19.12.2018 Aufrufe

Nr. 23 (IV-2018) - Osnabrücker Wissen

Nr. 23 (IV-2018) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de

Nr. 23 (IV-2018) - Osnabrücker Wissen

Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

KUNST & KULTUR<br />

KUNST & KULTUR<br />

Kunst oder Propaganda?<br />

Der „Staatsschauspieler“<br />

Mathias Wieman<br />

Er war einer der großen Charakterdarsteller des 20. Jahrhunderts und begeisterte sein Publikum<br />

auf Theaterbühnen, Kinoleinwänden und Schallplatten. Aber er rührte auch Joseph Goebbels zu<br />

Tränen und trat in nationalsozialistischen Propagandafilmen auf.<br />

Mathias Wieman in der<br />

Storm-Verfilmung „Der Schimmelreiter“<br />

Mathias Wieman wurde am <strong>23</strong>. Juni 1902 in Osnabrück geboren,<br />

wuchs aber in Berlin auf. Nach dem Abitur begann er Philosophie<br />

und Kunstgeschichte zu studieren, dann wechselte er für<br />

einige Monate zur Schauspielschule des Deutschen Theaters, um<br />

schließlich bei einer schleswig-holsteinischen Wanderbühne anzuheuern.<br />

Wiemans Entscheidung für das Theater führte zu „heftigen Auseinandersetzungen<br />

daheim“, doch er hatte die richtige Wahl<br />

getroffen. Mitte der 1920er Jahre holte ihn Max Reinhardt ans<br />

Deutsche Theater. Wieman war fortan in zahlreichen Klassikern,<br />

vielen zeitgenössischen Stücken und später immer wieder in Goethes<br />

„Faust zu sehen“. Schnell wurde sein außergewöhnliches Talent<br />

auch für den noch jungen Film entdeckt.<br />

Hitlers angehende Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl holte ihn<br />

für ihr Debüt „Das Blaue Licht“ (1932) vor die Kamera, dann bekam<br />

er die Hauptrolle in der ideologisch verbogenen Storm-Verfilmung<br />

„Der Schimmelreiter“ (1933) und als er in „Viktoria“ um<br />

Luise Ullrich warb, schrieb Joseph Goebbels in sein Tagebuch:<br />

„Ergreifend. Wieman und Ulrich. Zu Tränen rührend. Das wird,<br />

hoffe ich, ein ganz großer Wurf.“ Auch der Streifen „Patrioten“, in<br />

dem der zukünftige Staatsschauspieler an der Seite von Goebbels´<br />

Geliebter Lída Baarová zu sehen war (1937), fand den Beifall des<br />

Propagandaministers.<br />

Doch die Gunst des Mächtigen war nicht von langer Dauer.<br />

Goebbels störte sich insbesondere an Wiemans Offiziersrollen,<br />

die er als wenig martialisch und „zuweilen unausstehlich“ empfand.<br />

Nach 1945 gab der Schauspieler zu Protokoll, seinerseits<br />

auf Distanz zu einem System gegangen zu sein, dessen verbrecherischen<br />

Charakter er immer deutlicher erkannt habe. Trotzdem<br />

bekam Mathias Wieman, dem anfällige Figuren tatsächlich<br />

Pferdebild © : "Filmwelt" - Aufnahme Fritsch-Produktion-Europa / Angst: Illustrierte Film-Bühne <strong>Nr</strong>. 2560 / Unternehmen Michael: www.imdb.com / Hintergrund © abbiesartshop, fotolia.de<br />

