindustrie, um diese zu „guten, speziell für<br />
Kinder geeigneten Vorführungen in gesonderten Kindervorstellungen zu ermuntern“) für<br />
Heranwachsende diskutiert. 7<br />
<strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> kann in <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>en grundsätzlich auf jedem der drei<br />
genannten Plätze vorgefunden werden: Netzkompetenz der Nutzerlnnen, pädagogisch<br />
verbesserte Netzangebote und -strukturen oder ein Bewahren des Individuums, der Kultur<br />
und der Gesellschaft vor dem Netz und seinen Folgen mögen als Ziele fokussiert werden;<br />
das <strong>Internet</strong> kann - pädagogisch nutzbar gemacht - als Wegbereiter für eine Emanzipation<br />
des Individuums, eine didaktische Verbesserung von Schule und eine Demokratisierung<br />
von Gesellschaft erscheinen; in noch vielfältigerer Weise als für bisherige mediale<br />
Neuerungen können rund ums <strong>Internet</strong> pädagogisch zu bearbeitende Defizite - ob be<strong>im</strong><br />
Medium (und seinen Inhalten) selbst, ob bei den Nutzerinnen oder auf<br />
gesamtgesellschaftlicher Ebene - konstruiert werden.<br />
6 OELKERS 1989, S. 136<br />
7 vgl. SCHORB 1995a, S. 19f. (SCHORB zitiert hier aus einer Schrift des Hamburger Lehrervereins von<br />
1907) - SCHORB nennt allerdings auch frühere „Wurzeln der Medienpädagogik“, so etwa bei<br />
COMENIUS (vgl. a.a.O., S. 17ff.)<br />
3
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Bei der Analyse pädagogischer <strong>Diskurs</strong>e, die sich auf das <strong>Internet</strong> und seine<br />
dynamischen Wechselbeziehung mit der Gesellschaft beziehen, soll in diesem Kapitel die<br />
Besetzung aller drei Plätze analysiert werden: Welche Ziele werden auf welchen Ebenen<br />
angestrebt? Welche Wege sollen von wem eingeschlagen werden? Welche Defizite<br />
werden wo gesehen? Hier zugrunde gelegte Prämissen, Diagnosen und Prognosen sollen<br />
mit unseren Diskussionsergebnissen aus den Kapiteln 2 und 3 verglichen werden.<br />
Als erstes betrachten wir in 4.1. <strong>Diskurs</strong>e, in denen das <strong>Internet</strong> aufgrund seiner<br />
jugendgefährdenden bzw. als jugendgefährdend angesehenen Inhalte (4.1.1.) bzw.<br />
aufgrund seiner spezifischen Medialität (4.1.2.) als ein unmittelbares oder aber aufgrund<br />
seines gesellschaftsverändernden Potentials als ein mittelbares (4.1.3.) pädagogisch<br />
abzuwehrendes Risiko für Kinder und Jugendliche erscheint. Darauf folgt in 4.2. eine<br />
Auseinandersetzung mit Positionen, die das <strong>Internet</strong> - euphorisch, pragmatisch oder auch<br />
kritisch orientiert - als Chance für Erziehung wie auch für zu Erziehende werten (4.2.), und<br />
zwar zum einen als didaktisches Medium <strong>im</strong> Dienst der Vermittlung externer Inhalte und<br />
Ziele (4.2.1.), zum anderen als zunehmend relevanter Inhalt von und Einflussfaktor auf<br />
Pädagogik (4.2.2.). In einem letzten Schritt sollen schließlich - an der Schnittstelle zur in<br />
Kapitel 5 zu behandelnden <strong>pädagogischen</strong> Praxis - die Thematisierung von <strong>Internet</strong> und<br />
Jugendarbeit in der <strong>pädagogischen</strong> Reflexion besprochen werden (4.2.3.).<br />
Quer zur hier entwickelten Gliederung steht der - für das Thema Computer/<strong>Internet</strong> und<br />
Pädagogik/Bildung zentrale - <strong>Diskurs</strong> der Medienkompetenz: Erziehung zur<br />
Medienkompetenz gerät in den Blickwinkel als Alternativstrategie zum<br />
bewahrpädagogisch-bevormundenden Umgang mit den bedrohlichen Seiten des <strong>Internet</strong><br />
(4.1.1. und 4.1.2.), Medienkompetenz der Lernenden wie der Lehrenden wird als<br />
unabdingbare Voraussetzung wie auch als erwünschter Nebeneffekt einer effizienten und<br />
pädagogisch sinnvollen didaktischen Netznutzung best<strong>im</strong>mt (4.2.1.), die Vermittlung von<br />
Medienkompetenz in einem weiten Sinn ist Ziel jeglicher <strong>pädagogischen</strong> Behandlung des<br />
Inhalts ‘<strong>Internet</strong>’ (4.2.2. und 4.2.3.) und ist die pädagogische Strategie zur Kompensation<br />
internetbedingter/-verstärkter sozialer Ungleichheit (4.1.3.).<br />
Die Auswahl der in diesem Kapitel zu analysierenden Beiträge des internetbezogenen<br />
<strong>pädagogischen</strong> Fachdiskurses basiert zum Großteil auf einer Recherche in verschiedenen<br />
Datenbanken (u.a. dem ‘Informationssystem Bildung’ und dem WWW-OPAC der Kölner<br />
4
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Uni-Bibliothek), Bibliotheken (u.a. Stadtbibliothek Köln) und Suchmaschinen (u.a.<br />
http://www.metager.de). 8 Gesucht wurde nach den Stichworten ‘<strong>Internet</strong>’,<br />
‘Informationsgesellschaft’, ‘Computer’ und ‘Mult<strong>im</strong>edia’. Wenn die betreffende<br />
Datenbank/Bibliothek nicht ohnehin pädagogisch spezialisiert war, wurden diese<br />
Suchbegriffe jeweils gekoppelt (‘Und’-Verknüpfung) mit ‘Pädagogik’, ‘Bildung’, ‘Jugend<br />
(-arbeit)’ und ‘Schule’. Diese Grundauswahl wurde ergänzt durch weitere Literaturhinweise<br />
in den gefundenen Texten sowie durch Tips von Mitstudentlnnen, Kolleginnen und<br />
Bekannten.<br />
Diese erste Auswahl von Texten wurde für die weitere Analyse entlang zweier Kriterien<br />
eingegrenzt: Erstens sollte pädagogische Reflexion erkennbar werden; ‘ausgesiebt’<br />
wurden hier folglich Texte, die sich auf Praxishilfen für LehrerInnen (wie Linksammlungen,<br />
Unterrichtsentwürfe und technische Hilfestellungen) oder auf darstellende Präsentation<br />
von Praxisprojekten konzentrieren. Zweitens sollte ein Bezug zum <strong>Internet</strong> bzw. zum<br />
durch Computernetze vorangetriebenen gesellschaftlichen Wandel sichtbar werden, die<br />
Reflexion sollte also z.B. nicht explizit auf ‘Fernsehen’ oder ‘Computer’ beschränkt sein.<br />
Nach dieser ‘Filterstufe’ verblieben rund 50 Texte - von Artikeln in <strong>pädagogischen</strong><br />
Zeitschriften über Sammelband-Beitrage bis hin zu umfangreichen Monographien. Diese<br />
begrenzte Auswahl soll <strong>im</strong> Folgenden stellvertretend für den gegenwärtigen Stand des<br />
deutschsprachigen <strong>pädagogischen</strong> Fachdiskurses zu internetbezogenen Themen<br />
analysiert werden. Dabei müssen die blinden Flecken, die sich aus der Auswahlmethode<br />
ergeben, berücksichtigt werden: So kommen erstens nur veröffentlichte bzw. <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />
leicht zugängliche <strong>Diskurs</strong>beiträge in den Blick; zweitens fallen Texte, die einen anderen<br />
thematischen Schwerpunkt haben und dabei unter anderem auch auf <strong>Internet</strong>-Themen<br />
eingehen, durch das Raster; drittens schließlich müssen diejenigen <strong>pädagogischen</strong><br />
Positionen, die das <strong>Internet</strong> - etwa (wie AUFENANGER polemisch formuliert) aus der<br />
„anthropologischen Sichtweise“ heraus, dass „die Gesellschaft eigentlich die Erziehung<br />
und das Kind in seiner Entwicklung nur stört 9 - konsequent nicht thematisieren, außen vor<br />
bleiben. <strong>Das</strong> soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Positionen noch für<br />
8 aus aufwandsökonomischen Gründen nicht berücksichtigt wurden <strong>im</strong> Netz - also etwa in<br />
Diskussionsforen mit pädagogischem Fokus - geführte Debatten<br />
9 AUFENANGER 1995, S. 59<br />
5
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einige Zeit in Forschung, Lehre und außeruniversitärer pädagogischer Praxis<br />
mehrheitsfähig bleiben mögen.<br />
4.1. <strong>Internet</strong> als Risiko<br />
Die pädagogische Reflexion vermag das <strong>Internet</strong> in vielfacher Weise als Risiko, als<br />
Bedrohung zu thematisieren: als ein - hinreichend geschickte Nutzerinnen vorausgesetzt -<br />
nahezu unzensierbares Medium zur Übermittlung jugendgefährdender Inhalte, als<br />
Metapher für Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit, als Attacke auf direkte<br />
zwischenmenschliche Kommunikation und ‘natürliche’ Pr<strong>im</strong>ärerfahrung qua<br />
Virtualisierung, als Suchtmittel, als Quelle von Reizüberflutung mit negativen Folgen für<br />
Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, als Motor einer Wegrationalisierung des<br />
Bildungssystems bzw. einer Entwertung seiner klassischen Bildungsinhalte sowie als<br />
Technologie zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, zur Polarisierung von Gesellschaft<br />
entlang einer ‘Informationskluft’ und zur Überwachung und Disziplinierung des<br />
Individuums.<br />
Die angeführten Beispiele legen eine dreifache Differenzierung nahe: So können erstens<br />
Inhalte <strong>im</strong> Netz als bedrohlich für Kinder und Jugendliche empfunden werden (4.1.1.),<br />
zweitens kann die Nutzung des Mediums <strong>Internet</strong> unabhängig von den jeweiligen<br />
konkreten Inhalten als pädagogisch bedenklich eingestuft werden (4.1.2.). Während sich<br />
die hier angesprochenen <strong>Diskurs</strong>e auf das Verhältnis von Medium und Nutzerinnen<br />
konzentrieren, kann schließlich drittens eine erweiterte Perspektive eingenommen<br />
werden, in der Gefahren für die Individuen, das Bildungssystem und die Gesellschaft<br />
durch die gesamtgesellschaftliche <strong>Internet</strong>-induzierte Veränderungsdynamik beobachtbar<br />
werden (4.1.3.).<br />
Bei allen hier zu behandelnden <strong>Diskurs</strong>en - ob sie sich nun auf Defizite bei den<br />
Nutzerinnen, den Netzinhalten, den Netzstrukturen oder dem<br />
gesellschaftlichen/politischen/kulturellen Umgang mit den Netzen berufen - ist nicht nur zu<br />
fragen, wie die jeweiligen Defizitbest<strong>im</strong>mungen zustande kommen, auf welchen<br />
Prämissen und welchen Beobachtungen sie beruhen (und wie sich diese zu unseren<br />
Beobachtungen zu <strong>Internet</strong> und Gesellschaft verhalten), sondern auch, welche Ziele auf<br />
welchen Wegen mit den jeweiligen Defizitbest<strong>im</strong>mungen legit<strong>im</strong>iert werden sollen.<br />
6
4.1.1. Problematisierung von Netzinhalten<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> bietet als exponentiell anwachsendes weltweites Datennetz Zugang zu einer<br />
Fülle von Inhalten. Diese Fülle kann zum einen selbst als Ursache von<br />
Orientierungslosigkeit und Informationsüberflutung problematisiert werden; zum anderen,<br />
und damit wollen wir uns nun zunächst beschäftigen, kann der Fokus auf aus<br />
pädagogischer Perspektive problematische konkrete Inhalte gelegt werden.<br />
Der <strong>Diskurs</strong> der Jugendgefährdung durch medial vermittelte Inhalte ist so alt wie die<br />
Massenmedien selbst; SCHORB verweist etwa auf die - <strong>im</strong> Kontext der massenhaften<br />
Verbreitung des Buchdrucks und der Lesefähigkeit aufgekommene - Diskussion um<br />
negative Wirkungen des Lesens, wie sie etwa in Folge der Selbstmordwelle unter<br />
jugendlichen Lesers von GOETHEs ‘Werther’ geführt wurde. 10 Aus <strong>pädagogischen</strong> und<br />
politischen Versuchen, gegen ‘sittlichen und moralischen Verfall’, ‘kulturelle Verarmung’<br />
oder ‘Kr<strong>im</strong>inalität, hervorgerufen durch Massenmedien’ vorzugehen, entwickeln sich dann<br />
sowohl ein gesetzlich verankerter Jugendmedienschutz als auch erzieherische<br />
Konzeptionen mit dem Ziel der Bewahrung der als unmündig begriffenen<br />
Heranwachsenden vor schädlichen Medieneinflüssen (anfangs, in der zweiten Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts, noch auf die Zielgruppe bürgerlicher Jugendlicher beschränkt). 11<br />
Bewahrpädagogische <strong>Diskurs</strong>e zielen, wie sich hier zeigt, auf eine pädagogische und auf<br />
eine metapädagogische Ebene: Auf ersterer werden be<strong>im</strong> zu erziehenden Individuum<br />
ansetzende behütende (z.B. Kinoverbote), kanalisierende (die Hinführung zum ‘guten<br />
Film’) und aufklärende (der ‘richtige Gebrauch’ des Mediums) Maßnahmen gegen die als<br />
defizitär empfundene Wirklichkeit massenmedialer Inhalte gesetzt; auf letzterer werden<br />
Gesellschaft (Eltern, Medienwirtschaft) und insbesondere Politik zu Adressaten<br />
pädagogischer Handlungsappelle, Gesetzgeber und Ordnungsbehörden werden zu<br />
Zensur bzw. Verboten und deren Durchsetzung aufgefordert.<br />
Auch in der Nachkriegs-Bundesrepublik ist Medienpädagogik <strong>im</strong> wesentlichen<br />
Bewahrpädagogik, allerdings gewinnt mit dem Fortschrittsopt<strong>im</strong>ismus der 50er/60er Jahre<br />
10 vgl. SCHORB 1995a, S. 18<br />
11 vgl. KETZER 1999, Kap. 3.1 und 3.2; gesetzlicher Jugendmedienschutz wurde danach in Deutschland<br />
erstmals in der We<strong>im</strong>arer Republik verwirklicht<br />
7
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die didaktische Nutzung audiovisueller Medien an Gewicht. In den 60er/70er Jahren<br />
begründet sich Medienpädagogik in Anlehnung an die Kritische Theorie der Frankfurter<br />
Schule zunehmend als eine ideologiekritische: Massenmedien gelten als Instrumente der<br />
‘Kulturindustrie’ zur Manipulation des ‘Bewusstseins der Massen’, Rezipienten als<br />
potentiell manipulierbare Opfer. Dieser Defizitbeschreibung wird das Ziel einer<br />
Emanzipation der Individuen gegenübergestellt, zu erreichen durch eine Erziehung zur<br />
analytischen Dechiffrierung des Ideologiegehalts massenmedialer Inhalte. 12<br />
Trotz zum Teil entgegengesetzter gesellschaftstheoretischer und politischer<br />
Grundannahmen kann eine gewisse Nähe und Kompatibilität bewahrpädagogischer und<br />
ideologiekritischer Mediendiskurse beobachtet werden: Beide fokussieren „die<br />
Gefährdung des Menschen durch mediale Inhalte“, beide eint ihre „einseitige Sichtweise<br />
auf das Individuum als passiv erleidendes, nicht als handelndes Subjekt“. 13<br />
Sind auch beide Positionen <strong>im</strong> medien<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> inzwischen als überholt<br />
anzusehen - ‘gesellschaftskritisch-demokratische’ Ansätze, die sich auf HABERMAS und<br />
ENZENSBERGER, aber auch auf BRECHT und WALTER BENJAMIN berufen, und in<br />
deren Folge handlungsorientierte und lebensweltorientierte Ansätze best<strong>im</strong>men seit den<br />
80er Jahren die medienpädagogische Diskussion 14 -, so finden sich doch in öffentlichen<br />
wie auch in allgemein- und schul<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>en auch heute noch häufig<br />
bewahrpädagogische Argumentationslinien (etwa in der normativen Medienpädagogik),<br />
ob mit reformpädagogischem oder mit ideologiekritischem Zungenschlag. SCHORB<br />
konstatiert: „die Bewahrpädagogik, die seit hundert Jahren die Medien mit ihren Inhalten<br />
zurückweist und ihnen die Schuld an gewalttätigem Handeln von Heranwachsenden gibt,<br />
läßt sich mit den Grundzügen ihrer Argumentation auch auf den Komplex der Mult<strong>im</strong>edien<br />
anwenden. Diese durch Oberflächenphänomene veranschaulichte Ablehnung läßt sich<br />
dann gut mit Ignoranz verbinden“. 15<br />
12 vgl. KETZER 1999, Kap. 3.4, SCHORB 1995a, S. 36ff. sowie Enquete-Kommission 1998, S. 85<br />
13 SCHORB 1995b, S. 47 - hier wird auch die „seltsame Mischung“ aus „marxistischen und elitären<br />
Theoremen“ in der ideologiekritisch-<strong>pädagogischen</strong> Medientheorie thematisiert, die insbesondere in der<br />
musik<strong>pädagogischen</strong> Auseinandersetzung mit Massenmedien m.E. bis heute nachklingt<br />
14 so heißt es in einer Broschüre des (CDU!-)Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
von 1996 zum Thema Jugendschutz, man wolle „die nachwachsende Generation nicht bevormunden und<br />
vor allen Gefahren und Risiken abschirmen“, sondern „Kinder und Jugendliche befähigen, mit<br />
bestehenden Risiken umzugehen, vorhandene Mißstände zu erkennen und verantwortungsvoll zu ihrer<br />
Veränderung beizutragen und einen eigenen Lebensstil zu finden“ (zit. nach KETZER 1999, Kap. 3.5)<br />
15 SCHORB 1995b, S. 23<br />
8
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Im Folgenden wäre also zu überprüfen, wie die Inhaltsseite der ‘neuen Medien’ Computer<br />
und <strong>Internet</strong> in <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>en als Gefahr konstruiert wird: Wird das <strong>Internet</strong><br />
aufgrund einzelner, hypostasierter Inhalte verteufelt? Inwiefern werden gezeichnete<br />
Bedrohungsszenarien empirisch fundiert? Im öffentlichen wie auch <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong><br />
<strong>Diskurs</strong> ist zu beobachten, dass die Thematisierung problematischer Inhalte weitgehend<br />
entlang der Felder ‘Gewalt in Computerspielen’, ‘(Kinder-)Pornographie <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>’,<br />
‘Förderung von Straftaten durchs <strong>Internet</strong>’ und ‘Rechtsextreme Angebote <strong>im</strong> Netz’<br />
erfolgt. 16 Bevor wir uns den hier empfohlenen <strong>pädagogischen</strong> und meta<strong>pädagogischen</strong><br />
Gegenstrategien zuwenden, sollen nun zunächst die für diese vier Felder vorzufindenden<br />
<strong>pädagogischen</strong> Defizit-Diagnosen näher betrachtet werden.<br />
Die angebliche Aggressionsst<strong>im</strong>ulanz durch Computerspiele ist nach<br />
SCHWAB/STEGMANN ein überstrapazierter Topos <strong>im</strong> öffentlichen wie auch <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> Fachdiskurs. In Anlehnung an die Wirkungsdiskussion in der<br />
Fernsehforschung würden hier unterschiedlichste theoretische Modelle zugrunde gelegt<br />
und entsprechend entweder „eine St<strong>im</strong>ulierung, eine Abstumpfung, eine Abschreckung<br />
oder sogar ein Spannungsabbau des aggressiven Potentials“ durch Computerspiele<br />
diagnostiziert. 17<br />
Die vereinfachende „lineare Logik“, die SCHORB der bewahr<strong>pädagogischen</strong> Theorie und<br />
Praxis der 50er/60er Jahre be<strong>im</strong> Umgang mit dem „komplexen, bis heute nicht<br />
entschlüsselten Zusammenhang von Gewaltdarstellungen und Gewalthandeln 18 vorwirft,<br />
lässt sich hier wiederfinden, zum Teil in personeller Kontinuität: WERNER GLOGAUER<br />
etwa, der unter Verzicht auf systematische Beobachtungen schon 1957 die These vertrat,<br />
die „Wirkung des Films“ vermöge „zur Begründung strukturierter jugendlicher<br />
Bandengruppen führen 19 , tritt <strong>im</strong> <strong>Diskurs</strong> der 90er Jahre erneut in Erscheinung mit dem<br />
wissenschaftlich fragwürdigen Versuch, „anhand von extremen Einzelbeispielen, die er<br />
teilweise der Presse entn<strong>im</strong>mt, [...] die Gefährlichkeit von Computerspielen zu belegen“. 20<br />
16 so hat etwa der Abschnitt „<strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> - Inhalt und Zugang“ des Berichts „Kinder- und<br />
Jugendschutz <strong>im</strong> Mult<strong>im</strong>ediazeitalter“ (Enquete-Kommission 1998, Kap. 3.2) die<br />
Unterabschnitte „Gewaltpornographie“, „Rassismus“, „Extremgewalt“ und „Gewaltspiele“<br />
17 SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 44<br />
18 SCHORB 1995a, S. 33<br />
19 zit. nach SCHORB 1995a, S. 35<br />
20 SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 33<br />
9
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SCHWAB/STEGMANN kommen in ihrer empirischen Studie zwar zu dem Ergebnis, dass<br />
indizierte Gewaltspiele zum Teil sehr bekannt und verbreitet seien, 39% der männlichen<br />
Jugendlichen gäben unter ihren beiden Lieblingsspielen ein extrem gewalttätiges an<br />
(Sexspiele und rassistische Spiele hingegen erscheinen als eher von marginalem<br />
Interesse; m.E. unterschätzen SCHWAB/STEGMANN hier allerdings drohende<br />
Verzerrungen durch sozial erwünschtes Antwortverhalten). Dieser Befund müsse jedoch<br />
ausdifferenziert werden: so würden bei den Spielepräferenzen männlicher Jugendlicher<br />
Actionspiele knapp vor Strategiespielen, aber deutlich hinter S<strong>im</strong>ulationsspielen liegen,<br />
Kriegsspiele seien eben „meist nicht mehr nur ‘Ballergames’, sondern Spiele, in denen<br />
komplexe Situationen auch strategisch gelöst werden müssen“. Als Motivation sei die<br />
Interaktivität, best<strong>im</strong>mt als Eingreifen ins Geschehen, wichtiger als Action und Leistung;<br />
ein gesteigerter Reiz gehe von personaler Interaktivität in vernetzten Spielen aus. 21<br />
Während SCHWAB/STEGMANN die Prognose, dass einsames Spielen mit zunehmender<br />
Verbreitung von Vernetzungsmöglichkeiten aufgrund der größeren Attraktivität von Multi-<br />
User-Spielen wohl <strong>im</strong>mer seltener werden wird, gegen die These einer sozialen Isolation<br />
durch Computerspiele ins Feld führen, wird <strong>im</strong> Bericht „Kinder- und Jugendschutz <strong>im</strong><br />
Mult<strong>im</strong>edia-Zeitalter“ gerade diese durch Vernetzung wachsende Attraktivität<br />
problematisiert: Schon für traditionelle Videospiele bestehe ein - von sozialen Faktoren<br />
abhängiges - „Wirkungsrisiko“ durch das Einüben aggressiver Verhaltensmuster und<br />
aggressionsfördernde körperliche Erregung qua Action. Dieses werde durch die „neuen<br />
Wirkungsd<strong>im</strong>ensionen“ der personalen Interaktivität (Gegner „erscheinen wie echte<br />
Menschen“, Kampf in Gruppen) erhöht. Als mögliche Folgen werden am Beispiel<br />
desNetzwerk-Spiels ‘Quake’ („ein weltumspannendes soziales Netzwerk [...], in dem<br />
‘Überleben’ und ‘Tod’ eine zentrale Rolle spielen“) die Reduktion von Empathie und<br />
Tötungshemmungen durch die Anonymität der Netze wie auch die Übertragung des<br />
Konfliktlösungsmodells ‘Gewaltausübung in der Gruppe’ in die netzexterne Welt<br />
genannt. 22<br />
Dem kann mit SCHWAB/STEGMANN entgegengehalten werden, dass sich bislang keine<br />
der verschiedenen einschlägigen Wirkungsthesen als empirisch haltbar erwiesen hätte;<br />
21 SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 44; vgl. a.a.O., S. 135ff. (mit Bezug auf eigene qualitative Forschungen)<br />
22 Enquete-Kommission 1998, S. 66f.<br />
10
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vielmehr sei die Einbettung der Nutzung von Computerspielen in die Lebenswelt, also die<br />
<strong>im</strong> Bericht der Enquete-Kommission nur am Rande thematisierten ‘sozialen Bedingungen’,<br />
entscheidend - so etwa der Vorbildcharakter elterlicher Mediennutzung. 23<br />
Erwähnenswert erscheint mir die Diskrepanz zwischen der zentralen Stellung der<br />
Spielinhalte <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Diskurs</strong> und deren - nach SCHWAB/STEGMANN -<br />
randständigen Bedeutung für die Bewertung von Spielen durch Jugendliche: So falle das<br />
von der Bundesregierung herausgegebene S<strong>im</strong>ulationsspiel ‘Gesetzgebung’ bei den<br />
beobachteten Jugendlichen - verglichen mit dem vernetzten Kriegsspiel ‘Command &<br />
Conquer’ - nicht etwa wegen eines als langweilig erachteten Themas durch, sondern<br />
aufgrund seiner nicht dem hohen Standard aktueller Computerspiele entsprechenden<br />
gestalterischen Aufbereitung und einer reizlosen Handlungsstruktur. 24 So berechtigt<br />
Befürchtungen wie die oben angeführten der Enquete-Kommission <strong>im</strong> Einzelfall sein<br />
mögen - ihr medial-diskursives Gewicht scheint mir in keinem Verhältnis zu ihrer Relevanz<br />
für den Bereich ‘jugendliche Nutzung von Computerspielen’ zu stehen.<br />
Eine ähnliche Tendenz zur Überzeichnung von Risiken kann auch für die Diskussion um<br />
Pornographie, insbesondere Kinderpornographie <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> sowie um die Förderung von<br />
Straftaten durchs <strong>Internet</strong> beobachtet werden. Wir haben oben mit ZEHNDER auf zwei<br />
Fälle (von den ‘alten’ Massenmedien geschürter) internetbezogener<br />
Jugendgefährdungshysterie hingewiesen: Die bis heute unbestätigte These, dass der<br />
Terroranschlag von Oklahoma mit einer ‘<strong>Internet</strong>-Bombe’ verübt worden sei, und die<br />
‘Cyberporn’-Titelgeschichte des US-Nachrichtenmagazins ‘T<strong>im</strong>e’, die - obwohl sich ihre<br />
als Studie der renommierten Carnegie-Mellon-University ausgegebene Quelle als<br />
wissenschaftlich fragwürdige Semesterarbeit eines Studenten ebendieser Universität<br />
entpuppte - massiv für <strong>im</strong> oben skizzierten Sinn ‘metapädagogische’ Konzepte zur<br />
Regulierung des <strong>Internet</strong> instrumentalisiert werden konnte.<br />
Die These einer speziell durch Netzinhalte bedingten Förderung von Straftaten ist leicht<br />
zu relativieren: ZEHNDER weist darauf hin, dass „die Informationen, die für<br />
Bombenbastler, Einbrecher und Drogenpanscher <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> publiziert werden, [...] auch<br />
auf anderen Wegen“ erhältlich seien und dass die Rede von einer ‘<strong>Internet</strong>-Bombe’<br />
23 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 141 (mit Rekurs auf Studien von ULLRICH DITTLER und von<br />
JÜRGEN FRITZ) und S. 150f.<br />
24 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 147ff.<br />
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ebenso unsinnig sei „als würde man von einer Bibliotheks-Bombe sprechen, wenn die<br />
Informationen aus einer Bücherei stammen“. 25 Die öffentlich-mediale Hypostasierung der -<br />
etwa <strong>im</strong> Verhältnis zu mit legal erworbenen Waffen begangenen Verbrechen - marginalen<br />
Gesellschaftsgefährdung durch Verbrechen nach <strong>Internet</strong>-’Rezepten’ begründet<br />
ZEHNDER mit dem Gehe<strong>im</strong>nisvollen, Unvertrauten der Neuheit <strong>Internet</strong>.<br />
Die in einer breiteren Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte der 90er Jahre gerade erst<br />
anlaufende kulturelle Konstruktion des Mediums <strong>Internet</strong> lässt sich auch zur Erklärung für<br />
die - gegenüber den ‘alten’ Medien vergrößerte - Sensibilität für pornographische Inhalte<br />
<strong>im</strong> <strong>Internet</strong> anführen: „Über das barbusige Seite-Drei-Girl regt sich niemand auf, tauchen<br />
dieselben Bilder aber <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> auf, ist das Medium schmutzig und gefährlich“. 26<br />
Dennoch ist die Lage hier komplizierter, da - insbesondere bei Kinderpornographie -<br />
neben ethischen und juristischen Problemen auf der Rezipientenseite solche auf der<br />
Produktionsseite an Gewicht gewinnen. So stellt PETRA MÜLLER, Beauftragte der<br />
obersten Landesbehörden für Jugendschutz in Mediendiensten, fest: „Bei<br />
Kinderpornographie steht hinter jeder Darstellung ein Verbrechen, nämlich der sexuelle<br />
Mißbrauch von Kindern unter 14 Jahren. <strong>Das</strong> Ziel des Jugendmedienschutzes, Kinder und<br />
Jugendliche vor gefährdenden Medieninhalten zu schützen, tritt hier gegenüber dem Ziel<br />
zurück, den weiteren Mißbrauch von Kindern zu verhindern und zur Ergreifung der Täter<br />
beizutragen“. 27<br />
Hier stellt sich freilich - ebenso wie bei Bildern von extremer Gewalt und von körperlichen<br />
Verletzungen - das Problem der Trennung zwischen fiktiven und realen Bildern. Wir haben<br />
oben unter 2.2.2. mit BÜHL die Entkoppelung realistischer Bilder von realem Geschehen,<br />
den ‘Verlust des Dokumentarischen’ durch digitale Bildmanipulationstechniken<br />
beschrieben. In welchem Ausmaß solche Techniken gegenwärtig schon bei der<br />
Produktion (kinder-) pornographischen Materials genutzt werden, ist unbekannt; <strong>im</strong><br />
Bericht „Kinder- und Jugendschutz <strong>im</strong> Mult<strong>im</strong>ediazeitalter“ wird jedenfalls darauf<br />
hingewiesen, dass „auf beinahe allen Kinderporno-Sites [...] angegeben [wird], daß sich<br />
die Anbieter an das Gesetz halten, daß keine Kinder zugelassen werden [d.h., Zugang zu<br />
25 ZEHNDER 1998, S. 78<br />
26 ZEHNDER 1998, S. 82<br />
27 MÜLLER 1999, S. 49<br />
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diesen Sites wird nur geprüftermaßen Volljährigen gewährt, S.D.] und daß die Modelle des<br />
Bildmaterials alle älter als 18 Jahre sind“; ob diese Angaben allerdings tatsächlich<br />
zuträfen, sei kaum zu überprüfen. Kinderpornographie soll damit nicht verharmlost<br />
werden: Auch diejenigen Bilder, die ohne tatsächliche sexuelle Handlungen an<br />
Minderjährigen zustandekommen und somit womöglich strafrechtlich nicht relevant sind,<br />
sind darauf angelegt, entsprechende Phantasien anzuregen und insofern problematisch.<br />
„Wirklich harte Bilder“, so resümmiert ZEHNDER, seien <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> jedoch fast nur über<br />
einschlägige Newsgroups oder über zugangsbeschränkte WWWSeiten zu finden. Bei<br />
letzteren ist i.d.R. eine Kreditkartennummer anzugeben, erstere seien zwar zum Teil leicht<br />
zugänglich, enthielten aber als ‘Postings’ (Diskussionsbeiträge in einer Newsgroup)<br />
überwiegend Werbung für kommerzielle Angebote; der Weg zu pornographischen Bildern<br />
sei so umständlich, dass kaum ein Netznutzer zufällig auf diese stoße. 28<br />
Gefahren für Kinder und Jugendliche durch zufälliges Auffinden jugendgefährdender<br />
Inhalte be<strong>im</strong> Surfen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> werden <strong>im</strong> öffentlichen und <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> oft<br />
herausgestellt; so spricht MÜLLER davon, dass aufgrund des Konkurrenzkampfes der<br />
Porno-Anbieter <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> „auch zahlreiche Kinder mit Angeboten aus sich <strong>im</strong>mer neu<br />
öffnenden HardcoreFenstern konfrontiert werden und damit Einflüssen ausgeliefert sind,<br />
die sie schädigen oder nicht verarbeiten können“, und auch in der Diskussion zur<br />
didaktischen Nutzung des <strong>Internet</strong> finden sich häufig solche Bedenken. 29<br />
GRUHLER und ZEHNDER st<strong>im</strong>men darin überein, dass in der Regel nur eine<br />
zielgerichtete Suchbewegung zu solchen Inhalten führe 30 ; Ausnahmen bildeten hier<br />
Angebote, die populäre WWW-Adressen (URLs) für pornographische Inhalte nutzen 31 ,<br />
Werbe-Postings für kommerzielle Pornoangebote in ‘harmlosen’ Newsgroups und<br />
Werbebanner für Sexangebote. Unbeabsichtigte Konfrontation mit pornographischen<br />
28 ZEHNDER 1998, S. 35f.<br />
29 MÜLLER 1999, S. 47; vgl. FASCHING 1997, S. 95 sowie SCHULZ-ZANDER 1997, S. 10<br />
30 vgl. ZEHNDER 1998, S. 47f. sowie GRUHLER 1998, S. 35f.<br />
31 GRUHLER (1998, S. 10) nennt als Beispiele www.yahhoo.com und www.webcralwer.com, zwei<br />
kommerzielle Porno-Sites, die von Verwechslungen bzw. Schreibfehlern profitierten (www.yahoo.com<br />
und www.webcrawler.com sind beliebte Suchmaschinen) - doch auch hier ist wahrscheinlich eine<br />
Kreditkartennummer zum Zugang nötig<br />
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Inhalten ist jedoch <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> m.E. nicht bedeutend wahrscheinlicher als in den<br />
traditionellen Medien. 32<br />
Für (nicht nur jugendliche) Rezipientinnen gefährlicher als pornographische seien<br />
extremistische Inhalte - diese These begründet ZEHNDER damit, dass Pornographie „per<br />
definitionem durch Expliziertheit in Bild und Text 33 gekennzeichnet sei, während<br />
insbesondere rechtsextremistische Gruppierungen wie das kalifornische ‘Institute for<br />
Historical Review’ häufig mit dem Schein seriöser Wissenschaftlichkeit operierten. Suche<br />
ein Schüler für einen Aufsatz Informationen zum Holocaust, finde er in den einschlägigen<br />
Suchmaschinen eben nicht nur historische Institute von Universitäten, sondern auch - in<br />
der Gestaltung ebenso seriös wirkende - Seiten von Auschwitzleugnern. Unter Berufung<br />
auf das S<strong>im</strong>on Wiesenthal Center stellt GRUHLER fest, Rechtsextreme hätten das<br />
<strong>Internet</strong> schneller als alle anderen gesellschaftlichen Gruppen für ihre Zwecke<br />
instrumentalisiert, es zu ihrem „zentralen Propagandamedium“ gemacht, um so „in einem<br />
einzigen Jahr mehr [...] Propaganda zu verbreiten, als in all den Jahren nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg“. 34<br />
Neben politischen sind auch religiöse Extremisten und Sekten <strong>im</strong> Netz zu finden;<br />
ZEHNDER berichtet zum einen von Praktiken der Sekte Scientology, kritische Inhalte zu<br />
marginalisieren bzw. auf technischen und juristischen Wegen zu el<strong>im</strong>inieren 35 , zum<br />
anderen von Missionsversuchen diverser Sekten <strong>im</strong> Netz. Anders als bei rechtsextremen<br />
Inhalten sind hier jedoch m.E. keine quantitativ oder qualitativ größeren Gefährdungen als<br />
in der netzexternen Welt zu erkennen. Auch der These, dass <strong>Internet</strong>nutzer per se eine<br />
besonders gefährdete Gruppe seien - wie SUSANNE SCHAAF (Zürcher<br />
Sektenberatungsstelle) formuliert: „Einer Person, für die der Computer zum Partner<br />
geworden ist, fehlt ein wichtiger emotionaler Bereich. <strong>Das</strong> ist eine Lücke, in welche die<br />
32 ZEHNDER (1998, S. 79) vertritt dagegen die Position, dass das <strong>Internet</strong> die Gefahr unbeabsichtigter<br />
Kontakte verschärfe, gesteht jedoch ein, dass es auch außerhalb des Netzes zu solchen kommen könne;<br />
das von ihm angeführte Extrembeispiel (aufgrund einer technischen Panne bei der France Telecom<br />
wurde 1997 anstelle des eigentlich vorgesehenen Schulfernsehbeitrages 20 Minuten lang ein Porno in<br />
verschiedene Nahostländer gesendet; a.a.O., S. 47) ist da m.E. nur die Spitze des Eisbergs<br />
33 ZEHNDER 1998, S. 78<br />
34 GRUHLER 1998, S. 22; genauere Angaben zur Methode dieser - mir etwas fragwürdig erscheinenden,<br />
wenn auch in der Tendenz vielleicht zutreffenden - Quantifizierung werden hier nicht gemacht<br />
35 ZEHNDER 1998, S. 68ff.<br />
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Sekten eindringen können“ 36 - soll hier widersprochen werden; hier ist m.E. wieder der<br />
Mythos vom sozial isolierten und emotional deprivierten Computernutzer vorzufinden, der<br />
unter 3.2.3. dekonstruiert wurde (und der durch die Entwicklung des Computers zu einer<br />
‘romantischen Maschine’ [TURKLE] sowie - mit dem <strong>Internet</strong> - zu einem<br />
Kommunikationsmedium zusätzlich in Frage gestellt wird).<br />
Ziehen wir eine Zwischenbilanz über die in <strong>pädagogischen</strong> und öffentlichen <strong>Diskurs</strong>en<br />
thematisierten ‘Defizite’ des <strong>Internet</strong> auf der Ebene konkret als problematisch<br />
empfundener Inhalte, bevor wir uns <strong>im</strong> Folgenden <strong>pädagogischen</strong> und<br />
ordnungspolitischen Strategien zur Behebung dieser Defizite widmen.<br />
Die bei MÜLLER 37 beschriebene Gefahr einer Traumatisierung von Kindern und<br />
Jugendlichen durch mediale Darstellungen von Pornographie, extremer Gewalt etc. wie<br />
auch diejenige einer möglichen Förderung aggressiven Verhaltens durch entsprechende<br />
Darstellungen und Spiele kann nicht geleugnet werden. Diese Gefahr darf aber erstens<br />
nicht <strong>im</strong> Sinne eines linearen, monokausalen Wirkungszusammenhangs verkürzt werden;<br />
vielmehr ist von aktiven Rezipientlnnen auszugehen, bei denen Medienwirkungen je<br />
abhängig von individuellen Dispositionen und dem sozialen Kontext der Mediennutzung<br />
eintreten oder auch nicht eintreten. Zweitens ist zu fragen, ob sich die Gefahr einer<br />
Traumatisierung bzw. eines unbeabsichtigten Kontakts mit traumatisierenden Inhalten<br />
durch das <strong>Internet</strong> tatsächlich verstärkt.<br />
Für ein verstärktes Traumatisierungsrisiko durch das Netz spräche die Tatsache, dass<br />
entsprechende Inhalte hier mit geringerem Aufwand zu beziehen sind als beispielsweise<br />
am Zeitschriftenkiosk, sowie die Beobachtung, dass inkr<strong>im</strong>inierte Inhalte oft verstärkt in<br />
den jeweils neuesten Medien zu finden sind, da dort der Grad staatlicher Reglementierung<br />
am wenigsten fortgeschritten ist. 38 Der Anteil inkr<strong>im</strong>inierter Inhalte <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> - GRUHLER<br />
schätzt diesen auf gut 10%, KETZER auf weniger als 1% 39 - steht jedoch m.E. in keinem<br />
Verhältnis zur Exponiertheit seiner Thematisierung <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Diskurs</strong>. In denjenigen<br />
hier bearbeiteten Publikationen aus dem <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>, die sich ohne explizite<br />
Jugendschutz-Thematik mit internetbezogenen Themen beschäftigen, werden<br />
36 zit. nach ZEHNDER 1998, S. 77<br />
37 vgl. MÜLLER 1999, S. 55<br />
38 vgl. ZEHNDER 1998, S. 76<br />
39 39 vgl. GRUHLER 1998, S. 10 sowie KETZER 1999, Kap. 2.5<br />
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jugendgefährdende Inhalte jedoch überwiegend angemessen d<strong>im</strong>ensioniert behandelt. Es<br />
wäre dennoch verfrüht, daraus auf eine Marginalität bewahrpädagogischer Motive <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong> zu schließen. Meine Textauswahl richtete sich auf<br />
pädagogische Konzepte zum - und nicht: wider den - Umgang mit dem <strong>Internet</strong>;<br />
Diskussionsbeiträge, in denen sich (wie SCHORB es ausdrückt) Ablehnung des <strong>Internet</strong><br />
aufgrund von Oberflächenphänomenen mit Ignoranz verbindet, könnten durch dieses<br />
Raster hindurchgefallen sein.<br />
Welche Strategien werden nun von (Medien-)Pädagogen zum Umgang mit<br />
problematischen Netzinhalten empfohlen, und welche werden <strong>im</strong> Rahmen des<br />
gesetzlichen Jugendmedienschutzes - seinerseits Produkt und Objekt metapädagogischer<br />
