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Muji no kyō - Musiktheorie / Musikanalyse - Kunstuniversität Graz

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Deckblatt einer<br />

wissenschaftlichen Bakkalaureatsarbeit<br />

Vor- und Familienname<br />

Soo-yeon You<br />

Studienrichtung<br />

Bachelorstudium, <strong>Musiktheorie</strong><br />

Thema der Arbeit:<br />

UG<br />

Matrikelnummer<br />

0473079<br />

Studienkennzahl<br />

V 033 100<br />

Die Einflüsse asiatischer Sprachen und Vokalgenres auf Hans Zenders<br />

<strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> und Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong><br />

Angefertigt in der Lehrveranstaltung: Spezialkapitel ZKF <strong>Musiktheorie</strong><br />

Vorgelegt am: 17.09.2007<br />

Beurteilt durch: Prof. Dr. Christian Utz


Die Einflüsse asiatischer Sprachen und Vokalgenres<br />

auf Hans Zenders <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> und Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong><br />

Bakkalaureatsarbeit <strong>Musiktheorie</strong><br />

bei Professor Dr. Christian Utz<br />

Sommersemester 07<br />

<strong>Kunstuniversität</strong> <strong>Graz</strong><br />

You, Soo-yeon<br />

0473079, V 033100<br />

Institut 1: Komposition, <strong>Musiktheorie</strong>, Musikgeschichte und Dirigieren<br />

September 2007


Mit herzlichem Dank an<br />

Prof. Christian Utz und Prof. Clemens Gadenstätter<br />

ii


Inhalt<br />

Vorwort .............................................................................................................. 1<br />

1. Einleitung ....................................................................................................... 3<br />

2. Asiatische Denkweisen in Hans Zenders Musik ............................................ 6<br />

2.1. Einflüsse des Zen-Buddhismus auf Hans Zenders Musikdenken.............. 6<br />

2.2. Stimme und Klangfarbe in der traditionellen Musik Japans ...................... 8<br />

3. Analysen zu Hans Zenders <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> und Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> ........................... 10<br />

3.1. Stimmtechnische Analyse und klangliche Untersuchung ........................ 10<br />

3.2. Zeitstruktur und semantische Analyse .................................................... 19<br />

3.2.1. <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> ......................................................................................... 20<br />

3.2.2. Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> ....................................................................................... 23<br />

4. Schlussfolgerungen ..................................................................................... 28<br />

5. Literaturverzeichnis ...................................................................................... 30<br />

iii


Vorwort<br />

Seit 2004 studiere ich in Europa westliche Musik und entdecke, dass die<br />

Unterscheidung zwischen „abendländischer Musik“ (oder sogenannter „Klassik“) und<br />

Volksmusik anderer Kulturen, ethnischer Musik oder Weltmusik (oder „nicht-westlicher<br />

Musik“) in der Gegenwart immer schwieriger wird. Vielleicht ist es sinnlos, diese zwei<br />

Musikarten überhaupt scharf voneinander trennen zu wollen.<br />

Seit den 1980er Jahren ist glücklicherweise eine Neubewertung der nicht-<br />

westlichen Musik erreicht worden. Durch die Berührung westlicher Komponisten mit<br />

dieser Musik fließen in ihren Werken verstärkt nicht-westliche Philosophie, Literatur,<br />

Religion, Musikästhetik und musikalische Ausdrucksformen ein. Dadurch heben sie die<br />

Relevanz der asiatischen Kulturen für die neue Musik besonders hervor. Auch ist die<br />

nicht-westliche Musik nun häufig nicht mehr nur ein Hilfsmittel, um<br />

„exotische“ Klangwelten zu erzeugen oder oberflächliche Inspiration für das eigene<br />

Schaffen zu liefern, sondern sie wird als eigenständige Musik mit ebenbürdigem<br />

künstlerischem Wert anerkannt.<br />

Wegen meiner Vorliebe für westliche Musik bin ich vor 3 Jahren aus Korea nach<br />

<strong>Graz</strong> gekommen, um diese Musik zu studieren und tiefere Kenntnisse westlicher<br />

Kompositionstechniken zu erlangen. Letztes Jahr konnte ich bei der „Frühlingstagung<br />

für Neue Musik Darmstadt“ sowie beim Symposium „Musik und Globalisierung“ an der<br />

<strong>Graz</strong>er <strong>Kunstuniversität</strong> Hans Zender begegnen. Stark beeindruckt hat mich sein<br />

musikalisches Denken als „Weltmusik-Komponist“, insbesondere seine<br />

Auseinandersetzung mit dem interkulturellen Aspekt von Musik. Ähnlich wie nach der<br />

Begegnung von Takemitsu Tōru mit John Cage begann ich mich wieder für traditionelle<br />

1


asiatische Musik zu begeistern. Vor allem aber lenkte sich mein Interesse auf Zenders<br />

„asiatische Musik“, die aus der Berührung mit asiatischer Kultur wie z.B. Zen-<br />

Buddhismus, Kalligraphie, japanische traditionelle Gedichte (haiku, waka), nō-Theater<br />

usw. hervorgegangen ist. Nach seinem Vortrag beim Symposium in <strong>Graz</strong> hörte ich<br />

erstmals das Stück <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> (1975) für Singstimme und variables Ensemble.<br />

Besonders auffällig schien mir die Vokaltechnik und Stimmbehandlung dieses Werkes.<br />

Zender verwendete offensichtlich westliche Stimmtechniken des 20. Jahrhunderts<br />

sowie eine Gesangstechnik, die man in traditioneller ostasiatischer Musik<br />

(einschließlich Japan) oft hören kann. Die Verbindung dieser kulturell stark<br />

divergierenden Kompositionstechniken ist durchaus nicht verwunderlich, da dieses<br />

Stück aufgrund der tiefen Eindrücke während seiner Japanreise komponiert wurde.<br />

In meiner Arbeit untersuche ich den „technischen“ und „semantischen“ Aspekt in der<br />

Beziehung zwischen Musik und Sprache in den Stücken <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> (1975) und Fūrin<br />

<strong>no</strong> Kyō (1989) von Hans Zender. Aus diesem Verhältnis möchte ich schließen, in<br />

welchen Gestalten und welcher Bedeutung sich ostasiatische Philosophie und<br />

musikalische Elemente der japanischen traditionellen Musik in Zenders Musik<br />

wiederfinden können.<br />

2


1. Einleitung<br />

Die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts umfasst mannigfaltige Stile, die mit<br />

Begriffen oft nur schwer zu definieren sind. Der Geist einer Epoche kann<br />

verschiedenste Formen annehmen, in jedem Fall aber ist Musik eine Kunstform, die in<br />

vielfacher Weise "Zeitgeistiges" einschließt. Nicht immer kann man die daraus<br />

resultierenden Formen in eine logische Ordnung bringen. In einem musikalischen Werk<br />

gehen auto<strong>no</strong>me künstlerische Ideen und die Einflüsse der Epoche eine komplexe<br />

Wechselwirkung ein.<br />

In der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben europäische Komponisten<br />

begonnen, sich mit nicht-westlicher Musik intensiv auseinanderzusetzen, eine<br />

neuartige Bedeutung der Klangfarbe und neue Kompositionstechniken waren das<br />

Resultat. 1889 hörte Claude Debussy ein „Gamelan-Orchester“, das aus Java zur<br />

