Nr. 23 (IV-2018) - Osnabrücker Wissen
Nr. 23 (IV-2018) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de
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STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />
STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />
Wann gab es<br />
<strong>Osnabrücker</strong> „Verfassungsväter“? (1)<br />
Wie entstand ein Recht auf körperliche Unversehrtheit? Eines für Gleichheit vor dem Gesetz?<br />
Wer setzte Grundsätze für Oppositions-, Meinungs-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit<br />
durch? Oder das Recht auf freie Wahlen? Die aufgezählten Errungenschaften kamen niemals<br />
von selbst. Bis heute müssen sie, oft mit hohen Opferzahlen, immer wieder mühsam erkämpft<br />
werden.<br />
Ein offen dargebotener „Hitler-Gruß“,<br />
nationalistische und rassistische Töne,<br />
nicht zuletzt brutale Angriffe auf Journalisten,<br />
Demokraten und Menschen<br />
anderen Aussehens führen uns leider<br />
immer wieder vor Augen, dass demokratische<br />
Rechte von uns allen<br />
couragiert verteidigt und wenn möglich,<br />
stets neu ausgebaut werden müssen.<br />
Niedergelegt werden demokratische<br />
Grundrechte gemeinhin in feierlichbeschlossenen<br />
Verfassungen. In Deutschland<br />
wurden derartige Grundlagen<br />
eines friedvollen und toleranten Zusammenlebens<br />
in den letzten 170 Jahren dreimal<br />
beschlossen: 1849, 1919 und 1949.<br />
Bei allen Verfassungswerken waren auch<br />
<strong>Osnabrücker</strong> „Verfassungsväter“ aktiv<br />
beteiligt.<br />
Wann flatterten in<br />
Osnabrück erstmals<br />
schwarz-rot-goldene<br />
Fahnen?<br />
In der Revolution von 1848/49 setzte sich<br />
die aus den anti-napoleonischen Freiheitskriegen<br />
stammende Farbkombination<br />
– sie fußte auf den Uniformfarben des<br />
sogenannten Lützower Regiments - als<br />
Erkennungsmerkmal durch. Die Farben<br />
einten alle, die sich für ein vereinigtes<br />
Deutschland und für ein frei gewähltes<br />
Parlament einsetzten. Schwarz-Rot-<br />
Gold prangte auch in der Hasestadt auf<br />
Fahnen, Wimpeln oder Kokarden. Selbst<br />
entschiedene Konservative wie der<br />
örtliche Bürgermeister und zeitweilige<br />
hannoversche Innenminister Johann<br />
Carl Bertram Stüve (1798-1872) waren<br />
sich – überliefert ist eine große Manifestation<br />
auf dem schwarz-rot-gold beflaggten<br />
Marktplatz am 20. März 1848 - nicht<br />
zu schade, feierliche Reden unter den<br />
Farben eines demokratischen Deutschland<br />
zu halten. Die Turner des Arbeiterturnvereins<br />
schmückten sich später mit<br />
schwarz-rot-goldenen Kokarden.<br />
Wer waren die konsequentesten<br />
Verfechter<br />
einer ersten Republik?<br />
Während Konservative wie Stüve grundsätzlich<br />
am Staat Hannover, an dessen<br />
König und an Privilegien der herrschenden<br />
Klassen festhalten wollten, scharten<br />
sich entschiedene Republikaner um die<br />
Herausgeber des „<strong>Osnabrücker</strong> Tageblatts“<br />
wie Johann Detering (1808-1876)<br />
oder Carl Rosenthal (1803-1877). Konsequent<br />
an ihrer Seite stand der Präsident<br />
des Arbeiterbildungsvereins, Johann<br />
Heinrich Schucht (1826-1908).<br />
Ein vorläufiger Höhepunkt der demokratischen<br />
Debatten bildete der Wahlgang<br />
zum ersten, frei von allen erwachsenen<br />
Männern gewählten deutschen<br />
Parlament, das von Mai 1848 bis Mai<br />
1849 in der Frankfurter Paulskirche tagte,<br />
um dort gemeinsam eine Verfassung<br />
zu beschließen.<br />
Bilderl © commons.wikimedia.org / Hintegrund © oly5, fotolia.de<br />
Paulskirche zur Zeit der Nationalversammlung,<br />
Wer wirkte<br />
in Frankfurt mit?<br />
Carl Theodor Breusing (1789–1867) war<br />
ein <strong>Osnabrücker</strong> Kaufmann, der an der<br />
Großen Straße 43 eine Manufakturwaren-<br />
Handlung betrieb und das Bankhaus C.<br />
Breusing gründete. Auf überregionaler<br />
