10.01.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 09.01.2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

*<br />

REPORT<br />

Kinderkrankenhaus Weißensee<br />

Berlin hat mit dem Grundstück in der Hansastraße große Pläne.<br />

Doch 20 JahreNichtstun haben die Gebäude komplett ruiniert<br />

Ist diese<br />

Klinik noch<br />

zuheilen?<br />

Von<br />

STEFAN HENSEKE<br />

Für die Anwohner ist es<br />

seit Langem ein Ärgernis,<br />

für viele Schaulustige,<br />

Graffitisprayer und Ruinenfotografen<br />

ein schaurig-schöner<br />

Abenteuerspielplatz: Das denkmalgeschützte<br />

Kinderkrankenhaus<br />

Weißensee in der Hansastraße<br />

beschäftigt seit Jahren<br />

den Bezirk und Behörden.<br />

Ein einstmals imposantes<br />

Bauwerk, dessen stetiger Verfall<br />

vor Augen führt, was in der<br />

Stadtplanung der Hauptstadt<br />

seit der Wende so alles schief<br />

gelaufen ist. 1997 geschlossen,<br />

weil der Senat eine rückläufige<br />

Einwohnerzahl prognostizierte.<br />

2006 verscherbelt, an einen<br />

russischen Investor, der nie investierte,<br />

im letzten Jahr an<br />

Berlin rückübertragen. Schaut<br />

man über den Zaun in der<br />

Hansastraße 178/180, sieht<br />

man, was über 20 Jahre Nichtstun<br />

und mehrere Großbrände<br />

aus dem 1911 eröffneten Gebäudeensemble<br />

gemacht haben. Eine<br />

Ruinenlandschaft, die immer<br />

mehr zuwuchert. Angeblich<br />

ist aber nicht alles verloren.<br />

Auf eine kleine Anfrage des<br />

SPD-Abgeordneten Dennis<br />

Buchner antwortete die Senatsverwaltung<br />

für Finanzen gerade<br />

im verschwurbelten Amtsdeutsch,<br />

dass das städtebaulich<br />

prägnante Haupthaus, der Hörsaal<br />

und das Bettenhaus „nicht<br />

vollständig abgängig“ seien, sodass<br />

verschiedene Bauteile<br />

wohl erhalten werden könnten<br />

(KURIER berichtete).<br />

Ist die alte Klinik wirklich<br />

noch zu heilen? Davon machen<br />

sich Dutzende Schaulustige aus<br />

den ganzen Welt inzwischen jeden<br />

Tag selbst ein Bild, angelockt<br />

von unzähligen „Lost Places“-Seiten<br />

im Internet. Denn<br />

gesichert ist auf dem 28000<br />

Quadratmeter großen Gelände<br />

gar nichts, Durchbrüche im<br />

Zaun laden geradezu zum Betreten<br />

ein –auch nach Rückübertragung<br />

des Areals an die<br />

landeseigene <strong>Berliner</strong> Immobilienmanagement<br />

GmbH (BIM)<br />

im Oktober 2018 hat sich daran<br />

bisher nichts geändert. Durch<br />

das Dickicht des Grundstücks<br />

sind Trampelpfade getreten,<br />

Türen stehen offen, alle Fenster<br />

sind zerborsten.<br />

Streetart-Künstler haben die<br />

brüchigen Mauern als Leinwand<br />

für sich entdeckt. Tobo,<br />

einer der bekanntesten Sprayer<br />

Berlins, war schon hier, auch<br />

liz_art_berlin hat sich mit ihren<br />

Katzenfrauen verewigt. Als wir<br />

fotografieren, arbeitet gerade<br />

der <strong>Berliner</strong> Sprayer Steffen an<br />

einem Affen. „Ein bisschen gruselig<br />

ist es hier schon“, sagt er.<br />

„Aber ich werde mit Sicherheit<br />

wiederkommen. Die Gebäude<br />

bieten so viele Möglichkeiten.“<br />

Und so ist aus dem Gelände<br />

inzwischen ein Touristenmagnet<br />

geworden. Ein nicht ungefährlicher.<br />

Betritt man das<br />

Haupthaus, ahnt man, was die<br />

Senatsverwaltung für Finanzen<br />

wohl mit dem Wort „abgängig“<br />

meint. Fußböden im ersten und<br />

zweiten Stock sind teilweise<br />

komplett eingestürzt, überall<br />

liegen Trümmer, das Dach<br />

steht offen, nach dem Regen<br />

der letzten Tage sind selbst die<br />

Wände im Erdgeschoss tropfnass.<br />

Über inzwischen freischwebende<br />

Treppen klettern<br />

Wagemutige bis unters Dach,<br />

das nach drei schweren Bränden<br />

im Jahr 2013 nur noch eine<br />

verkokelte Trümmerlandschaft<br />

ist. Vor zweieinhalb Jahren<br />

erst stürzte ein amerikanischer<br />

Hobbyfotograf durch eine<br />

Decke in die Tiefe und landete<br />

mit mehreren<br />

Knochenbrüchen in einer Klinik,<br />

in einer echten.<br />

Das gleiche Bild auch in den<br />

übrigen Gebäuden auf dem Gelände,<br />

im alten Hörsaal und im<br />

Bettenhaus. Löcher in den Decken,<br />

durch Dächer und Fenster<br />

dringt überall Wasser ein, es<br />

modert. Wer sich genauer umschaut,<br />

kann die Hoffnung auf<br />

Erhaltung, von der die Senatsverwaltung<br />

für Finanzen<br />

schreibt, nicht verstehen. Auch<br />

der SPD-Politiker Dennis<br />

Buchner sagt: „Viele aus meinem<br />

SPD-Ortsverein, die in der<br />

Nachbarschaft wohnen, teilen<br />

die Einschätzung, dass da nicht<br />

mehr viel zu retten ist.“ Der Abgeordnete<br />

sagt aber auch: „Es<br />

muss und wird hier schnell etwas<br />

passieren. Denn es gibt eine<br />

Konkurrenz der Interessen“.<br />

Einerseits sei die Adresse ein<br />

möglicher Schul- und Kitastandort,<br />

andererseits benötige<br />

der Bezirk Grundstücke für den<br />

Wohnungsbau.<br />

Fotos: Henseke<br />

Info<br />

Klinik mit eigener Molkerei<br />

Eingeweiht wurde das nach Entwürfen<br />

von Gemeindebaurat Carl<br />

James Bühring gebaute Säuglings-<br />

und Kinderkrankenhaus<br />

im Jahre 1911. Anfangs gabes<br />

40 Betten, später 100. Für die<br />

Versorgung der Kinder mit Milch<br />

waren auf dem Gelände sogar<br />

eine Molkerei und ein Kuhstall<br />

mit 36 Tieren angesiedelt.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!