Weltausstellung nach Paris gekommen war, und transformierte Struktur und Farbe<br />

dieser Musik in seinen Werken. Der englische Komponist Gustav Holst begeisterte sich<br />

von 1905 an für die indische Religion (Hinduismus), Philosophie und Kultur, studierte<br />

Sanskrit und schrieb viele Werke unter diesem Einfluss. Er beschäftigte sich auch mit<br />

japanischer traditioneller Musik, etwa in der Japanese Suite (1915). Auch Olivier<br />

Messiaen war von der traditionellen Musik Indiens und Japans fasziniert. Man kann<br />

asiatische Elemente in vielen seiner Werke finden. In Oiseaux Exotiques (1956)<br />

übertrug er die zyklisch wiederholten Rhythmusmodelle „Tala“ der indischen Musik auf<br />

kontrapunktische Strukturen mit europäischen Instrumenten. Die Sept Haikai (1963)<br />

gehen von den Eindrücken der traditionellen japanischen Kurzgedichtform haiku aus.<br />

Im vierten Satz gagaku imitieren acht Solo-Violinen die Klänge der japanischen<br />

traditionellen Mundorgel shō.<br />

3


Neben den genannten gab und gibt es zahlreiche europäische und amerikanische<br />

Komponisten, die sich in asiatische traditionelle Musik vertiefen. Die Aleatorik, die von<br />

den 1950er Jahren unter den Einflüssen des europäischen Dadaismus und asiatischer<br />

Philosophie (namentlich des Yijing 易經 und des Zen 禪) entwickelt und vor allem bei<br />

John Cage, Karlheinz Stockhausen, Lucia<strong>no</strong> Berio u.a. relevant wurde, bildete bis in<br />

die 1960er Jahre eine wichtige Triebkraft zur Entwicklung neuer Formen der Notation<br />

und zur Einbeziehung der Interpreten in den kompositorischen Prozess.<br />

Im 20. Jahrhundert werden zwei musikalische Bereiche besonders stark erweitert:<br />

die Differenzierung der Klangfarbe und die Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten der<br />

menschlichen Stimme. Mit dem „Sprechgesang“ in Ar<strong>no</strong>ld Schönbergs Pierrot Lunaire<br />

(1912) beginnt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Zwischenbereich zwischen<br />

Singen und Sprechen. Durch technische Analyseverfahren und die Erforschung ihrer<br />

klanglichen Möglichkeiten wurde die menschliche Stimme als Musikinstrument<br />

kompositorisch zunehmend neu bewertet und verwendet. Bisher unbekannte<br />

Ausdrucksmöglichkeiten wurden stufenweise entwickelt. Beispielsweise nahm die<br />

Klangfarbe als eigenständiger musikalischer Parameter eine immer wichtigere Rolle<br />

ein.<br />

Komponisten entwickeln ihre Stücke oft in direkter Zusammenarbeit mit dem<br />

Interpreten. Das hat zur Folge, dass Stücke oft nur vor einem Musiker ausgeführt<br />

werden können, da der musikalische Charakter direkt vom Timbre und den klanglichen<br />

Ausdrucksmöglichkeiten des Interpreten abhängig ist.<br />

Viele westliche Komponisten, die sich mit traditioneller asiatischer Musik<br />

auseinandersetzen, integrieren unterschiedlichste Instrumental- und Vokaltechniken in<br />

4


ihre Vokalkompositionen. Diese Tendenz schafft eine neue Musiksprache, die –<br />

kompositionstechnisch auf dem aktuellsten Stand – westlicher neuer Musik, vom<br />

geistigen Erbe Asiens befruchtet ist. In den 19 Canti del Capricor<strong>no</strong> (1984) von<br />

Giacinto Scelsi manifestieren sich asiatischen Zen-Gedanken und japanische<br />

traditionelle Vokalgenres, die unter der Verwendung westlicher zeitgenössischen<br />

Notationsformen festgehalten wurden.<br />

5


2. Asiatische Denkweisen in Hans Zenders Musik<br />

2.1. Einflüsse des Zen-Buddhismus auf Hans Zenders Musikdenken<br />

In der neuen Musik können sich, wie oben ausgeführt, Gedanken verschiedener<br />

Kulturen in komplexer Weise durchdringen und sie beinhalten dabei stets auch die<br />

persönlichen Erfahrungen des Komponisten. Hans Zender sagt dazu in seinem Aufsatz<br />

Musik als Erfahrung:<br />

„Musik ist nicht nur das Werk eines Einzelnen, sondern kann erfahrbar werden als Kontakt<br />

zwischen weit auseinander liegenden Zeiten und Individuen, als Kontakt auch zwischen<br />

verschiedenen Systemen und Kulturformen.“ 1<br />

In den 1970er Jahren beginnt Zender damit, in seine Musik „außereuropäische<br />

musikalische Denkweisen“ 2 einzuführen. Um Zenders Annäherung an Asien zu<br />

verstehen, ist es in erster Linie <strong>no</strong>twendig die Philosophie des Zen-Buddhismus<br />

darzustellen. Zenders Eindruck von Japan bei seinen Reisen in den 1970er Jahren war<br />

der eines radikalen Gegensatzes zum Europäischen:<br />

„... der Intellektualismus Europas, Tech<strong>no</strong>logie, die Hektik und Lärmentfaltung des heutigen<br />

Daseins: All das erschien mir so fragwürdig wie nie.“ 3<br />

Für Zender kommt wahre Freiheit aus der Einfachheit, die das Wesentliche des Zen<br />

ist. Indem während des Übens der Zen-Meditation die Flut der Gedanken zur Ruhe<br />

kommt, wird das Erleben von Stille und Leere möglich. Dabei handelt es sich nicht nur<br />

1 Zender, Hans (2004): Musik als Erfahrung, in: Die Sinne Denken. Texte zur Musik 1975 - 2003, hg. von<br />

Jörn Peter Hiekel, Wiesbaden etc.: Breitkopf und Härtel, S. 140.<br />

2 Gruhn, Wilfried (1995): „Hans Zender“, in: Komponisten der Gegenwart, hg. von Walter-Wolfgang<br />

Sparrer und Hanns Werner Heister, München: edition text+kritik, S. 1.<br />

3 Zender, Einführungstext zu <strong>Muji</strong> No Kyō, in: Die Sinne Denken (Anm. 1), S. 314.<br />

6


um eine religiöse Praxis, sondern um eine geistige Haltung, die in ihrer Konzentration<br />

auf alltägliche menschliche Verrichtungen umfassende Konsequenzen hat.<br />

Der Zen-Buddhismus hat seinen Ursprung nicht in Japan, sondern in China. Das<br />

Sanskritwort “Dhyana”, das frei übersetzt so viel wie „Zustand meditativer<br />

Versenkung“ bedeutet, wurde in China als Chan (禅) übertragen. Der Chan-<br />

Buddhismus wurde in Ostasien und Südostasien durch Mönche verbreitet. In diesem<br />

Zusammenhang entstand auch eine japanisches Zen-Tradition. Vor allem „brachte die<br />

japanische Zen-Kunst die Vorstellungen der Leere und des nicht-diskursiven,<br />

paradoxen Wegs der Erkenntnis in der Malerei, der Gartenkunst, der Teezeremonie,<br />

der Haiku-Dichtung, der Kalligrafie und der shakuhachi-Musik zu hohem Ausdruck“. 4<br />

