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Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus

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166 Erinnerungen Jenny de Nijs<br />

mit Kleinigkeiten, die er lieb hatte, nicht mitnehmen konnte, aber auch nicht wegwerfen<br />

wollte. Alle sprachen, sehr die Tränen zurückhaltend, und aßen Würstel,<br />

sehr fein, die er mitbrachte, die bei mir zumin<strong>des</strong>t mit Salz vermischt schmeckten.<br />

Man sprach Dummheiten, <strong>von</strong> Pass, Visum, und versuchte, den Abschied hinauszuschieben.<br />

Es war ein Samstag, Arthur sagte, er fahre Montag, doch wir alle wussten,<br />

es wird Sonntag sein. Er sprach so ruhig wie immer, aber schau, ich komm ja<br />

noch morgen. Wir spürten alle, er kommt nicht mehr.<br />

Eben da telefonierte Papa, Mama soll ihn sofort treffen, es biete sich eine Gelegenheit,<br />

nach Australien zu fliegen – verrückte Möglichkeit –, ans Ende der Welt.<br />

Daraus wurde momentan nichts – doch Mama eilte im braunen Bisammantel da<strong>von</strong><br />

und ersparte [sich] dadurch den Abschied <strong>von</strong> unserem Sonnenschein. Es kam<br />

aber doch dazu, dass Arthur gehen musste, und Finny war zu weich, um einem<br />

Bruder, den man mehr als alles liebte und an den man vom Tage seiner Geburt an<br />

gewöhnt ist, so mir nichts, dir nichts adieu zu sagen. Man kam <strong>von</strong> mir ab – Arthur<br />

versuchte Finny zu beruhigen – er war zwar auch nicht besser dran –, aber was tun?<br />

Ich kränkte mich furchtbar, dass er mir nur einen Kuss gab und adieu sagte – kann<br />

man denn einen Onkel nicht furchtbar lieb haben – und sagte, Du Armes, dir habe<br />

ich gar nichts mitgebracht. Es gab nämlich so etwas nie. Immer wenn er zu uns<br />

kam, speziell bei Geburtstagen, zog er etwas aus der Tasche, und selbst wenn er bei<br />

einem Abend spielte, und ich war zuschauen, zog er saure Drops, die er gerade aß,<br />

aus der Hosentasche und gab sie mir. Dann fiel die Tür ins Schloss, wir schluchzten<br />

beide und sahen Arthur vom Erkerfenster das letzte Mal in den 63er [Straßenbahnlinie]<br />

einsteigen und uns zuzwinkern im Vorbeifahren. Finny kochte unter<br />

Tränen in der Küche weiter, und wir mussten uns beruhigen. Als Mama mittags<br />

nach Hause kam, immer sorglos und lachend, sehr beschäftigt, saßen beide auf der<br />

Bettbank, und alles schien in bester Ordnung – doch <strong>von</strong> jedem war ein Stückchen<br />

Herz mit Arthur gegangen.<br />

Dann kamen Briefe und das letzte Geld und sogar die letzten Straßenbahnmarken<br />

aus Hamburg an Finny, dann <strong>von</strong> jeder Station eine Karte, und nun ist man bescheiden<br />

geworden und wartet sehnsüchtig auf Briefe, die alle 3, 4 Wochen kommen,<br />

und wenn man sie liest, so fühlt man sich minutenlang so wie jeden Dienstag<br />

zuhause in der Schönbrunner Straße, wo immer die ganze Familie zusammen im<br />

Speisezimmer saß [und] Poldi bestreute Zuckerl brachte (wieso er immer wusste,<br />

dass ich so ein Gusto drauf hatte?). Omama pflegte immer zu sagen, „Wie lange<br />

Jenny, Leo und Caroline (Lintschi)<br />

Schulhof auf dem Weg ins exil<br />

die d.m.S. „Sibajak“, mit der Familie<br />

Schulhof <strong>von</strong> rotterdam nach Colombo<br />

fuhr

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