<strong>Diskurs</strong>e - angewandt? Wenden wir uns zunächst letzteren zu.<br />
Der allgemeine Jugendschutzes zerfällt in drei Bereiche: den strukturellen, den<br />
erzieherischen sowie den gesetzlichen Jugendschutz. Alle drei sind gesetzlich<br />
festgeschrieben, ersterer jedoch - der in §1, Absatz 3 des Kinderund Jugendhilfegesetzes<br />
(KJHG) verankerte Auftrag, positive Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und ihre<br />
Familien zu schaffen - ist bislang kaum umgesetzt und nicht in Bezug auf<br />
Jugendmedienschutz ausgearbeitet. 40 Struktureller Jugendmedienschutz könnte über<br />
internationale Vereinbarungen, über technische Maßnahmen bei den Endnutzerinnen<br />
oder über Förderung der Produktion ‘erwünschter’ Inhalte auf die kinder-, jugend- und<br />
familienfreundliche Gestaltung des <strong>Internet</strong> Einfluss nehmen; ‘positive<br />
Lebensbedingungen schaffen’ könnte jedoch - abseits der Debatte um<br />
jugendgefährdende Inhalte - auch heißen, kostenlosen Netzzugang für alle Kinder und<br />
Jugendlichen ab einem gewissen Mindestalter zu gewährleisten und diese so vor<br />
möglichen Benachteiligungen in diesem Bereich zu schützen.<br />
Auch der erzieherische Jugendmedienschutz ist <strong>im</strong> KJHG verankert: In §14, Absatz 2 ist<br />
von Angeboten an Jugendliche die Rede, die diese zu Selbstschutz, Kritikfähigkeit und<br />
Eigenverantwortung befähigen sollen. Wir kommen unten, bei der Diskussion<br />
medienpädagogischer Strategien zum Umgang mit problematischen Netzinhalten, darauf<br />
zurück.<br />
40 vgl. KETZER 1999, Kap 3.6.<br />
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Der gesetzliche Jugendmedienschutz hat das Ziel, Kinder und Jugendliche über generell<br />
verbotene Medieninhalte (Aufstachelung zum Rassenhass, Gewaltverherrlichung und<br />
Verletzung der Menschenwürde nach §131 StGB, ‘harte’ Pornographie mit<br />
Gewalttätigkeiten, sexuellen Handlungen an Tieren oder Mißbrauch von Kindern nach<br />
§184 StGB) hinaus vor als spezifisch jugendgefährdend eingeschätzten Inhalten<br />
abzuschirmen; dieses Ziel wird mit Werbe- und Versandhandelsverboten sowie mit Alters-<br />
und Sendezeitbeschränkungen verfolgt. 41<br />
Mit dem <strong>Internet</strong> ergeben sich neue Probleme: <strong>Das</strong> Alter ist <strong>im</strong> Netz nicht sicher<br />
feststellbar, solange nicht flächendeckend digitale Signaturen eingeführt sind (und auch<br />
diese könnten von geschickten Jugendlichen ‘geknackt’ werden); Sendezeit-<br />
beschränkungen sind aufgrund der zeitzonenübergreifenden Ausdehnung und der<br />
Abrufstruktur des <strong>Internet</strong> kaum zu realisieren. In Reaktion auf diese Probleme wurden<br />
1997 das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) verabschiedet und<br />
der Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) abgeschlossen. 42 Ersteres dehnt die<br />
Zuständigkeit der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften (BPjS) auf den<br />
Bereich der Netzkommunikation aus, letzterer verpflichtet Anbieter, eigene<br />
jugendgefährdende Inhalte nur Volljährigen zugänglich zu machen (‘Verteildienste’ wie<br />
z.B. Teleshopping) bzw. Endnutzern die Sperrung zu ermöglichen (‘Abrufdienste’).<br />
In der Anwendung auf das <strong>Internet</strong> bereiten jedoch auch diese neuen Gesetze<br />
Schwierigkeiten. Juristische Tücken birgt vor allem die Zuständigkeitsverteilung zwischen<br />
IuKDG (gilt für ‘Teledienste’, also eher für Individualkommunikation) und MDStV (gilt für<br />
‘Mediendienste’, also eher für öffentlich adressierte Angebote). Als wesentlicher<br />
Unterschied der beiden Gesetze wäre zu nennen, dass das IuKDG Bundes- und der<br />
MDStV Länderrecht ist; ferner verbietet der MDStV Pornographie generell, während das<br />
IuKDG diese in technisch verschlüsselter Form erlaubt. Ungelöst bleiben in beiden<br />
Gesetzen drei Probleme: Erstens die Staatsgrenzen überschreitende Struktur des <strong>Internet</strong><br />
(Anbieter mit Sitz in anderen Ländern können nur haftbar gemacht werden, wenn<br />
einschlägige Verträge mit diesen Ländern bestehen), zweitens seine Größe und<br />
Komplexität (um gegen ein Angebot vorgehen zu können, muss dieses zunächst einmal<br />
41 vgl. - auch zum folgenden Absatz - VON GOTTBERG 1997, S. 76ff., sowie KETZER 1999, Kap. 4<br />
42 siehe dazu auch oben unter 3.3.4.<br />
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auffallen), und drittens seine Flüchtigkeit (Indizierung durch die BPjS kann erst nach dem<br />
Erscheinen eines Angebots erfolgen, dieser Prozess dauert i.d.R. zwei Monate, und bis<br />
dahin sind die betreffenden Inhalte oft sowieso nicht mehr anzutreffen) 43<br />
Die pädagogische Reflexion kann nun auf diese rechtlich ‘undichten’ Situation mit<br />
<strong>pädagogischen</strong> und/oder mit meta<strong>pädagogischen</strong> Strategien reagieren. Sie kann also<br />
zum einen versuchen, Kinder und Jugendliche gegen problematische Inhalte zu stärken<br />
bzw. Eltern in diesem Kontext Hilfestellung zu geben - das entspräche den Vorgaben des<br />
KJHG für einen erzieherischen Jugendschutz -, und zum anderen an Politik,<br />
Medienwirtschaft oder Gesellschaft appellieren, weitere Schritte in Richtung<br />
Jugendmedienschutz zu ergreifen.<br />
So sieht BAACKE auf der politischen Ebene den Auftrag, Kommunikationssicherheit durch<br />
staatliches und transnationales Handeln zu gewährleisten, und auf der konkret<br />
<strong>pädagogischen</strong> den einer Unterstützung Jugendlicher bei der Entwicklung von<br />
Medienkompetenz. 44 Auf beiden Ebenen tun sich jedoch Widersprüche in seiner<br />
Argumentation auf, die hier kurz beleuchtet werden sollen.<br />
Bezogen auf das konkret pädagogische Handeln spricht sich BAACKE einerseits für einen<br />
grundsätzlichen medien<strong>pädagogischen</strong> Opt<strong>im</strong>ismus aus: Kinder und Jugendliche<br />
wüchsen mit besonderer Unbefangenheit in Medienwelten hinein, verfügten überwiegend<br />
über Basiskompetenzen zur ‘guten’ Mediennutzung, Bevormundung sei daher nicht<br />
angebracht; statt dessen sollten vor der Folie einer „Freiheit der Informationsvermittlung<br />
für Jugendliche“ 45 selbstsozialisatorisch angeeignete Medienkompetenzen verstärkt<br />
werden, u.a. <strong>im</strong> Hinblick auf den Umgang mit Risiken. Andererseits ist vom Bewahren vor<br />
„schädlichen Kommunikationsinhalten“ die Rede (was - in dieser Formulierung - m.E. eine<br />
monokausalistische Verkürzung darstellt), Kinder und Jugendliche erscheinen als „ohne<br />
Zweifel ohnmächtige Minderheiten, die vor falschen Botschaften zu schützen sind“. 46<br />
43 vgl. VON GOTTBERG 1997, S. 81f.; zur Unmöglichkeit ordnungspolitischen Jugendschutzes <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />
vgl. auch SCHORB 1995b, S. 20f; Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Bundesprüfstelle für<br />
jugendgefährdende Schriften und der gemeinsamen Stelle der Länder (‘Jugendschutz.net’) konstatiert<br />
KETZER (1999, Kap. 10) auf der Basis ihrer Interviews mit Repräsentantinnen beider Institutionen<br />
44 vgl. BAACKE 1997, S. 32ff.<br />
45 eines der Postulate in BAACKE o. J.<br />
46 BAACKE 1997, S. 33<br />
18
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Die hier eingeschlagene Doppelstrategie, „Jugendlichen einerseits den Zugang zu<br />
solchen Bereichen [mit problematischen Inhalten, S.D.] zu erschweren, andererseits ihnen<br />
aber auch durch Überzeugung sehr breit deutlich zu machen, warum Bereiche inhumaner<br />
und undemokratischer Kommunikation schädlich sind und wie man sich damit<br />
auseinandersetzen kann“ 47 , ist m.E. nicht unproblematisch. Zugangssperrungen -<br />
zumindest solche, die über den gesetzlich verpflichtenden Rahmen hinausgehen und<br />
Nutzerinnen <strong>im</strong> Jugendalter betreffen - erscheinen mir als schwer vereinbar mit dem Ziel<br />
einer Erziehung zur Medienmündigkeit. Auch wenn aus aufsichtsrechtlichen Gründen in<br />
der <strong>pädagogischen</strong> Praxis vielleicht Maßnahmen zur Sperrung gesetzeswidriger Inhalte<br />
ergriffen werden müssen, ist m.E. gemeinsamen Aktionen mit jugendlichen<br />
Netznutzerinnen gegen inhumane und undemokratische Netzinhalte stets der Vorzug vor<br />
technischen Lösungen zu geben.<br />
Auf der meta<strong>pädagogischen</strong> Ebene fordert BAACKE zwar (über-)staatliche Interventionen,<br />
diese dürften jedoch nicht die ‘Freiheit des Netzes’ einschränken; statt dessen sei eine<br />
Selbstbindung der <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> Kommunizierenden an eine ‘Charta der<br />
Kommunikationsethik’ anzustreben. Diese Charta sei auf einem globalen Konsens<br />
überkultureller Wertorientierungen zu begründen, ohne dass, so wörtlich, „westliche<br />
Denkmuster auf jeden Fall dominieren müßten“. 48 Sensibilisierte Augen mögen einen<br />
latenten Eurozentrismus aus diesem Versuch der Abwehr desselben herauslesen, auf<br />
jeden Fall liegt hier jedoch ein universalistischer Ansatz vor, der - zunehmend mit einer<br />
konkret-inhaltlichen Füllung der genannten ‘überkulturellen Wertorientierungen’ - das<br />
unter 2.3.2. thematisierte Risiko einer Halbierung der Weltgesellschaft entlang der Achse<br />
‘geteilte kulturelle Werte / nicht geteilte kulturelle Werte’ birgt.<br />
So konstatiert ZEHNDER, es sei „völlig unmöglich, einen kleinsten gemeinsamen Nenner<br />
in Sachen ‘<strong>Internet</strong>-Moral’ zu finden“. Aufgrund der großen Differenzen zwischen den<br />
jeweiligen gesellschaftlichen Wertvorstellungen sei eine ‘Regionalisierung der Moral’<br />
anzustreben - das jeweils geltende nationale Recht müsse also auch auf das <strong>Internet</strong><br />
Anwendung finden können - andernfalls drohe der von HUNTINGTON beschworene<br />
47 BAACKE o. J.<br />
48 BAACKE 1997, S. 33<br />
19
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‘Kampf der Kulturen’. 49 Wenn wir oben BAACKE Universalismus vorgeworfen haben, so<br />
müssen wir hier eine Gleichsetzung des Kulturell-Partikularen mit dem Nationalen<br />
kritisieren. <strong>Das</strong> Prinzip ‘wes Region, des <strong>Internet</strong>-Gesetz’ könnte internationale<br />
Spannungen vermeiden helfen; Versuche der westlichen Staaten, ihre Rechtsprinzipien<br />
zu generalisieren, haben jedoch aufgrund deren stärkerer (netz-)ökonomischer Position<br />
m.E. gute Erfolgschancen. Letztlich stoßen außerdem auch ZEHNDERB Vorschläge -<br />
hohe Geldbußen für Provider, die nach je geltendem Recht unzulässige Inhalte trotz<br />
Ermahnung weiter zur Verfügung stellen - <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> an Realisierungsgrenzen:<br />
Angesichts der technischen Möglichkeit, Inhalte zu ‘spiegeln’ (d.h. diese bei Sperrungen<br />
auf andere Server zu kopieren), müssen sich Staaten entweder auf eine Hetzjagd nach je<br />
zu sperrenden Sites einlassen oder mit restriktiven ‘Positivlisten’ erlaubter Sites arbeiten.<br />
Wie BAACKE postulieren auch MÜLLER und VON GOTTBERG internationale<br />
Vereinbarungen, jedoch mit je verschiedenen Akzenten. So fordert MÜLLER eine<br />
Verbesserung der deutschen Gesetze, deren Ergänzung durch internationale Abkommen<br />
und als Fernziel eine verpflichtende Selbstbewertung (Rating) der Anbieter mit<br />
Sanktionsmöglichkeiten für ‘Falscheinstufungen’. 50 Die weltweite Einführung eines<br />
solchen Systems soll in der Theorie das Dilemma ‘universelle vs. regionalisierte Moral’<br />
auflösen können, indem entlang ‘objektiver’ Skalen (‘Sichtbarkeit nackter<br />
Brüste/Hinterteile/Geschlechtsteile’, ‘Abbildung von Hakenkreuzen’) je nach Länderrecht<br />
divergierende Inhalte von Providern oder Endnutzerinnen gesperrt werden<br />
könnten/müssten. In der Praxis entstehen jedoch, wie sich am Beispiel des ICRA-<br />
Projektes zeigen lässt 51 , zahlreiche Probleme: Können Kontexte berücksichtigt werden?<br />
(‘Nackter Penis in Porno’ vs. ‘nackter Penis in Parfumwerbung’ vs. ‘nackter Penis auf<br />
medizinischer Infoseite’ vs. ‘nackter Penis in Kunstwerk’? ‘Hakenkreuz in<br />
Nazipropaganda’ vs. ‘Hakenkreuz in Dokumentation über Naziverbrechen’ vs. ‘religiöses<br />
Symbol der Hindus, das aussieht wie ein spiegelverkehrtes Hakenkreuz’?) Kann es<br />
‘objektive Skalen’ überhaupt geben? Wer hat das Recht, sie festzulegen? Ein<br />
verpflichtendes Selbstrating und die damit eingeführte Infrastruktur würde weiterhin<br />
problematische Formen von politisch motivierter Zensur extrem erleichtern.<br />
49 ZEHNDER 1998, S. 154 - zur HUNTINGTON-Kritik vgl. BUTTERWEGGE 1999<br />
50 MÜLLER 1999, S. 55f.<br />
51 vgl. ERMERT 1999 sowie dies. 2000<br />
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VON GOTTBERG plädiert dafür, statt Max<strong>im</strong>alforderungen in deutschen Gesetzen<br />
Mindeststandards auf internationaler Ebene anzustreben; noch wichtiger als dies sei<br />
jedoch ein Jugendschutz, der am Nutzer (und nicht am Anbieter) ansetze; hier stehe<br />
Gesellschaft in der Verantwortung, medienpädagogische Maßnahmen finanziell zu fördern<br />
- und zwar nicht nur, wie es bisher oft geschehen sei, nur binnen einer kurzen Zeitspanne<br />
nach der Einführung je neuer Medien. 52<br />
Brechen wir also hier die Betrachtung des (meta-)<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>es über<br />
Chancen, Grenzen und Gefahren einer politischen Regulierung des Netzes ab und<br />
wenden uns Jugendschutz-Konzepten zu, die be<strong>im</strong> Nutzer ansetzenden. Damit sind wir<br />
wieder bei der Kontroverse zwischen Bewahrpädagogik und Erziehung zur<br />
Medienkompetenz angelangt - nebst den vielen Mischformen, wie etwa BAACKEs oben<br />
beschriebener Doppelstrategie.<br />
FASCHING wirft bewahr<strong>pädagogischen</strong> Strategien zwar überzogene Befürchtungen vor,<br />
selbst aber möchte er die potentielle Gefährlichkeit medialer Inhalte am historischen<br />
Beispiel des Einsatzes von Massenmedien „zur Verbreitung von Propaganda und zur<br />
Gleichschaltung der Bevölkerung <strong>im</strong> Dritten Reich“ belegen, um daraus die Wichtigkeit<br />
einer Erziehung zur Medienmündigkeit abzuleiten. Ob der „kritische Umgang mit<br />
schockierenden und abstoßenden Darstellungen, die der menschlichen Natur<br />
zuwiderlaufen [sic!]“ bzw. die Bewältigung traumatischer Erfahrungen gelernt und<br />
pädagogisch vermittelt werden kann, wird hier offen gelassen - nicht aber die<br />
Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche per Aufsicht und Zugangsbeschränkungen von<br />
„ihrer Entwicklungsstufe nicht angemessenen Publikationen“ fernzuhalten. 53<br />
In Umkehrung des bewahr<strong>pädagogischen</strong> Arguments, das <strong>Internet</strong> sei aufgrund seiner<br />
jugendgefährdender Inhalte aus Schule und Jugendarbeit zu verbannen, spricht sich<br />
FASCHING gerade für eine pädagogisch angeleitete und unterstützte Erforschung des<br />
Netzes aus: Pädagogische Kontrolle und Intervention sei hier leichter als dort, wo erste<br />
52 vgl. VON GOTTBERG 1997, S. 82f.<br />
53 FASCHING 1997, S. 69 und S. 95 - problematisch erscheint mir sowohl das hier durchsch<strong>im</strong>mernde<br />
naturalistisch-objektivistische Menschenbild als auch der kurzschlüssige Bezug zur Nazizeit. Die<br />
gesamtgesellschaftlichen Lernprozesse <strong>im</strong> Umgang mit audiovisuellen Massenmedien, die sich seit 1945<br />
vollzogen haben (und sich etwa <strong>im</strong> Siegeszug der ironischen Brechung in der Werbung manifestieren),<br />
und die zunehmende Individualisierung und ‘Entmassung’ der Medien (radikalisiert durch das <strong>Internet</strong>),<br />
verbieten m.E. solche Parallelisierungen<br />
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Netzerfahrungen außerinstitutionell gesammelt würden, durchzuführen - z.B. mittels<br />
Inhaltssperrungen und Aufzeichnung der von jeweiligen Nutzerinnen besuchten<br />
WWWAdressen auf Schulcomputern. 54 Man könnte FASCHING vorwerfen, dass er hier<br />
Bewahrpädagogik nur auf eine neue Ebene hebt: An die Stelle genereller Vorbehalte<br />
gegen das Medium tritt ein Pädagogisierungspostulat, selbstverantwortliche<br />
Mediennutzung wird Jugendlichen frühestens nach einem einführenden Lehrgang in<br />
Sachen Medienmündigkeit zugetraut.<br />
Eine radikalere Konzeption von Medienkompetenz - die sich sowohl gegen die Idee eines<br />
medienfreien Schonraums (als deren Vertreter hier CLAUS EURICH, aber auch<br />
HARTMUT VON HENTIG genannt werden) als auch gegen diejenige einer<br />
durchpädagogisierten Mediennutzung, wie sie bei FASCHING anklingt, richtet - findet sich<br />
bei MEISTER/SANDER. An die Stelle einer Anleitung zum (aus Erwachsenensicht)<br />
‘sinnvollen’ Medienhandeln tritt hier die Befähigung zum autonomen und bewußten<br />
Umgang mit Medien. Jugendlichen, deren Lebenswelten zunehmend Medienwelten seien,<br />
wird hier (anschließend an BAACKEs, von ihm m.E. nicht konsequent angewandten,<br />
medien<strong>pädagogischen</strong> Opt<strong>im</strong>ismus) zugetraut, grundsätzlich kompetent Medien nutzen zu<br />
können und ihre jeweiligen Mediennutzungsweisen nach eigenen ‘Sinn’-Kriterien zu<br />
verantworten. Pädagogik wird hier die Aufgabe zugewiesen, Autonomie zu fördern und<br />
ggf. zusätzliche Reflexionsebenen einzuführen. 55<br />
In dieser ansonsten schlüssig erscheinenden Konzeption von Medienkompetenz bleibt<br />
m.E. das <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> stärker noch als in den ‘älteren’ Medien Video und Zeitung angelegte<br />
Potential zum Selbstgestalten medialer Inhalte unterbelichtet. Dieser Punkt wird bei<br />
insbesondere bei KETZER hervorgehoben: „<strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> [wird] von seinen Nutzern<br />
gestaltet [...]. Eigene Homepages, interessengebundene Chats und Newsgroups liegen in<br />
den Händen der Nutzer und können von ihnen gestaltet werden. Ziel der Pädagogik [...]<br />
sollte es sein, Jugendliche zur aktiven Beteiligung am weltweiten Netz zu motivieren und<br />
sie nicht als passive Rezipienten des angebotenen Materials zu betrachten“.<br />
Jugendmedienschutz geschieht in dieser Perspektive zusammen mit den Adressatinnen<br />
durch eine gestaltende Aneignung des Mediums, in Verbindung mit konkreten „Tips [...],<br />
54 vgl. FASCHING 1997, S. 102f.<br />
55 MEISTER/SANDER 1999, S. 44f.<br />
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wie man sich gegen Übergriffe in der virtuellen Welt zur Wehr setzen und Belästigungen<br />
und Mißbrauch begegnen kann“. 56<br />
Statt eines universalisierten oder eines regionalisierten wird hier ein überwiegend<br />
individualisierter Umgang mit ethisch bedenklichen bzw. potentiell traumatisierenden<br />
Inhalten vorgeschlagen. Diese Konzeption ist m.E. kompatibel mit den oben aufgezeigten<br />
- mit zunehmender Verbreitung des <strong>Internet</strong> radikalisierten - Individualisierungsprozessen<br />
<strong>im</strong> Kontext reflexiver Modernisierung. Freilich finden wir auch hier die Schattenseite dieser<br />
Freisetzungsprozesse, die von BECK thematisierte „Individualisierung sozialer Risiken“ 57 ;<br />
so sieht AUFENANGER ein Problem des gegenwärtigen Medienkompetenz-<strong>Diskurs</strong>es in<br />
der Vernachlässigung der Verantwortung der Medien (-wirtschaft). 58 KETZER beruft sich<br />
da eher wie VON GOTTBERG auf die Verantwortung der Gesellschaft, Forschung und<br />
pädagogische Praxisarbeit <strong>im</strong> Bereich Medienkompetenz finanziell zu unterstützen und<br />
dauerhaft abzusichern. 59<br />
Zusammenfassend können wir <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> über bedrohliche Netzinhalte<br />
zwei oft in Mischform auftretende pädagogische Strategien - die der Abschirmung und<br />
Behütung sowie die der Stärkung Jugendlicher, der Förderung von Autonomie - vorfinden,<br />
dazu die meta<strong>pädagogischen</strong> Strategien, Gesellschaft, Wirtschaft und<br />
Politik/Gesetzgebung entweder zur Regulierung des <strong>Internet</strong> oder aber zur Förderung<br />
pädagogischer Maßnahmen zu bewegen.<br />
Entsprechend lassen sich vier Zielperspektiven feststellen: diejenige (in der<br />
medien<strong>pädagogischen</strong> Fachdiskussion kaum anzutreffende) der <strong>Internet</strong>abstinenz<br />
Jugendlicher bzw. eines computer- und internetfreien <strong>pädagogischen</strong> Schonraums;<br />
diejenige einer Durchpädagogisierung jugendlicher Netznutzung; diejenige einer<br />
pädagogisch wünschenswerteren Gestaltung des Netzes (ob durch von und mit<br />
jugendlichen Nutzerinnen kreierte Angebote oder durch politische Regulation bzw.<br />
politisch veranlasste Selbstregulation); sowie diejenige einer Verankerung und<br />
56 KETZER 1999, Kap. 10 - schöne Beispiele für Abwehr virtueller ‘Anmache’ finden sich bei DÖRING<br />
1999, S. 40<br />
57 BECK 1996, S. 158<br />
58 AUFENANGER in seinem Einstiegsreferat auf der Konnekt-Tagung am 19.1 1.1999<br />
59 vgl. KETZER 1999, Kap. 10<br />
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Absicherung von Medienbildung in der <strong>pädagogischen</strong> Forschung, Lehre und Praxis, in<br />
Bildungssystem und Bildungskanon.<br />
Den eher auf eine Regulation der Netzinhalte und ihrer Aneignung durch Jugendliche<br />
abzielenden Ansätzen liegt dabei m.E. oft die Angst der Erziehenden vor ihrer<br />
Entmachtung durch übermächtige globale Medien (<strong>im</strong> Falle des <strong>Internet</strong> zusätzlich: durch<br />
neue, unvertraute Medien) zugrunde. Hier wäre weiter zu fragen, ob es den Protagonisten<br />
dieser Ansätze in erster Linie darum geht, Kinder und Jugendliche zu stärken, indem man<br />
sie gegen die als bedrohlich empfundene Macht der Medien schützt - oder aber darum,<br />
Kinder und Jugendliche zu schwächen: Indem man nämlich eigene erzieherische<br />
Machtansprüche gegen diejenigen medialen Ressourcen verteidigt, aus denen sich,<br />
vermeintlich oder tatsächlich, jugendliche Autonomiesierung speisen kann.<br />
Die Forderung auf der anderen Seite, zwecks Stärkung von Medienkompetenz für breite<br />
Bevölkerungsschichten ein Mehr an Medienpädagogik zu installieren, kann als<br />
Bestandswahrungsversuch bzw. Expansionsanspruch einer <strong>pädagogischen</strong> Teildisziplin<br />
erscheinen. Man mag also kritisch prüfen, in welchen Bereichen und in welcher Weise<br />
eine Pädagogisierung jugendlicher Netzaneignung Sinn macht, und wo sich ein nur noch<br />
an Selbsterhaltung interessiertes System Medienpädagogik herauszubilden droht. Unter<br />
den Bedingungen knapper Kassen sind jedoch legit<strong>im</strong>ierende Argumentationsstrategien<br />
für alle Praxisfelder professioneller Pädagogik überlebensnotwendig; und Argumente für<br />
eine breitere Förderung von Medienkompetenz (<strong>im</strong> Sinne einer kritisch-reflektierten,<br />
verantwortlich-autonomen und kreativproduktiven Nutzung) werden nicht dadurch<br />
entwertet, dass mit ihnen vielleicht auch die eigene Position gesichert werden soll.<br />
Stärkung der Nutzerinnen und gemeinsame gestaltende Aneignung der Netze erscheinen<br />
mir auf jeden Fall als die angemessensten und viabelsten der vorgeschlagenen<br />
<strong>pädagogischen</strong> Strategien zum Umgang mit problematischen Netzinhalten.<br />
4.1.2. Problematisierung des <strong>Internet</strong> als Medium<br />
„Die massenhafte Diskussion um den Einfluß problematischer Medien-’Inhalte’ lenkt nicht<br />
zur eigentlichen Problemlösung hin, sondern eher davon ab 60 - OPASCHOWSKIs<br />
Statement soll uns als Hinweis auf an formalmedialen Aspekten des <strong>Internet</strong> ansetzende<br />
60 OPASCHOWSKI 1999, S. 87<br />
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Defizitbeschreibungen dienen. In diesen finden sich die klassischen Topoi der<br />
Medienkritik ebenso wie neue, internetspezifische Perspektiven: So erhalten die Motive<br />
von der Orientierungslosigkeit qua medialer Vielfalt und vom Verlust der Pr<strong>im</strong>ärerfahrung<br />
in der Rede von der ‘Informationsflut’ bzw. in der Virtualisierungskritik ihre<br />
netzspezifischen Ausformungen; dagegen können die - etwa von der <strong>pädagogischen</strong><br />
Kritik des Fernsehens her bekannten - Motive der Sucht und der sozialen Isolation der<br />
Rezipientinnen auf das neue Medium <strong>Internet</strong> fast unverändert übertragen werden - und,<br />
bei hinreichender Geringschätzung seiner interaktiven Potentiale, auch dasjenige der<br />
Passivität.<br />
Wenden wir uns den beiden erstgenannten Topoi zu (die anderen erscheinen zum Teil<br />
eingestreut - bis auf die These einer computerbedingten sozialen Isolation, die schon<br />
unter 3.2.3. behandelt wurde und die, wie gezeigt wurde, als empirisch widerlegt gelten<br />
kann), und beachten wir wie <strong>im</strong> vorangegangenen Abschnitt, welche Strategien und Ziele<br />
mit jeweiligen Defizitbeschreibungen verknüpft werden.<br />
Orientierungslosigkeit aufgrund der Fülle medialer Angebote und Inhalte kann aus<br />
pädagogischer Perspektive schon bei den ‘traditionellen’ Medien (und dort verstärkt mit<br />
der Einführung privater Rundfunkanstalten) als ein Problem erscheinen. So bei dem<br />
Münchner Schulpädagogen HELMUT ZÖPFE: Die Palette extremer Wertorientierungen,<br />
die „unter dem Deckmantel der ‘Toleranz“‘ in Talkshows präsentiert werde, „ohne daß<br />
Maßstäbe erkennbar würden, die zur Erkenntnis des Wahren und Guten, aber auch des<br />
Schönen beitrügen“, sei in einen „Zusammenhang mit der Gewaltproblematik“ zu stellen;<br />
Individualisierung der Wertorientierungen <strong>im</strong> „diffusen Wertekosmos unserer Medienwelt“<br />
führe zwangsläufig zu Vereinsamung und Gemeinschaftsverlust. 61<br />
Vielfalt ohne feste Orientierungsmaßstäbe als Ursache eines Zerfalls gesellschaftlichen<br />
Zusammenhalts und von Gewalt: Dieses Argumentationsmuster - wir haben es oben unter<br />
2.3.2. dekonstruiert - findet sich in verschiedenen Varianten (freilich selten in einem derart<br />
wertkonservativem Gewande wie bei ZÖPFL) auch <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong>.<br />
Hier ist vom „Rauschen“ durch ein Überangebot von - oft „qualitativ minderwertigen“ -<br />
Informationen, von den „Gefahren“ durch „Informationsüberlastung“ 62 und von Fülle, die<br />
61 ZÖPFL 1997, S. 89<br />
62 FASCHING 1997, S. 90f.<br />
25
erblinden lasse 63 , die Rede; und <strong>im</strong>mer wieder wird die Metapher der<br />
‘Informationsüberflutung’ bemüht. 64<br />
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Aus einer konstruktivistischer Perspektive, die Wahrnehmung als aktive Tätigkeit<br />
best<strong>im</strong>mt, entpuppt sich ‘Informationsflut’ freilich als leerer Begriff: Wissen wird nach<br />
SCHMIDTS kultur- und medienwissenschaftlichem Konstruktivismus <strong>im</strong> kognitiven System<br />
produziert, Medien hingegen bieten lediglich Anlässe zur „Wissensproduktion durch<br />
Aktanten nach sozialen Regeln“. 65 <strong>Das</strong> Konstrukt ‘Überflutung durch die Fülle medialer<br />
Inhalte’ funktioniert nur auf der Basis eines behaviouristischen Reiz-Reaktionsmodells,<br />
das den Rezipienten als passives Opfer betrachtet - mit neueren Theorien der aktiven<br />
Medienrezeption ist es nicht kompatibel. In diesen erscheint Differenz als pr<strong>im</strong>äres<br />
Medienrezeptionsmuster: „Uneinheitliche, multikontexturale, hybride Medienerfahrungen<br />
könnten also [...] durchaus als Bereicherung bei Aneignung und Gestaltung von medial<br />
vermittelten Pluralitäten von Wirklichkeit fungieren“. 66<br />
So resümiert denn auch SCHINDLER: „Die Informationsfülle des hypertextförmigen WWW<br />
[...] ähnelt derzeit dem <strong>im</strong> Kanu befahrbaren Mündungsdelta eines großen Flusses, nicht<br />
aber einer Flutwelle, die unerbeten über uns hereinbricht“. Eine Ausnahme stelle hier das<br />
‘Spamming’ dar, d.h. das massenhafte Versenden unerwünschter E-Mails bzw.<br />
Newsgroup-Diskussionsbeiträge zu Werbezwecken); dagegen stünden jedoch<br />
hinreichend Abwehrstrategien und -technologien zur Verfügung. 67<br />
Als Ziel hinter einer Thematisierung des Orientierungsdefizits <strong>im</strong> Informationsraum<br />
<strong>Internet</strong> kann eine Abwehr allzu euphorischer Informationsgesellschafts-Apologien stehen<br />
(so etwa bei KLEINSTEUBER 68 ). Häufiger aber wird, wie bei ZÖPFL, die<br />
Wiederherstellung von Eindeutigkeit bzw. die Absicherung hegemonialer Machtansprüche<br />
der Erziehenden angestrebt: Eigene Wertorientierungen werden als anthropologische<br />
Konstanten ausgegeben und somit absolut gesetzt. Neben diesen gegenmodernen<br />
63 GÖTZ-HENRICH 1996, S. 63<br />
64 vgl. etwa OPASCHOWSKI 1999, S. 78 und S. 90; ZÖPFL 1997, S. 92; KLEINSTEUBER 1996, S. 28;<br />
SCHULTE 1995, S. 29; BAACKE 1997, S. 29<br />
65 SCHMIDT 1994, S. 86<br />
66 PETER M. SPANGENBERG zit. nach SCHMIDT 1999, S. 122<br />
67 SCHINDLER 1997, S. 428f.<br />
68 KLEINSTEUBER 1996 - siehe dazu auch oben unter 2.2.1.<br />
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Zielsetzungen finden wir schließlich, wie bei der oben untersuchten Problematisierung von<br />
Netzinhalten, auch hier das Postulat einer verstärkten Bildung zu Medienkompetenz,<br />
konkret: zu Recherche-, Auswahl- und Beurteilungskompetenz. 69 Hier liegt eine m.E.<br />
zutreffende These zugrunde: Die Orientierung <strong>im</strong> neuartigen Informationsraum <strong>Internet</strong><br />
verlange best<strong>im</strong>mte Kompetenzen, die zum Teil informell erworben werden könnten, die<br />
jedoch <strong>im</strong> Interesse von Systematisierung und von Chancengleichheit durch formelle<br />
Bildung abgesichert werden sollten (wir kommen auf diese Thematik unter 4.2.1. zurück,<br />
<strong>im</strong> Kontext der didaktischen Nutzung des <strong>Internet</strong>). Diese These hat jedoch auch ohne<br />
das Schreckgespenst ‘Informationsüberflutung’ m.E. genug Überzeugungskraft.<br />
<strong>Das</strong>s auf das Motiv einer ‘Überflutung durch desorientierende Netzinformationen’ in<br />
<strong>pädagogischen</strong> Argumentationen besser verzichtet werden sollte, mag der folgende kleine<br />
Exkurs plausibel machen - ein Exkurs zu einem Paradebeispiel für die Konstruktion einer<br />
Bedrohung durch den „Umgang mit grenzenloser Information und Kommunikation“. Ich<br />
zitiere:<br />
„Die Überfremdung und deren Nichtbewältigung. Ein Beispiel (zusammengezogen aus einer<br />
tatsächlichen Begebenheit): Da haben einige junge Deutsche (um die sechzehn Jahre alt) mit<br />
türkischen Freunden eine eMail-Brücke aufgebaut, über die sie nicht nur Fußballnachrichten<br />
austauschen, sondern auch Aktualitäten aus den jeweiligen Ländern. Da die Türken auch<br />
Deutsch sprechen können (einige werden nach Deutschland zurückkehren, andere wollen in der<br />
Türkei ihr Glück versuchen), gibt es keinerlei Sprachprobleme. Dann hören die deutschen<br />
Jugendlichen etwa über iranische Fundamentalisten, sie hören von Terrorakten in Algier, sie<br />
werden vielleicht darauf aufmerksam gemacht, daß zwar in Deutschland Moscheen gebaut<br />
werden dürfen, aber in der Türkei keinesfalls überall und ohne Einschränkungen christliche<br />
Kirchen. <strong>Das</strong> stört die Kommunikation. Die jungen Türken sind überrascht: <strong>Das</strong> sind neue<br />
Fragen und Themen, die ihnen da entgegen kommen. Gab es nicht schönere Themen, die<br />
Freizeit und den Fußball, die Frauen und das Geld? Gab es nicht die Möglichkeit, miteinander <strong>im</strong><br />
Netz zu spielen? Verärgerung entsteht, und die so gut begonnene Netzfreundschaft bricht<br />
abrupt ab. [...] Dies ist ein (relativ harmloses) Beispiel für Kommunikationsstörungen, die<br />
zwischen fremden Kulturen, Sprachen und unterschiedlichen Nationen entstehen können“. 70<br />
Dies ist m.E. ein gar nicht so harmloses Beispiel für die - mit rassistischen<br />
Argumentationslinien kompatible - Strategie, Kommunikationsprobleme durch Ethnizität,<br />
Religion und ethnisch definierte ‘Kultur’ zu erklären. Wir haben es hier eben nicht mit<br />
‘Kommunikationsstörungen zwischen fremden Kulturen, Sprachen und unterschiedlichen<br />
Nationen’ zu tun, sondern mit der gezielten Einführung einer Etikettierung in eine vorher<br />
unproblematische Kommunikation.<br />
69 vgl z.B. FASCHING 1997, S. 92ff. sowie GÖTZ-HENRICH, S. 212<br />
70 BAACKE 1997, S. 31<br />
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Es bleibt <strong>im</strong> zitierten Text <strong>im</strong> Dunkeln, aus welcher Informationsquelle die deutschen<br />
Jugendlichen ‘etwas hören über ...’, wer das Subjekt ist hinter dem ‘sie werden vielleicht<br />
darauf aufmerksam gemacht, daß...’ Eltern? Freunde? Medien? Oder gar PädagogInnen?<br />
Woher auch die angeführten Informationen stammen: Es erstaunt, dass in eine<br />
Kommunikation, die sich vorher um Freizeitthemen drehte, politische Themen eingebracht<br />
werden - und zwar nicht irgendwelche, sondern solche, die aus dem <strong>Diskurs</strong> der<br />
Skandalisierung des Islam stammen.<br />
Was oder wer veranlasst die deutschen Jugendlichen, ausgerechnet den Terror<br />
islamischer Fundamentalisten in Algerien (und nicht etwa den - ebenso durch die<br />
deutschen Medien gegangenen - Terror gegen islamische Fundamentalisten in Algerien)<br />
und <strong>im</strong> Iran in ihre E-Mail-Brücke einzubringen? Wieso ein derart abseitiges Thema wie<br />
der Bau christlicher Kirchen in der - bekanntermaßen laizistischen - Türkei? 71 Es bleibt der<br />
Verdacht, dass hier - ob seitens einzelner deutscher Jugendlicher oder seitens einer<br />
ominösen Informationsquelle - gezielt Kommunikation sabotiert wurde, indem die<br />
türkischen Jugendlichen wiederholt auf ihre islamische Religion reduziert und mit diese<br />
Religion skandalisierenden Themen konfrontiert wurden: Themen, die für die<br />
Jugendlichen auf beiden Seiten der ‘Brücke’ keinerlei lebensweltliche Relevanz hatten.<br />
<strong>Das</strong>s der hier zitierte (sonst eher als ‘progressiv’ einzuschätzende) Medienpädagoge - zu<br />
Lebzeiten einer der führenden Vertreter seiner Disziplin in Deutschland - den<br />
rassistischen Begriff der ‘Überfremdung’ 72 zur Kennzeichnung der so entstandenen<br />
Kommunikationsprobleme benutzt, wirkt auf mich überaus befremdlich. Man mag hier<br />
einen medien<strong>pädagogischen</strong> Nachholbedarf sehen: Insbesondere unter den Bedingungen<br />
individualisierter, d.h. notwendig binnenmultikultureller Gesellschaften 73 und global<br />
vernetzter Kommunikationstechnologien - also: <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong> - muss<br />
71 Es sollte sich herumgesprochen haben, dass auch in Deutschland nicht ‘überall und ohne<br />
Einschränkungen’ Moscheen gebaut, geschweige denn betrieben werden können: Der 1996 entbrannte<br />
Kampf Duisburger Bürgerinitiativen, Pfarrer und Partei-Ortsverbände gegen die Gebetsrufe eines<br />
Muezzin erregte in Deutschland große massenmediale Aufmerksamkeit (zwar vermutlich erst nach der<br />
von BAACKE skizzierten Begebenheit, wohl aber vor Veröffentlichung seines Aufsatzes - vgl. JÄGER<br />
1998), Probleme mit Baugenehmigungen für Kirchen in der Türkei dagegen meines Wissens nicht<br />
72 ‘Überfremdung’ bezeichnet in rassistischen <strong>Diskurs</strong>en die Bedrohung einer - als einheitlich konzipierten -<br />
regionalen bzw. nationalen Kultur durch zunehmende Fremde und Fremdheit<br />
73 siehe oben unter 2.3.2.<br />
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Medienpädagogik m.E. die <strong>Diskurs</strong>e der interkulturellen Pädagogik bzw. einer ‘Pädagogik<br />
der Vielfalt’ (PRENGEL) zur Kenntnis nehmen. 74<br />
Beenden wir hier den Exkurs mit der Feststellung, dass auch bei dieser Defiziterzählung<br />
das verfolgte Ziel auf der meta<strong>pädagogischen</strong> Ebene liegt: „Die ohnehin unübersichtliche<br />
Kommunikation wird also durch ihre Globalisierung noch unübersichtlicher, und sie wird<br />
nicht leichter, wenn nicht pädagogische Programme sie begleiten“. 75 Hier schließt die<br />
Frage an: Muss Pädagogik in der heutigen Zeit ihr Klientel skandalisieren, um den<br />
eigenen Bestand, die eigene Finanzierung abzusichern? Darf Pädagogik das?<br />
<strong>Das</strong> Motiv vom Verlust der Pr<strong>im</strong>ärerfahrung durch Mediatisierung (bzw. aktueller:<br />
Virtualisierung) begleitet den <strong>pädagogischen</strong> Mediendiskurs spätestens seit ROUSSEAUs<br />
Forderung, „kein anderes Buch als die Welt“ in der kindlichen Erziehung zuzulassen: Alles<br />
Wissen solle über eigene unmittelbare sinnliche Weltwahrnehmung erworben werden, um<br />
unangemessenen Vorstellungen und Fehlurteilen vorzubeugen. 76 Dieses Motiv greift etwa<br />
GÖTZHENRICH in ihrer Dissertation ‘Erziehung und Bildung in der<br />
Informationsgesellschaft’ auf: Die „pr<strong>im</strong>äre Erfahrung <strong>im</strong> Hier und Jetzt“ schwinde<br />
zunehmend „angesichts der Dauerberieselung mit beliebig fernen, in Szene gesetzten<br />
Wirklichkeiten“ (diese Aussage wird hier allerdings noch pr<strong>im</strong>är an Film und Fernsehen<br />
festgemacht), angesichts dieses Defizits habe Schule die Aufgabe, „den Gebrauch vor<br />
allem auch der sogenannten Nahsinne zu trainieren und somit dazu beitragen, daß der<br />
junge Mensch lernt, auf seine eigene Wahrnehmung zu vertrauen, um für die<br />
Wahrnehmungsangebote aus der Medienwelt einen Vergleichsmaßstab zu besitzen“. 77<br />
Einen Aufsatz, der den Anspruch erhebt, sich dezidiert mit dem Verlust der<br />
