Berliner Zeitung 08.12.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 287 · 8 ./9. Dezember 2018 23 *<br />
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Lokalsport<br />
Rückblick auf die glamouröse Seite des Sports mit der Leichtathletik-EM und Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler an der Wand: An diesem Sonnabend werden erneut Berlins Champions des Jahres in Neukölln gekürt.<br />
SEBASTIAN WELLS<br />
„Olympia? Ich habe da eine Stadt im Kopf“<br />
Staatssekretär Dzembritzki und LSB-Präsident Härtel über Sport als Brücke, den gesamtdeutschen Ansatz für eine Bewerbung und Berlins Hallenproblematik<br />
Es ist ein Stück bis zu Aleksander<br />
Dzembritzki. Vom<br />
Foyer der Senatsinnenverwaltung<br />
in den vierten<br />
Stock, vorbei an Porträts früherer Senatoren,<br />
rechts, rechts, wieder<br />
rechts: Dzembritzki wartet im Büro<br />
mit Thomas Härtel, dem Präsidenten<br />
des Landessportbundes (LSB).<br />
Es wirdgleich um die Sportstadt Berlin<br />
gehen, um Mangel, an Turnhallen<br />
etwa. Um Chancen auch, um Olympia.<br />
Dzembritzki und Härtel nehmen<br />
vor einer Stadtansicht in Öl<br />
Platz. An einem Kleiderständer hängen<br />
ein Sakko und ein T-Shirt, das für<br />
die Leichtathletik-EM 2020 in Paris<br />
wirbt. Es sieht so aus,als wollten sich<br />
die zwei gleich auf den Wegmachen.<br />
Herr Dzembritzki, Siewaren Direktor<br />
der Rütli-Schule, die als Problemschule<br />
galt und jetzt Vorzeigeprojekt<br />
ist. Warum ist Schulsportwichtig?<br />
Dzembritzki: Wichtig ist, Erfolge<br />
zu vermitteln. Das kann Sport. Ich<br />
fand es auch wichtig, darüber eine<br />
Disziplinierung zu erreichen.<br />
Nennen Siemal ein Beispiel.<br />
Dzembritzki: Wir haben einem<br />
Torwart der Fußballmannschaft gesagt:<br />
„Du hast dich jetzt mehrfach<br />
derartdanebenbenommen, dass wir<br />
dich nicht zum Spiel mitschicken.“<br />
Die Mannschaft hat verloren, und<br />
siehe da: Die Mitspieler waren nicht<br />
sauer auf mich, sondernauf den Torwart.<br />
Dasspricht sich rum.<br />
Keine Disziplin, kein Sport?<br />
Dzembritzki: Nein, nicht generell.<br />
Sport ist ja eine wichtige Brücke zu<br />
denVereinen. Dieerste Sport-AG, die<br />
wir an der Rütli-Schule hatten, war<br />
eine Box-AG mit dem Polizei-Sportverein.<br />
Beim Boxen gibt es Regeln,<br />
man muss sich anstrengen, an seine<br />
Grenzen gehen. Diese Erfahrungen<br />
helfen im schulischen und später beruflichen<br />
Alltag.<br />
Sind Schulen und Klubs bei fehlenden<br />
Hallen nicht Konkurrenten?<br />
Härtel: Bis 16 Uhr nutzen die<br />
Schulen die Hallen. Es gibt aber auch<br />
schon vor 16Uhr Möglichkeiten für<br />
den organisierten Sport, wenn beide<br />
Seiten gut zusammenarbeiten. Wir<br />
müssen genauer hinschauen, wo Kapazitäten<br />
brachliegen, und die Verteilung<br />
von Hallenzeiten transparenter<br />
machen.<br />
Wasmeinen Siedamit?<br />
Härtel: Etwa die Schwimmhallen:<br />
Manche Schulen buchen ihreZeiten<br />
für den Schwimmunterricht. Wenn<br />
die Kinder Schwimmen gelernt haben,<br />
nutzen Schulen die eine oder<br />
andere Halle nicht mehr, belegen<br />
aber Zeiten.<br />
Berlin wächst rasant, Flächen werden<br />
bebaut, wo bleibt da der Sport?<br />
Härtel: Es werden rund 60 neue<br />
Schulen gebaut, und dabei entstehen<br />
rund 350 Hallenteile für den Sport.<br />
Das ist ein Fortschritt. Es fehlen aber<br />
stadtweit auch rund 100 ungedeckte<br />
Großspielfelder.Die Flächen sind begrenzt.<br />
Da müssen wir kreative Lösungen<br />
finden. Etwa zwei Sporthallen<br />
