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Berliner Kurier 21.10.2018

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20 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 21. Oktober 2018<br />

Das Rätsel der<br />

ersten Sterne<br />

Wiedie Astrophysikerin Else Starkenburg(34)eslösen will<br />

Rote Zwerge mag sie, Rote Riesen<br />

auch, eigentlich alles an der Milchstraße,<br />

dieser scheibenförmigen<br />

Galaxie mit ihren bis zu 300 Milliarden<br />

Sternen. Eigentlich ist Else Starkenburg<br />

Astrophysikerin, aber im Grunde genommen<br />

ist sie Archäologin –Milchstraßen-<br />

Archäologin.<br />

Noch vor kurzem saß die 34-jährige Wissenschaftlerin<br />

im Beobachtungsraum des<br />

Very Large Telescope (VLT) auf dem 2600<br />

Meter hohen Paranal in der Atacama-Wüste<br />

in Chile, zehn Nächte lang.Vier Hauptteleskope<br />

mit einem Spiegeldurchmesser von je<br />

8,20 Metern und 430 Tonnen Gewicht zeigen<br />

ihr, wie das Universum vor Millionen<br />

Lichtjahren aussah.<br />

„Es ist aufregend, in die Vergangenheit zu<br />

blicken und nicht zu wissen,<br />

ob das, was ich sehe,<br />

überhaupt noch existiert.“<br />

Else Starkenburg lächelt<br />

versonnen.<br />

“<br />

Die Astrophysikerin gehört<br />

zu einem internationalen<br />

Team, das über das<br />

junge Universum direkt<br />

nach dem Urknall mehr<br />

erfahren möchte, über den<br />

Moment, an dem Raum<br />

und Zeit und die drei Elemente<br />

Wasserstoff, Helium<br />

und Lithium entstanden.<br />

100 Millionen Jahre später<br />

leuchteten die ersten<br />

Sterne und beendeten das dunkle Zeitalter.<br />

„Meine Forschungsinteressen gelten der<br />

Frage: Was war kurz nach dem Urknall, als<br />

sich die ersten Sterne formten und das Dunkel<br />

erhellten?“<br />

Vor 13,8 Milliarden Jahren bildete sich die<br />

Milchstraße. „Explodiert ein Stern am Ende<br />

seines Lebens als Supernova, schleudert er<br />

Sternenstaub in den Kosmos und eine zweite<br />

Sternengeneration entsteht“, erklärt Else<br />

Starkenburg. „Alles um uns herum besteht<br />

aus Sternenstaub: der Tisch, die Pflanzen,<br />

die Tiere und auch wir Menschen.“<br />

Wir sehen<br />

nur einen<br />

Teil der<br />

Milchstraße.<br />

Die Wissenschaft weiß heute, dass die<br />

Milchstraße nicht ewig existieren wird. In<br />

vier Milliarden Jahren wird sie mit dem<br />

Andromedanebel zusammenstoßen. Zurzeit<br />

rasen die beiden Galaxien mit 400000<br />

Stundenkilometern aufeinander zu.<br />

Als galaktische Ahnenforscherin versteht<br />

sich Else Starkenburg. Sie und andere Forscher<br />

versuchen, das Rätsel der ersten Sterne<br />

zu lösen. „Bisher haben wir noch keinen<br />

entdeckt“, sagt sie. „Vielleicht haben wir<br />

noch nicht genug gesucht oder es gibt sie<br />

nicht mehr. Jeder Stern hinterlässt bei einer<br />

Spektralanalyse einen chemischen Fingerabdruck,<br />

daran können wir erkennen, ob es<br />

sich um einen alten oder einen relativ neuen<br />

Stern handelt.“ Zur Vorbereitung der Spektralanalyse<br />

nutzt sie mit ihrem Team das Canada-France-Hawaii<br />

Telescope.<br />

Studiert hat die Wissenschaftlerin<br />

in Groningen<br />

(Niederlande).<br />

Ihren<br />

