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Leo Dezember 2018

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14 KULTUR<br />

FOTO: HANS ENGEL<br />

KLASSIK<br />

SO BUNT WIE DAS LEBEN<br />

Zum Jahreswechsel führen<br />

die Münchner Philharmoniker<br />

ein besonders symbolträchtiges<br />

Stück auf: Die 9. Symphonie von<br />

Beethoven enthält Schillers humanitäre<br />

Botschaft aus „Ode an die<br />

Freude“, nach der alle Menschen<br />

Brüder werden sollen.<br />

Sie wird gerne zu repräsentativen und<br />

öffentlichen Anlässen gespielt und ist<br />

nicht zuletzt auch die Europahymne.<br />

Nach einem Jahr erstarkender nationalistischer<br />

Bewegungen in Europa und der<br />

Welt setzen die Philharmoniker damit ein<br />

klares Zeichen für den internationalen<br />

Zusammenhalt. Gunter Pretzel hat Violine<br />

und Viola studiert, ist seit 1984 Mitglied<br />

der Münchner Philharmoniker und weiß,<br />

was es bedeutet, in einem weltoffenen<br />

Verbund von Musikern zu spielen. Zum<br />

Anlass des 125-jährigen Jubiläums der<br />

Philharmoniker stand er uns Rede und<br />

Antwort.<br />

Das Motto der Jubiläumssaison<br />

lautet „Brücken bauen“. Welche<br />

Brücke baust du mit?<br />

Wir Musiker haben dann unser Ziel erreicht,<br />

wenn sich Musik im Saal ausbreitet.<br />

Dabei ist mit Musik mehr gemeint<br />

als nur gespielte Töne. Ein besonderes<br />

Phänomen, wenn ein großer Saal zu<br />

Einem wird und, weil es nicht allzu oft<br />

geschieht, sehr bewegend. Aber das sind<br />

keine Brücken, sondern Aufhebungen<br />

von Trennendem. Darum ist mir das Wort<br />

„Brücken“ eigentlich zu klein für diese<br />

Erfahrungen. Wir können aber versuchen,<br />

die Bereitschaft zu solchen Erlebnissen<br />

durch das Wort zu öffnen. Dieses gelungene<br />

Wort, das wäre eine Brücke. Und da<br />

mir dies manchmal tatsächlich gelungen<br />

ist, worauf ich ein bisschen stolz bin, würde<br />

ich hier „meine“ Brücke sehen.<br />

Welche Werke stehen für dich für<br />

Weltoffenheit?<br />

Wenn ich Werke spiele, denen ihr geografisch-kultureller<br />

Ursprung besonders eingeschrieben<br />

ist und ich sie als Musiker auf<br />

die uns so besondere Weise erlebe, dann<br />

würde ich das als Weltoffenheit beschreiben,<br />

auch wenn ich bisher so nicht darüber<br />

nachgedacht habe. Dies würde ich<br />

beziehen zum Beispiel auf Tschaikowsky,<br />

zumal, wenn er von einem russischen Dirigenten<br />

wie unserem derzeitigen Chefdirigenten<br />

so leidenschaftlich geleitet wird.<br />

Für Dvorak, für Charles Ives, für Claude<br />

Debussy, für Tan Dun und so viele andere.<br />

Durch das Spielen von großen Werken<br />

werden wir zu Reisenden in Zeit (oft ins<br />

19. Jhdt.) und Kultur. Und erleben unsere<br />

Gegenwart als um so geweitetere.<br />

Was wünschst du dir für die Zukunft<br />

des Orchesters, für die nächsten<br />

125 Jahre?<br />

Ein furchtbar altmodisches Wort, aber ich<br />

komme nicht daran vorbei: Kostbarkeit. In<br />

einer Zeit, in der sich eine sich nach oben<br />

verengende Spirale immer schneller zu<br />

drehen scheint und in der wir uns mitgerissen<br />

fühlen durch individuelle Machtlosigkeit,<br />

fremde Ignoranz, eigene Trägheit<br />

oder Verführbarkeit, gibt es Momente,<br />

die sich daraus lösen und Gegenkräfte<br />

wecken: Freundschaft, Vertrauen, Kinder.<br />

Und Musik. Erlebte Musik. Eine große Verantwortung<br />

für uns Musiker: nichts zuzulassen,<br />

was nur irgendwie klingt, sondern<br />

„Musik“ stiftet. Und damit eine Vision<br />

wach hält für das, was dem Menschen<br />

zutiefst kostbar ist – wie immer man das<br />

benennen will. Dass dies allen bewusst<br />

bleibt, die das Orchester weiter tragen<br />

durch ihr Spiel oder durch ihre Leitung,<br />

jetzt oder in der Zukunft: Das wäre mein<br />

Wunsch.<br />

* Interwiev: Jonas Mayer

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