übereinander oder Sportflächen auf<br />
dem Dach ermöglichen.<br />
Dzembritzki: Es muss zum Nutzendes<br />
gesamten Kiezes sein. Schulen<br />
können zum Beispiel vormittags<br />
Senioren Zeiten für Sport einräumen.<br />
Die Senioren könnten sich<br />
dann in einer Art Buddy-Programm<br />
mit um die Schüler kümmern.<br />
Dazu braucht man Geld.<br />
Dzembritzki: Wir haben fünf Bezirke<br />
mit je 100 000 Euro für einen<br />
Sportentwicklungsplan ausgestattet,<br />
um zu sehen, wie sich Sport indem<br />
Bezirkentwickeln lässt. Im nächsten<br />
Jahr kommen weitereBezirke dazu.<br />
Härtel: Wir vermissen die Stadtentwicklungsverwaltung.<br />
Die spielt<br />
toter Käfer,wenn es darum geht, den<br />
Sportfrühzeitig einzubeziehen. Etwa<br />
bei Wohnungsbauvorhaben oder bei<br />
der Entwicklung von Grünanlagen<br />
im Sinne einer bewegten Stadt.<br />
Dzembritzki: Wir brauchen beides:<br />
den organisierten Sportund den<br />
nicht-organisierten Sport. Deshalb<br />
wollen wir gucken: Wie können wir<br />
die Frei- und Sportflächen sinnvoll<br />
nutzen? Stichwort: SportimPark, unser<br />
kostenloses Bewegungsprogramm<br />
für alle <strong>Berliner</strong>innen und<br />
<strong>Berliner</strong>. 83Prozent der <strong>Berliner</strong> bewegen<br />
sich. Dasist eine extrem hohe<br />
Zahl. Auch das ist ein Grund, warum<br />
wir die Sportmetropole Nummer eins<br />
sind.Weil wir selber so sportlich sind.<br />
Die Sportmetropole definiert sich<br />
aber eher über große Events, oder?<br />
Dzembritzki: Ohne Breite keine<br />
Spitze, heißt es. Wir brauchen Breitensport,<br />
bestens organisiert mit gut<br />
ausgebildeten Übungsleitern. Wir<br />
hatten diesen wunderbaren Leichtathletik-Sommer,<br />
2017 das wunderbareTurnfest.<br />
Es macht keinen Sinn,<br />
die Sportler hier eine Woche einfliegen<br />
zu lassen –und wenn sie wieder<br />
wegsind, spricht keiner mehr davon.<br />
Sport ohne Spuren zu hinterlassen,<br />
finde ich sinnlos. Wir brauchen deshalb<br />
die Einbindung der gesamten<br />
Stadt, ein Rahmenprogramm für alle.<br />
Am Ende müssen wir uns immer fragen:<br />
Welche Rendite bringt der Sport<br />
für die Stadt und die Menschen hier?<br />
Stadtrendite? Wasbedeutet das?<br />
Dzembritzki: Wir hatten dieses<br />
Jahr das Programm „Laufen.Springen.Werfen.“<br />
Damit sind wir durch<br />
alle Bezirke gewandert. Immer wieder<br />
ist ein Verein aus dem jeweiligen<br />
Bezirkdortpräsent gewesen. Da war<br />
auch der Parasportmit dabei.<br />
Härtel: An der Schoolatics-Woche<br />
haben 28 000 Schüler teilgenommen.<br />
In dieser Woche konnten sie alles<br />
Mögliche kostenlos ausprobieren.<br />
Wir haben 450 000 Euro reingesteckt.<br />
Wir haben Teilhabe-Pakete<br />
mit 700 000 Euro ausgestattet. Zum<br />
Beispiel für Sport mit Geflüchteten<br />
Aleksander Dzembritzki löste im Mai 2018<br />
SPD-KollegeChristian Gaebler,der Chef der<br />
Senatskanzlei wurde, als Sport-Staatssekretär<br />
ab.Dzembritzki, 50, zuvor Bezirkspolitiker<br />
in Reinickendorf, Lehrer-Ausbilder und von<br />
2006 bis 2009 Direktor der Rütli-Schule in<br />
Neukölln, hat zwei Kinder.Erfährtgerne Ski,<br />
liebt Nordic Walking und das Paddeln.<br />
oder Menschen mit Behinderung.<br />
Im Januar steht die Handball-WM in<br />
Berlin an. Wieprofitiertdie Stadt?<br />
Dzembritzki: Handball wird zum<br />
Motor für alle anderen Sportarten.<br />
Wiretablieren eine neue Kultur:Veranstaltungen<br />
haben einen Rahmen,<br />
der andereSportarten mitnimmt.<br />
Klingt gut, aber was bedeutet das?<br />
Härtel: Nächsten August haben<br />
