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blu Mai 2018

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Janelle Monáe, wir führen dieses Gespräch<br />

ausgerechnet am Internationalen<br />

Weltfrauentag. Bedeutet dir dieses<br />

Datum etwas?<br />

Oh mein Gott, natürlich, absolut und zu<br />

hundert Prozent. Ich liebe es, eine Frau zu<br />

sein. Ich liebe es, andere Frauen zu unterstützen<br />

und zu fördern. Mädchen sollen<br />

schon früh die Gewissheit haben, dass sie<br />

auf hohem Niveau mithalten können, und<br />

dass sie selbstverständlich in allen Bereichen<br />

die gleichen Chancen haben wie Jungs.<br />

Feminismus kommt auch Männern<br />

zugute, oder?<br />

Selbstverständlich. Feminismus nützt der<br />

gesamten Menschheit. Wir alle profitieren<br />

als Gesellschaft, wenn niemand diskriminiert<br />

oder unterschätzt wird. Die Rechte der<br />

Frauen und ihr Wohlergehen sind Menschenrechte.<br />

Wenn du dich um die Frauen<br />

kümmerst, dann kümmerst du dich um die<br />

gesamte Menschheit.<br />

Die beiden Filme, in denen du mitgespielt<br />

hast, gehören zu den wichtigsten<br />

Filmen des vergangenen Jahres. Glück<br />

oder ein gutes Händchen bei der Auswahl?<br />

Beides wahrscheinlich. Ich habe Rollen<br />

ausgewählt, zu denen ich gleich eine starke<br />

und feste Verbindung aufbauen konnte.<br />

Das Drehbuch zu „Moonlight“ habe ich im<br />

Flugzeug gelesen. Ich saß am Fenster und<br />

weiß noch, wie ich mir die Decke über den<br />

Kopf zog und anfing zu heulen, als ich die<br />

Geschichte über diesen kleinen Jungen<br />

gelesen habe. Bei „Hidden Figures“ wiederum<br />

habe ich mich total geärgert, dass niemand<br />

von diesen Frauen etwas wusste, von diesen<br />

genialen schwarzen Mathematikerinnen bei<br />

der NASA, ohne die die gesamte Geschichte<br />

der bemannten Raumfahrt vielleicht anders<br />

aussähe. Mein Gedanke war: Die Leute müssen<br />

diese Frauen kennenlernen.<br />

Warum?<br />

Weil sie Menschen feiern, die mir am Herzen<br />

liegen – toughe, kluge Frauen und einen<br />

jungen schwulen Schwarzen, ein Mitglied<br />

der LGBQ-Gemeinschaft. Gerade diese<br />

Menschen bekommen zu häufig nicht die<br />

Anerkennung, die sie verdienen. Sie werden<br />

übersehen und an den Rand der Gesellschaft<br />

gedrängt. Diese tollen Menschen, um die<br />

geht es mir. Als ein Mitglied dieser Gesellschaft,<br />

das eine Stimme hat, die gehört wird,<br />

will ich solche Menschen herausstellen, auf<br />

das verdiente Podest heben.<br />

In „Django Jane“ rappst du die Zeile<br />

„Let the vagina do the monologue“.<br />

Sollen die Frauen den Mund aufmachen<br />

und die Männer mal die Klappe<br />

halten?<br />

Absolut. Also, ich habe nichts Grundsätzliches<br />

gegen Männer, ich liebe Männer und<br />

nicht alle Männer sind der Feind. Aber es gibt<br />

sie, die Feinde. Nicht jeder Mann ist ein guter<br />

Mann. Manche sind schrecklich. Ich denke,<br />

der derzeitige Führer der freien Welt, und<br />

mit ihm die Männer und Frauen, die sein Tun<br />

ermöglichen, sind meine Feinde. Diese Leute<br />

interessieren sich nicht für mich, eine junge<br />

schwarze Frau, die in Amerika aufgewachsen<br />

ist und deren Eltern aus der Arbeiterklasse<br />

stammen. Meine Mutter war Hausmeisterin<br />

und mein Vater hat bei der Post gearbeitet<br />

und ist Lastwagen gefahren. Meine Familie<br />

galt als arm. Nein, den Mächtigen sind<br />

Menschen wie wir oder meine Freunde von<br />

früher gleichgültig. Ich denke sowieso, es<br />

ist allerhöchste Zeit, dass mehr Frauen in<br />

machtvolle Positionen kommen, gerade in<br />

den USA. Egal, ob an der Wall Street, auf dem<br />

Capitol Hill, im Weißen Haus, in der Musikindustrie,<br />

in der Filmbranche – es gibt Studien,<br />

die zeigen, dass sexuelle Belästigungen<br />

abnehmen, sobald Frauen in einem Betrieb<br />

das Sagen haben.<br />

„Make Me Feel“, eine Uptempo-Funk-<br />

Dance-Nummer mit starkem 1980er-<br />

Einfluss, klingt schwer nach einem<br />

Riesensommerhit. Man kann sich<br />

