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Berliner Zeitung 08.02.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 33 · F reitag, 8. Februar 2019 – S eite 20 *<br />

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Sport<br />

Schlussbild: nach zwei hitzigen Fußballstunden<br />

WITTERS<br />

Verhinderte Helden<br />

Diese Pokalgeschichte hätte mit einem Elfmeterschießen enden können, Hertha hatte einen Plan –doch die Bayern hatten fast immer den Ball<br />

VonPaul Linke<br />

Maximilian Mittelstädt<br />

hatte sich eine Decke<br />

um die Schultern gelegt.<br />

Mit Klublogo. In<br />

Klubfarben. Bodenlang hing sie an<br />

seinem Körper herunter, inden die<br />

Kälte gekrochen war nach zwei hitzigen<br />

Fußballstunden. Hätte sich dieser<br />

verlängerte Pokalabend anders<br />

entwickelt für Hertha BSC, wäreMittelstädt<br />

ein Held gewesen –und die<br />

Decke sein Superheldenumhang.<br />

Mittelstädt hat ja das Führungstor<br />

gegen den FC Bayern geschossen<br />

am Mittwochabend. Am Ende seiner<br />

Schussbewegung geriet er ins Straucheln<br />

und blieb doch auf den Beinen;<br />

er beschleunigte wieder,sprang<br />

ungebremst und für die Kollegen uneinholbar<br />

über die Werbebande, um<br />

sich vorden Fans in der Ostkurve feiern<br />

zulassen. Diesen Moment hatte<br />

er so lange herbeigesehnt.<br />

Mittelstädt ist 21, gebürtiger <strong>Berliner</strong>,ausgebildet<br />

in Staaken, Zehlendorf,<br />

vor sieben Jahren bekam er einen<br />

Ausbildungsplatz in Herthas Jugendakademie.<br />

Der Maximilian, der<br />

noch ein Maxi sein darf, sagte also:<br />

„Ich bin überglücklich, dass ich mein<br />

erstes TorimOlympiastadion erzielt<br />

habe, und gleich so ein besonderes:<br />

gegen den FC Bayern, vor so einer<br />

Kulisse, das macht mich sehr stolz.“<br />

Und nachdem seine Augen ausgeleuchtet<br />

hatten dann das hier:<br />

„Schade, dass es am Ende nicht gereicht<br />

hat.“ Zwölf Minuten fehlten<br />

bis zum Elfmeterschießen.<br />

Mittelstädt hat diesem Spiel so<br />

viel gegeben, all die Sprints, Grätschen,<br />

Tacklings,dass kaum was übrig<br />

blieb von seiner Kraft, als Hertha<br />

noch einmal versuchte,das 3:3 zu erzielen,<br />

„das Spiel irgendwie zu retten“,<br />

wie Pal Dardai sagte. Der Trainer<br />

wollte Mittelstädt auswechseln,<br />

aber er hatte zuvor schon Vedad Ibisevic<br />

und Salomon Kalou wegen<br />

akuter Übermüdung aus dem Spielverkehr<br />

gezogen. Mittelstädt musste<br />

bleiben. „Weil er ein ein guter Elfmeterschütze<br />

ist“, sagte Dardai. „Wir<br />

hatten nicht mehr viele.“<br />

Zwölf Minuten. Es gab noch Hoffnung,<br />

die bayrische Passmaschinen<br />

zu bezwingen oder wenigstens zu ärgern,<br />

und einen finalen Plan gab es<br />

auch. Lukas Klünter kam spät ins<br />

Spiel, der Schnellste im Team; noch<br />

später Jordan Torunarigha, der Kopfballstärkste.<br />

Mit Glück, einer Prise<br />

Zufall und dem Extraschuss Fantasie<br />

hätten zwei Superlative vielleicht zu<br />

einer Superheldentat geführt. „Aber<br />

wir hatten keine saubere Balleroberung<br />

mehr“, sagte Dardai, „kein sauberer<br />

Pass kam nach vorne.“<br />