wir hier gebündelt an einem Wochenende<br />
zehn deutsche Meisterschaften.<br />
Wir werden im Olympiapark<br />
anzwei Tagen unser Familiensportfest<br />
anbieten: Menschen gehen<br />
zu den Finals und erfahren dabei<br />
selbst die Vielfalt der Sportarten.<br />
ZUR PERSON<br />
DasfunktioniertinBerlin?<br />
Härtel: Zumletzten Familiensportfest<br />
kamen rund 80 000 Menschen.<br />
Bewegung generationsübergreifend!<br />
Aber die Mehrheit ist gegen Olympia.<br />
Dzembritzki: Jede sportliche<br />
Großveranstaltung dient dem Sport.<br />
Wenn sie gut gemacht wird. Wirsind<br />
ganz stolz, dass wir für 2023 die Special<br />
Olympics World Summer Games<br />
bekommen haben, es ist die größte<br />
Sportveranstaltung weltweit von<br />
Menschen mit geistiger und mehrfacher<br />
Behinderung. Es kommen 7000<br />
Sportlerinnen und Sportler, 12000<br />
Familienmitglieder, genauso viele<br />
Volunteers.<br />
Die perfekte Vorbereitung für eine<br />
neue Olympiabewerbung?<br />
Dzembritzki: Wenn man über<br />
Olympia nachdenkt, muss man<br />
Thomas Härtel wurde vorzweiWochen als<br />
Nachfolger vonKlaus Böger zum Präsidenten<br />
des <strong>Berliner</strong> Landessportbundes gewählt.<br />
Der SPD-Politiker aus Steglitz war von1999<br />
bis 2011 als Staatssekretär tätig,zuletzt in<br />
der Senatsverwaltung für Inneres und Sport.<br />
Härtel, 67, ist seit 2013 Vizepräsident des<br />
Deutschen Behindertensportverbandes.<br />
überlegen: Wo kann das stattfinden?<br />
Da habe ich eine Stadt im Kopf. Aber<br />
das muss eine gesamtdeutsche Veranstaltung<br />
sein. Deutschland muss<br />
Olympia wollen. Dann überlegt man<br />
gemeinsam: Wieund wo können wir<br />
es am besten gestalten? Die European<br />
Championships im Sommer<br />
haben ja gezeigt, dass so etwas auch<br />
in zwei Städten funktioniert. Ob das<br />
Berlin und Glasgow sind oder Berlin<br />
und Hamburg…<br />
Werbezahlt das am Ende?<br />
Dzembritzki: Der finanzielle Ballast<br />
darf nicht bei der Stadt liegenbleiben.<br />
Dasist ja immer ein Riesenproblem.<br />
Wenn wir Großveranstaltungen<br />
machen, war die Beteiligung<br />
des Bundes bisher nicht besonders<br />
hoch. Bei den Special Olympics ist<br />
das zum ersten Malanders,dateilen<br />
sich Land und Bund die Kosten mit je<br />
rund 35 Millionen Euro.Etwa 12 Millionen<br />
finanzieren die Special Olympics<br />
Organisatoren.<br />
Washat der Normalbürger davon?<br />
Dzembritzki: Sportgroßveranstaltungen<br />
wirken als Motor für die<br />
Stadtentwicklung. Für die European<br />
Championships im Olympiastadion<br />
haben wir eine zweistellige Millionensumme<br />
mitfinanziert. Wirhaben<br />
das Mommsenstadion nachhaltig<br />
qualifiziert. Wir haben in der Laufbahn<br />
eine Zeitmessanlage installiert,<br />
die wird heute täglich genutzt, auch<br />
vom Schulsport. Die Geräte, die wir<br />
angeschafft haben für die EM, haben<br />
wir bei der Para-EM eingesetzt, die<br />
werden auch heute weiter genutzt.<br />
Härtel: Eine Olympiabewerbung<br />
oder der Zuschlag setzt viel frei für<br />
den Sport. Schmelinghalle, Velodrom<br />
oder SSE-Schwimmhalle wären<br />
nicht denkbar, ohne dass Berlin<br />
sich beworben hätte. Essind neue<br />
Hallen dazukommen, auch private.<br />
Wir müssten hier nicht so viel mehr<br />
dafür tun. Allerdings müssen wir<br />
Vorbehalte abbauen. Da hoffen wir<br />
auf das IOC.<br />
Dasbedeutet?<br />
Härtel:Wirwollen umweltfreundliche<br />
Spiele. Aber wir wollen vor allem<br />
auch: fairen Wettbewerb und<br />
dopingfreie Wettkämpfe.<br />
Dasüberzeugt Olympiamuffel?<br />
