15.05.2017 Aufrufe

Passion Genuss 01/2017 - passgen_1_2017_blaetterkatalog.pdf

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

TRENDS<br />

Der verblüffende<br />

Siegeszug des Gemüses<br />

Was nur hat das Gemüse verbrochen, dass es in unserer Sprache so schlecht wegkommt?<br />

Wer „Erbsen zählt“, ist bekanntlich wegen seines pingeligen Verhaltens nicht<br />

besonders beliebt. Wenn es irgendwo aussieht wie „Kraut und Rüben“, dann herrscht<br />

das Chaos. Und wenn man fehlende Teamqualität, etwa bei einer Fußballmannschaft,<br />

auf den Punkt bringen möchte, spricht man gern von einer „Gurkentruppe“.<br />

Text: Martin Maria Schwarz<br />

Warum nur wird und wurde so gern zu Gemüse<br />

gegriffen, wenn man schlecht von etwas reden<br />

möchte? Bei vielen dieser Redensarten reicht<br />

der Ursprung zurück in die Zeit zwischen dem 17. und 19.<br />

Jahrhundert. Vermutlich liegt in der Tatsache, dass in diesen<br />

ungleich ärmeren Epochen Blätter und Knollen, Wurzeln<br />

und Stauden wohl täglich und bis zum Überdruss den Speiseplan<br />

dominierten, auch der Grund für den herablassenden<br />

sprachlichen Umgang. Und die Idiome sind nachhaltig. Allen<br />

Veränderungen zum Trotz gilt immer noch, dass uns etwas<br />

„nicht die Bohne interessiert“. Aber wie sehr haben sich<br />

doch die Vorzeichen in ihr Gegenteil verkehrt.<br />

Schauplatz Spitzenküche<br />

Man braucht nur einmal die aktuellen Menükarten der<br />

Zwei- und Drei-Sternerestaurants bei uns studieren und<br />

die Anzahl der Gerichte zählen, in denen Petersilienwurzel,<br />

Knollensellerie, Lauch, Kürbis, Rosenkohl, Grünkohl, Rote<br />

Bete oder Gelbe Bete auftauchen. Man wird feststellen,<br />

dass sie für moderne Köche nahezu zur krönenden Zierde<br />

geworden sind. Für Menschen, die die Nachkriegszeit noch<br />

miterlebt haben, sind die Gemüse selbstverständliche<br />

Bestandteile ihrer eigenen Nahrungssozialisation, ohne,<br />

dass sie je mit dem Anspruch auf einen höheren <strong>Genuss</strong><br />

verbunden waren, so matschig-breiig, wie früher alles verkocht<br />

wurde. Dieser Makel ist längst beseitigt. Allein die<br />

Karriere der Roten Bete wäre eine Sonderbetrachtung wert.<br />

Vom Kinderschreck der 1970er und 80er Jahre ist sie zur<br />

Prinzessin der Gourmandise in den 2000ern aufgestiegen.<br />

Kein Wunder bei ihrem Talent, spielt sie doch gleichzeitig<br />

auf der fruchtigen wie erdigen Aromaklaviatur, glänzt, entsprechend<br />

mariniert, im Rohzustand (siehe nur die vielen<br />

Rote-Bete-Carpaccios), reüssiert gekocht, gedünstet und<br />

gebraten. Beim Kürbis hat es ähnlich funktioniert. Und auch<br />

vor dem lange wegen seiner Bitterstoffe geächteten<br />

Rosenkohl verbeugt sich heute mindestens die Hälfte<br />

der Spitzenköche, wie überhaupt die Artenvielfalt von<br />

Kohl zu einer Fundgrube kulinarischen Entdeckersinns<br />

wurde. Romanesco, Pak Choi, Spitzkohl, Sprossenkohl,<br />

Mizuna oder Red Giant sind als Folge nicht nur in die<br />

Gourmetküchen eingezogen, sondern werden dort mit<br />

großem, handwerklichem Aufwand und künstlerischem<br />

Esprit in Szene gesetzt.<br />

Das ist der zweite Coup des anhaltenden Gemüseerfolgs.<br />

Stauden, Knollen, Hülsen früchte und Wurzeln<br />

werden nicht mehr nur bloß auf dem Teller beigelegt,<br />

sondern dort regelrecht inszeniert. Da wird Blumenkohl<br />

fermentiert oder Gelbe Bete in Salzteig gebacken, da<br />

werden Rosenkohlsprossen am Strunk geschmort und<br />

vor Gästen auf die Teller geschnitten. Liegen die eigentlichen<br />

Geschmacksabenteuer und Gaumensensationen<br />

nicht längst auf diesem Feld, in Zeiten, in denen der<br />

anspruchsvolle Feinschmecker mit allen Fleischspezialitäten<br />

bis hin zum Wagyu-Rind längst vertraut ist, er<br />

Jakobsmuscheln und alle Sorten von Kaviar, alle Kreationen<br />

von Gänseleber bereits gekostet hat? Und ein<br />

perfekt gegartes Fleisch dank moderner Küchentechnik<br />

und des kochphysikalischen Wissens heute zu den<br />

Basics gehört, bzw. gehören sollte.<br />

Schauplatz Süßspeisenküche<br />

Gemüse bleibt Gemüse, und seine klassische Rolle liegt<br />

in der Nachbarschaft von Fisch, Fleisch und Soße. Diese<br />

Regel galt einmal und wird von Traditionalisten auch<br />

weiter verteidigt. Aber die Entwicklung ist erfreulicherweise<br />

weitergegangen, schließlich besitzen Tomate,<br />

Rote Bete und Karotte natürliche Süße, die es auszulo-<br />

PASSIONGENUSS <strong>01</strong>.17<br />

8

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!