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JOURNAL<br />
Und es begab sich<br />
vor 200 Jahren ...<br />
„Stille Nacht,heilige Nacht“ gilt als das<br />
weltweit bekannteste Weihnachtslied. Die<br />
Uraufführung erfolgte am 24.Dezember<br />
1818 in einer Kirche in Oberndorfbei<br />
Salzburg. Eine Spurensuche<br />
F<br />
Früher waren die Nächte stiller, und<br />
die Tage waren es auch. Das wird einem<br />
gerade an einem Dezembernachmittag<br />
wie diesem bewusst, da<br />
sich inOberndorf die Hütten eines<br />
Weihnachtsmarktes um den kleinen<br />
Hügel naheder Salzach, auf dem die<br />
Stille-Nacht-Kapelle steht, winden,<br />
und mindestens zwei Reisegruppen<br />
über das Gelände gelotst werden,<br />
während ihre Busse am Besucherparkplatz<br />
herumrangieren. Einheimische<br />
sagen, das Flusstal gebe ein<br />
fantastisches Echo, aber selbst ein<br />
kräftiger Jodler hätte keine Chance,<br />
die vom Gewirr der Stimmen, von<br />
Gedudel und von Glühweinduft<br />
geschwängerte Winterluft zu durchdringen.<br />
Die oktogonförmige Kapelle fasst<br />
kaum zwanzig Menschen, die sich<br />
gleichwohl immer wiederzuspontanen<br />
„Stille Nacht“-Chören zusammentun.<br />
Und derAndrang ist in diesem<br />
Advent besonders groß: Hier<br />
trugen vor zweihundert Jahren, in<br />
der Christmette im Jahr 1818, der<br />
Oberndorfer Pfarrer Joseph Mohr<br />
und sein Mesner, der im Nachbarweiler<br />
Arnsdorf als Lehrer tätige<br />
Franz Xaver Gruber, das seinerzeit<br />
noch namenlose Lied zum ersten Mal<br />
vor. Mohr spielte Gitarre und sang<br />
die Tenor-Stimme, Gruber sang Bass.<br />
Damals standfreilich noch einerichtige<br />
Kirche an gleicher Stelle, die alte<br />
Kirche St. Nikola, die jedoch infolge<br />
der Flussbegradigungen im späten19.<br />
Jahrhundert offenbar einmal zu oft<br />
von Hochwasser heimgesucht worden<br />
war.„Angeblich war’s baufällig“,<br />
erzählt Josef Standl.<br />
Standl ist Vizepräsident der Stille-<br />
Nacht-Gesellschaft und Koordinator<br />
der Jubiläumsfeierlichkeiten, und er<br />
vermitteltden Eindruck,als könneer<br />
noch immernicht fassen, wie unsentimental<br />
seinerzeit mit dem historischen<br />
Erbe umgegangen wurde:1909<br />
wurde St. Nikola abgerissen, und<br />
mehr als zwanzig Jahre lang türmte<br />
sichein Schutthügel aufdem heiligen<br />
Grund –ehe sichdie Oberndorfer besannen<br />
und darauf die „Gruber-<br />
Mohr-Kapelle“ errichtenließen.Zur<br />
Einweihung im August 1937 kam<br />
Bundeskanzler Schuschnigg, und<br />
Grubers Enkel Felix sang –natürlich<br />
„Stille Nacht“.<br />
ImmerhinkonnteausdemInventar<br />
von St. Nikola einiges für die Nachwelt<br />
bewahrt werden. Darunter das<br />
Kruzifix, von dem ausder Heiland in<br />
jener Nachtvor zweihundert Jahren<br />
über das Geschehen wachte. Es ist<br />
der Stolz des an die frühere Kirche<br />
angrenzenden, ehemaligen „Schulund<br />
Lesehauses“, das seinerzeit auch<br />
Joseph Mohr ein komfortfreies<br />
Quartier bot und heute einvon Standl<br />
kuratiertes Museum beherbergt.<br />
„Ein Zimmer hat er gehabt, mehr hat<br />
er nicht gehabt“, sagt Standl. Mehr<br />
hat er auch später niegehabt, und viel<br />
mehr hat auch Gruber nie gehabt.<br />