Pr<strong>im</strong>ärerfahrung <strong>im</strong> Kontext der neuen Medien auseinanderzusetzen, legt ZÖPFL vor. 78<br />
Hier gesteht ZÖPFL zunächst ein, dass Erfahrung <strong>im</strong>mer vermittelte Erfahrung sei und<br />
somit nie in strengem Sinne ‘pr<strong>im</strong>är’ - was soweit der konstruktivistischen These<br />
74 vgl. PRENGEL 1995 - erste theoretische Ansätze, interkulturelle Bildung und <strong>Internet</strong><br />
zusammenzudenken, finden sich <strong>im</strong> Themenheft ‘Internationales Lernen’ der Zeitschrift ‘Computer und<br />
Unterricht’ (1998, Heft 30), und dort insbesondere <strong>im</strong> Beitrag von SUBROWEIT/VAN LÜCK<br />
75 BAACKE 1997, S. 27<br />
76 ROUSSEAU 1993 (Erstausgabe 1762), S. 356<br />
77 Götz-HENRICH 1996, S. 51 sowie S. 205<br />
78 der hier betrachtete Text ZÖPFLS ist sein Beitrag zum Tagungsband „Neue Medien - neue<br />
Gesellschaft?“ (BAACKE/SCHNATMEYER 1997)<br />
29
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entspricht, die Umwelt sei dem Individuum kognitiv unzugänglich, Wahrnehmung erfolge<br />
aktiv, sozial gebunden und auf Vorwissen aufbauend 79 -, um dann jedoch eine Zunahme<br />
der Indirektheit und Mittelbarkeit von Erfahrung mit dem medientechnischen Fortschritt zu<br />
konstatieren: „Die direkte, unmittelbare Begegnung mit anderen Menschen wird ersetzt<br />
durch einen mediatisierten, technisch umgeleiteten und anonymen<br />
Einbahnstraßenkontakt“. 80<br />
ZÖPFL ignoriert hier schlichtweg die interaktiven Potentiale neuer Medienentwicklungen;<br />
die Rezeption audiovisueller Medien wird als eine rein passive konzipiert, der noch nicht<br />
einmal der Status ‘sinnliche Betätigung’ zukommt: „Der Verlust sinnlicher Betätigungen<br />
reduziert den Menschen auf ein Funktionswesen nach dem Reiz-Reaktions-Schema, das<br />
weitgehend durch den Konsumdruck gesteuert wird“. Dieser veralteten behaviouristischen<br />
Rezeptionskonzeption wird ein Schreckensszenario der Virtualisierung an die Seite<br />
gestellt: Mediale Sekundärerfahrungen, der „Rückzug in virtuelle Welten“, führten zu<br />
einem Verwischen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion; Jugendliche würden so<br />
„der realen Alltagswelt entfremdet. Anstrengung, [...] Verzicht und Askese können so in<br />
ihrer grundsätzlichen Bedeutung von jungen Menschen kaum mehr erkannt werden“. 81<br />
Bei ZÖPFL wie bei GÖTZ-HENRICH ist zu fragen, ob die vorgenommene Trennung<br />
zwischen ‘Realität’ und ‘Medienwelten’ empirisch haltbar ist; das sowohl angesichts der<br />
Fragwürdigkeit einer Dichotomie ‘real’ - ‘virtuell’ aus konstruktivistischer Perspektive<br />
(siehe dazu oben unter 2.2.2.) als auch angesichts der Beobachtung, dass Lebenswelten<br />
Jugendlicher zunehmend Medienwelten sind, dass eine kategorische Trennung zwischen<br />
‘lebensweltlicher Erfahrung’ und ‘sekundär vermittelter medialer Erfahrung’ also <strong>im</strong>mer<br />
weniger Sinn macht.<br />
Bei beiden überrascht ferner, wie wenig das <strong>Internet</strong> selbst überhaupt thematisiert wird:<br />
So spricht GÖTZ-HENRICH zwar am Rande vom Computereinsatz, von Datenbanken und<br />
Hypertext, ‘<strong>Internet</strong>’ wird in pädagogischem Kontext jedoch nur einmal erwähnt (in einer<br />
Arbeit von 1996 über ‘Erziehung und Bildung in der Informationsgesellschaft’I), und zwar<br />
79 vgl. SCHMIDT 1994, S. 42f.<br />
80 ZÖPFL 1997, S. 86<br />
81 a.a.O., S.88 und S. 90<br />
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so: „Ob die Schulen [...] einen Anschluß ans <strong>Internet</strong> brauchen, mag vorerst dahingestellt<br />
bleiben“. 82 ZÖPFLS Beitrag von 1997 nennt zwar Telebanking und „Freizeit in der<br />
virtuellen Realität“ als Indizien für einen Rückgang unmittelbarer Erfahrungen, bleibt aber<br />
ansonsten mit seiner Argumentation <strong>im</strong> Rahmen der älteren Debatte über jugendliche<br />
Fernsehund Computernutzung. Der Begriff ‘<strong>Internet</strong>’ kommt nicht vor - Böswillige könnten<br />
hinter ZÖPFLs Aussage, dass „die Geisteswissenschaften ihre liebe Mühe [hätten], die<br />
neuen technischen Entwicklungen [<strong>im</strong> Medienbereich, S.D.] zu verstehen“, eine<br />
Selbstkundgabe vermuten. 83<br />
Eine weitgehende Vernachlässigung des <strong>Internet</strong> lässt sich auch bei SCHULTE<br />
beobachten, der sich in seiner Arbeit „Zwischen Bildschirm und Bildung. Lernen und<br />
Lehren in der ‘Informationsgesellschaft“‘ jedoch weniger ideologisch als die zuvor<br />
Genannten mit der Mediatisierung des Alltags auseinandersetzt. Hier wird zunächst<br />
betont, dass traditionell die Schule (und nicht etwa irgendein Medium) die Institution sei,<br />
die sekundäre Erfahrungen - <strong>im</strong> ungünstigen Fall ohne Rückbindung an die Lebenswelt-<br />
vermittle. Dies sei in ihrer historischen Funktion begründet: In den informationsarmen<br />
Lebenswelten der Vor- und Frühmoderne habe Schule den Auftrag gehabt, den Horizont<br />
begrenzter Pr<strong>im</strong>ärerfahrungen zu erweitern. 84 In einer Zeit reicher außerschulischer<br />
Sekundärerfahrungen sei jedoch der Ergänzungsauftrag von Schule dahingehend zu<br />
modifizieren, „zwischen den außerschulischen Lernmöglichkeiten beider Art zu vermitteln:<br />
Zwischen dem unmittelbaren Erfahrungslernen <strong>im</strong> konkreten Lebensvollzug und dem<br />
durch Medien präsentierten Lernen“. 85 Als konkrete pädagogische Konsequenz wird eine<br />
Öffnung von Schule angestrebt (allerdings nicht, wie etwa bei SCHULZ-ZANDER explizit<br />
und bei FEUERSTEIN <strong>im</strong>plizit angedacht, über das Medium <strong>Internet</strong> 86 , sondern nach dem<br />
Konzept der ‘Schule ohne Mauern’); auf der didaktischen Ebene wird der Schule die<br />
Aufgabe zugewiesen, SchülerInnen Kriterien zur Orientierung in und Beurteilung von<br />
82 GÖTZ-HENRICH 1996, S. 213<br />
83 ZÖPFL 1997, S. 86<br />
84 vgl. SCHULTE 1995, S. 26ff.<br />
85 SCHULTE 1995, S. 29<br />
86 vgl. SCHULZ-ZANDER 1997, S. 10 sowie FEUERSTEIN 1999, S. 193<br />
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medialen wie lebensweltlichen Erfahrungen zu vermitteln (dahinter ist unschwer KLAFKIs<br />
Konzeption der ‘kategorialen Bildung’ zu erkennen). 87<br />
Wenn wir oben ZÖPFL, GÖTZ-HENRICH und OPASCHOWSKI bescheinigt haben, an<br />
das konservativ-medienfeindliche Moment der Reformpädagogik anzuknüpfen, also<br />
ausgehend von am Medium bzw. an der Mediennutzung beobachteten Defiziten eine<br />
pädagogische Regulierung dieses Mediums bzw. seiner Nutzung anzustreben, so fällt bei<br />
SCHULTE auf, dass er das progressivschulreformerische Moment der Reformpädagogik<br />
aufgreift 88 : Defizite werden hier (ähnlich wie bei HAEFNER, auf den sich SCHULTE<br />
bezieht) zwar auch am Medium, vor allem aber am gegenwärtigen Bildungssystem<br />
festgemacht. SCHULTE instrumentalisiert die Informationsgesellschafts- und<br />
Mediatisierungsthematik, um sein schulreformerisches Anliegen vorzubringen. Dabei mag<br />
dieses Anliegen berechtigt sein - es wird bildungstheoretisch fundiert vorgetragen,<br />
reformpädagogische Topoi werden reflektiert und nicht ungebrochen übernommen -, zu<br />
kritisieren ist jedoch, dass die Spezifik der neuen Medien auch hier nur zur Legit<strong>im</strong>ation<br />
älterer pädagogischer Konzepte genutzt wird. Solche Konzepte mögen teilweise, wie<br />
SCHORB feststellt, „sehr flexibel, über das Bewußtsein ihrer Zeit und auch der Erzieher<br />
hinausgreifend“ und von daher auch auf neueste gesellschaftliche/pädagogische<br />
Entwicklungen anwendbar sein 89 ; ein größeres Ausmaß an Auseinandersetzung mit dem<br />
spezifisch Neuen des <strong>pädagogischen</strong> Umgangs mit dem <strong>Internet</strong> würde ich mir hier<br />
dennoch wünschen.<br />
Mit den Spezifika der Virtualität (<strong>im</strong> Sinne einer computer- und internetbasierten ‘Kultur<br />
der S<strong>im</strong>ulation’) beschäftigt sich TURKLE. Sie macht auf mögli- j che Gefahren der<br />
Virtualität aufmerksam - so der ‘Künstliche-KrokodilEffekt’: Erwerben Kinder Wissen durch<br />
S<strong>im</strong>ulationen, mag das S<strong>im</strong>ulierte (z.B. muntere Krokodilroboter in Disneyland oder auch<br />
dreid<strong>im</strong>ensional an<strong>im</strong>ierte Softwarekrokodile) in der realen Begegnung (z.B. <strong>im</strong> Zoo,<br />
jedoch gewiss nicht be<strong>im</strong> Flussdurchwaten) langweilig erscheinen -, bringt aber auch ein<br />
markantes Beispiel für die kulturelle Konstruiertheit der Kategorien ‘real’/’natürlich’ und<br />
‘virtuell’/’künstlich’. Eine Schülerin habe sich beklagt, dass ihre Freunde nur noch über das<br />
87 vgl. SCHULTE 1995, S. 29f. sowie KLAFKI 1996, S. 96<br />
88 vgl. SCHULTE 1995, S. 104ff.<br />
89 SCHORB 1995b, S. 22<br />
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<strong>Internet</strong> kommunizierten: „Früher war das alles nicht so künstlich. Wir telefonierten jeden<br />
Nachmittag miteinander“. TURKLE resümiert: „Für dieses Mädchen waren Telefonate<br />
Ausdruck einer natürlichen, unmittelbaren Nähe“. 90<br />
Während BAACKE in der hier angesprochenen Kommunikation via <strong>Internet</strong> weniger<br />
spezifische Gefahren als vielmehr - mit Stoßrichtung gegen den Mythos von der größeren<br />
Toleranz in der Netz-Kommunikationskultur - eine Verdopplung realweltlicher<br />
Kommunikationsprobleme drohen sieht 91 , schließt SCHORB an Positionen an, die eine<br />
‘Versingelung’, eine Gefährdung von Solidarität und verständigungsorientierten <strong>Diskurs</strong>en<br />
durch mediatisierte Kommunikation befürchten: „Weil es keines körperlichen Kontaktes<br />
bedarf, um einander nahe zu sein, wird das Handeln in der Gruppe, sich von Angesicht zu<br />
Angesicht gegenüberzutreten, zurückgedrängt durch die einfachen, keinen<br />
Konventionszwängen unterworfenen medialen Kontakte“. 92<br />
Wir haben diese Argumentationsstrategie bereits oben unter 3.3.3. kritisiert; zum einen,<br />
da hier ein Trend zur Totalvirtualisierung gezeichnet wird, an dem m.E. kein hinreichendes<br />
gesellschaftliches und ökonomisches Interesse besteht - mit TURKLE: „Weshalb müssen<br />
sich Virtualität und wirkliches Leben gegenseitig ausschließen? Weshalb können wir nicht<br />
beides haben?“ 93 - zum anderen, da sich mit zunehmender kultureller Aneignung der<br />
Netze Konventionen, Ordnungen bilden, die zwar nicht <strong>im</strong>mer mit netzexternen<br />
Sanktionen stabilisierbar sind, die das aber auch nicht nötig haben müssen: Wer etwa in<br />
einem MUD oder einem Diskussionsforum ein Verhalten an den Tag legt, das von seinen<br />
Interaktionspartnern nicht toleriert wird, wird vermutlich in der Folge geschnitten werden.<br />
Er/sie kann dann zwar möglicherweise mit einer neuen virtuellen Identität in der selben<br />
virtuellen Gemeinschaft einen Neuanfang wagen, das wird aber nur dann erfolgreich<br />
90 TURKLE 1998, S. 384f. - die US-amerikanische Psychologin TURKLE ist freilich nicht gerade<br />
als eine typische Vertreterin des deutschsprachigen <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong>es<br />
anzusehen; spätestens mit der Erscheinung der deutschen Übersetzung von ‘Life on the<br />
Screen’ (Deutsch ‘Leben <strong>im</strong> Netz’, 1998) wird sie jedoch auch hierzulande stark rezipiert<br />
91 vgl. BAACKE 1997, S. 32<br />
92 SCHORB 1995b, S. 15 - interessanterweise nennt dagegen gerade OPASCHOwSKI (1999, S. 128f.)<br />
Chancen neuer elektronisch vermittelter Beziehungsnetze: <strong>Das</strong> Netz als „virtueller Kontakthof“ für<br />
Schüchterne, als Neutralisator geschlechtspezifischen Kommunikationsverhaltens („Männer [...]<br />
schlüpfen geradezu in die Rolle moderner Klatschtanten [...] geben sich offener und ehrlicher [...] und<br />
sind dabei viel weniger aggressiv als auf anderen Kommunikationswegen“)<br />
93 TURKLE 1998, S. 387 - ihre Antwort: „Wir [werden] natürlich beides haben [...]. Die wichtigere Frage ist:<br />
‘Wie können wir das beste aus beiden herausholen?’“<br />
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gelingen, wenn er/sie sich nun enger an die jeweiligen Kommunikationsregeln hält bzw. in<br />
kleineren Schritten und mit Blick auf mögliche Verbündete an deren Veränderung arbeitet.<br />
Mit anderen Worten: Es erscheint mir nicht zulässig, die Tendenz einer internetbedingten<br />
Radikalisierung von Individualisierungsprozessen auf die D<strong>im</strong>ension des ‘Disembedding’,<br />
der Herauslösung aus den lokalen Zusammenhängen und der pr<strong>im</strong>ären Kommunikation<br />
zu verkürzen, vielmehr sollte auch die D<strong>im</strong>ension des ‘Reembedding’ in neu entstehenden<br />
Ordnungen (etwa in virtuellen Gemeinschaften) Beachtung finden. 94<br />
Kritik am <strong>pädagogischen</strong> Lamento über den Verfall der Pr<strong>im</strong>ärerfahrung kommt derzeit vor<br />
allem noch aus dem soziologischen Lager; so weist PAETAU darauf hin, dass die<br />
Geschichte der Kommunikation seit je als Geschichte ihrer Mediatisierung zu lesen sei,<br />
dass Entkoppelung und Mediatisierung von Kommunikation Gesellschaft stabilisiere und<br />
dass also eine normative Orientierung an unmittelbarer Kommunikation zwar für<br />
best<strong>im</strong>mte sozialpsychologische Fragestellungen sinnvoll, gesellschaftstheoretisch jedoch<br />
nicht haltbar sei. 95<br />
Auch soziologisch, aber pädagogisch anschlussfähiger (allein schon durch die<br />
Veröffentlichung in einer <strong>pädagogischen</strong> Zeitschrift) argumentiert VOGELGESANG in<br />
seinem Beitrag über die jugendlichen Subkulturen der ‘Netzfreaks’, der Bewohnerinnen<br />
virtueller Welten. Wie bei PAETAU wird zunächst gegen die Abwertung virtueller<br />
gegenüber ‘ursprünglicher’ Erfahrung Stellung bezogen. Diese Abwertung, die sich oft auf<br />
angebliche anthropologische Konstanten berufe, sei tatsächlich als normative Setzung zu<br />
dekonstruieren. Statt dessen müsse man sich vielmehr „beide Formen der Welterfahrung<br />
[...] als auf der gleichen Ebene liegend und einander ergänzend“ vorstellen. 96<br />
Mit doppelter Zielrichtung gegen die Rede von der mediatisierungsbedingten<br />
Erlebnisarmut einerseits 97 und andererseits gegen JAN-UWE ROGGEs These, hinter der<br />
massiven Inanspruchnahme des medienkulturellen Erlebnisangebots durch Jugendliche<br />
94 siehe dazu auch oben unter 3.2.1. und 3.2.2.<br />
95 vgl. PAETAU 1997, S. 106f. sowie S. 123<br />
96 VOGELGESANG 1997, S. 28<br />
97 zu finden etwa bei ZÖPFL (1997, S. 89): „einfaches, unmittelbares Spiel [...1 ‘ermöglicht Welt-Begreifen<br />
und Welt-Erfassen [...] ... ein subtiles Ventil, um negative Erfahrungen wie Kränkungen, Ärger,<br />
Demütigungen auf eine neue Ebene zu heben und dabei zu verarbeiten’ - Wie armselig und pädagogisch<br />
wertlos erweisen sich davon ausgehend die meisten Computer- und Videospiele!“ (enthält ein Zitat von<br />
HANNE TÜGEL)<br />
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und Erwachsene sei eine „Grundstörung des Zivilisationsprozesses“ zu vermuten,<br />
rehabilitiert VOGELGESANG den „spannenden Müßiggang“ in virtuellen Erlebniswelten.<br />
Dieser sei erstens meist mit einem hohen Ausmaß an Medienkompetenz verbunden,<br />
zweitens seien Verhaltensweisen situationsbezogen gerahmter „partielle Entzivilisierung“<br />
durchaus den plural ausdifferenzierten Gegenwartsgesellschaften angemessen: „In<br />
bewußter Distanz zu den Selbstdisziplinierungsanforderungen auf<br />
gesamtgesellschaftlicher Ebene entstehen affektive Räume und Situationen, in denen<br />
gezielt außeralltägliche Zustände hergestellt werden“. 98<br />
Hier bleibt freilich der nagende Zweifel bestehen, ob die ‘partielle Entzivilisierung’ in<br />
virtuellen Erlebniswelten nicht doch - in Einzelfällen oder gar <strong>im</strong> langfristigen Trend<br />
gesellschaftsweit - auch Entzivilisierung <strong>im</strong> RL, in der ‘wirklichen Wirklichkeit’ zu fördern<br />
vermag. <strong>Das</strong> müsste aber fairerweise von den meisten Formen des Rauschs und des<br />
Spiels gesagt werden.<br />
Virtuelle Gemeinschaften und Erlebniswelten werfen die oben (unter 3.2.2.) mit TURKLE<br />
gestellten Fragen nach Sucht oder Persönlichkeitsförderung, Flucht oder Widerstand auf.<br />
Während SCHORB in diesem Kontext eher die Gefahr einer Ausblendung unliebsamer<br />
Persönlichkeitsanteile und somit der Realitätsflucht in der Online-Kommunikation<br />
thematisiert, n<strong>im</strong>mt DÖRING an, dass authentischer Austausch und Suche nach<br />
Unterstützung für ‘reale’ Schwierigkeiten hier gegenüber ‘purer Maskerade’ und<br />
Eskapismus überwiegen. 99<br />
Halten wir also fest: Sowohl die Abwertung medialer Erfahrung und computervermittelter<br />
Kommunikation gegenüber ihren ‘ursprünglich-pr<strong>im</strong>ären’ Korrelaten als auch die<br />
Konstruktion einer drohenden Verdrängung letzterer durch erstere erscheinen fragwürdig.<br />
Zu rechtfertigen sind diese Bedrohungsdiagnosen bestenfalls mit Rekurs auf mögliche<br />
Risiken wachsender Gleichgültigkeit gegenüber realer Gewalt und Umweltzerstörung<br />
sowie auf die Gefahr der Herabwürdigung menschlicher Körperlichkeit.<br />
Körper, Natur und das Verhältnis Realität - Virtualität sind zentrale Themen eines in<br />
Schrift, Wort und Bild dokumentierten Streitgesprächs zwischen SCHORB und FRANZ<br />
98 VOGELGESANG 1997, S. 31f.<br />
99 vgl. SCHORB/RÖLL 1999, S. 14ff. sowie DÖRING 1999, S. 38f. - auch DÖRING ist keine Pädagogin<br />
(sondern Psychologin), aber publiziert in <strong>pädagogischen</strong> Kontexten<br />
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JOSEF RÖLL. Gegen die These einer virtualitätsbedingten Entfernung des Menschen von<br />
seinen natürlichen Lebensgrundlagen 100 betont SCHORB hier den Lernwert von<br />
S<strong>im</strong>ulationen ökologischer Prozesse, besteht aber auf einer kategorischen Trennlinie<br />
zwischen real und virtuell: Aufgabe des Mediums sei es, auf etwas anderes zu verweisen,<br />
nämlich auf die - wenn schon nicht objektiv, so doch zumindest intersubjektiv gegebene -<br />
reale Realität. RÖLL vertritt dagegen Positionen in der Nähe von TURKLE, wenn er auf<br />
die Funktion virtueller Realitäten als Übungsfeld für Sexualität und Selbstbewusstsein, die<br />
Verneinung einer grundsätzlichen Differenz zwischen unmittelbarer und medial<br />
vermittelter Interaktion und den Trend einer Entgrenzung des Körperkonzepts vom<br />
materiellen Körper abhebt.“ 101<br />
Während der <strong>Diskurs</strong> von Körper und Mediatisierung/Virtualität bei SCHORB/RÖLL wie<br />
auch <strong>im</strong> außer<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> 102 auf hohem Niveau geführt wird, finden sich bei<br />
OPASCHOWSKI und bei ZÖPFL dazu lediglich Listen diverser angeblich medien- (und<br />
das heißt hier meist: fernseh-) bedingter körperlicher Schädigungen und<br />
psychosomatischen Beschwerden 103 - man fühlt sich unweigerlich an eine historische<br />
Kollektion pädagogischer Mahnungen vor Masturbationsfolgen erinnert, aber auch an die<br />
reformpädagogische Kritik der Gesundheitsgefährdung durch die ‘Paukschule’. 104 Bei<br />
ZÖPFL sollen diese Auflistungen „beweisen“, dass „zu großer Medienkonsum zu<br />
Bequemlichkeit, Verweichlichung [sic!] sowie [...] zu mangelnder Frustrationstoleranz“<br />
führe. 105 Als Ziel erscheint bei beiden eine negative Medienpädagogik: eine Erziehung, die<br />
zu weniger Medienkonsum und mehr unmittelbarer zwischenmenschlicher<br />
Kommunikation, mehr körperlicher Betätigung und mehr Naturerfahrung anleitet. 106<br />
100 so etwa aufgestellt von PROVENZO (nach TURKLE 1998, S. 457)<br />
101 vgl. SCHORE/RÖLL 1999, S. 13ff.; hier noch ein kleiner Ausschnitt zur Illustration der Differenz<br />
zwischen SCHORBS eher materialistischer und RÖLLs konstruktivistischer Perspektive: (Einwurf<br />
SCHORB:) „Fett bleibt fett“ - (RÖLL:) „‘Fett is beautiful’ [...] es ist nichts so gegeben, dass es so sein<br />
muss“ (a.a.O., S. 15)<br />
102 neben den <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> präsenten Nicht-PädagogInnen TURKLE, VOGELGESANG und<br />
DÖRING wären hier u.a. BÜHL und LOVINK/SCHULTZ zu nennen<br />
103 vgl. ZÖPFL 1997, S. 88f. sowie OPASCHOWSKI 1999, S. 86 - siehe auch kritisch dazu oben unter<br />
3.2.3.<br />
104 vgl. OELKERS 1989, S. 61<br />
105 ZÖPFL 1997, S. 88<br />
106 vgl. OPASCHOWSKI 1999, 5. 88ff. sowie ZÖPFL, S. 91 f.<br />
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Was hier eher für den Bereich der Freizeiterziehung postuliert wird, wendet GÖTZ-<br />
HENRICH auf den schulischen Bildungsauftrag an: Als Strategie gegen die<br />
enträumlichenden Tendenzen der neuen Kommunikationstechniken wird Schule<br />
aufgefordert, Raum und Zeit sinnlich erfahrbar zu machen: „Unter Verzicht auf mediale<br />
Präsentation wird die nähere Umgebung erkundet. Erst der körperliche Einsatz macht<br />
deutlich, was ‘Entfernung’ heißt und wie widerständig die reale Welt ist; vor allem in der<br />
Körperlichkeit wird die menschliche Begrenztheit bewußt“. 107<br />
Wenn auch <strong>im</strong> Bereich der ergonomischen Gestaltung von Computerarbeitsplätzen<br />
gewiss noch einiges getan werden kann - sollten etwa den ganzen Körper einbeziehende<br />
VR-Schnittstellen je in Massenproduktion gehen und einen Verbreitungsgrad ähnlich dem<br />
gegenwärtigen von Computermonitoren erreichen, dann würde ein Medium zur Verfügung<br />
stehen, das besser als die vorangegangenen das pädagogische Postulat der<br />
‘Ganzheitlichkeit’ (also der möglichst ganzkörperlichen, mehrkanaligen Wahrnehmung)<br />
erfüllen würde und womöglich auch als ‘Cybergouvernante’ bei Bedarf Hinweise zu einer<br />
gesunden Körperhaltung geben könnte - so ist doch festzuhalten, dass nicht nur<br />
SCHWAB/STEGMANN und die AutorInnen der jüngsten ShellJugendstudie, sondern auch<br />
OPASCHOWSKI selbst keinerlei empirische Hinweise auf eine geringere sportliche (also:<br />
körperliche) Betätigung von Computernutzerinnen fanden - eher war das Gegenteil der<br />
Fall) 108 Bei den Gegensatzkonstruktionen ‘Körperlichkeit vs. Virtualität’ bzw.<br />
‘widerständige, authentische Realwelt vs. glatte, unechte Medienwelt’ oder ‘natürliche<br />
Pr<strong>im</strong>är- vs. künstliche Sekundärerfahrungen’ scheint es sich um die falschen Alternativen<br />
zu handeln.<br />
107 GÖTZ-HENRICHs 1996, S. 207<br />
108 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 117 sowie OPASCHOWSKI 1999, S. 44<br />
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Ziehen wir ein Resümee: Im hier untersuchten Ausschnitt des deutschsprachigen<br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>es scheint eine differenzierte Kritik der spezifischen Medialität des<br />
<strong>Internet</strong> erst langsam zu entstehen bzw. rezipiert zu werden. An vielen Orten bleibt die<br />
pädagogisch-theoretische Analyse weit hinter der technischen Entwicklung zurück, unter<br />
Etiketten wie ‘neue Medien’, ‘Informationsgesellschaft’ oder auch ‘Generation @’ finden<br />
sich Gemeinplätze aus 230 Jahren pädagogischer Kritik an Sekundärerfahrung und<br />
Mediatisierung, fokussiert insbesondere auf das Fernsehen; neue Potentiale des <strong>Internet</strong><br />
werden in diesem <strong>Diskurs</strong> nur am Rande berücksichtigt.<br />
Wo die medialen Besonderheiten bei der Nutzung des <strong>Internet</strong> (mit dem Schwerpunkt auf<br />
jugendlicher Freizeitnutzung) in der <strong>pädagogischen</strong> Reflexion problematisiert werden,<br />
finden sich einerseits potentiell gegenmoderne Motive von ‘Überflutung’ und<br />
‘Orientierungslosigkeit’, andererseits werden internetbedingte Tendenzen zur<br />
Radikalisierung von Individualisierungsprozessen zwar wahrgenommen, jedoch in einer<br />
oft auf die Komponente des ‘Disembedding’ verkürzten Weise. Differenziertere Ansätze,<br />
die Prozesse des ‘Reembedding’ auf der Ebene des Netzes und Chancen der Virtualität<br />
nicht kategorisch abwerten bzw. ausblenden, finden sich fast nur bei NichtPädagogen<br />
(DÖRING, VOGELSANG, TURKLE - eine Ausnahme ist hier RÖLL).<br />
Mit den vorherrschenden Defizitbeschreibungen werden verschiedenste Ziele verfolgt: Auf<br />
der meta<strong>pädagogischen</strong> Ebene wird für mehr Zeit für Kinder, Förderung der<br />
Volksgesundheit und mehr Freizeitpädagogik (ZÖPFL, OPASCHOWSKI), für mehr<br />
Medienpädagogik (BAACKE) und für eine Reform von Schule und Unterricht (SCHULTE)<br />
plädiert. Auf der <strong>pädagogischen</strong> Ebene finden sich teils gegensätzliche Variationen über<br />
das Thema ‘Medienmündigkeit’: Während BAACKE und SCHORB eher an einer<br />
Kompetenzsteigerung der Nutzerinnen gelegen ist, wird bei ZÖPFL, GÖTZ-HENRICH und<br />
OPASCHOWSKI eine Erziehung zur Mäßigung des Medienkonsums bzw. Prävention von<br />
Mediensucht fokussiert.<br />
OPASCHOWSKI wendet sich hier dezidiert gegen das Leitbild des mündigen Nutzers -<br />
dieses täusche kontrafaktisch eine „heile Lebenswirklichkeit vor, in der Kinder und<br />
Jugendliche souverän mit der medialen Angebotsvielfalt umgehen können“ - sowie gegen<br />
Versuche der „Instrumentalisierung der Medien für pädagogisch-therapeutische Zwecke“.<br />
Zwar nicht Medienverzicht, aber die „Anleitung zu weniger Medienkonsum“ wird hier zur<br />
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zentralen Strategie einer Medienpädagogik, die sich dann „als wesentlicher Bestandteil<br />
einer Allgemeinbildung <strong>im</strong> künftigen Medienzeitalter“ etablieren könne. 109<br />
OPASCHOWSKIS pädagogische Dichotomien - „Kuscheln gegen den Stress“ und „Toben<br />
<strong>im</strong> Freien“ auf Nordseeinseln vs. „totale Reizüberflutung“, familiale Wertevermittlung durch<br />
„Eltern und Großeltern“ vs. mult<strong>im</strong>ediales Entertainment zur Entlastung Alleinerziehender,<br />
„Einflußkraft der hauptberuflichen Erzieher in Elternhaus und Schule“ vs. die<br />
gehe<strong>im</strong>nisvolle Macht globalisierter Medien 110 - schließen in Inhalt und rhetorischer Form<br />
(binäre oppositionelle Codes, die die Notwendigkeit einer moralischen Entscheidung<br />
suggerieren) nahtlos und unreflektiert an die reformpädagogische Modernisierungskritik<br />
an. 111 Die hier konstruierte pädagogische Idylle wird m.E. - ebenso wie die aus ihr<br />
abgeleitete negative Medienpädagogik - einer Gesellschaft unter den Bedingungen<br />
fortgeschrittener reflexiver Modernisierung nicht gerecht und steht in der Gefahr,<br />
gegenmoderne Lösungswege nahezulegen.<br />
4.1.3. Problematisierung komplexer Auswirkungen des <strong>Internet</strong><br />
Bisher haben wir untersucht, in welcher Weise das Verhältnis zwischen dem Medium<br />
<strong>Internet</strong> - seinen Inhalten, seinen formalen Merkmalen - und jugendlichen Nutzerinnen in<br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>en als defizitär, als bedrohlich thematisiert wird. In diesem<br />
Abschnitt soll nun ein Augenmerk auf die pädagogische Reflexion der komplexen<br />
gesellschaftlichen Auswirkungsdynamik des <strong>Internet</strong> gerichtet werden, und das vor der<br />
Folie unserer Beobachtungen zur Radikalisierung reflexiver Modernisierung durch das<br />
<strong>Internet</strong> in Kapitel 3. In loser Anlehnung an die dort vorgenommene Gliederung soll hier<br />
die Rezeption der folgenden sechs Themenkomplexe <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong><br />
beleuchtet werden:<br />
– Transformationsprozesse des ökonomischen Systems bzw. der Arbeitswelt,<br />
– Transformationsprozesse <strong>im</strong> Bildungssystem,<br />
– Verlagerung sozialer Netzwerke ins <strong>Internet</strong>,<br />
109 OPASCHOWSKI 1999, S. 86f. sowie S. 90<br />
110 a.a.O., S. 90, S. 87 und S. 79<br />
111 vgl. OELKERS 1989, S. 12 und S. 69<br />
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– internetbedingte Transformationen von Demokratie und Öffentlichkeit,<br />
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– Exklusion aus dem System <strong>Internet</strong> bzw. Polarisierung von (Welt-)Gesellschaft, sowie<br />
– internetbedingte bzw. internetvermittelte Disziplinierung und Kontrolle.<br />
Dabei ist jeweils zu fragen, welche Entwicklungen diagnostiziert/prognostiziert werden<br />
und welche <strong>pädagogischen</strong> und meta<strong>pädagogischen</strong> Konsequenzen daraus gezogen<br />
werden. Wenden wir uns also dem ersten Themenkomplex auf unserer Liste zu.<br />
Transformationsprozesse in Ökonomie und Arbeitswelt <strong>im</strong> Kontext von Informatisierung<br />
und <strong>Internet</strong> werden aus pädagogischer Perspektive ausführlich bei HAEFNER behandelt:<br />
Die von uns oben als Mechanisierung (auch kognitiver) menschlicher Arbeit, als<br />
Verflüssigung des Arbeitsmarktes und als Verschiebungen gesellschaftlicher Arbeit<br />
beschriebenen Trends fasst HAEFNER zusammen in der Prognose eines<br />
vereinheitlichten ‘Marktes kognitiver Prozesse’. Die Gesellschaft nutze diese Prozesse, ob<br />
menschlich oder technisch realisiert, nach Effizienzerwägungen; daher ergebe sich für<br />
Pädagogik die Aufgabe, Menschen insbesondere für die Tätigkeiten zu qualifizieren, die<br />
nur unter unrentablem Aufwand bzw. gar nicht automatisierbar seien, d.h. komplexe,<br />
kreative, über festgelegte Aufgaben und Routinen hinausgehendeLeistungen.’ 112<br />
HAEFNERs wesentliche Zielperspektive ist jedoch eine metapädagogische auf der Ebene<br />
des Bildungssystems; wir kommen darauf zurück.<br />
Eine drohende Vernichtung von Arbeitsplätzen insbesondere <strong>im</strong> Bereich der niedrig<br />
qualifizierten Arbeitnehmerinnen konstatiert MIKOS mit Rekurs auf BÜHL. Da trotz<br />
Rationalisierung der Bedarf an komplexen Tätigkeiten - man könnte hinzufügen: an<br />
‘Gewährleistungstätigkeiten’ 113 - bestehen bleibe, ergebe sich für Jugendliche die<br />
Notwendigkeit, eine vielfältige Bildung inklusive medien- und computertechnologischer<br />
Kompetenzen zu erwerben. Der Pädagogik wird von MIKOS die Aufgabe zugewiesen, den<br />
Erwerb dieser Kompetenzen für alle Jugendlichen institutionell zu ermöglichen, um so<br />
einer Privatisierung des computer- und internetbezogenen Lernens und damit dem Risiko<br />
einer Verschärfung sozialer Ungleichheit entgegenzuwirken. 114<br />
112 vgl. HAEFNER 1995, S. 85ff. sowie S. 105 und S. 107f. - Die Förderung spezifisch menschlicher<br />
Fähigkeiten angesichts von Informatisierungstendenzen wird (mit Rekurs auf HEINTZ) auch angemahnt<br />
bei GöTZ-HENRICH (1996, S. 224)<br />
113 siehe dazu oben unter 3.1.1<br />
114 vgl. MIKOS 1997, S. 67<br />
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Auswirkungen von Telearbeit auf Geschlechterverhältnis und Familie werden von<br />
LAUFFER angeschnitten: Eine erleichterte Koordinierbarkeit von Berufstätigkeit und<br />
Kindererziehung insbesondere für Alleinerziehende, die Entstehung neuer Modelle<br />
familialer Erziehung und Verschiebungen in der geschlechtlichen Rollenverteilung werden<br />
hier zwar als spekulative Möglichkeiten genannt, jedoch ohne schon pädagogische<br />
Konsequenzen zu ziehen; hier wird vorerst nur Forschungsbedarf angemeldet. 115<br />
Auch MIKOS thematisiert Veränderungen des Familienlebens durch eine<br />
Entroutinisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt sowie durch Telearbeit. Dabei weist<br />
er vor allem auf die Schattenseite der Individualisierungsprozesse hin: So wird das Motiv<br />
der durch He<strong>im</strong>arbeit wegfallenden Notwendigkeit externer Kinderbetreuung hier gleich in<br />
doppelter Weise dekonstruiert: Zum einen sei konzentriertes Arbeiten bei gleichzeitiger<br />
Beaufsichtigung der eigenen Kinder oft schwierig, zum anderen seien die Kinder<br />
„vielleicht [...] ja auch ganz froh, wenn die Eltern nicht permanent zu Hause sind“. Die<br />
Auflösung arbeitsweltlicher Rituale und Routinen durch Telearbeit führe ferner zu einer<br />
verstärkten Individualisierung der Alltagsplanung, und das heißt (nicht nur) für Eltern:<br />
erhöhte Anforderungen an Alltagsmanagement. 116 Aus diesen Überlegungen zieht auch<br />
MIKOS keine unmittelbaren <strong>pädagogischen</strong> Schlussfolgerungen, sie leiten jedoch hin zu<br />
seiner Konzeption von Medienpädagogik und Medienmündigkeit <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong>,<br />
die unter 4.2.2. diskutiert werden soll.<br />
THIELE setzt sich kritisch mit denjenigen Konzeptionen von Medienkompetenzvermittlung<br />
auseinander, die sich hauptsächlich über arbeitsweltliche Anforderungen legit<strong>im</strong>ieren:<br />
Während diesbezügliche Postulate der Medienpädagogik lange ungehört verhallt seien,<br />
bilde sich seit Mitte der 90er Jahre ein breiter Konsens darüber, dass Kinder und<br />
Jugendliche verstärkt be<strong>im</strong> Erwerb von Medienkompetenz gefördert werden müssten. Als<br />
Begründung werde häufig die zunehmenden Relevanz von Computernetzen in der<br />
Arbeitswelt angeführt. 117 Gegen die in diesem <strong>Diskurs</strong> meist vorgenommene Verkürzung<br />
von Computer- bzw. Netzkompetenz auf Handhabungsfertigkeiten und Funktionswissen<br />
setzt THIELE ein weiteres Begriffsverständnis, welches auch die Fähigkeiten umfasst,<br />
115 vgl. LAUFFER 1997, S. 109<br />
116 MIKOS 1997, S. 66<br />
117als Beispiel ließe sich die Presseerklärung zum Start der Initiative ‘Schulen ans Netz’ anführen,<br />
abgedruckt u.a. in Computer und Unterricht Nr. 25, Jg. 7 (1997), S. 6<br />
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„die gesellschaftliche Bedeutung und die ökonomischen Zusammenhänge der<br />
Medienproduktion einschätzen und für das eigene Handeln werten [zu] können“ sowie<br />
„Medien für die Artikulation eigener Interessen produktiv nutzen [zu] können“. 118<br />
Pädagogik wird somit die Aufgabe zugewiesen, auf die durch das <strong>Internet</strong> radikalisierte<br />
Informatisierung des ökonomischen Systems nicht nur mit Qualifizierungsmaßnahmen,<br />
sondern mit einer umfassenden Bildungskonzeption zu antworten, bei der sowohl die<br />
Analyse sozioökonomischer Kontexte der Computernetze als auch aktive<br />
Interessenvertretung mitgedacht werden.<br />
Pädagogische Reaktionen auf internetbedingte Transformationen des ökonomischen<br />
Systems können somit differenziert werden in solche, die auf Qualifikation setzen - und<br />
dies entweder in s<strong>im</strong>pler Adaption arbeitsweltlicher Anwendungskompetenz-<br />
Anforderungen oder (wie bei HAEFNER und GÖTZ-HENRICH) mit komplementärem<br />
Bezug auf Automatisierbarkeit - sowie solche, die Qualifikation in eine umfassende<br />
Bildungskonzeption einbetten; wobei THIELE dezidiert die Position bezieht, dass es „nicht<br />
Auftrag von allgemeinbildender Schule, Kinder- und Jugendhilfe ist, Aufgaben der<br />
beruflichen Bildung zu übernehmen“. 119<br />
Damit sind wir be<strong>im</strong> Themenkomplex internetbedingter Transformationsprozesse <strong>im</strong><br />
Bildungssystem angelangt.<br />
Der durch den informationsgesellschaftlichen Wandel von Arbeitswelt bedingte Wandel<br />
der Bildungswelt ist zentrales Thema bei HAEFNER. Hier wird zunächst ein<br />
Defizitszenario gezeichnet (‘Die neue Bildungskrise’): Durch zunehmende<br />
Automatisierung vormals menschlicher Arbeit bzw. deren internetvermittelte Verlagerung<br />
in Billiglohnländer sinke der Qualifikationsbedarf in Deutschland und damit auch die<br />
staatlichen Bildungsausgaben; eine Polarisierung des Bildungssystems - hier die<br />
öffentliche Massenschule mit ‘deregulierten’ kognitiven Lernzielen, die de facto nur noch<br />
Sozialarbeit betreibe, dort die Privatschule, die die informationsgesellschaftliche Elite<br />
heranbilde - sei zu erwarten . 120<br />
118 THIELE 1997<br />
119 ebd.<br />
120 vgl. HAEFNER 1995, S. 100ff.; siehe auch oben unter 3.1.2.<br />
42
Diesem ‘Trendszenario’ wird als anzustrebendes Ziel ein ‘Wunschszenario’<br />
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gegenübergestellt, das eine Reform schulischer Inhalte (die oben erwähnte Konzentration<br />
der Didaktik auf Kompetenzbereiche jenseits des effizient Automatisierbaren), Methoden<br />
(LehrerInnen als aktive Gestalterinnen von Lernumgebungen aus interaktiven Medien und<br />
sozialem Miteinander) und Organisationsformen (weg vom fachbezogenen Unterricht hin<br />
zu umfassender Berücksichtigung informationsgesellschaftlicher Realität) mit einer<br />
verbesserten LehrerInnenausbildung (inklusive einer verpflichtenden Berufstätigkeit<br />
außerhalb von Schule) und Schulausstattung (der nach <strong>pädagogischen</strong> Maßgaben<br />
gestaltete Laptop für jedeN Schülerin) verknüpft. Als Grundvoraussetzung wird dabei eine<br />
reale Stabilität der Bildungsausgaben pro Kopf benannt. 121<br />
HAEFNER entwirft hier eine pr<strong>im</strong>är metapädagogische Konzeption: Es geht ihm darum,<br />
„in der Gesellschaft Kräfte“ zu erwecken, die willens seien, die <strong>im</strong> Wunschszenario<br />
angestrebten Ziele zu erreichen. Diese Kräfte sieht er zum einen innerhalb des<br />
Bildungswesens („Lehrer und Hochschullehrer haben neben ihren Lehrverpflichtungen<br />
ausreichend Zeit, in den Schul- und Semesterferien sich mit der Zukunft des<br />
Bildungswesens zu beschäftigen“), zum anderen in der Wirtschaft, die den Standortfaktor<br />
Bildung - <strong>im</strong> Dienste sozialer und politischer Stabilität sowie des Vorsprungs „für deutsche<br />
Produkte und Wertschöpfung“ - neu entdecken müsse. 122<br />
Trotz seiner bisweilen naiv bis nationalistisch anmutenden Thesen findet HAEFNER <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> Anklang: so bei SCHORB und bei SCHULTE. 123 SCHULTE sieht<br />
