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22 BERLINER KURIER, Sonntag, 23. Dezember 2018<br />
Wir glauben<br />
an das Wunder<br />
Weihnachten<br />
Mag die moderne Welt an so manchem Glauben gerüttelt haben –<br />
die Mär vom Weihnachtsmann ist so verbreitet wie eh und je. Und das ist auch gut so<br />
Eifrig werden<br />
Wunschzettel geschrieben,<br />
ungeduldig<br />
die Tage bis<br />
zur Bescherung gezählt. Auf<br />
den Weihnachtsmann oder<br />
das Christkind freuen sich<br />
Kinder riesig. Gut drei Viertel<br />
der Erwachsenen in<br />
Deutschland (76 Prozent)<br />
haben einer Umfrage der<br />
Meinungsforscher von YouGov<br />
zufolge als Kind an<br />
den Weihnachtsmann oder<br />
das Christkindgeglaubt.<br />
Für fast einDrittelvon ihnen<br />
(29 Prozent) verlor<br />
Weihnachten ein Stück von<br />
seinem Zauber, nachdem ihnen<br />
klar wurde, dass es das<br />
Geschenke bringende Wesen<br />
dochnichtgibt. „Wir glaubenja<br />
alle noch gern an Wunder“, sagt<br />
der <strong>Berliner</strong> Psychologe Wolfgang<br />
Krüger. Das zeige sich zum<br />
Beispiel bei den Religionen, an<br />
dem Glauben an eine Institution<br />
im Himmel.„Es gibt das Bedürfnis<br />
nach einemwohlmeinenden<br />
Beschützer, der auf uns aufpasst.“<br />
„Ich würde eigentlich, wenn<br />
ich ehrlich bin, heutenochgern<br />
an den Weihnachtsmann denken“,<br />
sagt Moderator Thore<br />
Schölermann. „Das war die<br />
schönste Zeit überhaupt.“ Er sei<br />
immer begeistert gewesen,<br />
wennder Weihnachtsmanngekommen<br />
sei. „Diese Begeisterung<br />
bei einem Kind, die hätte<br />
ich manchmalgerne heutenoch<br />
für Dinge“, sagte er. Einfach so<br />
naive Freude und Glücklichsein<br />
zu empfinden, das vermisse er<br />
mitunter.<br />
Auch Schauspielerin Uschi<br />
Glas mochte sich nicht von der<br />
Ideelösen. „Ichweiß,als ichinnerlich<br />
schon überzeugt war,<br />
dassesdas nicht gibt, wollte ich<br />
das nicht wissen“, sagt sie. „Ich<br />
fand's dann plötzlich solangweilig,soblöde.“<br />
An den besonderen<br />
Zauber der Weihnachtszeit<br />
erinnert sich auch die Komikerin<br />
Carolin Kebekus gern.<br />
Uschi Glas: „Als ich innerlich schon<br />
überzeugt war, dassesdas nicht gibt,<br />
wollte ich das nicht wissen.“<br />
ThoreSchölermann: „Die Begeisterung<br />
bei einem Kind, die hätte ich manchmal<br />
gerne heute noch.“<br />
„Beiuns wurde das noch immer<br />
richtig zelebriert, da lag dann<br />
Glitzer auf der Fensterbankund<br />
das Fenster war auch noch auf“,<br />
sagte sie. „Mein Bruder und ich<br />
waren uns auch sehr lange sicher,<br />
dassesnur das Christkind<br />
sein kann, das die Geschenke<br />
bringt.“<br />
Krüger ermutigt Eltern, ihre<br />
kleinen Sprösslinge weiter an<br />
Weihnachtsmann oder Christkindglauben<br />
zu lassen. „Kinder<br />
in dem Alter leben ohnehin in<br />
einer mystischen Welt, inder<br />
Tiere reden können und in der<br />
Wunder passieren.“ Es sei auch<br />
nicht nötig, sich mit ihnen zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt hinzusetzen<br />
und ihnen die Wahrheitzusagen.<br />
„Kinder wachsen<br />
irgendwann selbst ausbestimmten<br />
Annahmen heraus, je nach<br />
innerer Reife früher oder später“,<br />
erklärter. „Sie habendann<br />
auchnichtdas Gefühl,betrogen<br />
wordenzusein,sondernlächeln<br />
darüber.“<br />
In der YouGov-Umfrage gaben<br />
nur 10 Prozent derjenigen<br />
Erwachsenen, die als Kind an<br />
Weihnachtsmann oder Christkind<br />
glaubten, an, sich belogen<br />
gefühlt zu haben oderverärgert<br />
gewesen zu sein, als sie schließlich<br />
die Wahrheit erfahren hatten.<br />
Bei einem Fünftel (19 Prozent)<br />
waren es die Eltern, die<br />
schließlich damit rausgerückt<br />
waren. Ebenso viele erfuhren<br />
von Kita- oder Schulfreunden,<br />
dassesgarkeinenüberirdischen<br />
Geschenkebringer gibt. Seltener<br />