Von den vielen Geschichten, die sich<br />
um „Stille Nacht“ ranken, ist die interessanteste<br />
sowieso die, dass der<br />
Rummel um dasLied,das mittlerweile<br />
2,5 Milliarden Menschen in 300<br />
Sprachen singen, inklusive einer vom<br />
Salzburg Museum mit dem Gehörlosen-Verband<br />
erarbeiteten Version in<br />
Gebärdensprache, in diametralem<br />
Gegensatz zum Leben der beiden<br />
Schöpfer steht. „Sie haben beide ein<br />
ärmliches Leben geführt, und sie<br />
haben das Lied für die armen Leute<br />
geschaffen“, sagt Standl.<br />
Dem 75-jährigen Chef-Erbverwalter<br />
der beiden,aber auchallenanderen,<br />
die mit dem Jubiläum beschäftigt<br />
sind, ist von daher eine gewisse<br />
Ambivalenz anzumerken: Natürlich<br />
sind sie in Salzburg und Umgebung<br />
stolz auf diesenBeitragfür die Ewigkeitund<br />
sichüberdies bewusst, dass<br />
er sich längst zu einem Wirtschaftsfaktor<br />
ausgewachsen hat –genauso<br />
jedoch, dass das Lied andererseits<br />
wohl gerade deshalb so universell<br />
verfängt,weil Geld,Pompund Pracht<br />
auf Erden darininjederHinsicht fern<br />
sind. „Es ist eigentlich ein Wahnsinn“,<br />
sagt Peter Husty, Chefkurator<br />
des Salzburg-Museums, wo in der<br />
Ausstellung „Stille Nacht 200 –Geschichte,<br />
Botschaft, Gegenwart“ nahezu<br />
allesrundumdas Liedzusehen<br />
–das Lied selbst aber nicht zu hören<br />
ist; es sei denn perKopfhörer übereine<br />
Schweizer Walzen-Spieldosevon<br />
1870, dem mutmaßlich ersten Tonträger<br />
mit „Stille Nacht“. Schon das,<br />
und umso mehr „wie sich das dann<br />
fortgesetzt hat“, sagt Husty, hätten<br />
weder Mohr noch Gruber auch nur<br />
ansatzweise nachvollziehenkönnen.<br />
Geschuldet ist das Lied ja dem harten<br />
Leben in der keineswegs als malerisch<br />
empfundenen Bergnatur in jenen<br />
Tagen und dem geduldigen Leiden<br />
daran sowie der Hoffnung zweier<br />
junger Männer –Mohr war 24,<br />
Gruber31–,die dumpfe Armseligkeit<br />
der Schiffer und Bauern wenigstens<br />
am Christtag mit einem Funken<br />
Tröstung und Zuversicht zu versehen.<br />
Beide durften jamit einigem<br />
Recht glauben,sichdankGottesHilfe<br />
„vom Grimmebefreit“ zu haben, wie<br />
sie in der fünften Strophe ihres<br />
„Weyhnachts-Liedes“ sangen.<br />
Gruberwar der Sohn eines Leinenwebers<br />
aus Hochburg-Ach in Oberösterreich<br />
und schuftete schon von<br />
klein auf in der väterlichen Werkstatt<br />
–sein Schullehrer entdeckte jedoch<br />
seinmusikalisches Talentund schaffte<br />
es,den Jungen seinem Schicksal zu<br />
entreißen und für eine Lehrerausbildung<br />
zuempfehlen. 1807 erhielt er<br />
seine erste Stelle inArnsdorf. Nicht<br />
dass erdamit viel besser dran war.<br />
Sein Gehalt war das Schulgeld, das<br />
die Bauern selten zahlen konnten.<br />
Um sich über Wasser zu halten, übernahm<br />
er deshalb den Organistendienst<br />
in der Kirche in Oberndorf.<br />
Dorttraf er Mohr, der 1817als Aushilfspfarrer<br />
nach St. Nikola geschickt<br />
wurde –eigentlich eine Filiale der<br />
Stiftskirche im links der Salzachgelegenen<br />
Laufen, das jedoch seit dem<br />
Endeder napoleonischen Kriege und<br />
der Grenzziehung mitten durch den<br />
Fluss im Jahr 1816 zu Bayern gehörte.<br />
„Manhatnichtmehrhinundherdür-