Drehen-am-Rad-der-Zeit
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SCHWERPUNKT OTTENBACH<br />
Von <strong>der</strong> Heimarbeit zu Spräggele im Restaurant<br />
48<br />
«Ruedi Egli benannte das<br />
Restaurant Othli nach Othmar,<br />
einem Besitzer <strong>der</strong> Liegenschaft<br />
im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t.»<br />
Auch innerhalb des Dorfbezirks bestanden<br />
weitreichende Beschränkungen in <strong>der</strong> Nutzung<br />
des eigenen Landes. Voraussetzung für den Bau<br />
eines Hauses war <strong>der</strong> Besitz einer Dorfgerechtigkeit.<br />
Ottenbach zählte in <strong>der</strong> frühen Neuzeit<br />
52 Dorfgerechtigkeiten und somit 52 beheizte<br />
Wohnhäuser. Nur <strong>der</strong> Besitz einer Dorfgerechtigkeit<br />
erlaubte den Betrieb eines Ofens. Bei<br />
Erbteilungen konnten die Häuser zwar geteilt,<br />
aber keine Neubauten erstellt werden. Neubauten<br />
waren nur erlaubt, wenn ein an<strong>der</strong>es Haus<br />
abgebrochen o<strong>der</strong> zu einem ungeheizten Ökonomiegebäude<br />
umgenutzt wurde. Das Volumen<br />
des Ofens, zu dessen Betrieb eine ganze o<strong>der</strong><br />
eine halbe Dorfgerechtigkeit berechtigte, war<br />
ebenso reglementiert wie das Holz, das man<br />
fürs Heizen erhielt. Die Dorfgerechtigkeit erlaubte<br />
auch die Mitnutzung <strong>der</strong> Gemeindegüter,<br />
die vor allem aus Wald und Weiden bestanden.<br />
Eine halbe Gerechtigkeit bedeutete entsprechend<br />
ein halbes Nutzungsrecht an den Gemeindegütern.<br />
Wer über das Gemeindebürgerrecht verfügte,<br />
nicht aber über eine Dorfgerechtigkeit,<br />
wurde als Hintersässe geduldet und musste sich<br />
im Haus eines Inhabers einer Dorfgerechtigkeit<br />
einmieten und mit diesem den Ofen teilen.<br />
In <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts übten<br />
vor allem die deutschen Rheingebiete und<br />
die Pfalz eine grosse Anziehungskraft auf landarme<br />
und landlose Menschen aus unserer Region<br />
aus. Der Dreissigjährige Krieg (1618-48)<br />
hatte in Deutschland ganze Landstriche entvölkert;<br />
insges<strong>am</strong>t k<strong>am</strong> etwa die Hälfte <strong>der</strong> deutschen<br />
Bevölkerung infolge dieses dreissigjährigen<br />
Mordens ums Leben, während bei uns das<br />
Land immer spärlicher wurde. Die Auswan<strong>der</strong>ung<br />
erfolgte meist schrittweise: Landlose halfen<br />
bei <strong>der</strong> Getreideernte den hiesigen Grossbauern,<br />
im Herbst zogen viele ins Elsass zur<br />
Weinernte, wo Wein für gehobene Ansprüche<br />
gekeltert wurde, während <strong>der</strong> Ottenbacher Wein<br />
mehr saurem Most als heutigem Wein ähnelte.<br />
Vom Elsass aus war es nicht mehr so weit, um<br />
als Knecht o<strong>der</strong> Magd in <strong>der</strong> Pfalz Arbeit zu suchen.<br />
Manche wan<strong>der</strong>ten zuerst als Saisonarbeiter<br />
in die Pfalz, um irgendwann dort sesshaft<br />
zu werden.<br />
Wer zu viel Land hatte, um Ottenbach zu verlassen,<br />
aber zu wenig, um seine F<strong>am</strong>ilie zu ernähren,<br />
musste mit textiler Heimarbeit einen Zusatzverdienst<br />
erwerben. 1785 zählte Ottenbach<br />
bei einer Ges<strong>am</strong>tbevölkerung von etwa 750 Personen<br />
nicht weniger als 430 Baumwollspinner<br />
– o<strong>der</strong>, vielmehr Spinnerinnen, denn die Spindel<br />
war Arbeitsinstrument <strong>der</strong> Frauen und Kin<strong>der</strong>.<br />
In diesem Milieu entstand die Spräggele. Die<br />
erste Erwähnung dieses Brauchs st<strong>am</strong>mt vom<br />
Kappeler Pfarrvikar Hans Heinrich Meyer aus<br />
dem Jahr 1797. Pfarrer Meyer beschrieb die Situation<br />
<strong>der</strong> Baumwollspinner: In den meisten<br />
F<strong>am</strong>ilien müssten alle Frauen sowie die Mädchen<br />
und im Winter auch die Knaben ab etwa<br />
sechs Jahren Baumwolle spinnen. Um im Winter<br />
Licht zu sparen, treffe man sich in sogenannten<br />
«Lichtstubeten».