Das Ideal des Zen verwirklicht sich nicht allmählich, sondern augenblicklich. Hier<br />

bedeutet „Zeit“ nicht nur eine Aneinanderreihung von zeitlichen Augenblicken, sondern<br />

die Ewigkeit, ein "Übertreffen" der Zeit. Zen kann eine mystische Erfahrung<br />

ermöglichen. Das heißt, dass man im Zustand der Meditation die Zeitempfindung durch<br />

die Konzentration auf den Augenblick verliert. Und in dieser „Zeitlosigkeit“ wird das<br />

„Ich“ weniger oder gar nicht wahrge<strong>no</strong>mmen.<br />

Hans Zender "betont die Wichtigkeit der durch das Zen vermittelten Zeitfassung [...]<br />

als Alternative zu europäischen Zeitvorstellungen". 5 Seinem Werk <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō (1975)<br />

liegt ein mittelalterlicher japanischer Text, Fūrin <strong>no</strong> Kyō (1988/89) ein Gedicht des<br />

japanischen Zen-Mönches Ikkyū zu Grunde. Beide japanische Texte bauen auf der<br />

Grundlage des Zen auf. Zender stellt Sinngehalt und Stimmung der Texte mit<br />

4 Utz, Christian (2002): Neue Musik und Interkulturalität. Von John Cage bis Tan Dun (= Beihefte zum<br />

Archiv für Musikwissenschaft, Bd. 51), Stuttgart: Steiner, S. 77.<br />

5 Ebd., S. 192.<br />

7


charakteristischen Kompositionstechniken dar. „In diesen asiatischen Stücken<br />

verzichtet Zender auf traditionelle Sprachlichkeit, d.h. eine abendländische Syntax auf<br />

der Basis zeitlich gerichteter und „logisch“ miteinander verknüpfter Strukturglieder, und<br />

sucht die Leere von Konstruktion in einer Momentform.“ 6<br />

2.2. Stimme und Klangfarbe in der traditionellen Musik Japans<br />

In Vokalmusik hängt generell die Klangfarbe eng mit Gesangstechnik und<br />

Lautartikulation zusammen. Dabei ist insbesondere die Gesangstechnik für die<br />

Klangfarbe von vorrangiger Bedeutung. Gesangstechnik und Stimmästhetik der<br />

traditionellen japanischen Musik unterscheiden sich von denen der westlichen Musik<br />

radikal. Zudem hat jedes Vokalgenre wie bunraku, shōmyō (声明), nō (能) eine ganz<br />

eigenständige Gesangskultur entwickelt, so dass man nicht allgemein von einer<br />

"japanischen" Gesangstechnik sprechen kann, die in allen Genres der japanischen<br />

traditionellen Musik angewendet wird. Diese hochgradige Differenzierung der<br />

Gesangsstile ist das Ergebnis einer besonderen Verfeinerung der Klangfarbe in der<br />

musikalischen Tradition Japans. Mit dieser Wertschätzung hängen „die ostasiatische<br />

oder japanische Naturauffassung“ 7 bzw. der Einfluss des Zen-Buddhismus auf die<br />

Musiktraditionen Japans eng zusammen.<br />

Um die Mischung von musikalischen Tönen (gakuon) und Geräuschen (sōon) zu<br />

differenzieren, können wir das Wort „Klangfarbe“ verwenden. Da Ton- und Geräusch-<br />

Komponenten in der traditionellen japanischen Musik immer gemischt werden, ist es<br />

sehr schwierig, sie kategorisch voneinander zu unterscheiden. „In der (traditionellen)<br />

6 Gruhn, „Hans Zender“ (Anm. 2), S. 3.<br />

7 Kikkawa, Eishi (1984): Vom Charakter der japanischen Musik (= Studien zur traditionellen Musik Japans,<br />

Bd. 2), hg. von Robert Günther, Kassel etc.: Bärenreiter, S. 172.<br />

8


westlichen Musik nämlich ist die Tendenz stark, das Geräusch in extremer Weise zu<br />

verwerfen, während in der japanischen Musik eine Tendenz, Geräusche<br />

hervorzubringen, sie sogar zu schätzen, erkennbar ist.“ 8 Durch die Vielfalt der<br />

eingesetzten Geräusche können mannigfaltige Klangfarben erzeugt werden.<br />

Die traditionelle musikalische Ästhetik in Japan ist konzentriert auf „das Streben<br />

nach Veränderungen oder Komplizierung der Klangfarbe“. 9 Ein Resultat dieser<br />

Bestrebung ist „die Vorliebe für Vokalmusik“ 10 und die Häufigkeit der Kombination von<br />

Singstimmen und Instrumenten in der traditionellen Musik. Mit der Ausnahme des<br />

gagaku und der Musik für die Bambusflöte shakuhachi gibt es in der japanischen<br />

Musik keine reine Instrumentalmusik. Das Nō-Theater ist ein gutes Beispiel dafür, wie<br />

sich Singstimme und Instrumente vereinigen und zu einer Art "Hybridklang"<br />

verschmelzen. Die Singstimme im nō umfasst Gesang und Rezitation, der<br />

Gesangscharakter wird weniger durch die Melodie und eher durch die Art der<br />

Stimmbehandlung bestimmt. Die verschiedenen Charaktere werden vor allem durch<br />

die unterschiedlichen Klangfarben ihrer Stimmen unterschieden. Hans Zender hat in<br />

<strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō und Fūrin <strong>no</strong> Kyō in verwandter Weise ein äußerst breites Spektrum an<br />

Klangfarben durch eine Vielzahl an spezifischen Gesangstechniken dargestellt.<br />

Aber die Bezüge auf die japanische traditionelle Musik bei Zender spielen sich nicht<br />

nur im Bereich der Klangfarbe ab. Er stellt auch die verschiedene Kompositions-weisen,<br />

z.B. zeitliche Struktur, charakteristisches Zusammenspiel der Instrumente usw. in<br />

Zusammenhang mit asiatischem Denken und vermittelt dadurch die verschiedenen<br />

Zeiterfahrungen, die von der Zen-Meditation ausgehen können.<br />

8 Ebd., S. 180.<br />

9 Ebd., S. 185.<br />

10 Ebd.<br />

9


3. Analyse zu Hans Zenders <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> und Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong><br />

3.1. Stimmtechnische Analyse und klangliche Untersuchung<br />

Hans Zender hat die Vokalparts von <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō und Fūrin <strong>no</strong> Kyō mit<br />

verschiedensten klanglichen Effekte und Gesangstechniken ausgestattet, die sich aus<br />

der Tradition der westlichen musikalischen Moderne ableiten lassen. Den<strong>no</strong>ch gibt es<br />

zweifellos eine Konvergenz dieser Stimmelemente mit denen der traditionellen<br />

japanischen Musik. Als erste Annäherung an Zenders Verfahren dient ein Blick auf die<br />

verwendeten Notationssymbole . Obwohl Zender das westliche Notations-<br />

system verwendet, werden in <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> kyo keine exakten Tonhöhen vorgeschrieben,<br />

stattdessen wird eine Register<strong>no</strong>tation verwendet. Außerdem benutzt Zender Töne mit<br />

Luftzusatz, Sprechstimme mit frei behandeltem Rhythmus, stimmlose Konsonant-<br />

klänge, Glissandi bis zu einer Quart und so fort. Beträchtliche Teile dieser Techniken<br />

entsprechen Gesangstechniken der japanischen traditionellen Musik.<br />

Wichtige Eigenheiten der japanischen Tradition sind in Zenders Umsetzung in der<br />

