Berliner Kurier 19.02.2019
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SERIE<br />
Nacht.Leben.Berlin<br />
KURIER erzählt die<br />
Geschichten der Nacht<br />
Anna Vavilkina an<br />
ihrer Orgel. Sowohl<br />
die Organistin als<br />
auch ihr Instrument sind<br />
echte Besonderheiten.<br />
Die große Nachtserie<br />
VonFLORIAN THALMANN (Texte)<br />
und SABINE GUDATH(Fotos)<br />
TEIL 7<br />
Sie hat einen der ungewöhnlichsten<br />
Jobs der<br />
Hauptstadt –aber auch einen,<br />
der nicht<br />
immer leicht ist.<br />
Vor allem dann<br />
nicht, wenn die<br />
Menschen, die<br />
hinter ihr im Zuschauerraum<br />
des Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz<br />
sitzen, einen etwas<br />
längeren Film genießen.<br />
„Wenn die Vorstellung länger<br />
als anderthalb Stunden dauert,<br />
merkte ich danach im Rücken<br />
und in den Armen, was ich geleistet<br />
habe“, sagt sie. „Und gerade<br />
bei Slapstick-Komödien<br />
ist viel Bewegung drin –und<br />
Abends Kino,<br />
morgens Kirche –<br />
ein Kraftakt.<br />
man muss genauer arbeiten.“<br />
Dann rauschen ihre Hände in<br />
manchen Szenen nur so über<br />
die schwarzen<br />
und weißen<br />
Tasten, die Effekt-Hebel<br />
darüber<br />
werden bedient<br />
–und der<br />
Kinosaal vom<br />
vollen Klang der Orgel erfüllt.<br />
Vavilkina ist Organistin –<br />
nicht, wie man denken könnte,<br />
in einer Kirche, sondern im Babylon.<br />
Sie begleitet an der Kinoorgel,<br />
1929 von der Frankfurter<br />
Firma Philipps gebaut, die<br />
Streifen, die hier über die Leinwand<br />
flackern. Und ist dabei oft<br />
auch in der Nacht im Dienst,<br />
um bei den Mitternachtsstummfilmen<br />
für die richtige<br />
Musik zu sorgen. „An die Zeiten<br />
habe ich mich gewöhnt,<br />
manchmal mache ich vorher<br />
Mittagsschlaf“, sagt sie. „Anstrengend<br />
war es nur, als ich<br />
noch als Kirchenmusikerin im<br />
Erzbistum Köln arbeitete. Da<br />
bin ich nach dem Film im Babylon<br />
mit dem Nachtzug ins<br />
Rheinland gefahren, um dort<br />
im Dorf die Morgenmesse zu<br />
begleiten“, sagt sie. Das muss<br />
sie heute nicht mehr: Vavilkina<br />
ist fest am Babylon –und damit<br />
die einzige fest angestellte Kino-Organistin<br />
Deutschlands.<br />
Wie sie zur Orgel kam? Das ist<br />
„eine lange Geschichte“, sagt<br />
sie. Vavilkina wuchs in Russlands<br />
Hauptstadt Moskau auf,<br />
nicht unbedingt in einer musikalischen<br />
Familie. „Es wurde<br />
viel gesungen, meine Mutter<br />
nahm Klavierunterricht –aber<br />
keiner verfolgte es später so wie<br />
ich.“ Schon als<br />
Kind begann Vavilkina,<br />
das Klavierspielen<br />
zu<br />
lernen, weil sie<br />
sich dafür interessierte,<br />
irgendwann<br />
das Cembalo spielen zu<br />
können. „Um das zu können,<br />
muss man mit dem Klavier beginnen“,<br />
sagt sie. Im Alter von<br />
sieben Jahren fing sie an, Unterricht<br />
zu nehmen, bis mit<br />
Der Klang<br />
des Instruments<br />
beeindruckt sie.<br />
zehn Jahren eine ganz andere<br />
Inspiration kam. „Ich war im<br />
Musikinstrumentenmuseum in<br />
Moskau und hörte zum ersten<br />
Mal den Klang einer Orgel –das<br />
hat mich beeindruckt.“<br />
Bis sie zum ersten Mal an einem<br />
der Instrumente<br />
saß, sollten<br />
Jahre vergehen.<br />
Sie schloss<br />
die Schule ab,<br />
studierte in<br />
Moskau Musikwissenschaft<br />
und das Orgelspiel<br />
mit Konzertdiplom, ging<br />
danach für ein Kirchenmusik-<br />
Studium nach Deutschland.<br />
Nach einiger Zeit in Detmold<br />
und Lübeck arbeitete sie im