in der (sozio-)technischen Entwicklung anders als HAEFNER jedoch weniger Gefahren<br />
als vielmehr Chancen zu längst überfälligen Schulreformen: „Die Entwicklung der<br />
Kommunikationsmedien [stellt] die Schule und die in ihr vermittelten Inhalte grundsätzlich<br />
in Frage. Sie zwingt Pädagogen und Bildungspolitiker dazu, über die veränderten<br />
121 vgl. a.a.O., S. 104ff. - die Idee des Laptops für jeden Schüler (mit Unterstützungsleistungen seitens der<br />
Privatwirtschaft zu realisieren bis 2006) wurde jüngst von Bundesbildungsministerin BULMAHN<br />
aufgegriffen und in der Folge kontrovers diskutiert (vgl. JÖRNS 2000)<br />
122 HAEFNER 1995, S. 104<br />
123 vgl. SCHORE 1995b, S. 27f. sowie SCHULTE 1995, S. 17ff. - HAEFNER ist m.E. nicht nur für eine<br />
unreflektierte Übernahme latent nationalistischer Topoi der Standortdebatte zu kritisieren, sondern auch<br />
aufgrund seiner polarisierenden Äußerungen zur ‘Altengesellschaft’: „‘Die Alten’ haben einen hohen<br />
medizinischen Bedarf (siehe Pflegeversicherung), sie wollen ihren Lebensstandard erhalten [...].<br />
Insbesondere aber haben ‘die Alten’ wenig Investitionsinteressen, da potentielle Renditen ihnen selber ja<br />
nur noch sehr begrenzt zukommen - dies gilt ganz besonders für Investitionen in Humankapital“<br />
(HAEFNER 1995, S. 98)<br />
43
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Funktionen schulischen Lernens und Lehrens als Ganzes nachzudenken und Alternativen<br />
zur tradierten Praxis zu entwerfen“. 124 Mit Bezug nicht auf HAEFNER und den Standort<br />
Deutschland, sondern auf G. HOOFFACKER und gesellschaftliche<br />
Polarisierungstendenzen wird bei SCHINDLER die „drohende Bildungskatastrophe“<br />
behandelt; als Präventionsmaßnahme werden hier Schulen, öffentliche Einrichtungen und<br />
Rundfunkanstalten aufgefordert, eine ‘informationelle Grundversorgung’ - also<br />
Netzzugänge, Informationsaufbereitung und Medienkompetenzvermittlung -<br />
sicherzustellen.<br />
Im hier betrachteten Ausschnitt des <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong>es nicht gefunden<br />
werden konnte eine Thematisierung möglicher Veränderungen <strong>im</strong> Verhältnis von Schule<br />
und Jugendarbeit <strong>im</strong> Kontext <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>Einsatzes. Zwar fordert THIELE<br />
verstärkte Kooperation von Jugendarbeit und Schule, um Vermittlung von<br />
Medienkompetenz abzusichern 125 ; noch nicht thematisiert wird hingegen, wie<br />
internetbedingte Veränderungen schulischen Lernens sich auf Jugendarbeit auswirken<br />
könnten. Kommen wir zum nächsten Punkt.<br />
Tendenzen zur Verlagerung sozialer Netzwerke ins <strong>Internet</strong> werden als Herausforderung<br />
für Pädagogik bei ERTELT und bei MIKOS aufgegriffen: Während MIKOS in der<br />
zunehmenden Relevanz der Gestaltung von Kulturen und Gemeinschaften <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />
einen weiteren Grund für die Forderung nach Medienkompetenzvermittlung sieht, betont<br />
ERTELT eher die Notwendigkeit struktureller Veränderungen pädagogischer Praxen:<br />
„Pädagogische Arbeit mit Computern und <strong>Internet</strong> sollte [...] die technischen und sozialen<br />
Veränderungen in der Informationsgeseiischaft als ein Anforderungsprofil an ihr Handeln<br />
aufnehmen. [...] Konkret heißt das, dass Netzstrukturen eine Entsprechung in vernetzter<br />
sozialer und kultureller Arbeit finden müssten und Ortsunabhängigkeit und Internationalität<br />
sich in Konzepten mobiler und grenzfreier Aktivitäten widerspiegeln sollten“. 126<br />
Mit der Entwicklung neuer Kulturformen durch Jugendliche <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> beschäftigt sich<br />
RÖLL; er prognostiziert in deren Folge einen Wandel der Kommunikationskultur unserer<br />
Gesellschaft wie auch der Rolle außerschulischer Pädagoginnen, führt letzteres aber <strong>im</strong><br />
124 SCHULTE 1995, S. 12 - siehe dazu auch oben unter 1.1.2.<br />
125 THIELE 1997<br />
126 ERTELT 1999, S. 30; vgl. MIKOS 1997, S. 67 (mit Rekurs auf DOUGLAS KELLNER)<br />
44
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vorliegenden Artikel nicht weiter aus. 127 Sehr konkrete pädagogische Aufträge <strong>im</strong> Kontext<br />
virtueller Gemeinschaften formuliert hingegen DÖRING: In <strong>Internet</strong>projekten sollte die<br />
Vielfalt solcher Gemeinschaften „möglichst umfassend vorgestellt und ein bewusster<br />
Auswahlprozess angeregt werden, damit die Beteiligten nicht bei den erstbesten Foren<br />
hängen bleiben“. 128 Der noch weitergehende Schritt, an der Entwicklung eigener Foren zu<br />
arbeiten, wird m. W. bislang nur in der <strong>pädagogischen</strong> Praxis vollzogen. 129<br />
Kommen wir zur Rezeption des <strong>Diskurs</strong>es um die Rolle des <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Kontext von<br />
Demokratie und Öffentlichkeit in der Pädagogik. Eine opt<strong>im</strong>istische Position findet sich<br />
hier bei AUFENANGER: <strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> ermögliche Pluralisierung durch Teilnahmeoffenheit<br />
für prinzipiell beliebige soziale Gruppen sowie Demokratisierung durch die Abwesenheit<br />
von Kontrollen der Kommunikationsformen und -inhalte. Als Aufgabe von Pädagogik<br />
erscheint es dann, diese Pluralisierungs- und Demokratisierungspotentiale zu erschließen<br />
bzw. zu sichern: „Zielstellung [...] muß es sein, zur Demokratisierung von<br />
gesellschaftlichen und <strong>pädagogischen</strong> Kommunikationsformen beizutragen, die<br />
Partizipation und Selbstbest<strong>im</strong>mung aller Menschen zu ermöglichen [...] und<br />
Chancengleichheit herzustellen“. 130<br />
Auch GÖTZ-HENRICH bekundet, in den Computernetzen böte sich „wie nie zuvor die<br />
Chance zu echter Demokratisierung“. Anstatt aber nach (schul)<strong>pädagogischen</strong> Wegen zur<br />
Einlösung dieser Chancen zu suchen, zählt GÖTZ-HENRICH nur altbekannte Konzepte<br />
der Erziehung zur Demokratie auf: die Vermittlung geschichts- und<br />
sozialwissenschaftlichen Faktenwissens zu den wesentlichen Aspekten von Demokratie,<br />
schulische Partizipationsgremien als Übungsfeld für demokratisches Handeln, die<br />
Schülerzeitung als Exemplum für Meinungsfreiheit. So richtig und sinnvoll die genannten<br />
Konzepte auch sein mögen: Hier wird nicht einmal in Ansätzen versucht, diese in<br />
Zusammenhang mit den neuen medialen Möglichkeiten zu bringen (also z.B.:<br />
netzbasierte Planspiele; <strong>Internet</strong>-Rallyes auf den WWW-Seiten politischer Institutionen;<br />
Schülerlnnenvertretung, SchülerInnenzeitungen und Abst<strong>im</strong>mungen/Meinungsumfragen<br />
127 vgl. RÖLL 1999, S. 34f.<br />
128 DÖRING 1999, S. 38<br />
129 so <strong>im</strong> Berliner Projekt ‘Alice <strong>im</strong> Cyberland’ (http://www.virtuellewelt.de), das in Kapitel 5 vorgestellt<br />
werden soll<br />
130 vgl. AUFENANGER 1995, S. 59f.<br />
45
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unter SchülerInnen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>). Statt dessen plädiert GÖTZ-HENRICH unter<br />
Bezugnahme auf ein Symposium der badenwürttembergischen CDU-Landtagsfraktion<br />
dafür, dass „zwei Begriffe, die ins Abseits zu geraten drohen, wieder in den Mittelpunkt<br />
gerückt werden: Konsens und Gemeinwohl“. 131 Der alte Wein des - an kommunitaristische<br />
<strong>Diskurs</strong>e anschlussfähigen - Wertkonservativismus <strong>im</strong> neuen Schlauch des globalen<br />
Dorfs: Viel mehr hat GÖTZ-HENRICH hier m.E. nicht zu bieten. Dagegen finden sich bei<br />
SCHINDLER konkrete Hinweise, wie das <strong>Internet</strong> BRECHTs Utopie vom polydirektionalen<br />
Rundfunk verwirklichen könne - durch Mitgestaltung des Netzes und durch seine In-<br />
Dienst-Nahme für niederschwelliges Publizieren. 132<br />
Gegen die von AUFENANGER, GÖTZ-HENRICH und SCHINDLER vertretene These vom<br />
demokratischen Potential des <strong>Internet</strong> n<strong>im</strong>mt MIKOS Stellung: Die ungefilterte Vielfalt<br />
nebeneinander stehender Meinungen führe zu einem Rückgang argumentativer <strong>Diskurs</strong>e<br />
<strong>im</strong> Netz, durch unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten komme es ferner zu einer<br />
Spaltung der Gesellschaft in Informationsproduzenten und Informationskonsumenten. 133<br />
Hieraus wird wiederum medienpädagogischer Handlungsbedarf - die Vermittlung von<br />
Recherche-, Selektions- und Validierungskompetenzen sowie der Einsatz für sozial<br />
universalen Netzzugang - gefolgert.<br />
Während wir die These, dass das <strong>Internet</strong> kein Medium für <strong>Diskurs</strong>e sei, oben unter 3.3.<br />
dekonstruiert haben, ist mit einer Spaltung der Mediennutzerinnen in ‘Sprechende’<br />
(Produzentlnnen) und ‘Hörende’ (Konsumentinnen) m.E. zumindest insoweit zu rechnen,<br />
dass von einer zunehmenden ‘Konzentration des Kapitals Aufmerksamkeit’ ausgegangen<br />
werden kann und es zumindest fraglich ist, ob eine ‘sprechende’ Nutzung, ob<br />
kommunikative Interaktivität sich in allen Bevölkerungsgruppen durchsetzen wird. Damit<br />
sind wir be<strong>im</strong> Themenkomplex einer internetbedingten Polarisierung der (Welt-)<br />
Gesellschaft bzw. der Exklusion aus dem System <strong>Internet</strong> angelangt.<br />
<strong>Das</strong> Motiv einer drohenden Wissenskluft, einer Halbierung von Gesellschaft entlang der<br />
Achse ‘Zugang zum <strong>Internet</strong>’ bzw. ‘Zugang zu relevanten Prozessen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>’ wird in<br />
zahlreichen <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>beiträgen aufgenommen: so z.B. bei AUFENANGER,<br />
131 GÖTZ-HENRICH 1996, S. 218f.<br />
132 vgl. SCHINDLER 1997, S. 427f.<br />
133 vgl. MIKOS 1997, S. 64 (mit Rekurs auf BÜHL, ESPOSITO sowie auf Beiträge in MÜNKER/ROESLER<br />
1997)<br />
46
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HAEFNER, SCHINDLER, SCHWAB/STEGMANN und OPASCHOWSKI. 134 (Meta-)<br />
Pädagogische Gegenstrategien setzen auf drei Ebenen an: Derjenigen der<br />
Bedienungsfreundlichkeit, derjenigen des Netzzugangs sowie derjenigen der<br />
Medienkompetenz.<br />
Die technische Option wird von OPASCHOWSKI ins Spiel gebracht: Es solle die<br />
Entwicklung technischer Systeme gefördert werden, „deren Handhabung so einfach ist,<br />
dass sie jeder nutzen kann“. 135 BAACKE sieht diesen Zustand gar schon erreicht: „Daß<br />
keine ‘Wissenskluft’ [...] entstehen kann, dafür sorgt die Logistik des Mult<strong>im</strong>edia-Systems,<br />
das alle Lernwege gleichzeitig gangbar macht (visuelles Lernen steht neben dem Lernen<br />
über Schrift, Zuhören und vor allem Selbermachen) und das damit das differente<br />
Lernvermögen der künftigen Informationsnutzer schrankenlos in seine Arme n<strong>im</strong>mt“. 136<br />
Hier ist freilich einzuwenden, dass kulturelle Barrieren gegen Computer (etwa bei<br />
Seniorinnen) sich als mächtiger erweisen könnten als noch so intuitiv bedienbare<br />
Software; und, mit Murphy’s Law: ‘Mache ein Gerät idiotensicher, und nur Idioten werden<br />
es benutzen’ (dass an dieser Polemik etwas Wahres ist, zeigen etwa die<br />
Bibliothekskatalog-Terminals in der Stadtbücherei Köln: Hier ist keine verknüpfte Suche<br />
nach mehreren Stichwörtern möglich, und für die extrem graphisch-anschauliche<br />
Gestaltung der Benutzeroberfläche muss mit Langsamkeit bezahlt werden. Wer<br />
<strong>Internet</strong>kenntnisse und ein ernsthaftes Rechercheanliegen hat, wird in den einschlägigen<br />
Online-Datenbanken suchen und den WWW-Katalog der Stadtbücherei, der <strong>im</strong>mer noch<br />
komfortabler, wenn auch unanschaulicher als die Terminals vor Ort ist, nur noch zur<br />
Verfügbarkeitsrecherche nutzen - und da ist sie dann wieder, die Wissenskluft). 137<br />
Technische Strategien, um mittels Bedienungsfreundlichkeit die ‘Wissenskluft’ zu<br />
überbrücken, sind für PädagogInnen i.d.R. nur indirekt gangbar: durch metapädagogische<br />
Einflussnahme auf Softwareentwickler, institutionelle Abnehmer dieser Software und<br />
134 vgl. AUFENANGER 1995, S. 60; HAEFNER 1995, S. 99; SCHINDLER 1997, S. 425;<br />
SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 258; OPASCHOWSKI 1999, S. 42f., S. 47 sowie S. 51f<br />
135 OPASCHOWSKI 1999, S. 52<br />
136 BAACKE 1999, S. 16; BAACKE fährt fort: „Wer hier ausgeschlossen bleibt, kann nur ‘von Sinnen’ sein,<br />
ist ein Fall für die Pathologie“; das könnte ironisch gemeint sein, BAACKEs weitere Argumentation<br />
spricht aber eher dagegen<br />
137 hier soll freilich nicht der Eindruck einer Dichotomie von hier einfach bedienbaren und dort für<br />
anspruchsvollere Zwecke nutzbaren Medienangeboten erweckt werden; dass dritte Wege durchaus<br />
möglich sind, zeigen die vielen Suchmaschinen, die etwa ‘Standard-’ und ‘Expertensuche’ ermöglichen<br />
47
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Gesellschaft oder durch pädagogisch fundierte Entscheidungen über für die eigene<br />
Institution anzuschaffende Software (PädagogInnen können - und sollten nach MIKOS<br />
und OPASCHOWSKI - freilich auch selbst an Softwareentwicklung beteiligt sein 138 ).<br />
Auf der Ebene des Netzzugangs hingegen kann die pädagogische Reflexion Forderungen<br />
sowohl an die pädagogische Praxis als auch an Politik und Gesellschaft richten: So<br />
benennt LAUFFER „die Schaffung von öffentlichen Räumen zur Auseinandersetzung mit<br />
dem <strong>Internet</strong>“ als „originäre öffentliche Aufgabe“ und weist der Politik den Auftrag zu,<br />
„öffentliche Einrichtungen medial attraktiv auszustatten“, denn: „Kinder und Jugendliche<br />
sollten ihre ersten medialen Erfahrungen mit Mult<strong>im</strong>edia und <strong>Internet</strong> nicht <strong>im</strong> Kaufhaus,<br />
<strong>im</strong> Möbelcenter oder bei McDonalds machen“. 139 Insbesondere angesichts der Tendenzen<br />
von Kanalisierung und Kommerzialisierung des <strong>Internet</strong> (LAUFFER verweist auf das<br />
Beispiel der in neueren Versionen von Microsofts ‘<strong>Internet</strong> Explorer’ eingebundenen<br />
‘Channels’: Vorinstallierte Zugänge zu täglich aktualisierten Angeboten von Zeitschriften,<br />
TV-Sendern etc.) seien von ökonomischen Interessen freie Netzzugänge in öffentlichen<br />
Räumen zu fordern. Auch Institutionen der Kinder- und Jugendbildung werden hier<br />
aufgerufen, entsprechende Infrastrukturen zu schaffen bzw. auszubauen.<br />
SCHWAB/STEGMANN weisen in diesem Zusammenhang auf die begrenzte soziale<br />
Reichweite und die eingeschränkte Angebotskapazität der außerschulischen<br />
Jugendbildung hin. Aufgrund dieser falle der Schule die Aufgabe zu,<br />
Zugangsmöglichkeiten insbesondere für sozial schlechter gestellte Jugendliche zu<br />
gewährleisten; nur so könne einer Privatisierung von Bildung entgegengewirkt werden. 140<br />
Gegen eine Abwälzung der Bildungskosten auf die privaten Haushalte spricht sich auch<br />
MIKOS aus; stattdessen solle Medienpädagogik auf der medienpolitischen Ebene freien<br />
Zugang zu digitalem Wissen bei geringen Leitungskosten fordern und auf der<br />
bildungspolitischen Ebene eine finanzielle Förderung schulischer Hard- und<br />
Softwareanschaffungen; das Projekt ‘Schulen ans Netz’ sei hier „nur ein erster Schritt“. 141<br />
KÜBLER ergänzt, nicht nur ‘Schulen ans Netz’, sondern ständige Verfügbarkeit zumindest<br />
138 vgl. MIKOS 1997, S. 70 sowie OPASCHOWSKI 1999, S. 88f.<br />
139 LAUFFER 1997, S. 114f.<br />
140 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, 5. 209ff. sowie S. 258 - BAACKE (1999, S. 22) teilt diese Forderung,<br />
hebt aber hervor, dass auch bei einer flächendeckenden schulischen ‘Grundversorgung’ mit<br />
Computerwissen <strong>im</strong> privaten Bereich erworbene Vorkenntnisse Diskr<strong>im</strong>inationskraft behielten<br />
48
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eines <strong>Internet</strong>arbeitsplatzes in jedem Klassenz<strong>im</strong>mer sei anzustreben. 142 OPASCHOWSKI<br />
setzt dagegen eher auf eine direkte „finanzielle Unterstützung von Bevölkerungsgruppen,<br />
die sich eine mult<strong>im</strong>ediale Ausstattung zu Hause nicht leisten können“. 143<br />
Mir erscheinen sämtliche Forderungen in diesem Bereich - die letztlich auf die Forderung<br />
eines Grundrechts auf <strong>Internet</strong>zugang hinauslaufen - als sinnvoll und berechtigt; es stellt<br />
sich jedoch die Frage, ob LAUFFERs Max<strong>im</strong>alforderung nach öffentlichen Zugängen ohne<br />
Bindung an ökonomische Interessen realisierbar ist. Angesichts der schrumpfenden<br />
Spielräume der öffentlichen Kassen empfiehlt LAUFFER eine effizientere Nutzung<br />
bestehender Ressourcen (etwa durch Fortbildung und Kooperationen öffentlicher<br />
Institutionen). 144 In Anbetracht der Beschränktheit auch dieser Ressourcen sowie darüber<br />
hinaus drohender Kürzungen (wenn auch aktuell eine erhöhte Förderbereitschaft für<br />
<strong>Internet</strong>projekte bestehen mag) wage ich zu behaupten: Der freie <strong>Internet</strong>zugang wird<br />
zunehmend der gesponsorte <strong>Internet</strong>zugang sein. Die Frage für pädagogische<br />
Praktikerinnen würde dann lauten: Welcher Sponsor ermöglicht <strong>Internet</strong>zugang ohne<br />
Einschränkungen und ohne bzw. mit möglichst wenig (und z.B. garantiert<br />
pornographiefreier) Werbung?<br />
Kommen wir schließlich zu denjenigen Strategien gegen internetbedingte<br />
Polarisierungstendenzen, die auf Erziehung zu Medienkompetenz, auf Bildung setzen.<br />
Diese können sich - gegen Positionen, die eine informelle Aneignung von<br />
Computerwissen für ausreichend halten - auf SCHWAB/STEGMANNs empirisch fundierte<br />
Einsicht berufen, dass Chancengleichheit nicht allein über eine Angleichung der<br />
Zugangsmöglichkeiten zum Medium hergestellt werden könne; vielmehr seien auch die<br />
individuellen Bildungsvoraussetzungen mitbest<strong>im</strong>mend für die qualitativen D<strong>im</strong>ensionen<br />
der jeweiligen Nutzungsweisen. 145 Da wir uns mit Erziehung zu Medienkompetenz noch<br />
ausführlicher unter 4.2.2. beschäftigen werden, soll hier nur kurz auf MIKOS verwiesen<br />
141 MIKOS 1997, S. 69 - Eine verbesserte Netzinfrastruktur in Schulen wie auch in Bibliotheken fordern<br />
auch SCHINDLER (1997, S. 425) sowie <strong>im</strong>plizit HAEFNER (1995, S. 99)<br />
142 KÜBLER 1997a, S. 8<br />
143 OPASCHOWSKI 1999, S. 52 - man mag sich wundern, wie diese (m.E. berechtigte) Forderung mit<br />
seiner Konzeption einer Erziehung zu weniger Medienkonsum zusammenpassen soll<br />
144 vgl. LAUFFER 1997, S. 114<br />
145 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 253<br />
49
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werden, der eine Verankerung von „Medienpädagogik in einem umfassenden<br />
kommunikationskulturellen Sinn“ in Aus- und Fortbildungen für pädagogisches Personal<br />
sowie die verstärkte Umsetzung der Konzeption der Medienmündigkeit in der<br />
<strong>pädagogischen</strong> Praxis fordert. 146 Eine interessante Wendung findet sich ferner bei<br />
THIELE, der den solidarischen Einsatz „für eine Grundversorgung an Information, für<br />
einen diskr<strong>im</strong>inierungsfreien Zugang zu Informationen und für informationelle<br />
Selbstbest<strong>im</strong>mung“ als ein (medien-)pädagogisch anzustrebendes Bildungsziel<br />
benennt. 147<br />
Als Ziele der genannten Defizitbeschreibungen und Gegenstrategien erscheinen somit<br />
erstens Chancengleichheit, zweitens die Förderung und finanzielle Absicherung möglichst<br />
offener <strong>Internet</strong>-Zugänge und drittens die Förderung und finanzielle Absicherung von<br />
Medienpädagogik (viertens ließe sich noch das Ziel einer Dämpfung von unreflektierten<br />
Netzeuphorien - ob in Politik, Ökonomie oder Pädagogik - anführen).<br />
Haben wir bislang nur <strong>im</strong>plizit auf Deutschland bzw. die Industrieländer beschränkte<br />
Positionen zum Thema einer Halbierung von Gesellschaft entlang des <strong>Internet</strong>zugangs<br />
betrachtet, soll der Fokus abschließend auf eine weltgesellschaftliche Perspektive<br />
ausgeweitet werden.<br />
Die (von uns unter 3.3.2. beschriebene) Exklusion weiter Teile der Bevölkerung der<br />
‘Dritten Welt’ ist <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong> gegenwärtig noch ein Randthema. Bei<br />
GÖTZ-HENRICH findet sich <strong>im</strong>merhin noch der apodiktische Satz: „Die Beschäftigung mit<br />
den Verhältnissen in den Ländern der dritten Welt <strong>im</strong> Rahmen des Geographieunterrichts<br />
macht deutlich, daß diese in den weltweiten Informationsfluß mit einbezogen werden<br />
müssen, wenn das vorhandene Gefälle nicht noch größer werden soll“. 148 BAACKE führt<br />
zwar die einschlägigen Zahlen an („Etwa 50% der Weltbevölkerung haben noch nie ein<br />
Telefon in Händen gehalten, und 80% haben noch nie einen Taschenrechner bedient“),<br />
um auf die globale Ungleichverteilung von Medienkompetenzen hinzuweisen; wenn er<br />
aber dann die von den Wirtschaftsund Postministern des G7-Gipfels 1995 postulierte<br />
Sicherung technischer und sozioökonomischer Rahmenbedingungen - darunter zwar<br />
146 MIKOS 1997, S. 70<br />
147 vgl. THIELE 1997<br />
148 GöTZ-HENRICH 1996, S. 223<br />
50
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„universeller Zugang zu Netzen für alle“, aber auch „Schutz geistigen Eigentums“ und<br />
„Zugang zu den Märkten“ - als Grundlage jeglicher Gegenmaßnahmen apostrophiert, ist<br />
doch zu fragen, ob hier nicht weltgesellschaftliche Ungleichheiten noch verstärkt werden -<br />
nach dem Muster: Westliche Softwarekonzerne erhalten freien Zugang zu den Märkten<br />
der dritten Welt bei garantiertem Schutz ihres geistigen Eigentums, d.h. einer<br />
Durchsetzung weltweiter Strafbarkeit von Software-Raubkopien. 149<br />
Hier liegen m.E. noch zu erschließende Aufgabenfelder für schulische und<br />
außerschulische Bildungsarbeit: Eine über die Industrienationen hinausgehende<br />
weltgesellschaftliche Perspektive in die eigene pädagogische Arbeit einzubringen (was<br />
SUBROWEIT/VAN LÜCK andenken, allerdings unter der aus unserer Sicht<br />
problematischen Fokussierung eines „kulturübergreifenden, weltweiten Wertekonsens“ 150 )<br />
und auf metapädagogischer Ebene für verbesserte Zugangschancen für die Länder der<br />
‘Dritten Welt’ - und dort nicht nur für einzelne Regionen oder lokale Eliten - zum <strong>Internet</strong><br />
zu kämpfen.<br />
Als letzter Themenkomplex soll nun internetbedingte bzw. internetvermittelte<br />
Disziplinierung und Kontrolle in Bezug auf seine Relevanz <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong><br />
untersucht werden.<br />
Die oben unter 3.3.4 beschriebene Verletzlichkeit der vernetzt informatisierten<br />
Gesellschaft wird <strong>im</strong>plizit thematisiert, wenn MIKOS „Datenschutzregelungen [...] ebenso<br />
[...] wie Sicherungsmaßnahmen gegen [auf digitale Datennetze bezogene, S.D.] Technik-<br />
Havarien“ einfordert. 151 Ausführlicher geht HAEFNER auf die Abhängigkeit der<br />
Gesellschaft von ihrem „informationstechnischen Rückgrat“ sowie auf Gefahren durch<br />
Viren und Ausfälle ein. Während MIKOS lediglich Sicherheitsstandards fordert, ist<br />
HAEFNER an einer umfassenden „Kontrolle [des demokratischen Systems] über die<br />
soziotechnische Struktur“ gelegen. Diese demokratische Kontrolle solle zum einen durch<br />
eine den „massiven Förderprogrammen für Computerisierung und Informatisierung der<br />
Gesellschaft“ gleichgestellte „Wissenschaft, die zunächst versucht, ansatzweise zu<br />
verstehen, nach welchen Prinzipien dieser Megaorganismus entsteht und wie er eventuell<br />
149 vgl. BAACKE 1999, S. 26f.<br />
150 SUBROWEIT/VAN LÖCK 1998, S. 5<br />
151 MIKOS 1997, S. 69<br />
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kontrolliert werden könnte“, zum anderen durch Bildung (d.h. auf der meta<strong>pädagogischen</strong><br />
Ebene: durch Bildungsreform) und zumindest eine reale Stabilisierung des Status quo der<br />
Bildungsausgaben gewährleistet werden. 152<br />
Vergleichsweise häufig thematisiert werden <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong><strong>Diskurs</strong> die<br />
Datenschutzproblematik bzw. das Grundrecht auf informationelle Selbstbest<strong>im</strong>mung (so<br />
z.B. bei THIELE und bei MIKOS sowie bei BAACKE, der konstatiert, der heutige Mensch<br />
müsse „nicht mehr in erster Linie vor dem großen Bruder’ Staat Angst haben [...], sondern<br />
vor der Privatwirtschaft, die über seine Kommunikations- und Eingabeprozesse seine<br />
Daten kontrollieren und weitergeben“ könne 153 ). Einschlägige Inhalte sind auch schon seit<br />
längerem in den schulischen Curricula zur informationstechnischen Grundbildung<br />
verankert. 154 Noch viel zu selten hingegen wird Kontrolle und Disziplinierung Jugendlicher<br />
durch das Medium <strong>Internet</strong> - etwa <strong>im</strong> Rahmen schulischer Nutzung - problematisiert 155 ;<br />
statt dessen plädiert etwa FASCHING unter dem Aspekt des Jugendschutzes unbefangen<br />
für eine totale Erfassung der Nutzungsdaten („[...] wer das <strong>Internet</strong> in welcher Weise nutzt<br />
[...]“ 156 ) bei für Jugendliche zugänglichen Netzcomputern in Schulen.<br />
Zusammenfassend können wird feststellen, dass SCHORBs Postulat an die gegenwärtige<br />
(Medien-)Pädagogik, „die Aussagen all jener Disziplinen zur Kenntnis zu nehmen, die<br />
solche [informationsgesellschafts- bzw. internetbedingte, S.D.] Veränderungen<br />
analysieren und diese gestalten“ 157 , in der <strong>pädagogischen</strong> Theorie zunehmend erfüllt wird,<br />
jedoch bislang noch meist vereinzelt und stückweise - und stellenweise mit abstrusen<br />
Folgerungen. 158 Weitgehend vernachlässigt wird <strong>im</strong> hier beobachteten Ausschnitt des<br />
152 HAEFNER 1995, S. 94f., S. 108 sowie S. 96 (Hervorhebungen bei HAEFNER wurden nicht<br />
übernommen)<br />
153 BAACKE 1999, S. 25ff.; MVGL. IKOS 1997, S. 69; THIELE 1997<br />
154 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 198 sowie ZIELINSKI 1993, S. 212ff.<br />
155 ein (knapper) Hinweis hierzu findet sich nur bei GÖTZ-HENRICH (1996, S. 223): „Datenerhebungen und<br />
ihre Speicherung <strong>im</strong> Schulcomputer zu organisatorischen Zwecken werfen Fragen auf zum Datenschutz“<br />
156 FASCHING 1997, S. 102<br />
157 SCHORB 1995b, S. 26<br />
158 so leitet etwa GÖTZ-HENRICH (1996, S. 208ff.) aus der Diagnose einer informationstechnisch<br />
bedingten Veränderung gesellschaftlicher Kommunikationsformen den schulischen Auftrag ab,<br />
leserliches Schreiben und korrekte Orthographie zu vermitteln sowie „Dialektsprecher [...] behutsam zu<br />
einer angemessenen Hochsprache“ zu führen - was von keinerlei Kenntnissen der empirischen<br />
Netzkommunikation zeugt, ist hier doch Orthographie weniger und Schönschrift überhaupt nicht relevant<br />
und sind ferner Englischkenntnisse erheblich wichtiger als ein akzentfreies Hochdeutsch<br />
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<strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong>es die Exklusion weiter Teile der ‘Dritten Welt’ vom<br />
<strong>Internet</strong>.<br />
Ansätze zu einer umfassenden Berücksichtigung der gesellschaftlichen Dynamik des<br />
<strong>Internet</strong> finden sich m.E. noch am ehesten bei den expliziten Medienpädagogen MIKOS,<br />
THIELE, SCHORB, AUFENANGER, RÖLL und BAACKE sowie - mit den genannten<br />
Einschränkungen - bei HAEFNER.<br />
Als zentrale metapädagogische Anliegen in diesem Kontext lassen sich benennen:<br />
Erstens die finanzielle und organisatorische Absicherung von Medienbildung (sowie,<br />
insbesondere bei HAEFNER, von institutioneller Bildung überhaupt); zweitens die Reform<br />
schulischer Bildung, mit der doppelten Zielrichtung einer Konzentration auf einerseits<br />
einen kompetenten Umgang mit Computer und <strong>Internet</strong>, andererseits spezifisch<br />
menschliche bzw. nicht effizient automatisierbare Tätigkeiten (komplexes, kreatives,<br />
regelveränderndes Denken); drittens die Gewährleistung einer öffentlichen<br />
Grundversorgung mit Netzzugängen (‘Klassenz<strong>im</strong>mer und Bibliotheken ans Netz’) sowie<br />
mit aufbereiteten Informationen (die Idee öffentlich-rechtlicher Netzinformationen, wie sie<br />
etwa <strong>im</strong> unten vorzustellenden Projekt eines deutschen Jugendservers verwirklicht<br />
werden soll); viertens eine Mitgestaltung des Mediums <strong>Internet</strong> - ob <strong>im</strong> Sinne einer<br />
demokratischen Kontrolle über das Netz (HAEFNER) oder als Erschließung der<br />
Pluralisierungs- und Demokratisierungspotentiale <strong>im</strong> und am Netz (AUFENANGER,<br />
SCHINDLER).<br />
Dieser Ansatz einer Mitgestaltung des <strong>Internet</strong> findet sich auch in den Postulaten der<br />
<strong>pädagogischen</strong> Reflexion an die Praxis wieder; hier wird ansonsten vor allem eine weit<br />
gefasste Medienbildung angestrebt, die technische und soziale Kompetenzen beinhaltet:<br />
die kritische Analyse soziotechnischer Entwicklungen ebenso wie die aktive Netznutzung<br />
zur Information, Interessenvertretung, Spiel und Bedürfnisbefriedigung; Recherche-,<br />
Selektions- und Validierungskompetenzen ebenso wie allgemeine kommunikative<br />
Fähigkeiten. Als besondere Aufgaben für eine Pädagogik <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong> werden<br />
weiterhin Vernetzung, Ortsunabhängigkeit und Internationalität (ERTELT) sowie die<br />
Förderung von Engagement für sozial universalen Netzzugang und informationelle<br />
Selbstbest<strong>im</strong>mung (THIELE) benannt.<br />
53
4.2. <strong>Internet</strong> als Chance<br />
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Spätestens der letzte Abschnitt dürfte die Grenzen unserer heuristischdichotomisierenden<br />
Gliederung - hier die Chancen, dort die Risiken - aufgezeigt haben: Bedrohungsszenarien<br />
und Defizitbeschreibungen werden in <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>en meist mit angestrebten<br />
Zielen und Wegen zum Erreichen dieser Ziele gekoppelt (OELKERS), Risiken und<br />
Chancen sind Kehrseiten der gleichen Medaille. In den <strong>Diskurs</strong>en der Jugendgefährdung<br />
(4.1.1.) und der Mediatisierungskritik (4.1.2.) werden pädagogische Chancen noch<br />
vorwiegend außerhalb des als Risiko betrachteten Mediums gesehen, bzw. <strong>im</strong> Schutz vor<br />
diesem; von ‘<strong>Internet</strong> als Chance’ kann dort nicht die Rede sein. Spätestens bei einer<br />
umfassenden Berücksichtigung gesellschaftlicher Auswirkungen der vernetzten<br />
Informatisierung zeigt sich aber, dass den Risiken der (sozio-)technischen Entwicklungen<br />
pädagogisch gerade auch auf derselben Ebene - derjenigen der Technologien und ihrer<br />
sozialen Einbindung bzw. kulturellen Konstruktion nämlich - zu begegnen ist. In RÖLLs<br />
radikaler Formulierung: „Wo Computer herrschen, helfen nur Computer“ 159<br />
Wie Pädagogik einerseits außermediale bzw. netzexterne Lösungsvorschläge für direkt<br />
am/<strong>im</strong> Medium <strong>Internet</strong> oder indirekt in seiner gesellschaftsverändernden Dynamik<br />
beobachtete Probleme machen kann, so kann sie andererseits das <strong>Internet</strong> auch nicht nur<br />
auf den Platz einer Lösung ebendieser (4.1.3.), sondern auch auf denjenigen einer<br />
Lösung internet-unabhängiger Probleme setzen. Dieses Vorgehen konnten wir weiter<br />
oben in diesem Kapitel bereits vereinzelt beobachten: In SCHULTES Thesen von einer<br />
informationsgesellschaftlichen Verwirklichung längst fälliger Schul- und<br />
Unterrichtsreformen sowie in LAUFFERs Annahme von der Entlastung alleinerziehender<br />
Mütter durch Telearbeit. Zum Programm erhoben wird es in <strong>Diskurs</strong>beiträgen, die das<br />
<strong>Internet</strong> als didaktisches Medium fokussieren.<br />
Im Folgenden sollen zunächst diese Ansätze - das Netz als Medium von Unterricht und<br />
Bildungsarbeit - behandelt werden (4.2.1.). Hier können Chancen des <strong>Internet</strong> in Stellung<br />
gebracht werden gegen Anschaulichkeits-, Interaktivitäts- und Individualisierungsdefizite<br />
von ‘traditionellem’ Unterricht bzw. ‘traditionellen’ Medien. Im Anschluss daran soll ein<br />
159 SCHORB/RÖLL 1999, S. 24<br />
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Schlaglicht auf die <strong>pädagogischen</strong> Reflexion des <strong>Internet</strong> (und seines gesellschaftlichen<br />
Kontextes) als einem Gegenstand und Thema schulischer wie außerschulischer<br />
Bildungsarbeit geworfen werden (4.2.2.). 160 Hier ist nach den Spezifika einer<br />
Medienpädagogik und nach einer Operationalisierung von ‘Medienkompetenz’ <strong>im</strong> Zeitalter<br />
des <strong>Internet</strong> zu fragen. Abschließend soll diese Fragestellung auf den Bereich der<br />
Jugendarbeit zugespitzt werden (4.2.3.).<br />
4.2.1. <strong>Internet</strong> als didaktisches Medium<br />
Der pädagogische <strong>Diskurs</strong> um die je ‘neuen Medien’ - Computer, Mult<strong>im</strong>edia, <strong>Internet</strong> (in<br />
chronologischer Folge der zentralen, freilich einander überlappenden Stichworte) - bringt<br />
zunächst meistens Ansätze auf zwei Extrempositionen hervor: Hier die (unter 4.1.1. und<br />
4.1.2. analysierten) bewahr<strong>pädagogischen</strong>, dort die pragmatischen bis euphorischen, das<br />
jeweilige Medium didaktisch instrumentalisierenden. - Soweit zumindest die kritische<br />
Analyse seitens derjenigen Medienpädagogen, die sich von den genannten Ansätzen<br />
abgrenzen, um für einen dritten Weg zu plädieren: eine „progressiv-<br />
sozialisationstheoretische“ Position, die von einer „wechselseitigen Dynamik zwischen<br />
Subjekt und Gesellschaft“ ausgeht (AUFENANGER) bzw. eine aufklärerische<br />
Medienpädagogik, die Auseinandersetzung mit einer „neuen, vielschichtigen und<br />
allumfassenden Entwicklung in all ihrer Komplexität“ zum Programm macht (SCHORB). 161<br />
Auch nach meinen Beobachtungen hat die pädagogische Reflexion des neuen Mediums<br />
<strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Bereich der Didaktik früh eingesetzt und ist entsprechend inzwischen relativ<br />
fortgeschritten und differenziert. So legten ISSING/KLIMSA bereits 1995 mit dem<br />
Sammelband „Informationen und Lernen mit Mult<strong>im</strong>edia“ ein <strong>im</strong> Schnittpunkt von<br />
Psychologie, Didaktik und Technologie angesiedeltes Kompendium vor, das viele Aspekte<br />
(aber eben kaum die von AUFENANGER und SCHORB eingeforderten komplex-<br />
gesellschaftlichen) des <strong>Internet</strong> thematisiert. Enthalten sind u.a. Texte zu virtueller Realität<br />
(ALSDORF/BANNWART), Hypertext/Hypermedia (TERGAN und HAACK), Interaktivität<br />
160 hierin folgen wir SCHWAB/STEGMANNS (1999, S. 184) Differenzierung bezüglich des ‘Computers als<br />
Bildungschance’ und erweitern diese auf das <strong>Internet</strong>: „Die mit der Entwicklung des Computers<br />
veränderte Aneignung von Bildung geschieht auf zwei Wegen. Einerseits wird das didaktische Medium<br />
‘Computer’ zum <strong>im</strong>mer verfügbaren, attraktiven Informationsgeber, andererseits wird es selbst zum<br />
Thema, indem Handlungskompetenz vermittelt wird“<br />
161 AUFENANGER 1995, S. 59 sowie SCHORB 1995b, S. 25<br />
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(HAACK) sowie Telelernen/Teleschool (ZIMMER und FISCHER) - und, mit DÖRINGs<br />
Beitrag „<strong>Internet</strong>: Bildungsreise auf der Infobahn“, ein dezidierter Aufsatz zum Feld von<br />
<strong>Internet</strong> und Didaktik, der in der Folgezeit viel rezipiert werden sollte. 162 Ein vergleichbares<br />
Kompendium zu einer - umfassender ansetzenden, nicht auf lerntheoretische<br />
Fragestellungen beschränkten - internetbezogenen Pädagogik sucht man <strong>im</strong> deutschen<br />
Sprachraum bis heute vergebens.<br />
Wenn sich auch ein großer Teil des didaktischen <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong>es auf die<br />
Handlungsfelder ‘Schule’ und ‘berufsorientierte Aus-/Weiterbildung’ bezieht, so erscheint<br />
mir dieser doch auch für außerschulische Jugendarbeit interessant. Dies, insofern erstens<br />
Jugendarbeit meist Arbeit mit SchülerInnen ist und so in vielfacher Weise mit schulischem<br />
Erleben Jugendlicher konfrontiert ist; zweitens seit den 90er Jahren Kooperationen von<br />
Jugendarbeit und Schule in der <strong>pädagogischen</strong> Praxis und Reflexion zunehmend<br />
Bedeutung gewinnen; und drittens Jugendarbeit (insbesondere Jugendbildungsarbeit)<br />
auch selbst das <strong>Internet</strong> als didaktisches Medium einsetzen kann.<br />
Im Folgenden sollen zunächst Diskussionsstränge aufgegriffen werden, die spezifische<br />
didaktisch relevante D<strong>im</strong>ensionen des Netzes bzw. der Netznutzung thematisieren<br />
(‘D<strong>im</strong>ension’ ist hier nicht in einem dinglichen Sinne, sonder mehr als sich verfestigende<br />
kulturelle Konstruktion zu verstehen): anschauliches Lernen durch Mult<strong>im</strong>edialität,<br />
adaptives Lernen durch Interaktivitat, offenes und selbstgesteuertes Lernen durch Zugriff<br />
auf vielfältige und aktuelle Angebote zur Wissensproduktion, soziales und diskursives<br />
Lernen durch neue Kommunikations- und Kooperationsformen. Daraufhin sollen auf einer<br />
allgemeineren Ebene Chancen und Grenzen, Voraussetzungen und mögliche Folgen<br />
eines didaktischen Einsatzes des <strong>Internet</strong> diskutiert werden.<br />
Die historischen Wurzeln der Mediendidaktik werden meist bei JOHANN AMOS<br />
COMENIUS verortet: Didaktik, in COMENIUS’ berühmter Definition die „vollständige<br />
Kunst, alle Menschen alles zu lehren“ 163 , operiert danach mit dem Lehrprinzip der<br />
Veranschaulichung von Natur zum Zweck von Naturbeherrschung und Aufklärung. In<br />
konkreter Anwendung seiner Theorie veröffentlichte COMENIUS 1658 die Fibel ‘orbis<br />
162 so z.B. bei MEISTER/SANDER 1999, S. 42, FEUERSTEIN 1999, S. 173 sowie vielfach in FASCHING<br />
1997<br />
163 zit. nach MEISTER/SANDER 1999, S. 10<br />
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sensualium pictus’, die als Vorläuferin aller illustrierten Lehrbücher gelten kann. 164 Der<br />
<strong>Diskurs</strong> des anschaulichen Lernens durch Medien hat somit eine lange Tradition;<br />
insbesondere <strong>im</strong> Rahmen der Reformpädagogik wurden die Vorzüge des Lernens mit<br />
mehreren Sinnen, auf mehreren Wahrnehmungsebenen hervorgehoben. 165<br />
So werden denn auch in der <strong>pädagogischen</strong> Diskussion um anschauliches Lernen durch<br />
Mult<strong>im</strong>edialität als deren Pluspunkte verbesserte Darstellungsweisen z.B. durch<br />
dreid<strong>im</strong>ensional rotierbare Computerdarstellungen und VR-Technologie angeführt (etwa<br />
bezogen auf „die Entstehung molekularer Strukturen oder die Lebensverhältnisse in<br />
mittelalterlichen Feudalstaaten“ 166 )<br />
Dadurch seien Gewinne an Motivation und effizienteres Lernen zu erwarten - und damit<br />
einhergehend ein Attraktivitätsverlust des frontalen Tafelunterrichts. 167 KÜBLER weist hier<br />
darauf hin, dass Mult<strong>im</strong>edialität „keine neue pädagogische Qualität“ sein könne 168 ; dies gilt<br />
erst recht aus einer konstruktivistischen Perspektive, in der aktive Rezipientlnnen selbst<br />
Bedeutungen erst konstruieren. (Da Mult<strong>im</strong>ediaanwendungen auf CD-ROM schon deutlich<br />
vor dem <strong>Internet</strong> auf breiter Basis pädagogisch genutzt wurden, können wir ergänzen:<br />
Mult<strong>im</strong>edialität ist auch keine internetspezifische Qualität.) Gerade in Argumentationen<br />
auf der Grundlage konstruktivistischer Lerntheorien werden jedoch die didaktischen<br />
Qualitäten mult<strong>im</strong>edialer Lernumgebungen hervorgehoben; hier kommt aber nicht mehr<br />
der Mult<strong>im</strong>edialität <strong>im</strong> engeren Sinne (also Mult<strong>im</strong>odalität und Multicodierung), sondern<br />
der Eigenaktivität des Lernenden bzw. dem interaktiven Potential des Mediums zentrale<br />
Bedeutung zu. 169<br />
FASCHING spricht dem <strong>Internet</strong> aus didaktischer Perspektive eine dreifache Interaktivität<br />
zu: Nutzerinnen könnten erstens Inhalte auswählen (‘selektive Interaktivität’ nach<br />
164 vgl. SCHORB 1995a, S. 17 - SCHORB weist hier darauf hin, das Medien als Anschauungsmittel eine<br />
noch wesentlich ältere, bis zu den Höhlenmalereien des Cromagnonmenschen zurückreichende<br />
Geschichte hätten<br />
165 vgl. OELKERS 1989, S. 34ff.; eine Abhandlung aus psychologischer Sicht, die Alltagstheorien über die<br />
didaktischen Vorzüge von Multicodierung und Mult<strong>im</strong>odalität durch empirisch-wissenschaftliche<br />
Argumente unterfüttert, findet sich bei WEIDENMANN (1995)<br />
166 SCHORB 1995b, S. 24<br />
167 vgl. ebd. sowie AUFENANGER 1995, S. 58ff. und SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 197<br />
168 KÜBLER 1997b, S. 55<br />
169 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 188 sowie FEUERSTEIN 1999, S. 183ff.<br />
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ZIMMERMANN), zweitens das Netz mitgestalten (‘kommunikative Interaktivität’) und<br />
drittens spezielle interaktive Lernangebote <strong>im</strong> Netz nutzen. 170 Widmen wir uns zunächst<br />
Letzterem, also interaktiver Lernsoftware.<br />
Ebenso wie Mult<strong>im</strong>edialität kann adaptives Lernen durch Interaktivität am Computer<br />
bereits ohne Vernetzung realisiert werden; entsprechende Lernsoftware ist spätestens<br />
seit den 70er Jahren in der Diskussion. 171 Mit SCHWAB/STEGMANN können wir Typen<br />
von Lernprogrammen nach den zugrundeliegenden Lerntheorien differenzieren 172 :<br />
– Software auf der Basis behaviouristischer Lerntheorien verfährt meistens nach<br />
dem ‘Drill-and-Practice’-Prinzip; Adaptivität, also Orientierung an individuellen<br />
Lernvoraussetzungen, beschränkt sich auf eine Anpassung des Programms an<br />
Geschwindigkeit und Niveau (gemessen am Anteil richtiger, d.h. den gespeicherten<br />
Vorgaben entsprechender Lösungen). Interaktivität ist auf den engen<br />
katechetischen Rahmen falscher und richtiger Antworten begrenzt; geeignet<br />
erscheinen diese Programme bestenfalls zum Auswendiglernen (etwa von<br />
Vokabeln).<br />
– Lernprogramme nach kognitivistischen Prinzipien dagegen sind bemüht,<br />
individuelle Lernwege zu ermöglichen, an vorhandene Wissensstrukturen des/der<br />
Lernenden anzuknüpfen und den Aufbau neuer Strukturen zu unterstützen. Diese<br />
Anforderungen können etwa nach didaktischen Gesichtspunkten gestaltete<br />
hypertextuale bzw. hypermediale Informationsangebote erfüllen, so die von<br />
VOLLBRECHT thematisierten „interaktiven Hypermedia-Arbeitsumgebungen“. 173<br />
– Lernsoftware auf der Basis konstruktivistischer Lerntheorien schließlich will vor<br />
allem aktive Wissenskonstruktion in realitätsnahen S<strong>im</strong>ulationen (etwa komplexen<br />
Wirtschaftss<strong>im</strong>ulationsspielen) ermöglichen.<br />
Die insbesondere in den letzten beiden Typen von Lernangeboten angelegten Chancen<br />
für ein individualisiertes Lernen werden bei AUFENANGER gesellschafts- und<br />
sozialisationstheoretisch eingeordnet: „Dieser Ansatz [...] berücksichtigt, daß die neuen<br />
Lebensformen überwiegend solche sind, die sich an Individualisierung ausrichten, und<br />
daß die neue Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen durch Medien best<strong>im</strong>mt ist und<br />
170 vgl. FASCHING 1997, S. 112 sowie ZIMMERMANN 1993, S. 166<br />
171 ähnlich wie bei der von HEINTZ beschriebenen Verschränkung von gesellschaftlicher Rationalisierung<br />
und Automatisierung/Computerisierung (siehe dazu oben unter 2.1.1.) lässt sich auch in der Pädagogik<br />
eine ‘Computerisierung vor dem Computer’ beschreiben; so in der ‘kybernetischen Pädagogik’ bei FELIX<br />
VON CUBE und HELMAR FRANK sowie in der ‘Programmierten Unterweisung’ bei WALTER SCHÖLER<br />
und JOHANNES ZIELINSKI SEN. (eine kritische Darstellung dieser Ansätze findet sich bei ZIELINSKI<br />
1995, S. 181 ff. sowie 186ff.)<br />
172 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 186ff.; vgl. auch MEISTER/SANDER 1999, S. 11ff.<br />
173 VOLLBRECHT 1995, S. 195<br />
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knüpft damit an die dadurch mögliche Motivierung an“. 174 THIELE ruft in diesem Kontext<br />
<strong>im</strong> Bildungsbereich tätige PädagogInnen auf, das wachsende Marktangebot an<br />
Mult<strong>im</strong>ediaanwendungen einerseits aktiver, andererseits aber auch kritisch bewertend<br />
wahrzunehmen 175 . MIKOS und OPASCHOWSKI fordern eine stärkere Beteiligung der<br />
Pädagogik auch an der Entwicklung von Lern- und Spielsoftware. 176<br />
Der Abruf von Lernprogrammen aus dem Netz weist nun zunächst keine prinzipiellen<br />
Unterschiede zu entsprechender Software auf Datenträgern auf. Ergänzend hinzu tritt hier<br />
die ständige unaufwendige Aktualisierbarkeit (des ganzen Programms, aber auch<br />
einzelner Informationen wie z.B. von Einwohnerzahlen in Geographie-Software) sowie die<br />
Möglichkeit vielfältiger Verknüpfungen mit anderen Netzangeboten durch Hyperlinks.<br />
Gänzlich neue Potentiale bieten die selektive Interaktivität <strong>im</strong> weltumspannenden<br />
hypermedialen Informationsraum des WWW sowie die diversen Möglichkeiten<br />
kommunikativer Interaktivität in verschiedenen <strong>Internet</strong>diensten; dezidierte Lernangebote<br />
<strong>im</strong> Netz können diese um so besser nutzen, je weniger sie als in sich abgeschlossene<br />
Programme konzipiert sind.<br />
Allerdings stellen MEISTER/SANDER hier fest, dass das - <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
hypermedialen Lernprogrammen - ohne pädagogische Steuerungsinstanz wachsende,<br />
nicht zu Bildungszwecken konzipierte <strong>Internet</strong> „allein in keiner Weise irgendwelche<br />
<strong>pädagogischen</strong> oder didaktischen Ansprüche“ erfülle. 177 Diese Zuspitzung von DÖRINGs<br />
evidenter Beobachtung, dass das Netz „kein genuines Instruktionsmedium“ sei 178 , soll nun<br />
kritisch befragt werden, wenn wir uns mit der <strong>pädagogischen</strong> Reflexion offenen und<br />
selbstgesteuerten Lernens durch Zugriff auf vielfältige und aktuelle Angebote zur<br />
Wissensproduktion <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> auseinandersetzen.<br />
Lernen vollzieht sich aus konstruktivistischer Perspektive <strong>im</strong>mer als autopoietische<br />
Aktivität des/der Lernenden. ‘Selbstgesteuertes Lernen’ (in der reform<strong>pädagogischen</strong><br />
174 AUFENANGER 1995, S. 62<br />
175 vgl. THIELE 1997; Ein von THIELE und anderen entwickelter Ansatz zur <strong>pädagogischen</strong> Bewertung von<br />
Software samt Anwendung auf eine Auswahl seinerzeit aktueller CD-ROMs (Lexika/Nachschlagewerke,<br />
Infotainment- und Edutainmentangebote, Unterhaltungssoftware sowie Sammlungen von Graphiken und<br />
Klängen/Geräuschen) findet sich in AUFENANGER/LAUFFER/THIELE 1995<br />
176 vgl. MIKOS 1997, S. 70 sowie OPASCHOwSKI 1999, S. 88f.<br />
177 MEISTER/SANDER 1999, S. 43<br />
178 DÖRING 1995, S. 327<br />
59
Semantik: ‘Selbsttätigkeit’) ist somit eine Tautologie und macht nur Sinn als<br />
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metapädagogisches Postulat - nämlich als an Lehrende gerichteter Appell, anstelle von<br />
(letztlich ineffizienten) Versuchen externer Steuerung doch lieber den Lernenden Hilfen<br />
zur Selbststeuerung zu gewähren; auf Medien bezogen: ein ‘constructional’ statt eines<br />
‘instructional design’ zu entwickeln) 179 Eine solche „Verwandlung traditioneller Lehr- in<br />
neue Lernszenarien“ werde, so MEISTER/SANDER mit Berufung auf Erfahrungen aus<br />
Modellversuchen in verschiedenen Bundesländern, durch den Einsatz von <strong>Internet</strong> bzw.<br />
hypermedialen Lernumgebungen in der Schule begünstigt.<br />
Dabei bevorzugen MEISTER/SANDER letztere - die pädagogisch aufbereiteten<br />
vorgefertigen medialen Lernumgebungen - gegenüber der chaotischen<br />
Informationsstruktur des Netzes. Dessen „Informationsfülle“ erscheint hier als ein<br />
Problem, welches nur durch „angeleitetes, systematisches und exemplarisches Lernen“<br />
bewältigt werden könne. 180 Dagegen spricht sich DÖRING, m.E. zu Recht, für offene<br />
Informationssysteme, die „nicht konsistent gestaltet und erst recht nicht ‘intelligent’ <strong>im</strong><br />
Sinne des ITS-Ansatzes (Intelligent Tutorial System) sind“ aus: Gerade solche - also etwa<br />
das <strong>Internet</strong> - erforderten und begünstigten die Selbststeuerung des Lernenden und<br />
führten so zu nachhaltigeren Lernerfolgen. Insofern sei es sinnvoller, metakognitive<br />
Fähigkeiten (z.B. Recherchekompetenzen und Lernstrategien) bei realen SchülerInnen zu<br />
fördern, als mit hohem Aufwand spezielle Lernumgebungen zu programmieren, die auf<br />
notwendigerweise verkürzten, statischen Schüler-Modellen beruhen. 181<br />
Doch nicht nur lernpsychologische Überlegungen sprechen für die offene Lernumgebung,<br />
die ‘Lernwelt’ <strong>Internet</strong> (FASCHING); auch aus der Perspektive einer Öffnung von Schule<br />
hin zu Arbeitswelt, Schüleralltag und gesellschaftlichen <strong>Diskurs</strong>en lassen sich Argumente<br />
für einen schul<strong>pädagogischen</strong> Einsatz des <strong>Internet</strong> gewinnen. SCHULZ-ZANDER<br />
diskutiert das <strong>Internet</strong> als günstige „Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeit über<br />
den Lernort Schule hinaus“, BORRMANN sieht Chancen zur internetvermittelten Öffnung<br />
von Schule besonders da, wo SchülerInnen mit ihren Diskussionsbeiträgen und Produkten<br />
als Sender in einen „realen Kommunikationszusammenhang“ treten, eine außerschulische<br />
179 so die Forderung von VAN LÖCK (1997, S. 16), der hier jedoch vermerkt, dass auch ‘konstruktive’<br />
Medien instruktiv mißbraucht werden könnten<br />
180 MEISTER/SANDER 1999, S. 42f.<br />
181 DÖRING 1995, S. 322<br />
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Öffentlichkeit erreichen. 182 Wurde die gängige Kritik am mediatisierungsbedingten Verlust<br />
der Pr<strong>im</strong>ärerfahrung bei SCHULTE noch nur relativiert (durch den Hinweis, dass auch<br />
Schule seit je ein Ort massiver Sekundärerfahrung ist), findet hier also eine radikale<br />
Perspektivenumkehr statt: Die ‘Virtualität’ des <strong>Internet</strong> ist Realität bzw. kann für Schule als<br />
Realität fungieren; mit FASCHING: das <strong>Internet</strong> als offener Lernort löst die Grenze<br />
zwischen Lernen und Handeln auf und wird so selbst zur Lebenswelt. 183<br />
FEUERSTEIN sieht <strong>im</strong> Netz das Potential zur Verwirklichung der konstruktivistischen<br />
Anforderungen an Unterricht, wie sie R. DUBS formuliert: „Nicht vereinfachte<br />
(reduktionistische) Problemstellungen, sondern die Realität unstrukturierter Probleme sind<br />
dem Unterricht zugrunde zu legen“. 184 Daraus können dann auch wieder lerntheoretische<br />
Konsequenzen gezogen werden: Durch die Situiertheit des Lernens seien erhöhte<br />
Transferleistungen zu erwarten, durch das Gefühl des Lernens in der Wirklichkeit<br />
Motivationssteigerungen. 185<br />
Als Chance für das Lernen wird von FEUERSTEIN auch die Vielfalt und Aktualität der <strong>im</strong><br />
Netz verfügbaren Informationen fokussiert: Während Buchwissen zu aktuellen Themen<br />
stets schnell veralte, biete das <strong>Internet</strong> tagesaktuelle Information und fördere in seiner<br />
hypertextuellen Struktur induktives Lernen durch die Notwendigkeit, gefundene Fakten je<br />
individuell zu kontextualisieren. 186 Weiterhin könne die Vielfalt der Informationen Toleranz<br />
für kulturelle Verschiedenheit verstärken (gewissermaßen die Gegenthese zum unter<br />
4.1.2. analysierten Fallbeispiel BAACKEs) - so kennzeichnet auch FASCHING das Netz<br />
als Medium, das „eine <strong>Diskurs</strong>form [ermögliche], die nicht den Konsens, sondern die<br />
Anerkennung und Nutzung des Dissens zum Ziel hat“ 187<br />
Kommen wir zur D<strong>im</strong>ension sozialen und diskursiven Lernens durch neue<br />
Kommunikations- und Kooperationsformen. MEISTER/SANDER sprechen dem <strong>Internet</strong><br />
das Potential zu, als selbstreferentielles, geschlossenes Lehr-/Lernmedium zu fungieren:<br />
182 SCHULZ-ZANDER 1997, S. 10 sowie BORRMANN 1997, S. 17<br />
183 vgl. FASCHING 1997, S. 105f.<br />
184 zit. nach FEUERSTEIN 1999, S. 193<br />
185 vgl. FASCHING 1997, S. 89 sowie FEUERSTEIN 1999, S. 179 und S. 193<br />
186 vgl. FEUERSTEIN 1999, S. 180f. sowie S. 185f.; vgl. auch DÖRING 1995, S. 321f.<br />
187 FASCHING 1997, S. 112<br />
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„Alle notwendigen Informationen, Lehrmaterialien und Hilfsmittel für eine nutzerorientierte<br />
Produktion eigener Informationssysteme“ seien <strong>im</strong> Netz vorhanden; dies wird jedoch<br />
eingeschränkt durch die Feststellung, dass das <strong>Internet</strong> in dieser Weise nur für „absolute<br />
Netzspezialisten“ nutzbar sei. 188 Diese Einschätzung mag insofern zutreffen, dass es<br />
gegenwärtig unrealistisch scheint, alle SchülerInnen zu befähigen, alle in den für die<br />
jeweilige Alters- und Schulstufe vorgesehenen Lehr-/Lernmitteln vorfindlichen<br />
Informationen nicht dort, sondern stattdessen <strong>im</strong> Netz zu suchen. <strong>Das</strong> spricht jedoch nicht<br />
gegen eine Nutzung des Netzes sowohl als Informationsquelle als auch als Ordnungs-<br />
und Präsentationsinstrument individueller Lernwege und -produkte. MEISTER/SANDER<br />
ist hier auch insofern zu widersprechen, dass m.E. in letzter Zeit die Netznutzung, gerade<br />
die ‘sprechende’, auch für Nichtspezialisten <strong>im</strong>mer einfacher wird, und dass nach<br />
DÖRING die Hemmungen für die Veröffentlichung eigener Wissensproduktionen <strong>im</strong> Netz<br />
dadurch gesenkt werden mögen, dass dort schon Grundschulkinder als Autorinnen<br />
auftreten. 189<br />
DÖRING führt eine weitere Auswirkung der ‘kommunikativen Interaktivität’, also der<br />
polydirektionalen Nutzbarkeit des <strong>Internet</strong> an: Der Umgang mit Informationen werde durch<br />
den nicht nur möglichen, sondern konstitutiven Rollenwechsel vom Empfänger zum<br />
Sender kritischer. 190 <strong>Diskurs</strong>ivität von Information - etwa als schnelle und unaufwendige<br />
Nachfrage be<strong>im</strong> ‘Sender’ - könne so zum erlebten Normalfall werden. 191<br />
Lern-, Kommunikations- und Kooperationsformen <strong>im</strong> Netz gestalten sich freilich<br />
unterschiedlich je nachdem, welcher <strong>Internet</strong>dienst genutzt wird. Eine Differenzierung<br />
nach didaktischer Relevanz findet sich bei FASCHING; hier werden das WWW und die<br />
Diskussionsforen (Newsgroups) als die „eigentlichen Lernorte 192 hervorgehoben. Wir<br />
wollen - ohne damit FASCHINGS Abwertung der eher spielerischen Formen (MUDs, Chat)<br />
zuzust<strong>im</strong>men - dieser Differenzierung nachgehen und daran eine Betrachtung der hier<br />
188 MEISTER/SANDER 1999, S. 40<br />
189 vgl. DÖRING 1995, S. 324<br />
190 eben das macht, wie oben unter 3.3.1. und 3.3.2. ausgeführt, für HASSE/WEHNER das <strong>Internet</strong> als<br />
Massenmedium untauglich; zur Kontroverse um das diskursive Potential des <strong>Internet</strong> siehe ebd.<br />
191 vgl. DÖRING 1995, S. 322f.<br />
192 FASCHING 1997, 5. 89<br />
62
ebenfalls vernachlässigten Formen von Telekooperation und internationaler<br />
Kommunikation (meist schwerpunktmäßig über E-Mail) anschließen.<br />
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
Als selbstreferentielles Lern-/Lehrmedium (<strong>im</strong> Sinne von MEISTER/SANDER) bietet sich<br />
zuallererst das WWW an: Hier können mult<strong>im</strong>ediale Informationen recherchiert,<br />
gespeichert und individuell rekombiniert werden; ansprechend gestalteter Lernstoff lässt<br />
sich oft direkt vom Erzeuger (z.B. der NASA) abrufen. Der Lerner gestaltet und strukturiert<br />
seine Lernwege individuell; insbesondere erwachsene Lerner mit breiten<br />
Wissensstrukturen könnten so speziellen Lerninteressen nachgehen. 193 Nicht<br />
nachvollziehbar bleibt für mich, warum FASCHING trotz dieser Beobachtungen den<br />
„größten Nutzen [!] des World Wide Web für das Lernen“ in dessen Motivierungspotential<br />
sieht; auch seine Einschätzung, <strong>im</strong> WWW finde <strong>im</strong> Gegensatz zu Diskussionsforen kein<br />
soziales Lernen statt, da der jeweilige Sender „nicht präsenter als der Autor eines<br />
Buches“ 194 sei, ist m.E. zu widersprechen - etwa mit BORRMANN, der schildert, wie die<br />
Veröffentlichung der von seinen Schülern gestalteten WWW-Seiten Anlass eines „regen<br />
Austauschs mit Rezipienten außerhalb von Schule, auch in anderen Ländern“ wurde (der<br />
sich dann freilich nicht mehr in erster Linie über das WWW vollzog). 195<br />
Als dezidiert diskursives Medium bieten sich die Diskussionsforen des Netzes an (sieht<br />
man einmal von der unter 3.3.2. skizzierten Problematik ab, dass bei vielen solcher Foren<br />
keine Koppelung mit netzexternen Entscheidungsprozessen gegeben ist). Verglichen mit<br />
dem WWW konstatiert FASCHING hier höhere Einstiegshürden: Nicht nur die Bedienung<br />
der Software, sondern auch die neue, meist ungewohnte schriftliche <strong>Diskurs</strong>form<br />
allgemein sowie die je gruppenspezifischen, oft ungeschriebenen Kommunikationsregeln<br />
wollen gelernt werden. Diesen Hürden stehe aber auch ein höheres Motivierungspotential<br />
gegenüber, bedingt durch das Lernen in einem als real erlebten Kontext, durch das<br />
„Empfinden, echtes Wissen und nicht Modellwissen erworben zu haben“ (wiederum mag<br />
es verwundern, dass FASCHING den Akzent hier nicht auf qualitative Aspekte des<br />
diskursiv erworbenen Wissens, sondern auf Motivation bzw. ‘Empfinden’ legt). 196<br />
193 vgl. a.a.O., S. 83ff. sowie S. 100ff.<br />
194 a.a.O., S.100 sowie S. 86<br />
195 BORRMANN 1997, S. 16<br />
196 FASCHING 1997, S. 79; vgl. auch a.a.O., S. 72ff.<br />
63
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
Als ein Spezifikum des <strong>Diskurs</strong>es in Foren beschreibt FASCHING das Zitieren der<br />
Diskussionsbeiträge, auf die jeweils Bezug genommen wird. Ob dieses diskursive<br />
Verfahren ins netzexterne Leben übertragbar sei, wird hier noch offen gelassen, bei<br />
FEUERSTEIN dann mit Bezug auf empirische Erfahrungen positiv beantwortet: Die<br />
Nutzung kommunikativer Netzdienste und speziell die Erfahrung von SchülerInnen, in<br />
‘Erwachsenengesprächen’ ernst genommen zu werden, führe zu einem neuen<br />
Gruppenverhalten, größerer Hilfsbereitschaft und Problemlösungskompetenz. 197<br />
Als Lernformen in Newsgroups führt FASCHING an: die Expertenbefragung (mit dem<br />
Problem selbsternannter Experten und der Chance des stummen Mitverfolgens von<br />
hochkarätigen Quasi-Podiumsdiskussionen), die diskursive Validierung eigener Thesen<br />
(die zwar nur für die ‘nicht faktenorientierten’ Geisteswissenschaften geeignet sei, jedoch<br />
die Chance biete, entlang kontroverser <strong>Diskurs</strong>e eigene Ansichten zu entwickeln), das<br />
empirisches Forschen (wobei Netzumfragen methodische Probleme aufwürfen und die<br />
Geduld der Nutzerinnen durch häufige Umfragen eher schon überstrapaziert sei) sowie<br />
das Erbitten von Arbeitshilfen.<br />
Diese Einschätzungen können <strong>im</strong> Detail kritisiert werden: so FASCHINGS Hypostasierung<br />
akademischen Wissens („der hohe Prozentsatz an Akademikern [...] führt [...] zu<br />
kompetenten Aussagen. So können folgende Diskussionsforen effizient genutzt werden,<br />
da das ‘Rauschen’ in diesen gering ist: [...]“ 198 ), die gerade die Besonderheit des <strong>Internet</strong>,<br />
dass jedeR zum Sender werden kann, ignoriert bzw. rekanalisiert; ferner die Identifikation<br />
von Naturwissenschaft mit harten Fakten 199 und die Reduktion empirischer Forschung auf<br />
repräsentative, quantitative Fragebogenerhebungen (bieten doch Newsgroups sowohl<br />
Chancen für qualitative teilnehmende wie nichtteilnehmende Beobachtungen als auch für<br />
quantitative Analysen jenseits direkter Befragungen). <strong>Das</strong> schmälert jedoch nicht den<br />
didaktischen Wert der von FASCHING genannten Lernformen; auch ist m.E. seiner These<br />
zuzust<strong>im</strong>men, dass Newsgroups für soziales, diskursives Lernen besonders geeignet<br />
197 vgl. FASCHING 1997, S. 73 und S. 99 sowie FEUERSTEIN 1999, S. 182<br />
198 FASCHING 1997, S. 96<br />
199 diese Ideologie der Naturwissenschaft wird dekonstruiert etwa von HEINTZ (1993, S. 11 4ff. sowie<br />
insbesondere - mit Rekurs auf KARIN KNORR-CETINA - S. 11 9f.) und von HOFMANN (1998, S. 73ff.)<br />
64
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
seien und <strong>im</strong> günstigen Falle Mut zum Dissens, Respekt für andere Ansichten vermitteln<br />
könnten. 200<br />
Didaktische Chancen von Telekooperation wurden bereits oben <strong>im</strong>plizit angesprochen,<br />
be<strong>im</strong> Thema einer internetvermittelten Öffnung von Schulen untereinander sowie hin zu<br />
Alltagsleben und Öffentlichkeit. Daran schließt MEISTER/SANDERS Vermutung an, dass<br />
der didaktische Einsatz des <strong>Internet</strong> dauerhaft bessere Chancen habe als die in den<br />
70er/80er Jahren ähnlich euphorisch begrüßten Bildungstechnologien (Sprachlabore,<br />
Computerräume) - und zwar, da es deren sozial isolierten und isolierenden Charakter<br />
nicht teile. 201 Bestätigt wird diese Einschätzung des sozial vernetzenden Potentials<br />
didaktischer <strong>Internet</strong>nutzung durch Beobachtungen von FEUERSTEIN, AUFENANGER<br />
und SCHULZ-ZANDER: Hier wird attestiert, das Kooperationen zwischen räumlich<br />
getrennten Schulen, aber auch schon die kooperative Lösung von Arbeitsaufträgen mit<br />
Hilfe des <strong>Internet</strong> durch SchülerInnengruppen einer Schule (etwa in Form von<br />
Projektunterricht) die Teamfähigkeit der SchülerInnen fördere. 202<br />
Internationale E-Mail-Projekte werden derzeit an Schulen vor allem <strong>im</strong> Rahmen des<br />
Englischunterrichts - des Faches, das laut FEUERSTEIN nach der Informatik das<br />
zweitgrößte Interesse am Netz zeigt - durchgeführt. 203 Es mag sein, dass die Netznutzung<br />
in solchen Projekten (ganz <strong>im</strong> Sinne FASCHINGS) oft vornehmlich zwecks<br />
Motivationsförderung erfolgt, dass weder interkulturelle noch medienkompetenzbezogene<br />
Lernziele in der Planung eine große Rolle spielen. Dennoch, so SUBROWEIT/VAN LÜCK,<br />
können derartige Projekte - ebenso wie netzvermittelte ‘internationale Mittagspausen-<br />
Gespräche’ - Kenntnisse über andere Länder, deren Bevölkerung und Kultur vermitteln,<br />
sowie die Orientierung, Mehrsprachigkeit als Normalfall zu betrachten. Man mag<br />
bezweifeln, ob Kenntnisse über ‘fremde Länder’ allein tatsächlich den Boden bereiten<br />
können für „Verständnis und Toleranz gegenüber Fremdem <strong>im</strong> eigenen Land“, wie es bei<br />
SUBROWEIT/VAN LÜCK heißt 204 ; m.E. sind die Möglichkeiten, die sich durch schulische<br />
200 vgl. FASCHING 1997, S. 99 - Die komplementäre Position findet sich bei TURKLE (1998, S. 353):<br />
während in virtuellen Gemeinschaften vom Typ der MUDs, wo eine gemeinsame Welt konstruiert werde,<br />
Kooperation funktional sei, seien Newsgroups auf Konflikt und auf Abgrenzung angelegt<br />
201 vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 10<br />
202 vgl. FEUERSTEIN 1999, S. 182f.; AUFENANGER 1995, S. 58; sowie SCHULZ-ZANDER 1997, S. 10f.<br />
203 vgl. FEUERSTEIN 1999, S. 178<br />
204 vgl. SUBROWEIT/VAN LÖCK 1998, S. 6f.<br />
65
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
Telekooperationen bieten, dennoch beachtlich - sowohl, was Öffnung von Schule und<br />
Unterricht angeht, als auch bezogen auf soziales und internationales Lernen.<br />
Nachdem nun vier Diskussionsstränge zu spezifisch didaktisch relevante Eigenschaften<br />
des Netzes vorgestellt wurden, sollen <strong>im</strong> Folgenden abschließend Chancen und Grenzen,<br />
Voraussetzungen und eventuelle Folgen eines didaktischen Einsatzes des <strong>Internet</strong><br />
diskutiert werden.<br />
Zu den Chancen adaptiver mult<strong>im</strong>edialer Lernsysteme summiert AUFENANGER: „Die<br />
Verbindung von Text, Bild und Ton stellt eine opt<strong>im</strong>ale Verwirklichung dessen dar, was in<br />
der Pädagogik das Prinzip Anschaulichkeit genannt worden ist; die künstliche Intelligenz<br />
ermöglicht eine opt<strong>im</strong>ale Anpassung des Systems an die Lernvoraussetzungen und<br />
Lernstrategien des Lerners, und die Möglichkeit der S<strong>im</strong>ulation eröffnet die Chance, das,<br />
was der pädagogische Pragmatismus von John Dewey als ‘learning by doing’ bezeichnet<br />
hat, auch auf die mediale bzw. virtuelle Wirklichkeit zu erweitern“; die „alte Relation: ein<br />
Lehrer - viele Schüler“ werde umgekehrt: „ein Schüler - viele Lehrer“. 205 Eine<br />
nennenswerte Erhöhung des Lernniveaus durch solche Lernsysteme ist dennoch nach<br />
MEISTER/SANDER bislang empirisch nicht zu belegen; allerdings sei durchgängig eine<br />
erhebliche Reduktion der Lernzeiten durch individualisiertes Lernen am Computer<br />
festzustellen. 206<br />
Spezielle didaktische Vorteile des <strong>Internet</strong> gegenüber geschlossenen, pädagogisch<br />
konzipierten Hypermedia-Lernumgebungen sind auf der Ebene der Konstruktion von<br />
Wissen einerseits in der Vielfalt und Aktualität der prinzipiell zugänglichen Informationen,<br />
andererseits in der erhöhten Notwendigkeit eigener Strukturierungs- und<br />
Konstruktionsleistungen (und damit der Förderung von Selbtssteuerungsprozessen) zu<br />
sehen. Auf der Ebene der Kommunikation wird einerseits die Partizipation an ‘realen’,<br />
nicht pädagogisch ‘s<strong>im</strong>ulierten’ Interaktionsprozessen ermöglicht: SchülerInnen können<br />
mit eigenen Produktionen Öffentlichkeiten jenseits von Schule erreichen, Unterricht und<br />
Schule können sich hin zur außerschulischen Lebens- und Arbeitswelt öffnen.<br />
Andererseits bieten sich hier gerade auch Chancen für Pädagogik, Kommunikation und<br />
Kooperation über lokale, regionale und nationale Grenzen hinaus zu inszenieren.<br />
205 AUFENANGER 1995, S. 61<br />
206 vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 41 (mit Rekurs auf J. P. HAASEBROOK)<br />
66
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
Motivationsgewinne durch Computer und <strong>Internet</strong> werden allenthalben beobachtet 207 ;<br />
problematisch wird es m.E., wenn der didaktische Einsatz dieser Medien vorwiegend aus<br />
Gründen der Motivierung der Lernenden heraus stattfindet. Eine solche<br />
Instrumentalisierung des Netzes ist in Ansätzen bei FASCHING zu beobachten. Der<br />
Erwerb von <strong>Internet</strong>kompetenzen erscheint hier lediglich als ein ‘Zusatznutzen’, als<br />
„Wissenserwerb über den eigentlich intentionierten Lerngegenstand hinaus“, der einen<br />
„tieferen Einblick in die Möglichkeiten der Computertechnologie“ biete. 208 Deutlicher noch<br />
als eine bloße Instrumentalisierung des Netzes zur Opt<strong>im</strong>ierung von Wissensvermittlung,<br />
wie sie etwa AUFENANGER als typisch für den didaktischen <strong>Internet</strong><strong>Diskurs</strong> kritisiert,<br />
verfehlt Fasching hier m.E. die Herausforderungen des <strong>Internet</strong>-Zeitalters: Computer-<br />
bzw. Netzkompetenzen können heute <strong>im</strong>mer weniger mit technologischem<br />
Spezialistenwissen gleichgesetzt werden; Konzeptionen, die das <strong>Internet</strong> als bloßes<br />
Motivationsinstrument einplanen, geraten in Gefahr, eine ‘Rattenfängerdidaktik’ zu<br />
betreiben. 209<br />
In den individualisierten Lernmöglichkeiten von Mult<strong>im</strong>edia und <strong>Internet</strong> sieht<br />
AUFENANGER für die Lernenden Chancen der Unabhängigkeit von Bildungsinstitutionen;<br />
was hier als Chance erscheint, mag jedoch auch Gefahren beinhalten, so die der<br />
Privatisierung von Bildung und Bildungsaufwendungen (und die daraus folgende der<br />
Verfestigung sozialer Ungleichheiten) und die der Kommerzialisierung von Information:<br />
Fällt der von den Bildungsinstitutionen unabhängig gewordene Lerner möglicherweise in<br />
neue Abhängigkeiten - etwa, wie WERBER meint, von der Lernsoftware-Industrie? 210<br />
Ferner bleibt die Frage offen, ob und inwieweit individuelles Computer- bzw. Netzlernen<br />
tatsächlich angeleitetes Lernen ersetzen könne. Damit sind wir bei der Thematisierung<br />
von Gefahren und Grenzen des didaktischen Netzeinsatzes <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong><br />
angelangt.<br />
207 vgl. SCHORE 1995b, S. 24; AUFENANGER 1995, S. 62; MEISTER/SANDER 1999, S. 42; und<br />
insbesondere FASCHING 1997, S. 77, S. 89 sowie S. 100<br />
208 FASCHING 1997, S. 86<br />
209 dieser Begriff stammt aus dem musik<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>. Verwendet wird er dort zur kritischen<br />
Kennzeichnung einer ‘Abholdidaktik’, die SchülerInnen mit Popmusik ködern will, um sie dann zum<br />
‘Eigentlichen’ des Musikunterrichts - der großen abendländischen Kunstmusik - hinzuführen (vgl. DÜX<br />
1998)<br />
210 vgl. AUFENANGER 1995, S. 59; SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 209ff. sowie S. 258; MIKOS 1997, S.<br />
67; SCHORB 1995b, S. 12 sowie WERBER 1999, S. 415<br />
67
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
Die didaktische Reflexion der Gefahren des <strong>Internet</strong> ist zum Teil deckungsgleich mit der<br />
allgemein <strong>pädagogischen</strong>, die unter 4.1. dargestellt wurde; spezifische Grenzen<br />
didaktischen Netzeinsatzes werden <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> vor allem daran<br />
festgemacht, dass das <strong>Internet</strong> erstens kein pädagogisch konzipiertes und zweitens ein<br />
kulturell noch nicht hinreichend verankertes Medium sei.<br />
Wir haben oben bereits MEISTER/SANDERS Einschätzung, dass „das <strong>Internet</strong> mit seiner<br />
Datenfülle oder das WWW mit seiner Hypertextstruktur allein in keiner Weise<br />
irgendwelche <strong>pädagogischen</strong> oder didaktischen Ansprüche“ erfülle 211 , relativiert. Neben<br />
der m.E. nicht zu unterschätzende D<strong>im</strong>ension informeller Lernprozesse bei der<br />
Netznutzung - ob auf Inhalte oder auf Medienkompetenz bezogen - kann dagegen auch<br />
SCHULZ-ZANDERs Beobachtung einer ‘Katalysatorfunktion’ der Netztechnologie<br />
angeführt werden. In der Debatte, inwieweit die (<strong>im</strong> Rahmen des Projekts ‘Schulen ans<br />
Netz’ erfolgte) Bereitstellung von Netzinfrastruktur per se bereits pädagogische<br />
Veränderungen auslöse, bezieht nämlich SCHULZ-ZANDER - anders als etwa VAN<br />
LÜCK 212 - eine opt<strong>im</strong>istische Position. Mit Rekurs auf Erfahrungsberichte aus Deutschland<br />
und Netzumfragen unter US-amerikanischen LehrerInnen schreibt sie dem Netz die<br />
Funktion eines Katalysators zu, der Anlass zu Methodendiskussionen <strong>im</strong> Lehrerz<strong>im</strong>mer<br />
gebe und einen Wandel von Unterricht begünstige: hin zu einer verstärkten Eigenaktivität<br />
von SchülerInnen, einer eher moderierenden Tätigkeit von Lehrenden und<br />
kommunikativem Lernen. Allerdings weist auch SCHULZ-ZANDER darauf hin, dass die<br />
technische Ausstattungsoffensive möglichst von Lehrerlnnenfortbildungen begleitet<br />
werden sollte. 213<br />
Kontrovers diskutiert wird also vor allem, ob der didaktische Einsatz des Netzes eher<br />
Kompetenzen voraussetzt oder schafft. MEISTER/SANDER beziehen hier klar Stellung für<br />
die bleibende Relevanz angeleiteten (sprich: schulischen) Lernens: Digitalisiertes Wissen<br />
mache Schule ebensowenig überflüssig wie eine Bibliothek eine Universität ersetzen<br />
könne - obgleich sich beide, <strong>Internet</strong> und Bibliothek, gut <strong>im</strong> Lernprozess einsetzen lassen<br />
könnten -, unklar bleibe ferner, inwieweit sich das <strong>Internet</strong> zur Vermittlung strukturierten<br />
211 MEISTER/SANDER 1999, S. 43<br />
212 vgl. VAN LÖCK 1997, S. 14: „Neue Medien oder die Netzanbindung von Schulen erzeugen aus sich<br />
heraus keine dauerhafte Veränderung“<br />
213 vgl. SCHULZ-ZANDER 1997, S. 11f.<br />
68
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Wissens einsetzen lasse. Als Voraussetzungen einer effizienten didaktischen<br />
Netznutzung erscheinen hier zum einen konkrete Anleitungen und Lernaufgaben seitens<br />
der LehrerInnen, zum anderen zu entwickelnde Kompetenzen seitens der Lernerlnnen. 214<br />
Damit ist die Frage der mangelnden kulturellen Verankerung des Netzes und der zu seiner<br />
Nutzbarmachung erforderlichen Fähigkeiten angesprochen. FASCHING (wie auch<br />
MEISTER/SANDER) zeichnet das <strong>Internet</strong> als ein Medium für Spezialistinnen: „Der<br />
technische Aufwand und die zu investierende Lernzeit sind hoch und das nötige<br />
Verständnis können [sic] nicht von jedem erlangt werden“. 215 Diese These wird m.E. von<br />
der Praxis widerlegt: erfolgreiche <strong>Internet</strong>arbeit in Grund- und Sonderschulen ist längst<br />
kein Einzelfall mehr. FASCHING sieht ferner die Gefahr einer Abschreckung von<br />
Lernerinnen durch die technische Oberfläche des Computers bzw. von Lernhindernissen<br />
für die „breite Schicht der Bevölkerung“, die dem Computer bekanntermaßen mehr als<br />
kritisch gegenüberstehe. 216 Diese Befürchtungen mögen in der Bildungsarbeit mit<br />
Seniorinnen angebracht sein (auch dort wird jedoch erfolgreich mit dem Netz gearbeitet),<br />
für den bei FASCHING angepeilten schulischen Bereich sind sie jedoch m.E. völlig fehl<br />
am Platze. So finden SCHWAB/STEGMANN in ihrer 1996 durchgeführten Umfrage nur<br />
bei 13% der Jugendlichen, gar nur bei 8% der damals 10-13jährigen computerdistanzierte<br />
Einstellungen vor. 217<br />
Nachvollziehbarer als die These vom - für die Nutzung durch ‘Normal-’ (oder gar<br />
‘Sonder’-)Schüler ungeeigneten - Spezialistenmedium <strong>Internet</strong> erscheint mir da schon<br />
KÜBLERs Diagnose, dass das mediale Potential des Netzes oft <strong>im</strong> Unterricht nicht zur<br />
Entfaltung gelange: <strong>Das</strong> <strong>Internet</strong> werde in der schulischen Realsituation „fast wie das<br />
herkömmliche Schulbuch“ genutzt, vom „gepriesenen individuellen, gar zufälligen Lernen“<br />
sei „wenig zu spüren“. 218 Dazu passt FEUERSTEINS interessante Feststellung, dass der<br />
Schwerpunkt schulischen Netzeinsatzes <strong>im</strong> außerunterrichtlichen Bereich liege - in AGs,<br />
