01/2017 KiGa-Heft
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Erziehung & Kindergarten<br />
Frau Stamm, wie können Eltern ihr<br />
Kindergartenkind unterstützen?<br />
Indem sie sich auf den Rhythmus<br />
und die Bedürfnisse ihres Kindes<br />
einstellen. Für manche Mütter und<br />
Väter mag das «bünzlig» tönen, denn<br />
schliesslich fügen sich viele Kinder<br />
problemlos in die Agenda ihrer<br />
Eltern ein. Dennoch: Um sich an die<br />
neuen Strukturen zu gewöhnen,<br />
braucht ein Kind viel, viel Zeit.<br />
Was sind die grössten Herausforderungen<br />
für ein Kind beim Eintritt in<br />
den Kindergarten?<br />
Die Eingewöhnung in eine grosse,<br />
heterogene Gruppe und die Fähigkeit,<br />
sich zurückzuhalten, seine<br />
Bedürfnisse zu kontrollieren oder<br />
aufzuschieben und mit seinen Frustrationen<br />
umzugehen, stellen die<br />
grössten Aufgaben für ein Kindergartenkind<br />
dar. Manchmal kommen<br />
noch Schwierigkeiten bei den<br />
sprachlichen und motorischen<br />
Fähigkeiten hinzu. Diese Fähigkeiten<br />
sind die Basis für die Entwicklung<br />
eines guten Selbstwertgefühls,<br />
dank ihnen kann das Kind gut in<br />
einer Gruppe bestehen. Wenn es<br />
diesen Übergang schafft, wird es<br />
zukünftige herausfordernde Situationen<br />
gut und erfolgreich meistern<br />
können.<br />
Es gibt den Begriff «Kindergartenreife».<br />
Wann ist denn ein Kind kindergartenreif?<br />
Das Wort mag ich nicht so. Ich spreche<br />
lieber von «Kindergartenbereitschaft»,<br />
weil ich der Ansicht bin, dass<br />
Kriterien für den Kindergarteneintritt<br />
diskutiert werden sollten.<br />
Manche Eltern erhalten mit der<br />
Anmeldung in den Kindergarten ein<br />
Merkblatt, auf welchem steht, was das<br />
Kind schon können sollte. Das sorgt<br />
bei vielen Eltern für Verunsicherung.<br />
Ja, vor allem, wenn das Merkblatt als<br />
eine Art Forderungskatalog verstanden<br />
wird. Es kommt also sehr darauf<br />
an, wie man ein solches Papier formuliert.<br />
Ich wünsche mir zudem,<br />
dass man sich nicht erst bei der<br />
Anmeldung mit dem Kindergarteneintritt<br />
beschäftigt, sondern viel früher;<br />
in der Familie, der Spielgruppe,<br />
in der Kita und auch in der kinderärztlichen<br />
Praxis. Aus der Forschung<br />
wissen wir, dass die Weichen für<br />
einen positiven Kindergarteneintritt<br />
schon viel früher gestellt werden.<br />
«Lassen Sie Ihrem<br />
Kindergartenkind<br />
Zeit, sich an die<br />
neuen Strukturen<br />
zu gewöhnen.»<br />
Was sind denn die Kriterien der<br />
Kindergartenbereitschaft?<br />
Erstens: dass ein Kind lernt, mit<br />
anderen Kindern in einer grösseren<br />
Gruppe zurechtzukommen, ohne<br />
dass eine erwachsene Person ständig<br />
eingreifend oder unterstützend zur<br />
Stelle ist. Die Kinder müssen lernen,<br />
selber etwas auszutragen. Zweitens:<br />
die Fähigkeit, sich in diese Gruppe<br />
einzufügen. Lernen zu warten. Ein<br />
Bedürfnis aufzuschieben. Zu akzeptieren,<br />
dass man etwas anderes<br />
machen soll, als man selber gerade<br />
möchte. Drittens: ein gewisses Mass<br />
an Selbständigkeit. Ich höre aus Kindergärten<br />
immer wieder, dass es den<br />
kleineren Kindern Mühe bereitet,<br />
den Reissverschluss ihrer Jacke zuzuziehen<br />
oder die Schuhe anzuziehen.<br />
Das Anziehen ist im Kindergarten<br />
wichtig, weil die Kinder oft nach<br />
draussen gehen. Wenn das Kind diese<br />
Dinge einigermassen gut kann,<br />
wirkt das positiv auf sein Selbstbewusstsein.<br />
Wie können Eltern dabei helfen?<br />
Solche Dinge kann man bewusst und<br />
spielerisch üben oder das Kind dazu<br />
anleiten. Es ist wichtig, dass das Kind<br />
merkt, dass Mama oder Papa nicht<br />
alles für es tut. Natürlich weiss ich,<br />
dass Fertigkeiten wie Anziehen oder<br />
Zähneputzen im hektischen Alltag<br />
oft genau in jenen Momenten gefordert<br />
sind, in denen es schnell gehen<br />
muss. Genau deshalb sollte man das<br />
an freien Tagen mit dem Kind üben.<br />
Man täte ihm damit einen grossen<br />
Gefallen.<br />
Und was können Eltern tun, damit das<br />
Kind sich in einer heterogenen Gruppe<br />
anpassen lernt?<br />
Eltern sollten ihr Kind so erziehen,<br />
dass es lernt, seine Bedürfnisse in<br />
gewissen Zeiten unterzuordnen. Die<br />
Bedürfnisse eines Kindes sollten<br />
nicht dauernd im Zentrum stehen.<br />
Man sollte also nicht immer das tun,<br />
was das Kind gerade möchte. Eltern<br />
müssen sich bewusst sein, dass im<br />
Kindergarten Kinder aus den unterschiedlichsten<br />
Schichten und Kulturen<br />
aufeinandertreffen. Kinder, die<br />
sich sonst nie begegnen würden.<br />
Hinzu kommt: Es sind viel mehr<br />
Kinder als in der Kita oder in der<br />
Spielgruppe, manchmal bis zu 20,<br />
teilweise auch ältere Kinder.<br />
Seit der Stichtag des Kindergarteneintritts<br />
auf den 31. Juli vorverlegt wurde,<br />
stellen viele Eltern ihr Kind ein Jahr<br />
zurück. Was halten Sie davon?<br />
Wenn Eltern ihr Kind zurückstellen,<br />
müssen sie verschiedene Faktoren<br />
berücksichtigen. Ein zurückgestelltes<br />
Kind braucht eine anspruchsvolle,<br />
seinem Niveau entsprechende<br />
Betreuung, um so angeregt zu werden,<br />
damit es sich nicht langweilt.<br />
Zweitens ist es problematisch, wenn<br />
Eltern ihr Kind lediglich aufgrund<br />
eigener Bedürfnisse zurückstellen,<br />
etwa weil Betreuung und familiäre<br />
Organisation vor dem Kindergarteneintritt<br />
einfacher sind. Und drittens<br />
ist es kritisch, wenn Eltern ihr Kind<br />
16 Sommer 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten