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AltaVista im September 2017

Altavista ist das neue Premium-Fachmagazin für Fachleute im Gesundheitswesen. In dieser Ausgabe: Cluster-Kopfschmerz "Wie ein glühender Eispickel im Hirn". Ausserdem: Das grosse Interview mit Dr. Christoph Held zu seinem neuen Buch "Bewohner". Dazu News aus Wissenschaft, Forschung und Pflegealltag.

Altavista ist das neue Premium-Fachmagazin für Fachleute im Gesundheitswesen. In dieser Ausgabe: Cluster-Kopfschmerz "Wie ein glühender Eispickel im Hirn". Ausserdem: Das grosse Interview mit Dr. Christoph Held zu seinem neuen Buch "Bewohner". Dazu News aus Wissenschaft, Forschung und Pflegealltag.

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gewisse genetische Determinierung hervor.<br />

Verwandte ersten Grades haben ein etwa<br />

achtfach höheres Risiko an Cluster-<br />

Kopfschmerzen zu erkranken als der Bevölkerungsdurchschnitt.<br />

Eine wesentliche<br />

Rolle in der Auslösung einzelner Cluster-<br />

Attacken spielen best<strong>im</strong>mte Kerngebiete<br />

des Hypothalamus, ein hochspezialisiertes<br />

Areal <strong>im</strong> Zwischenhirn. Daraus erklärt sich<br />

u. a. die saisonale Abhängigkeit wie gehäuftes<br />

Auftreten von Cluster-Phasen in<br />

den Übergangsjahreszeiten in Abhängigkeit<br />

vom Sonnenstand sowie die Synchronisation<br />

der Attacken mit dem zirkadianen<br />

Rhythmus (z. B. Erwachen mit Cluster-Kopfschmerzen,<br />

typischerweise 60–90<br />

Minuten nach dem Einschlafen). In der<br />

Regel liegen bei Cluster- Kopfschmerzen<br />

keine nachweisbaren strukturellen Veränderungen<br />

des Gehirns vor. In Einzelfällen<br />

gibt es sekundäre Cluster-Kopfschmerzformen,<br />

bei denen insbesondere bei jungen<br />

Frauen ein Tumor der Hypophyse dargestellt<br />

werden kann.»<br />

Übrigens sind diese Art von Schmerzen<br />

keine neuere Erscheinung: Der niederländische<br />

Arzt Nicolaes Tulp beschrieb in<br />

den 1641 erstmals veröffentlichten «Observationes<br />

Medicae» zwei verschiedene<br />

Arten von wiederkehrenden Kopfschmerzen,<br />

die Migräne und aufgrund der expliziten<br />

Erwähnung der Jahreszeit vermutlich<br />

den Cluster-Kopfschmerz:<br />

«In the beginning of the summer season,<br />

[he] was afflicted with a very severe<br />

headache, occurring and disappearing<br />

daily on fixed hours, with such intensity<br />

that he often assured me that he could not<br />

bear the pain anymore or he would succumb<br />

shortly. For rarely it lasted longer<br />

than two hours. And the rest of the day<br />

there was no fever, not indisposition of the<br />

urine, no any infirmity of the pulse. But this<br />

recurring pain lasted until the fourteenth<br />

day […] He asked nature for help, […] and<br />

lost a great amount of fluid from the nose<br />

[and] was relieved in a short period of t<strong>im</strong>e<br />

[…].»<br />

Reiner Stauerstoff mit hoher Durchflussrate kann die Schmerzattacken coupieren.<br />