Härtel: Wir reden immer über<br />
Teamgeist, Solidarität, Internationalität<br />
und Integration. Wo kommen<br />
Menschen unterschiedlicher Herkunft<br />
zusammen? Bei Olympia, bei<br />
den Paralympics. Das müssen wir<br />
überzeugend rüberbringen.<br />
Wieso wurden die 83 Prozent Sport<br />
treibenden <strong>Berliner</strong> nicht einbezogen?<br />
Dzembritzki: Die Bürgerinnen<br />
und Bürger machen nicht mehr mit,<br />
dass man 80 Millionen für eine Woche<br />
ausgibt, und danach ist davon<br />
nichts mehr zu erleben. Mit einem<br />
langen Vorlauf und Rahmenprogramm<br />
haben wir künftig die<br />
Chance, mehr als die 83 Prozent<br />
Sportbegeisterten mitzunehmen.<br />
Siewerben kräftig für Olympia, oder?<br />
Dzembritzki: Ich spreche über<br />
Sportentwicklung. Unsere Sportentwicklungsstudie<br />
hat erbracht: 180 Bewegungsformen<br />
haben wir in Berlin.<br />
Wir haben das Sportpotenzial, Leute,<br />
die als Vorbilder gesehen werden.<br />
Olympia würde der Stadt Arbeitsplätze<br />
bringen, den Tourismus fördern,<br />
Investitionen in die Sportstätten<br />
ermöglichen, neue Sportstätten könnten<br />
eröffnen. All das entwickelt sich.<br />
EinPuzzleteilchen nach dem anderen<br />
führtzuAkzeptanz für Olympia.<br />
Wiepasst das zur Hallenmisere?<br />
Härtel: Wirhaben viele Sportstätten,<br />
die geschlossen sind, weil sie sanierungsbedürftig<br />
sind. Mich hat<br />
heute ein Handballverein aus Steglitz<br />
angerufen. Wir haben in Steglitz<br />
etwa 60 Sportstätten, davon sind 16<br />
geschlossen wegen Sanierungsnotwendigkeit.<br />
Das heißt, es muss natürlich<br />
in diese Infrastruktur insgesamt<br />
mehr investiert werden, nicht<br />
nur in große Sporthallen, die wir<br />
dann für Olympia benötigen.<br />
Unddann sind alle für Olympia?<br />
Härtel: DerSportmuss erkennen,<br />
dass er profitiert. Insofern ist es gerade<br />
bei einer wachsenden Stadt<br />
wichtig, dass die Hallen dem Sport<br />
zur Verfügung stehen. Solange das<br />
nicht so ist, ist Olympia schwierig zu<br />
vermitteln. Es gilt also, über den<br />
Sport zuvermitteln, dass man etwas<br />
in Gang bringt für die Gesellschaft.<br />
Dzembritzki: Ich sage ja: Die<br />
Menschen mitnehmen. Da sind wir<br />
auf einer sehr guten Reise.Uns ist ein<br />
Projekt in diesem Sommer herausragend<br />
gut gelungen. Daswar die Idee,<br />
auf dem Breitscheidplatz bei der EM<br />
Kugelstoßen zu veranstalten. In einem<br />
Stadion mit 3000 Plätzen. Alle<br />
Sportler waren am Ende begeistert.<br />
Die Bürgerinnen und Bürger waren<br />
es auch. Diese Emotionen setzen<br />
sich auch fest in unserer Stadt.<br />
Hilft es beim Thema Olympia, dass<br />
neuerdings mehr <strong>Berliner</strong> im Präsidium<br />
des DOSB sitzen?<br />
Härtel: Die Berlinfreundlichkeit<br />
hat zugenommen. MitKaweh Niroomand<br />
und mit Gudrun Doll-Tepper<br />
haben wir da Leute mit Gewicht.<br />
Dzembritzki: Es war auch klug,<br />
dass Senator Geisel einen ganz klaren<br />
Schlussstrich unter die Diskussion um<br />
die inzwischen weltbekannte blaue<br />
Laufbahn im Olympiastadion gezogen<br />
hat. Unser Fünf-Sterne-Olympiastadion<br />
hat sich im Sommer herausragend<br />
präsentiert. Andere Bundesländer<br />
sagen: Oh,dahaben wir vielleicht<br />
doch einen Fehler gemacht, als wir unser<br />
Multifunktionsstadion zugunsten<br />
einer reinen Fußballarena aufgelöst<br />
haben. Für bestimmte Wettkämpfe<br />
kommt jetzt nämlich nur noch Berlin<br />
allein in Betracht.<br />
Das Gespräch führten Karin Bühler<br />
und Christian Schwager.