Partitur enthalten. Die Legende der Notationsweisen für die Stimmparts ist in Beispiel 1<br />

wiedergegeben.<br />

Legende der Notationssymbole für Stimme<br />

10


In <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō verwendet Hans Zender ein Notensystem, das nur hohes, mittleres<br />

und tiefes Register ohne bestimmte Tonhöhen darstellt. In der japanischen<br />

traditionellen Musik gibt es viele Fälle, in denen die Tonhöhendurch die Interpretation<br />

des Sängers erst im Detail geformt werden. Dabei wäre es unsinnig, etwa die zwischen<br />

zwei temperierten Halbtönen liegenden Töne, die in dem westlichen temperierten<br />

System nicht vorhanden sind, wiederum mit fixierten Tonhöhen, also Mikrotönen,<br />

auszudrücken. Dementsprechend ist die Vokalpartie von <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō nur grob nach<br />

Registern gerastert. Man kann außerdem vermuten, dass Hans Zender durch Glissandi<br />

innerhalb der Mikrointervalle einen „asiatischen Klang“ hervorrufen wollte.<br />

In Fūrin <strong>no</strong> Kyō verwendet Zender das konventionelle Fünf-Linien-System; trotzdem<br />

benutzt er auch die Sprechstimme mit unbestimmten Tonhöhen in freiem Rhythmus. Er<br />

nähert sich hier der flexiblen musikalischen Gestaltung der traditionellen japanischen<br />

Musik sowohl durch den Gesangsstil, der viel mit mikrotonalen Schattierungen,<br />

Glissandi und unstabilen Tonstufen arbeitet, als auch durch die unregelmäßige Metrik.<br />

Wir können auch Sprechgesang und Sprechstimme mit dem Terminus rōshō, einer<br />

speziellen Art des gesanglichen Vortrags in der japanischen Musik vergleichen. Diese<br />

Vortragsart tritt auf, „wenn der Rezitation von Texten meist epischen Inhalts stärker<br />

musikalische Elemente beigegeben werden“. 11 Daraus entwickelt sich der Ausdruck<br />

„Sprechgesang“ und dessen Charakter ergibt sich aus den Besonderheiten der<br />

spezifischen Tonbildungen. Die bei natürlicher Sprechweise entstehenden kurzen<br />

Zeitwerte der Silben werden bis zu dem Grad, der zur Verdeutlichung der einzelnen<br />

11 Kenji, Hira<strong>no</strong> (2004): Zur Funktion der Solmisation in dem traditionellen Musik<strong>no</strong>tation Japans, in:<br />

Japans traditionelle Musik aus der Sicht japanischer Musikologen (= Studien zur traditionellen Musik<br />

Japans, Bd. 3), hg. von Robert Günther und Heinz-Dieter Reese, Willhelmshaven: Florian Noetzel<br />

Verlag, S. 35.<br />

11


Tonhöhen <strong>no</strong>twendig ist, gedehnt und daraus erfolgt der spezifische Charakter dieser<br />

Musikgattung.<br />

Bevor jedoch auf die Frage, welche Ähnlichkeit die Musik Zenders mit den<br />

Elementen der japanischen Musik tatsächlich hat, näher eingegangen werden kann,<br />

möchte ich zuerst einige Eigenheiten der japanische Sprache in den Mittelpunkt<br />

stellen:<br />

„Bekanntlich kennt die japanische Sprache kaum Silben oder Moren, die mit einem<br />

Konsonanten auslauten. Praktisch jede Silbe schließt mit einem Vokal. So kommt in erster<br />

Linie durch Dehnung dieses Vokals eine Betonung in der Stimme zum Ausdruck. Zum<br />

zweiten ändert sich der ursprüngliche sprachliche Akzent und es entsteht zwischen Mora und<br />

Mora ein Tonhöhenunterschied von etwa einer großen Sekunde, der der sprachlichen<br />

Intonation eine eigene Ausdrucksqualität verleiht.“ 12<br />

Hier bedeutet Mora „the minimal unit of quantitative measure in temporal prosodic<br />

system“ 13 sozusagen eine Maßeinheit für das Silbengewicht. Ein Mora entspricht einer<br />

offenen Silbe mit kurzem Vokal oder einem Kurzvokal mit höchstens einem<br />

nachfolgenden Konsonanten.<br />

Der oben bereits zitierte Charakter der japanischen Sprache, d.h. die „Dehnung der<br />

Silben, deren melodieartige Veränderungen und Hinzunahmen von Zeitwerten“ 14 ,<br />

verbindet sich mit der Musik; deshalb wird das Sprechen des Japanischen als solches<br />

quasi von selbst zu Gesang. Die vokalbetonte, lautlich variierte japanische Sprache ist<br />

als wichtiger Faktor für das musikalische und klangliche Ausdrucksmittel sehr eng mit<br />

12 Ebd., S. 34.<br />

13 Webster, Noah (1976): “Mora”, in: Webster’s Third New International Dictionary, hg. von Philip Babcock<br />

Gove, Springfield, Massachusetts, U.S.A.: G.& C. Merrian Company, S.1468.<br />

14 Kenji, (wie Anm. 11), S.34.<br />

12


der Musik verknüpft. Daraus ergibt sich auch der sprach-klangliche Charakter der<br />

japanischen Musik.<br />

Zender schreibt seine „asiatische“ Vokalmusik mit demselben stimmtechnischen<br />

Material wie in rōshō, etwa im ersten Teil von Fūrin <strong>no</strong> Kyō, den Hans Zender über den<br />

originalen japanischen Text komponiert. Er entwickelt die Phoneme durch<br />

unterschiedliche Stimmtechniken (Bsp. 2), z.B. Vokalglissandi, Vibrato, mikrotonale<br />

Veränderungen, Tremoli. Die Singstimme ist insgesamt durch vielfältige Glissandi und<br />

differenzierte Vibrati charakterisiert. Dadurch wird eine starke Differenzierung der<br />

vokalen Klangfarben erreicht.<br />

Zender, Fūrin <strong>no</strong> Kyō, T.3-4/ T.13-14/ T.17-18, Ausschnitt<br />

Wir können eine ähnliche musikalische Ausdrucksweise besonders in der Singweise<br />

des japanischen uta-hikō, der „gesungenen Dichtung, am Kaiserhof vorgetragen“ 15 ,<br />

auffinden. In der Notation, in der alphabetische Schriftzeichen (Katakana) und<br />

15 Ebd., S. 35.<br />

13


grafische Zeichen verwendet werden, kann man auch die sprachlichen<br />

Entwicklungsprozesse der Stimme erkennen. Beispiel 3 zeigt die traditionelle Notation<br />

des uta-hikō. Hier äußern sich die Silben des lyrischen Textes, melodische<br />

Veränderungen, das Intervallverhältnis zwischen den Tonstufen und die Zeitspannung<br />

der Tondauer.<br />

Kimigayo aus uta-hikō-fu (1897)<br />

In Beispiel 3 befinden sich links neben den kana-Schriftzeichen Linien, die die<br />

melodischen Veränderung und Zeitdauer der einzelnen Haupttöne angeben. Ein<br />

zusätzliches Hilfssymbol zeigt die Tonhöhe an. Diese schriftliche Notation basiert auf<br />

der Niederschrift von Solmisationssilben, d.h. der Charakter der Musik entwickelt sich<br />

hier in natürlicher Weise aus dem Klangausdruck der japanischen Sprache.<br />

Notationsformen, die für die Musik Japans charakteristisch sind, wurden auch in den<br />

