ECHO Top1000 2018
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top 1000 | INTERVIEW<br />
der Bedarf an Lehrlingen decken ließe, stünde<br />
damit trotzdem ein großes Potenzial junger<br />
Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Politik<br />
steht dem aber immer wieder skeptisch gegenüber.<br />
Kann Niederösterreichs Wirtschaft<br />
auf dieses Arbeitskräftepotenzial verzichten?<br />
Zwazl: Darum geht es nicht. Wir sollten<br />
die Asylfrage streng von der Migrationsfrage<br />
trennen. Die demoskopische Entwicklung<br />
zeigt ganz klar, wie rapide die Überalterung<br />
in Österreich zunehmen wird. Deshalb<br />
brauchen wir eine kluge Migrationspolitik.<br />
Die Lehre darf aber nicht zum Einfallstor<br />
für Asylwerber werden, das wäre der komplett<br />
falsche Weg. Ich bin für humanitäre<br />
Lösungen für Asylwerber, die hier bereits<br />
eine Lehre machen und ordentlich arbeiten.<br />
In ihrem eigenen und im Interesse des sie<br />
beschäftigenden Betriebs. Dennoch müssen<br />
wir das System ändern. Es braucht mehr<br />
Rechtssicherheit für alle Beteiligten, die kann<br />
es nur durch kürzere Asylverfahren geben.<br />
Als Wirtschaftskammer Nieder österreich<br />
leisten wir einen Beitrag zur Versachlichung<br />
der Diskussion, indem wir gemeinsam mit<br />
dem AMS Niederösterreich die Potenziale<br />
von lehrstellensuchenden jungen Menschen<br />
austesten. Und zwar bei ÖsterreicherInnen<br />
ebenso wie bei Asylberechtigten.<br />
<strong>ECHO</strong>: Protektionisten gegen Freihandelsbefürworter<br />
lautet derzeit die Konfrontation<br />
auf internationaler Ebene. Wie geht<br />
dieses Match aus?<br />
Zwazl: So klare Fronten sehe ich da nicht.<br />
Die Republikaner in den USA waren seit jeher<br />
glühende Verfechter des Freihandels, nur<br />
Mister Trump hat da anderes im Sinn. Die<br />
Frage ist nur, was? Gleiches gilt für Brexit-<br />
Hardliner in England wie Boris Johnson. Ich<br />
hoffe jedenfalls inständig, dass nicht erst das<br />
Weltgeschehen – sozusagen die Probe aufs<br />
Exempel – die allgemeine Erkenntnis bringt,<br />
dass Protektionismus in den wirtschaftlichen<br />
Abgrund führt.<br />
<strong>ECHO</strong>: Zölle und Exportbeschränkungen,<br />
wie sie zurzeit zur Diskussion stehen, treffen<br />
Niederösterreichs exportorientierte Wirtschaft<br />
überproportional. Wie lässt sich mit<br />
dieser Situation umgehen?<br />
Zwazl: Es wäre unseriös, hier ein Patentrezept<br />
anzubieten. Die Unternehmensführungen<br />
haben es sicherlich nicht leicht, da<br />
die politischen Entwicklungen immer unvorhersehbarer<br />
werden. Das erfordert enorme<br />
Flexibilität und großes strategisches<br />
Geschick. Eine grundsätzliche strategische<br />
Ausrichtung kann und wird aber nie falsch<br />
sein. Nämlich auf Qualität zu setzen und<br />
mit Innovationen zu punkten. Da weiß ich<br />
unsere niederösterreichischen Unternehmen<br />
sehr gut aufgestellt. Und mit unserer<br />
Außenwirtschaftsorganisation haben sie<br />
überall auf der Welt einen starken Partner<br />
zur Seite.<br />
<strong>ECHO</strong>: Hoffnungsmärkte wie der Iran<br />
drohen aufgrund der US-Sanktionen komplett<br />
wegzubrechen. Wie beurteilen Sie die<br />
Chancen von Unternehmen, dort ihre Geschäftstätigkeit<br />
aufrechterhalten zu können?<br />
Zwazl: Hier hoffe ich, dass es mithilfe der<br />
EU gelingt, unsere Unternehmen vor der<br />
Bevormundung, um nicht zu sagen Erpressung,<br />
der USA in Schutz zu nehmen. Es gibt<br />
ja hier entsprechende Pläne der Union, um<br />
den in den Iran exportierenden Betrieben<br />
zu helfen. Gerade dieses Beispiel zeigt sehr<br />
deutlich, dass wir eine stärkere und keine<br />
schwächere Europäische Union brauchen.<br />
Ein europäischer Nationalstaat allein kann<br />
auf der weltpolitischen Bühne so gut wie<br />
gar nichts für seine Unternehmen ausrichten.<br />
<strong>ECHO</strong>: Auch innerhalb Europas zeichnen<br />
sich verschärfte Bedingungen ab, Stichwort<br />
Hard Brexit. Lässt sich dieser noch abwenden?<br />
Und wenn nicht: Was bedeutet das für<br />
Niederösterreichs Wirtschaft?<br />
„Kein Land, keine Region<br />
kann sich in unserer<br />
globalisierten Welt von<br />
der internationalen wirtschaftlichen<br />
Entwicklung<br />
abkoppeln. Diese Tatsache<br />
ist zur Kenntnis zu<br />
nehmen, ob es einem<br />
nun passt oder nicht.“<br />
Zwazl: Ich hoffe, dass am Ende doch die<br />
Vernunft siegt. Es steht so viel auf dem<br />
Spiel. Da kann man die Lösung nicht einfach<br />
einem Pokerspiel überlassen, sondern es<br />
muss alles getan werden, um einen vernünftigen<br />
Kompromiss zu erzielen. Die Folgen<br />
eines Hard Brexit möchte ich mir gar nicht<br />
ausmalen, weder wirtschaftlich noch politisch.<br />
Da kann es nur Verlierer geben. England<br />
findet sich zwar nicht unter den Top<br />
Ten der niederösterreichischen Handelspartner,<br />
liegt mit einem Warenexportvolumen<br />
von 477 Millionen Euro an elfter Stelle,<br />
aber selbstverständlich würden wir die negativen<br />
Auswirkungen in vielerlei Hinsicht zu<br />
spüren bekommen. 15 Prozent des gesamteuropäischen<br />
Bruttoinlandsprodukts gehen<br />
auf das Konto von England, ein Hard Brexit<br />
würde England und die verbleibende EU<br />
insgesamt enorm schwächen. Josef Temper<br />
Foto: Andreas Kraus<br />
22 <strong>ECHO</strong> TOP 1000 UNTERNEHMEN <strong>2018</strong>