Nichts hilft wirklich<br />

Die Therapie des einzelnen Anfalles besteht<br />

in der subkutanen Injektion von 6 mg<br />

Sumatriptan, Triptan-Anwendung von Nasenspray<br />

(Zolmitriptan) oder durch Einatmen<br />

von 12–15 Liter reinem Sauerstoff pro<br />

Minute. Die Anfallshäufigkeit kann mit<br />

Verapamil oder mit Prednison reduziert<br />

werden. In therapieresistenten Ausnahmefällen<br />

stehen verschiedene neurochirurgische<br />

Behandlungsansätze zur Verfügung,<br />

die in kleinen Fallserien eine schmerzlindernde<br />

Wirkung gezeigt haben. Bei den<br />

chronischen Formen wird Lithium angewendet.<br />

(Zusammengefasst aus den Arbeiten<br />

von C. Dozier, A. Kleinschmidt, A. Gantenbein,<br />

Juli 2015). In unserem Fall war für<br />

Stephan M. die Sauerstoffbehandlung sein<br />

Mittel der Wahl. Allerdings schränkte ihn<br />

diese Art der Therapie massiv ein: «Da ich<br />

projektbezogen arbeite, gelang es mir, mir<br />

eine Sauerstoffflasche zu Hause aufzustellen,<br />

in meinem Home- Office. Man muss<br />

sich das so vorstellen: Vor mir der Computer,<br />

hinter mir <strong>im</strong>mer griffbereit die Flasche.<br />

Denn bei mir hat sich gezeigt, dass ich sofort<br />

be<strong>im</strong> allerersten Anzeichen mit dem<br />

Einatmen des Sauerstoffes beginnen muss.<br />

Auch dann war ein Anfall unvermeidlich,<br />

aber niemals derart schmerzhaft wie ohne<br />

Sauerstoff. Ausserdem wurde der ‹Hauptschmerz›»,<br />

so Stephan M. weiter, «definitiv<br />

abgeschwächt. Ich hatte bei den ersten Anfällen<br />

Todesangst, durch den Sauerstoff fällt<br />

die Hilflosigkeit weg. Ich kann etwas tun,<br />

ich habe die Krankheit so wenigstens aktiv<br />

teilweise unter Kontrolle. Die schwei z-<br />

erische Kopfwehgesellschaft gibt denn auch<br />

auf der Website unumwunden zu: «Die<br />

Optionen zur Akutbehandlung von<br />

Cluster-Kopfschmerzen sind nicht sehr<br />

breit. Gut belegt ist die Wirksamkeit von<br />

rasch wirkenden Triptanen (s.c., intrana sal),<br />

aber diese sind nicht <strong>im</strong>mer anwendbar<br />

(Kontraindikationen, max<strong>im</strong>ale Tagesdosis<br />

gem. Kompendium). Die Verträglichkeit<br />

und Wirksamkeit der Inhalation von<br />

100%em Sauerstoff über eine Gesichtsmaske<br />

(Non-Rebreather-Maske) mit 10–12 l/<br />

min. über 15–20 Minuten sind belegt.<br />

Wie eine Umfrage unter den Mitgliedern<br />

der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft<br />

ergeben hat, ist die Therapie mit<br />

Sauerstoff relativ weit verbreitet, wegen<br />

der fehlenden Zulassung (Indikation Cluster-Kopfschmerz<br />

in der MiGeL nicht<br />

aufgeführt) jedoch nicht <strong>im</strong>mer leicht umsetzbar.<br />

Bei der hohen Kosteneffizienz (gegenüber<br />

Triptanen) sowie der guten und<br />

schnellen Wirksamkeit bei knapp 80% der<br />

Attacken empfiehlt die Schweizerische<br />

Kopfwehgesellschaft nach wie vor diese an<br />

sich «natürliche» Behandlung vermehrt in<br />

Betracht zu ziehen.<br />

Im Fall von Stephan M. treten die<br />

Attacken nicht sehr unregelmässig auf,<br />

sondern meist während eines Monats, fast<br />

<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Frühling oder Herbst und auch<br />

nicht jedes Jahr. «Derzeit ist es so, dass ich<br />

meine letzten Episoden <strong>im</strong> Herbst 2015<br />

hatte, seither blieb ich davon verschont. Da ich jetzt aber auch<br />

weiss, dass es Lösungen gibt und ich mittlerweile auch die <strong>im</strong>mer<br />

etwas komplizierte Beschaffung routiniert habe (ich muss dem Arzt<br />

sagen, was ich habe, ihm zeigen, wo er die Verordnung herbekommt<br />

usw. usw.) habe ich gelernt damit gelassener zu leben. Ich<br />

weiss, dass es wiederkommen kann, ich weiss aber nicht wann. Ich<br />

habe lediglich Panik davor, dass so eine Attackenserie plötzlich in<br />

den Ferien auftritt. Für diesen Fall habe ich aber <strong>im</strong>mer einige<br />

