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AltaVista im September 2017

Altavista ist das neue Premium-Fachmagazin für Fachleute im Gesundheitswesen. In dieser Ausgabe: Cluster-Kopfschmerz "Wie ein glühender Eispickel im Hirn". Ausserdem: Das grosse Interview mit Dr. Christoph Held zu seinem neuen Buch "Bewohner". Dazu News aus Wissenschaft, Forschung und Pflegealltag.

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Methadon, der neue<br />

Krebskiller?<br />

Klinische Studien zum Einsatz von Methadon bei Krebs könnten einen Durchbruch in<br />

der Krebsforschung bestätigen. Die Pharmaindustrie hat aber kein Interesse daran.<br />

PETER EMPL<br />

Methadon, der Krebskiller!<br />

Wie ein Lauffeuer verbreitet<br />

sich diese Kunde, seit das<br />

deutsche Fernsehen <strong>im</strong><br />

Sommer über angebliche<br />

Heilungserfolge berichtet hat. Seit Monaten<br />

schwappt eine hitzige Debatte über die<br />

Wirkung von Methadon bei Krebs durch<br />

die Medien. SRF brachte diverse Radiound<br />

Fernsehbeiträge, für Betroffene steigt<br />

die Hoffnung auf «Heilung». Die «Frankfurter<br />

Allgemeine» widmete dem Thema<br />

in einer der letzten Ausgaben eine ganze<br />

Seite und liess diverse Fachleute zu Wort<br />

kommen. Die Ulmer Molekularbiologin<br />

Claudia Friesen sagt in diesem Artikel<br />

(und diversen Beiträgen <strong>im</strong> Schweizer<br />

Rundfunk), Methadon solle die Chemotherapie<br />

effizienter machen und so ein längeres<br />

Überleben ermöglichen. Die Chemikerin<br />

entdeckte vor zehn Jahren zufällig, dass<br />

<strong>im</strong> Labor gezüchtete Leukämie-Zellen zugrunde<br />

gingen, wenn sie mit Methadon in<br />

Kontakt kamen.<br />

Im April dieses Jahres berichtete<br />

schliesslich dann das deutsche Fernsehen<br />

über dieses angebliche Heilsversprechen<br />

und löste damit einen riesigen Hype aus;<br />

die Nachricht verbreitet sich in Windeseile<br />

über die sozialen Medien. Konkret vertritt<br />

die Chemikerin Friesen die Ansicht, dass<br />

Methadon die Wirkung einer Chemotherapie<br />

verstärke und deshalb zu einer Behandlung<br />

hinzugefügt werden sollte. Dies gelte<br />

zumindest für Gliome, einem gefährlichen<br />

Hirntumor mit schlechter Prognose, und<br />

anderen Tumorerkrankungen. Allerdings<br />

fehlen qualitativ hochwertige, klinische<br />

Studien, die Friesens Ansicht bestätigen.<br />

Die Chemikerin könne nur auf Zellkulturen<br />

und Tierexper<strong>im</strong>ente verweisen sowie<br />

auf einige Patienten, die mit einer Kombination<br />

aus Methadon und einer Chemotherapie<br />

erfolgreich behandelt worden seien,<br />

stellt die «Frankfurter Allgemeine» fest.<br />

Und relativiert weiter, es sei nicht klar, ob<br />

dieser Behandlungserfolg – wie <strong>im</strong>mer er<br />

auch <strong>im</strong> Einzelnen aussehen möge – auf<br />

die alleinige Wirkung der Chemotherapie<br />

zurückzuführen ist oder auf die ergänzende<br />

Wirkung des Methadons.<br />

Die neue Therapie weckt hohe Erwartungen für Betroffene.<br />

Wunderheilung versus Skepsis<br />

Das unabhängige Informationsportal «Infosperber»<br />

führt eine Patientin auf, die<br />

durch Methadon «geheilt» wurde: Bei der<br />

Patientin Sabine Kloske wurde vor mehr<br />

als zwei Jahren ein Glioblastom diagnostiziert.<br />

Dieser schnell wachsende, bösartige<br />

Hirntumor gilt derzeit als unheilbar. Die<br />

Ärzte sagten der damals 36-Jährigen, sie<br />

habe nur noch etwa 15 Monate zu leben.<br />

Doch es kam anders: Seit mehr als zwei<br />

Jahren ist der Tumor nicht zurückgekehrt.<br />

Sabine Kloske führt dieses Wunder auf<br />

Methadon zurück. Zusätzlich zur Chemotherapie<br />

n<strong>im</strong>mt sie zwe<strong>im</strong>al täglich 35<br />

Tropfen davon und ist voller Zuversicht.<br />

«Ich bin wieder da. Ich kann weiterleben<br />

und muss nicht sterben.»<br />

Was fehlt, ist eine randomisierte klinische<br />

Studie zur Wirkung einer Chemotherapie<br />

mit und ohne Methadon. Nur: Wer<br />

soll eine solche Studie bezahlen? Als extrem<br />

günstiger Wirkstoff ohne Patentschutz<br />

hätten Pharmafirmen kein Interesse<br />

daran, Methadon als Anti-Tumor-Medikament<br />

zu entwickeln, stellt auch die «Frankfurter<br />

Allgemeine» fest. Wäre die Substanz<br />

tatsächlich ein potentielles Wundermittel<br />

gegen Krebs, würde das vorerst gar niemand<br />

erfahren, weil es nicht in klinischen<br />

Studien geprüft wird, da sich damit kein<br />

Geld verdienen lässt.<br />

Die enorme Berichterstattung über das<br />

Thema hat dazu geführt, dass viele Krebskranke<br />

mit Methadon behandelt werden<br />

wollen. Einige scheinen ihre Chemotherapie<br />

sogar ganz zugunsten des Methadons<br />

aufgeben zu wollen – zumindest in<br />

Deutschland. Aufgrund des enormen Interesses<br />

hat die Charité Universitätsmedizin<br />

Berlin nun versucht, rückwirkend Daten zu<br />

sammeln. Dazu wurden die Krankenakten<br />

von 27 Gliom-Patienten nachträglich ausgewertet.<br />

Diese Patienten hatten zwei bis<br />

achtzehn Monate lang neben ihrer Chemotherapie<br />

Methadon <strong>im</strong> Rahmen eines<br />

individuellen Heilversuchs erhalten.<br />

Als Vergleich diente eine historische<br />

Kontrollgruppe, die kein Methadon erhalten<br />

hatte. In der retrospektiven Studie<br />

zeigten beide Patientengruppen keinen statistisch<br />

signifikanten Unterschied be<strong>im</strong><br />

Überleben ohne Rückfall. Die «Frankfurter<br />

Allgemeine» fügt an: «Bei der Auswertung<br />

wurden ohnehin nur zwölf der 27<br />

Patienten berücksichtigt, und zwar jene,<br />

deren Gliom zum ersten Mal behandelt<br />

worden war und die noch keine fehlgeschlagene<br />

Behandlung hinter sich hatten.<br />

Zu den Nebenwirkungen gehörten<br />

Übelkeit, Verstopfung, Angst und Schläfrigkeit.»<br />

➜<br />

32 ALTA VISTA SEPTEMBER <strong>2017</strong> ANALYSE METHADON GEGEN KREBS<br />

ANALYSE METHADON GEGEN KREBS SEPTEMBER <strong>2017</strong> ALTA VISTA 33

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