Gesängen des nō oder des jōruri entwickelt. „Die Musik des nō wird in Vokalmusik<br />

(yōkyoku) und Instrumentalmusik aufgeteilt. Der melismatische, ariose Gesang in<br />

extrem tiefer Lage lässt eine Verwandtschaft mit der Gesangstradition des heikebiwa<br />

14


(oder heikyoku) erkennen, der seinerseits auf die ältere buddhistische shōmyō-<br />

Rezitation verweist. Beim Solo-Gesang im nō wird zwischen den Rezitativen in<br />

gehobener Sprache (kotoba, „Worte“) und den gesungenen Passagen (utai, „Melodie“)<br />

unterschieden. Der tonale Rahmen umfasst 3-4 je ca. eine Quart auseinander liegende<br />

Rezitationstöne in tiefer Lage, die durch eine einzigartige stark vibrierende<br />

Stimmtechnik ständigen Infektionen unterworfen sind und je nach dramatischer<br />

Situation auch um bis zum einem Ganzton erhöht werden können." 16<br />

In <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō (Bsp. 4) findet sich wie gezeigt eine dreifach<br />

unterteilteRegister<strong>no</strong>tation und das „kurze Glissando, bis zu einer Quart“. Diese<br />

Elemente sind vergleichbar mit Melodietypen, Register und Intervallordnung des nō<br />

utai:<br />

„Als Hauptunterscheidung der Tonhöhe gibt es drei Lagen mit den Bezeichnungen<br />

„oben“ (jō), „Mitte“ (chū) und „unten“ (ge). Der Raum dazwischen kann nicht stufenmäßig<br />

bestimmt werden, aber der Abstand zwischen „oben“, „Mitte“ und „unten“ ist in der Regel eine<br />

Quarte.“ 17<br />

Zender, <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō, Solo II, III, Ausschnitt<br />

Außerdem ergänzen sich im nō utai fast ausnahmslos eine aufsteigende und eine<br />

absteigende Figur. Diese stellen eine innerhalb einer Quarte auf- und absteigende<br />

16 Utz, Neue Musik und Interkulturalität (Anm. 4), S.120.<br />

17 Iba, Takashi (2001): Japanische Musik, in: Japans traditionelle Musik aus der Sicht japanischer<br />

Musikologen (= Studien zur traditionellen Musik Japans Bd.3) hg. von Robert Günther und Heinz-Dieter<br />

Reese, Willhelmshaven: Florian Noetzel Verlag, S.227.<br />

15


melodische Einheiten dar. 18 Auch in Fūrin <strong>no</strong> Kyō umfassen die Glissandi der Stimme<br />

oft eine Quarte; im Takt 19 wird aufsteigendes und im Takt 20 absteigendes Glissando<br />

gezeigt (Bsp.5).<br />

Glissandi in Fūrin <strong>no</strong> Kyō, T.19-20, Ausschnitt<br />

Beim der als sagebushi bezeichneten Gesangstechnik im nō utai (Bsp. 6) fällt die<br />

Melodie meist um eine Quarte ab. 19<br />

Notationssymbol des sagebushi im nō utai.<br />

18 Ebd.<br />

19 Ebd.<br />

16


In beiden Werken Zenders können wir eine starke Differenzierung der vokalen<br />

Klangfarben bemerken, die auf dem „Luftzusatz“ basiert, als Geräuschanteile (sōon)<br />

integriert. In der westlichen traditionellen Gesangstechnik findet man keine<br />

Geräuschelemente, jedoch, wie dargestellt,in der traditionellen japanischen<br />

Vokalmusik: Das Geräusch galt hier stets als wichtige Komponente vokaler Klänge.<br />

Außerdem werden auch durch Instrumente eine Vielzahl an Geräuschen<br />

hervorgebracht.<br />

Das Geräusch der Singstimme in der japanischen Musik kann man als eine<br />

„eigentümliche, sabi-artige, herbe (shibui) Stimme“ 20 bezeichnen. Hier bedeutet sabi<br />

ein „Signum des Altertümlichen [...] oder archaischer Unvollkommenheit“. 21 Taguchi<br />

Ryūzaburō beschreibt darüber wie folgt:<br />

„Die Tatsache, dass bei Japanern, wenn sie ein Lied singen, die Stimme eine Trübung<br />

(nigori) aufweist, hat mich schon immer beeindruckt [...] Es heißt, dass die Lieder der<br />

japanischen Musik ein Gefühl von sabi ausdrücken, und eine klare Stimme schätzt man<br />

keinesfalls. Eine klare Stimme lehnt man als laienhafte Stimme ab.“ 22<br />

Die geräuschhafte Klangfarbe erscheint auch im Gesang destraditionellen<br />

japanischen Puppentheaters bunraku. Sie wird hier als ibushi, d. h. „rostige“ Stimme<br />

bezeichnet. Man kann davon ausgehen, dass Hans Zender diese Geräuschanteile der<br />

Stimme als charakteristisches Element der japanischen Klangfarbe in seinem Werk<br />

rezipiert.<br />

Man kann in Fūrin <strong>no</strong> Kyō <strong>no</strong>ch weitere für Asien typische sprachliche Charaktere<br />

beobachten, die sich durch die spezifische Stimmtechniken äußern. Das Stück besteht<br />

20 Kikkawa, Vom Charakter der japanischen Musik (Anm.7), S. 183.<br />

21 Zitiert nach: Peter Revers, Hans Zender. Furin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong>, in: Nähe und Distanz, S. 216.<br />

22 Kikkawa, (wie Anm. 20), S. 183.<br />

17


aus vier Teilen, die durch ein instrumentales Zwischenspiel in 2+2 Teile gegliedert sind.<br />

Zender hat jeden Teil in einer anderen Sprache vertont. Im ersten Teil Japanisch, im<br />

zweiten Englisch, im dritten Deutsch und im letzten eine Mischung dieser drei<br />

genannten mit Chinesisch. Ich möchte nun die Stimmbehandlung des Chinesischen im<br />

letzten Teil diskutieren.<br />

Die chinesische Sprache ist eine Tonsprache, d. h. der Tonhöhenverlauf, mit dem<br />

eine Silbe ausgesprochen wird, ist für die Bedeutung entscheidend. Das moderne<br />

Hochchinesisch verfügt über vier Sprechtöne, die, wie die folgenden Beispiele zeigen,<br />

phonemisch sind:<br />

Chinesische 4 Tonhöhen<br />

Im letzten Teil von Fūrin <strong>no</strong> Kyō werden die chinesischen Sprechtöne mit<br />

unterschiedlichen Stimmtechniken relativ exakt wiedergegeben. Hier kann man<br />

bemerken, dass Zender den sprachlichen Charakter gezielt in musikalische<br />

Ausdruckselemente umgesetzt hat. Zum Beispiel werden im Takt 210 der erste und<br />

dritte Sprechton, im Takt 184 der zweite Sprechton und im Takt 183 der vierte<br />

Sprechton gezeigt (Bsp. 8).<br />

18


Chinesische Sprechtöne in Fūrin <strong>no</strong> Kyō<br />

3.2. Zeitstruktur und semantische Analyse<br />

Nach seinen ersten Japanreisen sympathisierte Hans Zender stark mit denjenigne<br />