waren Geschwister (10 Prozent)<br />
oder Medien wie Fernsehen<br />
und Zeitung (7 Prozent) die<br />
Wahrheitsboten.<br />
Und etliche Menschen wissen<br />
gar nicht mehr, wie ihnen die<br />
schnöden Tatsachen letztlich<br />
klarwurden. „Vielleicht war es<br />
irgendwann so, dassdie Mutter<br />
gesagt, okay, ich bringe die Geschenke,<br />
aber im Auftrag des<br />
Christkindes“, sagt etwa Kebekus.<br />
An einen konkreten Moment<br />
erinnere sie sich nicht.<br />
Auch Schriftsteller Sebastian<br />
Fitzek erinnertsich nicht an eine<br />
bestimmte Episode. Essei<br />
ihm relativ früh klar gewesen,<br />
dassessich nur um eine Legende<br />
handle,sagt er. „Ichhabe sie<br />
abertrotzdem gemocht und geliebt.“<br />
Seinen eigenen Kindern<br />
lasseergerndenGlauben–auch<br />
wenn ermit Blick auf die Geschenke<br />
eines ungerecht finde:<br />
„Der Weihnachtsmann heimst<br />
das Lob ein und existiert überhaupt<br />
gar nicht.“<br />
Kinder sollten an den Weihnachtsmann<br />
oder das Christkind<br />
glauben dürfen, sind auch<br />
Carolin Kebekus: „Mein Bruder und ich<br />
warenuns lange sicher,dassesnur das<br />
Christkind sein kann.“<br />
80 Prozent der Befragten überzeugt,<br />
die einst selbst daran<br />
glaubten. 11 Prozent sind allerdings<br />
der Ansicht, man solle<br />
Kindern besser von Anfang an<br />
die Wahrheit sagen.<br />
Für Krüger ist vor allem wichtig,<br />
wie dasFabelwesenvon Eltern<br />
genutzt wird. Vor 20, 30<br />
Jahren seien mit Weihnachtsmannund<br />
Christkind noch massive<br />
Erziehungsmaßnahmen<br />
verbunden gewesen. „Da hieß<br />
es immer zuerst: Wart ihr auch<br />
alle artig? Und dieRute warimmer<br />
mit dabei“, sagt der Psychologe.<br />
Noch immer drohenmanche<br />
Eltern ganz gern damit, dass<br />
der Weihnachtsmann weniger<br />
Geschenke bringt, wenn nicht<br />
sofort das Zimmer aufgeräumt<br />
oderdas Benehmen besser wird.<br />
„Unsäglich“ findet Krüger das.<br />
„DenWeihnachtsmann zu einer<br />
drohendenInstanz aufzubauen,<br />
istein Zeichenvon Ohnmacht in<br />
derErziehung.“<br />
Problematisch sei auch, Kinder<br />
intensiv dazu zu nötigen,<br />
dem Weihnachtsmann etwas<br />
vorzusingen oder ein Gedicht<br />
vorzutragen. „Da klingt die<br />
Leistungsgesellschaft durch:<br />
Man muss sich sein Geschenk<br />
erst mal verdienen.“ Weihnachten<br />
werde damit etwas Angstbesetztes,<br />
von Lampenfieber und<br />
Versagensangst geprägt.<br />
„Es heißt fröhliche<br />
Weihnachten, und<br />
genauso sollte Weihnachtenauchsein:fröhlich.“<br />
Das dass gelinge, liege<br />
allerdings nicht allein<br />
am Umgang mit Weihnachtsmann<br />
und<br />
Christkind. „In rund 60<br />
Prozent der Familien<br />
gibt es Weihnachten<br />
Spannungen, in etwa 30<br />
Prozent große Streitigkeiten“,<br />
sagt Krüger.<br />
Ein Drittel der Trennungen<br />
passierten in<br />
dieser Zeit. „An Weihnachtengehtvielschief.“<br />
Das sei vor allem so, weil es eine<br />
genaue Vorstellung davon gebe,<br />
wie ein gelungenes Weihnachten<br />
abzulaufen habe.„Ganz harmonisch<br />
und ganz besonders<br />
muss es sein. Eine perfekte Inszenierung<br />
– nur eben mit<br />
Laiendarstellern. Das kann<br />
nicht funktionieren.“<br />
Er rät dazu, den Anspruch an<br />
Perfektion gehörig herunterzuschraubenund<br />
schonzwei Wochen<br />
imVoraus mit dem Partnerzubereden,was<br />
für ihnein<br />
glückliches Fest bedeute.<br />
„SchreibenSieWeihnachtenfür<br />
sich neu, schaffenSie Ihre eigenen<br />
Rituale“, empfiehlt er.<br />
„Nichtder Braten, nicht dieGeschenke,nicht<br />
der Weihnachtsbaum<br />
sind wichtig, sonderndas<br />
Gefühl, dass da<br />
jemand ist, der es gut<br />
mit einem meint und<br />
füreinen da ist.“<br />
Weniger Perfektion,<br />
mehr Komik<br />
und ein entspanntes<br />
Miteinander,<br />
„dann werden es<br />
wirklichfröhliche<br />
Weihnachten“.<br />
Annette<br />
Stein