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01/2017 KiGa-Heft

Fritz + Fränzi

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Gesundheit & Ernährung<br />

«Wir sollten die Stärken<br />

unserer Kinder betonen»<br />

Man liest immer wieder, dass Kinder keine Purzelbäume mehr schlagen<br />

können. Bewegen sich unsere Kinder zu wenig? Der Oberarzt und<br />

Praxispädiater Sepp Holtz kennt die Fakten. Text: Claudia Landolt<br />

Herr Holtz, macht Bewegung klug?<br />

Grundsätzlich kann man sagen, dass<br />

Bewegung die Durchblutung anregt.<br />

Der Wachheitsgrad bei Kindern, die<br />

sich bewegen, ist höher. Empirische<br />

Daten gibt es aber nur wenige. Wir<br />

stellen einen leichten Zusammenhang<br />

fest: Ein kleiner Teil der Ko ­<br />

gnition, rund zehn Prozent, lässt sich<br />

mit Bewegung und Motorik erklären.<br />

Auch spielt die Individualität<br />

eine grosse Rolle. Es gibt Kinder, die<br />

sich viel bewegen müssen, andere<br />

weniger.<br />

Es heisst, Kinder würden sich ab<br />

Schuleintritt immer weniger bewegen.<br />

Stimmt das?<br />

Nein. Die Forschung zeigt etwas<br />

anderes: Kinder zwischen acht und<br />

neun Jahren haben das grösste Bewegungsbedürfnis.<br />

Deshalb fällt ihnen<br />

das Sitzen während 45 Minuten in<br />

der Schule oft sehr schwer.<br />

Was ist mit Purzelbaum, Hampelmann<br />

und Co.? Haben tatsächlich immer<br />

mehr Kinder damit Probleme?<br />

Das ist nicht bewiesen. Dieser Eindruck<br />

stimmt nicht mit unseren<br />

Daten überein.<br />

Lassen sich Koordination und Gleichgewicht<br />

trainieren?<br />

Jein. Was ich Eltern jeweils sage:<br />

Wenn ich noch nie über einen<br />

Baumstamm balanciert bin, mache<br />

ich es beim ersten Mal nicht sehr gut.<br />

Wenn ich es aber nochmals mache,<br />

geht es besser, aber immer noch<br />

nicht extrem gut. Man kann es üben,<br />

aber nur innerhalb des biologischen<br />

Potenzials. Motorik hat ihr eigenes<br />

Programm. Ob ein Kind also den<br />

Purzelbaum kann, hat mit seinem<br />

eigenen inneren Programm zu tun.<br />

Der Schweizer Kinderarzt Remo<br />

Largo sagte: Kein Kind lernt kriechen,<br />

weil man ihm vorkriecht. Hinzu<br />

kommt: Die Variabilität ist riesig.<br />

Es gibt keine saubere Grenze, ab<br />

wann ein Kind was genau motorisch<br />

leisten muss.<br />

Gestatten Sie mir ein Beispiel: Ein<br />

Kind turnt nicht gern, wird im Turnen<br />

als Letztes gewählt. Ist das Grund zur<br />

Sorge?<br />

Man kann auch ohne Motorik gut<br />

durchs Leben kommen. Kinder entwickeln<br />

da erstaunliche Strategien.<br />

Diese gilt es zu erfragen. Ein Anhaltspunkt<br />

ist etwa das Verhalten des<br />

Kindes im Kindergarten oder auf<br />

dem Pausenplatz. Was macht das<br />

Kind in der Pause? Spielt es mit<br />

anderen Kindern? Mit den Mädchen<br />

oder mit den Buben?<br />

Können Sie ein Beispiel dazu<br />

anführen?<br />

Ich erinnere mich an einen Jungen,<br />

der sich in der Pause hinter einem<br />

Busch versteckte und dort sein Znüni<br />

ass. Er wagte es nicht, mit den<br />

anderen auf dem Pausenplatz zu<br />

spielen, weil er wusste, dass er nicht<br />

mithalten konnte. Damit verpasste<br />

er nicht nur soziale Kontakte, sondern<br />

konnte auch sein motorisches<br />

Potenzial weder üben noch ausschöpfen.<br />

Dieses Kind brauchte also<br />

unsere Unterstützung. Die Frage<br />

aber ist: Wie sehr definiert sich ein<br />

Kind über den Sport? Hat es andere<br />

Begabungen oder Stärken? Eltern<br />

sollten dann diese betonen. Vielleicht<br />

wird das Kind zwar im Turnen<br />

als Letztes gewählt, ist aber im Rechnen<br />

spitze. Dann ist das nicht so<br />

schlimm. Nicht alle Kinder definieren<br />

sich über den Sport.<br />

Was raten Sie den Eltern?<br />

Die Kinder bei ihren Stärken abholen<br />

und die Schwächen ihrer Kinder<br />

akzeptieren, statt diese beheben zu<br />

wollen. Die Erfahrung zeigt nämlich,<br />

dass ein Kind, das in anderen Bereichen<br />

als beispielsweise dem Turnen<br />

positive Erlebnisse hat, sich auch<br />

mehr zutraut. Also da mutig ist, wo<br />

es vielleicht noch nicht ganz so gut<br />

ist.<br />

Zur Person<br />

Sepp Holtz ist Oberarzt im Kinderspital<br />

Zürich und Praxispädiater. Er hat vor<br />

18 Jahren zusammen mit dem Kinderspital<br />

das Praxisassistenzarztrotationsmodell<br />

entwickelt, das in der Schweiz Schule<br />

gemacht hat. 2<strong>01</strong>7 wurde er mit dem Guido-<br />

Fanconi-Preis für seine Leistungen in Lehre<br />

und Praxis ausgezeichnet. Zusammen mit<br />

seiner Tochter Noa betreibt er den Podcast<br />

«Familienbande», welcher Eltern die<br />

Möglichkeit bietet, sich von Experten Rat bei<br />

Fragen rund um den Nachwuchs zu holen.<br />

www.kispi.uzh.ch, Stichwort: Familienbande.<br />

26 Sommer 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Kindergarten

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