24.12.2018 Aufrufe

Berliner Kurier 23.12.2018

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

18 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 23. Dezember 2018<br />

Oberndorf nach Arnsdorf.Erhat<br />

einen Textdabei und bittetGruber,<br />

eine Melodie dafür zu finden.<br />

Schon am Abend steht das<br />

Lied, die Noten sehen zwei Stimmen<br />

und eine schlichte Gitarrenbegleitung<br />

vor. Und die beiden<br />

beschließen, es noch in der<br />

Christmette in St. Nikola darzubieten.<br />

Dass wir das wissen, jadass<br />

Oberndorf in diesem Jahr überhaupt<br />

Jubiläum feiern kannund<br />

sich das Salzburger Land noch<br />

weit vor Charles Dickens und<br />

noch vielweiter vor Bing Crosby<br />

rühmen darf, Weihnachten erfunden<br />

zu haben, wie wir es kennen:<br />

Das allesverdanken wir König<br />

Friedrich Wilhelm IV. von<br />

Preußen. Zumindest in gleichem<br />

Maßewie der kaputtenOrgel in<br />

St. Nikola, die weithin als der<br />

Grund dafür angesehen wird,<br />

dass Mohr und<br />

Gruber ein Weihnachtslied<br />

für die<br />

als Wirtshausinstrument<br />

verpönte<br />

Gitarre<br />

komponierten.<br />

Über den Orgelbauer<br />

Carl Mauracher<br />

aus Fügen<br />

jedenfalls, der das<br />

defekte Positiv<br />

wenig später repariert,<br />

kommt das<br />

noch immer namenlose<br />

Lied<br />

nach Tirol. Und<br />

von dort tragen es<br />

singende Bauernkinder<br />

auf die<br />

Wintermärkte in<br />

Leipzig, Dresden<br />

und Hamburg, wo<br />

sich ihre Eltern<br />

ein Zubrot als Tuch- und Handschuhmacher<br />

verdienen.1833 erscheint<br />

das „ächte Tyroler-Lied“<br />

in Dresden erstmals gedruckt,<br />

1836 taucht es in Grimma im ersten<br />

Schulliederbuch auf, 1838 in<br />

Leipzig im ersten Gebetbuch,<br />

1844 imLiederbuch des lutherischen<br />

Pastors Johann Hinrich<br />

Wichern, der vor den Toren<br />

Hamburgs das Rauhe Haus betreibt,<br />

einen Hort für verwaiste<br />

und verwahrloste Kinder.<br />

Mutmaßlich mit Wichern, der<br />

im Auftrag des preußischen Königs<br />

die Gefängnisse reformiert,<br />

kommt das Lied schließlich nach<br />

Berlin, und Friedrich Wilhelm<br />

IV. verfällt ihm so nachhaltig,<br />

dasserwissenwill, was es damit<br />

auf sich hat. Also lässt er über die<br />

Königliche Hofkapelle eine Anfrage<br />

an das Erzstift St. Peter in<br />

Salzburg schicken: Man vermutet<br />

Michael Haydn als Urheber,<br />

und man hofft auf ein Autograf<br />

im Erzstift. Über Grubers Sohn,<br />

derzu derZeitSängerknabe in St.<br />

Peter ist, gelangt die Anfrage zu<br />

Gruber selbst. Und der schickt,<br />

im Dezember 1854, nicht nur<br />

„dem Originale gleichlautende“<br />

Noten zurück nach Berlin, sondern<br />

schildert überdies, ineiner<br />

„Authentischen Veranlassung“,<br />

wann und wie „die einfache<br />

Composition“zustandekam.<br />

Brief und Noten sind in Berlin<br />

verloren gegangen. EinEntwurf<br />

des Schreibens blieb der Welt<br />

abererhalten. In aller Nüchternheitbeschreibt<br />

Gruber da,wie 36<br />

Jahre zuvor das Lied vom<br />

„Hülfspriester Herr Joseph<br />

Mohr“ und „dem den Organistendienst<br />

vertretenden Franz<br />

Gruber“ in der heiligen Nacht<br />

„mit allemBeifall produzirtwurde“.<br />

Beinaheentschuldigend fügt<br />

er hinzu, dass die beiliegenden<br />

Noten von den verbreitetenFassungen<br />

abweichen könnten. Ansprüche<br />

erhebt er keine. Der<br />

treue Gruber sah sein Werk als<br />

Dienst an der Christenheit. „Er<br />

hat die Sache aufklären wollen,<br />

das war sie dann,<br />

und er maß ihr<br />

keineweitereBedeutung<br />

zu“, sagt<br />

Tina Breckwold,<br />

Autorin des Buches<br />

„Stille<br />

Nacht: Ein Lied<br />

mit Geschichte“,<br />

das dieser Tage<br />

beim Servus-<br />

Verlag erschienen<br />

ist.<br />

Joseph Mohr<br />

war zu der Zeit<br />

schon tot. Die<br />

letzten Jahre seines<br />

Lebens hatte<br />

er die Pfarrgemeinde<br />

in Wagrain<br />

geleitet und<br />

wie aufall seinen<br />

Franz XaverGruber (1787–1863)<br />

wareiner zwei Komponisten.<br />

„Eine<br />

einfache<br />

Composition“<br />

Stationen den<br />

darbenden Dörflern<br />

geschenkt, was er selbst<br />

nicht hatte. Infolge jahrelanger<br />

Mangelernährung hatte er dem<br />

harten Winter1848 nichtsentgegenzusetzen<br />

und starb mit 55<br />

Jahren an einer Lungenentzündung.<br />

Nicht einmal Geld für die<br />

Beerdigung war da, weshalb die<br />

Wagrainer Handzettelverfielfältigten,mit<br />

einem Spendenaufruf<br />

–und einer Zeichnung von Mohr<br />

auf dem Sterbebett, im schlichten<br />

Chorrock, die noch immer<br />

jungenhaften Züge voll unzeremonieller<br />

Entspanntheit, um<br />

nicht zu sagen: in himmlischer<br />

Ruh. Es istdas einzigezeitgenössische<br />

Bild des „Stille Nacht“-<br />

Dichters. Wenigstens reichte es<br />

für ein Holzkreuz auf dem Grab.<br />

Ein Steinwar zu teuer.<br />

ObMohrjebewusstwar,waser<br />

geschaffen hatte, ist eher ungewiss.<br />

Immerhin nahm er die verschollene<br />

Urschrift von „Stille<br />

Nacht“ wohl mitnach Kuchl, wohin<br />

erschon 1819 strafversetzt<br />

wurde: Sein vorgesetzterPfarrer<br />

hatte fehlenden Subordinationsgeist<br />

und mangelndes geistliches<br />

Benehmen beklagt –„er spielet<br />

und trinket in nächtlicherWeile,<br />

Die Zeichnung<br />

zeigt eine Familie<br />

beim Weihnachtsfest<br />

um 1880.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!