in Projektwochen sowie in den bei SchülerInnen sehr beliebten freien Nutzungszeiten.<br />
214 vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 41<br />
215 FASCHING 1997, S. 112; vgl. auch a.a.O., S. 86<br />
216 a.a.O., S. 101<br />
217 SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 95f.<br />
218 KÜBLER 1997, S. 58<br />
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Begründet wird dieses Phänomen mit einem Netzkompetenzrückstand der LehrerInnen<br />
sowie einem Mangel an einschlägigen didaktischen Materialien und Konzepten. 219<br />
Zusammenfassend können wir feststellen: Erfolgreicher didaktischer Einsatz des <strong>Internet</strong><br />
wird nicht dadurch blockiert, das es ein ohne pädagogische Gestaltungsinstanz<br />
wachsendes Medium ist. Auch mangelnde Vertrautheit von SchülerInnen mit diesem<br />
Medium ist hier weniger ein Hindernis als die mangelnde Flexibilität von PädagogInnen<br />
und der kulturellen Konstruktion ‘Unterricht’. Damit sind wir bei der Frage angelangt,<br />
welche Voraussetzungen eines erfolgreichen didaktischen Einsatzes des <strong>Internet</strong> sich<br />
anführen lassen.<br />
Zunächst wäre hier die technische Ausstattung zu nennen. Mit KÜBLER ist hier das<br />
Postulat ‘Schulen ans Netz’ zu der Forderung nach zumindest einem Netzterminal in<br />
jedem Klassenz<strong>im</strong>mer zu erweitern. 220 Dabei stellt sich dann das Problem des schnellen<br />
Veraltens von Hard- und Software: Will Schule mit dem Stand der Technik bzw. der<br />
häuslichen Medienausstattung der sozial besser gestellten SchülerInnen mithalten, reicht<br />
eine einmalige Ausstattungsoffensive wie ‘Schulen ans Netz’ nicht aus; stattdessen sei,<br />
so SCHWAB/STEGMANNs Empfehlung, eine Aktualisierung <strong>im</strong> dreijährigen Turnus<br />
anzustreben? 221 Sollte es nicht zu bundesweiten finanz- und bildungspolitischen Reformen<br />
kommen, kann diese Forderung freilich nur durch Sponsoring bzw. Initiativen unter<br />
Beteiligung der Privatwirtschaft (so ja auch schon bei ‘Schulen ans Netz’) verwirklicht<br />
werden.<br />
Über die technische Ausstattung hinaus ist nach der <strong>pädagogischen</strong> Gestaltung von<br />
Netzangeboten zu fragen. Wenn auch das Netz als ganzes nicht pädagogisch kontrolliert<br />
werden kann, so sieht FASCHING doch die Möglichkeit, „Teilbereiche [...] als reine Lern-<br />
und Bildungsdienste“ 222 einzurichten. Auch VAN LÖCK postuliert die „aus dem Anliegen,<br />
219 vgl. FEUERSTEIN 1999, S. 174ff.<br />
220 KÜBLER 1997a, S. 8; zum Paradigmenwechsel <strong>im</strong> schulischen Computereinsatz - weg von einzelnen<br />
PC-Räumen hin zum Einsatz je einiger PC-Arbeitsplätze pro Klassenraum <strong>im</strong> offenen Unterricht vgl. auch<br />
SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 204; ein weiterer Paradigmenwechsel dürfte hier bevorstehen, wenn die<br />
Idee der Bundesbildungsministerin, einen Laptop für jedeN SchülerIn bereitzustellen, tatsächlich in den<br />
nächsten zehn Jahren Realität werden sollte<br />
221 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 209 sowie auch VAN LÖCK 1997, S. 14; eine detaillierte Liste<br />
infrastruktureller Voraussetzungen für einen erfolgreichen schulischen <strong>Internet</strong>einsatz findet sich bei<br />
SCHULZ-ZANDER 1997, S. 13<br />
222 FASCHING 1997, S. 85 - gewissermaßen der komplementäre Vorschlag zu ZEHNDERS Idee eines<br />
‘Rotlicht-Bezirkes’ <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />
70
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die Qualität des Lernens zu steigern“, erwachsende Notwendigkeit einer <strong>pädagogischen</strong><br />
Mitgestaltung des Netzes, genauer: Den Bedarf nach einem von professionellen<br />
PädagogInnen gestalteten Bildungsserver. 223 Auch hier ist zu fragen, ob ohne Beteiligung<br />
finanzkräftiger Global Players zustandekommende pädagogische Großprojekte (also ‘der<br />
deutsche Bildungsserver’, ‘der deutsche Jugendinformationsserver’, ‘der Bildungsbezirk<br />
<strong>im</strong> <strong>Internet</strong>’) überhaupt ihren Anspruch erfüllen können. Dazu müssten sie nämlich den<br />
hohen inhaltlichen und gestalterisch-formalen Aktualitätsanforderungen <strong>im</strong> Netz<br />
standhalten können, in der Aufmerksamkeitskonkurrenz mit den großen<br />
privatwirtschaftlichen/-medialen Anbietern bestehen können, und das heißt letztlich:<br />
gewaltige finanzielle, personelle, infrastrukturelle Ressourcen mobilisieren können.<br />
Fraglich ist außerdem, ob die Idee einer - wenn auch bereichsspezifischen -<br />
Zentralinstanz nicht inkompatibel ist mit der dezentralen Netzarchitektur von <strong>Internet</strong> und<br />
WWW, aber auch mit den gesellschaftlichen Individualisierungstrends. Wir werden diesen<br />
Themenkomplex nochmals streifen, wenn wir uns in Kapitel 5 bestehenden<br />
Netzangeboten aus dem Bereich der Jugendarbeit zuwenden; zunächst aber zurück zu<br />
den <strong>pädagogischen</strong> Voraussetzungen erfolgreicher didaktischer Netznutzung.<br />
Solche Vorraussetzungen können durchaus auch unterhalb der Ebene einer<br />
<strong>pädagogischen</strong> Mit-/Umgestaltung des Netzes gesucht werden. Als Bedingungen für eine<br />
erfolgreiche Projektarbeit mit dem <strong>Internet</strong> etwa benennt KÜBLER (unter Berufung auf<br />
Praktiker): „Ein relevantes Thema, genügend Vorbereitungszeit, ausreichende Laufzeit<br />
[...] und verläßliche Partner“. 224 Als weitere entscheidende Voraussetzungen werden <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> <strong>im</strong>mer wieder - wir haben es oben gesehen - Kompetenzen bei<br />
Lehrenden und Lernenden angeführt. Diese Thematik, also Netzkompetenzen auf Seiten<br />
der PädagogInnen und die Wege ihrer Aneignung, soll unter 4.2.2. behandelt werden.<br />
Wie ist es schließlich um Folgen des didaktischen Netzeinsatzes bestellt? Die These<br />
negativer psychischer Folgen der Netznutzung haben wir bereits unter 4.1.2. dekonstruiert<br />
und relativiert; DÖRING fasst zusammen: „Vom empirischen Standpunkt aus sind viele<br />
Vorbehalte gegen die psychologischen Folgen der <strong>Internet</strong>-Nutzung zu entkräften und<br />
223 vgl. VAN LUCK 1997, S. 1 7f.; eine Darstellung des von VAN LÖCK mitkonzipierten<br />
NRWBildungsservers ‘learn:line’ ist in Medien Praktisch 1997, Nr. 2, S. 10 zu finden<br />
224 KÜBLER 1997b, S. 58.<br />
71
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sogar positive Lernchancen und v.a. eine Erweiterung des Kommunikationsradius zu<br />
verzeichnen“. 225 Auf der gesellschaftlichen Ebene kann mit HAEFNER und SCHORB die<br />
Gefahr einer Demontage des Bildungswesen durch bei gleicher Effizienz deutlich billigere<br />
individualisierte Lernformen gezeichnet werden; wir haben diese Befürchtungen in ihrer<br />
Max<strong>im</strong>alvariante unter 3.1.2. zurückgewiesen, dennoch sollen mögliche Gefahren einer<br />
Nutzung des didaktischen Potentials des <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Dienste finanzpolitischer<br />
Einsparungswünsche hier nicht geleugnet werden. Mögliche positive Folgen didaktischer<br />
<strong>Internet</strong>nutzung sehen AUFENANGER, MEISTER/SANDER, FEUERSTEIN und SCHULZ-<br />
ZANDER - allerdings nur <strong>im</strong> Kontext pädagogischer Anstrengungen (MEISTER/SANDER)<br />
bzw. anzustrebender Veränderungen <strong>im</strong> Schulsystem (AUFENANGER): Hier ist von<br />
flexiblen Zeitzonen, von einem Rollenwandel der Lehrenden hin zu Lernberatern, zu<br />
Coachs für Wissensmanagement und Selbstregulierung, sowie von einer Gleichwertigkeit<br />
der drei Lernformen ‘individuelles netzunterstütztes Lernen’, ‘kooperative Lernprozesse in<br />
Gruppen und Projekten’ sowie ‘soziale Lernprozesse <strong>im</strong> Klassenverband’ die Rede. 226<br />
Ziehen wir an dieser Stelle ein Fazit: Der <strong>Diskurs</strong> um den Einsatz des <strong>Internet</strong> als<br />
didaktisches Medium wird auf einem relativ hohen Reflexionsniveau geführt (wenn sich<br />
auch viele spätere Beiträge wie Fußnoten zu DÖRING 1995 lesen). Ausgeblendet bleiben<br />
<strong>im</strong> didaktischen und schul<strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>-<strong>Diskurs</strong> freilich meistens<br />
gesellschaftliche Veränderungsprozesse <strong>im</strong> Zeichen des <strong>Internet</strong>.<br />
Während Lernsoftware bzw. pädagogisch gestaltete Hypermedia-Lernumgebungen<br />
geeignet erscheinen, über individualisiertes (adaptives) und mult<strong>im</strong>ediales (mult<strong>im</strong>odales<br />
und multikodiertes) Lernen in effektiver und effizienter Weise geschlossenes<br />
systematisiertes Wissen und genau definierte Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln,<br />
hat die ‘Lernwelt <strong>Internet</strong>’ (FASCHING) den - angesichts des zunehmend schnelleren<br />
Veraltens inhaltlichen Wissens erheblichen - Vorteil der größeren Offenheit und der<br />
besseren Lernchancen für weiter gefasste Kompetenzen, für Schlüsselqualifikationen auf<br />
einer formalen Ebene. Diese Kompetenzen erschließen sich jedoch nicht allen<br />
Nutzerinnen gleichermaßen ‘von selbst’, sondern entwickeln sich in Abhängigkeit etwa<br />
von (nicht nur medien-)sozialisatorischen und infrastrukturellen Faktoren sowie<br />
225 DÖRING 1995, S. 334<br />
226 vgl. AUFENANGER 1995, S. 62; MEISTER/SANDER 1999, S. 42f.; FEUERSTEIN 1999, S. 193f.;<br />
SCHULZ-ZANDER 1997, S. 10f.<br />
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pädagogischer Intervention. Pädagogische Institutionen und insbesondere die<br />
allgemeinbildenden Schulen stehen daher in der Verantwortung, eine gemeinsame Basis<br />
metakognitiver und metamotivationaler Strategien zum Wissensmanagement und zur<br />
Selbstregulation zu vermitteln. 227<br />
4.2.2. Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong><br />
Wie ist mit dem Inhalt ‘<strong>Internet</strong>’ in der schulischen und außerschulischen Pädagogik<br />
umzugehen? Wie soll der Erwerb welches computer- und internetbezogenen Wissens<br />
gefördert werden? Kann bzw. sollte es eine spezifische Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong><br />
geben? Und wie ist ‘Medienkompetenz’ <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong> zu buchstabieren? Diese<br />
Fragen sollen uns <strong>im</strong> Folgenden beschäftigen.<br />
<strong>Internet</strong>- und computerbezogenes Wissen wird von TULLY unterschieden in technisches<br />
Grundlagenwissen (‘Basics’), konkretes Anwendungswissen sowie soziales Wissen. 228<br />
Den verschiedenen Wissensformen ordnet TULLY dann geeignete Lernorte und -weisen<br />
zu: Während die Schule als institutioneller Bildungsträger Grundlagenwissen besser als<br />
und soziales Wissen ebensogut wie informelle Angebote vermitteln könne, sei sie für das<br />
ständig zu innovierende Anwendungswissen nicht zuständig zu machen: „[...] die<br />
Dynamisierung des Softwarewissens bedingt es, daß für die Schule gar nicht antizipierbar<br />
ist, welche beruflichen Kontexte und welche Programmtypen für die ‘Ernstsituation’ einmal<br />
Anwendung finden werden“. 229<br />
Ich teile TULLYs Einschätzung, dass Wissen über soziale Bedingungen und<br />
Konsequenzen computer-/netztechnischer Entwicklungen durch Schule, Jugendarbeit und<br />
‘alte’ Medien gleichermaßen - wenn auch auf je spezifische Weise - vermittelt werden<br />
kann. (Zu fragen wäre hier, ob und inwieweit etwa Schule solche Themen tatsächlich<br />
behandelt.) Widersprechen möchte ich dagegen sowohl der These, das<br />
227 vgl. DÖRING 1995, S. 327<br />
228 siehe oben unter 3.1.2; vgl. TULLY 1994, S. 294 sowie S. 186ff.; unter dem Begriff des<br />
Anwendungswissens fasse ich hier zusammen, was TULLY ausdifferenziert in (je auf eine spezifische<br />
Anwendung oder Programmiersprache bezogenes) ‘Funktionswissen’ sowie (über einzelne<br />
Anwendungen hinausgehendes) ‘kombinatorisches Wissen’ als Kompetenz, gegebene Probleme unter<br />
Nutzung der verfügbaren Hard- und Software zu lösen<br />
229 a.a.O., S. 183<br />
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anwendungsbezogenes Computerwissen nicht in die Schule gehört, als auch der<br />
umgekehrten, dass die Vermittlung von Grundlagenwissen hier, und nur hier, besonders<br />
gut aufgehoben sei - beiden Thesen lassen auf mangelnde didaktische Reflexion<br />
schließen.<br />
Letztere beruht auf einem sehr verengten, mit konstruktivistischen Ansätzen<br />
unvereinbaren Wissensbegriff. <strong>Das</strong> lässt sich daran zeigen, wie TULLY eine definitorische<br />
Grenzlinie errichtet zwischen seinem Begriff schulisch zu vermittelnden<br />
Grundlagenwissens einerseits und den <strong>im</strong> individuellen Umgang mit dem Computer<br />
erworbenen Kompetenzen der ‘Computerkids’ andererseits: Deren „begriffsloses<br />
Hantieren mit den Apparaten durch Eingabe von unbegriffenen Buchstabenfolgen“ habe<br />
„mit Wissen [...] nur wenig zu tun“. Als Beispiel hierfür erwähnt TULLY ein Kind, welches<br />
ihm „ohne Wissen dessen, was die Befehle ‘run’ und ‘load’ bedeuten“, diese als „(in<br />
deutscher Aussprache gemachte) Vorgaben [...] mit denen etwas bewirkt werden kann“<br />
erklärt habe. <strong>Das</strong> Beispiel macht deutlich, dass TULLY ‘Wissen’ hier normativ fasst, als<br />
Kenntnis best<strong>im</strong>mter gesetzter Inhalte: Gerätekunde, Betriebssystem, Algorithmik,<br />
Binärsystem. 230 Dem ist aus konstruktivistischer Perspektive entgegenzuhalten, dass<br />
‘Wissen’ nicht auf Wahrheit überprüft werden kann, sondern auf Tauglichkeit (Viabilität) in<br />
best<strong>im</strong>mten Situationen. 231 Aus dieser Sicht reicht es völlig aus, zu wissen, dass der<br />
Befehl ‘run’ in der verwendeten Programmiersprache (vermutlich BASIC) das Starten<br />
eines Programms bewirkt. Die englische Bedeutung (‘lauf!’) zu kennen, mag das Behalten<br />
dieses Befehls erleichtern; diese ‘Wissensgrundlage’ hätte aber das betreffende Kind in<br />
keiner Weise medienkompetenter gemacht, oder es gar besser auf die heutige Gegenwart<br />
vorbereitet - eine Gegenwart, in der BASICProgrammieren nicht mehr besonders<br />
gebräuchlich ist (Ausnahme: Microsofts ‘Visual Basic’), Programme meist mit einem<br />
Doppelklick auf ein Symbol gestartet werden und nur Mathematikerinnen,<br />
Medienphilosophlnnen und Programmierlnnen sich noch ernstlich für das Binärsystem<br />
interessieren. Es ist erstaunlich, dass gerade TULLY, dessen zentrale These der<br />
Bedeutungsgewinn informeller Bildungsprozesse in der Informationsgesellschaft ist, hier<br />
230 a.a.O., S. 293ff. - TULLY hat hier den von TURKLE (1998, S. 62) beschriebenen, mit der Einführung<br />
graphischer Benutzeroberflächen einhergehenden Bedeutungswandel von ‘Transparenz’ - von<br />
‘Durchschauen der zugrundeliegenden Funktionsmechanismen’ hin zu ‘leichte Bedienbarkeit’ - noch nicht<br />
mitvollzogen<br />
231 vgl. SCHMIDT 1996, S. 96<br />
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die individuellen Lernformen <strong>im</strong> Umgang mit ‘den Sachen’ - seit ROUSSEAU Königsweg<br />
der Didaktik! - so geringschätzt.<br />
Mangelnde didaktische Reflexion lässt sich TULLY auch in Bezug auf seine These von<br />
der schulischen Ununterrichtbarkeit des Anwendungswissens 232 vorwerfen: So kann zwar<br />
m.E. durchaus von einem schnellen Veralten von ganz konkret auf ein best<strong>im</strong>mtes<br />
Programm bezogenem Bedienungswissen gesprochen werden; angesichts der<br />
gleichzeitig beobachtbaren Entwicklung hin zu intuitiver Benutzerführung, zu „geringeren<br />
Zugangshürden und einer hohe Diversifizierung komplexer Programme“, die „fast alle der<br />
gleichen Strukturierungslogik folgen“ 233 , kann jedoch an gezielt ausgewählter Software<br />
exemplarisch vermitteltes Bedienungswissen durchaus seinen Platz in der Schule<br />
finden 234 - wo denn deren Ausstattung sowie die Qualifikation der LehrerInnen solches<br />
zulässt.<br />
Haltbar erscheint TULLYs These somit nur in der abgemagerten Form, dass schulische<br />
Bildung einen Beitrag zur Vermittlung sozialen und technischen Wissens leisten kann -<br />
letzteres vielleicht besser systematisiert, dafür in weniger tagesaktueller Form als<br />
informelle Lernorte - und auch soll; das aber weniger aus Gründen ihrer größeren<br />
Fähigkeit, Grundlagen zu vermitteln (zumal sowohl die Best<strong>im</strong>mung und Systematisierung<br />
des ‘Grundlagenwissens’ als auch dessen Abgrenzung von exemplarisch erworbenem<br />
Anwendungswissen - also etwa der Erkenntnis, dass gegenwärtig in den meisten<br />
Programmen die Tastenkombination ‘Strg+Z’ die vorangegangene Aktion rückgängig<br />
macht - offenkundig Schwierigkeiten bereitet), als vielmehr aus dem bei<br />
SCHWAB/STEGMANN ausgeführten Motiv der Herstellung von Chancengleichheit. 235<br />
Wie relevant aber sind computer- und internetbezogene Inhalte überhaupt? Wir haben<br />
oben Positionen kritisiert, die das <strong>Internet</strong> didaktisch instrumentalisieren - etwa zur<br />
Steigerung der Motivation der Lernenden oder der Effizienz des Lernens - und das mit der<br />
232 diese Formulierung findet sich so bei TULLY nicht; sie spitzt jedoch seine These pointiert zu und<br />
verweist auf die Ähnlichkeit seiner Argumentationsfigur zu der seit längerem in der Musikpädagogik<br />
geführten Diskussion über die ‘Ununterrichtbarkeit der Popularmusik’ (JÜRGEN TERHAG) - genauer: der<br />
von SchülerInnen gehörten Popmusik - bedingt (unter anderem) durch deren schnellen Wandel<br />
233 SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 91; vgl. auch a.a.O., S. 216<br />
234 exemplarisches Lehren und Lernen wird ausführlich thematisiert bei KLAFKI 1996, S. 141ff.<br />
235 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 209ff. sowie S. 258; siehe auch oben unter 3.1.2. und 1.2.3<br />
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Nutzung dieses Instruments einhergehende „Erlernen von Fertigkeiten <strong>im</strong> Umgang mit<br />
dem Medium Computer/<strong>Internet</strong>“, so bei FASCHING, nur als Zusatznutzen, als<br />
erfreulichen Nebeneffekt ansehen. 236 Wenn aber ‘<strong>Internet</strong>’ und ‘Netzkompetenzen’ zu<br />
Inhalten eigenen Rechts erklärt werden, droht dann nicht eine Rückkehr zum in den 80er<br />
Jahren dominierenden technizistischen Paradigma der Computerbildung - einem<br />
Paradigma, das von MEISTER/SANDER m.E. zu Recht als Irrweg bezeichnet wird? 237<br />
<strong>Das</strong> am Beispiel des Inhalts ‘Programmieren in BASIC’ gezeigte schnelle Veralten<br />
vermeintlicher ‘Grundlagen’ computerbezogenen Wissens lässt sich in ähnlicher Weise für<br />
den Bereich des <strong>Internet</strong> wiederfinden: <strong>Das</strong> Programmieren von WWW-Seiten in html<br />
etwa stand 1997 bei FASCHING noch <strong>im</strong> Zentrum der didaktischen Behandlung des<br />
Inhalts ‘<strong>Internet</strong>’ 238 , inzwischen genügt ein rud<strong>im</strong>entäres Anwendungswissen, um mit<br />
komfortablen Editoren (die automatisch html-Code generieren) WWW-Seiten gestalten zu<br />
können. Zu dieser Entwicklung passt MEISTER/SANDERs Beobachtung, dass<br />
gegenwärtig „in der bildungspolitischen und -theoretischen Debatte über den Umgang mit<br />
den Neuen Medien die technische Bedienungsfähigkeit in den Hintergrund [rücke] und die<br />
Nutzung bzw. die Inhalte der Medienkommunikation selbst [...] zentralen Stellenwert“<br />
bekamen. 239 <strong>Das</strong> explizit Technische verschwindet zwar nicht, aber es erfordert <strong>im</strong><br />
Zeitalter der ‘intuitiv’ bedienbaren graphischen Benutzeroberflächen nur noch <strong>im</strong> Falle der<br />
Nichtfunktion gezielte Aufmerksamkeit.<br />
236 FASCHING 1997, S. 86<br />
237 vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 47<br />
238 vgl. FASCHING 1997, S. 107<br />
239 MEISTER/SANDER 1999, S. 48<br />
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Nur konsequent erscheint da KÜBLERs Postulat, pädagogisches Trachten dürfe sich nicht<br />
darin erschöpfen, das Medium <strong>Internet</strong> als Objekt kennenzulernen - da das Netz aufgrund<br />
seiner Universalität keine spezifischen medialen Objektqualitäten mehr habe. Mithin sei<br />
das Netz aus pädagogischer Perspektive pr<strong>im</strong>är Instrument und Mittel für Inhalte, die mit<br />
ihm transportiert würden. Weitergehende internetbezogene medienpädagogische<br />
Aufgabenstellungen ließen sich nur radikal subjektorientiert, über die diversen<br />
individuellen Weisen seiner Nutzung gewinnen. 240 <strong>Das</strong> hieße: Eine Pädagogik des<br />
Mediums <strong>Internet</strong> kann es nicht geben, bzw. es kann sie nur als völlig individualisierte<br />
Pädagogik geben, die dann freilich auf der medialen Ebene kein Gemeinsames mehr<br />
hätte.<br />
Dem ist dreierlei entgegenzuhalten: Erstens lässt das <strong>Internet</strong> zwar <strong>im</strong> Prinzip beliebige<br />
Nutzungsweisen zu, dennoch lassen sich geronnene überindividuell typische Formen in<br />
großer Zahl beschreiben. Diese entstehen über Formen kollektiven Wissens (SCHMIDT)<br />
bzw. gehärtete kulturelle Konstruktionen (‘Medien zweiter Ordnung’ nach SCHMID), oder<br />
soziotechnisch vermittelt, über standardisierende Software (Browser, vernetzte Spiele<br />
u.a.) und Netzangebote (hier wäre z.B. auf ‘Channels’ und auf sogenannte ‘Portale’ -<br />
Websites, die sich als Startseite ins WWW anbieten - zu verweisen).<br />
Zweitens mögen ‘dem <strong>Internet</strong>’ vielleicht spezifisch mediale Qualitäten ermangeln - seine<br />
Dienste, etwa als populärster das WWW, haben solche Qualitäten fraglos. So weist<br />
BORRMANN aus der Perspektive der modernen Textlinguistik darauf hin, dass<br />
Hypertextualität bzw. die Produktion von WWW-Hypertexten <strong>im</strong> Deutschunterricht<br />
SchülerInnen dazu verhelfen könne, sich „handelnd mit einem geeigneten Modell für<br />
Texte vertraut [zu] machen“. 241<br />
Drittens schließlich mag die oben beschriebene gesellschaftsverändernde Dynamik des<br />
<strong>Internet</strong> überindividuelle Problemlagen (Telearbeit, zunehmende Notwendigkeit von<br />
Netzkompetenzen auf dem Arbeitsmarkt und <strong>im</strong> Alltagsleben usw.) hervorzubringen; und<br />
oben unter 2.3.2. wurde gezeigt, dass systemisch bedingte Problemlagen eine<br />
Vernetzung der Betroffenen und verständigungsorientierte <strong>Diskurs</strong>e auslösen können. In<br />
diesem Sinne fordert SCHORB, dass eine Pädagogik, die „die Heranwachsenden zu<br />
240 vgl. KÜBLER 1997a, S. 7f. sowie ders. 1997b, S. 55<br />
241 vgl. BORRMANN 1997, S. 16<br />
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Partizipation in der Gesellschaft und Selbstbest<strong>im</strong>mung ihres Handelns“ befähigen wolle,<br />
sich als aufklärende politische Bildung verstehen müsse und als solche die zentrale<br />
Aufgabe habe, Struktur und komplexe gesellschaftliche Auswirkungen der Informations-<br />
und Kommunikationstechniken verstehbar zu machen. 242<br />
An allen drei Punkten könnte eine Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong> ansetzen - freilich<br />
<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Bewusstsein, dass das gegenwärtige <strong>Internet</strong>, der gegenwärtige Stand<br />
gesellschaftlicher Informatisierung nicht das Ende der Fahnenstange (respektive der<br />
Geschichte) ist. - Wie sähe nun eine solche Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong> aus? Und<br />
wie sollte sich ihr Verhältnis zur allgemeinen Pädagogik und zur ‘allgemeinen’<br />
Medienpädagogik best<strong>im</strong>men?<br />
MEISTER/SANDER zeigen Parallelen zwischen Entwicklungen in der allgemeinen und in<br />
der medienbezogenen Bildung auf: Die rasante technische Entwicklung <strong>im</strong> Medienbereich<br />
hier, sowie die Quantität, Komplexität und das schnelle Wachstum des für SchülerInnen<br />
(bzw. Lernende allgemein) relevanten Wissens dort führten zu einer Entwertung<br />
systematisierter Wissensinhalte. 243 Wie <strong>im</strong> schulischen Bereich die Möglichkeit,<br />
‘Allgemeinbildung’ über kanonisierte Inhalte und geschlossene Curricula zu definieren,<br />
zunehmend fragwürdig werde, zeige sich auch <strong>im</strong> Bereich der Neuen Medien die<br />
Untauglichkeit festgelegten Faktenwissens. Auf beiden Ebenen werde daher eine Lösung<br />
<strong>im</strong> Bereich formaler Qualifikationen gesucht: dort Schlüsselqualifikationen, Lernen des<br />
Lernens und Suchkompetenz (‘wo finde ich diese Information’), hier Medienkompetenz.<br />
Dabei sei mit abnehmender Wichtigkeit dezidiert technischen Wissens für Computer- und<br />
<strong>Internet</strong>nutzung eine wachsende Angleichung der für schriftliche, audiovisuelle und eben<br />
digitale Medien erforderlichen Medienkompetenzen festzustellen. 244<br />
So hat auch THIELES integrativer medienpädagogischer Ansatz den Anspruch,<br />
Leseerziehung, Medienerziehung und bisherige Ansätze informationstechnischer Bildung<br />
zu vereinen. Dieser Integration pädagogischer Inhalte wird eine einheitliche<br />
Zielperspektive an die Seite gestellt: Eine „spezielle <strong>Internet</strong>-, Mult<strong>im</strong>edia- oder<br />
Cyberspace-Pädagogik“ sei obsolet, unter den gleichbleibenden übergreifenden Zielen<br />
242 SCHORB 1995b, 5. 25<br />
243 hier liegt eine Parallele zu SCHMIEDES Theorem der Entqualifizierung von Arbeit (siehe oben unter<br />
3.1.1.)<br />
244 MEISTER/SANDER 1999, S. 48f.<br />
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medienpädagogischer Arbeit (die hier als Kompetenzbereiche von Medienkompetenz<br />
formuliert werden; ich kommen unten darauf zurück) müsse lediglich nach den jeweils<br />
„neuen bzw. modifizierten Qualifikationen und Haltungen“ gesucht werden, die „wir zur<br />
aktiven und verantwortungsvollen Mitgestaltung unserer zukünftigen Lebenswelt<br />
benötigen“. 245<br />
Die Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong> wird hier also verortet als ein Teilgebiet einer<br />
einheitlichen Medienpädagogik; diese Medienpädagogik, so THIELES Forderung, solle <strong>im</strong><br />
Bildungsauftrag aller Schulformen fest installiert werden - und dort quer durch alle Fächer:<br />
diese sollen „medienbezogene Themen und Lernfelder verbindlich [...] berücksichtigen,<br />
systematisch [...] verorten und ihre Bearbeitung miteinander ab[ ... ]st<strong>im</strong>men“. THIELE<br />
macht sich hier Forderungen der GMK (Gesellschaft für Medienpädagogik und<br />
Kommunikationskultur) zu eigen, die als Reaktion auf den Orientierungsrahmen<br />
„Medienerziehung in der Schule“ der BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung<br />
und Forschungsförderung) von 1995 formuliert wurden. 246<br />
<strong>Das</strong> Postulat medienpädagogischer Breitenbildung wird bei SCHORB gesellschafts- und<br />
sozialisationstheoretisch fundiert: Medienpädagogik stehe heute vor der „Aufgabe zu<br />
generalisieren. Die Notwendigkeit, sich über die Beschränkung einer speziellen<br />
Pädagogik zu erheben, folgert aus der Omnipräsent und der stetig zunehmenden<br />
Bedeutung der Medien selbst“. Eine Entwicklung der Medienpädagogik zu einer „neuen<br />
Universalpädagogik“ wird - <strong>im</strong> Kontext der Verbreitung des <strong>Internet</strong> - auch bei KÜBLER<br />
prognostiziert; er schließt dann aber die Frage an, ob man eine solche Pädagogik noch<br />
‘Medienpädagogik’ nennen könne. Ähnlich wie SCHORB und KÜBLER, jedoch mit<br />
anderen inhaltlichen Vorstellungen, argumentiert OPASCHOWSKI: Je größer der<br />
sozialisatorische Einfluß der Medien sei, desto mehr müssten Erziehung und<br />
Allgemeinbildung auch Medienerziehung und –bildung sein. 247<br />
245 THIELE 1997<br />
246 ebd.; diesen ‘Orientierungsrahmen’ betrachtet auch MIKOS (1997, S. 69) lediglich als einen<br />
„bescheidenen Anfang“ auf dem Weg zu einer anzustrebenden umfassenden Verankerung von<br />
Medienerziehung in den Lehrplänen<br />
247 SCHORB 1995b, S. 25 sowie KÜBLER 1997a, S. 8; vgl. OPASCHOwSKI 1999, S. 90 (mit Rekurs auf H.<br />
MOSER)<br />
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Eine Pädagogik des Mediums <strong>Internet</strong>, so der Zwischenstand, ist in den weiteren Rahmen<br />
der allgemeinen Medienpädagogik einzuordnen, deren Ziel die Förderung von<br />
Medienkompetenz ist. Diese Medienpädagogik erhebt - ebenso wie übrigens die bei<br />
PRENGEL vorgestellten Formen einer ‘Pädagogik der Vielfalt’: Interkulturelle,<br />
Feministische und Integrative Pädagogik 248 - zunehmend den Anspruch, keine spezielle<br />
Pädagogik zu sein, sondern vielmehr Kernbestandteil allgemeiner Pädagogik, sofern<br />
diese die Herausforderungen reflexiver Modernisierung annehmen will (also u.a. die<br />
Individualisierung von Lebenswelten und die Mediatisierung von Kommunikation).<br />
Bevor wir dazu übergehen, die Konzeption einer Erziehung zu Medienkompetenz<br />
inhaltlich zu füllen, soll hier den Fragen nachgegangen werden, welcher Handlungsbedarf<br />
auf welchen Handlungsebenen in der medien<strong>pädagogischen</strong> Reflexion gesehen wird, und<br />
welche Kompetenzen bei Erziehenden für nötig erachtet werden, damit Medienkompetenz<br />
erfolgreich gefördert werden könne.<br />
Handlungsebenen für eine Medienpädagogik <strong>im</strong> Zeichen der Computernetze und der auf<br />
diesen jeweils gesehene Handlungsbedarf thematisiert MIKOS; er nennt hier fünf<br />
Aufgabenfelder: <strong>Das</strong>jenige der Theorie und Forschung, dasjenige der Medien-, Schul- und<br />
Bildungspolitik, dasjenige der medien<strong>pädagogischen</strong> Arbeit als Erziehung zu<br />
Medienkompetenz, dasjenige der Mediendidaktik und dasjenige der Aus- und Fortbildung<br />
für PädagogInnen. 249 Gehen wir diese fünf Felder der Reihe nach durch.<br />
Theorie und Forschung wird bei MIKOS die Aufgabe der Begriffsklärung und der<br />
Entwicklung handlungsleitender Konzeptionen von Medienkompetenz zugewiesen. Man<br />
sollte m.E. die von SCHORB benannte Aufgabe hinzufügen, Forschungsergebnisse<br />
anderer Disziplinen zum <strong>Internet</strong> und seiner gesellschaftsverändernden Dynamik zu<br />
rezipieren. 250<br />
Auf der politischen Ebene fordert MIKOS metapädagogisches Engagement: Einsatz<br />
medienpädagogischer Akteurinnen für institutionelle Verankerung und finanzielle<br />
Absicherung von Medienpädagogik bzw. Medieninfrastruktur (Netzzugang) und<br />
Medienkompetenzerwerb nämlich.<br />
248 vgl. PRENGEL 1995<br />
249 vgl. MIKOS 1997, S. 68ff.<br />
250 vgl. SCHORE 1995b, S. 26; siehe auch oben unter 1.1.3.<br />
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Der Ebene der medien<strong>pädagogischen</strong> Arbeit kommt hier der Auftrag zu, die von Theorie<br />
und Forschung entwickelte Konzeption von Medienkompetenz in die Praxis umzusetzen.<br />
Diese deduktive Konzeption wird dadurch relativiert, dass MIKOS den Bedürfnissen des<br />
konkreten Klientel einen zentralen Platz in seinem Theoriegebäude zugesteht und mit<br />
THEUNERT für die pädagogische Praxis die Aufgabe formuliert, „Räume zu öffnen, die<br />
das selbstbest<strong>im</strong>mte Erproben von Mult<strong>im</strong>edia-Welten erlauben, und zwar eingebettet in<br />
soziale lnteraktionsprozesse“. 251 Man könnte dennoch kritisch ein theoretieorientiertes<br />
Dominanzmodell vermerken; gegen dieses ließe sich, mit BADERS radikaler<br />
Formulierung, halten: „Die Kriterien für den Erfolg einer Praxis kommen aus der Praxis“ 252 ;<br />
zumindest wäre aber ein gleichberechtigtes Austauschverhältnis von Theorie und Praxis<br />
zu fordern. Eine offenere Konzeption auf der Ebene der <strong>pädagogischen</strong> Praxis entwickelt<br />
RÖLL mit seiner ‘Pädagogik der Unschärfe’: Hier hat die Pädagogin/der Pädagoge nicht<br />
mehr die Aufgabe, inhaltliche Vorgaben zu machen, sondern soll statt dessen einen<br />
Lernzusammenhang zu strukturieren, ein Feld vorzugeben, in welchem es sein könne,<br />
„dass sich Aufgaben entwickeln, die ich [= der Pädagoge, S.D.1 vorher gar nicht kannte,<br />
weil die Klientel [...] eigene Kompetenzen, eigene Erfahrungen, eigene Wünsche, eigene<br />
Suchbewegungen mit einbringt“. 253<br />
Auf die didaktische Ebene sind wir unter 4.2.1. hinreichend eingegangen; hier soll nur<br />
erwähnt werden, dass MIKOS diese Ebene auf den Bereich der Spiele und<br />
Lernprogramme beschränkt abhandelt und nicht die Chancen der ‘Lernwelt <strong>Internet</strong>’ sieht.<br />
Mit dem Bereich der Aus- und Fortbildung (von PädagogInnen bzw. Multiplikatorinnen)<br />
wollen wir uns gleich <strong>im</strong> Anschluss auseinandersetzen. Hier sollen noch zwei quer zu den<br />
von MIKOS genannten Handlungsfeldern liegende Aufgabenzuweisungen an<br />
Medienpädagogik benannt werden: So fordert HAEFNER ein Schritthalten der Pädagogik<br />
mit der Innovationsgeschwindigkeit der Hard- und Softwareindustrie, und SCHORB<br />
postuliert ein Aufspüren und Weitergeben subkulturell-alternativer Netznutzungsweisen. 254<br />
251 HELGATHEUNERTzit. nach MIKOS 1997, S. 68f.<br />
252 ROLAND BADER, mündlicher Beitrag auf der Konnekt-Tagung am 19.11.1999 (ich zitiere nach meiner<br />
Mitschrift)<br />
253 SCHORB/RÖLL 1999, S. 21<br />
254 vgl. HAEFNER 1995, S. 107 sowie SCHORB 1995b, S. 27<br />
81
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Wenden wir uns also der Fragestellung zu, welche Kompetenzen Erziehende brauchen,<br />
um Medienkompetenzen bei ihrem Klientel fördern zu können. THIELE nennt hier als<br />
Min<strong>im</strong>alforderung eigene Erfahrungen mit dem Medium: „Kenntnis, Erprobung und<br />
Reflexion der unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten und ihrer möglichen<br />
Konsequenzen“. Mit Bezug auf die oben erwähnte Stellungnahme der GMK zur Förderung<br />
einer umfassenden Medienerziehung in der Schule werden sodann<br />
Konkretisierungsvorschläge für den Bereich der Lehrerbildung gemacht: von<br />
medien<strong>pädagogischen</strong> Pflicht und Wahlpflichtangeboten <strong>im</strong> Lehramtsstudium, von<br />
obligatorischen Fortbildungen für Fachseminarleiterlnnen, vom übergreifenden Ziel eines<br />
medien<strong>pädagogischen</strong> Curriculums für jede Schule und von der Installation einer Funktion<br />
‘Fachberaterin Medienpädagogik’ ist hier die Rede. Inhaltlich wird eine klare<br />
pädagogische (also keine pr<strong>im</strong>är technische) Orientierung der Multiplikatorlnnenbildung<br />
angestrebt. 255 Problematisch erscheint mir der Zwangscharakter der angestrebten<br />
Maßnahmen; angesichts der aktuellen Situation des medien<strong>pädagogischen</strong> Lehrangebots<br />
an deutschen Universitäten, des evidenten Missverhältnisses zwischen (sozio-)<br />
technischen Entwicklungen und deren Berücksichtigung in der akademischen<br />
LehrerInnenausbildung 256 , erscheinen mir die genannten Postulate als<br />
Max<strong>im</strong>alforderungen dennoch politisch sinnvoll.<br />
Aktuelle Ansätze in der medien<strong>pädagogischen</strong> LehrerInnenfortbildung thematisiert<br />
ESCHENAUER. Hier wird sowohl eine Vernachlässigung der medienbezogenen<br />
Lehrerfortbildung von staatlicher und institutioneller Seite als auch mangelnde<br />
Fortbildungsbereitschaft seitens der LehrerInnenschaft problematisiert. Wie THIELE<br />
spricht sich auch ESCHENAUER ferner für (schulinterne wie auch schulexterne)<br />
Medienberaterinnen aus. Inhaltlich wird zum einen für eine LehrerInnenbildung nach den<br />
Prinzipien handlungsorientierter Medienpädagogik - d.h., medienpädagogische<br />
Kompetenz wird erworben über den produktiven ‘Umweg’ des Erwerbs bzw. der Reflexion<br />
eigener Medienkompetenz - plädiert, zum anderen mit BAACKE für eine Perspektivierung<br />
medientechnischen Wissens „in den Horizont menschlicher Kompetenz zur<br />
Selbstentfaltung“. 257 Mit MEISTER/SANDER und DÖRING wäre darüber hinaus eine<br />
255 THIELE 1997<br />
256 vgl. KETZER 1999, Kap. 10<br />
257 ESCHENAUER 1997, S. 52<br />
82
Befähigung von PädagogInnen zur Vermittlung von metakognitiven und<br />
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metamotivationalen Strategien, zur Förderung von Kompetenzerwerb zu fordern. Mit<br />
anderen Worten: Lehrende müssen lernen, Lernstrategien zu lehren, bzw. günstige<br />
Umgebungen für deren Erwerb zu schaffen. 258<br />
Hier kann HAEFNERs Aufgabenbest<strong>im</strong>mung für Lehrende in der computerisierten<br />
Gesellschaft anschließen: Diese müssten Gestalterinnen von Lernumgebungen aus<br />
interaktiven Medien und sozialem Miteinander sein und sollten sich ferner auf der<br />
ethischen Ebene am „Prozeß der Entwicklung von Werten, Normen und Zielen“ in einer<br />
zunehmend informatisierten, soziotechnisch integrierten Gesellschaft beteiligen. Aus<br />
dieser Aufgabenbest<strong>im</strong>mung leite sich die Untauglichkeit des gegenwärtigen<br />
„Zweifachstudiums“ <strong>im</strong> Lehramt sowie die Notwendigkeit einer zwischen akademischer<br />
Ausbildung und Lehrtätigkeit eingeschobenen Phase außerschulischer Berufstätigkeit ab,<br />
die dem Lehrer vermitteln soll, „in welcher - sich rasch verändernden - Welt seine<br />
SchülerInnen und Schüler später leben werden“. 259 Hier verstrickt sich HAEFNER freilich<br />
in Paradoxa: Vorausgesetzt, der diagnostizierte schnelle Wandel wird nicht als einmaliger,<br />
sondern als permanenter Veränderungsprozess aufgefasst, wäre die Arbeitswelt, welche<br />
der werdende Lehrer aktiv kennenlernt, eine ganz andere als die, in der später, nach<br />
