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Berliner Kurier 17.01.2019

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SEITE21<br />

BERLINER KURIER, Donnerstag, 17.Januar 2019<br />

KIEZENGEL<br />

GenerationLebenslust Wie Senioren mit tollen Initiativen Schwung<br />

in ihren Alltag bringen. Der KURIER stellt in einer großen Serie <strong>Berliner</strong><br />

vor, die mit viel Fantasie unsereStadt ein bisschen wärmer machen.<br />

Fotos: Wächter<br />

Zuhause hat er keinen Internetanschluss.<br />

„Zuerst weil<br />

es kostet. Aber vor allem, damit<br />

ich nicht süchtig werde. Hier ist<br />

die Zeit beschränkt, um 14 Uhr ist<br />

Feierabend.“ Er sucht nach Veranstaltungen,<br />

studiert Fahrpläne und<br />

liest in Ruhe Konzert-Rezensionen.<br />

Gerade hat er sich in die<br />

Website einer Sängerin<br />

der Salzburger Festspiele<br />

verliebt. Beigebracht<br />

hat er<br />

sich das selbst<br />

und über<br />

Freunde.<br />

„Aber ich bin<br />

froh, dass<br />

ich Frau<br />

Engel fragen<br />

kann,<br />

wenn mir<br />

jemand<br />

Fotos mit<br />

einer neuen<br />

Software<br />

schickt“.<br />

Da erscheint<br />

eine<br />

Dame in Not:<br />

Verzweifelt<br />

sucht sie nach<br />

einer Online-<br />

Apotheke, die ein<br />

bestimmtes, vom<br />

Markt genommenes<br />

Medikament noch führe.<br />

Frau Engel nimmt sie an die<br />

Hand. Bald ist das Präparat gefunden.<br />

„Jetzt hab ich da geklickt,<br />

aber hier steht: Warenkorb leer ...“.<br />

Kein Problem, brummt Frau Engels<br />

sonore Stimme. „Kartennummer<br />

eingeben, dann: ´jetzt kaufen´ klicken.<br />

Wenn Sie nicht zufrieden<br />

sind, können Sie es zurückschicken.“<br />

Ingrid Syré (63) macht nebenbei<br />

hier den „Bürokram“ des Cafés und<br />

hilft Frau Engel. „Ich bin am PC<br />

noch nicht so firm und erweitere<br />

meine Kenntnisse. Man braucht<br />

das Internet als Informationsmedium.“<br />

Aber Bank und Einkauf bleiben<br />

bei ihr vorerst analog. „Buchen<br />

und kaufen im Netz ist nicht mein<br />

Ding. Da gibt es zu viele Strolche“,<br />

sagt sie. Stattdessen liest sie Nachrichten<br />

des Fotoclubs und sortiert<br />

das Fotobuch. „Früher hat man Bilder<br />

in Alben eingeklebt, heute geht<br />

das digital. Ich bin nicht so der<br />

Technik-Freak, und hier ist alles<br />

bereits eingerichtet“. Sogar die Fotobücher<br />

sind über das Café im Angebot.<br />

Frau Engel war einmal langzeitarbeitslos.<br />

Vierzig Prozent schwerbehindert,<br />

„nicht die beste Klientel<br />

für den ersten Markt“. Sie stammt<br />

aus dem Vogtland und ist seit 1979<br />

in Berlin. Musikinstrumentenmechanikerin,<br />

Metallfacharbeiterin<br />

im Kombinat EAW Treptow. Zur<br />

Wende abgewickelt und Ausbildung<br />

zur Bürokauffrau. Dann<br />

Krankheit. „Nach acht Jahren<br />

kommt man nicht mehr rein. Gebraucht<br />

zu werden ist aber wichtig.<br />

Ich kann hier mein Wissen weitergeben,<br />

und es kommt ganz viel zurück.“<br />

Zur Umschulung lernte sie noch<br />

DOS. Alleinerziehend mit Sohn hat<br />

sie sich ihre IT-Kenntnisse selbst<br />

angeeignet. „Jetzt unterrichte ich<br />

alles außer Bildbearbeitung.“ Senioren<br />

helfen Senioren: Auch Frau<br />

Engels Dozenten sind längst in<br />

Rente. Der Smartphone- und Tabletdozent,<br />

„Typ Handy-Freak mit<br />

pädagogischer Vorbildung“, ist 69.<br />

Ein anderer Dozent war selbst Informatiker,<br />

„der braucht eine Beschäftigung“.<br />

Dabei finanziert sich der Laden<br />

komplett selbst, bis runter zur letzten<br />

Druckerpatrone. Der Smartphone-Kurs<br />

kostet 20 Euro für drei<br />

Stunden, „mit Berlinpass nur dreizehn“.<br />

Einzelstunden acht Euro.<br />

Das ist alles wirklich kleines Geld,<br />

und die Kaffeekasse wird tatsächlich<br />

für Kaffee verwendet: Skype,<br />

WhatsApp, Photo-Shop mit Sahne.<br />

Chatten mit den Enkeln in den<br />

USA, den Behördenwahn mal bequem<br />

bewältigen, nebenbei online<br />

einkaufen. „Es geht nicht nur um<br />

die große weite Welt, sondern auch<br />

um den Alltag“. Und darin braucht<br />

es mal den ein oder anderen Engel.<br />

Weltenbummler-Café, Schönholzer<br />

Straße 10, Pankow, 030-<br />

24627870; in Neukölln: Werbellinstraße<br />

42, 030-68054284,<br />

www.weltenbummler.hvd-bb.de;<br />

Seniorenbüro „Am Puls 60+“, 030-<br />

61390415, c.malling@hvd-bb.de.<br />

Morgen lesen Sie:<br />

Der Pate von Moabit: Ein Mann<br />

und sein Verein 50+

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