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Der Suizid – ein gesellschaftliches Phänomen - SCIP

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<strong>Der</strong> <strong>Suizid</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>gesellschaftliches</strong> <strong>Phänomen</strong> M.H.; <strong>SCIP</strong> 2005/2006<br />

Die Ansicht, dass der Selbstmord <strong>ein</strong> Fall von Wahnsinn oder <strong>ein</strong>er physiologischen<br />

Funktionsstörung ist, teilten viele Philosophen. Vor allem klimatische Erklärungen kamen<br />

in Mode. Man ging davon aus, dass auch allzu heftige Leidenschaften und übertriebene<br />

körperliche oder geistige Tätigkeiten Melancholie und den Hang zu Selbstmord<br />

hervorrufen würden. Seitens der aufklärerischen Philosophie wurde der <strong>Suizid</strong><br />

mehrheitlich als nicht schuldhaft und nicht strafwürdig angesehen. 57<br />

4.6. Cesare Beccaria (1738-1794)<br />

In s<strong>ein</strong>em bekannten Werk Dei delitti e delle pene widmete Cesare Beccaria dem<br />

Selbstmord <strong>ein</strong>en eigenen Abschnitt. Er wies auf die Sinnlosigkeit der Bestrafung der<br />

Leiche des <strong>Suizid</strong>enten hin. Auf die Mitmenschen habe diese Barbarei k<strong>ein</strong>e<br />

abschreckende Wirkung. Wenn diese aus Furcht vor den Schmerzen der Bestrafung die<br />

Gesetze befolgen würden, so greife diese Logik im Rahmen der Selbsttötung nicht, da der<br />

Tod alle Empfänglichkeit der Schmerzempfindung auslösche. Beccaria qualifizierte den<br />

Selbstmord aber doch als Sünde gegenüber Gott, welcher als <strong>ein</strong>ziger auch Tote bestrafen<br />

könne. Im Übrigen verglich er den Selbstmörder mit <strong>ein</strong>em Auswanderer. Beide würden<br />

den Staat schwächen, wobei es für das Vaterland weniger schlimm sei, wenn sich <strong>ein</strong><br />

Bürger umbringe, als wenn er <strong>ein</strong>em anderen Staat zuwandere. Im ersten Fall schwäche<br />

das Individuum zwar die eigene Gesellschaft, stärke aber immerhin nicht zusätzlich <strong>ein</strong>e<br />

andere Nation (durch s<strong>ein</strong>e eigene Person und die eigene Habe). Beccaria wandte sich<br />

letztlich auch gegen <strong>ein</strong>e Bestrafung der Angehörigen und damit gegen die noch immer<br />

praktizierten Konfiszierungen. 58<br />

Auf diese klassischen Argumente der Entkriminalisierung des <strong>Suizid</strong>s berief sich später<br />

auch der in Stettin geborene Jurist und Journalist Julius Friedrich Knüppeln in s<strong>ein</strong>er 1790<br />

erschienenen Monografie über den Selbstmord. Knüppeln ging aber <strong>ein</strong>en Schritt weiter,<br />

indem er festhielt, dass der Staat schon deswegen suizidales Verhalten nicht bestrafen<br />

dürfe, da er selber oft schuld daran sei, dass s<strong>ein</strong>e Bürger in Mangel und Elend lebten. 59<br />

Gleichwohl Knüppeln den <strong>Suizid</strong> als unmoralisch <strong>ein</strong>stufte, nahm er in s<strong>ein</strong>er Monografie<br />

also <strong>ein</strong>e vehemente Sozialkritik vor und stellte fest, dass sich in manchen Fällen der<br />

<strong>Suizid</strong>ent mit den herrschenden Autoritäten und deren Vorgaben nicht arrangieren konnte<br />

und deshalb der unglücklichen Situation entfloh.<br />

57 Minois, S. 351 ff..<br />

58 Beccaria, § 32, S. 73 ff..<br />

59 Baumann, S. 114 ff..<br />

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