einigen Dienstjahren, die Eltern seiner SchülerInnen tätig sind, und nochmals eine ganz<br />
andere als die, in der diese SchülerInnen dann selbst arbeiten werden - so sie denn<br />
arbeiten werden.<br />
So bleibt festzuhalten, dass eine Bildungsplanung mit der Zielperspektive<br />
‘Medienkompetenz für alle’ zumindest einen zweigleisigen Ausbau der <strong>pädagogischen</strong><br />
Aus- und Fortbildung nahelegt:<br />
Auf der einen Seite müssten (angehende) PädagogInnen vermehrt Chancen erhalten,<br />
vielfältige Erfahrungen mit diversen Medien zu sammeln, und darunter auch<br />
konsumierende, recherchierende und gestaltende <strong>Internet</strong>nutzung kennen zu lernen.<br />
<strong>Das</strong>s in der Lehrerausbildung Veranstaltungen, die explizit solche Inhalte thematisieren,<br />
noch eher spärlich anzutreffen sind und vermutlich auch der Anteil von PädagogInnen, die<br />
sich in dieser Richtung fortbilden, noch marginal ist, muss freilich nicht gleich in die<br />
258 vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 42 sowie DÖRING 1995, S. 327<br />
259 HAEFNER 1995, S. 106f.<br />
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HAEFNERsche ‘neue Bildungskatastrophe’ führen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass<br />
auch bei Lehrenden und Pädagogikstudentlnnen häufig ein informeller Erwerb von<br />
<strong>Internet</strong>erfahrungen/-kompetenzen <strong>im</strong> Alltag bzw. be<strong>im</strong> instrumentellen Netzeinsatz für<br />
Studium und Unterricht erfolgen wird. Freilich wäre eine verstärkte explizite<br />
Berücksichtigung medienpädagogischer Themen in der formalen <strong>pädagogischen</strong> Aus-/<br />
Fortbildung dennoch zu begrüßen.<br />
Auf der anderen Seite - und diese Forderung wird nicht nur <strong>im</strong> medien<strong>pädagogischen</strong><br />
<strong>Diskurs</strong> erhoben - müssten Lehrende für eine Didaktik jenseits der Instruktion qualifiziert<br />
werden, müssten verstärkt auf Tätigkeiten des Moderierens, der Unterstützung von<br />
Lernprozessen und der Gestaltung von Lernräumen vorbereitet werden.<br />
Wir haben nun den spezifischen Auftrag von Schule und außerschulischer Jugendarbeit<br />
angesichts der zunehmenden Relevanz und gesellschaftsverändernden Dynamik des<br />
<strong>Internet</strong> best<strong>im</strong>mt als ‘Vermittlung bzw. Förderung von Medienkompetenz’; wir haben<br />
diesen Auftrag für verschiedene Ebenen medien<strong>pädagogischen</strong> Handelns ausdifferenziert<br />
und haben seine infrastrukturellen Voraussetzungen diskutiert. Es steht nun die Frage an,<br />
wie diese Medienkompetenz auszusehen hat und wie sie in <strong>pädagogischen</strong> Prozessen<br />
vermittelt und gefördert werden kann.<br />
Medienkompetenz stelle heute, so MEISTER/SANDER, „so etwas wie eine ‘Zauberformel’<br />
dar. Dabei besteht einerseits weitgehend Konsens darüber, daß Medienkompetenz<br />
teilweise ein Resultat autodidaktischer Bemühungen ist und teilweise sogar en passant<br />
erworben wird, andererseits sind sich die Pädagogen weithin einig, daß der umfassenden<br />
Bewältigung von Anforderungen in der ‘Wissensgesellschaft’ nur mittels pädagogischer<br />
Förderung entsprochen werden kann“. 260 Der pädagogische Fachdiskurs über dieses<br />
Spannungsfeld von informellem und angeleitetem Medienkompetenzerwerb soll hier<br />
zunächst genauer betrachtet werden, bevor eine inhaltliche Füllung und Differenzierung<br />
von ‘Medienkompetenz <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong>’ erfolgen soll.<br />
Die Bedeutung informell erworbener bzw. ‘natürlicher’ Medienkompetenz wird etwa von<br />
AUFENANGER herausgestellt: Kinder und Jugendliche seien als „aktive Rezipienten, die -<br />
bewusst oder auch unbewusst - gezielt sich aus dem Medienangebot dasjenige<br />
aussuchen, was ihre Bedürfnisse befriedigt“ zu betrachten und seien somit<br />
260 MEISTER/SANDER 1999, S. 44<br />
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„medienkompetent in dem Sinne [...], daß sie größtenteils sinnvoll mit Medien umgehen<br />
können“ 261 . Auch BAACKE vertritt eine „grundsätzlich positive pädagogische Auffassung“:<br />
Kinder und Jugendliche könnten „alle Kommunikationsmöglichkeiten - die neuen und die<br />
alten - einigermaßen gut nutzen“. Unter Berufung auf Erkenntnisse der neueren<br />
Kindheitsforschung wird hier dem traditionellen Bild von Kindheit/Jugend als einer „supra-<br />
kulturell quasi anthropologisch festgelegten Wachstumsphase“ dasjenige eines<br />
„historisch-kulturellen Produkts sich wandelnder Verhältnisse“ entgegengestellt; die<br />
Pointe: Kinder seien nicht mehr als „bloße Rezipienten einer Erwachsenenkultur, in die sie<br />
allmählich hineinwachsen“, sondern vielmehr als aktive „Produzenten ihres<br />
Lebenszusammenhangs“, als „Personen aus eigenem Recht“ zu betrachten. Als<br />
Konsequenz fordert BAACKE einen <strong>pädagogischen</strong> Paradigmenwechsel weg von<br />
Erziehung, hin zum Dialog. 262<br />
Bezogen auf Mediennutzung, bedeutet das natürlich einen Abschied von der Idee einer<br />
erwachsenen Leitkultur; kindliche Mediennutzungsweisen bekommen einen Eigenwert<br />
und ‘Eigensinn’ zugesprochen.<br />
Während OPASCHOWSKI dieser These einer unproblematischen Mediennutzung bei<br />
Kindern und Jugendlichen qua ‘natürlicher’ Medienkompetenz kategorisch widerspricht 263 ,<br />
nehmen MEISTER/SANDER eine differenzierte Bewertung vor: Bisherige Beobachtungen<br />
ließen zwar vermuten, dass „eine sich wandelnde Medienwelt begleitet durch Phänomene<br />
einer Mediensozialisation <strong>im</strong> Sinne einer sich wandelnden (informellen) Lernumgebung<br />
[...] heutige Kinder und Jugendliche quasi ‘automatisch’ mit der notwendigen<br />
Medienkompetenz versorgen“ würde. Daher sei zu erwarten, dass die Medienerfahrungen<br />
gegenwärtig Heranwachsender deren zukünftigem Erwachsenenalltag näher seien als die<br />
261 AUFENANGER 1995, S. 59f.<br />
262 BAACKE 1997, S. 35f. - als Entdecker der Kindheit als Lebensphase eigenen Rechts gilt freilich schon<br />
ROUSSEAU, und auch die bei BAACKE (a.a.O.) pädagogisch geforderte „Bemü hung, uns auf eine<br />
authentische Kinderperspektive einzulassen“, ist ein alter Topos aus dem reform<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong>,<br />
dort meist unter dem Motto einer ‘Pädagogik vom Kinde aus’ postuliert. Anders als bei BAACKE wurde<br />
hier freilich meist mit einer stabilen, teleologisch gedachten Vision von der ‘Natur des Kindes’ operiert<br />
(vgl. OELKERS 1989, S. 73ff.); auch dialogische Modelle von Erziehung wurden bereits in den 1920er<br />
Jahren von MARTIN BUBER angedacht (vgl. OELKERS 1989, S. 149)<br />
263 OPASCHOWSKI 1999, S. 88: „Eine zukunftsorientierte Medienpädagogik darf sich nicht länger ebenso<br />
emanzipiert wie fortschrittsgläubig geben, indem sie einfach darauf vertraut, daß die Medien bei den<br />
Kindern ‘problemlos Verwendung finden’, weil sie vermeintlich selbständiger und kompetenter mit den<br />
Medien umgehen können, als die Erwachsenen ihnen zutrauen“<br />
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Lebenswelten gegenwärtig Erwachsener (inkl. PädagogInnen). Allerdings seien die<br />
genannten informell erworbenen Kompetenzen vorwiegend konsumptiver Art<br />
(„Unterhaltungskompetenz“). 264 Auch KÜBLER sieht die Tragweite informell erworbener<br />
Medienkompetenz auf den Konsumbereich beschränkt, mit Strukturveränderungen - etwa<br />
in Richtung Demokratisierung - sei auf diesem Wege nicht zu rechnen. 265<br />
Gegen diese Position ließen sich die von CHARLTON/NEUMANN-BRAUN für die<br />
Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen konstatierte „Spannung zwischen<br />
akzeptierender Annahme und widerständiger Skriptmanipulation“ 266 wie auch RÖLLs<br />
Beobachtungen aktiver und kreativer jugendkultureller Netzaneignung anführen.<br />
Außerdem dürfte es sich als empirische Unmöglichkeit erweisen, säuberlich zwischen<br />
funktional ansozialisierten und mit Hilfe pädagogischer Interventionen - bewusster oder<br />
unbewusster, elterlicher oder professioneller - erworbenen Medienkompetenzen zu<br />
unterscheiden. Beachtenswert erscheint mir jedoch MEISTER/SANDERs empirisch<br />
abgesicherte Erkenntnis, dass eine Mediennutzung zur gezielten - allgemeinen oder<br />
zweckbest<strong>im</strong>mten - Informationsbeschaffung nur von denjenigen sozialen Kontexten<br />
unterstützt werde, in denen ‘Wissen’ als relevantes Kapital gelte - also bildungsnahen<br />
Schichten und Milieus sowie der Institution Schule. 267<br />
Eine pädagogische Vermittlung bzw. Förderung von Medienkompetenz auf breiter Basis<br />
ließe sich also begründen über den Abbau sozialer Ungleichheiten, über eine Erweiterung<br />
des Horizonts der Nutzungsmöglichkeiten, über Emanzipation des Individuums (MIKOS:<br />
„Ziel der Medienmündigkeit muß es sein, die Handlungsmächtigkeit des einzelnen<br />
Individuums angesichts einer <strong>im</strong>mer undurchschaubareren, von technischen Geräten<br />
durchsetzten Welt zu fördern“ 268 ), über Kompetenzen zur demokratischen (Mit/Um-)<br />
Gestaltung von Medien, sowie negativ gewendet: Wenn Medienkompetenz, insbesondere<br />
computer- und internetbezogene, zunehmend den Rang einer grundlegenden, einer<br />
264 MEISTER/SANDER 1999, S. 50<br />
265 vgl. KÜBLER 1997b, S. 55<br />
266 MICHAEL CHARLTON und KLAUS NEUMANN-BRAUN zit. nach SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 30<br />
267 vgl. RÖLL 1999, S. 35 sowie MEISTER/SANDER 1999, S. 50f.<br />
268 MIKOS 1997, S. 70<br />
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‘vierten Kulturtechnik’ einn<strong>im</strong>mt 269 - wie sollte sich dann deren pädagogische (und vor<br />
allem: schulische) Nichtberücksichtigung rechtfertigen lassen?<br />
Kommen wir also auf die Frage zurück, wie - pädagogisch zu vermittelnde bzw. zu<br />
fördernde - ‘Medienkompetenz’ <strong>im</strong> Zeitalter der Computernetze inhaltlich zu füllen sei.<br />
Systematische Konzeptionen liegen hierzu von BAACKE und THIELE vor; beide sollen<br />
hier kurz vorgestellt werden.<br />
THIELE nennt vier Bereiche unspezifischer, also nicht auf ein konkretes Medium<br />
bezogener Medienkompetenz: Die reflektierte Nutzung (Nutzung <strong>im</strong> Bewusstsein der<br />
eigenen Motive), die aktive Nutzung (Nutzung für die Artikulation eigener Interessen), die<br />
Medienanalyse (inhaltliche Aussagen und Gestaltungsformen wahrnehmen, analysieren,<br />
verstehen und bewerten) sowie die Medienkritik (den sozio-ökonomischen Kontext der<br />
Medienproduktion einschätzen und für das eigene Handeln bewerten können). Diese<br />
Kompetenzbereiche werden gleichzeitig als übergreifende Ziele medienpädagogischer<br />
Arbeit benannt. 270<br />
Ähnlich, wenn auch mit anderen Akzenten, systematisiert BAACKE Medienkompetenz:<br />
Hier wird zunächst zwischen der D<strong>im</strong>ension der Vermittlung und derjenigen der<br />
Zielorientierung unterschieden; auf letzterer (eher der individuellen Verantwortung<br />
zugeschlagen) siedelt BAACKE dann die Bereiche ‘Mediennutzung’ und<br />
‘Mediengestaltung’ an, auf ersterer (eher der <strong>pädagogischen</strong> Verantwortung<br />
zugeschlagen) ‘Medienkunde’ und ‘Medienkritik’. 271 Diese Bereiche entsprechen inhaltlich<br />
weitgehend denjenigen bei THIELE (in gleicher Reihenfolge gelesen); durch die bei<br />
BAACKE eingeführte Unterscheidung zwischen Ziel- und Vermittlungsd<strong>im</strong>ension ergeben<br />
sich dennoch Differenzen.<br />
So haben Nutzung und Gestaltung bei THIELE stärkere pädagogischaufklärerische<br />
Konnotationen; die Reflexion der Nutzungsmotive - insbesondere, so ist zu vermuten, bei<br />
einer Mediennutzung zu Unterhaltungs- und Zerstreuungszwecken - und die instrumentell<br />
auf Interessenvertretung ausgerichtete Mediengestaltung stehen hier einem eher<br />
Unterhaltungskompetenz und Kreativität betonenden Verständnis bei BAACKE<br />
269 vgl. ZIELINSKI 1993, S. 207; TULLY 1994, S. 42f. sowie MEISTER/SANDER 1999, S. 46f.<br />
270 vgl. THIELE 1997 - die Benennung dieser Kompetenzbereiche habe ich in Zusammenfassung von<br />
THIELES Aussagen vorgenommen<br />
271 vgl. BAACKE 1999, S. 23f<br />
87
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gegenüber. So sinnvoll ein kritisches Hinterfragen eigener Nutzungsmotive und eine<br />
Nutzung des <strong>Internet</strong> als (sub-)politisches Artikulationsinstrument sein mögen: Pädagogik<br />
sollte m.E. erstens unterhaltungs-, entspannungs- und zerstreuungsbezogene<br />
Mediennutzung nicht generell als legit<strong>im</strong>ationspflichtig betrachten und zweitens auf keinen<br />
Fall ein auf Interessenartikulation verkürztes Konzept von Mediengestaltung entwerfen;<br />
statt dessen sollte m.E. deren künstlerisches und expressives Potential mindestens<br />
gleichwertig berücksichtigt werden (freilich kann jeder kreative Akt als Ausdruck von<br />
Bedürfnissen/Interessen <strong>im</strong> weitesten Sinne gewertet werden, und in THIELES weiteren<br />
Ausführungen finden auch kreative Aktivitäten Berücksichtigung).<br />
Während Medienkritik bei BAACKE ähnlich wie bei THIELE entfaltet wird - BAACKE hebt<br />
neben der analytischen (problematische gesellschaftliche Prozesse wie z.B.<br />
Konzentrationsbewegungen angemessen erfassen) und der reflexiven (das analytisch<br />
Erfasste auf eigenes Handeln anwenden) noch die ethische Komponente hervor (das<br />
eigene analytische Denken und reflektierte Handeln auf soziale Verantwortung beziehen)<br />
- klaffen <strong>im</strong> Bereich der Medienanalyse (THIELE) bzw. -kunde (BAACKE), wie schon die<br />
unterschiedlichen Begriffe zeigen, größere Lücken: Während BAACKE hier informative<br />
(„Was ist ein ‘duales Rundfunksystem’? Wie arbeiten Journalisten? Welche<br />
Programmgenres gibt es? Wie kann ich auswählen? Wie kann ich einen Computer für<br />
meine Zwecke effektiv nutzen?“) und instrumentell-qualifikatorische Aspekte<br />
(Medienkompetenz <strong>im</strong> engen Sinne als Bündel von Anwendungsqualifikationen) anführt,<br />
bewegt sich THIELE eher auf dem Feld der ästhetischen Erziehung und der<br />
hermeneutischen Kompetenz. 272 Hermeneutische Kompetenz wird auch von<br />
AUFENANGER und SCHULZ-ZANDER als ein zentraler Bestandteil von<br />
Medienkompetenz postuliert (bezogen insbesondere auf das Verstehen von<br />
Bilderwelten). 273<br />
Zusammengenommen und in Absehung von den jeweiligen blinden Flecken und<br />
Verkürzungen sind diese beiden Systematiken m.E. geeignet, das Feld der<br />
Medienkompetenz aufzuspannen. Wir wollen <strong>im</strong> Folgenden wegen ihrer größeren<br />
Prägnanz die BAACKEschen Begriffe verwenden, ohne jedoch seine Unterscheidung in<br />
272 vgl. ebd. sowie THIELE 1997<br />
273 vgl. AUFENANGER 1995, S. 75 sowie SCHULZ-ZANDER 1997, S. 13<br />
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Ziel- und Vermittlungsd<strong>im</strong>ension zu übernehmen, und mit einer Fassung von<br />
‘Medienkunde’, die die informativen Aspekte bei BAACKE und die ästhetischen und<br />
hermeneutischen bei THIELE vereinigt (BAACKEs instrumentell-qualifikatorische Aspekte<br />
schlage ich dem Bereich ‘Mediennutzung’ zu).<br />
Der so aufgespannte Begriff der Medienkompetenz kann noch in mehrere Richtungen<br />
erweitert werden: So weisen MEISTER/SANDER darauf hin, dass <strong>im</strong> Gegensatz zum<br />
traditionellen Verständnis von Sozialisationsaufgaben und pädagogischer Förderung<br />
‘Medienkompetenz’ sich auf alle Altersgruppen bezieht. 274 BAACKE regt an, in<br />
‘Medienkompetenz’ auch ‘Medienerziehung’ (<strong>im</strong> Sinne einer methodisch geordneten,<br />
zielorientierten Förderung durch verantwortliches professionelles Personal) und<br />
‘Medienbildung’ (<strong>im</strong> Sinne der Unverfügbarkeit des Subjekts, also als ‘sich bilden’)<br />
hineinzudenken, sowie ferner Kompetenz nicht kognitivistisch-rationalistisch zu halbieren,<br />
sondern Emotionalität und Körperlichkeit einzubeziehen. 275<br />
Dieses allgemeine Konzept von Medienkompetenz soll nun auf das Medium <strong>Internet</strong><br />
(angesichts dessen universellen Potentials müsste man genauer sagen: auf die entlang<br />
der Strukturen des <strong>Internet</strong> gegenwärtig algorithmisch und kulturell konstruierten ‘Medien<br />
zweiter Ordnung’) und seine Nutzung durch Jugendliche angewendet werden. Nach und<br />
nach sollen dabei die Bereiche Mediennutzung, Mediengestaltung, Medienkunde und<br />
Medienkritik konkretisiert werden.<br />
Nutzung des universellen Mediums <strong>Internet</strong> kann auf verschiedenste Weise erfolgen; die<br />
Grenzen zwischen Informationssuche, Individualkommunikation, many-to-many-<br />
Kommunikation, Spiel und Rezeption von Unterhaltungsangeboten sind ebenso fließend<br />
wie der Übergang zum Bereich der Mediengestaltung (es ist ja gerade das Eigentümliche<br />
des <strong>Internet</strong>, dass die Grenzen zwischen Nutzung und Gestaltung verschw<strong>im</strong>men). Für<br />
jede dieser überlappenden Nutzungsd<strong>im</strong>ensionen und abhängig von der jeweils genutzten<br />
ten Software ist Bedienungswissen, sind Anwendungskompetenzen in je spezifischen<br />
Formen und Ausmaßen erforderlich. Inwieweit der/die Nutzerin auf solche Kompetenzen<br />
zurückgreifen kann, hängt zum einen von der jeweiligen (Medien-)Sozialisation ab und<br />
zum anderen vom individuellen ‘sozialen Kapital’, also den <strong>im</strong> persönlichen Netzwerk<br />
274 vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 44<br />
275 vgl. BAACKE 1999, S. 24f.<br />
89
(Peergroup, Eltern, Geschwister, PädagogInnen usw.) zugänglichen<br />
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Kompetenzressourcen. Pädagogik kann solche Kompetenzen nun entweder direkt zu<br />
fördern versuchen - hier ist m.E. produkt- bzw. projektorientiertem Lernen entlang einer<br />
Aufgabenstellung der Vorzug vor reinen ‘Bedienungskursen’ zu geben - oder indirekt, über<br />
die Förderung sozialer Kontakte zwischen unterschiedlich bzw. in verschiedenen<br />
Bereichen kompetenten Jugendlichen (denkbar ist auch, dass PädagogInnen hier selbst<br />
‘Nachhilfe’ durch Jugendliche bekommen - etwa bezüglich der Nutzung je neuer<br />
Netzdienste bzw. Software).<br />
Nutzungskompetenz kann jedoch nicht auf technische Bedienungsfertigkeiten beschränkt<br />
werden - ja, ‘technische Bedienungsfertigkeiten’ selbst sind <strong>im</strong> universellen Medium<br />
<strong>Internet</strong> schwer abgrenzbar: Gehört die Installation einer Netzverbindung dazu, oder kann<br />
das Fachleuten überlassen werden? Die Bedienung eines Browsers? das Wissen um die<br />
URLs der subjektiv interessantesten Chat-Räume oder der wichtigsten<br />
Suchmaschinen? 276 Die Fähigkeit, eine mit logischem ‘und’ verknüpfte Suche in einer<br />
spezifischen Suchmaschine durchzuführen, bzw. sich dieses Verfahren mittels der<br />
Hilfefunktion der jeweiligen Suchmaschine anzueignen? Oder reicht es, an die<br />
‘Hilfefunktion’ der mehr oder weniger freundlichen Expertin am Nebenrechner appellieren<br />
zu können? - Vielmehr ist meist eine Gemengelage kognitiver und kommunikativer<br />
Kompetenzen auf verschiedenen Ebenen gefordert.<br />
Nutzungsweisenübergreifende Geltung beansprucht THIELEs Postulat einer Förderung<br />
der Qualifikation, „unterschiedliche Zugangsweisen zu Informations- und<br />
Unterhaltungsquellen auch in den Netzen [zu] kennen, beherrschen und selbstbest<strong>im</strong>mt<br />
und verantwortlich nutzen [zu] können“ - hier liegt der Akzent weniger auf einem<br />
fixierbaren Kanon best<strong>im</strong>mter Nutzungsweisen, sondern mehr auf der Vielfalt, auf einer<br />
Erweiterung des Nutzungsspektrums, sowie auf Eigenverantwortlichkeit. 277 Wenn <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> spezifische Nutzungskompetenzen angeführt werden, dann<br />
meistens in entlang den D<strong>im</strong>ensionen von Information und von Kommunikation<br />
gegliederter Form.<br />
276URL (‘uniform resource locator’) heißen die textförmigen <strong>Internet</strong>adressen (z.B. für die Suchmaschine<br />
Fireball: http://www.fireball.de), die stellvertretend für die rein numerischen - und daher schwerer zu<br />
erinnernden - IP-Adressen stehen<br />
277 THIELE 1997<br />
90
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Als zu fördernde informationsbezogene Kompetenzen werden vor allem - anschlussfähig<br />
an den unter 4.2.1. dargestellten didaktischen <strong>Diskurs</strong> der Netznutzung - Recherchieren,<br />
Selektieren, Validieren und Strukturieren angeführt. Jugendliche sollen unter Nutzung<br />
vorhandener Suchinstrumente individuelle Suchstrategien entwickeln können; „die<br />
Befähigung, das jeweils Gewünschte zu finden, somit Informationen über Informationen<br />
zu erhalten“, so RÖLL, werde <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>-Zeitalter zu einer „entscheidenden<br />
‘aufklärerischen’ Kompetenz“. 278 Damit ‘Informationen über Informationen’ nicht <strong>im</strong> Sinne<br />
eines unübersichtlichen Haufens, sondern als nutzbare Metainformationen verstanden<br />
werden können, sind freilich Strategien des selbstorganisierten, kognitiven<br />
Informationsmanagements, aber auch des Aufmerksamkeitsmanagements nötig, wie<br />
FASCHING feststellt. 279 Die Fähigkeiten, selbstgesteuert eine Auswahl zu treffen,<br />
Komplexität reduzieren zu können, aber auch die gefundenen, ausgewählten Inhalte<br />
strukturieren und kontextualisieren zu können sowie eine Bewertung - etwa in Bezug auf<br />
ihre „Echtheit, Vollständigkeit, Glaubwürdigkeit, Qualität und/oder Unterhaltungswert [...]<br />
und Relevanz“ - werden somit zu zentralen Schlüsselqualifikationen. 280<br />
Hierbei zeigt sich wieder, wie schon <strong>im</strong> didaktischen Kontext, die Zirkelstruktur von<br />
Medienkompetenz. Alle hier angeführten Teilkompetenzen können sowohl Voraussetzung<br />
als auch Ergebnis einer effektiven Nutzung sein: Sie können einerseits, mit genügend Zeit<br />
und Motivation - sowie, <strong>im</strong> Falle von Lern-’Sackgassen’, off- oder <strong>online</strong> erhaltenen<br />
Hilfestellungen - ‘by doing’ gelernt werden. Andererseits kann, insbesondere bei unter<br />
Zeitdruck zu lösenden Aufgaben oder überzogenen Erwartungen an das <strong>Internet</strong>, der<br />
Mangel an einschlägigen Kompetenzen <strong>im</strong> Umgang mit den komplexen bis chaotischen<br />
Netzstrukturen zu Frustrationserlebnissen führen.<br />
‘Verantwortliche Nutzung’ auf der D<strong>im</strong>ension der Information pädagogisch zu<br />
operationalisieren, könnte heißen: Jugendschutz- und copyrightbezogene Rechtslagen zu<br />
klären und Problembewusstsein zu fördern, ethische Fragen zu diskutieren; wobei<br />
Pädagogik m.E. nicht die Aufgabe hat, sich in jedem Punkt die Position des Gesetzgebers<br />
auch auf ethischer Ebene zu eigen zu machen (konkret: Pädagogik sollte MP3- und<br />
278 RÖLL 1999, S. 34<br />
279 FASCHING 1997, S. 91ff.<br />
280 THIELE 1997; vgl. MEISTER/SANDER 1999, S. 44ff. sowie FEUERSTEIN 1999, S. 180ff.<br />
91
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Software-Piratinnen über mögliche strafrechtliche Konsequenzen ihres Tuns informieren,<br />
aber ohne den moralisierenden Zeigefinger).<br />
Für die D<strong>im</strong>ension der Netzkommunikation lässt sich mit THIELE als pädagogisch zu<br />
förderndes Ziel die Fähigkeit zur bedürfnis- wie auch zur sachorientierten Nutzung<br />
verschiedener Kommunikationsdienste anführen. Hier sind Kenntnisse der englischen<br />
Sprache sowie Fertigkeiten <strong>im</strong> schnellen Tippen gegenwärtig von Vorteil; für die<br />
Kommunikation in Diskussionsforen bzw. virtuellen Gemeinschaften empfiehlt THIELE<br />
ferner die Kenntnisnahme, Anwendung und Bewertung der allgemeinen (‘Netiquette’) und<br />
der je spezifischen lokalen Kommunikationsregeln. Man könnte hier ‘Bewertung’ noch<br />
ausweiten in Richtung auf einen <strong>Diskurs</strong> über solche lokalen Regeln <strong>im</strong> Netz und ggf. die<br />
Mitwirkung an Veränderungsversuchen - etwa der Einführung demokratischerer<br />
Strukturen 281 - hinzufügen. Mit KETZER kann weiterhin die Förderung von Kompetenzen<br />
zur aktiven Gegenwehr bei Belästigungen und Übergriffen <strong>im</strong> Netz angeführt werden. 282<br />
Als eine über das Netz hinausreichende Kompetenz wäre ferner die Toleranz für Dissens<br />
und kulturelle Differenzen (<strong>im</strong> nicht national bzw. ethnisch verkürzten Sinne, sondern als<br />
Unterschiede in Lebensstil und Wertorientierungen) zu nennen. 283<br />
‘Verantwortliche Nutzung’ auf der D<strong>im</strong>ension der Kommunikation kann neben den<br />
angeführten Aspekten von reflektiertem Umgang mit Kommunikationsregeln und mit<br />
Dissens auch - so von ZACHARIAS und von TURKLE gefordert 284 - heißen: Förderung<br />
von Reflexion über Verantwortung, über das Verhältnis von Worten und Taten, von<br />
physischem und virtuellem Körper in der Online-Kommunikation.<br />
Kommen wir von der Mediennutzung zur Mediengestaltung. In diesem Bereich sind, mit<br />
THIELE, Fähigkeiten zur Produktion von <strong>Internet</strong>angeboten unter Anwendung<br />
gestalterischer, inhaltlicher und ethischer Kriterien zu fördern, weiterhin zur Publikation<br />
und zum Schützen dieser Angebote gegen ungewollte externe Manipulation. 285 Auf der<br />
medientechnischen Ebene ist hierfür die Beherrschung entsprechender<br />
281 vgl. TURKLE 1998, S. 393<br />
282 vgl. KETZER 1999, Kap. 10<br />
283 vgl. THIELE 1997 sowie SUBROWEIT/VAN LÖCK 1998 und FASCHING 1997, S. 99<br />
284 vgl. ZACHARIAS 1999b, S. 50 sowie TURKLE 1998, S. 374f.<br />
285 vgl. THIELE 1997<br />
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Gestaltungsoftware (etwa htmlund Flash-Editoren, Autorenprogramme, Bild- und<br />
Tonbearbeitungssoftware) und -hardware (z.B. Scanner und digitale Kameras)<br />
erforderlich; auf der gestalterischen je nach Schwerpunktsetzung - soll etwa ein<br />
individueller<br />
‘Wohnraum’ für eine virtuelle Welt entstehen oder eine WWW-Seite mit<br />
Informationscharakter? - eher Kreativität oder eher auf die jeweilige Gestaltungsform<br />
bezogene ‘handwerkliche’ Kompetenzen. Hier wäre dann auch ein möglicher<br />
Anknüpfungspunkt für Medienkunde <strong>im</strong> Sinne einer Wahrnehmung, Analyse und<br />
Bewertung von Gestaltungsformen (‘Was macht - aus meiner Sicht, aber auch auf<br />
mögliche Zielgruppen meines WWWAngebots bezogen - ein gutes Webseitendesign<br />
aus?’).<br />
Die Gestaltung von <strong>Internet</strong>angeboten kann jedoch neben der kreativen, expressiven,<br />
selbstdarstellerischen Ebene und neben möglichen Lerneffekten - z.B. eines kritischeren<br />
Blicks auf Medienangebote und Medieninhalte durch eigene Produktionstätigkeit - auch<br />
eine kommunikative und eine handfest kommerzielle D<strong>im</strong>ension haben: Erstere, insofern<br />
Angebote <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> von einer potentiell weltweiten Öffentlichkeit wahrgenommen<br />
werden können, und letztere dadurch, dass mit erfolgreichen (d.h. häufig aufgerufenen)<br />
Seiten Geld verdient werden kann, indem z.B. ‘Werbeflächen’ vermietet werden. Bei<br />
RÖLL finden sich - allerdings <strong>im</strong> Kontext jugendkultureller Netzaneignung - einige<br />
Beispiele erfolgreicher, von Jugendlichen betriebener Seiten; so das einer<br />
Schülerselbsthilfe <strong>im</strong> Netz, die eine kostenlose Datenbank von Referaten, Hausaufgaben<br />
und Entschuldigungen betreibe. 286 Pädagogisch relevante Problemstellungen können sich<br />
in diesem Kontext aus kommunikativem ‘Mißerfolg’ ergeben: Wie umgehen mit der<br />
Frustration, wenn sich niemand für die mühsam erstellten Seiten zu interessieren scheint?<br />
Welche Gegenstrategien können ergriffen werden, um Aufmerksamkeit für eigene Seiten<br />
zu erzeugen? Anmeldung bei populären Suchmaschinen, Aufgreifen aktuell gefragter<br />
Themen 287 , Bemühungen um wechselseitige Links? - Aber auch der Umgang mit<br />
286 vgl. ROLL 1999, S. 35 - die hier angegebene Webadresse http://www.cheatweb.de führt mittlerweile zu<br />
‘young.de - Portal und Community Website für junge Menschen’; die genannten Hilfen für den<br />
SchülerInnenalltag gibt es hier <strong>im</strong>mer noch, dazu aktuelle Nachrichten und Werbung<br />
287 der vermutlich jugendliche Programmierer, der <strong>im</strong> Kontext des Medienrummels um das kostenlos<br />
herunterzuladende Spiel ‘Moorhuhnjagd’ ein sehr s<strong>im</strong>pel gestricktes Spiel, in welchem Figuren aus der<br />
TV-Kinderserie ‘Teletubbies’ abgeschossen werden müssen, ins Netz setzte, braucht über niedrige<br />
Zugriffsquoten jedenfalls nicht zu klagen (http://www.the-sammy.de)<br />
93
http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />
möglichem Erfolg wirft Fragen auf: Wer beantwortet all die E-Mails? Will man Werbung<br />
oder nicht, und wenn, dann welche? Was passiert mit ggf. übrigbleibendem Geld? In<br />
welchem Verhältnis stehen pädagogische Institution und in ihrem Rahmen entstandene<br />
Netzangebote Jugendlicher zueinander? Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ab einer<br />
gewissen Anzahl von Zugriffen auf die erstellten Webseiten bzw. ab einem gewissen<br />
Volumen transferierter Daten die meisten Provider Preisaufschläge verlangen.<br />
Im Bereich der Medienkunde wird von AUFENANGER und SCHULZ-ZANDER die<br />
Förderung hermeneutischer Kompetenz fokussiert, bezogen vor allem auf das ‘Lesen’ von<br />
Bilderwelten, also die Analyse, Interpretation und Bewertung von Bildern, auch <strong>im</strong> Sinne<br />
einer größeren Distanz zum Bild <strong>im</strong> Zeitalter seiner vollständigen Manipulierbarkeit. 288 Hier<br />
besteht Anschlussfähigkeit an die oben für die Informationsd<strong>im</strong>ension von Netznutzung<br />
postulierten Kompetenzen des Validierens und Strukturierens von Netzinhalten.<br />
Auch bei den dort benannten Kompetenzen des Recherchierens und Auswählens<br />
bestehen Überlappungen zum Bereich der Medienkunde; das betrifft etwa die Kenntnis<br />
von Suchstrategien und von relevanten Adressen <strong>im</strong> Netz. Hier ist DÖRINGs Vorschlag<br />
einzuordnen, in <strong>pädagogischen</strong> <strong>Internet</strong>Projekten solle „das Spektrum der Chat-Foren<br />
möglichst umfassend vorgestellt und ein bewusster Auswahlprozess angeregt werden,<br />
damit die Beteiligten nicht bei den erstbesten Foren hängen bleiben“. 289<br />
Wenn auch eine Kanonisierung von ‘Grundlagenwissen’ (TULLY) über das <strong>Internet</strong>, seine<br />
Geschichte und seine technische Struktur schwerfallen dürfte und die subjektiv-<br />
lebensweltliche Bedeutsamkeit solches Wissens nicht überschätzt werden sollte, hat -<br />
insbesondere schulische - Pädagogik m.E. doch auch den Auftrag, historisches und<br />
systematisches medienkundliches Wissen zu vermitteln. Wenn hier mit<br />
Medienentwicklungen verknüpfte gesellschaftliche Veränderungsprozesse in die Analyse<br />
mit aufgenommen werden, sind wir <strong>im</strong> Bereich der Medienkritik angekommen.<br />
In Kapitel 3 haben wir uns um eine interdisziplinäre Perspektive auf das<br />
gesellschaftsverändernde Potential des <strong>Internet</strong> bemüht; in diesem Kapitel, insbesondere<br />
unter 4.1.3., wurde gefragt, inwieweit dieses Potentials in der <strong>pädagogischen</strong> Reflexion<br />
wahrgenommen, als Herausforderung begriffen und mit <strong>pädagogischen</strong> und<br />
288 vgl. AUFENANGER 1995, S. 75 sowie SCHULZ-ZANDER 1997, S. 13 - zum ‘Verlust des<br />
Dokumentarischen’ <strong>im</strong> Zeitalter virtueller Welten siehe oben unter 2.2.2. sowie bei BÜHL 1997, S.56<br />
289 DÖRING 1999, S. 38<br />
94
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meta<strong>pädagogischen</strong> Konzepten beantwortet wird. Mit Blick auf den Kompetenzbereich<br />
‘Medienkritik’ ist nun speziell nach Konzeptionen zu fragen, die aus der beobachteten<br />
Dynamik internetbedingter Veränderungsprozesse eine aufklärerische Aufgabe ableiten.<br />
Hilfreich ist hier BAACKEs Unterscheidung einer analytischen und einer ethisch-reflexiven<br />
Ebene.<br />
Eine aufklärerische Position auf der analytischen Ebene finden wir, wenn auch nur<br />
rud<strong>im</strong>entär, bei TULLY: Hier wird als eine von vier pädagogisch zu vermittelnden<br />
computerbezogenen Wissensformen ‘soziales Wissen’ angeführt, definiert als Wissen<br />
über soziale Folgen und Bedingungen neuer Technologien, jedoch ohne weitere<br />
inhaltliche Konkretisierung oder pädagogische Operationalisierung. 290 Eine auch inhaltlich<br />
gefüllte Konzeption finden wir bei SCHORB: „Pädagogik muß sich somit zum einen<br />
fachkundig machen bezüglich all der Bereiche, in welchen Medien eingreifen (werden)<br />
und der Effekte, die sie dabei erzielen (werden), sie muß aber auch [...] die Kompetenz<br />
der Menschen stärken, Entwicklungen nicht hinzunehmen, sondern zu best<strong>im</strong>men,<br />
Zukunftsentwürfe zu machen [...]. Es wird zur wichtigen Aufgabe, das Wissen und auch<br />
die ethischen Kräfte der Menschen zu steigern“. 291<br />
Damit ist die ethisch-reflexive Ebene angesprochen. Hier wäre nach BAACKE eine<br />
Anwendung des analytisch erworbenen Wissens auf das eigene Handeln pädagogisch zu<br />
fördern, und das vor dem Hintergrund sozialer Verantwortung. Was das konkret heißen<br />
mag - Beteiligung an OnlinePetitionen gegen oder für staatliche Regulierung des <strong>Internet</strong>,<br />
Einführung basisdemokratischer Strukturen in virtuellen Gemeinschaften, Einsatz für oder<br />
gegen <strong>Internet</strong> oder Lernsoftware an der Schule, Gründung einer virtuellen Gewerkschaft -<br />
bleibt hier offen, und sollte m.E. auch offen bleiben: Es geht ja gerade um den <strong>Diskurs</strong>,<br />
um die Förderung individueller ethischer Entscheidungskompetenz. Die Vermittlung einer<br />
materialen Ethik erscheint hier fehl am Platze, es sei denn in Form der bei THIELE<br />
benannten Min<strong>im</strong>alforderung kommunikativer Netznutzung: Medienpädagogische Arbeit<br />
solle die Haltung fördern, „sich für eine Grundversorgung an Information, für einen<br />
290 vgl. TULLY 1994, S. 188 sowie S. 291ff.<br />
291 SCHORB 1995, S. 26<br />
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diskr<strong>im</strong>inierungsfreien Zugang zu Informationen und für informationelle Selbstbest<strong>im</strong>mung<br />
solidarisch einsetzen [zu] können“. 292<br />
Wir haben nun eine m.E. tragfähige Konzeption von Medienkompetenz aufgespannt und<br />
für das <strong>Internet</strong> durchbuchstabiert. Wie diese Konzeption <strong>im</strong> Rahmen von Jugendarbeit<br />
umgesetzt werden kann, soll Thema des folgenden Kapitels sein. Für eine Umsetzung an<br />
Schule gilt m.E., dass <strong>Internet</strong>einsatz hier generell mit einer doppelten Perspektive<br />
erfolgen sollte: Auch wenn das Medium hier vor allem als didaktisches Instrument <strong>im</strong><br />
Dienst netzexterner Inhalte und Lernziele genutzt wird, sollte diese Nutzung von den<br />
Lehrenden generell auch vor dem Hintergrund medienkompetenzbezogener Inhalte und<br />
Ziele reflektiert werden.<br />
4.2.3. <strong>Internet</strong> in der Jugendarbeit<br />
Bevor wir uns in Kapitel 5 exemplarisch mit <strong>pädagogischen</strong> Praxen des <strong>Internet</strong>einsatzes<br />
in der außerschulischen Jugendarbeit auseinandersetzen, soll an dieser Stelle die<br />
Reflexion über den <strong>Internet</strong>einsatz in der außerschulischen Jugendarbeit <strong>im</strong><br />
<strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> beobachtet werden. 293 Dabei soll in einem ersten Schritt die unter<br />
3.2.3. begonnene Auseinandersetzung mit der Bedeutung des <strong>Internet</strong> für Lebenswelten<br />
Jugendlicher in pädagogischer Perspektive wiederaufgenommen werden, um dann in<br />
einem zweiten nach Spezifika und Aufgaben einer Jugendarbeit <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong><br />
zu fragen - und damit auch nach einer Umsetzung des Konzepts ‘Förderung von<br />
Medienkompetenz’ in pädagogische Prozesse.<br />
Wir sind bereits mehrfach der These von der Mediatisierung der Lebenswelten von<br />
Kindern und Jugendlichen hin zu ‘Medienwelten’ begegnet; in BAACKEs Formulierung:<br />
„Freizeit ist Medienzeit [...] Kinder und Jugendliche wachsen [...] in reich differenzierten,<br />
ihren Alltag umgreifenden ‘Medienwelten’ auf“. 294 Oben wurde gezeigt, dass hier sowohl<br />
kulturpess<strong>im</strong>istische Mediatisierungskritik (siehe 4.1.2.) als auch eine opt<strong>im</strong>istische<br />
292 THIELE 1997<br />
293 Die Unterscheidung in pädagogische Theorie bzw. <strong>pädagogischen</strong> Fachdiskurs einerseits und<br />
pädagogische Praxis andererseits ist freilich eine heuristische mit erheblichen Unschärfen, wie das unten<br />
behandelte Beispiel des wissenschaftlich begleiteten Praxisprojekts „Kidz <strong>im</strong> Netz“ (http://iubawo.uniduesseldorf.de)<br />
zeigt<br />
294 BAACKE 1999, S. 20f.<br />
96
medienpädagogische Grundhaltung anschließen können: Letztere traut<br />
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Heranwachsenden ä zu, grundsätzlich kompetent Medien nutzen zu können und ihre<br />
jeweiligen Mediennutzungsweisen nach eigenen ‘Sinn’-Kriterien zu verantworten; die I<br />