Aspekten der ostasiatischen Kulturen, die auf eine eigene Art der Zeitgestaltung und<br />

eine eigene Form der Einfachheit aufbauen. Wie bereits erwähnt hängen die<br />

ostasiatischen Kunstformen, besonders jene Japans, mit dem Zen-Buddhismus sehr<br />

eng zusammen.<br />

Jörn Peter Hiekel hat 2006in seinem Vortrag beim Symposium „Musik und<br />

Globalisierung“ an der <strong>Graz</strong>er <strong>Kunstuniversität</strong> gesagt:<br />

„Zenders Musik zielt auf jene Konzentration des Bewusstseins, jene sich selbst<br />

beobachtende Wahrnehmung, wie man sich auch gerade im Zen-Buddhismus vielfach<br />

findet.“ 23<br />

Zender hat in einigen seiner „asiatischen“ Stücke versucht, „die verschiedenen Zeit-<br />

Richtungen in einem Werkzusammenhang zusammenzuspannen“. 24 In einer<br />

charakteristischen Zeitstruktur, die im existenziellen Sinn als Wechsel zwischen<br />

23 Hiekel, Jörn Peter (2007): Erstaunen und Widersprüchlichkeit. Tendenzen kultureller Entgrenzung in<br />

der Musik von Hans Zender, in: Musik und Globalisierung. Zwischen kultureller Homogenisierung und<br />

kultureller Differenz (= musik.theorien der gegenwart 1), hg. von Christian Utz, Saarbrücken: Pfau, S. 87.<br />

24 Zender, Wegkarte für Orpheus?, in: Die Sinne Denken, S. 89.<br />

19


unaufhörlichem Fluss und plötzlicher Stille erfahren werden kann, hat Zender<br />

eineentscheidende ästhetische Tendenz der japanischen Musik rezipiert.<br />

Durch die folgenden Analysen von <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō und Fūrin <strong>no</strong> Kyō möchte ich die<br />

unterschiedliche Zeiterfahrungen und das Verhältnis zwischen den japanischen Texten<br />

und dem musikalischen Ausdruck verstehen.<br />

3.2.1. <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong><br />

Hans Zenders 1975 entstandenes Werk <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> nimmt als Textvorlage ein<br />

mittelalterliches japanisches Gedicht, das etwa „Gesang der leeren Schrift“ oder<br />

„Nicht-Schrift-Lied“ bedeutet.<br />

Zender verwendet den japanischen Originaltext. Die Form des zweistrophigen<br />

Textes regelt auch die musikalische Form. <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> hat 18 fast gleich lange Teile,<br />

welche in der Folge Solo-Tutti angeordnet sind. „Jede Zeile wird vom Sänger und den<br />

drei Instrumentalsolisten in einer charakteristischen Kompositionsweise vorgestellt,<br />

dann folgt eine Tutti-Passage, welche ein kurzes Motiv in improvisatorischer Lockerheit<br />

durch die Klangfarben des begleitenden Orchesters bewegt.“ 25 Durch die sich immer<br />

wiederholenden beiden Teile (Solo-Tutti) kann man ein „kreisend-statisches<br />

Zeitkonzept“ 26 erfahren. Zender beschreibt über die zwei verschiedenen Teile<br />

folgendermaßen:<br />

„...eine komplett asymmetrische, „offene“ Zeitstruktur (extrem zentrifugal), [...] eine<br />

geschlossene, kreisende, konsistente Zeitgestalt (extrem zentripetal). Im ersten Fall Zeit als<br />

25 Zender, Einführungstext zu <strong>Muji</strong> No Kyō, in: Die Sinne Denken, S. 315.<br />

26 Utz, Neue Musik und Interkulturalität (Anm. 4), S. 191.<br />

20


sich ständig erneuerndes, dramatisches Geschehen, den einzelnen Augenblick artikulierend,<br />

im zweiten Fall zur Statik, zum ‚Bild’, zum Klang gewordene Zeit.“ 27<br />

Außerdem hat Zender selbst den regelmäßigen Wechsel der Zeiterfahrung als „eine<br />

Übung in Einfachheit“ 28 definiert.<br />

Tatsächlich kann man in dem Werk zwei deutlich getrennte Zeitgestaltungen<br />

erkennen. Jeder Solo-Teil hat eine als Sprechgesang angelegte Vokalpartie. Diese<br />

folgt nur der phonetischen Struktur, anstatt als „ausdrucksmäßige<br />

Charakterisierung“ zu fungieren. Aber das Naturereignis, das in dem Text beschrieben<br />

wird, wird gleichzeitig von den Solo-Instrumenten wiedergegeben. Zum Beispiel wird im<br />

Solo III der Text „Wolken / sehr still“ sehr leise durch „sul ponticello“ gespielte Tremolo-<br />

Klänge der Violine und Violoncello mit glissando in hoher Lage und weichem<br />

Klavierklang dargestellt und im Solo VI der Text „glitzernder Wasserfall“ durch einen<br />

„Cluster“ des Klaviers über einem gehaltenen Klang der Flöte angedeutet (Bsp. 9).<br />

Zender, <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō, Solo III, VI, Ausschnitt<br />

27 Zender, Wegekarte für Orpheus?, in: Die Sinne Denken, S. 90.<br />

28 Hiekel, Erstaunen und Widersprüchlichkeit (Anm. 23), S. 89.<br />

21


Auf der anderen Seite wird in jedem Tutti-Teil eine Art „Klangmalerei“ durch das<br />

unendlich repetierte freie Zusammenspiel der beteiligten Spieler aufgebaut. Sie spielt<br />

eine wichtige Rolle als Ansatz von imitatorischer Entfaltung des vorangehenden Solo-<br />

Teils. Hier kann man <strong>no</strong>ch eine weitere gemeinsame Eigenheit zwischen Zenders<br />

Musik und der traditionellen Musik Japans erkennen. In den Tutti-Teilen gibt es häufig<br />

Wiederholungen einer musikalischen Gestalt zwischen den unterschiedlichen Tutti-<br />

Gruppen. Die Gestalten jeder Gruppe werden vom ersten Moment desselben Teils<br />

abgeleitet. In der traditionellen japanischen Vokalgattung saibara gibt es ähnliche<br />

Strukturen.<br />

Saibara besteht aus mehreren Rhythmusfiguren: sandobyōshi beispielsweise<br />

unterteilt sich in sakubyōshi, (eine dreizeitige und gohyōshi, eine fünfzeitige<br />

Rhythmusfigur. 29 Ein ganzes Stück wird ausschließlich durch die Wiederholung dieser<br />

Rhythmusfigur gebildet. Danach verändert sich die Rhythmusfigur: der Grundfigur<br />

werden verschiedene Begleitungsinstrumente hinzugefügt. Die Repetitionen<br />

29 Shigeo, Kishibe / Mario, Yokomichi / Kikkawa, Eishi / Achira, hoshi / Humio, Goizmi (2003): Geschichte<br />

und Theorie der Musik Japans, japanisch übersetzt von Jisun Lee, hg. von Kiwon Hong, Seoul:<br />

Minsokwon, S. 161.<br />

22


wiederholen sich mehrfach. Durch die gleichbleibenden Wiederholungen empfindet<br />

man die Einfachheit der Struktur.<br />

In Tutti II von <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> (Bsp. 10) werden drei Gestalten mit unterschiedlichen<br />

zeitlichen Abständen gespielt. Im Fall des saibara sind die musikalischen Parameter<br />

auf den Grundrhythmus und ein Instrument beschränkt. Aber auch in Zenders Musik<br />

entsteht aus der Wiederholungsstruktur eine ähnliche Form der Einfachheit.<br />

Zender, <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> Kyō, Tutti II<br />

