01/2017 KiGa-Heft
Fritz + Fränzi
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Gesundheit & Ernährung<br />
>>> des Hirnforschers vom Institut<br />
für Bewegungs- und Neurowissenschaft<br />
der Deutschen Sporthochschule<br />
Köln legen nahe, dass die<br />
Gehirnaktivität sich verändert, wenn<br />
wir uns bewegen. «Körperliche Betätigung<br />
aktiviert den motorischen<br />
Kortex, der Bewegung und Koordination<br />
steuert», erklärt Schneider.<br />
Wenn wir uns auspowern, klettern<br />
oder balancieren, braucht der motorische<br />
Kortex alle Ressourcen des<br />
Gehirns – und entlastet damit den<br />
präfrontalen Kortex, jene Hirnregion,<br />
die uns befähigt, logisch zu denken<br />
und zu planen, Entscheidungen<br />
zu treffen und unsere Emotionen zu<br />
regulieren. Diese Entlastung bewirke,<br />
so Schneider, dass wir uns nach<br />
körperlicher Aktivität besser konzentrieren<br />
und fokussieren können.<br />
Schneider und sein Team gehören<br />
zu den wenigen, die diesen<br />
Effekt am Menschen nachweisen<br />
konnten. Der Hirnforscher will sich<br />
aber nicht missverstanden wissen.<br />
«Nicht Bewegung als solche macht<br />
uns intelligenter», sagt er, «sondern<br />
im Idealfall die erhöhte Aufnahmeund<br />
Konzentrationsfähigkeit, die<br />
sich nach Bewegung einstellt.» Und:<br />
Das mit dem freien Kopf, der besser<br />
aufnimmt, funktioniert nicht<br />
immer. Auch das zeigen Schneiders<br />
Experimente, bei denen die Probanden<br />
nach dem Sport kognitive Tests<br />
lösen. «Damit der Effekt eintritt»,<br />
sagt Schneider, «ist Spass an der<br />
Sportart die Voraussetzung – und<br />
eine körperliche Belastung, die<br />
weder als zu hoch noch als zu niedrig<br />
empfunden wird.» Wie lange die<br />
verbesserte Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit<br />
anhält, variiere<br />
von Mensch zu Mensch. Untersu-<br />
Bewegung macht den Kopf<br />
frei fürs Lernen.<br />
Und sie kann helfen,<br />
Inhalte besser zu verstehen.<br />
chungen dazu existierten nicht,<br />
Erfahrungen gingen von 30 bis<br />
120 Minuten aus.<br />
Eine Erfolgsgeschichte aus den USA<br />
Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass<br />
sich Bewegung auch langfristig auf<br />
unsere kognitive Leistung auswirkt.<br />
Im Buch «Superfaktor Bewegung»<br />
berichtet der US-Psychiater John<br />
J. Ratey über ein Schulsportprojekt<br />
in Naperville, Illinois, das ihn bewogen<br />
habe, seinen Bestseller überhaupt<br />
zu schreiben. Die Rede ist von<br />
der «Stunde null», einem freiwilligen<br />
Fitnesstraining, das in mehreren<br />
Highschools von Naperville angeboten<br />
wird. Frühmorgens, bevor der<br />
reguläre Unterricht beginnt, trainieren<br />
die Schüler während einer Stunde<br />
Ausdauer und Kraft in ihrem<br />
persönlichen Hochleistungsbereich.<br />
Das Ziel der «Stunde null», in den<br />
1990er-Jahren erstmals eingeführt,<br />
war ursprünglich, festzustellen, ob<br />
Sport hilft, die Schulleistungen der<br />
Kinder zu verbessern. Das tat er:<br />
Das Training machte die Schüler<br />
nicht nur fitter, sondern auch klüger.<br />
Von den Achtklässlern in Naper ville<br />
waren 1999 nur drei Prozent übergewichtig,<br />
während es im nationalen<br />
Durchschnitt der Altersgenossen 30<br />
Prozent waren.<br />
Im gleichen Jahr beteiligten sich<br />
Achtklässler aus Naperville mit<br />
230 000 Schülern aus aller Welt an<br />
der Testreihe TIMSS (Trends in<br />
International Mathematics and Science<br />
Study). Schüler aus China,<br />
Japan und Singapur liessen die Teilnehmer<br />
aus den USA weit hinter<br />
sich – mit Ausnahme der Achtklässler<br />
aus Naperville. Sie belegten den<br />
sechsten Platz in Mathematik und<br />
waren die Weltbesten in Naturwissenschaften.<br />
«Ich habe seit Jahrzehnten<br />
nichts gesehen», schreibt<br />
Ratey, «was so ermutigend und in -<br />
spirierend war wie das Programm in<br />
Naperville.»<br />
Bewegung macht den Kopf frei<br />
fürs Lernen – sie könne auch helfen,<br />
Inhalte besser zu verstehen, sagt<br />
Neuropsychologe und Mathematiker<br />
Hans-Christoph Nürk. Nürk gilt<br />
als Experte auf dem Gebiet der<br />
Embodied Cognition, was so viel<br />
wie «verkörperlichtes Denken»<br />
bedeutet. Hinter diesem Forschungszweig<br />
der Psychologie steckt<br />
die Idee, dass Gedächtnis durch eine<br />
Kopplung von motorischen Prozessen<br />
mit Sinnesreizen entsteht. Forscher<br />
konnten zum Beispiel nachweisen,<br />
dass im Gehirn eines Affen<br />
das Bewegungszentrum aktiviert<br />
wird, wenn er Artgenossen beim<br />
Klettern beobachtet, obwohl der<br />
beobachtende Affe sich nicht<br />
bewegt. «Das Gleiche geschieht in<br />
unserem Gehirn, wenn wir auf der<br />
Couch beim Fussball mitfiebern»,<br />
sagt Nürk. Seine Untersuchungen<br />
deuten darauf hin, dass viele kognitive<br />
Vorgänge untrennbar mit dem<br />
Körper verbunden sind.<br />
Mathe mit der Matte<br />
In Zusammenarbeit mit der Exzellenz-Graduiertenschule<br />
LEAD, dem<br />
Wissenschaftscampus Tübingen und<br />
der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg<br />
hat Nürk untersucht, wie<br />
körperliche Wahrnehmungen unser<br />
abstraktes Denken strukturieren.<br />
Ein gutes Beispiel dafür ist das Rechnen<br />
durch Fingerabzählen. «Viele<br />
Lehrer wollen ihre Schüler davon<br />
abbringen», sagt Nürk, «weil sie<br />
befürchten, dass die Kinder später<br />
ihre Finger brauchen, wenn sie 24<br />
und 38 zusammenzählen müssen.»<br />
Daten, die Nürk und seine Kollegen<br />
gesammelt haben, entkräften dies.<br />
Vielmehr, sagt Nürk, deuteten sie<br />
darauf hin, dass sich Kinder durch<br />
den Fingertrick eine gute Basis zum<br />
Verständnis einstelliger Ziffern erarbeiteten.<br />
So schnitten «Fingerrech-<br />
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