„Lieber habe ich eine Platzwunde<br />

oder springe so hoch,<br />

dass der Bayernspieler<br />

aus dem Sechzehner fliegt.“<br />

Pal Dardai hat so seine Meinung zum Gegentor in der Nachspielzeit<br />

Erst in der Verlängerung war die<br />

fußballerische Übermacht der Bayern<br />

nicht mehr zu leugnen, einer<br />

Mannschaft, die sich zumindest gegen<br />

Hertha einen Mats Hummels<br />

leisten konnte. Der Verteidiger hatte<br />

zwar rechtzeitig eine Erkältung auskuriert,<br />

seine Abwehrkräfte aber warennoch<br />

geschwächt, wie er vordem<br />

2:2 durch Davie Selke demonstrierte.<br />

Michael Preetz stand gegen Mitternacht<br />

im Pressekonferenzraum,<br />

wie immer mit dem Rücken an die<br />

Wand gelehnt, wie immer mit dem<br />

Statistikbogen in der Hand. Nach der<br />

Lektürefaltete er das Papier und warf<br />

es in den Mülleimer. Nach ein paar<br />

Stunden Schlaf sagte Herthas Manager:<br />

„Was auffällig war, aber dafür<br />

hätte ich den Statistikbogen nicht lesen<br />

müssen, dass die Bayern überwiegend<br />

den Ball hatten.“ In Prozent:<br />

26:74. Vierzig hatte Dardai von<br />

seinem Team gefordert. Denn Ballbesitz<br />

erhöht nicht nur die Chancen,<br />

gezielt in Tornähe zu kommen, sondernbedeutet<br />

ja auch Erholung vom<br />

ständigen Hinterherlaufen.<br />

Wie das halbe Olympiastadion<br />

hätte sich auch Preetz ein Elfmeterschießen<br />

gewünscht. „Ich glaube,“<br />

sagte er, „das hätte zum äußeren<br />

Rahmen gepasst, der spektakulär<br />

war. Dann ist es eine Lotterie, alles<br />

drin. Aber das stand nicht auf dem<br />

Zettel.“ Da stand 4:23 Torschüsse<br />

und (dank Hummels) 2:14 Ecken.<br />

Und ganz unten in gefetteter Schrift<br />

der Name Serge Gnabry, Man ofthe<br />

Match. Zwei Tore waren ihm gelungen.<br />

Das dritte für die Bayern durfte<br />

Kingsley Coman erzielen.<br />

PerSkjelbred hatte eigentlich eine<br />

gute Sicht auf diese entscheidende<br />

Szene. Aber er sah wohl annähernd<br />

doppelt, als er vor dem 3:2 „fünf<br />

Leute von uns und einen Bayernspieler“<br />

vordem eigenen Torerkannt<br />

haben wollte.Dreiwaren es in Wahrheit,<br />

die sich nicht einig waren, wer<br />

wie wann Coman am Kopfball hindernsoll.<br />

Darunter auch Mittelstädt,<br />

und das passte zu seiner verhinderten<br />

Heldengeschichte. Dardai empfahl<br />

übrigens für die Zukunft:„Lieber<br />

habe ich eine Platzwunde oder<br />

springe so hoch, dass der Bayernspieler<br />

aus dem Sechzehner fliegt.“<br />

Es sollte kein Vorwurfsein.<br />

Ein richtiges Drecksspiel sei das<br />

gewesen, sagte Skjelbred. „Weil wir<br />

viel laufen mussten.“ Ein Blick nach<br />

unten bestätigte diese Einschätzung.<br />

Wie Tape Art sah das aus, was der<br />

Vielläufer an seinen Füßen und Beinen<br />

trug. Bishoch zur Kniekehle war<br />

alles beklebt, unten die geschwollenen<br />

Zehen umwickelt. So humpelte<br />

Skjelbred in die Kabine.Indie Nacht.<br />

Ausdieser Pokalgeschichte heraus.<br />

Er sieht ihn, er sieht ihn nicht<br />

Der Pokalpatzer von Mats Hummels vergrößert die Sorgen des FC Bayern, dass die Abwehr der Offensivkraft des FC Liverpool nicht standhalten kann<br />

