Der Suizid – ein gesellschaftliches Phänomen - SCIP
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<strong>Der</strong> <strong>Suizid</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>gesellschaftliches</strong> <strong>Phänomen</strong> M.H.; <strong>SCIP</strong> 2005/2006<br />
C. Behandlung des Selbstmords im historischen Kontext<br />
In diesem Abschnitt wird <strong>ein</strong> historischer Überblick gegeben, wie die Menschen mit dem<br />
<strong>Suizid</strong> in verschiedenen Zeiten umgingen, wie sie sich gegenüber <strong>Suizid</strong>enten und deren<br />
Angehörigen verhielten und wie die Gesellschaft im Allgem<strong>ein</strong>en über die Selbsttötungen<br />
dachte.<br />
1. Antike<br />
1.1. Die Griechen<br />
Die Haltung gegenüber dem Selbstmord war in der Antike sehr different. Die Stoiker, die<br />
Kyniker und die Epikuräer sahen den höchsten Wert des Individuums darin, dass es selber<br />
über s<strong>ein</strong> Leben und s<strong>ein</strong>en Tod entscheiden kann. Epikur war der M<strong>ein</strong>ung, man dürfe die<br />
Welt wie <strong>ein</strong>e Bühne verlassen, wenn man von grossen Schmerzen gequält werde. Das<br />
Leben solle nur dann bewahrt werden, wenn es angenehm sei und in menschlicher Würde<br />
gelebt werden könne. 17 Anders sahen Platon und Aristoteles das Individuum vor allem als<br />
Teil der Gesellschaft. Sie waren der Ansicht, dass der Mensch s<strong>ein</strong>e Pflichten gegenüber<br />
der Gottheit oder gegenüber dem Gem<strong>ein</strong>wesen wahrnehmen und erfüllen müsse. Platon<br />
billigte jedoch den <strong>Suizid</strong> aus gewissen Motiven, nämlich im Falle <strong>ein</strong>er Verurteilung,<br />
<strong>ein</strong>er schmerzvollen und unheilbaren Krankheit und bei Erleiden <strong>ein</strong>es gravierenden<br />
Schicksals. Aristoteles hingegen verdammte den Selbstmord in s<strong>ein</strong>em Werk<br />
Nikomachische Ethik als feigen Akt der Verantwortungslosigkeit und der Mutlosigkeit, da<br />
er <strong>ein</strong> Unrecht gegen sich selbst und gegen den Staat darstelle. 18<br />
In den verschiedenen griechischen Stadtstaaten waren Strafen für die Selbstmörder<br />
vorgesehen. <strong>Der</strong> <strong>Suizid</strong> galt aber als gesetzmässige Handlung, wenn vorgängig <strong>ein</strong> Gesuch<br />
bei <strong>ein</strong>er Behörde <strong>ein</strong>gereicht und genehmigt wurde. 19<br />
1.2. Die Römer<br />
Die Gesellschaft im antiken Rom hatte <strong>ein</strong>e relativ positive Einstellung gegenüber dem<br />
<strong>Suizid</strong>. Im römischen Recht (in den Digesten) war der <strong>Suizid</strong> zulässig, wenn er auf<br />
unerträglichen Schmerzen, schweren Krankheiten oder „<strong>ein</strong>er sonstigen Ursache“ beruhte.<br />
Auch in Rom gab es die Möglichkeit, beim Senat die Genehmigung zum <strong>Suizid</strong> zu<br />
17<br />
Holyst, S. 39 f.; Minois, S. 71 ff.; Rost, S. 13; Simson, S. 26. Im Übrigen <strong>ein</strong> interessanter Gedanke,<br />
welcher in aktuellen Diskursen über die Sterbehilfe immer wieder aufgegriffen wird.<br />
18<br />
Baumann, S. 17; Holyst, S. 45; Minois, S. 74 ff.; Simson, S. 25; Wellauer, S. 4 f..<br />
19<br />
Durkheim, S. 386.<br />
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