Spritzen mit Sumaptipan dabei, die helfen innert Sekunden und<br />

würden mir <strong>im</strong> Fall der Fälle etwas Zeit geben, mir Sauerstoff zu<br />

besorgen. Natürlich ist man besonders <strong>im</strong> Bereich der Prophylaxe<br />

weiter als vor wenigen Jahren. Aktuell sind dies die zugelassenen<br />

Medikamente:<br />

• Verapamil 3–4 x 80; steigern bis 480 mg/d, ggf. weiter steigern<br />

(vorher EKG nötig),<br />

• Kortikoide (Prednisolon) 100–250 mg initial für 2–5 Tage, dann<br />

individuell abdosieren,<br />

• Lithium 600–1500 mg/d (Serumspiegel 0,6–0,8 mml/l),<br />

• Topiramat (100–200 mg/d) (Ý), in Einzelfällen sind höhere<br />

Dosierungen nötig,<br />

• Methysergid bis zu 12 mg/d (Medikation bis max. 6 Monate<br />

Dauer).<br />

«Für mich kommt das aber noch nicht in Frage, denn dafür habe<br />

ich einfach zu selten solche Schübe», erklärt Stephan M. «Ich habe<br />

auch schon gehört, dass bei schweren Fällen sogar operative Eingriffe<br />

in Frage kommen. Und ich kann verstehen, dass manche Patienten<br />

wirklich alles unternehmen, um die schl<strong>im</strong>msten Schmerzen,<br />

die ich kenne, loszuwerden. Ich kann einfach dankbar sein, dass es<br />

bei mir nicht schl<strong>im</strong>mer wird. Früher, so liest man in einschlägigen<br />

Computerforen und Selbsthilfegruppen, gab es Leute, die sich das<br />

Leben genommen haben, weil sie die unsäglichen Schmerzen einfach<br />

nicht mehr ausgehalten haben. Es heisst ja nicht umsonst, dass<br />

Cluster-Kopfschmerz ein ‹Selbstmordkopfweh› sei.» Was bei<br />

Stephan M. übrigens nach wie vor unklar ist, ist, was bei ihm die<br />

Attacken triggert, also auslöst. Manche sprechen davon, dass das<br />

Cola oder Rauchen sein kann, er selbst tippt eher auf Hormone wie<br />

etwa Melatonin, welches unter anderem den Tages- und Nachtrhythmus<br />

reguliert. Das würde auch erklären, warum er in gewinnen Jahreszeiten<br />

(Tag-Nachtgleiche usw.) empfindlicher reagiert.<br />

HILFE FÜR BETROFFENE<br />

https://www.beobachter.ch/gesundheit/krankheit/<br />

cluster-kopfschmerz<br />

http://www.headache.ch/Clusterkopfschmerzen<br />

http://www.dmkg.de/startseite.html (Deutsche<br />

Kopfschmerzgesellschaft mit laufend aktualisierten<br />

Studien rund um Cluster-Kopfschmerz).<br />

Die Lungenlinga Zürich ist behilflich, wenn es um die<br />

Verschreibung von hochmedizinischem Sauerstoff für<br />

Cluster-Patienten geht: www.lunge-zuerich.ch, dort am<br />

besten direkt das Problem «Cluster» ansprechen.<br />

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Quellen<br />

1. P. J. Koehler: Prevalence of headache in Tulp’s Observationes<br />

Medicae (1641) with a description of<br />

cluster headache. In: Cephalalgia. 13 (5), 1993, S.<br />

318–320.<br />

2. Cohen AS et al. High-flow oxygen for treatment of<br />

cluster headache: a randomized trial, JAMA 2009;<br />

Bennet MH et al. Normobaric and hyperbaric oxygen<br />

therapy for migraine and cluster headache,<br />

Cochrane Database Syst Rev 2008).<br />

Kontaktieren Sie unsere BDO-Experten für Stiftungen,<br />

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Aarau Tel. 062 834 91 91<br />

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