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Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus

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34 Erinnerungen Lizzi Jalkio<br />

viele kluge Worte, Sprüche, die ihre Großmutter immer gesagt hat und die all die<br />

Weisheit und den Humor der jüdischen Rasse in sich tragen. Sogar die jüdische<br />

Großmutter hat also etwas Gutes.<br />

Wir bemühten uns mit fieberhafter Eile um unsere Ausreise. Durch Zufall kommen<br />

wir in die Dominikanische Republik. Deren Wiener Vertreter ist gleichzeitig<br />

ein Geschäftsfreund meines Mannes. Zufällig hat der Sohn der Vermieterin genau<br />

an dem Tag, an dem wir bei ihr eingezogen sind, das Schiff dorthin genommen. In<br />

einer alten Zeitung finde ich eine Beschreibung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>. Wir beantragen ein<br />

Einwanderungsvisum. Gleichzeitig registrieren wir uns für die Vereinigten Staaten.<br />

Mein Mann versucht, in allen möglichen europäischen Ländern Arbeit zu bekommen,<br />

alles misslingt. George bekommt einen Vertrag als Manager einer jugoslawischen<br />

Fabrik, das scheitert ebenfalls, weil die Regierung keine Arbeitserlaubnis<br />

erteilt. Einer schwedischen Firma, die mit meinem Mann verhandelt, brennt die<br />

Fabrik nieder, mein Mann bekommt aus fast allen europäischen Ländern Angebote,<br />

aber irgendwie geht alles schief. Nur Santo Domingo bleibt übrig. Wir verbringen<br />

unsere Tage auf der Straße. Wir stehen beim Passamt an, beim Rathaus, beim Finanzamt,<br />

etc., etc., etc. So viele Formulare sind auszufüllen, zu unterschreiben, es<br />

scheint, als ob uns jemand mit allen Mitteln <strong>von</strong> der Ausreise abhalten wollte. Wir<br />

haben bereits die Schiffskarten, müssen sie gegen einen späteren Termin tauschen;<br />

und ich habe das starke Gefühl, dass wir niemals rauskommen werden, falls wir<br />

nicht noch dieses Jahr fahren.<br />

Die Kinder sind wieder in der Schule, nur Lizzi, die 14 ist, bleibt zuhause. Die Kinder<br />

gehen trotz meines energischen Protests in eine arische Schule. Der Schuldirektor<br />

erklärt, dass die Kinder Christen seien und in eine arische Schule gehören würden, da ja<br />

beide Eltern Christen seien. Wie auch immer, nicht einmal mein Vater war dem Glauben<br />

nach jüdisch. Ich versuche, ihm die Rassenfrage zu erklären. Zu diesem Zeitpunkt<br />

verstanden in Österreich anscheinend nur die Juden die Antwort. Peter kommt jeden<br />

Tag mit neuen Problemen heim. Er muss einen Aufsatz darüber schreiben, wie ein Hitlerjunge<br />

seine Freizeit verbringt, oder warum Hitlers Machtübernahme die glücklichste<br />

Zeit seines Lebens war, oder zum Thema: „Wie mein Vater jetzt Arbeit bekommen hat“,<br />

etc., etc., der Kleinste fängt an, mit „Heil Hitler“ zu grüßen, mit unsicherer Hand lernt<br />

er, wie man ein Hakenkreuz zeichnet. Ich spreche abermals bei der Stadtschulbehörde<br />

vor, dieses Mal überzeuge ich den Mann erfolgreich da<strong>von</strong>, dass wir laut den neuen Gesetzen<br />

als Juden gelten, und die Kinder werden bei einer jüdischen Schule angemeldet.<br />

Die Reisepässe <strong>von</strong> Georg<br />

und Emmy Mahler vom<br />

september 1938<br />

Lizzi Jalkios Eltern George<br />

und Emmy in den Usa

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