VonPatrick Berger<br />

Den Humor kann man Mats<br />

Hummels wahrlich nicht absprechen.<br />

Mit einer gehörigen Portion<br />

Selbstironie reagierte der Nationalspieler<br />

auf seinen kapitalen Bock<br />

im Achtelfinalspiel des DFB-Pokals<br />

bei Hertha BSC, der ihn, seinen<br />

Teamkollegen und alle anderen Beteiligten<br />

Überstunden bescherte.<br />

Mit einer verunglückten Kopfballrückgabe<br />

zu Sven Ulreich leitete der<br />

Weltmeister das 2:2 durch Davie<br />

Selke in der 69. Minute ein, das die<br />

Verlängerung bringen sollte. „Wir<br />

hätten ohne meinen Fehler schneller<br />

fertig sein können“, sagte Hummels<br />

hinterher im Bauch des Olympiastadions,„wenn<br />

mir das Ding nicht passiert,<br />

gehen wir früher und souveräner<br />

vom Platz.“ Immerhin gehört<br />

Hummels zur seltenen Spezies des<br />

Bundesligaprofis,die sich auch nach<br />

eigenen Fehlern den oft unbequemen<br />

Fragen der Journalisten stellt.<br />

Am Morgen danach, und da wären<br />

wir bei Hummels Fähigkeit, sich<br />

Kopfball mit Folgen: Mats Hummels<br />

der selbst schadet. Schon sieben<br />

Tore kassierten die Bayern in den<br />

vier Spielen in 2018. Mit 23Gegentreffern<br />

haben sie sieben mehr als<br />

zum gleichen Zeitpunkt in der Vorsaison<br />

kassiert, gar doppelt so viele<br />

wie 2016/2017 seinerzeit.<br />

Nach dem wichtigen Sieg schlenderte<br />

Kovac erleichtert durch die<br />

Mixed Zone seines Heimatstadions<br />

BEHRENDT/CONTRAST<br />

selbst gerne gekonnt auf den Armzu<br />

nehmen, postete der Abwehrspieler<br />

des FC Bayern ein Foto von sich, in<br />

dem er beschwichtigend die Arme<br />

ausstreckt. „Ganz ruhig, ich sehe den<br />

Selke schon. Oder auch nicht ...“,<br />

schrieb der 30-Jährige dazu. Selbstironie<br />

soll übrigens das psychische<br />

Wohlbefinden fördern, sind sich Psychotherapeuten<br />

einig.<br />

Trainer Niko Kovac nahm Hummels<br />

indes in Schutz. Man müsse<br />

jetzt nicht alles über Mats ausschütten,<br />

sagte der gebürtige <strong>Berliner</strong><br />

nach dem 3:2 (2:2/1:1)-Sieg, der den<br />

verdienten Einzug ins Viertelfinale<br />

brachte.„Ichweiß ganz genau, wie es<br />

ist, wenn man als Spieler einen Fehler<br />

macht. Dann will man sich am<br />

liebsten irgendwo einbuddeln. Es ist<br />

nicht allzu viel passiert, da werden<br />

wir drüber hinwegsehen.“<br />

Allerdings weiß Kovac als sportlicher<br />

Verantwortlicher nur zu gut,<br />

dass sein Team seit Jahresbeginn in<br />

keinem einzigen Pflichtspiel ohne<br />

Gegentor blieb und sich mit groben<br />

Fehlerninder Defensiveimmer wieund<br />

herzte den einen oder anderen<br />

Lokaljournalisten, den er noch aus<br />

Zeiten als Spieler bei Hertha BSC<br />

kennt. Dann wurde er gefragt, ob er<br />

das Gefühl habe, dass seine Mannschaft<br />

im aktuellen Zustand auch<br />

größereTeams schlagen könne –wie<br />

den FC Liverpool zum Beispiel. Die<br />

kurze und knappe Antwort des in<br />

Wedding geborenen Fußballlehrers:<br />

„Ja!“ Danach war die Pressekonferenz<br />

beendet und Kovac verabschiedete<br />

sich in Richtung Feierabend.<br />

Mit einer anderen Antwort war<br />

freilich nicht zu rechnen. Undtrotzdem<br />

weiß Kovac, dass die Hürde im<br />

Achtelfinale der Champions League<br />

am 19. Februar und 13. März gegen<br />

die von Jürgen Klopp trainierten<br />

Liverpooler mit den Offensivstars<br />

Sadio Mané, Roberto Firmino und<br />

Mohamed Salah in dieser Verfassung<br />

extrem hoch wird. „Wenn wir in diesem<br />

Jahr etwas erreichen wollen, in<br />

der Champions League,Liga oder im<br />

Pokal“, warnte der Deutsch-Kroate,<br />

„dann dürfen wir solche einfachen<br />

Tore nicht herschenken.“ Kovac<br />

machte „billige Fehler“ als Hauptkritikpunkt<br />

in dieser Saison aus. „Das<br />

ist man in dieser Form nicht gewohnt,<br />

da muss man sich heute<br />

nicht einen Spieler rauspicken, sonderndas<br />

ist reihum. Dasmüssen wir<br />

runterreduzieren.“<br />

Die einfachen Fehler, eben solche,<br />

wie Mats Hummels in der<br />

Schlussphase eines Spiels häufig unterlaufen,<br />

ziehen sich wie ein roter<br />

Faden durch die durchwachsene Saison<br />

der Bayern, die in der Meisterschaft<br />

ganze sieben Punkte Rückstand<br />

auf Spitzenreiter Borussia<br />

Dortmund haben.<br />

Eine klare Spielidee, und das<br />

muss dem Trainer Anlass zur weiteren<br />

Sorgen geben, ist beim Rekordmeister<br />

momentan nur schwer zu<br />

erkennen. Gegen Hertha ging viel<br />

über die Flügel, die von Doppel-<br />

Knipser Serge Gnabry und Siegtorschütze<br />

Kingsley Coman beackert<br />

wurde. ImZentrum zeigte sich der<br />

Meister erschreckend ideenlos. Es<br />

wirkt zudem, als sei den Bayern das<br />

Mia-san-mia-Gefühl abhandengekommen.<br />

DieTeams in der Liga und<br />

auch im Pokal gehen zwar mit Respekt,<br />

aber nicht mehr mit der Ehrfurcht<br />

wie einst in die Duelle.Mannschaften<br />

wie zuletzt Leverkusen (1:3)<br />

oder nun auch Hertha machen es<br />

vor. Die Bayern müssen sich strecken,<br />

damit Mats Hummels und Co.<br />

demnächst nicht häufiger in Selbstironie<br />

verfallen müssen.

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