WK_Dez16_BUCH_ANSICHT
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ser umzugehen, also begnüge ich mich<br />
damit, staunend zu beobachten, wie der<br />
Opa dem Lindenholz Zug um Zug allmählich<br />
eine menschliche Gestalt entlockt. Wir<br />
sprechen nicht viel. Bei den Männern unserer<br />
Familie gilt: Gesprochen wird, wenn<br />
man etwas zu sagen hat. Ansonsten ist man<br />
still und konzentriert sich auf das Wesentliche.<br />
So sitzen wir eine Weile schweigend<br />
nebeneinander. Dabei denke und<br />
grüble ich, wie denn der Opa aus grobem<br />
Holz Mann und Frau erschaffen kann. Mir<br />
kommt vor, er muss Zauberhände haben.<br />
Leicht führt die von körperlicher Arbeit<br />
gezeichnete Hand das Schnitzmesser, als<br />
würde es durch Butter gleiten. Schließlich<br />
fasse ich mir doch ein Herz: „Du, sog<br />
amoi Opa, wia kust denn du des?“ Hat<br />
er mich gehört? Er schnitzt ruhig weiter,<br />
scheint aber über meine Frage nachzudenken.<br />
Dann nimmt er ein Lindenscheit, legt<br />
es mir in die Hand und sagt: „Do, schau.<br />
Schau ganz genau hi. Die Figur, da Kopf,<br />
die Händ, die Fiaß – des is ois scho im<br />
Hoiz drin. Nur des Äußere, wos nit dazuagheat,<br />
des muasst hoit wegschneidn. Is<br />
gonz oafoch.“ Seine Erklärung fasziniert<br />
mich dermaßen, dass ich von nun an überall<br />
herumliegende Scheitl, Baumstöcke<br />
und Wurzeln eingehendst betrachte und<br />
rätsle, welches Tier, welches Menscherl<br />
sich darin wohl verbergen könnte.<br />
MIT TATKRAFT UND HUMOR<br />
Als sein Sohn, Christian Strasser junior, den<br />
Schösserhof übernimmt, gewinnt sein Vater<br />
immer mehr Zeit und verbringt sie oft<br />
in seinem Machkammerl, um die im Holz<br />
gefangenen Menschen und Tiere zu befreien.<br />
Zahlreiche Holzskulpturen entstehen,<br />
alle werden mit einem Titel versehen. Heiligenfiguren<br />
ebenso wie bäuerliche Szenen,<br />
modern anmutende Tänzerinnen sowie<br />
leicht bekleidete Allegorien wie etwa<br />
die Hoffart. „Die mochte die Oma nicht so<br />
gern“, schmunzelt Elisabeth, wenn sie sich<br />
an die Reaktion ihrer Großmutter beim Anblick<br />
der buntgefärbten Damen erinnert.<br />
Die meisten Skulpturen sind fein säuberlich<br />
im Haus aufgestellt. Auf einem Regal<br />
in der Stube und auch im Vorraum des<br />
alten Bauernhauses. Eine sticht aus den<br />
restlichen besonders hervor. Zu sehen ist<br />
nur ein aufgespannter Sonnenschirm, unter<br />
dem sich vier Beine – offensichtlich jene<br />
eines Liebespaars – ineinander verschlingen<br />
(siehe dazu das Foto auf Seite 12). Der<br />
Titel: Die Schüchternen. „Was ich aber<br />
schon als Kind besonders an dieser Holzfigur<br />
mochte, war es zu beobachten, wie<br />
Leute die kleine Statue in ihren Händen<br />
beinah automatisch umdrehten. Fast so als<br />
wollten sie nachsehen, wer sich tatsächlich<br />
unter diesem Schirm befindet.“ Groß war<br />
dann immer die Überraschung, als man<br />
auf der Rückseite nur einen ausgearbeiteten<br />
leeren, aufgespannten Schirm zu Gesicht<br />
bekam. Christian Strasser hatte den<br />
Erwartungen sowie der Sensations- und<br />
Neugier der Betrachter mit dem ihm eigenen<br />
Humor ein Schnippchen geschlagen.<br />
Dieser möge ihm noch viele und lange Jahre<br />
erhalten bleiben!<br />
Wilde Kaiserin<br />
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