3.2.2. Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong><br />

Zender versucht auch in seinem 1988/89 entstanden Werk Fūrin <strong>no</strong> Kyō eine<br />

Verschränkung unterschiedlicher Zeitauffassungen zu leisten. Das Stück, das aus fünf<br />

Teilen einschließlich des Zwischenspiels der Instrumente besteht, hat als Textvorlage<br />

23


ein vierzeiliges Gedicht des Zen-Mönches Ikkyū (1394-1481). Zender greift in jedem<br />

Teil in einer anderen Sprache (Japanisch, Englisch, Deutsch, Chinesisch) auf diesen<br />

Text zurück. Er hat in zu <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong> verwandter Weise „fünf verschiedene<br />

musikalische Zeitgestalten“ 30 zusammengesetzt und jeder Teil verfolgt ein<br />

unterschiedliches Zeitkonzepte. Christian Utz fasst die Konzepte wie in Beispiel 10<br />

dargestellt zusammen:<br />

Zender, Fūrin <strong>no</strong> Kyō. Formale Organisation<br />

Formteil Zeitkonzept Modelle Sprache<br />

I fokussierende Zeit Gedächtnislosigkeit, Augenblick Japanisch<br />

II pfeilgerichtete Zeit Punktualismus, Dialektik, Gespräch Englisch<br />

III mythische Zeit/stehende Zeit Textur, Improvisation instrumental<br />

IV dramatische Zeit Bildhaftigkeit Deutsch<br />

V Überlagerte Zeit-Schichten Simultaneität, Sy<strong>no</strong>pse<br />

4 Sprachen<br />

(inkl. Chinesisch)<br />

Die inhaltliche Bedeutung des Textes entspricht in allen Teilen dem japanischen<br />

Originaltext. Jeder der vier sprachlichen Teile hat wiederum „eine korrespondierende<br />

Beziehung zu den jeweiligen Zeilen des Gedichtes“. 31<br />

Im Titel „Fūrin <strong>no</strong> Kyō“ bedeutet Fū Wind, Rin Glocke. Es ist ein Gedicht, das die<br />

akustische Wahrnehmung schildert. Im japanischsprachigen ersten Teil kann man<br />

gerade diese Art der Wahrnehmung gut erkennen, die Natur-Klänge werden durch die<br />

Stimme nachgeahmt.<br />

Zum Beispiel werden das Wort für „Wind“ Fū im Takt 12 durch einen stimmlosen<br />

Glissando-Klang oder das Wort für „Glocke“ Rin im Takt 8 durch ein Tremolo-Vibrato<br />

ausgedrückt (Bsp. 11).<br />

30 Zender, (wie Anm, 27), S.90.<br />

31 Zender, Einführungstext zu Fūrin No Kyō, in: Die Sinne Denken, S. 328.<br />

24


Zender, Fūrin <strong>no</strong> Kyō, T. 8 und12<br />

Nun möchte ich den ersten Teil des Werks, in dem eine „statische<br />

Zeitauffassung“ umgesetzt wird, <strong>no</strong>ch etwas genauer darstellen. „Bei den Japanern<br />

findet sich eine Vorliebe für den Nachklang (yo’in)“ 32 , so Eishi Kikkawa. Diese Tendenz<br />

hat auf die japanische Musik stark eingewirkt. Der Nachklang in der Schlusstechnik<br />

tomede im gagaku ist dafür ein gutes Beispiel. Kikkawa schreibt darüber:<br />

„Am Ende einer gagaku-Aufführung hören die Musikinstrumente nämlich nicht wie in den<br />

Konzerten des Westens gleichzeitig zu spielen auf. Es gibt bei den verschiedenen<br />

Instrumenten [...] Unterschiede der zeitlichen Abfolge.“ 33<br />

Ähnliche Formen des Nachklangs finden sich auch in der traditionellen Popularmusik<br />

(zokugaku), in koto-Stücken und den nagauta usw.. Dabei enden der Gesang und die<br />

Instrumente nicht gleichzeitig, sondern die Instrumente bilden am Ende eine Art<br />

langsam verklingendes Echo des Gesangs.<br />

Auch im ersten Teil von Fūrin <strong>no</strong> Kyō ist diese Tendenz der Instrumente zum<br />

Nachklang zu beobachten.Er wird vor allem auf zwei verschiedene Arten erzeugt: zum<br />

einen als ein nachklingender Abschluss einer Phrase, zum anderen in Form einer<br />

Nachahmung von Naturklängen.<br />

32 Kikkawa, Vom Charakter der japanischen Musik (Anm. 6), S. 172.<br />

33 Ebd., S. 177.<br />

25


Der erste Teil ist durch ständige Taktwechsel charakterisiert, jeder Takt hat<br />

dementsprechend auch eine andere Stimmbehandlung. Je eine Silbe und deren<br />

instrumentale Begleitung werden durch häufige Pausen und dynamische Kontraste<br />

taktweise voneinander getrennt. So entsteht eine „zeitliche Erstreckung von Tönen der<br />

Singstimme durch instrumentale Nachklänge und Antizipationen“ 34 (Bsp. 12).<br />

Außerdem verändern sich die Dauern der Takte fortgesetzt (Bsp. 13). Die<br />

Unregelmäßigkeit dieser musikalischen Gestaltungsmittelist auffällig.<br />

Zender, Fūrin <strong>no</strong> Kyō, T.7-9, Ausschnitt<br />

34 Revers, Peter (1996): Hans Zender: Furin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong>, in: Nähe und Distanz. Nachgedachte Musik der<br />

Gegenwart, Bd. 1, hg. von Wolfgang Gratzer, Hofheim: Wolke, S. 219.<br />

26


Zender, Fūrin <strong>no</strong> Kyō, Taktarts-Wechselungen des ersten Teils<br />

Zuletzt möchte ich über die musikalische Relevanz der Bedeutung von Ikkyūs Textes<br />

sprechen. Der Text spiegelt die Denkweise des Zen, der die japanische Kultur<br />

insgesamt stark beeinflusst hat, vielfältig wider:<br />

Stille Zeit: Nichtklang. Bewegte Zeit: Schall.<br />

Ist es die Stimme der Glocke - Ist es die Kraft des Windes?<br />

Erschreckt fährt er auf - der alte Mönch aus seinem Mittagsschlaf.<br />

Da! Was ist das? Jetzt zur Mittagszeit die Mitternachtsglocke?<br />

Schon am Beginn des Textes: „Stille Zeit: Nichtklang“ können wir sofort Anzeichen<br />

einer „Ästhetik des Nichts“ 35 , die in Zusammenhang mit dem Zen-Geist steht, spüren.<br />

In der japanischen Musik gibt es die Bezeichnungen wie muon <strong>no</strong> ongaku („Musik des<br />

Nicht-Tons, des Schweigens“ 36 ) oder des ma („Zwischenraum“), dem im nō besondere<br />

Bedeutung zukommt . Wichtig ist, dass durch das „Nichts“ ein Gefühl der Spannung<br />

erzeugt wird. Obwohl Zender solche aus Japan stammenden ästhetischen Konzepte<br />

vielleicht nicht bewusst in seine Komposition aufge<strong>no</strong>mmen hat, können wir durch die<br />

unregelmäßigen Zeitabstände zwischen Ton und Nicht-Ton eine vergleichbare<br />

Spannung empfinden.<br />

35 Kikkawa, Eishi (2004): Zum Verständnis japanischer Musik aus der Sicht der traditionellen Termi<strong>no</strong>logie,<br />

in: Japans traditionelle Musik aus der Sicht japanischer Musikologen (= Studien zur traditionellen Musik<br />