Ebene war er im Königreich Hannover<br />
Mitglied der 2. Kammer, einem ständischen<br />
Vorgänger des heutigen Landtags.<br />
Für den 20. Wahlkreis Hannover (Osnabrück)<br />
wurde er schließlich vom 19. Mai<br />
1849 bis 20. Mai 1849 gewähltes Mitglied<br />
der Frankfurter<br />
Nationalversammlung. Politisch<br />
zählte der Konservative zur sogenannten<br />
Landsberg-Fraktion, einer Abspaltung der<br />
nationalliberalen Casino-Fraktion und<br />
der linksliberalen Fraktion („Frankfurter<br />
Hof“). Breusing war entschiedener Befürworter<br />
einer konstitutionellen Monarchie.<br />
Im Jahre 1859 war er Mitverfasser des<br />
sogenannten „Eisenacher Programms“ der<br />
Demokraten und Konstitutionellen, welche<br />
bereits gut elf Jahre vor der Reichseinheit<br />
ein einheitliches deutsches Parlament<br />
forderten.<br />
Johann Werner Detering wiederum war<br />
Advokat und Mitglied des sogenannten<br />
Frankfurter Vorparlaments. Wie Breusing<br />
gilt er als Wegbereiter der dort beschlossenen<br />
Verfassung. 1849-1849 war er darüber<br />
hinaus - wie Breusing – Mitglied der<br />
hannoverschen 2. Kammer, Redakteur des<br />
linksdemokratischen „<strong>Osnabrücker</strong> Tageblatts“,<br />
gehörte in der Revolutionszeit zu<br />
den linken Demokraten und war später<br />
Mitglied der Fortschrittspartei. Von 1869<br />
bis 1876 wirkte der langjährige Widersacher<br />
Stüves schließlich als <strong>Osnabrücker</strong><br />
Bürgermeister.<br />
Was wurde aus dem<br />
Verfassungsentwurf?<br />
Die alten Mächte um Könige und Landesfürsten<br />
erstritten mit massiver militärischer<br />
und polizeilicher Gewalt ihren<br />
Machterhalt. Konservative und liberale<br />
Abgeordnete wie der <strong>Osnabrücker</strong> Breusing<br />
fügten sich gehorsam der Obrigkeit.<br />
Das nach Stuttgart übergesiedelte<br />
„Rumpfparlament“, das nur noch aus<br />
linken Abgeordneten bestand, wurde am<br />
18. Juni 1949 mit Waffengewalt aufgelöst.<br />
Alle demokratischen Strukturen wurden<br />
für Jahrzehnte zerschlagen.<br />
Wann gab es die erste<br />
offizielle Verfassung?<br />
Dies war erst im Zuge der Novemberrevolution<br />
des Jahres 1918 der Fall. Der Kaiser<br />
und alle adeligen Landesherren hatten<br />
abgedankt. Während noch in Teilen des<br />
Reiches Unruhen herrschten, wurde am<br />
19. Januar 1919 eine verfassungsgebende<br />
Versammlung gewählt, die im thüringischen<br />
Weimar tagte. Der Verfassungstext<br />
wurde am 31. Juli 1919 in Weimar beschlossen<br />
und am 14. August 1919 verkündet.<br />
Endlich fanden Ideen wie die Gleichheit<br />
aller vor dem Gesetz und die Abschaffung<br />
der Standesunterschiede,<br />
Sprachrohr der entschiedenen Republikaner:<br />
Das „<strong>Osnabrücker</strong> Tageblatt“<br />
die Rechtsgleichheit, die Unverletzlichkeit<br />
der Wohnung und das Recht<br />
auf freie Meinung ihre Rechtsgültigkeit.<br />
Erst die Nazis sollten ab dem<br />
30. Januar 1933 wieder all diese Rechte zerschlagen.<br />
Wer schrieb<br />
mit in Weimar?<br />
Gleich zwei <strong>Osnabrücker</strong> wirkten in der<br />
Schiller- und Goethestadt daran mit, eine<br />
republikanische Verfassung zu formulieren.<br />
Es waren der Sozialdemokrat Otto Vesper<br />
(1875-19<strong>23</strong>) sowie der Zentrumsvertreter<br />
August Josef Hagemann (1875-1950).<br />
Beide waren engagierte Arbeitersekretäre,<br />
denen insbesondere die Rechte der werktätigen<br />
Bevölkerung am Herzen lagen. |<br />
Heiko Schulze<br />
DER 2. TEIL IN AUSGABE 24<br />
In der nächsten Printausgabe von<br />
OSNABRÜCKER WISSEN wird auf die<br />
beiden genannten Verfassungsväter sowie<br />
auf den einzigen örtlichen Mitautor des<br />
Grundgesetzes von 1949, Hans Wunderlich<br />
(1899-1977), eingegangen.<br />
Reichsgesetzblatt mit der Reichsverfassung von 1849<br />
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