mehr lagen als pathetische Helden, noch<br />

eine fatale Rolle in einem NS-Propagandawerk.<br />

„Ich klage an“ (1941) warb unter<br />

dem Deckmantel eines Ehedramas für die<br />

nationalsozialistische „Vernichtung lebensunwerten<br />

Lebens“. Einer „der infamsten<br />

Propagandafilme des Dritten Reiches“,<br />

urteilte der Filmhistoriker Hans Schmid.<br />

In den letzten Kriegsjahren spielte Wieman<br />

wieder vermehrt Theater, präsentierte<br />

am Sonntag im Rundfunk „Das Schatzkästlein“<br />

deutscher Dichtung und begann<br />

mit der Aufnahme zahlreicher Schallplatten.<br />

Er las Werke von Goethe, Hölderlin<br />

oder Mörike, Märchen der Gebrüder<br />

Grimm und aus Tausendundeiner Nacht,<br />

aber auch Homers „Odyssee“ – Literatur,<br />

die er für einen humanen Gegenentwurf<br />

zur Nazi-Diktatur hielt, während ihm Kritiker<br />

vorwarfen, dem Dritten Reich noch<br />

einen kulturellen Anstrich zu geben.<br />

In den 1960er Jahren war seine Stimme<br />

so populär, dass er eine späte Karriere als<br />

Werbesprecher startete. „Wenn einem so<br />

viel Gutes widerfährt …“, raunte es durch<br />

Deutschlands Wohnzimmer und auch die<br />

Film- und Theaterengagements wurden<br />

ab 1950 wieder häufiger. Mathias Wie-<br />

DAS GESPRÄCH<br />

Der Wieman kommt herein und sagt: „Eggebrecht, können<br />

Sie mir helfen? Ich bin von den Engländern als Nazischauspieler<br />

verboten und darf nichts mehr machen.“ Ich<br />

habe ihm einen Vorschlag gemacht: „Wieman, wir setzen<br />

uns jetzt vor ein Mikrofon, und ich werde sie hart und böse<br />

fragen, wie kamen Sie dazu, Gedichtabende für die ´Hitler<br />

Jugend´ zu veranstalten, (...) Und so habe ich ihn befragt<br />

und er hat mit schöner Offenheit alles zugegeben. Und<br />

dann habe ich den Engländern das Band vorgespielt, als<br />

ein Musterfall sinnvoller Entnazifizierung. Er durfte wieder<br />

arbeiten und ist dann der große Sprecher und Schauspieler<br />

gewesen.“<br />

Das Gespräch mit dem Journalisten und Schriftseller Axel<br />

Eggebrecht wurde am 5. September 1945 gesendet und<br />

ist unter www.hamburg.de als mp3-Datei verfügbar.<br />

man, über dessen Rolle im Dritten Reich<br />

immer wieder diskutiert wurde, spielte in<br />

Berlin, Hamburg, Stuttgart, Zürich oder<br />

Wien und stand mit Stars wie O.W. Fischer,<br />

Brigitte Horney, Romy Schneider,<br />

Liselotte Pulver, Maximilian Schell, Horst<br />

Buchholz und Gert Fröbe vor der Kamera.<br />

Auch internationale Produktionen setzten<br />

auf den Charakterdarsteller – so etwa die<br />

deutsch-italienische Stefan-Zweig-Verfilmung<br />

„Angst“ (1954), in der Wieman unter<br />

der Regie von Roberto Rossellini neben<br />

Ingrid Bergman zu sehen war.<br />

Im November 1969 stand er als Pastor<br />

Manders in Henrik Ibsens „Gespenster“<br />

auf der Bühne des Hamburger Thalia<br />

Theaters. Es sollte seine letzte Rolle werden.<br />

Mathias Wieman starb am 3. Dezember<br />

1969 in Zürich an den Folgen einer<br />

schweren Operation. Er wurde auf dem<br />

Johannisfriedhof in Osnabrück beigesetzt.<br />

| Thorsten Stegemann<br />

Link-Tipp: Ausführliche Informationen<br />

zu Leben und Werk sowie zahlreiche<br />

Daten und Bilder gibt es auf der Seite:<br />

www.dieterleitner.de<br />

WISSEN KOMPAKT<br />

VORBEHALTSFILME<br />

Unter diesem Begriff versammelt<br />

die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftungrund<br />

40 Propagandafilme des<br />

Dritten Reiches, „die eine<br />

deutlich rassistische, antisemitische,<br />

volksverhetzende und/<br />

oder kriegsverherrlichende<br />

Botschaft beinhalten“ und<br />

nicht für den Verleih freigegeben<br />

werden. In diese Kategorie<br />

fallen – neben „Ich klage<br />

an“ – drei weitere Wieman-Filme:<br />

„Togger“, „Unternehmen<br />

Michael“ (beide 1937) und<br />

„Kadetten“ (1941).<br />

48<br />

Filmprogramm zu Roberto Rossellinis „Angst“<br />

mit Ingrid Bergman und Mathias Wieman<br />

49

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!