17.12.2012 Aufrufe

Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus

Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus

Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

154 Erinnerungen Jenny de Nijs<br />

Heinz hat sich sehr gewundert, dass ich ihn heute nicht angeschaut habe, aber<br />

er rennt mir schon ganz schön nach. Wenn wir auf den Semmering fahren, wird er<br />

vielleicht mit mir tanzen. Werden wir ja sehen. Und wenn nicht, ist es auch kein<br />

Malheur. Angeblich hat er Telefon, aber im Telefonbuch steht nichts. Er wohnt in<br />

der Brückengasse 7. Heute habe ich ein Sehr gut auf die Deutsche. Mittwoch war<br />

Wandertag. [...]<br />

28. Juli 1937<br />

Jetzt waren wir 3 Wochen in Lunz, da war es fad, aber hier habe ich scheinbar das<br />

Richtige gefunden. Er heißt Walter Kraus und bleibt leider nur mehr bis Sonntag<br />

da, das sind 2 Tage. Er ist ganz so, wie ihn der Herrgott geschaffen hat, ein Naturbursch,<br />

zu vergleichen mit Siegfried oder dem jungen Hohen-Esp [Figur aus dem<br />

Roman „Die Bären <strong>von</strong> Hohen-Esp“ der deutschen Schriftstellerin Nataly <strong>von</strong><br />

Eschstruth]. Leider ist nicht viel anzufangen. Ich kann ihn nicht ansprechen, er<br />

tut es nicht, und vom Angrinsen hat man nichts. Tageseinteilung: Vormittag baden<br />

(um 1 / 2 1 kommt er), mittags sitzen wir am Nebentisch, Nachmittag schlafen und<br />

spazieren gehen, abends ziemlich weit entfernt im Garten essen, nachher am Molo<br />

[Steg] spazieren gehen. Ich glaube, er hält gar nichts auf Tanzen und so Modernes.<br />

Er ist blond, nicht sehr groß, hat gewellte Haare, braungraue Augen, eine kleine<br />

Nase u. ist sehr fesch und lieb und in allem furchtlos und stürmisch. Hoffentlich<br />

ist etwas zu erreichen. Er hat eine Schwester, und seine Mutter ist mit und ein<br />

ekelhaftes hässliches blon<strong>des</strong> Mädel. Ich habe vergessen zu schreiben, dass ich mir<br />

im April die Haare schneiden lassen habe und jetzt eine Rolle habe. Mir tut’s leid<br />

um die Zöpfe. Ich habe eine französische Korrespondentin. Sie heißt Annette [...].<br />

Ich habe Heinz am 4. Mai […] kennen gelernt. Momentan bin ich ganz Walter. [...]<br />

4. Oktober 1937<br />

Jetzt haben wir schon länger Schule. Bis jetzt war es sehr schön. Wir waren viel<br />

mit Heinz zusammen. Zuletzt (jetzt ist er schon eingerückt) hat er uns vom Turm<br />

abgeholt, um Abschied zu nehmen, und wir waren nicht dort. Die ersten Tage<br />

waren wir natürlich schrecklich traurig (Steffi und ich), aber wir haben uns schon<br />

getröstet. [...]<br />

Jetzt war ich 7 Jahre in der Kunstgewerbeschule. 7 Jahre jeden Vormittag bei<br />

Professor Cizek, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Ich bin immer gerne hingegangen<br />

und habe ihm meine Kenntnisse zu verdanken, denn auch ein Talent, wenn<br />

Jenny de Nijs Erinnerungen 155<br />

es nicht richtig behandelt ist, kann verloren gehen. Was ich weiter mache, weiß ich<br />

nicht. In der Schule haben wir nicht Zeichnen, für die Fichtegasse (Jugendkunstklasse<br />

Prof. Cizek) bin ich zu alt und für die Kunstgewerbeschule Stubenring zu<br />

jung. Mein größter Wunsch wäre natürlich, Schauspielerin zu werden, aber daraus<br />

wird nichts. Schriftstellerei ist nicht mein Talent, aber ich habe noch Zeit genug.<br />

Die Schmikl hat ihre Tanzschule aufgelassen, und nun habe ich keine Gelegenheit<br />

(d.h. ich muss erst eine suchen), meine gefühlvollen und komischen Tanzkünste<br />

auszuüben. Ich hoffe aber, für erstes und letzteres eine gute Lösung zu finden. Im<br />

Kino sah ich das letzte Mal den „Roman eines Schwindlers“ [französische Komödie],<br />

der mir sehr gut gefiel.<br />

Wirklich begeistert bin ich <strong>von</strong> Lotte Lehmanns [deutsche Sängerin und<br />

Schriftstellerin] Büchern: „Orplid, mein Land“ und „Anfang und Aufstieg“, diese<br />

sind so wirklich und natürlich, dass man das Leben im Roman im eigenen nachfühlt.<br />

Ich glaube, heute genug geschrieben zu haben. Meine Gedichte, die ich den<br />

Eltern gemacht habe, werde ich hineinschreiben.<br />

Ich schreibe viel zu groß, ich werde weiterhin so klein schreiben, dass ich das<br />

Tagebuch noch lange habe.<br />

Am Anfang <strong>des</strong> Tagebuches hätte ich <strong>von</strong> Erich mehr schreiben sollen, also dass<br />

ich es nicht vergesse: Ich habe ihn oft unter falschem Namen angerufen, bis er<br />

draufkam. Wir sehen uns sehr oft im Park und in der Schule. Damals liebte ich ihn<br />

heiß. Jetzt kokettiert er immer mit mir, ich liebe ihn aber längst nicht mehr. Dian<br />

war in Wien. Ich habe ihn nur flüchtig gesehen.<br />

5. November 1937<br />

Heinzi ist in Uniform sehr herzig, Edi gefällt mir auch sehr gut, aber ich habe mich in<br />

Guido Totzl verliebt. Er ist sehr schüchtern und hat wunderschöne blaue Augen. Früher<br />

hat er Brillen getragen, die habe ich ihm aber schon abgewöhnt. Er ist der Bruder <strong>von</strong><br />

Elfi Totzl. Ich mache am 13. vielleicht einen Abend, da kommen: Edi, Guido, Heinzi,<br />

Erich, Peperl, Maxl, Kurt Wiesner, Steffi, Ilse, Irmtraut, Dita, Erika, Edith Lebmann.<br />

Vorgestern war ich im Kino bei „Unentschuldigte Stunde“ [österreichische Komödie<br />

mit Hans Moser]! Und gestern in der Burg bei einem Christi-Nachfolgespiel [„Das<br />

Nachfolge Christi-Spiel“ <strong>des</strong> österreichischen Dichters Max Mell] mit [Raoul] Aslan<br />

[griechisch-österreichischer Schauspieler und Burgtheaterdirektor].

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!