Doktor machte sie über<br />

die „Galaktische Archäologie<br />

in und um die Milchstraße“.<br />

Danach arbeitete<br />

sie drei Jahre in Kanada.<br />

Seit 2015 leitet sie am<br />

Leibniz-Institut in Potsdam<br />

die Forschergruppe<br />

“„Frühe Milchstraße“. Für<br />

ihre Forschungen über<br />

die chemische Entwicklung<br />

der Milchstraße hat<br />

sie in diesem Jahr den<br />

Ludwig-Biermann-Förderpreis erhalten.<br />

Als Kind wollte Else Starkenburg Schriftstellerin<br />

werden. Doch nach ihren ersten<br />

Versuchen, ein Buch zu verfassen, „merkte<br />

ich, dass Schreiben schwieriger ist als lesen“.<br />

In ihren letzten zwei Schuljahren habe sie<br />

einen Physiklehrer gehabt, „der mich begeistert<br />

hat“. Nach vier Semestern Studium<br />

habe sie mit ihrer Mutter einen Vortrag über<br />

Astrophysik besucht. Ihre Mutter habe sich<br />

gelangweilt, sie dagegen sei begeistert gewesen<br />

und habe fortan gewusst, was sie werden<br />

wolle.<br />

Die Weite des Universums fasziniert sie.<br />

„Wir sehen stets nur einen Teil der Milchstraße,<br />

aber sie nie als Ganzes“, sagt sie. Man<br />

sehe die Milchstraße vor lauter Sternen<br />

nicht. Mittendrin sei ein gigantisches Monster,<br />

das Schwarze Loch „Sagittarius A*“ –es<br />

ist drei Millionen Mal massiver als unsere<br />

Sonne.<br />

Um den Kosmos mit seinen strahlenden<br />

Sternen zu verstehen, muss man wissen,<br />

dass es nur aus etwa fünf Prozent Atomen<br />

besteht, wie wir sie kennen. Der Rest des<br />

Universums setzt sich aus 25 Prozent anziehender<br />

Dunkler Materie und rund 70 Prozent<br />

abstoßender Dunkler Energie zusammen.<br />

Neueste Forschungen zeigen, dass die<br />

Dunkle Energie dominiert und sich das Universum<br />

für ewige Zeiten ausdehnen wird.<br />

Dass es irgendwo in diesen unendlichen<br />

Sternenhaufen noch weiteres Leben gibt, ist<br />

eine der vielen Fragen, auf die Else Starkenburg<br />

(noch) keine Antwort weiß. „Bei den<br />

vielen Milliarden Sternen der Milchstraße<br />

und den Milliarden anderer Galaxien könnte<br />

es natürlich sein. Vielleicht aber in einer<br />

ganz anderen Form, als wir es kennen.“<br />

Und –kommt das alles von Gott oder durch<br />

Zufall?<br />

Die Wissenschaftlerin glaubt nicht an einen<br />

Schöpfergott. Eher daran, dass die Wissenschaft<br />

bisher noch nicht alles erklären<br />

konnte. Aber daran arbeite man eben noch.<br />

Sagt es und grinst.<br />

„Der Stern, an dem ich zuletzt gearbeitet<br />

habe, heißt Pristine 221.8781+9.7844“, sagt<br />

Else Starkenburg. „Er hat nur wenig schwere<br />

Elemente, und wir denken wirklich, dass<br />

es vielleicht einer ist, der zur ersten Generation<br />

gehört.“<br />

Blickt sie privat auch immer in die Vergangenheit,<br />

um unter anderem die Zukunft zu<br />

erforschen? Sie lacht, sagt Nein. Da lebe sie<br />

mehr im Heute und genieße die Natur.<br />

Abends stehe sie allerdings manchmal auf<br />

ihrem Balkon und blicke in den Himmel –<br />

ohne Fernrohr. „Es ist viel romantischer,<br />

den Sternenhimmel mit bloßen Augen anzuschauen<br />

und zu wissen, dass ich dort nie hinkommen<br />

werde.“ Rolf Kremming

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