Aufgabe von Pädagogik wäre dann nicht Behütung oder Bevormundung, sondern<br />
einerseits die Förderung von Autonomie und selbstsozialisatorisch 1i angeeigneten<br />
Medienkompetenzen, andererseits die Einführung zusätzlicher Reflexionsebenen und die<br />
Erweiterung des Horizonts möglicher Nutzungsweisen. 295<br />
Folgt man der These vom Aufwachsen in Medienwelten, so wäre nach möglichen<br />
Veränderungen jugendlicher Medienwelten durch die Verbreitung des <strong>Internet</strong> zu fragen.<br />
Wenn, wie BAACKE meint, insbesondere die außerschulische Lebenswelt (‘Freizeit’)<br />
medial geprägt ist, dann wäre die außerschulische Jugendarbeit in besonderem Maße<br />
aufgerufen, diese Veränderungen zu analysieren und pädagogisch zu beantworten.<br />
Wenden wir uns also den <strong>pädagogischen</strong> und insbesondere den auf Jugendarbeit<br />
bezogenen <strong>Diskurs</strong>en in diesem Feld zu.<br />
Die alltagsstrukturierende Funktion der traditionellen Rundfunkmedien wird von<br />
SCHWAB/STEGMANN hervorgehoben: „Fest in den Alltag integriert, strukturieren Medien<br />
mitunter den Tagesablauf auf best<strong>im</strong>mte Ereignisse oder Sendungen hin“. 296 Hier sind<br />
Individualisierungstendenzen durch das nicht an Sendezeiten gebundene<br />
Individualmedium <strong>Internet</strong> zu erwarten. Über bloße Zeitstrukturierung hinaus sieht<br />
BAACKE in den Medien die „eigentlichen Träger der [...] Soziokultur“, die in ihrer<br />
Alltäglichkeit jedoch „biographisch kaum gewichtet“ würden. Mit der kommunikativen<br />
Interaktivität des <strong>Internet</strong> verlieren nun die Medien „ihren bisher extra-ordinären<br />
Sozialisationsmodus, nur über symbolisch vermittelte Träger wirksam zu sein“ - ihre<br />
Funktion ist also nicht mehr eingegrenzt auf das Anbieten einer ‘Meta-Kultur’<br />
(HASSE/WEHNER), eines ‘Steinbruchs’ je individuell anzueignender kommunikativer<br />
Elemente 297 - und werden somit, so BAACKE, strukturell nur noch alltäglicher, weil<br />
„vollends in den Urgrund menschlichen Handelns eingelassen“ 298<br />
295 vgl. etwa MEISTER/SANDER 1999, S. 44f.<br />
296 SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 30<br />
297 siehe dazu oben unter 3.3.1.<br />
298 BAACKE 1999, S. 16ff.<br />
97
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Hier klaffen aber, glaubt man den bei SCHWAB/STEGMANN referierten empirischen<br />
Untersuchungen, gegenwärtig (genauer: klafften 1997/’98) noch Lücken: 90% der<br />
<strong>Internet</strong>nutzerlnnen seien als ‘Read Only Members’ (ROM) zu betrachten, fungierten also<br />
nur als ‘Hörer’ <strong>im</strong> Netz, und nur 5% - die ‘Radical Active Members’ (RAM) - nutzten das<br />
volle kommunikativ interaktive Potential des Netzes (die Zahlen beziehen sich aber nicht<br />
gezielt auf Jugendliche; hier ist m.E. ein höherer Grad aktiver Nutzung zu erwarten). 299 Ein<br />
gespaltenes Bild zeichnet auch SCHORB: Jugendliche Subkulturen seien generell als<br />
<strong>im</strong>mer neu generierte Mixturen medialer Codes aufzufassen; dabei sei zu unterscheiden<br />
zwischen der kritiklosen fortschrittsopt<strong>im</strong>istischen Offenheit weiter Teile der Jugend<br />
einerseits und Tendenzen zur alternativen, widerständigen, aktiven Mediennutzung<br />
andererseits. 300 Pädagogisch gefordert erscheint hier somit eine Förderung aktiver,<br />
gestaltender, ‘sprechender’ statt nur ‘hörender’/’lesender’ <strong>Internet</strong>nutzung. Auf die hier<br />
anklingende problematische Ambivalenz zwischen der pädagogisch geforderten<br />
Schaffung von Freiräumen einerseits und einer normativen Haltung zu Weisen<br />
jugendlicher Mediennutzung werden wir weiter unten zurückkommen; wenden wir uns<br />
jedoch zunächst zurück zur jugendlichen bzw. jugendkulturellen Netzaneignung.<br />
Auf die Frage, inwieweit das <strong>Internet</strong> für Jugendliche interessant ist, lässt sich mit<br />
SCHINDLER eine doppelte Antwort geben: <strong>Internet</strong>nutzung habe für Jugendliche erstens<br />
einen hohen Statuswert sowie zweitens einen hohen Gebrauchswert. Der Statuswert<br />
ergebe sich dabei aus dem hohen gesellschaftlichen Rang des Themas ‘<strong>Internet</strong>’;<br />
Netzkompetenzen eigneten sich daher für Jugendliche gut, um einerseits Distanz zu<br />
Erwachsenen zu demonstrieren und andererseits deren Respekt zu gewinnen.<br />
Den Gebrauchswert von Netznutzung beschreibt SCHINDLER auf mehreren Ebenen: So<br />
seien vernetzte PCs „leistungsfähige Produktions- und Kommunikationsmittel“, die<br />
Jugendlichen „einen bisher privilegierten Erwachsenen vorbehaltenen Bereich“ öffneten.<br />
Neben finanziellen und logistischen Vorteilen von E-Mail und elektronischem Publizieren<br />
wird hier auch auf soziale, sozialpsychologische und politische D<strong>im</strong>ensionen verwiesen:<br />
299 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 157 (mit Rekurs auf die GfK-Online-Studie 1998 und Zahlen des<br />
DIFF Tübingen); die Begriffe ‘RAM’ und ‘ROM’ beziehen sich sprachspielerisch auf die Bezeichnungen<br />
für verschiedene Typen von Computerspeicher (‘Read Only Memory’ = Speicher, aus dem nur ‘gelesen’<br />
werden kann; ‘Random Access Memory’ = Speicher, der beliebig zum ‘Schreiben’ oder ‘Lesen’ verwendet<br />
werden kann)<br />
300 vgl. SCHORB 1995, S. 16ff. sowie S. 21f.<br />
98
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Viele Chatkanäle des <strong>Internet</strong> seien als „jugendkulturelles Reservat“ zu betrachten. Somit<br />
eigneten sie sich - wie auch, auf andere Weise, WWW-Homepages - als Instrumente<br />
jugendlicher Partizipation und Information (aus dem alten Prinzip der Jugendbewegung<br />
‘Jugend erzieht Jugend’ wird hier „Jugendinformation als wechselseitiger Prozess“, also:<br />
‘Jugend informiert Jugend’), aber auch jugendlicher Selbstvergewisserung,<br />
Selbststilisierung und Selbstinszenierung. 301 Auf diesen ‘lebensästhetischen’<br />
(GOEBEL/CLERMONT) Individualisierungswert der Netznutzung weist auch<br />
VOGELSANGS Beobachtung hin, dass der Technikgebrauch in den Szenen der<br />
Netzfreaks „durch vielschichtige ästhetische und expressive Codierungen<br />
gekennzeichnet“ sei. 302 (Darüber hinausgehend dürfte auch ein arbeitsmarktbezogener<br />
Gebrauchswert zu verzeichnen sein, bedingt durch die Chancen der Jobsuche <strong>im</strong> Netz<br />
einerseits und den Qualifikationscharakter der erworbenen Netzkompetenzen<br />
andererseits. Dazu passt SCHWAB/STEGMANNS Feststellung, dass angesichts<br />
andauernder Arbeitslosigkeit die Bereitschaft von Jugendlichen wachse, ihre Freizeit für<br />
Qualifikationszwecke zu nutzen. 303 )<br />
Mit Jugendkultur <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> beschäftigt sich auch RÖLL. Er beobachtet, dass explizite<br />
Thematisierung von Jugendkultur sich <strong>im</strong> Netz nur an wenigen Orten findet, und dort vor<br />
allem als Verweis auf Offline-Aktivitäten. Dafür bietet er die Erklärung an, dass<br />
Kommunikation <strong>im</strong> Netz von gegenwärtigen Jugendlichen ohnehin schon <strong>im</strong>plizit als<br />
Manifestation jugendkulturellen Verhaltens verstanden werde: „Darüber redet man nicht,<br />
man/frau tut es“. Der „virtuellen Jugendkultur“ in den Foren, Chat-Räumen und virtuellen<br />
Gemeinschaften des <strong>Internet</strong> wird dabei von RÖLL die Funktion einer Avantgarde<br />
zugeschrieben, „die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kommunikationskultur unserer<br />
Gesellschaft verändern“ werde. 304 Zu fragen bleibt, ob und inwiefern eine Pädagogisierung<br />
<strong>im</strong> Bereich dieser ‘virtuellen Jugendkultur’ sinnvoll und überhaupt möglich wäre.<br />
Wie könnte, wie sollte also eine Jugendarbeit <strong>im</strong> Zeitalter des <strong>Internet</strong> aussehen? Wie<br />
wäre in ihrem Kontext eine Förderung von Medienkompetenz umzusetzen? Und: Wie<br />
301 SCHINDLER 1997, S. 427<br />
302 VOGELSANG 1997, S. 30<br />
303 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 23<br />
304 ROLL 1999, S. 33ff.<br />
99
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sehen die - finanziellen, politischen, juristischen - Rahmenbedingungen für eine solche<br />
Arbeit aus?<br />
Beginnen wir mit dem letzten Punkt: Finanzknappheit wird <strong>im</strong> Bereich der Jugendarbeit<br />
allenthalben konstatiert. So sieht KÜBLER insbesondere abseits der Großstädte einen<br />
Mangel an Geld- und Sachmitteln für die nötige Qualifizierung von PädagogInnen und für<br />
die technische Infrastruktur. LAUFFER empfiehlt die effizientere Nutzung vorhandener<br />
Ressourcen, unter anderem via Vernetzung und Kooperation. THIELE schließlich spricht<br />
von einem Scheitern der kontinuierlichen Verankerung von Medienpädagogik in der<br />
Kinderund Jugendarbeit und führt dieses Scheitern auf das Fehlen wesentlicher<br />
Rahmenbedingungen zurück. Er verweist dabei auf den Konzeptionsbericht der<br />
Jugendministerkonferenz (JMK) ‘Medienpädagogik als Aufgabe der Kinder- und<br />
Jugendhilfe’ von 1996, in dem ein Aufbau stabiler kooperativer Strukturen - insbesondere<br />
zwischen Jugendarbeit und Schule - zur Förderung von Medienkompetenz postuliert<br />
wird. 305 Nun stammen diese Aussagen allesamt von 1997, und ERTELT kann gut zwei<br />
Jahre später konstatieren: „Innerhalb kurzer Zeit wurden Schule, Weiterbildung,<br />
Jugendpflege und Jugendkulturarbeit unvermittelt mit der plötzlich politisch gewollten<br />
Notwendigkeit der Vermittlung von Medienkompetenz konfrontiert. Der Handlungszwang<br />
zur Alphabetisierung in digitaler Kommunikation schritt so sprunghaft voran wie die<br />
Entwicklung der computerbasierten Technologie“. 306 Der politische Wille zur<br />
Informationsgesellschaft 307 scheint sich also mit einiger Verspätung auch auf die<br />
Förderung von Medienkompetenz auszudehnen.<br />
Rechtsgrundlagen medienpädagogischer Jugendarbeit lassen sich <strong>im</strong> KJHG bislang <strong>im</strong><br />
Kontext des erzieherischen Jugendmedienschutzes (In §14, Absatz 2 ist von Angeboten<br />
an Jugendliche die Rede, die diese zu Selbstschutz, Kritikfähigkeit und<br />
Eigenverantwortung befähigen sollen), sowie speziell auf außerschulische<br />
Jugendbildungsarbeit bezogen, <strong>im</strong> Kontext technischer Bildung finden (§11); hier wird vor<br />
allem der oben unter ‘Medienkritik’ gefasste Sektor von Medienkompetenzen<br />
angesprochen. 308<br />
305 vgl. KÜBLER 1997a, S. 9; LAUFFER 1997, S. 114; THIELE 1997<br />
306 ERTELT 1999, S. 29<br />
307 siehe dazu oben unter 2.2.1.<br />
308 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, 5. 205 sowie oben unter 1.1.1.<br />
100
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Im Vergleich mit der Schule sind der außerschulischen Jugendbildung spezielle Chancen<br />
für die Vermittlung internetbezogener Medienkompetenz zuzusprechen;<br />
SCHWAB/STEGMANN nennen z.B. die Möglichkeit kleinerer Lerngruppen und den<br />
Zugang zu modernerer, vielseitigerer technischer Infrastruktur. Aber auch Grenzen sind<br />
zu benennen: So die eingeschränkte Angebotskapazität und die begrenzte soziale<br />
Reichweite außerschulischer Bildungsangebote („geringere Bildungsbereitschaft der<br />
Hauptschüler in ihrer Freizeit“). 309 Für eine Gegensteuerung gegen<br />
Polarisierungstendenzen entlang einer ‘Informationskluft’ scheint außerschulische<br />
Jugendbildungsarbeit - zumindest wenn sie explizit als solche auftritt - also nur bedingt<br />
geeignet zu sein (SCHINDLER führt dagegen erfolgreiche Modellprojekte in der<br />
Jugendarbeit an, die zeigten, dass effiziente <strong>Internet</strong>nutzung nicht auf Jugendliche mit<br />
höherer Schulbildung begrenzt sein müsse 310 ).<br />
Welche Ansätze für Jugendarbeit mit <strong>Internet</strong>bezug sind nun <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong><br />
Fachdiskurs vorzufinden? Um das Feld der einschlägigen Konzeptionen zu strukturieren,<br />
möchte ich hier eine Unterscheidung von fünf Typen einführen:<br />
– Der aktiv-gestaltenden <strong>Internet</strong>arbeit,<br />
– der sozialräumlichen <strong>Internet</strong>arbeit,<br />
– der Jugendbildungsarbeit zum Thema <strong>Internet</strong>,<br />
– der Jugendbildungsarbeit mit dem Medium <strong>Internet</strong> und<br />
– der Online-Jugendarbeit.<br />
Unter aktiv-gestaltender <strong>Internet</strong>arbeit will ich Ansätze verstehen, die den<br />
Handlungsbereich ‘Mediengestaltung’, in der Regel in Form von Projektarbeit oder<br />
kontinuierlicher Gruppenarbeit, fokussieren; solche Ansätze stehen oft in der Tradition<br />
außerschulischer Jugendbildungs- und -kulturarbeit, insbesondere der produktiven<br />
Medienarbeit. Unter sozialräumlicher <strong>Internet</strong>arbeit sollen Ansätze in der Tradition der<br />
offenen Jugendarbeit und hier insbesondere des sozialräumlichen Ansatzes von<br />
BÖHNISCH/MÜNCHMEIER 311 gefasst werden, die die Öffnung von Räumen zur<br />
309 vgl. SCHWAB/STEGMANN 1999, S. 205, S. 209ff. sowie S. 258<br />
310 vgl. SCHINDLER 1997, S. 427; ein solches (bei SCHINDLER nicht erwähntes) Modellprojekt ist das in<br />
Kapitel 5 vorzustellende der Düsseldorfer AWO-Jugendberatung<br />
311 vgl. BÖHNISCH/ MÜNCHMEIER 1990 - eine explizite Bezugnahme auf BÖHNISCH/MÜNCHMEIER<br />
findet sich allerdings in keinem der hier untersuchten Texte<br />
101
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eigenständigen Netzaneignung in sozialen Kontexten fokussieren; hier steht der<br />
Handlungsbereich ‘Mediennutzung’ <strong>im</strong> Zentrum. In beiden Ansätzen wird die indirekte<br />
Vermittlung der jeweils nicht <strong>im</strong> Mittelpunkt stehenden Kompetenzbereiche 312 meist<br />
mitgedacht. Der Typus einer Jugendbildungsarbeit zum Thema <strong>Internet</strong> steht für Ansätze<br />
in der Tradition kultureller bzw. politischer Jugendbildung, die die Handlungsebenen von<br />
‘Medienkunde’ bzw. ‘Medienkritik’ fokussieren, die also Bildungsangebote über das<br />
<strong>Internet</strong> bzw. seine gesellschaftsverändernde Dynamik in den Vordergrund stellen,<br />
während Jugendbildungsarbeit mit dem Medium <strong>Internet</strong> Ansätze der außerschulischen<br />
Jugendbildungsarbeit bezeichnen soll, die das <strong>Internet</strong> als didaktisches Medium zur<br />
Vermittlung vorwiegend externer Ziele und Inhalte nutzt. Online-Jugendarbeit schließlich<br />
spricht für sich selbst: Pädagogische Prozesse werden ins <strong>Internet</strong>, werden auf die<br />
virtuelle Ebene verlagert. Diese fünf Typen sollen nun, be<strong>im</strong> letzten beginnend, näher<br />
betrachtet werden.<br />
Reine Online-Jugendarbeit - also eine entörtlichte Jugendarbeit, in der ausschließlich oder<br />
doch zumindest überwiegend internetvermittelte Kontakte zwischen PädagogInnen und<br />
Klientel bestehen - ist <strong>im</strong> hier untersuchten Ausschnitt der <strong>pädagogischen</strong> Fachdiskurses<br />
noch ein Randthema. Wir werden jedoch in Kapitel 5 Praxisprojekten aus den Bereichen<br />
‘Jugendinformation’ und ‘betreute Netzkommunikation’ begegnen, die sich<br />
schwerpunktmäßig dem Typus Online-Jugendarbeit zuordnen lassen.<br />
Auch für eine Jugendbildungsarbeit mit dem Medium <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Bereich außerschulischer<br />
Jugendbildung lassen sich kaum theoretische Konzepte finden, da die aktuelle<br />
didaktische Diskussion vor allem für die Handlungsfelder Schule (siehe dazu oben unter<br />
4.2.1.) und Erwachsenenbildung/Weiterbildung geführt wird. Ansätze lassen sich hier etwa<br />
bei FASCHING finden, der die Tauglichkeit des Mediums <strong>Internet</strong> für eine<br />
lebensweltorientierte Bildungsarbeit <strong>im</strong> Sinne ARNIM KAISERs prüft und positiv<br />
bescheidet. 313 Für einen Einsatz des <strong>Internet</strong> als didaktisches Medium <strong>im</strong><br />
außerschulischen Bereich gilt m.E. auch das oben für schulischen Bereich aufgestellte<br />
Postulat der doppelten Perspektive: Auch bei einer pr<strong>im</strong>ären Ausrichtung auf externe<br />
312 zur hier verwendeten Systematik der Bereiche von Medienkompetenz siehe oben unter 1.2.2.<br />
313 vgl. FASCHING 1997, S. 103ff.<br />
102
Inhalte und Lernziele sollte eine pädagogische Reflexion möglicher<br />
medienkompetenzbezogener Inhalte und Ziele erfolgen.<br />
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Der Typus Jugendbildungsarbeit zum Thema <strong>Internet</strong> lässt sich weiter differenzieren in<br />
anwendungsorientierte und nicht-anwendungsorientierte Ansätze. Erstere werden hier,<br />
wenn sie produktorientiert arbeiten und nicht bloße technische Schulungen sind, der aktiv-<br />
gestaltenden <strong>Internet</strong>arbeit zugeschlagen. Technisch orientierte Schulungen können<br />
freilich auch dort - sowie <strong>im</strong> Bereich der sozialräumlichen <strong>Internet</strong>arbeit - ihre<br />
Berechtigung haben, um erstes oder spezifisches Anwendungswissen zu vermitteln. Sie<br />
werden jedoch <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> nicht weiter thematisiert.<br />
Konzepte einer nicht-anwendungsorientierten Jugendbildungsarbeit zum Thema <strong>Internet</strong> -<br />
einer Jugendarbeit also, die sich als Bildung über das <strong>Internet</strong> versteht - sind m.E. auf<br />
dem Rückzug. Man dürfte heute von den größeren Trägern der Jugendarbeit kaum noch<br />
Positionen hören, wie sie noch 1987 eine Arbeitsgruppe des Bayerischen Jugendrings<br />
vertrat: „Als eigenständiger Lernort neben Schule und Elternhaus muß Jugendarbeit in der<br />
Bildungsarbeit luK Technologien [Informations- und Kommunikationstechnologien, S.D.]<br />
und ihre gesellschaftliche Anwendung thematisieren. Wir fordern die Jugendarbeit auf [...]<br />
in ihrem Bereich Computer nur unter der Voraussetzung zuzulassen, daß diese als<br />
Hilfsmittel zur Verwirklichung ihrer Prinzipien und Zielsetzungen beitragen“. 314 Diese<br />
technikskeptische Position ist aus zwei Gründen als überholt zu bezeichnen: Erstens<br />
dürfte es heutzutage schwerfallen, Teilnehmerlnnen für überwiegend theorie-orientierte<br />
Bildungsmaßnahmen zum Thema <strong>Internet</strong> zu gewinnen. Zweitens werden mittlerweile<br />
auch <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> <strong>Diskurs</strong> Freiräume zum Erproben der neuen Technologien<br />
massiv eingefordert, legit<strong>im</strong>iert über die Prinzipien der Lebensweltorientierung<br />
(‘Aufwachsen in Medienwelten’) und der Chancengleichheit (‘Zugang für alle’).<br />
Ansätze einer sozialräumlichen <strong>Internet</strong>arbeit können sich über quantitativ bzw. qualitativ<br />
unzureichende <strong>Internet</strong>-Zugangsmöglichkeiten für Jugendliche, insbesondere für solche<br />
aus benachteiligten Gruppen, begründen. Jugendarbeit erhält dann den Auftrag, das als<br />
defizitär beschriebene Angebot an Nutzungsorten in Privatbereich, Öffentlichkeit und<br />
Schule gezielt zu ergänzen - eben als ein speziell auf die Bedürfnisse bzw. die<br />
Lebenssituation Jugendlicher zugeschnittener Nutzungsraum.<br />
314 K. H. BRANDENBURG u.a. zit. nach SCHORB 1995a, S. 92<br />
103
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So kritisiert KüBLER (der freilich keine eigene Konzeption für internetbezogene<br />
Jugendarbeit entwirft) die Zugänge in öffentlichen Bibliotheken und kommerziellen<br />
<strong>Internet</strong>cafes - letztere wegen ihres Spielhallencharakters, beide wegen der für eine<br />
intensive, erprobende Netzaneignung denkbar ungeeignete Atmosphäre tickender<br />
Geldzähler und mangelnden Beistandes. Hier kann LAUFFER anschließen, der zwar auch<br />
in kommerziellen Zugangsangeboten Sozialisationschancen sieht, jedoch als Korrektiv<br />
und als Ort der Ersterfahrung von ökonomischen Interessen freie Netzzugänge in<br />
öffentlichen Räumen für geeigneter hält. Auch Institutionen der außerschulischen<br />
Jugendbildung werden hier aufgerufen, entsprechende Infrastrukturen zu schaffen bzw.<br />
auszubauen. 315<br />
Unter 3.1.3. wurde auf mögliche Begrenzungen und Reglementierungen auch der<br />
schulischen <strong>Internet</strong>zugänge hingewiesen: Zwar gehen <strong>im</strong>mer mehr Schulen ‘ans Netz’,<br />
damit ist aber noch nichts über die Anzahl der internetfähigen Computerplätze und deren<br />
Zugänglichkeit außerhalb von strukturiertem Unterricht ausgesagt. Zu diesen formalen<br />
Reglementierungen können inhaltliche etwa in Form technischer Filterung tatsächlich oder<br />
vermeintlich jugendgefährdender Inhalte kommen. Solche Filtertechniken können - und<br />
müssen oft mangels Aufsichtspersonal - freilich auch in Einrichtungen der<br />
außerschulischen (und hier insbesondere der offenen) Jugendarbeit zum Einsatz<br />
kommen. Hier bieten sich jedoch m.E. bessere Chancen für eine dialogische<br />
Verständigung mit den beteiligten Jugendlichen über Regulierungen der Netznutzung. So<br />
könnte etwa, wie KETZER vorschlägt, anstelle der problematischen Filterung nach<br />
Schlüsselwörtern der Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften als<br />
weniger restriktive Sperrliste Verwendung finden. 316<br />
Eine dezidiert sozialräumlichen Standpunkt vertreten MIKOS und THEUNERT, wenn sie<br />
für die pädagogische Praxis die Aufgabe formulieren, „Räume zu öffnen, die das<br />
selbstbest<strong>im</strong>mte Erproben von Mult<strong>im</strong>edia-Welten erlauben, und zwar eingebettet in<br />
soziale Interaktionsprozesse“. 317 Auch SCHORB plädiert dafür, „Jugendlichen die Räume<br />
zu öffnen, die sie zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten brauchen“. Dies<br />
315 vgl. KÜBLER 1997a, S. 9 sowie LAUFFER 1997, S. 112<br />
316 vgl. KETZER 1999, Kap. 6.4<br />
317 HELGA THEUNERT zit. nach MIKOS 1997, S. 68f.<br />
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begründet er jedoch damit, dass <strong>im</strong> Rahmen pädagogischer Medienkompetenz-Förderung<br />
auch „die Fertigkeit, mediale Gestaltungsmöglichkeiten selbst zur Vermittlung von Inhalten<br />
zu nutzen, eigentätig einen reflexiv-praktischen Medienzugang zu gewinnen“,<br />
berücksichtigt werden müsse; das hierzu notwendige Bedienungswissen sei bei den<br />
medial sozialisierten Jugendlichen der Gegenwart eh vorhanden. Es geht SCHORB also<br />
auch <strong>im</strong> sozialräumlichen Kontext vor allem um das Handlungsfeld der Mediengestaltung<br />
(in jugendlicher Eigeninitiative). Dennoch findet sich an dieser Stelle bei SCHORB auch<br />
eine Rehabilitation des Chattens: Dieses sei „für Jugendliche mindestens so sinnvoll wie<br />
eine Übertragung von Börsennachrichten über das gleiche Medium“. 318<br />
Sozialräumliche Positionen an der Schwelle zu Online-Jugendarbeit bezieht ZACHARIAS.<br />
Aus spielpädagogischer Perspektive fordert er: „Auch die Spielpädagogik sollte sich aktiv<br />
virtuelle Räume, Treffs und Diskussionsforen sichern, für sich, für Kinder und Jugendliche.<br />
<strong>Das</strong> könnte der aktuelle Ansatz sein: Nichtkommerzielle Spielplätze <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> in der<br />
Logik öffentlicher Kinder- und Jugendkulturarbeit“. Hier ist auch vom „‘Recht’ der Kinder<br />
und Jugendlichen auf ihre eigenen Spiele, Kulturen, Freizeitformen“ sowie von einer<br />
tendenziellen Auflösung pädagogischer Hierarchie bedingt durch den Wissensvorsprung<br />
der jüngeren Generation <strong>im</strong> Bereich digitaler Spiel- und Lernwelten die Rede. 319 So schön<br />
die Idee nichtkommerzieller, nach <strong>pädagogischen</strong> Kriterien gestalteter, virtueller<br />
‘Spielräume’ ist: Werden diese in der Aufmerksamkeitskonkurrenz mit den unzähligen<br />
kommerziellen (oder auch aus pädagogischer Perspektive fragwürdigen<br />
nichtkommerziellen) bestehen können? Und unter welchen Bedingungen? Fragen, die wir<br />
mit ins nächste Kapitel nehmen sollten.<br />
Als Zielsetzung sozialräumlicher Ansätze wird meist die Ermöglichung des Erwerbs von<br />
<strong>Internet</strong>nutzungskompetenzen für benachteiligte Jugendliche genannt. Als ‘benachteiligt’<br />
können hier insbesondere Jugendliche ohne private Zugangsmöglichkeit, Jugendliche aus<br />
bildungsferneren Milieus und weibliche Jugendliche angesehen werden; letztere, da die<br />
kulturelle Konstruktion ihrer Geschlechtsrolle <strong>im</strong>mer noch technikdistanzierte<br />
Einstellungsmuster fördert. Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang die auf<br />
dem Neunten Remscheider Computerforum von <strong>pädagogischen</strong> Praktikerinnen mehrfach<br />
318 SCHORB 1995a, S. 90f.<br />
319 ZACHARIAS 1999b, S. 48ff.<br />
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vorgetragene Beobachtung, dass es zwei deutlich abgegrenzte Varianten der<br />
Geschlechterverteilung in offenen <strong>Internet</strong>angeboten gebe: In den einen herrsche<br />
Gleichverteilung, in den anderen eine erhebliche Überzahl männlicher Nutzer. <strong>Das</strong> erlaubt<br />
den Schluss, dass zumindest geschlechtsspezifische Hürden durch geeignete<br />
institutionelle Bedingungen bzw. pädagogische Maßnahmen abbaubar sind.<br />
Die Öffnung von Freiräumen zur eigenständigen Netzaneignung - meist gedacht in<br />
sozialen Kontexten, mit pädagogischer Unterstützung und Anleitung bei Bedarf - kann<br />
neben Chancengleichheit aber auch <strong>im</strong> Interesse eher qualitativer Zielsetzungen<br />
eingefordert werden. So führt etwa LAUFFER <strong>im</strong> Kontext seiner Forderung nach offenen<br />
Nutzungsräumen in der Kinderund Jugendbildung die Lernziele eines kreativen, eines<br />
kritischen und eines in Bezug auf Gefährdungspotentiale kompetenten Umgangs mit den<br />
Möglichkeiten des <strong>Internet</strong> an. 320<br />
Auch Ansätze sozialräumlicher <strong>Internet</strong>arbeit bewegen sich, wie man hier sieht, in der<br />
problematischen Zwiespältigkeit, die MÜLLER-GIEBELER insbesondere bei<br />
Vertreterinnen ‘modernisierter’ Ansätze in der Jugendarbeit kritisch vermerkt: „Man<br />
postuliert zwar einerseits Freiraumcharakter für die Jugendarbeit und will sich der<br />
Lebenslage Jugendlicher in den hochgradig individualisierten gesellschaftlichen<br />
Zusammenhängen stellen, verbindet das aber seltsam unklar mit jeweils ganz best<strong>im</strong>mten<br />
Vorstellungen von den richtigen, für die Jugendlichen relevanten, in ihrem Interesse<br />
liegenden, ihnen zu vermittelnden Wissensbeständen und Deutungsvorgaben“. 321 Auf<br />
MÜLLER - GIEBELERs Lösungsansatz werden wir abschließend zu sprechen kommen,<br />
wenden wir uns jedoch zunächst der aktiv-gestaltenden <strong>Internet</strong>arbeit zu.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Internet</strong>, so FASCHING, „wird durch seine Nutzung definiert; was die Nutzer daraus<br />
machen, bleibt abzuwarten“; und an anderer Stelle: „Da das <strong>Internet</strong> die Aktivierung des<br />
Nutzers <strong>im</strong>pliziert, ist es hervorragend zum Einsatz in der aktiven Medienarbeit geeignet.<br />
Neben der Handlungskompetenz <strong>im</strong> Umgang mit dem Medium <strong>Internet</strong> [...] soll sich auch<br />
eine tiefere Einsicht in den Prozeß der Informationsbereitstellung und -aufnahme und in<br />
die mögliche Manipulierbarkeit entwickeln“. 322 Während hier ‘Mediengestaltung’ vor allem<br />
instrumentell auf die anderen drei der unter 4.2.2. genannten vier Kompetenzbereiche -<br />
320 vgl. LAUFFER 1997, S. 112<br />
321 MÜLLER-GIEBELER 1996, S. 129<br />
322 FASCHING 1997, S. 114 sowie S. 107<br />
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‘Mediennutzung’, ‘Medienkunde’ und ‘Medienkritik’ - bezogen wird, thematisiert BAACKE<br />
sie vor allem in ihrem Eigenwert: Außerschulische Jugendarbeit - egal, ob eher an Kultur-<br />
oder an Sozialarbeit orientiert - habe die Aufgabe (und besondere Eignung), kreative<br />
mult<strong>im</strong>ediale Gestaltungsmöglichkeiten des Netzes auszuloten, neue Arbeitsformen und-<br />
felder zu erschließen; anders als Schule, die eher für curricular organisierte Lernformen<br />
zuständig zu machen sei. 323<br />
Wenn also informell ansozialisierte Medienkompetenz vorwiegend (wie<br />
MEISTER/SANDER und KÜBLER meinen) konsumptiven Charakter hat und der<br />
schulische Netzeinsatz (so er denn stattfindet) vorwiegend Medienkunde/Medienkritik<br />
sowie instrumentelle Mediennutzung <strong>im</strong> Dienst oftmals geschlossener<br />
Aufgabenstellungen hervorbringt, so liegen besondere Chancen für Jugendarbeit in der<br />
expressiven, kreativen, selbstdarstellenden Mediengestaltung (neben der freilich ebenso<br />
berechtigten ‘sozialräumlichen’ Ermöglichung des Erwerbs eher ‘konsumptiver’<br />
Mediennutzungsweisen für hier benachteiligte Jugendliche).<br />
In die Richtung eines Eigenwerts expressiver <strong>Internet</strong>gestaltung geht auch die oben<br />
angeführte Position SCHORBs, wenn hier auch die Kompetenz zu Medienkritik auf der<br />
Zield<strong>im</strong>esion eine wichtige Rolle spielt. Mögliche demokratisierende und auch<br />
innovierende Aspekte internetbezogener Mediengestaltung hat SCHORB <strong>im</strong> Blick, wenn<br />
er Pädagogik die Aufgabe zuweist, „neue, alternative und selbstverständliche<br />
Umgangsweisen mit den Medien aufzuspüren und weiterzugeben“; diese seien vor allem<br />
bei besonders medienkompetenten Jugendlichen zu finden: „In der Neugier und<br />
Exper<strong>im</strong>entierfreude der Jugend steckt ein Potential, das das Postulat, Medien seien<br />
Mittler selbstbest<strong>im</strong>mter menschlicher Kommunikation, ernst n<strong>im</strong>mt“. 324<br />
Während SCHORB hier eine aufklärerische Zielrichtung nur oberhalb der Ebene des<br />
Mediums <strong>Internet</strong> akzeptiert, sieht SCHINDLER schon in der Aneignung der „neuen<br />
Kulturtechnik“ <strong>Internet</strong>nutzung einen „Emanzipationsprozeß <strong>im</strong> besten Sinne“. Der<br />
internetvermittelte Prozess wechselseitiger Jugendinformation, ermöglicht durch<br />
323 Vgl. BAACKE 1997, S. 33<br />
324 SCHORB 1995b, S. 27 sowie S. 21<br />
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niederschwelliges Publizieren via E-Mail und WWW, wird hier als Beitrag zu medialer<br />
Demokratisierung betrachtet. 325<br />
Ansätze aktiv-gestaltender <strong>Internet</strong>arbeit finden sich auch <strong>im</strong> Kontext<br />
jugendschützerischer Argumentationen: So sieht KETZER eine zentrale Aufgabe eines<br />
reflektierten Jugendmedienschutzes darin, „Jugendliche zur aktiven Beteiligung am<br />
weltweiten Netz zu motivieren und sie nicht als passive Rezipienten des angebotenen<br />
Materials zu betrachten“; die pädagogische Qualität von Mediengestaltung wird dabei<br />
nicht schwerpunktmäßig <strong>im</strong> medialen Output (nämlich: jugendgemäßen Angeboten von<br />
Jugendlichen für Jugendliche), sondern in der Stärkung, <strong>im</strong> Kompetenzerwerb der<br />
Jugendlichen qua gestaltender Aneignung des Mediums gesehen. 326<br />
Konzepte zur praktischen Umsetzung aktiv-gestaltender <strong>Internet</strong>arbeit werden von<br />
SCHORB und RÖLL kontrovers diskutiert: ROLL spricht sich für eine lockere Vernetzung<br />
von Einzel- und Gruppenaktivitäten aus, in der Erfahrungsmöglichkeiten erweitert werden,<br />
aber auch die verschiedenen internetbezogenen Bedürfnisse, Hobbys, Interessen und<br />
spezifischen Fähigkeiten der beteiligten Jugendlichen „interagierend zusammengeführt“<br />
werden: „Die Mehrd<strong>im</strong>ensionalität einer Fläche, in der man sich in einem virtuellen Gipfel<br />
als Gemeinschaft definiert, aber gleichzeitig Einzelerfahrungen sammeln kann, ohne<br />
gebunden zu sein, dies schafft eine andere Qualität, ein anderes Lernverhältnis“. Die<br />
Funktion des Pädagogen wird hier als die eines ‘Navigators’ best<strong>im</strong>mt; dessen Aufgabe<br />
ist es, Jugendliche bei der Verwirklichung von Ideen zu unterstützen, ihnen neue<br />
Perspektiven zu eröffnen und als Mittler zwischen Jugendlichen den Erwerb von<br />
Medienkompetenz in wechselseitigem Von-einander-Lernen zu fördern. SCHORB sieht in<br />
diesem Modell die Gefahr einer „Reproduktion der arbeitsteiligen kapitalistischen<br />
Informationsgesellschaft“; PädagogInnen müssten eben mehr sein als bloße<br />
Navigatorinnen, müssten einen - mit dem Medium <strong>Internet</strong> schwer zu erreichenden -<br />
kollektiven Prozess ermöglichen, in dem Jugendliche „etwas voneinander mitkriegen“ und<br />
nicht ein gemeinsames Produkt erstellen, bei dem am Ende „gar keiner mehr weiß, was<br />
der andere wirklich gemacht hat“. 327<br />
325 SCHINDLER 1997, S. 427f.<br />
326 KETZER 1999, Kap. 10<br />
327 SCHORB/RÖLL 1999, S. 23f.<br />
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Die an den Topos Entfremdung’ aus der marxistischen Theorie anschließende Kritik<br />
SCHORBs sollte m.E. zwar in die Reflexion pädagogischer Praxisprojekte einbezogen<br />
werden, ist jedoch sowohl in ihren Prämissen als auch in ihrer Anwendbarkeit auf RÖLLs<br />
Konzept zu kritisieren: Warum sollte jedeR Jugendliche alle zum gemeinsamen Produkt<br />
hinführenden Arbeitsprozesse kennenlernen müssen, wenn spezifische Interessen<br />
überwiegen? Und geht es RÖLL nicht gerade auch um den Austausch von Erfahrungen?<br />
RÖLLs Fazit: „Ich will die Leute kompetent machen in der hiesigen Gesellschaft, die<br />
arbeitsteilig ist, die vom Computer beherrscht wird, sie in die Lage versetzen,<br />
handlungsorientiert, selbstbewusst, interaktiv und mit dem Moment von Faszination, die<br />
dieses Medium für sie auch ausübt, annehmend arbeiten, agieren und partizipativ in die<br />
Gesellschaft eingreifen zu können“. 328<br />
In RÖLLs Entwurf konvergieren Elemente sozialräumlicher und aktivgestaltender<br />
<strong>Internet</strong>arbeit, insofern einerseits der Schwerpunkt pädagogischer Aufgaben <strong>im</strong> Öffnen<br />
von Räumen, <strong>im</strong> Ermöglichen von bedürfnisgerechter eigenständiger Netzaneignung und<br />
in der vermittelnden Schaffung bzw. Förderung sozialer Netze gesehen wird, andererseits<br />
die Zielrichtung auf die Vermittlung neuer Nutzungsperspektiven - hier als pädagogisch<br />
unterstützter Austausch zwischen Jugendlichen konzipiert - und auf ein gemeinsames<br />
Produkt hin erhalten bleibt.<br />
Hier ist m.E. Anschlussfähigkeit gegeben an MÜLLER-GIEBELERs Konzeption des<br />
‘Pädagogen als Mittler in der Wirklichkeitsvielfalt’ individualisierter und damit notwendig<br />
multikultureller Gesellschaften. Die Kernpunkte dieser auf ähnlichen<br />
gesellschaftstheoretischen Grundlagen wie die vorliegende Arbeit 329 entwickelten<br />
Konzeption sollen hier abschließend, als ein möglicher Maßstab für pädagogische Praxis,<br />
vorgestellt werden.<br />
Als Aufgaben für pädagogische Praktikerinnen werden hier benannt:<br />
328 a.a.O., S. 24<br />
329 siehe dazu oben unter 2.3. und vgl. MÜLLER-GIEBELER 1996, S. 15ff ., S. 35ff sowie S. 40ff<br />
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a)das Anbieten von Räumen, in denen „Jugendliche die Möglichkeit haben, ihre eigenen<br />
Deutungen und soziokulturellen Ausarbeitungen 330 sich bewusst zu machen, zu<br />
reflektieren und weiterzuentwickeln“;<br />
b)der <strong>Diskurs</strong> mit den Jugendlichen über ihre Ausarbeitungen und Lösungsvorschläge vor<br />
der Folie ihres Alltags und der Situation vor Ort;<br />
c)ein Angebot an methodischen Hilfestellungen zur Förderung wechselseitiger<br />
Verständigung (genauer: einer wechselseitigen tendenziellen Annäherung „in<br />
vorläufigen Theorien“) einschließlich des Umgangs mit Vorläufigkeit und Grenzen<br />
intersubjektiven Verstehens;<br />
d)eine Erweiterung des Spektrums der Wahlmöglichkeiten Jugendlicher durch Vorstellung<br />
von bzw. Erfahrungsangebote mit neuen „Deutungsmöglichkeiten, Interpretationen,<br />
Ausarbeitungen, Symbolsystemen“ und schließlich<br />
e)das Anbieten vermittelnder Methoden, die Jugendlichen bei Auseinandersetzungen,<br />
Einigungsprozessen und ggf. auch bei Trennung und Ablösung voneinander<br />
unterstützen: zentrale Aufgabe für PädagogInnen „in der Vermittlung der Vielfalt der<br />
modernen Lebenswelt wäre eben nicht nur, Einigung und Verstehen zu ermöglichen,<br />
sondern auch, Unterschied und Nichtverstehen zu ermöglichen, den Zwang zu<br />
Homogenität aufzubrechen, statt ihn einzuführen oder zu verstärken“ 331<br />
f) <strong>Das</strong> Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />
Zust<strong>im</strong>mung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. <strong>Das</strong> gilt insbesondere für<br />
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und<br />
Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />
330 ‘soziokulturelle Ausarbeitung’ meint bei MÜLLER-GIEBELER das, was REICH ‘Rekonstruktion’ nennt:<br />
von kollektiven Wissensbeständen best<strong>im</strong>mte Konstruktionen; nicht-konstruktivistisch gesprochen:<br />
ansozialisierte Einstellungen<br />
331 MÜLLER-GIEBELER 1996, S. 131f. (MÜLLER-GIEBELER bezieht sich hier insbesondere auf den<br />
Umgang mit problematisch gewordenem Alltag bzw. mit <strong>im</strong> <strong>pädagogischen</strong> Praxisfeld ustande<br />
kommenden Problemen; diese Perspektive bleibt in meiner Wiedergabe ihrer Position aufgrund der<br />
anders gelagerten Fragestellung – hier geht es in erster Linie um bedürfnisgerechte kreative<br />
Mediennutzung und erst in zweiter um dabei möglicherweise auftretende Probleme – ehrer am Rand)<br />
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