Der Suizid – ein gesellschaftliches Phänomen - SCIP
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<strong>Der</strong> <strong>Suizid</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>gesellschaftliches</strong> <strong>Phänomen</strong> M.H.; <strong>SCIP</strong> 2005/2006<br />
Religio medici, <strong>ein</strong>em Werk des Engländers Sir Thomas Browne, der das christliche,<br />
verdammenswerte „self-killing“ vom heidnischen „suicidium“ Catos abgrenzen wollte.<br />
Das Wort setzt sich aus „sui“ (selbst) und „caedes“ (Tod) zusammen. <strong>Der</strong> Neologismus<br />
verbreitete sich ab 1650 relativ stark. In Frankreich setzte sich die Bezeichnung suicide erst<br />
Mitte des 18. Jh. durch. Bezeichnenderweise ist am Gebrauch der Verbalform (se suicider)<br />
zu erkennen, dass man noch immer der Ansicht war, es handle sich um <strong>ein</strong> an sich selbst<br />
begangenes Verbrechen. Die korrekte Form „je suicide“ wurde nie gebraucht. 10<br />
2. Definition des <strong>Suizid</strong>begriffs<br />
Unter dem Begriff <strong>Suizid</strong> ist die bewusste und willentlich angestrebte Selbsttötung <strong>ein</strong>es<br />
Menschen durch <strong>ein</strong>e bestimmte zielgerichtete Handlung zu verstehen. Eine Person muss<br />
also vorsätzlich den eigenen Tod verursachen. 11<br />
Für Emile Durkheim war entscheidend, dass der <strong>Suizid</strong>ent den selbstzerstörerischen Akt in<br />
voller Kenntnis dessen Wirkung vornimmt. Die Folge dieses Verhaltens, und damit der<br />
Eintritt des Todes, muss demnach antizipiert und realisiert werden. Ferner musste bei<br />
Durkheim der Erleidende der Urheber s<strong>ein</strong>es eigenen Todes s<strong>ein</strong>. 12 S<strong>ein</strong>e ausführliche<br />
Definition des Begriffes <strong>Suizid</strong> lautete schliesslich:<br />
„Man nennt also Selbstmord jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf <strong>ein</strong>e<br />
Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen<br />
wurde, wobei es das Ergebnis s<strong>ein</strong>es Verhaltens im Voraus kannte.“ 13<br />
An dieser Definition setzte Jean Baehler aus, dass es <strong>Suizid</strong>e gebe, bei denen das Opfer<br />
nicht selber Hand an sich lege, gleichwohl aber den Tod aktiv suche, nämlich indem sich<br />
beispielsweise <strong>ein</strong> verzweifelter Soldat dem F<strong>ein</strong>d derart entgegenwerfe, dass s<strong>ein</strong> Tod<br />
gewiss sei. 14 Dieser Sachverhalt weist sehr wohl suizidales Verhalten aus. Ein typischer<br />
<strong>Suizid</strong> nach Durkheims Definition liegt aber nur vor, wenn man die Selbsttötungshandlung<br />
des Kriegers darin sieht, dass er sich mit der festen Absicht getötet zu werden der<br />
Tötungsmaschinerie des F<strong>ein</strong>des stellt. <strong>Der</strong> Tod muss sich dabei mit an Sicherheit<br />
grenzender Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit abzeichnen und vom Betreffenden beabsichtigt s<strong>ein</strong>. 15<br />
10<br />
Fink, S. 3; Günzel, S. 16 f.; Minois, S. 266 ff..<br />
11<br />
Kaiser, S. 21; Trechsel, Art. 115, N 2.<br />
12<br />
Durkheim, S. 27.<br />
13<br />
Durkheim, S. 27.<br />
14<br />
Baehler, S. 19 f..<br />
15<br />
Anderer Ansicht ist Durkheim, wenn <strong>ein</strong> Soldat s<strong>ein</strong>en sicheren Tod auf sich nimmt, um s<strong>ein</strong> Regiment<br />
zu retten. Er sei zwar auch als Urheber s<strong>ein</strong>es Todes zu betrachten, wolle aber eigentlich nicht sterben.<br />
Allerdings betrachtete der Franzose <strong>ein</strong>e Hingabe bis zur sicheren Opferung des eigenen Lebens - streng<br />
wissenschaftlich gesehen - als Selbstmord. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Gewissheit des<br />
Todes<strong>ein</strong>tritts; Durkheim, S. 26 f..<br />
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