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SOCIETY 374 / 2018

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DIPLOMATIE<br />

KOMMENTAR<br />

Heimweh<br />

Auslandsaufenthalte können die innere Stabilität<br />

stark beeinflussen. Hier kann Psychotherapie helfen.<br />

Fotos: foto nelson, pixabay<br />

Schon vor 100 Jahren befasste sich der<br />

Psychiater Karl Jaspers mit dem Thema<br />

Heimweh und Jugendkriminalität. Natürlich<br />

führt nicht jede Übersiedlung zur<br />

Delinquenz. Trotzdem erzeugt Heimweh<br />

- wie die psychiatrische und psychoanalytische Literatur<br />

verdeutlicht - einen hohen Leidensdruck.<br />

Aber ab wann spricht man von krankhaftem<br />

Heimweh und wie kann man es erkennen und behandeln?<br />

„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was<br />

erzählen“, heißt es; oft bringt ein Ortswechsel<br />

aber mehr Qual als Freude. Wollte man zunächst<br />

Altes zurücklassen, neue Abenteuer erleben, die<br />

eigene Persönlichkeit ergründen, so kommt es<br />

oft ganz anders. Etwas bremst einen in seinem<br />

Vorhaben - das Unbewusste. Plötzlich ist man in<br />

der Fremde überfordert. Das hat zahlreiche Gründe.<br />

Oft hat der Reisewunsch seinen Ursprung in<br />

der Kindheit. Wer ist nicht mit dem Finger über<br />

den Globus gefahren und sich Abenteuer ausgemalt?<br />

Dieser Wunsch bleibt jedoch infantil, und<br />

der Reisende sieht sich plötzlich im Widerspruch<br />

zwischen Traum und Wirklichkeit.<br />

Wie drückt sich nun Heimweh aus? Bindungslosigkeit<br />

und die daraus resultierende Überforderung<br />

können zu Gefühlen der Angst und<br />

Schutzlosigkeit führen. Auch Sprachlosigkeit<br />

kann auftreten - wegen fehlender Sprachkenntnisse<br />

- oder weil es einem sprichwörtlich die Sprache<br />

verschlägt. So wird die Kontaktaufnahme zu<br />

anderen erschwert - Verschlossenheit und Isolation<br />

folgen, Gedankenkreisen raubt einem den<br />

Schlaf. Aufgrund von Schlaflosigkeit kann man<br />

das ursprüngliche Arbeitsvorhaben nicht mehr<br />

umsetzen. Man beginnt nun, die Heimat paradiesisch<br />

zu verklären - Trostlosigkeit nimmt zu, der<br />

Appetit lässt nach und die Stimmung verdunkelt<br />

sich. Auch kulturelle Unterschiede, Autonomieverlust<br />

und unbearbeitete innerpsychische Konflikte<br />

aus der Heimat, spielen eine Rolle.<br />

Die Psychiatrie würde heute von depressiver<br />

Symptomatik sprechen – Melancholie, die später<br />

zu einer Depression führen kann. Besonders<br />

schlimm trifft es Jugendliche, die noch kein stabiles<br />

Ich entwickeln konnten, und deren psychische<br />

und physische Entwicklungen eine Herausforderung<br />

darstellen. In so einer Lebensphase<br />

kann Heimweh das Fass zum Überlaufen bringen.<br />

Es kann zu schweren Essstörungen kommen - die<br />

Lücke möchte gefüllt werden. Oft betäuben sich<br />

Jugendliche mit Alkohol, Drogen, etc., um eine<br />

kurzzeitige Linderung herbeizuführen. Heute<br />

wird auch der virtuelle Rückzug immer interessanter,<br />

denn online kann man überall sein.<br />

Eine Psychotherapie - bevorzugt muttersprachlich<br />

- ist oft die effektivste und nachhaltigste Methode,<br />

um sein Heimweh zu verstehen und richtig<br />

damit umzugehen. Bei starkem Leidensdruck ist<br />

es indiziert, einen Facharzt für Psychiatrie für<br />

INFO<br />

eine evtl. medikamentöse Einstellung aufzusuchen.<br />

TEXT: Désirée Prosquill<br />

•<br />

DDr. Désirée Prosquill,<br />

Fachärztin für Psychiatrie<br />

u. Psychotherapeutische<br />

Medizin, Psychoanalytikerin<br />

(Kinder/Jugendliche/<br />

Erwachsene) in eigener<br />

Ordination, Ausbildungen in<br />

Wien an der Univ.-Klinik für<br />

Psychiatrie u. Psychotherapie,<br />

im Maßnahmenvollzug,<br />

sowie an der Univ.-Klinik für<br />

Kinder- u. Jugendpsychiatrie<br />

absolviert, Herausgeberin<br />

des Magazins THE<br />

VIENNA PSYCHOANALYST<br />

Kontakt<br />

Laudongasse 31/5/15<br />

1080 Wien<br />

Tel: +43-1-9446343<br />

office@theviennapsychoanalyst.at<br />

<strong>SOCIETY</strong> 2_<strong>2018</strong> | 47

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