Japans Bd. 3), hg. von Robert Günther und Heinz-Dieter Reese, Willhelmshaven: Florian Noetzel, S.<br />

132.<br />

36 Ebd.<br />

27


4. Schlussfolgerungen<br />

Das Sehnsucht vieler westlichen Komponisten nach „Neuem“ ist oft eng mit dem<br />

Interesse und der Forschung für andere Kulturen, mit denen sie in Berührung<br />

gekommen sind, verknüpft. Viele Komponisten haben sich mit der Frage beschäftigt,<br />

wie mit Materialien aus verschiedenen kulturellen Kontextenunterschiedliche Klang-<br />

und Zeiterfahrungen verbunden sind. Eine positive Grundeinstellung und Offenheit<br />

gegenüber anderen Kulturen bildet dafür die Voraussetzung.<br />

Jede Kultur vermittelt andere Erfahrungen von Zeit und Raum und bringt<br />

entsprechend andere Formen von Kunst hervor – dabei sind Kulturen nicht statisch,<br />

sondern etnwickeln sich bis in die Gegenwart hinein fortgesetzt weiter. In unserer Zeit<br />

setzt sich die Forderung immer stärker durch, dass jede Kultur zu schätzen ist und<br />

verschiedene Kulturen nebeneinander koexistieren können.<br />

In der westlichen Musik haben besonders ostasiatische kulturelle Materialien große<br />

Bedeutung erlangt. Die Traditionen der ostasiatischen Kulturen, etwa in der Gestalt des<br />

Zen-Buddhismus, vermitteln eine Naturauffassung und eine Ästhetik der Einfachheit,<br />

die im großen Gegensatz zur übermäßig entwickelten westlichen Zivilisation zu stehen<br />

scheinen. Das beeinflusste viele Komponisten in ihrer Musik nachhaltig.<br />

Bei der Erforschung der sogenannten „asiatischen“ Werke Zenders konnte ich<br />

tatsächlich „asiatische“, insbesondere japanische Elemente in hohem Maße auffinden.<br />

Als asiatische Hörererin konnte ich mich leicht mit seiner Musik identifizieren. Natürlich<br />

sind die in beiden Stücken verwendeten Kompositionstechniken auch unabhängig von<br />

einer Rezeption asiatischer Kulturen in vielfältigen Formen in der neuen westlichen<br />

28


Musik erschienen, bei Hans Zender aber sind sie durch seine Hinwendung zu Asien in<br />

einer speziellen Weise gefärbt.<br />

Hans Zender erzeugt vor diesem Hintergrund ein musikalisches Kunstwerk, das aus<br />

der Alternative Westlich-Asiatisch herausgetreten ist. Die asiatischen Sprachen wirken<br />

stark auf seine Musik ein: in seinen Werken entfalten sich sprachliche Eigenschaften<br />

als musikalisches Material und daneben überträgt sich auch die Bedeutung der<br />

Sprache auf die Musik.<br />

Ich wage die Aussage, dass die „asiatischen Elemente“, die Hans Zender benutzt,<br />

extrem fragmentarisch sind, da sie in seinem Werk letztlich die asiatische Musik nicht<br />

vertreten können. Außerdem hat jede asiatische Kultur eigene von anderen<br />

unabhängige Traditionen und Genres, die einander zwar oft ähnlich sind, aber auch<br />

unterschiedliche Ausprägungen haben. Eine klar abzugrenzende Beziehung zu<br />

eindeutig identifizierbaren Traditionen findet man in Zenders Musik kaum.<br />

Trotzdem müssen Zenders Bemühungen, kulturelle Differenz als eigenen Wert<br />

anzuerkennen und mit seiner Musik zu verbinden, sehr hoch geschätzt werden. Ich<br />

hoffe, dass sich neue „asiatische Musik“, sei sie von Europäern oder Asiaten<br />

komponiert, weiterhin großes Interesse und Entdeckungsdrang vieler Komponisten und<br />

Hörer auslösen wird.<br />

29


5. Literaturverzeichnis<br />

Gruhn, Wilfried (1995): „Hans Zender“, in: Komponisten der Gegenwart, hg. von<br />

Walter-Wolfgang Sparrer und Hanns Werner Heister, München: edition text+kritik<br />

Hiekel, Jörn Peter (2007): Erstaunen und Widersprüchlichkeit. Tendenzen kultureller<br />

Entgrenzung in der Musik von Hans Zender, in: Musik und Globalisierung. Zwischen<br />

kultureller Homogenisierung und kultureller Differenz (= musik.theorien der gegenwart<br />

1), hg. von Christian Utz, Saarbrücken: Pfau<br />

Kenji, Hira<strong>no</strong> (2004): Zur Funktion der Solmisation in der traditionellen Musik<strong>no</strong>tation<br />

Japans, in: Japans traditionelle Musik aus der Sicht japanischer Musikologen (=<br />

Studien zur traditionellen Musik Japans Bd. 3), hg. von Robert Günther und Heinz-<br />

Dieter Reese, Willhelmshaven: Florian Noetzel<br />

Kikkawa, Eishi (1984): Vom Charakter der japanischen Musik, in: Japans<br />

traditionelle Musik aus der Sicht japanischer Musikologen (= Studien zur traditionellen<br />

Musik Japans Bd. 2), hg. von Robert Günther, Kassel etc.: Bärenreiter<br />

Kikkawa, Eishi (2004): Zum Verständnis japanischer Musik aus der Sicht der<br />

traditionellen Termi<strong>no</strong>logie, in: Japans traditionelle Musik aus der Sicht japanischer<br />

Musikologen (= Studien zur traditionellen Musik Japans Bd. 3), hg. von Robert Günther<br />

und Heinz-Dieter Reese, Willhelmshaven: Florian Noetzel<br />

Revers, Peter (1996): Hans Zender: Furin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong>, in: Nähe und Distanz.<br />

Nachgedachte Musik der Gegenwart, Bd. 1, hg. von Wolfgang Gratzer, Hofheim:<br />

Wolke<br />

Shigeo, Kishibe / Mario, Yokomichi / Kikkawa, Eishi / Achira, hoshi / Humio, Goizmi<br />

(2003): Geschichte und Theorie der Musik Japans, japanisch übersetzt von Jisun Lee,<br />

hg. von Kiwon Hong, Seoul: Minsokwon<br />

Utz, Christian (2002): Neue Musik und Interkulturalität. Von John Cage bis Tan Dun<br />

(= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. 51), Stuttgart: Steiner<br />

30


Webster, Noah (1976): “Mora”, in: Webster’s Third New International Dictionary, hg.<br />

von Philip Babcock Gove, Springfield, Massachusetts, U.S.A.: G. & C. Merrian<br />

Company<br />

Zender, Hans (2004): Die Sinne Denken. Texte zur Musik 1975 - 2003, hg. von Jörn<br />

Peter Hiekel, Wiesbaden etc.: Breitkopf und Härtel<br />

Zender, Hans (2003): Fūrin <strong>no</strong> <strong>kyō</strong>, Wiesbaden etc.: Breitkopf und Härtel<br />

Zender, Hans (1988): <strong>Muji</strong> <strong>no</strong> <strong>kyō</strong>, Berlin: Bote und Bock<br />

31

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