vorstellen, wie die Leute am Strand zu<br />

dem Lied Party machen werden.<br />

Yeah, hoffentlich tun sie das. „Make Me<br />

Feel“ dreht sich zu hundert Prozent ums<br />

Feiern. „Django Jane“ ist eine relativ wütende<br />

Botschaft, aber „Make Me Feel“ ist ein überschwänglich<br />

fröhlicher Song, eine richtige<br />

Hymne. Zugleich ist das Lied mein Plädoyer<br />

für sexuelle Befreiung und sexuelle Freiheit.<br />

Ich finde, jeder Mensch hat das Recht,<br />

seine Sexualität nicht klar zu definieren. Bei<br />

vielen von uns funktioniert das ja auch nicht<br />

innerhalb eines Schwarz-Weiß-Schemas.<br />

Leben wir nicht sowieso alle irgendwo in<br />

einem Graubereich? Jeder soll so leben und<br />

so lieben können, wie er möchte und wie<br />

er ist – ohne bewertet zu werden. Wäre es<br />

nicht wundervoll in einer Welt zu leben, in<br />

der wir alle vollkommen frei und ohne Tabus<br />

glücklich werden dürfen?<br />

Im Video zu „Make Me Feel“ tanzt du<br />

hin- und hergerissen zwischen einer<br />

männlichen und einer weiblichen<br />

Person. Manche interpretieren den Clip<br />

als dein bisexuelles Coming-out. Ist da<br />

was dran?<br />

I am a free Motherfucker.<br />

Mehr möchte<br />

ich zu der Frage nicht<br />

sagen.<br />

Ist recht. Das ganze<br />

Video sieht sehr<br />

hell und sehr bunt<br />

aus. Normalerweise<br />

beschränkst du dich<br />

auf Schwarz und<br />

Weiß. Lässt du jetzt<br />

MUSIK<br />

die Farben rein?<br />

Ja, das stimmt. Ich habe aus meiner Kreidekiste<br />

früher immer am liebsten die weiße<br />

und die schwarze Kreide benutzt. Aber auf<br />

diesem Album probiere ich auch die anderen<br />

Farben aus. Ich habe noch nie ein so verletzliches<br />

und persönliches Album gemacht wie<br />

„Dirty Computer“. Ich habe dieses Mal die<br />

Ehrlichkeit der Geheimnistuerei vorgezogen.<br />

Du hast an „Make Me Feel“ mit Prince<br />

gearbeitet, der Song klingt außerdem<br />

krass nach „Kiss“. Wie wichtig war<br />

Prince für dich?<br />

Prince war ein Mentor und ein enger<br />

Freund. Er hat schon auf meinem vorherigen<br />

Album mitgearbeitet, und auch an<br />

„Dirty Computer“ ist er beteiligt. Jedes Mal,<br />

wenn ich mit einer neuen Platte angefangen<br />

habe, ging ich zuerst zu Prince.<br />

Es ist schwer für mich, überhaupt über<br />

ihn zu sprechen, ich vermisse ihn wirklich<br />

schrecklich. Als ich ihm sagte, in welche<br />

Richtung ich mit dem Album gehen wollte,<br />

kam er sofort mit Vorschlägen, er spielte<br />

mir dieses und jenes vor, war total in seinem<br />

Element. Prince brannte für die Musik.<br />

Und ich wusste immer, dass er für mich da<br />

sein würde, wenn ich ihn brauche.<br />

Was kannst du über seine Persönlichkeit<br />

erzählen?<br />

Er war zurückhaltend. Zum Beispiel wollte er<br />

nicht, dass die Öffentlichkeit weiß, wie viel er<br />

für mich und meine Musik tat. Deshalb mag<br />

ich das jetzt auch nicht detailliert erzählen.<br />

Prince hatte, so viel kann ich sagen, mehr<br />

Einfluss auf meine Musik, als die meisten<br />

Menschen glauben. Kurzum: Prince ist mein<br />

Held. Er wird immer mein Held sein. Ich<br />

würde nicht so große Träume träumen, hätte<br />

Prince mir nicht vorgelebt und bewiesen, wie<br />

es geht.<br />

Warum heißt das Album „Dirty<br />

Computer“?<br />

Weil es sich mit den Viren und Programmfehlern<br />

von uns selbst beschäftigt. Die<br />

Gesellschaft sieht unsere Unzulänglichkeiten<br />

als etwas Negatives, man will uns reinigen.<br />

„Dirty Computer“ feiert die Fehler, das Album<br />

erkennt sie als etwas Positives und Wertvolles<br />

an, das die Gesellschaft bereichert.<br />

Weil wir voll von diesen interessanten, nicht<br />

perfekten Charakterzügen<br />

sind, bringen<br />

wir die Welt voran,<br />

erfinden schlaue Dinge,<br />

verbessern das Leben<br />

der Menschen. Ich jedenfalls<br />

liebe den „Dirty<br />

Computer“ in meinem<br />

Kopf, ich habe nicht vor,<br />

meine Festplatte jemals<br />

zu säubern.<br />

*Interview: Steffen Rüth

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